Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, January 05, 1899, Page 2, Image 2

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    2 «o» Carl Bulcke.
Wir lassen uns« Wünsche schweifen,
Wir lassen unsern trunknen Sinn
Und lachen sorglos vor uns hin:
Das Leben ;st so voll .er Gnade,
Und aus der Fern« lockt das Gluck,
Und stetig wächst der Wünsche Zahl,
ten
Die Seele saßt ein tiefes Bangen,
Wo winlt im dunkeln Wald ein Dach?
Das Licht von der" Gaslaterne v.'r
dem Hause fiel auf die Wände, die
ter, trippelnder Schritte abrechnete, die
über den Teppich des Salons glitten.
Ratsch! Ein Streichhölzchen entzün
den Wachsstock in der Hand, wäh
rend ihr Blick prüfend im Zimmer um
herglitt.
Nein, es konnte m Wahrheit nicht
besser sein! So viele Blumen, so viele
schöne Sachen Überall, und wie nc».
Ein unfreiwilliger Seufzer glitt
über Tante Lottchens Lippen, während
sie die Lampe» und Kandelaber anzün
dete. Hell sollte es hier sein und so
festlich wie möglich, das war für sie
So, nun war die ganze Wohnung
erleuchtet. Der Salon, das Eßzimmer,
die Wohnstube und die Stube dcs
Hausherrn. Sogar in dem Schlafzim
mer herrschte ein geheimnißvollesDäm
merlicht, verbreitet durch die rosafarbe
ne Ampel unter der Decke.
Tante Lottchen kannte jeden Winkel;
jeden kleinen Gegenstand in diesem
Hause, das zu ordnen und einzurichten
sie geholfen hatte, und nun hatte sie
das Hochzeitshaus vor allen anderen
verlassen, um hierher zu eilen, die Lich
ter anzuzünden und sich noch einmal
zu überzeugen, daß alles zum Empfang
des neuvermählten Paares bereit sei.
Wie blank und schön und neu war
alles, vom Silberzeug aus dem Büf
fet bis zu dem Kochgeschirr in der Kü
che. So hätte auch einmal vor langer
Zeit nein, sie wollte nicht daran
denken.
Jetzt mochte» sie kommen! Wenn
sie sich hier an's Fenster setzte, konnie
sie den Wagen um die Ecke biegen se
hen.
Wie wunderbar, daß die kleine
Thyra, ihrer Schwester Tochter, die sie
unzähligemal auf den Armen getragen
hatte, hier als Hausfrau walten sollie!
unselbständig, gedankenlos und aus
gelassen wie sie war. das Herz eines
Mannes so ganz in Fesseln hatte schla
gen können!
be sie lehren.
War das nicht ein Wagen? Ja
wohl! Doch er rollte vorüber. Tante
Lottchen setzte sich wieder hin, einen be
sorgten Blick auf die vielen Kerzen wer
fend, die für sie allein brannten.
Es war eine gar seltsame Zeit für
Tante Lottchen gewesen, diese letzten
tung der Nichte und der Einrichtung
des neuen Heims beschäftigt gewesen
war. Thyras Mutter war kränklich
und von ihrem großen Haushalt und
und zu ordnen.
Erst jetzt als alleS fertig war, fühlte
Wandspiegel, aus dem ihr Bild v?n
Kopf zu Fuß ihr entgegentrat.
Ja, so sah sie jetzt aus! Das Haar
ergraut, die Wangen tingesallen u?cd
Elastizität eingebüßt hatte; die Blu-
Die Schwelle des eigenen
Heims an der Seite eines geliebten
Mannes überschreiten zu dürfen! Wie
sagen zu müssen, gerade wenn man dem
Glück so nahe war! Konnie ein
Mensch ein solches Leid tragen, es
überleben? O ja. sie selbst hatte es ia
gemußt!
Auch sie war schön gewesen, sehr
schön so sagte man und Braut.
»achte.
Einei Abends, als Thyra und ihr
Bräutigam sich gar nicht trennen zu
Aber hatten sie ihr geglaubt? Nicht
Leben? Ja, so hatte sie bisher gedacht
Sterbebett. So nahe war sie dein
Glück gewesen so nahe, als es mit
nnem Schlage vernichtet, alles ihr ent
rissen wurde!
Ein eigenes Heim wurde ihr nie zu
theil, nur ein Unterschlupf in demjeni- j
M ihrer Schwester, wohin sie sich
flüchten konnte, wenn die Kinder sie zu
sehr ermüdeten. Eine Hilfe war sie
ihrer Schwester und vielen An
dern gewesen daher mochte
cs wohl kommen, daß man sie
für so praktisch hielt und so waren
die Jahre unter stiller Resignation und
viel Arbeit verstrichen, Arbeit für an
dere, niemals für sich. Es waren die
Kinder anderer, die sie in ihren Armen
selbst für sie. Was hatte sie doch für
V l dt d "b
Der Wagen! Der Wagen! Er hielt
nerungtn und Gedanken. Sie hörte
das Klirren des Schleppsäbels auf den
steinernen Stufen der Treppe, sah die
das eigene Heim zu sein, zu hören,
was Thyra, was sie beide sagen wür
den, ihre Freude zu sehen, ihr Glück zu
theilen.
Ja, da kamen sie! Er, den Arm um
sie geschlungen, sie stützend, fast in das
Heim hineintragend, das seine Liebe
ihr bereitet hatte. Eine weiße, wo
gende Wolke von Seide und Tüll, ein
Myrthenkranz, rosige Wangen und
Lippen, feuchtfchimmernde, freude
strahlende Augen Tante Lottchen
sah nicht mehr. . . Wie ein Schatten
glitt sie hinein, um die Balkonthüren
zu schließen, und schlüpfte dann durchs
Eßzimmer in die Küche, wo das Mäd
chen saß, nur darauf wartend, die
junge Herrin begrüßen zu dürfen.
Nein, niemand sollte ihnen jetzt in
den Weg treten, niemand. Allein nüt
einander sollten sie bleiben, die beiden,
Bungen über sie ausschüttete. Wird auch
tiefe Stunde einst nur eine Erinnerung
sein, sie wird doch einen lichten Ab
glanz werfen aus die dunklen Tage der
Zukunft.
Immer protzig. Haus
dame: „Wir haben großes Unglück
unser Sohn ist gemüthskrank gewor
den." Besuch: „Ach, der arme Jun
ge!" Hausherr: »Nu, nu, wir haben
ihn in eine Irrenanstalt ersten Ranges
Vorsorglich. Professor:
„Kellner, wenn ich nachher das Local
verlasse, sagen Sie zu mir: „Herr Pro
fessor, Sie haben Ihren Schirm ver
aess'.n!"
Derlen.
Toaste vieles, was glänzt und blitzt:
Uniformen Brillanten schöne
Frauenaugen uno mitten darunter
ein strahlendes Brautpaar. Letzteres
nur Ai-jie und Ohr füreinander
gegen das Schicksal, bemühen sich red
lich, eben diesen Groll ihren lieben
Gästen nicht zu verrathen. Eine große
Freude ist ihnen diese Verlobung nicht,
denn wenn zwei Leute sehr von unten
herauf in Achtung und Ehren zu hoch
angesehenen Millionären aufgerückt
sind und nur einen einzigen goldguten
Jungen besitzen, dem des Kaisers Rock
prachtvoll stehi, dann können sie doch
wohl Ansprüche in Bezug auf eine
Schwiegertochter machen und sich vom
guten und schönen das Beste aussuchen
wenigstens denken Bankier Wiede
nianns so!
Wenn die Braut nun schon „nichts
hat", denn soll sie doch eine Gräfin
oder doch „wenigstens" eine Baroneß
fein! Aber nein! Eigentlich unerhört!
Sie, die reichen, angesehenen Wiede
manns und eine Gerda Dreher!
Eines simptln Philologen Tochter
Philologen verkehren überhaupt nicht
b:i Wiedemanns. Gerda Dreher!
Wenn sie wenigstens von Dreher hieße,
aber auch das nicht einmal!
Freilich, wenn sie ihren Einzigen
nicht so lieb hätten nie und nimmer
wäre aus der Sache etwas geworden,
aber so? Papa Wiedemann schlürft
langsam feinen Sekt und guckt über
den Rand der feinen Krystallschale
nachdenklich nach dem Brautpaar hin
aber so? Der Junge hätte sich wo
möglich eine Kugel vor deg verliebten
Kopf geknallt heutzutage wo
wir schon so weit sind, daß Gymna
siasten sich aus Liebesgram erschießen
wie soll's da einem flotten Lieute
nant auf eine Kugel ankommen
freilich, da mußte man schon ein Auge
zudrücken oder gleich beide Gerda
Dreher! Da sitzt der kleine Glücks
pilz! Mit dem Apfelblüthenteint. dem
üppigen gewellten Flachshaar und den
blauen Äugen wie „Flachsblllthen
ein Auge wie die blaue Blume des
Glücks", hatte Ernst gesagt.
Mondlicht die junge Braut.
„Na, jetzt sei so gut und geh' schla
fen," schilt gutmüthig Tante Pauline,
ihr Federbett durch energisches Klopfen
in die richtige Lage bringend, „du
Tante Pauline ist zwölf Jahre älter
als Gerda und ihrem Ausspruche nach
„Wirthin und Anstandswauwau" im
Hause ihres Bruders, des Herrn Doc
tor Dreher.
„Ach Tante Paulchen! Ich bin zu
zu zu glücklich."
„Na, das gibt sich wieder," kommt
es trocken unter dem Federbett hervor,
„wenn er dir wenigstens nicht Perlen
geschenkt hätte! Ich kann mir nicht Hel
sen Perlen bedeuten Thränen! Ich
schwärme sür Fuchsien mit Brillanten
als Thautropfen wenn so einer wie
dein Nabob mich um Rath fragt
gesicht! Verliebter Schnack! Und
gute Nacht!"
Ein Helles Jubellachen kommt vom
Fenster her.
„Nein, Paulchen! Du mit deinem
Aberglauben! Perlen, ach! Ich li^be
sie nur Freudenthränen bedeuten
übrigens ist das alles Unsinn! Aber
glauben!"
„Na, na! Wollen alles Gute hoffen,"
gähnt Pauline, „ich habe gestern im
Traume immerfort Aepfel und Birnen
gesehen, das bedeutet Unglück," unkt sie
schlaftrunken.
Wieder ein Helles Glückslachen.
„Tante Paulchen, schläfst du schon?"
Ja."
allen, nicht?"
„Hm."
„Und wenn er spielt! Ach, seine
Geige singt ja geradezu nicht
„I! Was sagst du? Ei, nun laß
„Nein, diese Schlafhaube! Gute
Nacht, Paulchen!"
von den Schultern der Heide und zieht
ihn leise nach in die glänzende Fluih.
Die einsame Heide! Mit stillen
großen Augen blickt sie dem verschwin
denden trügerischen Purpur nach, der
sie kurze Zeit nur geschmückt wie eine
Königsbraut, fröstelnd hüllt sie sich in
weißgraue Nebelfetzen, die eben dem
gebüsch auf und weit unten am Hori
zont stehen einzelne wenige Fichten,
wie verirrte Kinder in fremdem Land.
Eine Schaar Krähen fliegt mit lau
tem Gekrächz vorüber sonst kein
Laut stille, todtenstille Einsamkeit.
Arm um die graue Rinde geschlungen,
lehnt ein blasses Weib wie die ver
körperte Melancholie mit großen trau-
Gerda Dreher.
Wer tiefes Herzeleid hat, muß ei
nicht in die einsame Heide tragen ««
wächst dort und wird riesengroß.
Zehn Jahre sind vorbei, seit Gerdas
kurzer Glüekstraum jvh zerstob. Tante
Pauline schob das Unglück auf die
Perlen. Die Perlen waren schuld, daß
das Haus Wiedemann über Nacht zu»
sammenbrach wie eine morsche Holz
bude daß sich der Bankier erschoß,
daß der einzige Sohn den bunten
Rock ausziehen und in's Ausland
wandern mußte und daß Gerda auf
den Tod erkrankte und nach ihrer Ge
nesung für nichts Sinn hatte wie für
Thränen, Thränen, Thränen! Das
alles hatten die Perlen verschuldet,
denn Perlen bedeuten Thränen. Pau
line war damals gleich und durchaus
nW eingesehen und Gerda Gerda
sieht es heute noch nicht ein sie hat
immer ein so schmerzliches, abwehren
des schein für Paulinens Perlenaber
glauben ein Lächeln, das um die
Lippen irrt, während die Augen wei
nen.
Die Schatten der Heide werden dunk
ler und immer noch verharrt die
schlanke Frauengestalt an der Ficht? re
gungslos, nur ein Ende des weißen
Tllllschlciers, den sie zum Schutze ge
gen den Wind um das üppige Flachs
haar geschlungen, bewegt sich hin und
her, und langsam, ohne daß ein Mus
kel in dem feinen Antlitz zuckt, rinnen
große Tropfen über die blassen Wan
gen.
Das Leben und Treiben in der
Großstadt hat im Laufe der Jahre
Gerdas Herzeleid in den Schlaf ge
wiegt. Die stille Heide Per weckt es
und macht todte Zeiten lebendig die
stille Heide und eine Zeitungsnotiz,
die sich in die Einsamkeit verirrt: eine
romantische Notiz, die von einem jun
gen flotten Kriegsmann erzählt, den
unverschuldetes Unglück über den
Ocean gejagt und der nun nach langem
Verschollensein in der Heimath aufge
taucht als weithin glänzender
und der Glanz ginge nicht von Helm
und Säbelklinge aus, sondern von
einem kleinen braunen Instrument.
In der Richtung auf Gerda zu
kommt von weitem eine kleine kugel
runde Frau, in steifem, sehr fußfreiem,
blauem Kattunrock, der die blllthenwei
ßen Strümpfe in den niederen, derben
Lederschuhen sehen läßt, und schwarzer
Wollschürze in den Händen flinkes
Nadelaeklapper der Beginn eines
Kinderftrumpses.
Aus Rufweite herangekommen, hal
ten die flinken Trippelschrittchen die
Augenbrauen ziehen sich hoch, der
Mund spitzt sich wie zum Pfeifen und
die kleinen runden Aeuglein in dem
vollen Gesicht blitzen vor gutmüthigem
Spott das Ganze wirkt wie eine ur
komische kleine Humoreske.
„Hm! Hm!" macht sie mit dumpfem
Pathos, „ungeheuer poetisch! Das
weiße Kleid! Der Schleierstremel
der Arm um die Fichte Nebelwollen
Krähen Erika Hm! Hm!"
und dann flink weitertrippelnd, schalt
es resoluten Tones durch die Stille:
„Gerda! Kind Gottes, ich hab- mit
dir mehr Sorgen wie mit meinen sechs
Göhren! Da steht das in der dünnen
Fahne und holt sich den schönsten
Schnupfen! Leer im Magen und voll
im Herzen! Dorette hat prachtvolle
Apfelkuchen gebacken komm flink
nach Hause! Sag', Menschenkind,
hungert dich nicht fürchterlich?"
Gerdas fchwermüthiges Gesicht wen
det sich lächelnd sie wischt schnell
beiden dem Dorfe zu Poesie und
Prosa.
„Von vierUhr an bist du fort," schilt
die Dicke, „na sag', dreht sich dir nicht
alles um im Magen vor Hunger?"
„Gott, Paulchen, du denkst immer
nur an den Magen und seit ich dein
Gast bin —"
„Bist du noch mehr Mondscheinprin
zeß geworden," eifert Paulchen, „man
wird sagen, du hast hier nichts zu essen
bekommen! Aber das macht nur dein
dummes Alleinsein! .Du hättest ver
nünftig sein und h'eirathen sollen!
Gott nein, wenn ich so an all deine
Dummheiten denke, —im vorigen
Jahr noch der reiche Oppen Geld
wie Heu!"
„Er war mir entsetzlich gleichgiltig,
Paulchen." >
„Ach was, gleichgiltig! Ich war^auch
fried ich war einfach seelenfroh, daß
er mich nahm hätte sonst einen
Dienst suchen müssen, als dein Vater
starb na, und bin ich etwa unglück
lich?"
„Gottlob, nein, Paulchen, aber
du hast ein so glückliches Temperament
Leben nur Mühe und Arbeit die
„Kinder hin, Kinder her da hätte
ich keinen Pastor heirathen müssen,"
kichert Paulchen schelmisch wie ein
„Was hast du denn vom Leben, Gerda?
Ich plage mich mit eigenen, du mit
fremden Kindern! Ich an deiner Stelle
scher."
Gerda antwortet nicht, aber sie lä
chelt wie man das lästige, zwecklose
Plaudern eines Kindes belächelt. Was
weiß denn die kleine, dicke, praktische
Frau von einem heißen Herzen, das
! den Traum seiner Jugend nicht lassen
kann mag man sie später auch
l jetzt schon, immerhin die alte Jungfer
nennen sie bleibt sich selbst getreu.
Eine alte Jungfer. Das Wort hat
keinen hübschen Klang und nicht selten
verbirgt sich hinter ihm ein stolzesWeib,
das einst heißer liebte und geliebt
wurde, das sich mit seinen Erinnerun
gen freiwillig in die Einsamkeit flüch
tete, das es verschmähte, das Schicksal
jener Frauen zu theilen, die um.der
Versorgung willen liebeleer und einsam
durch's Leben gehen.
Millemach!....
Zwei elegante SalonZ in einem
ersten Hotel der Metropole. Lorbeer
kränze und Blumenarrangements
überall auf Tischen und Stühlen
ein schwüles Gemisch von Treibhaus
luft, neuen Juchtenkoffern und türki
schem Tabak.
Es klopft. Ein Kellner tritt herein.
„Die Herrschaften unten werden un
geduldig, gnädiger Herr, es soll servirt
Keine Antwort.
Der Diener wiederholt bescheiden
seinen Auftrag. Ein Stuhl wird ge
kopf. Das schwarze Haar militärisch
gescheitelt ein bleiches Gesicht, in
dem und Genuß mit
zugeflogen, keines hat seine Seele ge
rüttelt wie dieses Perlen be-
Tropfen fällt auf die Perlenschnur
Gerda sitzt unter den Fichten und
liest von dem Feste, das man zu Ehren
des Geigenvirtuosen in der Residenz
gegeben. Dann läßt sie das Zeitungs
blatt sinken und starrt sinnend in's
Leere herbstlich kühl weht es
Moore herüber, sie schauert zusammen.
Ein bleicher, hochgewachsener Mann
kommt leise auf die Fichtengruppe zu
seine Linke hält ein Sträußchen
Alpenveilchen er hebt die Hand, sein
duftender Gruß soll die Einsame tref
det sie den Kopf er sieht das feine
blasse Profil die Blüthen entfallen
seiner Hand - eine Perlenschnur fällt
mit geisterhaft feinem Klirren zur
Erde
„Gerda! Gerda! Gerda!"
Er kniet bei ihr feine Arme um
schlingen sie, seine Lippen küssen ihr
Haar, ihre Augen, ihren Mund und
wiederholen fortwährend das eine:
Sie ist wie betäubt und dann stam
melt sie fassungslos: „Lieber Ge
liebter wie wußtest Du? W'
„Riefen Dich?'
„Ja, mein süßes Weib meine
Gerda niemand weiß, daß es meine
Lieblingsblüthe ist niemand wie
Du."
„Und Du Du wußtest gleich
ich fühlte mich so sicher hier in dem ein
samen Heidedorf."
„Ja, das Heidedors der Stempel
auf Deiner Veilchenschachtel ich
wußte, ich fühlte Du mußtest hier
sein mein Herz sagte es mir und ich
kam. Ich fragte auf der Post, hier
beim Pastor seiest Du, hieß es, und
ach Gerda!"
Er senkt das Haupt und dann reißt
er sie in seine Arme: „Gerda, meine
Braut mein Weib! Ja, ich hatte
Dich vergessen im Taumel der Welt
nachdem ich Dich unter tausend
Schmerzen verloren, und dann mit
einemmale kam das Heimweh ganz
plötzlich, als riefe mich Jemand
ich kam nach Deutschland Dich zu
suchen und fand Deine Alpenveilchen
Gerda! Ich hätte früher kommen
können kannst Du mir verzeihen?"
Sie streichelt liebkosend die blassen
Künstlerhiinde.
„Hast Du mich denn noch lieb,
Ernst?"
„Und Du fragst noch? Du fühlst es
nicht? Gerda, Du weinst, jetzt, wo uns
nichts mehr trennt?"
„Die Perlen, Ernst Deine Perlen
mein Glück ist zu groß es gibt
auch Thränen der Freude ich hatte
doch recht Deine Perlen."
Zurück!
Fern, fern der Strand, wohin dein
Schiff du lenkst.
Gieb nur die Hoffnung auf, ihn zu er-
Am ganzen Himmel leuchtet dir kein
Zeichen,
Daß je du deinen Anker dort versenkst.
Trugbilder tauchen lockend aus dem
Meer,
Und jedem schenkst du thöricht wieder
Und schickst frohlockend alle deine Tau
ben,
Doch keine bringt dir nur ein Zweig
lein her.
O kehr zum Hafen, wo ein treues
Glück
Die Felder hütet, die dir Früchte tra-
U-n. , „
Weh, Wenn's zu spät! Du irrst, vom
Sturm verschlagen,
Und findest deinen Weg nicht mehr zu
— Immer gemüthlich. Ein
Berliner kehrt spät in der Nacht von
einer schweren Sitzung in das eheliche
Schlafgemach zurück. „Jotte doch,"
klagt die Frau, »schon zw« Uhr!
Schämst Du Dir denn jar nich, daß es
schon so spät is?" „Awer Liese, hab'
Dir doch nich so. Wäre ick zu Haus
jeblieben, na, denn wär' et doch jetzt
—Bo r s i cht ist die Mutter der
Weisheit, aber die Weisheit ist kein
Kind der Vorsicht.
Zugend.
Eines Abends saßen zwei Jünglin
ge in einem Keller und tranken Bier.
beim dritten von Tod und Vernich
tung.
Die Beiden saßen schon beim dritten
seins - Räthsel gegrübelt hatte. Noch
sang auf den Lippen, und das junge
Herz von süßer Liebeshoffnung ge
schwellt.
Nun wanderte er heim in seineKam
schmerzende Haupt voll trüber Gedan
ken. Er legte sich nieder, um zu schla
fen, aber er konnte leine Ruhe finden
Zuletzt sprang er auf. Er lonnte
diesen Zustand nicht länger ertragen.
Er tappte zu seinem Schreibtisch, wo
ein Revolver lag, den er in den Som-
Lande draußen Ratten zu schießen.
Hastig lud er ihn und spannte den
Hahn.
„Leb wohl, du unselige Welt," rief
er und schob die Mündung in dasOhr.
Aber im selben Augenblick durchfuhr
ihn der Gedanle, daß er von einer
Wahrsagerin hatte erzählen hören, die
drunten am Flusse wohnte, und die für
ein Goldstück Alle ihre Zulunft schauen
ließ.
Sollte er nicht erst einmal dorthin
gehen? Es müßte doch ganz lehrreich
sein, zu erfahren, was das Schicksal
ihm eigentlich für Leiden zugedacht
hatte!
Schnell kleidete er sich an, steckte den
Revolver in die Tasche, schlug sich den
Rockkragen über die Ohren und schlich
sich wieder durch die dunkeln, nebeli
gen Gassen.
Bald fand er das Haus der Wahr
sagerin am Flusse drunten. Ein rothes
Licht leuchtete matt über der Thür und
er sah einige vermummte Gestalten
aus dem Hause gleiten und im Dun
lel verschwinden.
Am Eingang stand ein Mann; der
fragte ihn, was er wolle. Und wie
ihm der Student sein Goldstück in die
Hand drückte, nickte er und führte ihn
eine Treppe hinab durch eine Reihe fin
sterer Gänge bis in eine gewölbte
Grotte, wo ein Feuer glühte. Dort
saß die Wahrsagerin im Lehnstuhl, zu
Füßen auf dem Schemel eine rothe
Katze, auf der Schulter eine Eule. Wie
sie ihn sah, erhob sie sich und näherte
sich ihm, setzte ihm eine Brille auf, be
rührte ihm Stirne und Brust und be
gann, ihn tanzend zu umkreisen. Es
war ihm als ob die Katze auf dem
Schemel und die Eule aus ihrer Schul
ter mit menschlicher Stimme sängen.
Zuletzt streute die Alte ein Pulver in
den brennenden Holzstoß und rief:
„Akkalaba! Akkalaba!"
Die Grotte füllte sich mit weißem
Dampf. Alles verschwand vor des
Studenten Augen, und er hörte ein
tiefes, unterirdisches Brausen, gleich
dem Meere im Sturm zur Zeit der
Tag- und Nachtgleiche.
„Was willst Du sehen?" rief die
Alte. Der Student besann sich. Dann
antwortete er bebend:
„Mein Alter."
Der weiße Nebel hob sich vor seinen
Augen und er schaute in eine armse
lige, nackte Stube, wo auf einem Bette
ein Alter ausgestreckt lag unter Lum
pen und Fetzen. Sein Haupt war mit
Wunden und Geschwüren bedeckt,
krampfhaft wand er sich auf dem La
ger und grub sich die Nägel in die
Brust, stieß wilde Schmerzenslaute
aus, die in der leeren Stube widerhall
ten. Am Fußende des Bettes saß eine
ältliche Frau mit mürrischem Antlitz
und strickte.
„Na, na schrei doch nicht so,"
brummte sie und wechselte die Nadeln.
„Was kann denn das nützen, wenn
Du so daliegst und, heulst? Denk'
doch daran, was der Doktor sagte, daß
Du Dich in Geduld üben solltest; es
wird doch in diesem Leben nicht mehr
besser mit Dir. Man muß eben den
Kampf auskämpfen .... dagegen ist
nichts zu machen."
Mehr hörte der junge Mann nicht.
Wieder sammelte sich der weiße Ne
bel vor seinen Augen, wieder ließ sich
das tiefe unterirdische Brausen hören.
„Was willst Du sehen?" fragte die
Wahrsagerin auf's Neue.
Er sann einen Augenblick nach;
dann rief er: .Mein Mannesalter!"
Der Nebel verschwand und er sah
Teppichen, Geldschrank und schweren
Vorhängen. Ein kleiner kugelrunder
Herr mit weißer Weste, goldener Kette
und nieder.
An der Thüre stand in demüthiger
Haltung ein ärmlich gekleideter Mann,
Miethe nicht bis heute Nachmittag 6
die Straße gesetzt. Das steht fest!"
„Ach Herr, Herr, —" bat der an der
Thüre Stehende? .der Winter war so
schwer für mich; meine Frau ist todt,
ich bin vier Monate im Krankenhaus
gelegen —"
„Ja, das habe ich zur Genüge ge
hört."
„Seien Sie doch barmherzig, Herr!"
„Gewäsch! Schlag Sechs ziehen
Sie aus!"
„Aber wo soll ich hin? Denken Sie
doch, ich habe einen Sohn und eine
Tochter..."
„Daran brauchen Sie mich wirklich
nicht erinnern. Ihre Tochter ist eine
Dirne, .... das Wissels Sie ganz^gut!
denn, daß ich so eine Familie im Haus
behalten will?"
Der Mann an der Thür senkte be
„Darum nützt alles Betteln nichts,"
wiederholte der Wirth. „Ich weiß ganz
gut, daß Sie selbst ein anständiger
und strebsamer Mensch sind; aber von
anständigen, strebsamenMenschen kann
Schlag sechs sind Sie aus meinem
Hause oder ich hole die Polizei. Ver
stehen Sie?"
Der Nebel füllte wieder den Raum
und das Bild verschwand. Aber der
Student war so erschüttert von dem ei
genen Zukunftsbild, von dem Elend,
das ihm bevorstand, daß er schon den
Revolver aus der Tasche gezogen hat
te, um auf der Stelle des Geschickes
Fäden zu zerreißen und seinen Namen
„Was willst du sehen?"
spannte den Hahn.
„Drei Fragen sollst Du thun! Eine
ist Dir »och frei. Was willst Du se
hen?" wiederholte sie.
„Nun gut. Laß mich meine Jugend
sehen." Aber er legte den Finger, zum
Abdrücken bereit, an den Hahn.
Zum dritten Mal hob sich der Nebel
und er sah in einen entzückenden Gar
ten, der süß nach Blumen duftete. Es
war Abend. Im Gebüsch schlug die
Nachtigall liebessehnsüchtig und durch
die dichten Blätter streute der Mond
silbernes Licht über die Wiese. Auf
einer Bank unter schattenden Buchen
kronen saß ein Liebespaar. Hand in
Hand und Wange an Wange. Da
flog ein Zittern durch den Körper des
Studenten. Er erkannte sein eigenes
blondes Haupt unter der weißen Mütze.
Aber wer war das junge, sanft erra
thende Mädchen mit dem blauschwar
zen Haar? ... Nun hob sie das Haupt,
nun bot sie ihm die blühenden Lippen.
„Jngeborg!" schrie er auf, warf den
Revolver zur Erde und stürzte fort
hinaus ins Leben.
Da erwachte er auf seinem Lager.
Furchtbare Rache.
Der Komiker Kastenzieher eine
Hauptstütze der kleinen Schauspiel
truppe machte sich ein Vergnügen
daraus, in seinenßollen der Reihe nach
die Väter der Stadt zu copiren. Den
Bürgermeister hatte das bisher riesig
belustigt bis Kastenzieher ihn plötz
lich eines TageS selbst auf die Bühne
chen Earicatur, daß er allgemeinen
Beifall erntete.
Jetzt war das Stadtoberhaupt wü
thend, und am Adend fand beim „gol
denen Krügl" im Nebenzimmer große
Verschwörung aller Gekränkten statt.
Pläne wurden geschmiedet und verwor
fen; endlich fand man das Richtige.
Das sollte den kecken Frevler in die
Seele treffen!
Am nächsten Sonntag war Kasten
ziehers Benefiz angesagt und er hasste
auf eint große Einnahme. An diesem
Abend nun sollte keiner der Herrn im
Theater erscheinen. Bor einem leeren
Hause sollte der kecke Spötter spielen
Beschluß herumgesagt die Strafe
mußte eine fürchterliche werden.
Der Bürgermeister lachte hämisch,
als er sich am Sonntagmorgen das
lange Gesicht vorstellte, das Kastenzie
her heute Abend machen würde. Diese
enttäuschten, gefolterten Mienen anzu
sehen. wäre eigentlich der höchste, raf
finirteste Genuß, den man sich nicht
entgehen lassen sollte.
Gesagt gethan! Heimlich ließ
sich der Bürgermeister ein Billet besor
gen und betrat damit Abends voll bos
hafter Erwartung den Theatersaal.
Aber welch' Entsetzen! LautesStim
mengewirr schlug an sein Obr, Kopf
an Kopf war das Theater gefüllt. Al
les war ausverkauft! Und in den vor
dersten Reihen Mann für Mann
mit verblüfften Gesichtern sämmt
liche Verschworene! Nicht Einer fehl
te! Jeder von ihnen hatte gedacht
wie der Bürgermeister und sich, gleich
ihm, seines Triumphes freuen wollen.
Kastenzieher, der von dem Plan er
fahren hatte, soll nie ausgelassener ge
spielt haben wie an diesem Abend.
Viele Freunde »«schwei
gen uns unsere Schw Ahe«, um sie An
deren mitzutheilen.