Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 13, 1899, Page 2, Image 2

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    2 Die Montenegrinerin.
Ein eigenartiges, dem deutschen völ
lig unbekanntes Milieu ist ei, das dai
Wesen der Czernagoren ausmacht,
es haftet ihm noch der Duft ursprüng
licher Poesie, warmer Romantik an.
Denn gerade der Montenegriner nimmt
in der groß-slavischen Welt eine excep
tionell« Stellung ein; man kann ihn
ebenso wenig dem Großrussen unier
vischen Volke, den Serben oder Ruthe
nen etwa, gleichstellen. Der einzige
Stamm, mit dem die montenegrinische
Frau hier und da einige Berührungs
punkte aufweist, wäre höchstens ihre
„Hervetska Sestra", die kroatische
Schwester, die der „Czernagorska
Sestra" nachzueifern sich bestrebt.
Vaterlandes zu Hausen, um von hier
kühne Ausfälle in fremdes Gebiet zu
machen; demgemäß sei auch die Stel-
Dies ist aber ganz unrichtig! Wohl
ist im Charakter des Montenegriners
«in scharfer Zug für dasKühne, Muth
volle und wild-Abenteuerliche ausge
würde. Man darf vor allem das Eine
nicht vergessen, daß der Montenegriner
ein „Gorale", ein Bergbewohner, ist,
schen Gründen in seinem Wesen liegt,
die heimathlichen Berge zu lieben und
sich zu ihnen hingezogen zu fühlen.
Weiß er ja ganz gut, daß er nur die
sen Bergen die Unabhängigkeit seines
Landes verdankt; sie sind ein na
türlicher Wall, der ihn von der Außen
welt absperrt und den feindlichen Ein
tet. der Montenegriner ist wie
jeder „Gorale" freiheitsliebend; die
Persönliche Ungebundenheit geht ihm
über alles, «r muß sich frei bewegen
können, die ganze Welt und die ist
Sinne des Wortes muß ihm offen
stehen. Das südslavische Tempera
ment läßt sich nie und nimmer ver
leugnen.
Wohl übt dies seinen Einfluß auf
die Stellung und das Leben der Frau
treibendes 8011, das ein wahrhaft pa
triarchalisches Leben führt. Das beste
und entschieden auch sympathischste
Bild des montenegrinischen Volksle
bens bietet die montenegrinische Frau.
he, lebhafte Beweglichkeit sie theilt und
der sie auch äußerlich sehr start ähnelt.
Der slavische Typus läßt sich aber in
keinem Falle verleugnen, und er kommt
den Bordergrund stellt. Dies ist stets
solute Herrin, der in nichts widerspro
chen wird. Dafür steht sie dem Außen
leben vollkommen fern und nimmt kei
ßer Augen läß! und sie selbst bei Besu
balten. Sier wächst es unter den Äu
gen der Mutter und der Freundinnen
auf, hier entfaltet es sich zur Blüthe,
hier wird es gehegt und gepflegt von
ternliebe. Das Mädchen kennt keine
anderen Sorgen, als sich immer nur zu
schmücken. Es lernt aber auch die
Wirthschaft führen, das Haus in Ord
nung halten. Feld und Wiese bestellen.
Sehr oft muß es sich auch mit dem
Webstuhls beschäftigen, um selbst di-
Mädchtn «ndlich verheirathen, so 'st ei
Sorge des Vateri. den Bräutigam zu
ttaden. Meistens wird dieser ab«
schon diel früher bestimmt, da ei nicht»
Seltenes bei den Montenegrinern ist,
ihren Eltern bei irgend einem Feste zu
sammenfinden. Bei solchen Gelegen
heiten tanzen die Frauen und Mädchen
Tanzen beider Geschlechter zugleich.
Ohne Zweifel ist diese Absonderung
noch auf türkischen Einfluß zurückzu
allen Lagen des Lebens Stärkung »nd
Trost. Sie ist deshalb eine fleißige
Kirchenbesucheiin, auch fehlen in ihrem
betet^
ihr noch natürlich «nd ungekünstelt.
Die Radlerin.
<??rei na«! Schwer'« „Alpenjäger"), von
Willst du nicht das Strümpflein knü
pfen?
Strumpflein ist schon durchgewetzt.
Laß die Nadeln lustig schlüpfen,
Daß der Strumpf nicht ganz zerfetzt!
„Laß die Strümpfe, laß die Nadeln,
Mutter, Mutter, laß mich radeln!"
Willst du nicht die Wäsche waschen?
Daß dich Niemand tadeln kann!
„Laß die Männer, laß sie tadeln,
Mutter, Mutter, laß mich radeln!"
Willst du nicht die Knödel schöpfen?
Dich am Hackbrett nicht erfreu'n?
Willst du nicht Gewürze streu'n?
„Laß die Töpfe, laß die Ladeln,
Mutter, Mutter, laß mich radeln!"
Und die Jungfrau stieg zu Rade,
An des Gäßleins engem Ort.
Bor ihr her mit Blitzesschnelle
Flieht ein ängstlicher Geselle.
Auf der Treppe nackte Rippen
Klettert er mit leichtem Schwung!
Durch des Rinnsteins enge Klippen
Trägt ihn der gewagte Sprung.
Einen Graben schaut er hier,
Drin die Knaben Kneippkur treiben,
Kähne segeln aus Papier.
Vor ihm des Morastes Schimmer,
Hinter ihm das Frauenzimmer!
Mit des Jammers stummen Blicken
Fleht er um ein mild' Geschick;
Fleht umsonst, denn auf dem Rücken
Fühlt er schon den Pneumatik.
Kam es über ihn geflogen.
Und die Jungfrau fühlt's beklommen:
Alles ist so furchtbar naß
Und sie sieht den Schutzmann kommen,
Hört ihn schreien und wird blaß:
„Unfug wird hier nicht gelitten,
Darf ich um den Namen bitten?"
Japanische Frisuren.
Die Kunst des Frisirens steht in Ja
pan auf einer sehr hohen Stufe, was
unsere Damen nicht weiter wundern
wird, wenn sie hören, daß man an der
Art des Kopfputzes dort den Rang und
das Alter der Trägerinnen ertennen
kann. Das Alter eines Babys wird
gemcnt des Haares zu einem kleinen
Knötchen hinten im Nacken oder einem
Kränzchen oben auf dem Kopse oder
einer Haarlocke vorne auf der Stirn
angegeben, während der übrige Theil
des Hauptes glatt abrasirt erscheint.
Mädchen von acht bis neun Jahren tra
gen es zur Schleife am Hinterkopf ge
wunden und schlingen um diese ein
Stück rothen Krepp, die vordere Haar
partie wird entfernt, nur an jeder Seite
des Gesichtes baumeln ein paar lange
Locken herunter. Die heirathsfähigen
Jungfrauen nehmen das Haar hoch aus
dem Kopf zusammen, sie srisiren es
enlweder in der Gestalt eines Schmet
terlings oder Fächers und schmücken
dann den Aufbau mit Gold- und Sil
berschnur oder glänzenden Kugeln.
Eine Wittwe, die nach einem zweiten
Gatten späht, wickelt ihre Locken um
eine große Schildpatthaarnadel, die sie
sich horizontal am Hinterkopf aufsteckt,
eine trauernde Gattin aber, die dem
Verblichenen treu zu bleiben gedenkt,
schneidet sich ihr ganzes Haar, ihren
größten Stolz, kurz ab und trägt es,
ohne Scheitel, glatt nach hinten ge
kämmt.
—G efährliche Situation.
Student (der Abends einen Spitzbuben
unter seinem Bette liegend findet):
„Aber Mensch, wie können Sie sich so
leichtsinnig in Gefahr begeben... ich
bin erst gestern mit dem Bett durchs«,
brochen!?" -
Sein Schwiegervater.
das Radeln lernen?" Mit dieser
das Zimmer seines Freundes, des
„Mensch, bist Du toll geworden.
Du und radeln! Das lernst Du ja
nie, Du kannst nicht turnen, nicht
warum?"
„Ich muß." sagte Ernst und ließ sich
ächzend auf einen Stuhl fallen, „frage
„Hast Du «inen Anzug?"
„Ja, von Neumann ck John bezo
gen."
„Gut, das ist schon etwas. Uebri
zur Hauptsache, wie steht es mit dem
Rad? Du weißt doch, was solch ein
Ding kostet?"
„Natürlich, das Geld wird geborgt."
„Geborgt!! Und das sagst Du so
leichtsinnig, Du Ernst Hahn, der
noch nie einen Pfennig Schulden ge
macht hat. Menschenkind, Du bist ver
liebt, so leichtsinnig wird Deine Art
nur, wenn sie in Amors Fesseln liegt.
Gestehe!"
Schuldbewußt senkte Ernst Hahn die
Augen.
„Wer ist's, heraus damit! Mir
mußt Du beichten, sonst helfe ich Dir
nicht, so wahr ich Ludwig Gerber
heiße."
Stockend begann nun Ernst Hahn,
ein junger Mann von etwa 30 Jahren,
zu beichten und so erfuhr sein Freund,
daß er sich bis über die Ohren verliebt
habe in die Nichte seines Hauswirthes,
«in k«ckes, reizendes Mädchen von IS
Jahren, Nam«ns Wanda Bartholdy.
welches zum Besuch bei ihrem Onkel
sei.
„Ich verfolge si« auf Schritt und
Tritt und ich hab« auch bemerkt, daß
ich ihr nicht gleichgültig bin."
„An was für Anzeichen? Das er
zähl« mir genau; ich habe Erfahrung
in solchen Dingen."
thun sie alle, die lieben Weibchen."
„Wenn ich ihre Hand drücke, so fühle
ich leisen Gegendruck."
„Und dann "
„Weiter, weiter, verschweigen darfst
Du nichts."
„Sie liest meine Gedichte", kam es
verschämt von Ernst«ns Lippen, „und
sie findet sie sehr schön."
Freund Ludwig lachte laut hinaus:
„Na, das ist ja Geschmacksache, aber
dieses Indizium fällt schwer in die
Du noch nicht zu radeln."
„Nein," erwiderte Ernst kläglich,
„aber sie radelt und wie! Ich sage Dir,
rend ich mit langem Gesicht nachsehe.
Dann ist auch so «in verfluchter Vetter
da, der sie stets begleitet. Ludwig,
wenn Du mein Freund bist, so hilfst
„Zuerst noch eine Frage. Hat sie
Mammon? Sonst lasse ich meine
Hände davon, ich werde Dich doch nicht
in Dein Unglück radeln."
„Darüber kannst Du ohne Sorgen
sein, ich iveiß aus bester Quelle, daß
ihre Mutter, die Wittwe ist, ein sehr
ges sicher. Die Stunden begannen,
und da Liebe zu allem gelehrig macht,
so konnte es Hahn wirtlich nach acht
Tagen wagen, sich seiner Angebeteten
aus zu zeigen.
Hauptsache war, er sah in sei
nem Anzug so sesch und keck aus, daß
Niemand ahnen tonnte, wie ängstlich
ihm sein Herz bei dem Wagniß klopfte.
So nahm er seines
als Hahn ihn bei seinem Hauswirth
Meier einführte, der den stattlichen,
jungen Mann freundlich aufnahm und
Freund, die Sonn« ihrer Huld scheinen
zu lassen.
Bald darasf traf Wandas Mutt«r
auch jvm Besuch «in, ein rundlich«!,
freundliches Weibchen, der die Lebens
lust aus den lustigen braunen Augen
funkelt«. Bon Thränen um d«n li«b«n
Seligen war nichts mehr darin zu lesen.
Sie hätte für die älter« Schivester der
eigenen Tochter gelten können.
Eifrig wurde nun «ine Tour für den
Nachmittag von den jungen Herren
vorgeschlagen und angenommen. Um
vier Uhr harrten die Freund« am ver
abredeten Rendez-vous, aber sie trau
ten ihren Augen kaum, als Wanda,
anstatt an der Seite des Vetters, mit
ihrer dicken Mama angeradelt kam,
beide in blau und iveiß, wie zwei
Schwestern, aber die «ine schlank wie
«in« Gaz«ll«, di« ander« blühend in
rund«r Fülle.
Ach die langen Gesichter der
Freunde, von denen der eine nur noch
ächzen konnte: „Die Schwiegermut
ter !"
Während Ludwig ihm zuraunte:
„Die mußt Du aus Dich nehmen, mit
der mußt Du Dich gut halten," waren
auch di« Damen schon herangekommen
und fort ging di« fröhliche Fahrt,
wenn auch anders, als ursprünglich
geplant war.
Bald gewannen di« vorzüglichen
Fahrer Ludwig und Wanda die Tste,
schneller und immer schneller rasten sie
davon auf der freien Bahn. War das
ein« Lust! Rad an Rad, Aug« iti
Aug« flog «r mit dem schönen Mädchen
dahin. Wi« ihre Wangen glühten und
di« Brust sich hob, die blonden Löckchen
flatterten im Winde und die rosigen
Lippen waren leicht geöffnet, als müß
ten sie laut hinausjubeln vor Lebens
lust und Uebermuth.
Da verlor Ludwig Gerber s«in Herz,
vergessen waren di« Träum« der gol
denen Freiheit, vergessen all' sein Den
ken und in ihrer Hand allein lag
sein künftiges Glück, feine Liebe. .
Langsam und bedächtig radelnd
sein« ruhig« Begleitung, da das rasche
Tempo nicht ihr Gtschmack s«i, worauf
Ludwig sich vernehmlich räuspert«,
Wanda verschmitzt lächelt« und Ernst
Hahn ti«s «rröthete. Dann v«reinte
alle ein fröhliches Mahl.
sung seiner Herzensfrage auch «in ge
wichtige Wörtchen mitzureden habe,
aber das entschädigte ihn doch durch
einen Blick des Einverständnisses auf.
der wie der Blitz jähes Licht auf das
Spiel der beiden Ivarf.
Gewißheit wollte «r haben, Gewiß
heit um j«d«n Preis und als Ludwig
Kräft« an und eilte ihnen nach, trotz
der kläglich«» Bitt«n der Schwieger
mutter in «PS, di« sich vergeblich be-
Wind auf der glatten, einsamen Land
straße. Jetzt mußt« er die Flüchtigen
bald erblicken, hinter jener Biegung
dann zog er die Errötbende in
seine Arme und sagte zu ihr: „Theure
Therese, unsere nächsten Freunde müs
sen unser Glück zuerst erfahren. Hier
bring« ich meine liebe Braut."
drückt« Ludwig scheinbar gerührt sei
nen Freund an das Herz, ihm zuflü
sternd: „Mensch, bist Du von Sinnen,
Du nimmst di« Schwi«germutt«r?"
„Ja und zugleich das Portemon
das Rad, welches ihm zu derselben ver
bolfen hatte, straft« «r künftig mit Ver
achtung.
Japanische Aamen.
Nungen der Civilisation dieser Län
der. Auch die Frauenwelt Ostasiens be
ginnt uns näher zu treten und unser«
Phantasie zu beschäftigen. Die niedere
Frauenwelt Japans ist uns ja selbst
aus den parodirenden Scenen der
„Geisha" ein wenig vertrauter gewor
den: Desto fremder steht uns noch im
mer das Leben der Frauen in den hö
heren Classen Japans, die Damenwelt
des ostasiatischen Adels gegenüber.
Und wie Kenner des Orients versichern,
ist selbst in dem unserer Civilisation
leicht zugänglichen Japan in diesem
Punkte keine Aussicht auf Aenderung
der Verhältnisse vorhanden: Die ja
panische Damenwelt wird die Unbe
rührtheit ihrer nationalen Cultur noch
für lange Zeit wahren. Die Frau ist
ja bekanntlich viel conservativer als
der Mann.
„Das einfachste und complicirteste
Geschöpf zu gleicher Zeit", nennt eine
Kennerin der ostasiatischen Verhält
nksse die japanische Dame. Ihr ganzes
Wesen, ihr Denken und Fühlen ist dem
unseren fremd, ja unverständlich und
völlig entgegengesetzt. Gegen Auslän
der zeigt die japanische Dame wohl
äußerlich die höflichsten, liebenswür
digsten Formen; aber nie läßt si« es zu
wirklich intimen Beziehungen kommen,
auch nicht im Verkehr mit ihren wei
ßen Schwestern. Etwas Undesinirba
res, Fremdes, Kühles, eine trennende
Schranke bleibt stets zwischen ihnen.
Dabei sind ihre Umgangsformen die
denkbar vornehmsten, höflichsten und
ilegantesten.
Die Japanerin ist im allgemeinen
kleiner und zarter als di« Amerikanerin
Sie ist in der Jugend oft sehr hübsch,
auch von unserem Standpunkt, altert
aber rasch, und ihre Züge verfallen
dann. Ihr Teint ist blaß; aber sie legen
sllc Puder und Schminke so dick wie
möglich auf, und ein« scharfe Linie am
Kunst und Natur. Das japanische
Schönheitsideal verlangt ein langes,
ovales Antlitz, regelmäßige Züge, man
delförmig«, ein wenig schräge Augen,
eine hohe schmale Stirn und reiches,
weiches schwarzes Haar. Körperliche
Uebungen kennt die Japanerin nicht, —
der Fremde wundert sich stets, was sie
mit ihrer Zeit ansängt; denn häusliche
Arbeit giebt es kaum in einem japani
schen H«im. Nicht einmal regelmäßige
Mahlzeiten. Man ißt, wenn man ge
rade Hunger hat, und läßt das Nö
thige aus einem Laden in der Nachbar
schaft holen, der alles bietet, da die
Ansprüche an die Küche in Japan die
denkbar geringsten sind. -Die Speise
kammer enthält fast nie etwas Anderes
als ein wenig Reis, Kuchen und ein
paar Früchte. Der Fischhändler geht
von Haus zu Haus mit seinem Korbe,
schneidet von dem lebendigen Thiere
soviel ab, wie verlangt wird, wiegt es
der Käuferin zu und wirft den Rest
wieder in seine Butte.
Die volksthllmlichste Heroine Ja
pans, deren Name dort von jeder Frau
eine Art gelber Lucretia. Die Ge
schichte spielt im Jahre 1646. Ein
Edelmann, der eine junge Frau hatte,
wurde zum Mikado berufen und läßt
die hübsche Gattin allein zurück. Einer
ihrer früheren Bewerber, den sie, zu
rückgewiesen, hörte davon und benutzte
die Gelegenheit, das Wesen, das er noch
immer heiß liebte, zu entführen. Aber
die Geraubte war ebenso klug wie schön
und bevor noch ein Unglück geschah, ge
lang es ihr, aus dem Hause des Räu
bers wieder zu entfliehen. Dennoch
hielt sie sich für entehrt für ewige Zeit.
Als ihr Gatte von Hofe zurückkehrte,
veranstaltete sie ihm zu Ehren ein gro
ßes Bewillkommungsfest, zu dem die
ganze Verwandtschaft eingeladen wur
de. Bei Tisch das Mahl fand auf
dem Dach des Palastes statt —erzählte
sie, was ihr begegnet war und was
noch niemand erfahren hatte, und bat
ihren Gatten, sie als eine Entehrte zu
todten. Der Gatte umarmte und küßte
sie entsetzt und erklärte zärtlich, er liebe
sie auch nach dieser Enthüllung genau
so heiß wie vorher. Aber ihr feines
Ehrgefühl war nicht befriedigt —»sie
wandte sich an alle Anwesenden der
Reihe nach, und als jeder Einzelne er
klärte, daß sie nicht der leiseste Vor
wurf treffe, zog sie selbst einen Dolch
hervor und tödtete sich. Der Entführer
wurde ergriffen und als Adliger zum
Harakiri verurtheitt.
Eigenartig sind die Sitten der
Brautwerbung und Hochzeit in den hö
heren Ständen Japans. Der Liebende
befestigt einen Blüthenzweig am Thor
des väterlichen Hauses seiner
Erkorenen. Wird dieser abgenom
men, so ist seine Werbung erhört —
bleibt er unbeachtet, so gilt sein Antrag
als abgelehnt. Eine seine Form voll
Schildkröte stehend, als Zeichen der
glücklichen Eh«. Di« Braut trägt über
bei ihrem Tode verbrannt wird. Die
erste Pfiicht der Japanerin ist Gehor
sam: Als Mädchen gegen die Eltern,
als Frau gegen den Gatten, alsWittwe
(zweite Ehcn finden selten statt) gegen
Aie Dritte.
Sie stand am Fenster und sah in die
stürmische Nacht hinaus; sorgenvoll
war ihr Blick, ihre Zähne gruben sich
fest in die Unterlippe, als wollten sie
jeden Laut zurückhalten, die kleine aber
durchaus nicht wohlgepflegte Hand
strich nervös über die tiefe Falte, die
ihre Stirn durchzog.
Diese tiefe Falte! D«s Alter hatte
sie nicht gegraben, aber vielleicht Kum
mer oder Entbehrung?
„Guten Abend, Tantchen! Hu,
welch' schauriges Wetter, es ist «in
Glück, wieder daheim zu sein!"
Mit diesen Worten hatte ein junges
Mädchen die Thür geöffnet, schüttelte
Die Frau neigte stumm den Kops
zum Gruße, es schien, als trübte sich
ihr Blick noch mehr, als vertiefte sich
die scharfe Falte.
Konnte dieses schöne, maienfrische
Geschöpf die Veranlassung sein? Die
eben noch so frostige, unheimliche Stube
war plötzlich traulich und wohnlich ge
worden, seitdem das junge Mädchen
darin aus und nieder ging, selbst die
Lampe schien Heller zu brennen und
das bis dahin so traurig zusammenge
kauerte Vöglein hüpfte fröhlich im Kä
fig umher und schmetterte sein Liedchen
so kräftig, daß die kleine Kehle zu zer-
Teller, Messer klapperten. Anna
das junge Mädchen, deckte den Tisch
zum Abendbrot und mit den Worten:
„Nun kann der Onkel kommen," stellte
sie die Lampe auf den gedeckten Tisch.
Diese Worte ließen die stille Frau
am Fenster zusammenfahren, sie drehte
sich schnell um:
„Du sehnst Dich wohl nach dem
Onkel?"
„Gewiß, Tantchen!"
„Du liebst ihn wohl sehr?'
„Wie komisch Du fragst, Tantchen.
Gewiß, ist er nicht unendlich gut zu
mir?"
„Ja, er ist gut zu Dir!" kam es bit
ter von den Lippen der Zungen Frau.
War sie noch jung? Der Lichtschein
der Lampe fiel auf ihr Gesicht, auf ein
feines, bleiches, vor der Zeit gealtertes
Gesicht, aus dem schöne blaue Augen
Erstaunt betrachtete sie Anna, als ob
die Klingel.
„Der Onkel!" rief das junge Mäd-
Frau vor sich hin und trat tiefauffcuf
zend an den Tisch, um zu sehen, ob
nichts fehle. Draußen hörte man scher
schlanke Männergestalt, erschien als
bald auf der Schwelle.
„Lisbeth!"
Er ergriff ihre Hände:
„Guten Abend, Schatz! oh, wie hart
Deine Hände sind."
„Meine Hände sind weich wie
Sammet, sagte jüngst der kleine Fritz
„Machst Du mir daraus einen Vor
wurf?"
„Aber Lisbeth?!" Liebevoll um
schlang er sie und küßte sie, sie ließ es
ruhig geschehen, ohne die Liebkosung
„Kann ich auftragen, Onkelchen?"
„Noch nicht, mein Kind, Freund
Köhler kommt zum Abendbrot."
Es klingelte.
Frau Lisbeth faß still und ließ, da
Als nach beendeter Mahlzeit die
„Verändert? Wie so?"
treuer Kamerad, mein redlicher Mitar
beiter. Ich liebe sie aus tiefster Seele,
wie sie aussieht, habe ich nicht beachtet,
doch muß sie schön sein, da eine schöne
Seele in ihr wohnt."
Erregt hatte Werner gesprochen, und
ebenso erregt hatte Köhler sein« Hand
ergriffen und ausgerufen:
„Gott sei Dank! daß Du Deine
Frau liebst!"
„Zweifeltest Du daran?"
„Ich nicht, aber vielleicht Deine
Frau."
„Lisbeth? Lächerlich!
„Doch sie ich werde Dir einen
guten Rath geben: schicke Anna fort!"
„Anna, weshalb?"
„Weshalb? Ich habe da unlängst
Dir erzählen?"
„In einem Walde lebte ein alter
Einstedler, er wollte von den Menschen
nichts wissen, wahrscheinlich hatten sie
ihm zuviel Gutes erwiesen; desto mehr
liebte er die Thiere, namentlich den
Bögeln wendete er sein ganzes Herz zu.
Auf seinem Dache hatten sich «in Kra
henmännchen und -Weibchen das Nest
gebaut und lebten in friedlicher Ehe.
Unser alter Einsiedler versorgte sie
reichlich mit Speise und Trank und
konnte sie nicht genug loben ob
ihrer herrlichen Eintracht.
Eines Tages fand er vor seiner
Thür eine kleine halbverhungerte Krähe
todtmüde liegen, er hob sie sorgsam
auf, trug sie in das Krähennest und
bat umAusnahme für das junge Thier«
chen. Das Ehepaar nahm es denn auch
freundlich auf, bald war es wieder
munter und schrie lustig darauf los, es
machte Ausflüge und das Krähen
männchen begleitete es und man hörte
schon von weitem das Scherzen der
heimkehrenden Vögel.
Je lustiger das Männchen und die
kleine Krähe wurden, desto stiller und
trauriger wurde das Weibchen und
als die beiden eines Tages fröhlich
fortgeflogen waren, fanden sie bei ihrer
Rückkehr das Weibchen todt.
Der Einsiedler meinte trauernd:
„Gerade wie bei den Menschen, die Ei
fersucht tödtet!"
„Nun, und was hat dies mit
Lisbeth, mit Anna zu thun?"
„Ich glaube —"
„Was glaubst Du?"
„Daß Deine Frau eifersüchtig auf
Anna ist?"
„Auf Anna? lächerlich warum?"
„Warum? Du großes Kind! Weil
Anna schön und jung und sie es nicht
mehr ist, weil Du mit Anna scherzest
und lachst. Dies täglich zu sehen, ist
eine verblühende Frau, und wäre sie
die beste, nicht im Stande, auf di»
Dauer zu ertragen. Deine Frau lei
det. Und selbst für Dich ist eine Tren
nung rathsam, er liegt Gefahr in die
sem täglichen Verkehr mit einem schö
nen, thaufrifchen Geschöpf."
„Ist Anna schön?"
„Mensch, das hast Du gar nicht ge
sehen?"
„Nein, ich sehe nur Lisbeths liebes
Gesicht, aber Du magst Recht haben,
Lisbeth ist verändert, sie ist ernst und
traurig und müßte doch jetzt, wo es
uns gut geht, wo die traurigen Tage
hinter uns liegen, heiter und glücklich
sein. Ich werde Anna zu meiner ein
samen Schwester senden, die Gegen
wart des jungen Mädchens wird ihr
ein Sonnenstrahl sein."
„Thue das, mein Frcund, und nichts
störe Euer ferneres Glück; Ihr seid
Noch in später Abendstunde saßen
Werner und Lisbeth aus dem Sofa
Hand in Hand.
Wie schnell hatte die Frau glück
strahlend lächeln gelernt, ein rosiger
Schimmer lag auf ihren Wangen und
verjüngte sie. Die tiefe Falte auf der
Stirn war zw-v noch da, diese Falte,
die er so liebte, weil gemeinschaftliches
Sorgen und Entbehren sie gegraben
hatte.
Neckend entzog sie ihm ihre Hände:
"Laß doch, sie sind so hart, so abge
arbeitet —"
„Für mich," unterbrach er sie, und
küßte sie immer und immer wieder
und dabei sahen sie einander in die
Augen mit treuer, echter, hingebender,
alles um sich vergessender Liebe!
Ja, das war die Liebe, die alles ver
zeiht und alles vergißt, nur nicht
Splitter.
Wer Alles mikroskopisch will er
gründen,
Der wird gar bald nichts mehr ge
nießlich finden.
Ein Wort zur rechten Zeit
ist eine That.
Die natürliche Strafe für das
Nichtsthun ist die Langeweile.
DasAlter brüstet sich immer
mcnziehen.
V«rfchnappt. Zwei Ba-
Ahnen Mahnbriefe au! de« 14. Jahr
hundert zeigen!"