Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, April 25, 1901, Page 2, Image 2

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    2 Zwei Bruder.
schimmernder Nachmittagssonne, die
Blüth«n auf den Terrassen waren so
seltsam roth in dem starken Licht, ein
beißer Hauch kam von der Rosenhecke
herüber; und dann der Vogelgesang!
vlles so schön und fröhlich war. Sie
drückte den feinen Kopf ganz in das
Geißblatt hinein, verbarg ihn in sei
nen Blättern und Blüthen.
Die unablässige Spannung, di«
ständige Ungewißheit eines langen hal
ben Jahres, und nun, hoffnungslos,
leine Rettung mehr! Sie hatte es
beim ersten Blicke g«stern früh gesehen,
als er ankam. Wie «r da langsam
aus der Reisekatesche herausschwankte,
sah sie, wie in einem Lichtschein, der
Wahrheit ins Auge: ihr Bräutigam,
der da aus sie zukam, war ein d«m
Äode Geweihter.
Eine so weih und theuere Reise,
und dann so heimkehren. Sie hatten
ja alle auf Besserung gehofft, und er
selbst auch. Warum sonst so heiter«
Reisebriefe schreiben? Oder hatte er
sie dadurch täuschen wollen? Die
Bergblumen, von denen ganze Schach
teln ankamen, Edelweiß und wie sie
olle hießen, und was die Aerzte an den
Kurorten dort unten alles gesagt und
on der Aussteuer genäht hatte, als gel
te es ihr Leben. Na, Maja und Erne
stine würden recht schadenfroh ausse-
die Bank.
„Weinst du über Gerhard, Bolet
ernst.
selbst?"""'
„Was denn Bolette?" fragte er «t
- sie dann, „das
h k« 'cht t
wollte gehen.
Er ergriff ihre Hand, hielt sie lange
fest, küßte sie sogar, und sie zog si«
nicht zurück, sondern seufzte nur tief!
schimmerte, bis er auf der kupferro
then Mahagoniplatte d«s Tisches haf
ten blieb.
' '
„Henning, Henning, er ist doch dein
Bruder," unterbrach sie ihn heftig.
„ Du weißt doch daß
du mich hast," flüsterte er h«iser vor
Erregung.
„Liebst du mich, Bolette, liebst du
„Henning, er ist doch dein Bruder,
Henning," schrie sie fast, „und erholt er
sich, fündigen wir an ihm er ist doch
so gut, und wir haben ihn so lieb, nicht
wahr? Er hat uns doch nichts Böses
gethan, nicht..."
Er stand auf und ergriff ihre beiden
Hände; sein Gesicht war bleich.
„Ach. sag mir nichts, du mußt nicht,"
bat sie schmerzlich.
über Bolettes Gesicht sie stand da
den breit ausgespannten Segeln der
Schiff«, di« grüne Mldniß der Glans
und Gärten, es war, als strahlte das
„Glaubst du an Wahrzeichen. Bo
lette?'" fragte er ärgerlich. „Komm,
gehen wir!"
Dann gingen sie zu dem weißen
Hause hinauf, das still und «rschlos
stand.
Die hellen Fenstervorhänge waren
seitwärts aufgestellt, damit das Licht
ordentlich hineinfallen lönnte.
lustigsten Glockenspiel bei jedem Vier
telstundenschlag, und in einem Bauer
pfiff ein Vogel.
Es waren Henning und Valette, die
sich auf den Zehenspitzen hineinschli
chen. Si« kamen jeder durch eine
mein langer Junge," sagte
flog zum Lehnstuhl hin und küßte ihn
auf die eingefallene Wang«; aber sie
hätte si« einen Todten geküßt^
„Aber du sitzest da auch recht im
Sonnenschein," fügte sie ein Weilchen
später mit ihrer hellen Stimme in ih
rem alten heiteren Ton hinzu.
„Es ist so seltsam mit der Abendrö
the," sagt« der Kranke „genau die
sen sah ich dort unten bei Como, im
Serbelloni - Garten. Die Wolken la
gen, geraee wie jetzt yier, >o langge
dir, Boletk." H ch
„Ach du Armer!"
Henning stand am Fenster und be
schrieb mit nervösen Fingern Figuren
auf der Scheibe.
Kissen auf! aber er tonnte nicht zw
Ende erzählen, der Husten war wieder
fuhr er hernach gleichsam entschuldi
gend fort, „die Reise hat mich ange
griffen; es werden sicher ein bis zwei
Wochen vergehen, bis ich mich wieder
ganz erhole; aber sehe ich nicht weit
besser aus als bei meiner Abreis«?
Spiegel in die Höhe und betrachtete sich
„Ja, du strahlst förmlich," sagte
ch b' dick und oth
„Zu Weihnachten, Bolette.... "
nicht der Ruhe?"
bleiben! Hörst du, Bolette!"
stjllnd
sprach. t> ds ß w cht
iiiß fürs Leben.
Sie trugen säst den E>qiastnr«n,
der sich schlver auf ihre Arme stützti,
denn sie brachten es nicht Übers Herz,
ihn zu wecken.
Ihre Hände.
Die Klinik ist heute sehr überfüllt
Endlich öffnet sich die Thür des
Thränen in den Augen tritt heraus.//
Nun g«ht eine gut getleidete Frau hin
ein, ein etwa I2jähriges Mädchen an
„Was ist mit dem Kinde?"
kann es sehr gut so aushalten!"
„Ach nein," sagt das Kind, „nicht
chlorosormiren, ich will auch ganz still
halten!"
„So, nun komm, mein Kind," sagt
freundlich der Arzt, „willst Du lieber
stehen oder sitzen?"
es ganz still. In Kurzem ist die
„Siehst Du, Du bist «in braves
Kind," sagt der junge Arzt, „so schön
Hand eine Thräne aus den Augen,
doch dieses Kind hat," denkt der Arzt
Erschrocken entwindet sich ihm das
Kind. Flammend roth ist das Ge
sichtchen, und plötzlich sängt es an zu
staunt, sieht der Ärzt das Kind an:
„Aber, Kleine, was ist Dir denn?"
„Ach, sie wird wohl Schmerzen
Die letzten Male ist das Kind allein
,u ihrer Mutter sagte, weil sie ein grö
ßeres G«halt haben wollte, <» Wahr
heit ist es jedoch ein anderer Grund.
gebot als Sekretärin bei einem Arzt
mit 75 Mark Monatsgehalt; wäre das
nicht reizend, wenn ich das bekäme?
Und um drei Uhr soll ich mich schon
vorstellen!"
„Geh nur recht pünktlich hin, Tis
chen, jedenfalls ist es ein gutes Ge
halt."
Pünktlich um drei Uhr steht Else an
d«r Thür des Arztes und klingelt.
Das Dienstmädchen öffnet ihr und
führt sie in das Wartezimmer. Bald
erscheint auch der Arzt und stellt ihr
die Bedingungen: acht Stunden Ar
beitszeit, 75 Mark Gehalt; verlangt
wird: schöne Handschrift, Stenogra
phie, Briefe nach Dictat schreiben,
Sprachkenntnisse. Elsas Kenntnisse
genügen, und sie wird engagirt mit
als Else fort ist, „dieses Mädchen
Ähnlichkeit!
ren." »
„Kennst du nicht diesen Arzt?" denkt
Else, als sie allein ist, „bist du denn
darüber.
Nach der Sprechstunde kommt der
ihr.,
sehen. Zufällig fällt sein Blick auf
„Wie wunderschön," denkt er, „wo habe
gesthen?" Er besinnt sich einen Au
genblick. „Ach richtig, als ich noch in
Kind höchstens 12 Jahren! Und
danken. Plötzlich, ehe er selbst recht
willen meine Stellung verlieren?"
„Aber Fräulein Sanden, ist Ihnen
denn das schon einmal passirt?"
schluchzt.
„Ach ja! In meiner ersten Stel
tüssen und um meiner Hände willen!
O Gott, wären sie doch häßlich!"
Er tritt dicht zu ihr heran.
geküßt hat um Ihrer Hände willen?"
Verdutzt sieht sie ihn an. Doch
plötzlich "greift er ihre beiden Hände
als er es zum zweiten Male wagen
wollte?"
„Ach, H«rr Doctor, Sie sind es?"
Weiter kann Sie nichts hervorbrin-
jetzt wieder thun, würden Sie «s
mir auch jetzt wieder wehren?"
Sie antwortete nicht, sondern senkt
„Else, liebe, süße, kleine Else!"
Da blickt si- glückselig zu ihm auf
und lächelt ihn an, so daß all die klei
nen. weißen Zähnchen zum Vorschein
kommen. Und dann küßt sie plötzlich
bracht!"
Tisch, ordnen die Blumen und schrei
ben die Menüs. Alles, waS mit dem
Tisch zusammenhängt, geschieht nach
len zu sitzen, sie ziehen den Fußboden
vor. Das Alter d«r Mädchen reicht
von zehn bis fünfzehn Jahre. Ein
siamesisches Mädchen, das letzteres
Alter erreicht hat, wird freilich schon
Zyr Sohn.
ES war in der Mittagsstunde, die
Sonnenstrahlen schössen in beinahe
senkrechter Richtung zur Erde hernie
der, sie prallten von dem grauen As
phalt zurück und glitzerten die Pferde
bahnschienen entlang, in der Ferne zit
terte die heiße Lust wie angezündeter
Weingeist und aus den erhitzten Trot-
Die Straße war menschenleer, ein
Soldat auf Posten, ein Kind mit ei
nem Henkelkorb, ein Depeschenbote und
eine Frau, die in einem Korbwagen
einen jungen Menschen vor sich her
schob, waren die einzigen Vertreter der
waren.
Die Frau, welche den Wagen schob,
war eine robust« Erscheinung, voll
und rund, bekleidet war sie mit einem
blauen Leinenkleid, dem große weiße
Nelken aufgedruckt waren, das gutmü
thige, von Gesundheit und Hitze gerö
thete Gesicht bedeckte ein schwarzer
Strohhut billigster Sorte, eine soge
nannt« Schute.
I In dem Wagen saß ein etwa acht
zehn- bis zwanzigjähriger, hochaufge
schossener Mensch ein Blödsinniger
! derselbe war gut gekleidet, er trug
Sein Gesicht zeigte den stumpfsin
nig - thierischen Ausdruck der Mikro
cephalen, außerdem der Mund
D /sih i im
geht halt Alles leichter!" Sie war ste
laßte, gleichfalls stehen zu bleiben, viel
leicht weiter nichts als das Gefühl, daß
diese Handlung von mir erwartet
fagtt: " '
„Jetzt ist es nun schon zwölf Jahre
War es denn früher besser?" fragt.
fragte ich.
Ren!"
„Schrecklich!" Das Wort fuhr mir
heraus, ohne daß ich es wollte, es schien
heilen, Geld, na freilich kostet er Geld,
er Tanzmusik und ich hab' eine Aus
mer! Du lieber Gott! Andere Eltern
nicht!"
Ausdruck auf mir, als wollte es sagen:
„Sehen Sie, was der Alles versteht!"
Mit srchzufriedener Miene nickte sie
Das größte Glück ist für
Menschen das, daß sie nicht merken,
Wie glücklich sie hätten sein können.
z>t« »ich«.
In des Waldes dunklen Bäumen
Deinem lichten Grün zum Hohne:
Welkes Laub paßt nicht zu dir!
Rauschend zieht dein Lebensreigen
Der behutsam prüft und fest,
Und für Gutes in der Ferne
Nicht Erprobtes fallen läßt."
. .75
<si»e merkwürdige Frau.
Im Jahre 1651 erschien in Leydei»
<iiul>" (Von der Geeignetheit des weib
lichen Geistes zur G«l«hrsamkeit und
zu den schönen Wissenschaften). Die
Verfasserin dieses für die damalige
Zeit so seltsamen Buches war Anna
Maria von Schürinann, „der Stern
von Utrecht", od«r „das Wunder des
Jahrhunderts", wie man sie in gelehr
ten Kreisen nannte. Anna Maria war
di« 1607 in Köln geborene Enkelin
eines Niederländers, der vor Alba seine
Von dem gelehrten Vater und Privat
gelehrten unterrichtet, überflügelte si«
bald ihre älteren Brüder an Kenntnis
sen und Wissensdrang bei weitem. Die
wißbegierige Jungfrau entwickelte sich
bald zu einem Sprachgenie ohne Glei
chen. In ihrem 16. Lebensjahre, in
welchem ihr Vater starb und die Mut
ter mit den Kindern nach Utrecht über
siedelte, beherrschte die Hochbegabte be
reits die alten Sprachen, das Deutsche,
Holländisch«, Französische, Englische,
Italienische und Spanische, vollstän
dig. In der Universitätsstadt trat di«
mit den rcforinirten Theologen, «in de
ren Spitz« späterhin Gisbert Boetius
(1617 bis 1676) stand, der einen nach
daneben die verwandten orientalischen
Sprachen, Syrisch, Chaldäisch, Ara
bisch, Aethiopisch. Bei alled«m war sie
eine Meisterin in weiblichen Handar-
Bon einem Dichter in Breslau sind la
teinische Verse auf sie erhalten. Ihre
Sammlung kleiner literarischer Er
zeugnisse, „Opuscula", in hebräischer,
griechischer, lateinischer und französi
das Ziel vieler hervorragender Persön
lichkeiten. So suchte sie die wissenS
durstig« Königin Christine von Schwe
den, di« „Sibylle des Nordens", wie
sie vielfach genannt wurde, auf. Prin
zessin Elisabeth von der Pfalz, ein«
Tochter des unglücklichen „Wintertö
nigs" und eifrige Jüngerin des Philo
sophen Descartes, stand schon damals
mit Anna Maria in freundschastlichem
Verkehre. Als im Jahre 1645 die Kö
nigin von Polen, Gemahlin Wladis
lavs IV., auf einer Reise Utrecht be
rührte, konnte sie sich es auch nicht ver
sagen, die „zehnte Muse des Jahrhun
derts" auszusuchen. Bei dieser Gele
genheit uyterhielt sich Anna mit einem
Gelehrten im Gefolge der Königin, der
dies berichtet, in lateinisch«!, mit dem
Leibarzt in griechischer, mit dem Bi
schof in italienischer Sprache. Daß
die Schürmann weit davon entfernt
war, ein Mannweib zu s«in, davon
zeugt vor allem die Weichheit des Ge
müthes, die leicht nachhaltigen Ein
drücken zugänglich war. Wie sie in
jüngeren Jahren sich ganz dem Ein
flüsse von Voetius hingegeben, so ward
sie in späteren Jahren die eifrigste An
hängerin Jean de Labadies, jenes
schwärmerischen Sektir«rs, welcher die
„reine Gemeinde der wahr«n Christen"
um sich sammeln wollte und in seiner
Genossenschaft in Amsterdam, später
in Herford, wo der Labadisten - Ge
meinde die Prinzessin Elisabeth von
der Pfalz als Aebtissin eine Schützerin
Christen mit peinlicher Gewissenhaftig
keit durchführte. 1672 von Herford
vertrieben, folgte Anna, Schürinann
Altona, wo Labadie 1674 starb. Nach
dessen Tode zog sie sich nach Winwar
den zurück, wo sie im Jahre 1678 starb.
sammten Kulturgeschichte des 17.
Jahrhunderts.
Zweievlei. „Was macht die
Schwiegermutter,' ist sie wieder bes
ser?" „Besser nicht, aber sie ist wie
der gesund!" . . ..