Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 11, 1901, Page 3, Image 3

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    ZlillHM »Mach.
Mnr Pcmberlou.
(4. Fortsetzung.)
Er bohrte seine Hacken noch tiefer in
den Schnee, als er so die verschiedenen
Möglichkeiten überdachte, und er über
legte, daß er jetzt nicht länger mehr
hierstehen könne. Er fürchtete, beob
achtet zu werden; auch konnte der alte
Bonzo ihn in dem Hof finden, wenn
er zu den Baracken zurückkehrte, und
das mußte dem mißtrauischen Ober
sten auffallen. Er ging endlich zö
gernd und langsam in das Haus. Sein
eigenes Zimmer, kahl und öde wie ein
richtiger Dienstraum, war im Nord
flügel gelegen, weit entfernt von dem
Mariannes, aber doch nicht weit ge
nug, als daß er nicht das Krachen der
Thür hören konnte, wenn sie geöffnet
oder geschlossen wurde. Bevor er sein
Zimmer betrat, schlich er noch einmal
an das Ende des Eorridors und
horchte an Mariannes Thür, wie um
sich zu versichern, daß sie schlief. Dann
legte er sich zu Bett, blieb aher noch
lange wach. Als endlich der Schlaf
sich über ihn senile, er im
nacht. Noch einmal ging er mit der
Geliebten durch die stillen Straßen
Kronstadts. Aber als er mit ihr so
dahinging, fiel sie plötzlich ihm zu Fü
ßen, und ein Schreckensschrei erweckte
die schlafende Stadt. Kein Wort, kein
Blick von ihm konnte diesen Schmer
zensschrei bannen, welchen er im
Traum gehört hatte. Er llang in sei
nen Ohren nach. Er schleppte die Ge
liebte in seinen Armen davon, aber
aus dem Schlaf geschreckte Soldaten
Häusern und schlössen sich den Verfol
gern an. Er umfaßte feine Last fester
mit seinen Armen und lies weiter, aber
der Schrei tönte fort, und die Verfol
ger vervielfachten sich, bis sie endlich
ein ganzes Heer darstellten.
Da erwachte er und sprang aus dem
Bett. Ein Schimmer von Sonnen
licht drang in sein Zimmer, aber der
Schreckensschrei, den er im Traum ge
hört hatte, hallte auch jetzt, wo er er
wacht war, durch das ganze Haus. In
furchtbarer Spannung blieb er einen
Augenblick stehen, dann eilte er zur
Soldaten, er sah Bonzo schweigend
und grimmig dastehen, er sah Ma
rianne weiß und zitternd.
„Mein Gott", rief er, „die Stunde
Paul legt Zeugniß ab.
Paul Sassulitsch lehrte in sein Zim
mer zurück und begann sich linkisch,
aber mit einer gewissen Ueberlegung
anzulleiden. Die Ketten, die er an
Mariannes Handgelenlen gesehen,
waren auch für seine Hände eine Last;
Erhörte jetzt schwer« Fußtritte in
dem Gang draußen und glaubte die
Stimme des Generals Stefanowitsch
zu erkennen, aber das Geräusch und
wiederum lag Stille über dem Hause.
Dieselbe Ruhe, dachte Paul, die jetzt
hier im Palaste des Gouverneurs
herrschte, würde auch fortan sein lie
beleeres Leben beherrschen. Zum letz
ten Mal, so meinte er, hätte er die
Geliebte gesehen, und mit dem furcht
baren Ruf auf ihren Lippen war sie
von ihm gegangen, welchem Schicksal
entgegen, wußte er nicht, außer daß
die undurchdringlichen Pforten des
Kerkers sich hinter ihr schließen wür
den, und daß ihr ein lebendiger Tod
Er war froh, daß sie ihn nicht be
merkt hatte, als er einen Augenblick
vor ihrer Thür stand und sah, wie die
Soldaten sie aus ihrem Zimmer zerr
ten. Die schlanke, fast zerbrechlich
aussehende Gestalt, das kindliche Ge-
Erinnerung an
sie sein. Er wußte wohl, daß die
Männer, die über Marianne zu rich
ten hatten, nicht peinlich genau das
Maß ihrer Schuld oder Unschuld ab
wägen würden. Für seine Vorgcsetz-
Kampse unterlegen und mußte jetzt
ihreThorheit büßen. Sie hatte zum
letzten Mal in die Welt des Lichtes ge
blickt, niemals wieder würde ein Ruf
von ihr die Welt erreichen, sie würde
die Stadt verlassen und niemand wür
de den Muth haben, zu sragen, wohin
sie gegangen. Paul wunderte sich über
sich selbst, daß jetzt, wo das Schreck
liche eingetreten und Mariannes Trei
ben entdeckt war, sein Verstand nicht
den Dienst versagte und er so klar
denken konnte. Die Verhaftung Ma
riannes nahm wenigstens eine Last
von seinen Schultern. Er brauchte,
seiner Meinung nach, wenigstens keine
Beichte mehr abzulegen, denn das, was
er wußte, war jetzt auch den Herren
der Festung bekannt. Und er muß!e
sich nun selbst vor der Möglichkeit ei
nes Verdachtes schützen, er mußte
Worte der Ueberraschung und der Ve
rwunderung bereit halten. Er allem
in Rußland blieb der Freund des un
glücklichen Mädchens, um ihretwillen
nung, daß er ihr dadurch nützlich sein
tönn-. Und diese Hossnung flößte
ihm wieder Muth ein, er wußte selbst
nicht. wa:üm. Seine lässigen Finger
begannen emsiger zu arbeiten, er klei
dete sich schneller an und verließ kühn
und zuversichtlich den Gouvernements-
palast. Unten auf dem Hof ging der
alte Bonzo hin und her und wartete
auf den General. Der Oberst erwiderte
den Gruß des Hauptmanns freundlich
und wohlwollend und nicht anders, al»
wenn sie zusammen zu irgend einer
Festlichkeit gehen sollten.
Herr Oberst, und
Sie?"
BonzoZ Augen blinzelten listig.
„Mir geht es immer gut; und gerade
jetzt will ich mit einer Dame zusam
men speisen!"
Sein scherzender Ton erregte Paul
noch mehr, und er konnte sein hitziges
Temperament kaum beherrschen.
„Herr Oberst", rief er aus, unfä
hig, noch länger zu schweigen, „man
sagt, Fräulein Best sei verhaftet. Ist
das wahr?"
Bonzo stand 'Wich still.
„Sie wissen se»ost, daß es wahr 'st,
»lch. Herr Oberst! Wie soll ich das
wissen?"
„Weil Sie an Ihrer Thür standen,
als sie sie herunterschafften."
Paul biß sich die Lippen.
„Gewiß sah ich das, aber ich wußte
nicht, was das bedeuten sollte. Sie
haben sie also in Verdacht, Herr
Oberst?"
„Wir haben sie so weit im Verdacht,
daß wir bestimmt wissen, daß ihre
Hand es war. die die Karte von Bat
terie 3 gezeichnet hat."
«Ihre Hand, Herr Oberst, die Hand
einer Frau? Aber sie ist ja ebenso un
wissend, wie ein Kind!"
Paul versuchte, die Miene großer
Ueberraschung anzunehmen, aber seine
Gesten waren falsch und seine Stimm:
klang hohl. Bonzo beobachtete ihn ge
nau mit seinen kleinen, blinzelnden
Augen und las in seinem Besicht wie
erfahren, wie unwissend sie ist, wenn
die Anklage fertig ist, mein Sohn.
Sagte ich Ihnen nicht, daß ich Ihnen
den Spion heute Morgen zeigen wür
de? Gut, wenn Sie auf die Wälle ge
hen wollen, so werden Sie sie in dem
kleinen Boot sehen, das sie nach Fort
Alexander bringt. Wir werden ihr
dorthin folgen, wenn der General fer
tig ist. Nicht jeden Tag kann man mit
einer Dame zusammen in Kronstadt
frühstücken."
„Ich kann es nicht glauben!" rief
Paul. „Ich kann es nicht glauben,
daß sie den Verrath begangen hat!"
„Sie können es nicht glauben?
Potztausend! Das sagen Sie, Sie,
der Sie wissen, daß es wahr ist, Sie,
der Sie wissen aber ich will es
Ihnen überlassen, uns zu sagen, was
Sie wissen, mein Sohn. Ich erinnere
Sie aber daran, daß Sie ein Diener
inals vergessen, Hauptmann Paul."
Bonzo hatte bald laut und heftig,
bald milde und versöhnend gesprochen;
aber bei seinen Worten war alle Farbe
aus Pauls Gesicht gewichen. Er hatte
einen großen Respekt vor dem Mann,
dessen Augen seine eigensten Gedanken
lesen konnten; er begann sich zu fra
gen: „Was hat er erfahren? Was hat
er gesehen?" Aber Bonzo, der stets
sein Ziel im Auge behielt, legte jetzt
freundschaftlich seine Hand aus die
ebenso braver Mann wie Soldat
sind. Trinken Sie jetzt Ihren Kaffee
und suchen Sie mich dann auf dem
„Da ist wieder mal einer, den ein schö
nes Gesicht bethört hat! Na, er wird
wohl allmählich zur Vernunft kom
men; aber wenn nicht, so werden wir
ihn schon zu behandeln wissen. Wir
wollen ihn oft zu dem Fort schicken,
und wenn noch irgend ein Geheimniß
mid seinen Kameraden ausweichend
durch die Stadt schritt. Er sah und
den Leben und Treiben in Kronstadt.
„Marianne ist verhaftet!" waren die
Worte, die immer und immer wieder
ten grüßten ihn, er bemerlte es nicht
oder vergaß, ihren Gruß zu erwidern.
Glänzend und strahlend stand die
Sonne am Himmel, aber für ihn war
die Stadt in Dunkel gehüllt. Furcht
bare Gedanken durchreisten sein Hirn,
Zukunft bezogen, die Marianne be
vorstand. Den Augenblick des Wie
dersehens fürchtete er sehr, » fürchtete
handeln wollten; ob das ihm
helfen oder hinderlich sein konnte,
wußte er nicht. Er erinnerte sich jetzt
E» wußte, sie würden eine Frau nicht
tödten; aber in russischen Gesängnis
sen giebt es auch andere Massen, durch
welche der Tod herbeigeführt werden
kann. Pauls Hand zitterte, als er das
Blas an seine Lippen führte. Er ver-
ließ das Cafe, gepeinigt von Grauen
und Furcht. „Sie soll nicht sterben!"
sagte er leise vor sich hin, und lachte
sigkeit.
Fort Alexander, das in Kasematten
116 acht- »nd zehnzöllige Kanonen
hat, ist vielleicht das imposanteste der
sieben dctachirten Forts, welche, In
seln von Stahl und Eisen, in dem
Südkanal von Kronstadt sich erheben.
Ganz und gar aus Granit bestehend
und wie eine Ellipse geformt, hat es
vorn vier Reihen Schießscharten, wäh
rend der Hintere Wall mit großen Ka
nonen in Barbette - Thürmen gespickt
ist. Ein Untergrund von Ballen, die
in den Kanal, der hier achtzehn Fuß
tief ist, getrieben sind, trägt die schwe
baut ist. Die Kanorien derselben sind
so aufgestellt, daß sie ein Kreuzfeuer
mit den Kanonen von Fort Peter oder
von Batterie 3 ausführen können und
auf diese Weise den engen Kanal un
passirbar machen, durch welchen ein
feindliches Schiff, das St. Petersburg
erreichen will, fahren muß. Das In
nere des Forts hatte das Ausse
hen eines düsteren Gefängnisses, und
in der That konnte es als Kerker die
nen, denn es besaß unterirdischeßäum
lichkeiten, in welche niemals das Licht
des Tages drang.
An dem Morgen von Mariannes
Verhaftung, spät im Februar, krachte
und barst das Eis unter den Bastio
nen des Forts und bedrohte die
Schiffe mit schwerem Verderben; aber
die Sappeure hatten einen Weg für
den kleinen Dampfer gebahnt, welcher
den Verkehr zwischen der Garnison
und dem Handelshafen vermittelte,
und diesen Weg passirten jetzt General
Stefanowitsch und zwei Offiziere sei
nes Stabes, um die Gefangene zu be
suchen, die so plötzlich in den frühen
Morgenstunden verhaftet worden
Paul befand sich bereits in dem ge
wölbten, von Steinmauern umgebenen
Zimmer, wo die Vernehmung stattfin
den sollte, als Stefanowitsch und
Vonzo zusammen eintraten. Der Ge
neral erwiderte zwar seinen Gruß,
sprach aber sonst lein Wort zu ihm.
Bonzo warf einen schnellen Blick aus
Paul und beschäftigte sich dann mit
dem Bündel Papiere, welches von ihm
unzertrennlich schien. So dunkel war
der Raum, daß die Gestalt des Ser
geanten an der Thür wie ein Phan
tom erschien. Die Lichter, die auf dein
Tische flackerten, warfen einen gelben
Schein aus die Gesichter derjenigen,
welche in der Nähe saßen, und Paul
bemerkte, daß Nikolai Stefanowitfch
sehr schlecht aussah. Die große.Ei
suchte in seinen Manieren ließ die
Blässe und die Unruhe, die seine Züge
hin und her; sie berührten bald eine
Feder, bald ein Papier oder sie faß
ten auf den Kopf, wie um durch das
Haar zu fahren, das gar nicht da war.
Als er den Befehl gab, die Gefangene
hereinzuführen, klang feine Stimme
hohl und unnatürlich. Er sah auf den
Tisch nieder und blickte die Gefa.igens
vor ihm nicht an. Paul zog sich in
den Schatten zurück. Er sah, wie Ma
rianne das düstere Zimmer betrat,
und die Versuchung, mit ihr zu spre
chen, an ihrer Seite zu stehen, war fast
unwiderstehlich. Aber die Klugheit
hielt ihn schließlich doch zurück. Er
hatte sich über die Rolle, die er spielen
wollte, entschiede». Die frische See
luft hatte ihn geistig und körperlich
gestärkt? M"dch b. ld ch
und so war auch die Ursache, warum
sie nach dem Fort Alexander geführt
worden war, unbekannt geblieben. So
groß war die Eile gew«fen, daß sie
kaum Zeit hatte, ihr reiches, braunes
Haar aufzustecken oder nach irgend ei
nem Pelz zu suchen ,um sich gegen die
Morgenkälte zu schützen. Aber sie
hatte während der Stunden, die seit
ihrer Verhaftung vergangen waren,
sich von dem Sergeanten die Erlaub
fte anzuwenden, welche einer Frau
zum Siege verhelfen. Paul fand, daß
sie niemals so schön ausgesehen hatte.
Sie betrat das düstere Zimmer mit
Belustigung oder Ueberraschung lag.
Das schöne Haupt hatte sie stolz zu
rückgeworfen, und die außerordent
liche Weiße ihrer Haut stach grell ob
von dem schmutzigen Grau des Pel
zes, den ihr der Sergeant verschafft
hatte.
„O!" rief sie spottend, nachdem sie
vor den Tisch geführt worden war,
.wie bin ich erschreckt! Wie fühle ich
mich schuldig!"
Stefanowitfch -'Nickte von seinen Pa
„Ruhe", ries er scharf, und in seiner
Stimme lag etwas, was zum Gehor
sam zwang. Paul zitterte für sie.
begann Stefanowi^ch
ich."
„Leider sind sie mir unbekannt,
Die Zornesader auf Itesanowitschs
Gesicht schwoll an, aber er bezwang
sich
„Wir wollen den Pu,nkt nicht er
wähnen", sagte er schnell. „Wenn ich
heute in diesem Zimmer mit Ihnen
spreche, so geschieht es in der Hoff
nung, daß Sie uns helfen werden, die
Strafe, welche Sie durch Ihre Th^t
fchen Regierung in London alle Nach
richten über Kronstadt gesandt, zu
welchen Sie durch unsere Gastfreund
schaft kamen. Während der letzten
Monat« haben Sie für Geld -inen
Plan der Batterie 3 verkauft und ha
welche aber, danl unserer Klugheit
und Vorsicht, Kronstadt nicht verlassen
werden. Es ist nicht meine Sache,
Fräulein, Ihnen zu sagen, daß solche
Handlungen ein Frevel an der Gast
freundschaft sind, die Sie hier empfan
gen haben. Sie lamen zu uns
wie eine Angehörige unseres Volkes.
Wir vertrauten Ihnen wie einer Toch
ter. Es ist möglich, daß Sie die ge
meine Natur Ihres Verbrechens nicht
kannten, und daß Si« es jetzt, so weit
es in Ihrer Macht steht, wieder gut
machen wollen. Wenn dem so ist, so
haben Sie jetzt die Gelegenheit dazu,
uns zu erzählen, wie Sie darauf ka
men, ein solches Verbrechen auszufüh
ren, wer Sie dazu veranlaßt und
wer Ihnen geholfen hat. Die Wahr
heit allein kann Ihnen hi-r nützen.
Fräulein, ich hoffe daher, daß Sie
schon aus Klugheit uns nichts vorent
halten werden."
Er machte eine Pause und blickte
dem Mädchen voll ins Gesicht. Sie
lächelte nicht mehr, den« sein Vor
wurf, sie habe die Gastfreundschaft
derjenigen mißbraucht, die sie so
freundlich aufgenommen, traf sie
furchtbar und erschütterte sie bis ins
Mark.
„Ich wollte nicht undankbar sein",
rief sie verzweiflungsvoll aus, „ich
wollte niemand von denen beleidigen
oder verletzen, die zu mir so freundlich
waren. Ich zeichnete die Karten, um
sie einem Freund nach London zu sen
den. Er bat mich darum, und ich
glaubte, Sie könnten nichts dagegen
haben. Es war ein so kleines Ding,
und Rußland ist so starN O, Herr Ge
schuldig halte«!
wiisch sie streng, „ati Ihrer Schuld ist
lein Zweifel. Glauben Sie mir, es
nütz! Ihnen gar nichis, zu versuchen,
uns irre zu führen. Wir wissen be
stimmt, daß Sie als Spionin unter
uns geweilt haben."
„Sie wissen es, Herr General?"
„Wir wissen es", erwiderte Stefa
nowitfch. „Unsere Beweiskette ist
vollständig geschlossen. Vor sechs Mo
naten erzählte dieser Freund in Lon
don. Ihr Vetter, Fräulein, Ihnen, daß
die englische Regieung gern einen ho
hen Preis füv Nachrichten zahlen wür
de, die die neuen Kronstädter Forts
betreffen. Er gab Ihnen zu gleicher
Zeit ein Buch, welches ausführlich
schildert, wie ein anderer Spion, ein
Landsmann von Ihnen, die Geheim
nisse von Wladiwostok ausforschte.
Dieses Werl war Ihr Führer. Sie
suchten uns glauben zu machen, daß
Sie unwissend und naiv wären, um
aus/während Sie unsere Gastfreund
schaft genossen; Sie heucheltenFreund
schast sllr uns, damit wir Ihnen un
drangen selbst in mein Zimmer, um die
Karten, welche dort lagen, zu kopiren.
Geschah das alles nur, um Ihrem
Freund in London Unterhaltungslek
türe zu verschaffen, Fräulein?"
Marianne schauderte. Hilfesuchend
richtet« sie ihre Augen auf Paul, aber
er verhielt sich schweigend. Einen Au
genblick dachte sie daran, die Maske
der Gleichgiltigkeit und der Naivetät
weiter zu tragen, aber das Lächeln er
starrte auf ihren Lippen.
„Es ist nicht wahr!" rief sie heftig
aus, „Sie können das nicht wissen!
Ich stahl nicht die Karten aus Ihrem
Zimmer! Wie hätte ich so etwas thun
können? Es ist Narrheit, das zu glau
„Fräulein", sagte Stefanowitsch
warnend. „vergrößern Sie Ihre Schuld
' nicht durch Lügen. Ich erwarte, daß
Sie uns jetzt die Namen Ihrer Hel
fershelfer in Rußland und in England
„Ich werde Ihnen nichts sagen",
antwortete sie verstockt. „Sie wissen
gar nichts, die Lüge ist ganz auf Ihrer
Seite, Herr General. Sie haben nicht
das Recht, mich hierher zu schleppen:
ich bin Engländerin, Sie dürfen mir
nichts thun! Ich werde nach England
über meine Erlebnisse hier berichten.
Sie sind Feiglinge, daß Sie mich mit
solchen Fragen quälen."
Sie schlug die Hände zusammen
und stampfte wüthend mit dem Fuße
auf. Eine starl« Erregung hatte sie er
griffen, sie aller ihrer Künste beraubt,
die sie sonst so gut Männern gegen
über anzuwenden verstand, und nur
ein schwaches, hilfloses Weib zurückge
lassen, dessen Muth aber ungebrochen
Paul setzten die Anklagen, die man
gegen Marianne aussprach, in höchüe
Verwunderung. Es waren dieselben
Worte, die er'selbst etwa vor fünfzehn
Stunden in ihrem eigenen Zimmer zu
ihm gesprochen hatte. Jetzt tonnte er
nicht länger zögern, er mußte alles
eingestehen. Und doch rief auch letzt
wieder seine Liebe zu ihr einen furcht
baren Kampf in ihm hervor. Ihr
kindlich-unschuldiges Wesen, ihre Hilf
losigleit, die Aussicht auf die Tage des
Leidens, die sie erwarteten, reizten ihn
dazu, alles zu wagen und den General
zu bitten, daß er mit ihr zusammen
die Strafe erdulden dürfe. Und als er
jetzt seinen eigenen Namen rufen horte
und in den beleuchteten Theil des Zim
mers vortreten mußte, um die Fragen
des Generals zu beantworten, da
schienen seine Zunge und seine Glie
der wie gelähmt. Er sprach mit >chwe
rer Stimme und schwankte ost gczen
den leichten Tisch.
„Hauptmann Sassulitsch", sagte
Stefanowitsch, „Sie haben die Ge
schichte, die uns diese Dame vorgetra
gen hat, gehört. Haben Sie irgend et
was dazu zu bem-ri-n?"
Paul zog die Schultern hoch, irr
Gestalten um ihn her erschienen ihm
die Geschichte gehört. Herr
General", stammelte er.
„Ist sie richtig oder falsch, »zerr
Hausmann General."
„Wenn Sie dessen sicher sind. ,s ge
ben Sie uns. bitte. Ihre Grund- dafür
""Paul lehnte sich gegen den Tisch und
fakte mit der Hand an die Kchl:, w,.,
um sich s-lbst zum Sprechen zu zw-n
-'Gestern Abend sandten Si- mich
in "ihr Zimm-r. H-rr General, um
dort die D-peschen, die vom Fürsten
yelomm-n waren, wegzulegen. Es war
acht Uhr - Sie hatten schon g-g-ss-n
acht Uhr, Herr General.
Er whr sich mit der Hand über die
Stirn und blickte wie geblendet in dem
Zimm-r umh-r. Einen Augenblick
ruhten seine Augen auf dem Gesicht
des Mädchens. Si-sah ihn an, Wi
ewen, der vom Tod- auferstanden l>t.
um sie anzuklagen. -.x.,
Gut", sagt- St-sanowitlch. ..fah
ren Sie fort, H-rr Hauptmann, wir
"'Paul zog wieder die Schuwrn h-cki
dämmten, sie vielleicht schließlich noch
retten tonnten. ,
Als ich den Korridor betrat , de
richtete er, schnell sprechend „sah 'ch
«in Licht in Ihrem Zimmer. Herr G.-
neral. Die junge Engländerin befand
sich dort. Sie copirte eine der Kar
ten, welche sie von dem Bucherbrett ge
"°"ll"m"ihrem Bruder in London Un
terhaltungslektüre zu schicken .brumm
te Bonzo, welcher bis jetzt regungslos
und stumm zur Rechten seines Vorge
setzten gestanden hatte.
Marianne hörte seine Wort nicht
mehr: sie war ohnmächtig geworden
und mußte in ihre Zelle zurückgetra-
verlieren Z->t. H-rr G-n-ial",
b-merlt- der alt« Bonzo. sein-Papl-r
-schnell zusammenlegend. „Wenn ich
an Ihrer Sl-lle wäre, so würde
Wahrheit aus ihr h-rausp-itschen. sie
ist sicherlich nicht allein hier, es befin
den sich ohne Zweifel noch Complizen
von ihr in Kronstadt."
„Ihr Wert soll es sein, Herr Oberst,
die Namen derselben zu erfahren,
sagte Stefanowitsch, vom Tische aus
stehend. „Schrecken Sie vor nichts
zurück, was Ihre Pflicht Ihnen oe
fiehlt. Und Ihnen, H-rr Hauptmann,
lann ich nur sagen, daß der Zar
glücklich schätzen muß, solche Diener,
wie Sie sind, zu besitzen. Lassen Sie
das Mädchen Tag und Nacht bewa
chen; ich zähl- in dieser Stunde der
Gefahr auf Sie. meine Freunde, aus
Eifer und Ihre Verschwiegen
heit. Unsere Ehre ist verdächtigt,, und
wir müssen sie reinigen."
Er grüßte und lehrte in das Boot
zurück. Der alte Bonzo aber zögerte
noch einen Augenblick, um Paul ein
paar Worte zuzuflüstern.
„Heute Morgen waren zwei
fangene im Fort, mein Sohn", sagte
er, dem Hauptmann freundlich feine
Hand auf die Schulter legend, „zwei
Gefangene", wiederholte er, „aber ei
ner ist freigelassen."
„Sie meinen, Herr Oberst —"
„Daß das Mädchen gestern Abend
bewacht wurde, und daß die Aussage,
die Sie soeben gemacht haben, Ihr
Leben rettete."
Er verließ das Zimmer, um dem
General zu folgen, Paul aber blieb
noch lange an dem Tische stehen, wo er
die furchtbaren Worte gegen Marian
ne gesprochen hatte.
„Sie wird niemals mehr an mich
glauben", dacht« er verzweifelnd, „ich
habe ihre Liebe für immer verloren!"
3.
Zwanzig Tage später.
Nach den ersten Tagen des März
ließ endlich die scharfe Kälte nach und
machte einer milderen Witterung
Platz. Eine le'chte Brise folgte aus
den verwüstenden Wind, die Bäume
begannen allmählich auszuschlagen,
und schon zeigte sich wieder etwas
Gras. Das Eis war vom Meer ver
schwunden und die Schisssahrt hatte
wieder begonnen. Auch Marianne, die
schlaflos lange Nächte in ihrem Ker
ker in Fort Alexander zubrachte,^hatte
Wasser rauschten und brüllten und
schlugen schwer gegen die granitenen
Wälle der Festung. Auch ein sreundli
cher Sonnenstrahl si-l ab und zu durch
die vergitterten Fenster und ließ den
Raum etwas weniger abschreckend er
scheinen. Marianne ersehnte diese
Stunden, obwohl sie sie imme" traurig
stimmten. Sie hatte sich zwar an ihre
Umgebung und an Entbehrung und
Leiden gewöhnt, sie hatte sich sogar da
mit vertraut gemacht, für ihre Thaten
büßen zu müssen; aber der Gedanle,
daß sie nie wieder des kleinen Richards
Stimme hören, und daß er nun in je
der Beziehung von fremden Leuten ab
hängig sein würde, brachte sie säst uin
den Verstand und ließ ihr Herz m
Sehnsucht nach der englischen Heimath
sich verzehren. Sie war jetzt zwanzig
Tage im Kerker, und mit Entsetzen
dachte sie daran, wie es wohl werden
würde, wenn sie diese Sehnsucht chr
ganzes Leben lang mit sich umhertra
gen sollte.
Wenige Leute hatten sie während
dieser ersten Tage besuch'. Man hatte
ihr eine Frau aus dem Hause des
Gouverneurs gesandt, welche die Auf
wartung besorgt-, und ein oder zwei
Mal hatte sie auch den Sergeanten ge
sehen, obgleich «r niemals mit ihr re
dete; aber der alte Bonzo kam fast je
den Tag und versprach immer das
jtlb«.
für zu belohnen wissen."
„Ich habe leine Mitschuldigen",
antwortete sie stets, „ich habe Ihnen
Mehr weiß ich Ihnen nicht'zu sa
gen."
Bv.zo pflegte dann sehr aufgeregt
neu an ihr Dazwischentreten. Sie fiel
in Ohnmacht, als sie das Blut fließen
sah, aber ihre Antwort an Bonzo blieb
dieselbe.
„Sie sind Feiglinge hier", sagte sie,
„und dazu noch ungeschickt. Sie wes
sen die Wahrheit nicht, selbst, wenn
Sie sie hören, und Sie haben auch lei
wenn ich Sie so sehe. Wenn Sie sich
nur selbst sehen könnten, Sie würden
Sie zeigte sich wirklich als tapferes
Mädchen. Aber wenn die eiserne
Thür krachend
Rauschen des Meeres zu ihr drang,
dann faul sie stöhnend auf die Bett
statt, übermannt von dem Bewußtsein
ihrer unglücklichen Lage. Wie sie
glaubte, besaß sie keinen Freund meqr
in der weiten Welt; auch Pau! schien
sie vergessen zu haben. Eine Zeit lang
zwar lämpste sie diesen Gedanken we
der, sie war vernünftig genug, zu über
legen, daß vielleicht irgend ein veraor
gener Gedanke in feinen Worten lag;
aber, als die Tage vergingen und er
nicht lam. als leine Botschaft, kein
Wort von ihm zu ihr drang, da wanlte
auch ihre Liebe, zählte ihn nicht me.,r
zu ihren Freunden, sie war jetzt geistig
gebrochen.
Der Morgen des zwanzigsten Ta
ges dämmerte heraus, und ein Son
nenstrahl, der in die düstere Zelle siel,
machte dieselbe etwas freundlicher.
Marianne erwachte, lleidete sich
und ging eine Stunde auf den Wa.-
sen spazieren was ihr erst drei Mal
während der drei Wochen ihrer Ge
fangenschaft gestattet worden war.
Sie erblickte vor sich die Stadt und
war erstaunt darüber, ein wie verän
dertes Aussehen die strahlende Sonn
allen Gegenständen gab, wie sie leibst
die düsteren Baracken wohnlicher und
angenehmer erscheinen ließ. Bon ihrem
Standpunlte säh sie die vergoldeten
Thürme und Thürmchen der Kirchen
von Kronstadt, die jetzt wunderbar er
glänzten, und die eigenthümlich ge
bauten. jetzt aber malerisch erscheinen
den Häuser, die dicht gedrängt am
Handelshafen standen. Weiter unten
bemerkte sie die Docks, wo die stattli
chen Rümpsi der Panzer und Kreuzer
standen. Reges Leben herrschte dort,
wovon auch etwas zu ihr herüber
drang. denn sie vernahm den Ton der
Hörner, dann wieder das schrille Pfei
fen der Dampfmaschinen und den
Klang der großen Hämmer im Arse
nal. Die Sonne gab allen Dingen
einen freundlichen Anschein. Die
Mündungen der großen Kanonen, die
aus den mächtigen Festungswerken der
Insel hervorragten, waren wie inGold
getaucht, die Metalltheile der Schisse
erschienen wie Feuermeere. die See
rollte rauchend, funkelnd und glänzend
über die silberschiminernden Sand
bänke. Entzückt und doch wiever tief
traurig blickte Marianne auf das herr
liche Bild dort zu ihren Füßen, denn
es war für sie ein Sinnbild alles des
sen, was sie verloren hatte. Die herr
liche Natur ließ sie furchtbar ihre Un
freiheit empfinden, und erregte in ihr
den glühenden Wunsch nach Freiheit,
eine Sehnsucht, die für den Gesange
nen die furchtbarste Strafe ist. Ueber
all sah sie Leben und Arbeit und die
Freude am Dasein, nur sie allein
durste leinen Theil daran haben.
(Fortsetzung folgt.)
Darum. Richter (zum Dieb):
„Warum stahlen Sie so viel Obst?"
Dieb: .Ich bin Vegetarianer!"
Für die Küche.
Spargelsuppe mit
Schwe ,n m I I ö ß ch e n. Man
iii drei Viertel Zoll länge Stücke, kocht
sie in Wasser oder leichter Fleischbrühe
weich, verdickt die Suppe mit einer
gelben Mehlschwitze, würzt sie mit ein
ivenig gehackter Petersilie und richtet
sie mit Schwemmklößchen an.
Kalbsgekröfe. Alles mit
Ausnahme der Leber wird gar gelocht
in Wasser, welchen, Salz, ganzer Pfef
fer, ganze Nelken, I—2 Lorbeerblät
ter und I—2 Zwiebeln zugesetzt wur
den. Wenn dies gar ist, wird ein
Kochlöffel Mehl in Butter mittelbraun
geröstet, mit der vorstehenden Brühe
(durchgeseiht) aufgefüllt und dann
nach Gewürz geschmeckt, es muß recht
m»s" inachen, so hacke man das Ge
kröse (doch nicht allzufein) und gebe
es dazu. Will man es lieber als Ra
gout scrviren, so schneide man es in
Würi-l von ungefähr einem Kubikzoll
Größe.
Grüne Erbsen mit ge
backenen Hähnchen (Wiener
Backhändl). Man zerlasse ein gute?
Stück Butter in einer flachen Kasse
rolle, thue die Erbsen hinein, stäube
ein wenig Mehl darüber und lasse sie
so gar werden, indem man die Kasse
rolle bisweilen schüttelt; meistens ge
gieße man ein ivenig Wasser zu ' und
gebe zuletzt fein geschnittene Netersilie
und ein paar Eßlöffel sauren Rahm
Wiener Backhändl. Die
Hähnchen oder Hühnchen müssen sechs
bis acht Wochen alt und recht fleischig
sein, wenn sie gehörig gereinigt
diese gebacken ist, in das noch stärker
erhitzje Ichmalz eine starke Handvoll
Petersilie, welche man auch ganz sprö
de blickt, über ein Tuch legt, mit seinem
Salz bestreut und aus die gehäuft an
gerichteten Hähnchen gibt.
Kalbfleisch oder Schöp
senfleisch in Meerrettich.
Man kocht das Fleisch, das vom Rü
ckenstück oder der Keule sein kann, mit
Wurzelwerk und Zwiebeln gar und
benutzt die Brühe zur Suppe. Dann
läßt man das sauber geschnittene
Fleisch auf einem Siebe abtropfen,
richtet es auf einer Schüssel an und
begießt es mit der nachfolgenden lo
chenden Sauce: Man reibt Meerrettich
(«ine kleine Stange auf zwei Pfund
Fleisch) und rührt ihn mit so viel gu
ter Milch und einem Stückchen Butte?
auf dem Feuer ab. daß es eine seimige
Sauce gibt, an die man einen halben
Theelöffel voll Mehl stäubt, sie zwei
mal auflochen läßt, wobei man öfters
umrührt und sodann servirt.
Pain von Kalbfleisch. -«
Pfund Kalbfleisch aus der Keule treibt
schine und thut 3 ganze Eier, etwas-
Butter und in Milch gtweichte Sem
mel, sowie gehörig Zwiebeln hinein.
Will man es sehr fein haben, so stößt
man die Masse auch noch im Mörser,
jedenfalls aber muß sie sehr gut ge
mischt werden, so daß sie wie ein seiner-
Teig wird. Dann wird das Ganze,
nachdem man. falls man will, noch ge»
schälte Pistazien eingenäht und in
Wasser, mit Salz und Wurzelwert
gar gelocht. Man läßt den Pain in
der Leinwand erkalten und reicht ihn
dann als Aufschnitt, am besten mit
roth und gelb gefärbtem Aspik garnirt.
So gibt er eine äußerst feine Schüssel.
Schinken in Roth wein.
Der Schinken wird 12 Stunden lanz
eingewässert, dann in kochendem Was
ser angesetzt und sehr weich gekocht.
Dann nimmt man ihn heraus, legt
ihn in eine Bratpfanne und bratet ihn
schöpften Fett, indem man nach und
nach eine ganze fslasche Rothwein an
gießt und den Schinken fleißig be
schöpst. Wenn er in die Pfanne
kommt, wird die Schwarte abgeschnit
ten und dafür der Schinken mit Zucker
bestreut. Wenn sich die Rinde det
Schinkens schon etwas gebräunt hat.
wird er nochmals mit Zucker bestreut,
dann weiter gebraten und fleißig b:-
gossen, bis er ordentlich braun ist.
Dann legt man ihn auf die Schüssel,
lockt die Sauce mit etwas in Wasser
verquirltem Kartoffelmehl los und
reicht sie zum Schinlen, doch wird auch
ein Theil derselben über den zierlich
geschnittenem und in seine alte Form
gebrachten Svnten angerichtet. Dazu
Maccaroni, gleicirte Kartoffeln, Ma
sung?" A.: „Von Niemand; aber
die zehn Mark will ich damit fortschi
cken." , . , , , 3