Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, April 03, 1902, Page 3, Image 3

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    Di- bsbe Scbuk.
Roman »on ClSdekh Meyer-Förster.
In dem langen, schmalen Hofe. Ver
sich hinter dem .Tattersall" - Grund
stück Herzog, ritt ein junges Mädchen
in dunkelblauem, halblangem Schul
lleid ein mageres, kleine! Vollblut auf
und ab. DaS Grundstück sah ziemlich
verw'ldert aus. Seit dem ersten Fe
bruar des Jahres stand es im Kreis
blatt, sowie in der Rostocker und
Schweriner Zeitung zum Verkauf aus;
und das Verweilen feines augenblickli
chen Besitzers, des Oberamtmanns
Schwarz, ivard darum illusorischer mit
jedem Tag. Der Oberamtmann hatl«
nahe der Stadt daS Gut Raßbecken
und ein stattliches Vorwerk besessen;
beide Besitzthümer waren ihm im Lau
fe der Jahre durch die verschwenderisch
geöffneten Finger geglitten. Jetzt war
seine Existenz an dieser verfehlten
Gründung hängen geblieben der
Tattersall florirte nicht. Es wollt«
kein Vertrauen zu der unsicheren Kunst
d«s Reitens unter der „haute volSe"
des Nestes um sich greisen; außer
zwei ältlichen, sich emanzipirt gebär
denden Komtessen und einer jungen
Rittmeiftersfrau. welche die „chronique
scandaleuse" der Stadt vertral, hatten
sich noch keinerlei zahlend« Enthusia
st«» zum „Kursus" «ingesunden.
So durfte Vera Schwarz sich unein
geschränkt der Vorzüge der väterlichen
Gründung erfreuen. Sie war auf dem
Rücken der Pferde sozusagen aufge
wachsen. Der Alte hatte in seiner bes
seren Zeit zu den anerkanntesten Pser
dezllchiern Mecklenburgs gehört. Die
kleine, mutterlose Vera hatte anstatt
der Kind«rstub«n - Atmosphär« jen«
der Ställe und weiten Koppeln in sich
eingesogen; ihre zart« Mädchengestalt
war in ungebundener Freiheit erstarkt.
Das Grundstück, welches Schwarz
für s«in „Institut" in B«tracht gezogen
hatt«, hätte nicht glücklicher liegen kön
nen. ES mündete mit dem Thoraus
gang des Hofes direkt auf den Markt
platz der Stadt, in das Centrum
des gesammten bürgerlichen Handels
und' Verkehrs. Das Kasino, die Biir
gerressourc« und das Hotel zur golde
nen Krone waren unmittelbare Nach
barn. Wenn sich trotzdem nur eine so
geringe Theilnehmerschast für die en
thusiastisch« Jd«e Papa Schwarz«ns
gefunden hatte, so lag das eben an der
Stumpssinnigkeit s«iner lieben Mit
bürger selbst. Die reservirte Herren
ecke der Weinstube zur goldenen Krone
hätte keine Statistik herausgeben dür
fen über die Menge der Schoppen, in
denen der unglückselige Gründer seine
Verachtung für die. erwähnte Mitbür
gerschast und seinen Zorn und Gram
über sein Pech im Allgemeinen bei end-
hatten Vera und Tante
Betty, das Faktotum des Hauses, den
Vater umsonst zu Tisch erwartet. Das
geschah jetzt häufig, sie hatten gelernt,
sich darein zu fügen. Vera war nach
dem Essen in den Stall hinuntergegan
gen und hatte Bruce bestiegen. Der
Cirkusdirektor Godulewsky aus Pe
tersburg, ein alter Kunde von Papa,
war s«it einigen Tagen zwecks Ankaufs
mecklenburgischer Pferd« in der Stadt
anwesend und hatte Absichten auf
Bruce kundgethan. Vera wußte also,
daß sie sich von Bruce würde trennen
müssen. Er stammte noch aus der ver
gangenen, besseren Zeit. Vera war
mit dem Pferde groß geworden. Sie
hatte aus ihm alle Sprünge und Ge
schicklichkeiten ihrer Kunst versucht.
Bruce war unter ihren Händen ein
Sklave an Fügsamkeit geworden.
Langsam ritt sie den Wallach auf
und ab. Ueber dem langen, mit festge
walzter Lohe gleichsam ausgepflaster
ten Hof, der in ein: kl«ine Manege en
dete, lag die pralle Sonn« des Früh
lingstages und brachte die in ein«r
ne Abfütterung stattfindet, fast etwas
unergründlichen Faß, um di« Straße,
di« Menschen, den Frühlingstag zu
überfluth«n.
bar Traurigem hatte das junge Mäd
chen erfaßt. Sie wußte, daß sie sich
würde trennen müssen, dem
gegengehaltenen Preises beim Weine
auslnobeln würde, nach seiner Art,
dergleichen Geschäfte zu erledigen.
zum „Grand-Seigneur". „Zum Ver
schwender!" sagte Tante Maßwitz,
drüben auf Maßwitz bei Ueckfträt. Und
Onkel Maßwitz, Papas Better und
einzig«! Verwandter auf der W«lt,
hinzu:
„Up hochdeutsch: Zum Stromer!'—
Ihr bangte vor der Zukunft. Sie
sah sie als etwas UnerfaßlicheS, Unbe
greifliches vor sich stehen. Was wür-
Haus zahlen wollte! Kaum, daß Po-'
pa die Halste seiner Schulden damit
würde tilgen könn«». Mamas Schmuck,
das Familientafelsilber, alle Zeugen
des einstigen Wohlstandes, waren
längst verkauft. Kürzlich hatte Papa
abgegeben. Bruce war das letzte,
was vom Glanz dei Privateigenthumi
übrig geblieben war. Der ging nun
jenes zu veriiußern, die paar Möbel
des einstigen Salons, der Flügel,
den Papa in seiner Verschwenderlaune
vor einigen Jahren angeschafft, für
neugierigen Kiichenmägden des Gutes
dazu gedient hatte, mit ihren schmutzi
gen Fingern auf seinen Tasten herum
zuprobiren. Aber wenn auch dies
letzt« veräußert war! Was dann?!
Das Hofthor rasselt«, und Schivarz
trat ein. Sie sprang vom Rücken des
Pferdes, gab ihm «inen leichten Schlag,
der «s dem Stalle zutrieb, und eilte
auf den Vater zu. Sofort erkannte
sie, daß er wieder gespielt habe. Sie
kannte dieses zerfurchte, müde, fast
scheue Gesicht, mit dem er dann von
der Krone nach Hause kam. Schweig
sam schritt sie neben ihm her, die klei
ne, ausgetretene Holztreppe Hinan, die
zur Gartenveranda des Hauses führte.
Schwarz hatte sich gesetzt. Er nahm
den steifen, hochlehnigen Sessel gegen
über Veras rohrgeflochtenem Schaukel
stuhl ein. Einen Augenblick sah er ge
dankenlos über diese kleine, ihm bald
nicht mehr gehörig« W«lt hinweg: den
langen Hof mit dem braunausgepol
st«rten Gange, der kleinen Manege am
Ende mit dem schmalen, schlechtgepfleg
ten Hausgarten zur einen und der
grauen Mauer zur and«ren Seite, die
das Mechtildiskrankenhaus von diesem
Besitzthum schi«den. Di« Schwestern in
ihren langen schwarzen Gewändern,
mit den Windmühlenflügeln ihrer
weißen Hauben gingen im Schatten
der Gartenmauer dort drüben mit
sanften Schritten auf und ab.
Schwarz folgte ihrer hastigen Prome
nade von seinem Verandaplatz aus mit
den Augen. „Seltsame Leute/ mur
melte „diese Nönnekens. Weiß Gott,
ich, wenn ich ein Weib wär', ich wurde
alleS andere eher nxrden wollen,
Thierbändigerin, Marketenderin, selbst
Seiltänzerin was du willst, nur
daS nicht, nur nicht Nonne!"
Er sah mit einem tastenden Blick zu
Vera hin, die ihre Hände auf den
Knien verfchränlt hielt. „Eher ginge
ich zum CirkuS," sagte er laut, mit
starker Stimme. „Notabene, wenn ich
-in Mädchen wär. Dat Cirkusleben is
dat Schönst«, was eS giebt. Man sieht
die W«lt, man reist durch Länder und
Städte und man verdient een' Haufen
Geld damit."
„Du hast also mit ihm gesprochen,
Papa?" fragte Vera. Er strich die
Halsbinde zurecht, das altväterisch
doppelt geschlungene Seidentuch, das
zu seinem sonstigen, großkarrirten
Dreß in groteskem Widerspruch stand.
„Ja, Tochterchen, und er meint, daß
es eine Sünde und Schande wär', -
wenn wir nicht darauf eingingen. Er
sagte, daß so «ine kleine, niedliche Bie
ne von Schulreiterin wie du auf dem
Kontinent noch nicht dagewesen sein
dürst«, und daß wir daß er — daß
ich daß du du ganz allein, meine
gute Puppe, in füns Jahren alles zu
rückverdient haben würdest, was dein
alter Vater jetzt durch sein Spekula
tionSpech verloren hat."
Sie hielt noch immer die Hände
verschränkt und sah über ihren Vater
hinweg. O ja, eS war verlockend, da
ran auch nur zu denken, hinauszukom
men aus dieser ewigen, alten, grauen,
lieblosen Stadt, in der Papa s«,ne bit
tersten Erfahrung«» gekauft hatt«, in
der sie selbst unter den anderen Mäd
, chen «ine so einsame Rolle fpi«lte.
„Hat er gesagt, was er dir dafür
, gibt. Papa?"
„Was er Gehalt für dich aussetzt
Gehalt, mein Kind." verbesserte rasch
und erschrocken Papa Schivarz. „Dat
klingt ja sonst, als wollt' ich dich ihm
; verlaufen, wie Bruce selbst, mein klein'
Tochting."
Er reichte ihr die Roll« Papier, die
er aus der Rocktasche zog, und sie öff-
nete sie mit ihren kindlichen Händen.
Verftändnißlos las sie die enggeschrie
bentn Paragraphen durch. Der Stem-
pel „Petersburg" und die vielen ge-
wählten Ausdrücke erfüllten sie mit
Wichtigkeit: „die p.p. zu Unterschrei-
bende, die pp. zu Unterzeichnete." las
. sie laut. Ein feines, erregtes Roth
hatte ihr blasses Gesicht überglüht.
Papa Schwarz. d«r ihre Befa»gc»h«it
g sah, zog ihr den Bogen weg. „D«r pp.
, bin dann natürlich ich, d«r zu unter
x schreiben hat," erinuthigte er. „Klein
Reiterchen niit seinen sechszehn Jah-
ren hat nur zuzugucken. Da kommt
, Godulewsky, der wird dir daS Weite
l re sagen."
Der Cirkusdirektor, noch im Rau-
sche des guten Geschäftes, das er soeben
. an Schwarz gemacht hatte, trat in den
e Hof
„Bitte sich nicht stören zu lassen,
falls der Herr Oberamtmann sein
d Mittagsschläfchen antreten will!" rief
d er mit jovialer Stimme schon von wei
>. tem. „Verschwind« sofort wieder vom
>! Schauplatz, wollt« nur eb«n d«m klei
nen Fräulein mal die Hände schütteln
- S«rvus, Fräulein Vera! Na. wie
ie wird's also mit der Collegenschast?
!- Hat der Herr Papa ein Wort für mich
eingelegt?"
? Er r«icht« die beiden reichberingten,
n tadellos weißen Hände zu ihr hinab
o und schüttelte ihre schmalen Finger.
>e „Nur Muth, mein Fräulein!" fpru
>- delte er. «Keine Müdigkeit vorschü-
tzen! So eine Gag«, wie ich sie Ihnen
biete, kriegen Sie nicht mal bei Renz.
Ich bin Entdecker, verstehen Sie,
nicht Dresseur.— Di- Hälfte aller Cir
cus - Celebritäten tes Continents habe
ich gemacht. Die Blanche, die Creu
zot, die schöne Nadesnaja! Ich ent
decke. verftehen Sie. Fragen Sie-die
Fachzeitungen, hören Sie beim Cir-
Man kennt mich, Godulewsky hat sei
n«n Nam«n. Ich knausere nicht; daS
kleine Fräulein ist ein Genie. Nun,
ich will Sie wie ein Genie bezahlen.
Bis heute Abend, mein Herrschasten,
darf ich auf Ihre Entscheidung war
ten. Länger nicht. Morgen früh geht
eS nach Petersburg zurück. Ich zahle
Ihnen, was Sie wollen! Ich bin Ent
decker, verstehen Sie!" Er küßte
Vera galant die Hand, als habe er eine
Erwachs«»« vor sich, warf Papa
Schwarz einen Blick der Aufmunte
rung zu und ging. Er schritt so leicht
über den Hof, mit seiner imposanten
Figur, dem tadellosen Gehrock, den
Lackstiefeln, an denen die silbernen
Sporen klirrten, daß die in den Thii
ihm wie geblendet nachstarrten.
Auch Vera verfolgte den Director
mit dem Blick, bis er im Thore ver
schwunden war. Si« war ganz ent
flammt von seiner lebhaften, ihr hul
digenden Persönlichkeit. Jetzt, nach
dem er gegangen war. entsank ihr wie
der aller Muth. Sie kam sich hölzern,
unbeholfen vor, sie hatte kein Wort
der Antwort gefunden, nur gestanden
und ihn angestarrt. Sie senkte den
Kopf über den Eontract.
„Nun, Töchting, wie is es? Hast
du Lust?"
Hilflos zuckte sie die Achseln. „Wenn
du es willst, Papa —"
„Ach, willst. Es is «in Muß, mein
Kind, kein „willst"."
„Also schreibe, Papachen. Unter
schreibe es. W«»n ihr mitgeht, du
und Tant« Betty, da wird es ja nicht
so schlimm sein. Hauptsache ist, daß
wir endlich aus dem bösen Neste hier
herauskommen. Hier kann man ja
nicht froh werden"
Si« seufzt«, und ihr kindlicher, tie
fer Seufzer schnitt ihm ins Herz.
„Haben sie wieder Bemerkungen ge
macht, in der Mal-Klasse, oder
sonst oder wie oder was?" fragt« «r
unsicher, mit «in«r Zornader auf der
Stirn.
„Nein doch, aber nein;— wenigstens
kümmre ich mich nicht drum. Die müs
sen. doch etwas zu r«den haben"
„Di« soll«» die Schnäbel halten. Die
sollen dich fr«i« Passage lassen. Sonst
kommt Papa Schwarz und stoppt die
Er stand aus, schob den Stuhl zu
rück und ging aufgeregt hin und her.
Ja, dieser Stadt mit ihrer engen Sip
pe, der war er längst ein Dorn im
deNmarlfchein sich nicht erst von zwei
Seiten anzusehen. Das waren Kni
cker, die einen Mann, der lebt und le
ben läßt, noch nie begriffen hatten.
Freilich, als er noch mit vollen Händen
unter die Leute warf: ja, da war er
immer noch der „tolle Kerl", der „ge
müthliche alt« Bursche" gewesen. Aber
jetzt, wo der Ruin da war! Da wur
den die lächelnden Mienen einfach zu
Eis. Da hatte «S all« von der äl
testen Kasf«ebas« an schon längst
vorausgesehen. Da war „endlich die
rächende Nemesis da!" O wie er's
haßt«, dieses lalt«, schadenfrohe Pack.
„Pa, was habe ich denn gesagt?
Warum regst du dich immer gleich so
auf, Papa?"
Er hielt inne in seinem trottenden,
erregten Hin- und Herlaufen mit im
Rücken verfchränlten Armen und hef
tig arbeitender Miene und trat vor sie
hin.
„Vera, du bist mich doch gut, mein
Kind?"
Etwas Unterwürfiges lag in seiner
Frage, ein Maß von so slehenderZärt
lichkeit, daß daSHerz des jungen Mäd
chens erzitterte.
„Aber Vaterchen!"
lhre Arme hatten Leiden
schaft. sie preßten den alten Mann fast
ungestüm an die kindlichen Schultern.
ß so 112 g Kind Sjxh.
merfort fühl ick'S unter mir wanlen.
Mir is, als liegen überall Fallstricke.
Ich ftolpre und falle und paß
und Tante Betty sind doch da. Wie
man ihn, im Blute, in der Luft, bei
jedem Athemzug. Papa Schwarz war
gleich nach dem Kaffee über Land ge
fahren, von feiner Unruhe geplagt, di«
. d«m Unterschreiben des Contractes, in
all« Glieder gefahren war. Er selbst
hat,« das nunmehr vollgültige Schrift-
brütete die Langeweil« eines endlosen
Nachmittags. Tante Betty wirthschaf
tete lautlos in der Wohnung umher,
fassungslos über dies« ZukunftSeröff
nung, die man ihr als „Fait accom
heute Abend" würde sie wie ein Lauf
feuer die Stadt durchkreuzt haben!
Alle diese Klatschbasen, dies« gute»
Freundinnen und treuen Nachbarn
würden iiun Stoff zur Unterhaltung
für Wochen hinaus gewinnen. Ja,
das würd« «in schönes Spießruthen
laufen werden, die letzten paar Wochen
über.
Ach, eS machen wie Papa! Allen ent-
Nest« hinaus! Draußen, nicht weit
von der Stadt, auf dem LehnSgut
wohnten die Maßwitz. Zu den«n wür-
Sie packte die Zeich«nmappe unter
d«n Arm .die trübselige Zeugin ihrer
vielen nutzlosen, gelangnxilten Stun
den, spannte den Sonnenschirm auf
und bog in den Stadtwall ein. Alle,
die ihr begegneten, sahen ihr nach,
grüßten zu ihr mit dem eigenthümli
ch«» Gemisch von Kopsschlltteln und
Neugierde. Sie hob den Kopf nur
noch höher und ging steif und erkün
st«lt dahin; über ihrem hilflosen Kin
dergesicht wippt« der groß«, roths«idene
Pariser Hut, dessen Garnitur den Da
men von Gollupön schon ostGesprächs
stosf geliefert hatte; ihre gelben Stiefe
letten wurden grau vom Staub d«s
Weges, und das Batistkleid mit den
vielen übertriebenen Bandschleifen, das
jeder Modedame Ehre gemacht haben
würd«, flatt«rte mit seinem duftigen
Aufputz im Frühlingswinde.
Di« Promenade sührte vor dasThor
d«r Stadt, und rascher und fröhlicher
gestimmt bog sie in den Feldweg, der
nach Maßwitz führt«, ein. Sie liebte,
dieses Gut der gleichnamigen Verwan
dten, mit denen es für sie und Papa im
Grunde so gut wie gar keinen Zusam
menhang gab. Man besuchte sich frei
lich zuweilen, spielte Whist miteinan
der, die kränkliche Tante fragte theil
nahmslos dies und daS, und die bei
den männlichen Familienoberhäupter
politisirten und geriethen einander so
fort in die Haare. Onkel Maßwitz
war nur ein Ruf-Onkel, innerlich war
er mit seinen bäurischen Manieren,
seiner Engherzigkeit und derdenWahr
heitsliebe der kleinen Vera immer nur
mehr eine Schreckensgestalt gewesen,
zu der sich lein Vertrauen fassen ließ.
Bei den Maßwitzens aus dem herrli
chen Gute war alles sparsam beschränkt
und eng; wie anders dagegen in Ve
ras Vaterhause! Hier wurde jedes
Fest, jeder Verwandtenbesuch trotz der
Abneigung der gegenseitigen Charak
tere mit verschwenderischer Ueppigkeit
gefeiert. Gastfreundschaft bis zur
Grenze des Möglichen war ja über
haupt Papa Schwarzens Stärle. Die
verlumptesten Existenzen aus der ehe
maligen Agrarierzeit durften kommen
und ihm Wochen-, monatelang auf der
Tasche liegen; das gab bei Maß
witzens stets ein unerschöpfliches Ent
rüstungsthema.
Aber seit Weitu drüben wohnte,
ging Vera gern ab und zu hinüber in
das Verwandtenhaus. Er war der
Neffe der Maßwitzens, «in ferner Cou
sin von ihr selbst, .elternlos, den die
Gutsleute an Sohnesstatt zu behalten
gedachten. Ein richtiger, enragirter
Landwirth, wie Onkel Maßwitz selbst,
und mit seiner derb zugreifenden Art
im Grunde ganz der Gegensatz zu dem
jungen Mädchen. Aber Vera hatte in
letzter Zeit mitunter die Ueberzeugung
gehabt Gott weiß aus welchen Bü
chern. aus w«lch«n Beispielen, oder
vielleicht auch nur aus welchem Drange
ihres jungen Lebensfrühlings geschöpft
daß zu den errungenen sechzehn
Jahren nothwendig auch ein bißch«n
V«rli«btheit gehöre. Sie hatte so
gern draußen bei Weitu in den Fel
dern geweilt, in denen «r die Säer zu
beaufsichtigen pflegte, gern seine scheu
en, bewundernden Blicke gefühlt, so
gern mit ihm Über ihr beiderseitiges
Leben geplaudert. Und heute, in ih
rem Gefühl von trostloser Rathlosigleit
fühlte sie mehr wie diese kindliche Hin
neigung; «in Drang nach Aussprache,
nach Güte, nach Mitempfinden brann
te in ihr, ein «rstes Aufflackern der
ersten, anschmiegungsbedürstigenWeib
lichleit.
Die Felder lagen im Glänze der kei
menden Saat, über ihnen dampfte dir
Frische des jungen Ervgeruchs. In
die flache Weite verloren sah man ein
zeln« Männer und Weiber g«hen über
die theils noch leeren Furchen gebückt
oder hinter dem Fluge schreitend. Ihre
Gestalten schienen klein, iki die Erde
sinkend unt«r di«ser Weite des Hori
zontes. Ab und zu trotteten Kühe
über das Ackerland, und ihre schwer«»,
langsamen Massen schienen unhörbar
über den weichen Erdboden hinzuwan
deln. Die Sonne brach ihre Gluth in
den unzähligen Wasserlachen, die noch
von der letzten Ueberschwemmung her
auf den Feldern stehen geblieben wa
ren. Diese kleinen, leuchtenden Wei
her, in denen jedes vorüberfliegende
Lüftchen winzige Wellen aufwarf, ga
ben der noch so kahlen, LdenLandschaft
das Lächeln unter Thränen hätte nen
nen können. Am Rande dieser Wei
her stolzirten die Krähen, lrächzten
unmotivirt ihren grellen Schrei in den
leuchtenden Spiegel hinein, hackten mit
den Schnäbeln in die weiche Ufererde
Fluge mit schlagenden Flügeln die
Luft durchschnitten, gleich schwarzen,
vom Winde hin und her getriebenen
Wolkenfetzen.
In dem niederen Feldgebüfch und in
dem noch ganz schmächtigen, saftgrün
prangenden Wielen gros war ein fort
währendes l«is«s Rumoren und Flü
stern, ein« Aufregung der Erwartung
und Unruhe, wenn d«r Frühlings
wind durch die Zweige fuhr. Diese
Unruhe lag über d«r ganzen, weit«n,
n«u verjüngten Welt, als bereite sich
irgendwo unter den Himm«ln einWun
der vor, und als müsse die Erde di«
Arme offen halten. Vera ging mit
glänz«nden Aug«n, mit bewegtem und
heftig klopfendem Herzen. Was war
es nur, das aus der Erd«, den Bü
schen, den stummen Wasserspiegeln so
laut und unruhig in den Lenztag hin
aussprach? Ihr war, als liese eine
M«lvdi« neben ihr her, die fortwäh
rend auf sie einsang. Eine Sehn
sucht nach Dingen, für die sie keinen
Namen, keinen Ausdruck fand, erstickte
fast ihr Herz. „Ob viele Mädchen so
einsam sind wie ich?"
Si« hatt« diese Frage schon oft ge
than. Eigentlich immer, seitdem ihr
Sinn zum Nachtanken erwacht war.
Trotz Vater und Tante, mit denen si«
so zärtlich verbunden war, kam sie sich
immer einsam vor. D«r Begriff^Mut
beneidete sie die jungen Mädchen, die
von ihren Müttern mit schwesterlicher
Vertraulichkeit sprachen, oder so wie
Freundinnen von einander. Das Licht
bild ihrer eigenen verstorbenen, ju
gendlichen Mutter verließ sie niemals,
und während sie empfand, daß für den
Vater eigentlich keine Lücke geblieben
war. litt sie doppelt unter dieser Ver
gänglichkeit seiner Liebe, und ihrer
Zärtlichkeit für die jung Gestorbene
mengte sich ein tiefes Mitleid bei.
Maßwitz war nun erreicht. Die
Chaussee bog zu dein GutShofe hin.
Das Thor desselben war wie zur So
mmerszeit stets sperrangelweit geöffnet,
so daß man bis in die offene Thür des
Wohnhaufes zu sehen vermochte. Im
Hof« wurden die lang«n Tröge vor den
Pumpen mit Wasser gefüllt, und aus
allen Stallthüren stießen und dräng
ten sich di- Rinder, um an diese Quelle
zu g-lang-n. Es sah aus wie ein Aus
stand, wie eine Revolution der Ge
hörnten, dieses Stoßen, Trotten und
Drängen der mächtigen Thiere, von
denen jedes einzelne zuerst an d«n
Trog zu gelangen sucht«; «in Brüllen
und Muhen aus hundertfach vereinten
Kehlen rollte sich wie ein Getöse über
den Hof hin. und diese
blieb stehen und betrachtete aufmerk
sam das bewegte Bild. Si- war nicht
umsonst das Kind einer alten Familie
von Landwirthen. Ihre Zuneigung
sür di« viersilbige Kreatur, an die sie
von klejn auf gewöhnt worden war,
wurzelte so tief und fest in ihr, daß sie
ein Theil ihres Innenlebens geworden
war. Sie konnte sich leinen Sommer
tag ohne grasende Kühe. die käuend am
Wege liegen und die Augen gegen die
pralle Sonne schließen, wiehernde
Pserde und übermüthige Füllen aus
weit abgesteckten Koppeln vorstellen.
Ihre Seele war erfüllt von den ewigen
Freuden und Bildern des Landlebens.
Deshalb waren ihr die vier seit dem
Verkauf des väterlichen Gutes in der
Kreisstadt verbrachten Jahr- doppelt
öde und reizlos erschienen.
Im Hausflur, an dessen Wänden
Feldstöcke und Reitpeitschen des Haus
herrn in buntem Durcheinander hin
gen, war es dunkel und leer und kühl.
Sie beschritt den langen Gang, in dem
unzählige Thüren endeten, und trat in
die Veranda hinaus. Von hier konnte
sie den Garten übersehen, in dem noch
der Kasseetisch gedeckt war. Tante
Maßwitzens Strickzeug lag, anschei
nend eilig hingeworfen, auf der grü
nen Bank. Die eine der Nadeln war
Erdreich gebohrt.
Vera trat hinzu, hob di« Nadel auf
und stickte si« in das dicke wollene Ge-
W«ile, das Bild diS stummen Gartens
„Vwtu! Weitu!"
sel, die ehemalige Lackkappen v«rrie
treten, aber das Vera nicht. Ihr
ttchen Gefühl, plötzlich ihre Brust
Hände durch den Gartenzaun:
„Wie schön, W«itu, daß du wenig
stens da bist."
„Die Alten sitzen drüben im Pavil
lon," sagte er, mit der Hand nach dem
primitiven Lusthäuschen zeigend, das
sich seitwärts der Chaussee auf dem
zum Gute gehörenden Tannenabhang
erhob. „Krichler ist da auS Cowall
und verhandelt um zwei Zuchtochs«n.
von heute und gestern. Der und der
Alte, die gehen noch über.d«n Jtzig
' aus Swantow."
Verwandten, die ihn an Kindesstatt
aufgenommen hatten, nicht gerade ehr
erbietig zu spricht». Aber da sie selbst
ihren Onkel und seine materielle Eng
herzigkeit so oft von ihrem Vater halte
schmähen hören, fiel ihr W«itus re
spektlose Art nicht weiter auf, sie sagte
nur. indem sie ihm den Filzhut aus
der Hand nahm und die Pfauenfeder
betrachtete, die er darauf gesteckt hatte:
„Du wirst mal nicht ander» werden
wie Onkel Maßwitz. Da du sein
Nachfolger bist, wirst du auch rechnen
Sie streichelte die Feder behutsam
mit zwei Fingern ihrer Hand und be
hielt den kleinen Jägerhut noch immer.
Plötzlich sagte Weitu:
„Wer weiß, ob es jemals dazu
kommt: die Alten sind jetzt höllisch er
bost auf mich. Es fehlte nicht viel, und
sie hätten mich geschasst."
Vera blickte ihn mit großen Augen
an:
„Wie ist daS möglich, Weitu?"
Er nahm ihr den Hut aus den
Händen und setzte ihn wieder auf den
Kopf.
„Warte, ich erzähl'S dir. Ich komm'
einen Augenblick herein."
Er schwang sich über den Zaun, mit
einem mächtig«» Sprunge, so daß es
geradezu ein Dröhnen gab, als er zu
„Komm," sagte «r, „wir gehen dort
in die Laube. Eigentlich müßte ich
auf den Getreid«boden, Raps ausmis
sen, aber die Alten sitzen ja noch fest.
Laß den Schaffer s«hen, wie er allein
fertig wird."
Die Laube, in die sie traten, war
noch kahl und leer. Die Hölzerne Rück
wand schützte sie gegen den Blick vom
Hause aus. man sah von der hochlehni
gen Birkenbank aus aus die weiten
Felder hinüber, und die Frische, der
Erdgeruch und der Duft derselben
schienen in dieser geschirmten Ecke zu
sammenströmen zu wollen.
„Riecht es nicht, als wenn Veilchen
hier irgendwo blühten?" rief Vera
„und wie wenn frische Kartoffeln
dampften, und zugleich, wie wenn Lu
pinen in der Nähe ständen?"
„Was die Trüffeln anbelangt, das
kann stimmen." auf Veilchen und Lu
pinen möchte ich indes nicht schwören.
Na, dessenungeachtet."
Er setzte sich, rückte auf der Bank
bis in die Ecke und reinigte mit seinem
Taschentuch auch einen Sitz für Vera.
Sie nahm Platz und einen Augenblick
faßen sie beide schweigsam. Weitu
schien nachzugrübeln. Ueber seinem
Gesicht lag ein mißmuthiger Ausdruck,
den Vera noch nie an ihm gesehen
hatte.
„Ist es etwas so Aergerliches?"
fragte sie, „was geschehen ist?"
„Ich möchte dir doch, daß die Al
ten mich am liebsten schassen möchten,"
entgegenete er fast ungeduldig. „So
ein armer Lump wie ich, der kann
dann Steine klopfen gehen."
Er hatte fast grob gesprochen, und
Vera saß schweigsam, von seiner Hef
tigkeit erschreckt. Da fühlt« si«, wie
er ihre Hand in die seine nahm; es
war «in ganz l«is«r Griff, der ihr:
Rechte umschloß und zu sich hinzog.
Erstaunt, verwirrt starrte sie ihren
Vetter an, ihr hilfloser Blick ent
flammte ihn.
„Gelt Vera, du wirst mich nicht ver
dammen —du doch nicht?" stieß er
hervor.
Mit einer ruckartigen Bewegung
hatte er ihren Kopf umfaßt und zog
ihn an seine Schulter. Er küßte sie
rasch, leidenschaftlich, mit trockenen,
hastigen Küssen, wie sie noch nie welche
hatte. machte sie sich
Haar zurück. Ein rosiger, zarter
Schimmer von Gluck, von Aufregung
und athemloser Ueberraschung lag auf
ihrem Gesicht. Weitu war in der Ecke
sitzen geblieben. Er sah auf sie hin und
in seinen Zügen malte sich Unruhe.
„Siehst du, das ist «s ja eben," stieß
er hervor. „Das ist es ja eben, was
der Mensch nicht beherrschen kann, und
Ihr Mädels, ihr seid eben zu hübsch,—
durch die Bank seid ihr zu hübsch. Zu
knusperig und zu appetitlich. Da kann
sie in der Küche haben ich habe mir
dabei nichts gedacht, wahrhaftig nichts,
ebensowenig wie b«i dir j«tzt. Mädel
chen. Ab«r Vera?"
(Fortsetzung folgt.)
Das Karnickel. Tochter
(ärgerlich): „J«d«S Mal, wen» ichKla
vier spiele, bläst der Kerl drüben sein
Waldhorn!" Vater: „Ja, Du fängst
Für die Küche.
Gedämpft? Eier. In ein»
flachen Porzellanschüssel rührt man ei
nige Eßlöffel Sahne mit ebensoviel
Löffel S«nf durcheinander und stellt
zum H«ßw«rdcn auf lochendes
Wasser" dem toch-nd.n
mit Herz, Leber, etwas gestoßenen»
wickle si« mit Speckscheiben. Dani»
läßt man die Tauben in brauner
verschlossen, gar dünsten,
Suppe von Kalbfleisch.
Ein halbes Pfund Kalbfleisch (ohne
Pint kaltes Wasser und kocht es «ine
Milch auf und läßt die Milch eben
ße Kochlöffel Kartoffeln nimmt man
zw«! Kochlöffel Mehl, ein Eidotter, et
was Salz. Muskat, Petersilie, rührt
gen.
Einfach« kleine Beef
steaks. Besonders zart werden Fi»
letbeessteaks auf folgende Art. Man
klopft sie sehr ftark und legt sie über
Nacht in bestes Speiseöl. Am anderen
Tage vor dem Gebrauche trocknet mckn
sie sorgsam ab, salzt si«, taucht sie iir
siedendes Wasser, damit sich alle Poren
Bratkartöffelchen an, belegt jedes Beef
steak mit einem Stich Anchovisbutter
und giebt Spiegeleier dazu.
Nischpudding. Hierzu lassen
sich die Reste von gekochtem Fisch aus
gezeichnet verwenden. Man befreit sie
von den Gräthen und zerkleinert sie. ,
Man mischt doppelt so viel gelochte
»der gequellte, geriebene Kartoffeln,
kleine Stückchen Butter, geriebenen
Käse und etwas Salz und Pfeffer da
runter und füllt die Masse in eine mit
Butter und geriebener Semmel herge
richtet« Form. Dann gießt man zu
letzt eine Tasse Milch, in der zwei Eier
und etwas Salz geschlagen sind, darü
ber und backt es imßackofen eine starke
Stunde in ein«r Auflaufform. Braune
Butter mit Petersilie wird dazu ge
reicht.
Gedämpfte Kalbsrippen.
Es gehört hierzu sehr gutes Fleisch.
Man schneidet die Rippen glatt ab,
klopft sie gehörig, aber nicht auseinan»
fel, bestreut sie mit Salz, Muskat unl»
zu drei Pfund Fleisch «in Viertel
Quart halb Wasser und halb Wein
geschmort.
Wirsing - Suppe. Man
schneidet einen Kopf Wirsing in kleine
Stücke, wäscht sie sehr rein, giebt ein
Stück Butter in einen Suppentopf und
läßt den Kopf darin dämpfen, wobei
nian es durch ein Sieb, giebt Salz
etwas mit Wasser glailqerUhrteinMehl
man etwas Butter, rührt ein in kaltein
tes Weißbrot hinein, rührt, bis es sich
loslößt, fügt ein Ei, etwas Salz und
Pfeffer'fleisch. Ein Stück
Kalbsbrust hackt man in zierliche Stü
cke gießt kochendes Wasser darauf,
läßt das Fleisch 6 —6 Minuten lanz
darin und legt es sodann ebensolange
Butter in einer Kasserolle kochend und
rechnet auf «in Pfund Fleisch drei Un
zen Butter, bestreut das Fleisch mit
darf, läßt es darin vollends weich ki
cken und schärst eS mit Citronensaft
ab. Es wird in einem von
Leichte Abhilfe. Mann
(ärgerlich über die Liederlichkeit sein«,
Frau) : „Eine Schande, wo» für Staut
wieder auf dem Sekretär liegt iH
schämt« mich vor d«m Doktor, als e,
vorhin das Rezept schrieb.. Frau
(phlegmatisch): „Nimm Dir doch einen
Naturarzt, dir verschreibt kein« Re.
zepte!" 3