Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 19, 1898, Page 2, Image 2

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    2 Moderne Euren.
, ' Von E. Vöhl.
In dil,irres Nachsinnen versunken,
saß Herv Mathias Junghans am Zen
sier, während ihm sein« Frau beruhi
gend mit ihrer weichen Hand überKopf
und Wangen strich. Draußen blinkte
der Frühlingssonnenschein und er
wärmte di« köstliche Luft, die durch
die geöffneten Fensterflügel strich.
„Jetzt ist mir wieder ein bisse! bes
ser," antwortet« Herr Junghans leise
auf den ängstlich forschenden Blick sei
ner Frau. „Aber früher. . . ich hab'
rein geglaubt, ich muß «sticken von
dem Druck. . . so ist's mir auf der
Brust gelegen. Mein Gott, mein Gott,
hab' ich mich dazu vom Geschäft z'rück
gezogen, daß ich schon als Mann mit
fünfzig Jahren sterben soll? Jetzt,
wo wir so sorgenlos, rein nur zu un
serem Vergnügen leben könnten? Ich
sag' Dir, Tini, ich bin oft ganz ver
zweif«lt."
„Aber Matz'k, nimm' Dir doch nit
jede Kleinigkeit so zu Herzen. Schau',
Du bist halt in der letzten Zeit ein bist
sel zu stark word'n und das macht die
Beschw«rdcn. Dann weißt, im Früh
jähr spürt fast jeder Mensch was.
Wirst seh'n, wenn ich Dich noch ein
paarmal mit Franzbranntwein ein
reib', so vergeht Alles. Der Franz
branntwein brennt jede Krankheit
aus'n Körper 'naus. Ab«r Wenns D'
kein Vertrauen mehr zum Franz
branntwein hast, na so lass'n m'r halt
unsern Doctor hol'»; ich hab' Dir's ja
längst antrag'n."
Der Patient schüttelte traurig den
Kopf. „Ja," sagt« er, „wenn die Un
tersuchung nicht wär'! Wer weiß, was
ich da zu hören krieget! G'wiß hab'
ich ein' Herzfehler oder so was.
Nein, ich hab' di« Courage nicht, mich
untersuchen z'lassen. Nein und tausend»
mal nein!"
„Aber, Patscherl, Du brauchst Dich
ja net untersuchen zu lassen vom Dort
tor. Sag' einfach, Du bist zu kitzlich
dazu. Probir's übrigens einmal b«i
dem Naturarzt, der gleich um's Eck
wohnt, der soll schon recht schöne
Euren gemacht haben ; der hilft Dir
vielleicht auch, ohne Untersuchung.
G«h', Matz'l, geh' thu' Lieb'!"
Herr Mathias Junghans begab sich
zu dem Naturarzte i»nd schildert« die
sem seinen Zustand auf das Genaue
ste.
„Kenn' ich," sagte der Naturarzt,
„brauch« Sie gar nicht weiter anzuse
hen. Ihr ganzer Organismus ist ver.
pestet mit Leichengift."
Der Patient schnappte fast zusam
men vor Schrecken. Seine Beklemmun
gen traten stärker auf als je und mit
Mühe brachte er die Worte heraus:
„Um Himmelswillen, wie komm' ich
zu Leichengift?"
„Weil Si« täglich Kalbsleichen, Och
senleichen, Fischleichen und dergleichen
verzehren. Oder," fuhr der Naturarzt
in strengem Tone fort, „woll«n Sie
etwa leugnen, daß Si« unter dem Na
men Schnitz«!, Rindfleisch, Schöpser
nes und so weiter Tag sür Tag Be
standteile eines Thiercadavers ver
zehren? Ja, noch mehr, Sie nehmen
in Form gesottener Milch gewisserma«
Ben auch Milchleichen zu sich, durch ge
kochtes Geinüs« und Obst Pslanzenlei
chen und dergleichen naturwidriges
Zeug mehr. Die einzig« natürliche
Nahrungsweise aber ist die Rohkost,
verstehen Sie mich, rohes Gemüse, ro
hes Obst, rohe Milch..."
~O, Du m«in Gott!" seufzte der
„Ja, da kann ich Ihnen nicht h«lfen,
dieses Regime müssen Sie «inschlagen,
sonst wird Sie der Teufel holen!" pol
terte der Naturarzt.
„Es scheint, daß zu den sonstigen
Roheiten dieser Cur auch eine rohe
Behandlung gehört," dachte HerrJung
hans, hütete sich aber wohl, dies aus
zusprechen.
„Und das ist nicht Alles," vollendete
der Naturarzt. „Was glauben Si«
d«nn eigentlich von Ihrem Unt«rl«ib?
Meinen Sie, daß sich der menschliche
Unterleib auf die Dauer die Behand
lung g«fall«n läßt, die ihm zu Theil
wird? Wie lang« hat Ihr Unterleib die
Sonne nicht gesehen?"
„Die Sonne?" fragte Herr Jung
hans ganz verblüfft.
„Ja, die Sonne."
„Nun, seit dem letzten Donaubade
bei Holzer, also seit August vorig«n
Jahres."
„Und Si« Verblendeter glauben, daß
diese andauernd« Lichtentziehung nicht
endlich zur Entartung Ihres Unterlei
bes sühr«n muß? Hat nicht jedes Ge
schöpf auf Erden das Bedürfniß nach
Licht? Könnt«n Si« leben, wenn Sie
mit Ihrem Haupt« nicht im Lichte
wandelten? Aber der arme Unterleib
soll sich die ewige Finsterniß unter
Ihren zwei Paar Hof«n, unter Hemd,
Unterjacke, Gilet und Rock bieten las
sen, ohne dagegen aufzumucken? Den
ken Sie nach, Mensch, ob Sie gerecht
waren bisher gegen Ihren Unterleib,
den Sie s«it Ihrer frühesten Jug«nd
schuldlos im Dunkel eines Kleiderge
fängnisses gehalten haben!"
„Aber Herr Doctor, ich kann doch
nicht. .
„Sie können nicht? Sie müssen.
Sie werden Ihren Unterleib von jetzt
an belichten, Herr, belichten durch
Sonnenbäder b«i Tage, und bei Nacht
durch starke Strahlen elektrischen Lich
tes, die Sie unter die Decke Ihres Bet
tes auf Ihren Berdauungsapparat lei
ten. Das wird Sie oben im Schlafe
durchaus nicht stören."
„Wir beleuchten aber unsere Woh
nung blos mit Petroleum."
„Dann lassen Si« die Elektricität so
bald als möglich einleiten."
„Ein Nachtlicht mit einem Schein,'
w«rfer thät'S nicht, Herr Doctor?"
„Zum Henker, nein! Und essen Si«
»oh« Kartoff«l, rohen Salat, rohe
Kohlrüben und dergleichen leicht der»
bauliche Gemüse. Etwas Anderes
kann ich Ihnen nicht rathen. Aber
das wird Ihnen helfen, weil es di«
Rückkehr zur Natur ist. Ich empfehle
mich!"
Als Herr Junghans seinerFrau von
diesen Rathschlägen Mittheilung mach
te, nannte sie den Naturdoctor «inen
entmenschten Vieharzt und drang da
rauf, daß ihr Mann (nach einer Ein
reibung mit Franzbranntwein, die sie
ihm lliigedeihen ließ) allfogleich einen
berühmten Kneipparzt aufsuche.
»
„Johann, bringen Si« den Vauch
guß!" befahl der Kneiparzt, als er
aufmerksam die Krankengeschichte un
seres Patienten bis zu Ende verfolgt
hatte.
Der Diener erschien mit einer fla
chen Wanne und einem Wasserkübel.
Herr Junghans mußte sich entkleiden
und der Kneipparzt sagte humoristisch:
„Wohl, nun kann der Guß beginnen,"
indem einen kalten Wasserschwall über
d«s Neulings Unterleib ausgoß.
Mit einem jähen Aufschrei sprang
der Patient aus der Wanne, rang n»ch
Luft und stöhnte, auf einen Sessel nie
derfallend:
„Ah weh. . . ah weh. . . mich trifft
der Schlag... aber so erschrecken, Herr
Doctor, aber so kalt!"
„Das ist nur das erste Mal," lachte
der Kneipparzt; „wir haben einSprich
wort: Das kalte Wasser, wenn man 's
kennt, ist ganz wie warm's, weil 's
g'rad so brennt. Sie werden sich schon
daran gewöhnen. So, und jetzt blei
ben Sie gleich so, ich werd' Jhn«n den
Er wickelte ein großes Leintuch zu
sammen, befeuchtete «s und drehte den
Patienten hinein, daß diesem schier
das Schnaufen verging.
„Den Bauchwickel müssen Sie Tag
und Nacht tragen. Und wenn Sie
Gelegenheit haben, machen Sie gleich
zeitig die Rusticalcur: Stall ausmisten,
Holzhacken, Steineklopfen, Raufen u.
f. w., wird Ihnen gut thun. Aber den
Bauchguß nicht vergessen, der ist das
wichtigste!"
Mehr todt als lebendig kam Herr
Junghans zu Hause an. Der Bauch
wickel trieb ihm fast di« Augen aus
dem Kopse heraus und steigerte seine
Brustbeklemmungen derart, daß nichts
übrig blieb, als ihn aus dem Leintuch
eiligst herauszuschälen. Frau Jung
hans rief durch Franzbranntwein mit
Salz die Lebensgeister des verunglück
ten Kn«ippnovizen wieder zurück, er
klärte aber zugleich: „Jetzt gehst zu ein'
Specialarzt, Matzl. ich kann das Elend
nicht mehr anfchau'n!"
» » »
Der Specialcrrzt prüfte mit kriti
schem Blicke die Leibesfülle seines Pa
tienten, der in feister Stattlichkeit vor
ihm stand. Dann sagte er, auf jedes
Wort Nachdruck legend:
„Mann, Sie sind ja halb verhun
gert!"
„Ich?" rief Herr Junghans mit
bitterem Lachen aus, „ich verhun-'
gert? Mit meinen neunzig Kilo? Sie
machen sich einen Spaß aus mir, Herr
Doctor."
Ein kaltes Lächeln erschien auf dem
Gesichte des Specialarztes.
„Sie sind nicht der erste, der so naiv
daherredet. Sie mögen ja nach Ihrer
laienhaften Ueberzeugung genug essen,
aber Sie essen nicht das Richtige, nicht
zur rechten Zeit und nicht unter den
richtigen Umständen. Sie werden Ihre
Hauptmahlzeit um Mitternacht halten,
weil Sie dann Zeit zum Berdauungs
fchlafe haben. Nie darf Somatofe auf
Ihrem Tische fehlen. Um Mitternacht
essen Sie Fisch und dr«i Fleischspeisen
und trinken saure Milch dazu, minde
stens zwei Liter. Um zehn Uhr Vor
mittags stehen Sie auf, essen fünf
Salzgurken und ein« große Schachtel
Sardinen. Dann schlafen Sie wieder
bis fünf Uhr Nachmittags, um welche
Zeit Ihnen eine Hammelskeul« oder
«ine ähnliche Kleinigkeit vorgesetzt
wird, die Sie mit zwei Gläsern Le
berthran würzen. Verspüren Sie in
der Pause bis Mitternacht Hunger, so
essen Sie getrost einige Paar gefüllte
Schwalbennester mit Rothkraut oder
sechzig bis siebzig nackte Austern in
Essig und Oel i»mi- l-c bonul!
Nur auf dies« Weise werden
Sie sich rationell ernähren und können
Ihre Beschwerden verlieren. Ja, apro->
Pos, bald hätt« ich vergessen: Waschen
dürfen Sie sich, während der ganzen
„Auch das Gesicht nicht, Herr Doc
tor?"
„Auch nicht, gewiß nicht. Sie
f«n nämlich eine sanfte Schmutzlruste
bekommen, welche die Ausscheidung
kostbarer Säste verhindert. Sie sind
so ausgehungert, daß jede überflüssige
Absonderung verhindert werden muß.
Wasser ist das Schlechteste sür Ihren
Zustand. Sie keinen Au-
Mathias Junghans so betrübende An
fälle, daß der Specialarzt sicherlich
diagnostizirt haben würde, es sei bei
gesund," versicherte der Hausarzt nach
sorgfältiger Untersuchung. „Ziehen
Sie sich ruhig wieder an, gehen Sie
nach Hause und beruhig«» Sie Ihre
Frau."
Herr Junghans, Im Begriffe, ob die
ser Botschaft eine strahlende Miene an
zunehmen, ward während des Antlei
dens plötzlich wieder düster. Er schöpsie
tief Athem und entgegnete:
„Da, im Moment hab' ich sie wieder,
meine Bellemmungen. Sehen Si«,
Herr Doctor, hier. . . hier drückt es
mich so, ich kann nicht frei Athem ho
len. Was das nur ist!" Er wies zag
haft auf seine Brust.
Der Hausarzt that einen Griff un
ter die Weste des Patienten. Ein La
chen verbeißend, nahm er sodann ein
Instrument vom Tische und sagte zu
dem bestürzten Patienten:
„Kehren Sie sich einen Augenblick
um: da kann nur das Messer hel
fen!"
Und ehe der geängstigte Mann noch
wußte, wie ihm geschah, trennte das
Messer des Arztes knarrend die Naht
vom hinterenTheile der Weste, bis dies«
weit auseinanderklaffte.
„Nun, Herr Junghans, verspüren
Sie jetzt noch Beklemmungen?" fragte
der Arzt heiter.
Tete der Patient, erleichtert den Brust
korb dehnend.
„Nun, sehen Sie, wie rasch die Ope
ration gewirkt hat. Aber Sie müssen
stn, die Ihnen zu eng geworden sind.
Auf die Klinik brauchen Sie deshalb
nicht zu gehen, Ihr Schneider wird's
auch treffen, Sie unverbesserlicher
Hypochonder, Sie!. . ."
Maus.
Der Spaß war zu Ende! Mit ge
brochenem Fuße trugen sie ihn fort. Er
stöhnte.
strengt hätte! Er hatte Zeit, über sein
war? Heute kamen ihm zum ersten
Male Zweifel daran. Die braven Alten
hatten es gut gemeint, und er hatte
vorgehalten. Heute vermißte er sie.
die kleine zärtliche Mutter, den stets
hilfbereiten Vater. Er wäre nicht so
gleichgiltig.
Er hatte studirt, wie das so der
Brauch ist, nicht allzuviel, nur um
der ihn wirtlich liebte! Alle Men
ne» ertragen und wie sie vor Glückse
ligkeit gestrahlt hatt«, wenn er sn seiner
Lieb« versicherte!
Sie war eine kleine Schauspielerin
spie te sie mit großer Ee
und sah allerliebst aus. Das fanden
Wohl' getröstet haben. . .
Merwiirdig! Jetzt, da er so ver
lassen lag, mußte er an sie denken,
Es klopfte. Der Wärter trat ein.
er konnte. „Eine Dame? Hat sie ihren
Name» nicht genannt?"
„Doch, si« sagte Maus!"
Der Wärter schmunzelte über den
drolligen Nainui.
„Maus?! Wär's möglich, wäre sie
es? So hatte er sie stets genannt, wenn
letzten Worte noch?"
gehe doch nicht! Ich habe Urlaub und
daher Zeit. Ich will Dich Pflegen.
Wenn Du gesund bist, gehe ich wieder
meiner Wege."
Sie sagt« <s lächelnd und hielt taxser
seinen forschenden Blicken Stand. Sie
hatte sich sehr «rändert, ihr« zierliche
Gesicht war noch blasser geworden und
vor der Zeit verblüht. Nur die schö
nen großen Kinderaugen und das lieb
erheitern bin ich gekommen." Er em
pfand die Güte di«fes einfachen Mäd
chens tief.
„Erzähle mir von Dir!" bat er.
„Nein, nein." wehrte si« ab, „später,
wenn Du gesund bist." Als er aber
nicht nachgab, und um ihn nicht zu er
regen, begann sie:
„Das Theater gab ich bald auf, die
Kunst hat nichts an mir verloren. Du
weißt es. Harry. Ich trat in ein Ge
schäft ein, und da ich das Rechnen ver
stand. bekam ich die Bücher, ich lernte
in den freien Abendstunden die Buch
führung und bin nun wohlbestallte
ches für die Kleider zustecken. Vier Wo
chen Urlaub habe ich im Jahr. Ich
habe sie jetzt statt im Sommer erbeten,
weil ich von Deiner Krankheit hörte
und dachte, daß Du mich vielleicht
brauchen könntest."
seiner Wohnung zurück. Der Bruch
war gut geheilt, der Fuß mußte nur
noch ein io«nig beim Gehen geschont
ihren Thränen.
Sie hatte sich entschieden dagegen er
klärt, ihn auch in seiner Wohnung zu
besuchen,und er konnte die Gründe ihrer
Weigerung bei ehrlicher Prüfung nur
gutheißen. Ja, sie imponirte ihm so
gar, die kleine Maus.
Ab«r er war sehr verstimmt, und
das Trennungsweh ging ihm näher
als er je für möglich gehalten hätte.
Er wird sie sehr oermissen. Aber
warum? Ist er nicht frei? Hat er ei
nem M«nschen Rechenschaft abzulegen?
Warum mußte er sich von ihr trennen,
die ihm unentbehrlich geworden war,
die ihn mehr lieble als ihn je ein
Mensch, seine Mutter ausgenommen,
! geliebt hatte.
> „Maus," begann er und seine
! Stimme klang zärtlich wie noch nie.
„Maus, ich lasse Dich nicht niebr. sei
mir" in Wahrheit das. was ich D cb gel
! Ileine Frau."
I „Harry!" Wie Jubel klang's. Dann
! legte sie ihr Gesicht in die und
Den, Schmerz konnte sie widerstehen,
das Glück fand sie fassungslos.
Er streichelte ihr das lockige Köpf
Dann sagte sie mühsam mit ver
schleierter Stimme:
, danke Dir."
Kräfte. Draußen sank sie an der Thür
nieder und küßte dasHolz der Schwelle,
die er morgen, ein Gesunder, über
las das ernste Haus.
Am nächsten Tage, als ihn wieder
der Luxus seines Heims umgab, erhielt
„Mein lieber Harry!
Wir seh«n uns nie mehr wieder,
forsche nicht nach mir, denn Du wur
dest mich doch nicht finden. Ich danke
Dir für Deinen großmüthigen Antrag,
nie würde ich ihn annehmen, denn >ch
liebe Dich zu sehr, um Dich »ngliick,.ch
zu machen. Wir passen nicht zu ein
ander. Sollte Dir dieser Brief Leid
verursachen, so verzeihe mir, die Zu
kunft wird mir Recht geben. Leb' wohl,
Du wirst bald vergessen Deine
Maus."
Der Brief sank ihm aus den Hän
den, er starrte vor sich hin, nach !.m-
McrkwürKigc Gcwolmlicitc».
Die Gewohnheit ist eine grausame
Tyrannin diese Erfahrung haben
rer. Die Gesellschaft dieser Vierfüßler
soll auch ChärlesDickens gearbeitet ha
ben. Auf seinem Schreibtisch befand
sich eine große Anzahl von zierlich aus
geführten, winzig kleinen Bronzefigür
chen; waren diese alle an ihrem Platze,
so schien sein Geist Zauberslügel anzu
legen und er konnte stundenlang unun
terbrochen arbeiten. Außer diesen sei
nen Fetichen mußte auch stets blaue
Tinte vorhanden sein, da Dickens mit
schwarzer nicht schreiben zu können sich
einbildete. Jules Michelet. der be
rühmte französische Geschichtsschreiber,
der während f«ines langen Lebens ein
überaus fleißiger Arbeiter gewesen ist,
besaß eine sonderbare Vorliebe sür
große Kisten und Kästen, in denen er
seine Papiere aufzubewahren pflegte.
Sie standen 40 Jahre in seinem Stu
dirzimmer, ohne daß er jemals daran
dacht«, sie durch neue zu ersetzen, was
thatsächlich inzwischen nothwendig ge
worden war. Ein Blick auf diese treuen
Gefährten seiner Arbeit das Be
wußtsein ihrer Gegenwart allein schien
seinen Gedankenflug zu beschleunigen.
Vornehme Damen machten sich einVer
gnügen daraus, ihn in dieser Eigen
thümlichkeit insofern zu bestärken, als
sie ihm zierliche, kunstvoll gearbeitet«
und bisweilen sehr werthvolle Kästchen
als Geschenk übersandten, die Michelet
jedoch ohn« Weiteres zurückschickte oder
unbenutzt umherstehen ließ. In gleicher
Weise blieb er der mit Löchern und
unzähligen Tintenklecksen versehenen
Decke auf seinem Arbeitstisch treu.
Joseph Haydus Talisman soll ein ein
facher Ring gewesen sein, den er stets
am Finger trug. Hatte er ihn einmal
len nichts schaffen. Er selbst hat oft
erklärt, daß er sich ohne den Ring ei
gentlich dumm vorgekommen wäre;
und «r sah das Kleinod nicht an seiner
Hand, so hatte er die Empfindung, als
sei jede schöpferische Kraft in ihm total
lahmgelegt. Im Scherz äußerte er einst
zu einem seiner Freund«, daß alle seine
Kindermund. Fritz (der
gelochte Krebse sieht, zur Mama):
„Du, Mama, sind die auch ge
schminkt?"
Bas Erröthen.
Anblick, als das schamhafte Erröthen
des Antlitzes eines jungen Menschen
kindes: es zeugt von der Unerfahren
der Empfindungen. verschönt und
geistig! selbst gewöhnliche Züge. Es
ist wie der goldige Sonnenstrahl, der,
die sich'ein ' empfindliches Seelenleben
Mit dem Alter verliert sich diese
Wallung des Blutes nach den Haupt
gesäßen, besonders nach denen des Ge
sichtes. Es wird dabei die Thätigkeit
gewisser zarter Nervensäserchen. die in
d«n feinen Blutgefäßen unter der Haut
seelischer Vorgang ist.
Indessen ist das Erröthen nicht das
ausschließliche Erbtheil der Damen;
auch bei Jünglingen und Männern
findet es sich und bildet oft eine Ur
gung. Das Erröthen gilt nun ein
mal als unmännlich. Deshalb fühlen
sich die Männer, die ihm unterworfen
sind, unglücklich, und weil sie sich be
wußt sind, daß sie «rröthen. verlieren
sie ihre Sicherheit und erröthen von
neuem. Sie begnügen sich nicht mit
der Erklärung, daß das Erröthen eine
Thätigkeit des Nervensystems ist, son
dern erblicken darin ein« Unzuläng
lichkeit, ein Zeichen mangelnder Män
nlichkeit, und werden menschenscheu.
Sie denken fortwährend daran, und
schon die Erinnerung, daß sie in der
Gegenwart anderer erröthet sind, treibt
ihnen auch in der Einsamkeit, die
Schamröthe in's Gesicht.
Diese Unglücklichen sind von der
Furcht vor der Schamröthe besessen,
die zu einer wirklichen Krankheit aus
arten kann, und der Eindruck, den sie
machen, ist ganz verschieden von dem,
den «rröthende junge Mädchen hervor
bringen. In ihrer Hilflosigkeit sind
sie bedauernSwerth, und ihr Unglück
wird dadurch noch vergrößert, daß sie
das Uebel herannahen fühlen. Die
Furcht vor dem Erröthen ist eine eben
so wirtliche und unangenehme Krank
heit. wie die Platzfurcht. Nach der
Schilderung der Erröthcnden suhlen
sie es vom Inneren des Körpers wie
eine Schwäche bis zu den Schläfen
aufsteigen, das Blut gerälh in Wal
lung, und sie suhlen ein leichtes
Prickeln, als ob es durch leise Nadel
stiche hervorgebracht würde.
Die Furcht vor dem Erröthen findet
man häufig auch bei Frau«n; sie fällt
jedoch beim zarteren Geschlecht nicht
so aus und nimmt auch leinen so hefti
gen Charakter an. wie beim Manne.
Bei den Frauen ist es mit dem Aerger
abgethan. Die Witterung ist von
großem Einfluß auf sie. Trockenes
Wetter kräftigt sie. bei Regenwetter
dagegen sind sie ihrem Uebel sehr stark
unterworfen, und sie hüten das Zim
mer. Sie fürchten sich, eine belebte
Straße zu überschreiten aus Furcht,
die Leute könnten ihnen in's Gesicht
sehen, worüber sie erröthen müßten, so
daß sie in Verwirrung gerathen wür
den. Ein Wort, die Begegnung mit
ein«m Unbekannten, selbst das Ge
räusch eines heranrollenden Wagens
setzt sie in Verwirrung und treibt
ihnen die Schamröthe in's Gesicht
über ihre Schwäche, wegen der Gering
sügigkeit erröthet zu sein.
Interessant sind die Mittel und
Auswege, welche di« Erröthenden an
wenden, um ihre Schwäche zu verber
gen. Auch bei jungen Mädchen kann
man schlaue Manöver zur Verdeckung
ihres Gesichtes beobachten. Bei den
Männern dagegen sind diese Mittel
einfach pofsirlich. Der eine drückt sich
den Hut tief in die Stirne und giebt
sich das Aussehen eines übermüdeten
Menschen, der andere öffnet seinen Re
genschirm, auch wenn es nicht regnet;
ein dritter spielt den Verschnupften
und sührt fortwährend das Taschen
tuch zum Gesicht, oder er trinkt, damit
die Weinröthe die Schamröthe bedecke,
oder aber er greift zur Puderquaste.
Diese nervöse Krankheit ist neuer
dings von d«n Aerzten öfter beobachtet
und studirt worden, doch sind sie, wie
es scheint, über die Heilung noch nicht
einig. Die einen schlagen die Be
handlung durch Hypnose vor. Daß
nervös« Erkrankungen durch diese
Hypnose kurirt werden können, ist
längst festgestellt, und da es sich beim
Erröthen immer um Nervöse handelt,
scheint der Erfolg nicht ausgeschlossen
zu sein. Doch ist der natürlicher«
Weg der Stärkung des gesammten
Nervensystems und der körperlichen
Abhärtung wohl d«r sicherere, wenn
auch der längere.
- De rAla r m ru f. Feldwebel:
Fester (vl aube. Lehrer:
„Töffel, welche Gestalt hat die Erde?"
Töffel: „Eine runde!" Lehrer: „Und
Zwel fatale Möglich
keiten. Junger Arzt (der «ndlich
«inen Patienten bekommen): „Wenn er
Ku sollst tyr Herr fem!
(Münchener Gerichisl-ine.»
Gegen einen Strafbefehl hatte der
Kaufmann Julius U. Einspruch erho
ben. Herr 1., ein großer starker
Mann, Mitte der dreißiger Jahre,
läßt seinem Aeußeren nach durchaus
nicht vermuthen, daß er zu jenen Vie
len gehört, die unterm sonst als süß
bezeichneten Ehejoch seufzen müssen,
weil es ihren usurpatorischen Gattin
nen ohne viel Mühe gelungen ist. die
Vorherrschaft im Haushatte zu errin
gen. Trüben Sinnes sitzt der Be»
dauernswerthe auf der Bant, hinter
ihm die bevorrechtete Gattin, ein grob
knochiges starkes Weib mit harten mit
leidlosen Zügen und einem finsteren
Ausdruck, als wenn sie bereits den
Prozeß verloren hätte.
Richter: Sie haben wegen nächUi
handlung noch bestehen? Es wäre
besser, wenn Sie den Einspruch Hurück
zieben würden.
nichts zu sagen. Wollen Sie auf dem
Einspruch bestehen?
Der Angeklagte drehte sich schüch-
Angekl.: 's war zum ersten Mal,
zwar weil 's d' Neujahrsnacht gewes'n
ist und weil Jeder sagt, dös wär' a
den spotten deswegen über mi und i
laß mir dös g'sallen, weil i weiß, daß
d' Nachgiebigkeit a ganz vorzügliche
Tugend is, aber am Sylvesterabend da
wird ausgegangen, da hat mei Haus
haltungsvorstand nix z'sagen. Ich
geh' also zu meine Freund ins DingS
bräustüb«rl, und die empfangen mi
geradezu großartig. Der Wirth
schreit: Uijegerle a seltener Gast. I
thät an Ofen z'fammafchlagen, wenn
mer «ahm jetzt net so nothwendig brau-
Ut-n ryal. Äle Ge,eUichaft stimmt
meinerwegen a schneidige Wehr an,
der breite Verwalter hält an Vortrag
über Mannesmuth und den Werth der
Frauen, all's wär wunderschön gegan
gen, da bemerkt der spitzfindige Sekre
tär: „Das dicke End kommt nach,
wenn er heimkommt. Mindesten^
arten und werd' damit ausg'lacht.
Nun proponirt der Melb«r, der mir
gegenüber wohnt, «ine Wett zu zehn
Flaschen Schampcs gegen vier Paar
Kreuzerwürstl, wenn i mir heimz'geh'n
trauet und in die Hausschuh' wieder
kommen wollt'. Diese Auszwickereien
wurden mir z'dumm, und obwohl die
g'schaugt wie die Schwalbeln. Der
Melder behaupt', daß i entweder von
meiner Frau oder daß mei'
sei, und verweigert d' Bezahlung der
Wett'. I will g'rad wild werden, da
geht d' Thür auf und mei' Frau war
leibhaft!' da. Der Melber ruft: alle
gis- statt d' Silvesternacht sei. I
Mensch! Miserabler Kerl! Die Än
lich heimbringen, sonst gäbet's a gräß
lich's Unglück....
Richter: Und weil der Vernünftige
heimkommst'
Der Beklagte, von schlimmsten
Ahnungen erfüllt, brachte kein Wort
weiter heraus, seine Frau wurde we^
Sache verjährt wär«. Ungeachtet die
ses einen Trostes war der Weggang
des Angettigten nicht freudig.