2 Zwei Bruder. schimmernder Nachmittagssonne, die Blüth«n auf den Terrassen waren so seltsam roth in dem starken Licht, ein beißer Hauch kam von der Rosenhecke herüber; und dann der Vogelgesang! vlles so schön und fröhlich war. Sie drückte den feinen Kopf ganz in das Geißblatt hinein, verbarg ihn in sei nen Blättern und Blüthen. Die unablässige Spannung, di« ständige Ungewißheit eines langen hal ben Jahres, und nun, hoffnungslos, leine Rettung mehr! Sie hatte es beim ersten Blicke g«stern früh gesehen, als er ankam. Wie «r da langsam aus der Reisekatesche herausschwankte, sah sie, wie in einem Lichtschein, der Wahrheit ins Auge: ihr Bräutigam, der da aus sie zukam, war ein d«m Äode Geweihter. Eine so weih und theuere Reise, und dann so heimkehren. Sie hatten ja alle auf Besserung gehofft, und er selbst auch. Warum sonst so heiter« Reisebriefe schreiben? Oder hatte er sie dadurch täuschen wollen? Die Bergblumen, von denen ganze Schach teln ankamen, Edelweiß und wie sie olle hießen, und was die Aerzte an den Kurorten dort unten alles gesagt und on der Aussteuer genäht hatte, als gel te es ihr Leben. Na, Maja und Erne stine würden recht schadenfroh ausse- die Bank. „Weinst du über Gerhard, Bolet ernst. selbst?"""' „Was denn Bolette?" fragte er «t - sie dann, „das h k« 'cht t wollte gehen. Er ergriff ihre Hand, hielt sie lange fest, küßte sie sogar, und sie zog si« nicht zurück, sondern seufzte nur tief! schimmerte, bis er auf der kupferro then Mahagoniplatte d«s Tisches haf ten blieb. ' ' „Henning, Henning, er ist doch dein Bruder," unterbrach sie ihn heftig. „ Du weißt doch daß du mich hast," flüsterte er h«iser vor Erregung. „Liebst du mich, Bolette, liebst du „Henning, er ist doch dein Bruder, Henning," schrie sie fast, „und erholt er sich, fündigen wir an ihm er ist doch so gut, und wir haben ihn so lieb, nicht wahr? Er hat uns doch nichts Böses gethan, nicht..." Er stand auf und ergriff ihre beiden Hände; sein Gesicht war bleich. „Ach. sag mir nichts, du mußt nicht," bat sie schmerzlich. über Bolettes Gesicht sie stand da den breit ausgespannten Segeln der Schiff«, di« grüne Mldniß der Glans und Gärten, es war, als strahlte das „Glaubst du an Wahrzeichen. Bo lette?'" fragte er ärgerlich. „Komm, gehen wir!" Dann gingen sie zu dem weißen Hause hinauf, das still und «rschlos stand. Die hellen Fenstervorhänge waren seitwärts aufgestellt, damit das Licht ordentlich hineinfallen lönnte. lustigsten Glockenspiel bei jedem Vier telstundenschlag, und in einem Bauer pfiff ein Vogel. Es waren Henning und Valette, die sich auf den Zehenspitzen hineinschli chen. Si« kamen jeder durch eine mein langer Junge," sagte flog zum Lehnstuhl hin und küßte ihn auf die eingefallene Wang«; aber sie hätte si« einen Todten geküßt^ „Aber du sitzest da auch recht im Sonnenschein," fügte sie ein Weilchen später mit ihrer hellen Stimme in ih rem alten heiteren Ton hinzu. „Es ist so seltsam mit der Abendrö the," sagt« der Kranke „genau die sen sah ich dort unten bei Como, im Serbelloni - Garten. Die Wolken la gen, geraee wie jetzt yier, >o langge dir, Boletk." H ch „Ach du Armer!" Henning stand am Fenster und be schrieb mit nervösen Fingern Figuren auf der Scheibe. Kissen auf! aber er tonnte nicht zw Ende erzählen, der Husten war wieder fuhr er hernach gleichsam entschuldi gend fort, „die Reise hat mich ange griffen; es werden sicher ein bis zwei Wochen vergehen, bis ich mich wieder ganz erhole; aber sehe ich nicht weit besser aus als bei meiner Abreis«? Spiegel in die Höhe und betrachtete sich „Ja, du strahlst förmlich," sagte ch b' dick und oth „Zu Weihnachten, Bolette.... " nicht der Ruhe?" bleiben! Hörst du, Bolette!" stjllnd sprach. t> ds ß w cht iiiß fürs Leben. Sie trugen säst den E>qiastnr«n, der sich schlver auf ihre Arme stützti, denn sie brachten es nicht Übers Herz, ihn zu wecken. Ihre Hände. Die Klinik ist heute sehr überfüllt Endlich öffnet sich die Thür des Thränen in den Augen tritt heraus.// Nun g«ht eine gut getleidete Frau hin ein, ein etwa I2jähriges Mädchen an „Was ist mit dem Kinde?" kann es sehr gut so aushalten!" „Ach nein," sagt das Kind, „nicht chlorosormiren, ich will auch ganz still halten!" „So, nun komm, mein Kind," sagt freundlich der Arzt, „willst Du lieber stehen oder sitzen?" es ganz still. In Kurzem ist die „Siehst Du, Du bist «in braves Kind," sagt der junge Arzt, „so schön Hand eine Thräne aus den Augen, doch dieses Kind hat," denkt der Arzt Erschrocken entwindet sich ihm das Kind. Flammend roth ist das Ge sichtchen, und plötzlich sängt es an zu staunt, sieht der Ärzt das Kind an: „Aber, Kleine, was ist Dir denn?" „Ach, sie wird wohl Schmerzen Die letzten Male ist das Kind allein ,u ihrer Mutter sagte, weil sie ein grö ßeres G«halt haben wollte, <» Wahr heit ist es jedoch ein anderer Grund. gebot als Sekretärin bei einem Arzt mit 75 Mark Monatsgehalt; wäre das nicht reizend, wenn ich das bekäme? Und um drei Uhr soll ich mich schon vorstellen!" „Geh nur recht pünktlich hin, Tis chen, jedenfalls ist es ein gutes Ge halt." Pünktlich um drei Uhr steht Else an d«r Thür des Arztes und klingelt. Das Dienstmädchen öffnet ihr und führt sie in das Wartezimmer. Bald erscheint auch der Arzt und stellt ihr die Bedingungen: acht Stunden Ar beitszeit, 75 Mark Gehalt; verlangt wird: schöne Handschrift, Stenogra phie, Briefe nach Dictat schreiben, Sprachkenntnisse. Elsas Kenntnisse genügen, und sie wird engagirt mit als Else fort ist, „dieses Mädchen Ähnlichkeit! ren." » „Kennst du nicht diesen Arzt?" denkt Else, als sie allein ist, „bist du denn darüber. Nach der Sprechstunde kommt der ihr., sehen. Zufällig fällt sein Blick auf „Wie wunderschön," denkt er, „wo habe gesthen?" Er besinnt sich einen Au genblick. „Ach richtig, als ich noch in Kind höchstens 12 Jahren! Und danken. Plötzlich, ehe er selbst recht willen meine Stellung verlieren?" „Aber Fräulein Sanden, ist Ihnen denn das schon einmal passirt?" schluchzt. „Ach ja! In meiner ersten Stel tüssen und um meiner Hände willen! O Gott, wären sie doch häßlich!" Er tritt dicht zu ihr heran. geküßt hat um Ihrer Hände willen?" Verdutzt sieht sie ihn an. Doch plötzlich "greift er ihre beiden Hände als er es zum zweiten Male wagen wollte?" „Ach, H«rr Doctor, Sie sind es?" Weiter kann Sie nichts hervorbrin- jetzt wieder thun, würden Sie «s mir auch jetzt wieder wehren?" Sie antwortete nicht, sondern senkt „Else, liebe, süße, kleine Else!" Da blickt si- glückselig zu ihm auf und lächelt ihn an, so daß all die klei nen. weißen Zähnchen zum Vorschein kommen. Und dann küßt sie plötzlich bracht!" Tisch, ordnen die Blumen und schrei ben die Menüs. Alles, waS mit dem Tisch zusammenhängt, geschieht nach len zu sitzen, sie ziehen den Fußboden vor. Das Alter d«r Mädchen reicht von zehn bis fünfzehn Jahre. Ein siamesisches Mädchen, das letzteres Alter erreicht hat, wird freilich schon Zyr Sohn. ES war in der Mittagsstunde, die Sonnenstrahlen schössen in beinahe senkrechter Richtung zur Erde hernie der, sie prallten von dem grauen As phalt zurück und glitzerten die Pferde bahnschienen entlang, in der Ferne zit terte die heiße Lust wie angezündeter Weingeist und aus den erhitzten Trot- Die Straße war menschenleer, ein Soldat auf Posten, ein Kind mit ei nem Henkelkorb, ein Depeschenbote und eine Frau, die in einem Korbwagen einen jungen Menschen vor sich her schob, waren die einzigen Vertreter der waren. Die Frau, welche den Wagen schob, war eine robust« Erscheinung, voll und rund, bekleidet war sie mit einem blauen Leinenkleid, dem große weiße Nelken aufgedruckt waren, das gutmü thige, von Gesundheit und Hitze gerö thete Gesicht bedeckte ein schwarzer Strohhut billigster Sorte, eine soge nannt« Schute. I In dem Wagen saß ein etwa acht zehn- bis zwanzigjähriger, hochaufge schossener Mensch ein Blödsinniger ! derselbe war gut gekleidet, er trug Sein Gesicht zeigte den stumpfsin nig - thierischen Ausdruck der Mikro cephalen, außerdem der Mund D /sih i im geht halt Alles leichter!" Sie war ste laßte, gleichfalls stehen zu bleiben, viel leicht weiter nichts als das Gefühl, daß diese Handlung von mir erwartet fagtt: " ' „Jetzt ist es nun schon zwölf Jahre War es denn früher besser?" fragt. fragte ich. Ren!" „Schrecklich!" Das Wort fuhr mir heraus, ohne daß ich es wollte, es schien heilen, Geld, na freilich kostet er Geld, er Tanzmusik und ich hab' eine Aus mer! Du lieber Gott! Andere Eltern nicht!" Ausdruck auf mir, als wollte es sagen: „Sehen Sie, was der Alles versteht!" Mit srchzufriedener Miene nickte sie Das größte Glück ist für Menschen das, daß sie nicht merken, Wie glücklich sie hätten sein können. z>t« »ich«. In des Waldes dunklen Bäumen Deinem lichten Grün zum Hohne: Welkes Laub paßt nicht zu dir! Rauschend zieht dein Lebensreigen Der behutsam prüft und fest, Und für Gutes in der Ferne Nicht Erprobtes fallen läßt." . .75 " (Von der Geeignetheit des weib lichen Geistes zur G«l«hrsamkeit und zu den schönen Wissenschaften). Die Verfasserin dieses für die damalige Zeit so seltsamen Buches war Anna Maria von Schürinann, „der Stern von Utrecht", od«r „das Wunder des Jahrhunderts", wie man sie in gelehr ten Kreisen nannte. Anna Maria war di« 1607 in Köln geborene Enkelin eines Niederländers, der vor Alba seine Von dem gelehrten Vater und Privat gelehrten unterrichtet, überflügelte si« bald ihre älteren Brüder an Kenntnis sen und Wissensdrang bei weitem. Die wißbegierige Jungfrau entwickelte sich bald zu einem Sprachgenie ohne Glei chen. In ihrem 16. Lebensjahre, in welchem ihr Vater starb und die Mut ter mit den Kindern nach Utrecht über siedelte, beherrschte die Hochbegabte be reits die alten Sprachen, das Deutsche, Holländisch«, Französische, Englische, Italienische und Spanische, vollstän dig. In der Universitätsstadt trat di« mit den rcforinirten Theologen, «in de ren Spitz« späterhin Gisbert Boetius (1617 bis 1676) stand, der einen nach daneben die verwandten orientalischen Sprachen, Syrisch, Chaldäisch, Ara bisch, Aethiopisch. Bei alled«m war sie eine Meisterin in weiblichen Handar- Bon einem Dichter in Breslau sind la teinische Verse auf sie erhalten. Ihre Sammlung kleiner literarischer Er zeugnisse, „Opuscula", in hebräischer, griechischer, lateinischer und französi das Ziel vieler hervorragender Persön lichkeiten. So suchte sie die wissenS durstig« Königin Christine von Schwe den, di« „Sibylle des Nordens", wie sie vielfach genannt wurde, auf. Prin zessin Elisabeth von der Pfalz, ein« Tochter des unglücklichen „Wintertö nigs" und eifrige Jüngerin des Philo sophen Descartes, stand schon damals mit Anna Maria in freundschastlichem Verkehre. Als im Jahre 1645 die Kö nigin von Polen, Gemahlin Wladis lavs IV., auf einer Reise Utrecht be rührte, konnte sie sich es auch nicht ver sagen, die „zehnte Muse des Jahrhun derts" auszusuchen. Bei dieser Gele genheit uyterhielt sich Anna mit einem Gelehrten im Gefolge der Königin, der dies berichtet, in lateinisch«!, mit dem Leibarzt in griechischer, mit dem Bi schof in italienischer Sprache. Daß die Schürmann weit davon entfernt war, ein Mannweib zu s«in, davon zeugt vor allem die Weichheit des Ge müthes, die leicht nachhaltigen Ein drücken zugänglich war. Wie sie in jüngeren Jahren sich ganz dem Ein flüsse von Voetius hingegeben, so ward sie in späteren Jahren die eifrigste An hängerin Jean de Labadies, jenes schwärmerischen Sektir«rs, welcher die „reine Gemeinde der wahr«n Christen" um sich sammeln wollte und in seiner Genossenschaft in Amsterdam, später in Herford, wo der Labadisten - Ge meinde die Prinzessin Elisabeth von der Pfalz als Aebtissin eine Schützerin Christen mit peinlicher Gewissenhaftig keit durchführte. 1672 von Herford vertrieben, folgte Anna, Schürinann Altona, wo Labadie 1674 starb. Nach dessen Tode zog sie sich nach Winwar den zurück, wo sie im Jahre 1678 starb. sammten Kulturgeschichte des 17. Jahrhunderts. Zweievlei. „Was macht die Schwiegermutter,' ist sie wieder bes ser?" „Besser nicht, aber sie ist wie der gesund!" . . ..