Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 01, 1896, Page 3, Image 3

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    <ll. Fortsetzung).
Gertruds Boudoir, das nach dex
Straße lag, zeigte Licht, das hatte e:
wie heimathlos durch sein- Räume ge
irrt, begab er sich zu ihr. Als wenn er
bei der Preußin Rath und Schütz zu
nen Landsleute....
Auf Gertruds Drängen hatte er
endlich die Szene geschildert. Bei dem
Erscheinen Lasosses entfuhr ihr ein
kurzer Ruf der Verwunderung. Was?
nicht weichen ei, ei!"
„Du weißt noch nicht, was die Gas
senbuben für eine Macht in Paris
und damit in Frankreich bedeuten —"
„Ab-r was will man Dir anhaben,
Papa?"
„Weißt Du denn noch nicht, daß so
gar Viktor gegen uns ist?"
„Seinen Haß, o, der. kenne ich, aber
er wird ihm doch nicht die Vernunft
verwirren, daß er gegen sein eigen Blut
wüthet!"
„Arme Gertrü —" und der Alte
streckt- ihr seine breite fleischige Hand
hin. „Du weißt noch nicht, wessen der
Fanatismus sähig ist. Er schreitet ohne
Besinnen über di- Leichen des eigenen
Glückes und der eigenen Ehre. Hat
Viktor denn nicht ossen heraus das
Verlangen an mich gestellt, daß die
Finna die Verbindung mit Deinem
Vater ausgeben soll?"
„Unmöglich! Ist er wahnsinnig?"
Jaminet hob die Schultern. „Es
würde den Bankerott unseres wie Dei
nes väterlichen Hauses bedeuten. Wir
sind aus dies« Verbindung angewiesen.
Sie besteht von den Eltern her; sie ist
einfach unsere Existenz. Geben wir sie
auf, so sind wir verloren."
„Was? Und er dächte ernstlich da
ran —?"
„Er hat mir diesen Selbstmord in
aller Form vorgeschlagen gestern
noch."
„Er ist von Sinnen! Laß mich, Pa
pa, ich werde mit ihm reden." Sie
glühte und sprühte vor Erregung.
„Liebe, gute Gertrü Du wirst
nichts ausrichten! Es ist die große
Krankheit. Sie muß sich austoben.
Der Götze Revanche verlangt sein
Opfer, und so sehr wir uns sträuben,
wir werden uns über die Schlachtbank
lege» müssen. Unser Glück, unser
Wohlstand zählt nicht. Auch Viktor
kann nicht, wie er will, weil er eben
krank ist wie die andern."
„Ich werde mit ihm reden ich
werde ihn zur Vernunft bringen!" rief
sie schrill drohend.
Sie fuhr von ihrem Sitze empor,
stand hoch aufrecht, mit flammenden
Blicken; ihre weiße Hand bebte auf dem
dunkelrothen Plüsch der Sessellehne:
„Und wenn ihr alle nicht den Muth und
die Energie habt, dem Wahnwitz stand
zu halten, so will ich es! Wir leben
im Frieden, wir Deutschen und Fran
zosen weh dem, der diesen Frieden
zu brechen wagt! Wir sind nicht mehr
—"
Ungläubig wiegte er den Kopf.
„Auch Du wirst nichts ausrichten, und
wenn Du Bismarck selbst zur Hilfe
entbietest! Die Revanche will ihr Opfer,
und wir werden das Opfer sein
l, k>
andern....
„Ich will nicht! Ich will nicht!" zi
schelte sie in ohnmächtigem Zorn, die
„Ich will nicht! Ihr sollt sehen, ich
hingen schlaff über die Stuhllehne --
das klägliche Bild des Opfers, das sich
streckt.
Plötzlich stutzt der Kopf und richtet
Augen »veiten sich vorquellend, und mit
allen Fibern feines Geisichtes horcht er
nach dem seltsamen Geräusch.
und Johlen.... i H
L'ppm
„Sie kommen ich wußte es!"
keucht es aus der Enge seiner Brust.
Ja, er hat es gewußt! Als er den
Saal verließ, da wußte er, daß man
ihm folgen würde Lafosse und das
ganz« Aufgebot der Revanche. Nach
dem Engländer würde er an die Reihe
„Wer denn? Was hast Du denn,
Papa?"
Wieder packte sie d:r Zorn. „Dieser
entsetzliche Popanz von einem Lafosse!
Und ivenn er wirklich käme, was könnt'
er uns anhaben? Ich begreife dich
wirklich nicht, Papa.... fürcht' ich mich
denn?"
Ein deutlicher Ton des Spottes, der
ihn ins Gesicht traf.
Die Firma Jamimt-Wahl ist ruinirt
verstehst Du das denn nicht?"
„Herrgott und man verlangt
wieder in der Mitte der Stube und
horchte. Das Getöse schwoll immer dro
hender heran. Aus dem Gewirr rau
her Stimmen, die man jetzt deutlich un
terschied, fuhren Rufe und Flüche em
por, und die gellenden Pfiffe rnehr-
Stimmen: „Was gibt es?" „Ein
nets!"
Der Alke hat recht: eine Demonstra
tion. die offenbar dem Hause Jaminet
harmonisch ausfallen zu wollen.
Endlich sprang Jaminet aus seiner
Lähmung auf. Es war die höchst- Zeit,
Achtung vor ihr eingebüßt,
„Du bist brav und tapfer, Gertrü!"
rief er. „Weh dem, der Dich antastet
auch nur mit einem Wort! Komm!"
„DZo willst Du Hin, Papa?"
„Das wirst Tu nicht thun, Papa!
Das läßt Du bl'-iben! Hörst Du denn
nicht eine regelrechte Katzenmusik.
Uyd Du willst den Gassenbuben die
Ehre an thun?"
verblüfftem Antlitz.
Gesicht, so beherrschte sie sich.
„Sehr wohl, Madame!"
„Du bist wirklich famos!" rief Ja
minet, „Viktor sollte Dich sehen!"
sie grimmig.
Das Geheul und Gejohl, daS grau"
same, ohrenzermarternde Konzert von
disharmonischen Tönen, das jetzt un
ter den Fenstern des Hauses intonirt
wurde, schien sie erst recht zu stacheln.
„Oh?!" rief er.
„Nun, Du sagst ja selbst, er kann
„Bismarck Bismarck!" Zu einer
ungeheuren Hasseswelle schwoll das
Wort an.
„Du bleibst!" herrschte sie ihn an.
„Du verdirbst nur den Esfelt ich
werde sie empfangen! Das Konzert ist
mir bestimmt! Hör doch nur den Tert!"
Und :hre blinkenden Zähne zwischen
den blutrothen Lippen lachten über den
bissigen Scherz.
Jetzt prallten Schläge gegen das
Thor, so heftig, daß die Nippsachen
aus dein Kaminsims zitterten und die
Krystall« des Kronleuchters leise klin
gelten.
„Was? Verschlossen?" rief sie. „Ei,
das ist ja unhöflich! Im Gegentheil,
gerade soll man ihnen öffnen!"
Sie klingelte abermals. Die Zofe
„Unsinn! Sie thun uns nichts! Ge
hen Sie hinunkr zu Mongenast, er
möchte das Thor öffnen!"
„O Madame!"
.Thun Sie, was ich Ihnen sage!"
I Und die Jammertöne des den Flur
entlang stolpernden Mädchens wurden
verschlungen von dem ungeheuren
Lärm.
„Nieder mit den Preußen! Hin
aus mit den Verräthern! Chapp
seide! Bismarcktnechte!: Gemei
ne Preußenbande!" eine wundervolle
BlWhenkese von Schimpfworten, de
gleitet von menagerieartigcn Tönen
und dem Gedröhn des Thores, gegen
das mit Stöcken und Fußtritten ce
donnert wurde.
„Du bist von Sinnen, Gertrü
Du wirst den Kerlen doch nicht das
Thor öffnen lassen?" stammelte Jami
net todtenblaß.
„Gewiß das!" blitzte sie ihn kani
pftsfroh an. „Weißt Du, ich habe ei
nen Onkel, der ist Direktor eines Ir
renhauses ruhig doch da unten, man
kann ja sein eigenes Wort nicht hören!
von dem habe ich's gelernt, wie man
Wahnsinnige bändigt. Ein verschlosse
nes Thor und dergleichen reizt sie nur
noch mehr. Ein paar feste Augen und
der außer Athem vor Eile und Angst
„Sie sind im Stand, alles kurz und
net?"
„Unmöglich, Madam- —"
„So werd- ich es selbst öffnen."
Und sie schob die Jammergestalt de
alkn Mannes zur Seite: „Schreien
könnt Ihr und mit dem Mundwerl
tapfer sein!"
„Bismarck! Bismarck!" brüllte
von unten. Als wenn der Name die
höchste Leistung des Schimpfens aus
drückte.
„Ja wartet nur Bismarck!" rief
sie, die Faust »ach dem Fenster hin
schüttelnd. „Weil ihr ihn doch so
sürchtet...."
Sie wollte wirtlich den Flur ent
lang nach unten stürmen, um zu öff
nen. O sie ist zwar nur ein Weib, aber
dennoch ficht sie nicht mit Worten!
Keim Gefahr sie fürchtet sich nicht!
Ihr Onkel, der Jrrenhausdirektor hat
sie ja gelehrt, wie man tobsüchtige Nar
ren bändigt...
' Da geschah etwas Unerwartetes. Der
hohe, scharfschmetternde Ton einer
„Ruh —ee!"
„Wer ist's? Wer wägt e5..."
„Pscht Ruhe! Boular>>d-, der
„Ruhe Ruhe! —" Der Ruk
schwillt fetzt in breiten Wellen über die
Masse. Und der Name Boulart>des
wirkt wie einZauberwort. Jetzt schweigt
auch das Getobe der -fernstehenden,
nur noch einige übermüthige Pfiff«,
die sich über das allgemeine Gemurmel
erheben. Und jetzt hört auch das auf.
Alles horcht gespannt auf Bou!ar>-des
Worte.
Und auch hrer oben horche» sie. Das
Gesicht des alten Jaminet hellt sich auf,
und er vermag ein „Gottlob!" der Er
nen."
Aber Gertruds trotziger Zorn
wollt- in der ersten Uoberraschung
nichts von dem unverhofften Netter
wissen. Sie hatte sich das wunderschön
gedacht, wie sie ihnen selbst das Thor
öffnen würde wie die Schreier ver
blufft zurückprallen würden, weil sie
aus diese Begrüßung gewiß nicht vor
bereitet waren und dann der helle
Blick ihrer Augen ihre kühl lächeln
de Frag«, was denn das Begehr? Das
Mittel des Jrr-nhausdirettors ein
ganz köstlicher Esfelt!
Und nun mußte Boulart-de kommen
den Dichter noch nie reden hören, J-iz:
begriff sie erst die Macht, die sein ge
sprochenes Wort aus seine Landüleure
ausübte. Zwar oerstand sie nicht den
Inhalt der Phrasen, die er, auf der
<.>»sis des «inen Kandelabers zur Seit?
des Thores stehend, über die Me-ge da
hinrollen ließ. Jedenfalls meisterte er
die Gesten ebenso wie die Modulation
des Wortes, die alle Register bis zum
gewaltig fortreißenden Donnerton in
Revanäle strebe nach lohnenderen Hie
len bald sei der große Tag bereit
mit Schreien und Singen sei nichts ge
lbe des Sieges dämmert schon --
Frankreich ist im Begriff, sich aufzu
raffen u. s. w., u. s, w. Da- ganze
Rüstzeug der patriotischen Phrase,
rasselnd und klirrend und schmetternd,
dann offenes Bravorufen mau
klatscht in die Hände: „ES lebe
ruft einer. Zu früh
..Pscht!" Aber die Worte haben geziin
niß, im richtigen Moment aufzuboren,
das wenigen zu eigen ist: „Es leb:
Frankreich!"
Wie eine Fanfare schmettert er den
Ruf iinaus. Ein frenetischer Jude!
braust empor: „Es lebe Frantreich!
hoch!"
Die Wirkung ist vollständig. Man
schämt sich wahrhaftig des ° Angriffs
aus das wehrlose Haus. Allmähliq zer
> streut sich die Mass«. Erst in der Fern«
l bekommt das Bedürfniß zu brüllen und
zu schreien wieder sein Recht. Ein an
schwellender Trupp marschirt im Takt
schritt, die Marseillaise johlend, nach
den Boulevards.
Am andern Morgen erfuhr Paris zu
seinem Ergötzer, die Heldenthat, die die
<>nknnl» des großen Rache
götzen ausgeführt, indem sie die wegen
ihres vorzüglichen Bieres berühmte
deutsche Kneipe in der Rue Comercil
gestürmt und deren Inventar mit einer
Strahlend, noch berauscht von sei
nen eigenen Worten und des Glückes
übervoll, seiner AngeÄeten die Fülle
seiner Macht auf die Gemüther gezeigt
zu haben, erschien wenig« Minuten
darauf Boularsde vor Gertrud, um
den Dank für die Rettung einzuheim
sen. Der Dienst würde ihm gewiß nicht
vergessen werden! eine Anweisung
auf ihre Erkenntlichkeit, die si« in
Kurzem einlösen müßte.,.
Der alte Jaminet stürzte sich mit
überschwenglichen Worten auf ihn:
„Sie sind unser Retter, Herr Boula
röde!"
„I, Papa, mach' es doch nicht so ge
fährlich!" rief Gertrud, „Wenn Herr
Boularsde nicht gekommen wäre, so
wären wir auch mit ihnen fertig gewor
den. Du weißt, wir fürchten Niemand!
Im Gegentheil, ich hätte gern erlebt,
was sie eigentlich gewagt hätten. Je
denfalls haben sie wundervoll ge
brüllt."
Und mit übermüthig funkelnden
Augen rauschte sie auf den Patrioten
zu und streckte ihm die Hand entgegen.
„Ich habe mich sehr gefreut, Sie
einmal öffentlich reden zu hören, Herr
Dionys —"
Und ihr bezauberndes, undwider
stehliches Lächeln.
Er war ganz verblüfft vor Ver
wunderung, beugte sich galant herab
und führte ihre leise bebende Hand an
seine Lippen. Fast die Sache auf den
Kopf gestellt: als wenn er gekom
men wäre, sich zu bedanken! Solche
Tapferkeit hatte er der kleinen Preu
ß!n doch nicht zugetraut. Aber erst
recht gefiel sie ihm so. Schließlich
ist er ihrer dennoch sicher! DieseKatzen
inusik war nur das Vorspiel; es kommt
eme Zeit, vielleicht schon in den nach
fallen muß.
Dreiundzwanzigstes
Kapitel.
Mit schauderndem Schreck fuhr sie
aus den Kissen.
Neiiv es war lein Traum gewesen!
Glück und Wohlstand des Hauses hin»
Biktor zur Vernunft bekehren ja.
zu seiner Pflicht aufstacheln noch
war ja nicht alles verloren! Und Bou-
übernächtig, mit dumpfen Sinnen, über
Kopfschmerz jammernd.
Ab, er will ilir ausweichen? Und ein
den alten, guten Engländer moralisch
todtschlagen Helten.
„Viktor. Du weißt doch, was ge
stern Abend hier geschehen ist?"
schien wie aus einem wüsten
Nebel emporzutaumeln. „Was
meinst Du?"
voll " ..'f '
Schulter, äl6 wenn er dergleichen
keine Bedeutung beilegte.
Sie muß also ohne Umschweife auf
die Sache losgehen. Wohlan!
„Papa hat gesagt, Du hättest voit
ihm verlangt, daß er die Verbindung
mit der Firma Wahl (dies absicht
lich) ausgeben solle."
Abermals zuckte er die Schulter.
„Ja oder nein! Du wirst doch den
Muth haben, die Wahrheit zu ge
stehen?"
Sin schneller Blitzesblick aus seinen
Augen traf sie. Mehr als Worte sagt?
ihr der Blick, daß sie beide als Mann
und Frau nicht mehr ein unzertrenn
liches Ganzes darstellten, wie die ur
alte und heilige Formel gebietet, son
dern daß er sich ihr als feindliche Par
tei gegenüberstellte.
Doch gleich nach dem Verrath die
ses Blickes duckte er sich. Die Katzen
musik dünkte ihm hochwillkommen,
sie ihn nicht von dem hätz-
lichen Mükel, daß er selbst gegen sein
«igen Fleisch und Blut wüthete.
„Laß das!" antwortet« er mit einem
barschen Anflug. „Mag ich gesagt ha
ben, was ich will Worte zählen
nicht! Thatsachen sprechen. Du weißt
doch, was das von gestern Abend zu
bedeuten hat?"
„Wer will Dich und Papa und uns
alle zwingen, Victor? Wer?'
Er lacht- mitleidig auf „Du bist
von einer grausamen Naivetät! Du
hast keine Ahnung von der Macht einer
Katzenmusik in Paris! Es bleibt uns
nur noch eines übrig das zu thu«,
was man uns befiehlt...."
„Man? Die Gassenjungen meinst
Du doch?"
„Sie sind stärker als Polizei, Re
gierung, Verträge. Vernunft, Alles!"
„Es ist nicht wahr!" lreischte sie auf.
„Wenn Du energisch wolltest.... Bou
laröds ist mit uns!"
tönen. „Der Aermstc! Er kann selbst
„So bist Du willens, den Gafsen-
"st chts ch D
schnellte sie auf.
„Eine Lügc! Du lügst! Du
glaubst selbst nicht an den Zwang!
Du willst meines Vaters Ruin, weil
wir Preußen sind! Sag es doch
osfcu heraus, daß Du uns hassest
daß Du mich hassest...."
„Gertrü!"
Er streckte die Arme in's Leere nach
ihr aus. Schon war sie davongestürzt.
„Gertrü!" stöhnte er laut. Es klang
wie ein Hilferuf. Er wollte von seinem
Stuhle aufspringen und ihr nacheilen,
aber er blieb wie angefesselt, stieren
Auges. Eine kurze Vision: sah ei
ihm so recht erbärmlich, ja verächtlich
vorkam. Sie hat das richtige Wort ge
troffen: weil er die Deutschen haßt
und alles was mit ihnen Berührung
hat. Der Haß umdunstet ihm den Ver
stand, er raubt ihm Kraft und Willen,
er vergiftet ihm Glauben und Liebe
Nein, nicht die Liebe! Nicht feine
Liebe.... Ein ungeheurer Schreck über
fiel ihn. Heiliger Gott im Himmel! Ist
denn keine Rettung vor dem entsetzli
chen Wahnsinn dieser Revanche?
Sein Aufspringen war wie ein ge
waltsamer Versuch, unsichtbare Baiide
zu zersprengen. Wohin? Zu ihr? Sie
mit Worten beruhigen und bethören?
Nein, es muß gehandelt werden! Er
wollte hinunter in's Komptoir, um mit
dem Vater Mittel und Wege zu berath
schlagen, dem drohenden Unheil noch
einmal entgegenzutreten.
Sofort, beim ersten Blick in dcn vor
d-rn Komptoirraum sank die groß
müthige Aufwallung seines Herzens
wieder ohnmächtig in sich zusammen.
Gleich schlug die Revanche ihn wieder
in Fesseln es war kein Entrinnen!
Das Aussehen des Saales erinnerte
an einen Feiertag. Die Pulte waren
unbesetzt, die Bücher geschlossen; die
Hälfte der Angestellten fehlte, die An
wesenden standen in Gruppen zusam
mengedrängt, heftig gestikulirend oder
dumpf flüsternd; nur einer, ein kleines,
eisgraues Männlein, ein altes Arbeits
pferd der Firma, saß, mit seinen Bein
chen den hohen Drehschemel umklam
mernd, über das Pult gebeugt und
rechnete er war taub.
Bei Viktors Kommen stockten Ge
sten und Worte, aber aller Augen ziel
ten auf ihn hin. Viele vergaßen den
schuldigen Gruß. Und er empsand die
Blicke dieser Augen gleich Stichen; er
wußte, daß sie in sein Innerstes zu
dringen suchten: ob er in Wirklichkeit
auch einer der Ihrigen? Nun, so soll
er's durch die That beweisen!
Er fühlte, wie «ine Räthe über sein
verstörtes Antlitz schoß. Zischelte nicht
eine Stimme aus den Versammelten
das Wort: „Verräther!"
Nein, es gab kein Entrinnen! Unter
den Spießruthen dieser Blicke durch
maß er den Raum nach der Thüre, die
ins Allerheiligste führte. Er mußte sich
zusammennehmen, damit sie die Un
sicherheit feines Schrittes nicht gewahr
l d
Pult, und Herr der ersteßuch
halter, stand danchen. Vielmehr lag
jener ausgestreckt auf dein braunen
Safsianpolster des breiten Sitzes, die
Arme über die Lehnen ausgebreitet,
wie ein Gekreuzigter, den Kops mit
einer unbequem stumpfen Neigung dek
Heiucks gegen das Rückpolster gelehnt;
seine Lippen waren fest aufeinanderge
preßt, seine Augen starrten unter den
halogeschlossenen, leicht bebendenWiM
pern mit einem eigenthümlich glitzern
den Glanz ein- große eingerahmte
Photographie iib;r deni Pulte an. Es
war die Ansicht der Wahl'schen Fabrik
in Mülheim, mit der Villa, wo Viktor
sich sein Glück geholt.
länglicher und glän
zender Kahlkopf beugte sich zum Gruß
gegen Viktor, während Mittel- und
Zeigefinger der einen Hand ausgestreckt
auf der Innenfläche der anderen haften
blieben, als gelte es, damit irgend ei»
Argument festzuhalten.
,',' n Tag, Vater!" hauchte Viktor
Keine Antwort. Nur die Wimpern
des Alten hoben sich, und ein kurzer,
stummer Blick aus den eigenthümlich
glitzernden Augen traf den Ankömm
ling. Dann forderte eine Bewegung der
schlaff herabhängenden Rechten den
Buchhalter aus, in feiner Rede fortzu
fahren.
Das elfenbeinerne, glattrasirk» Ge
richt des Beamten, dessen ruhig« Falte»
wandt« sich mit einem fragenden Aus
druck »ach Viktor hin; die beiden Fin
ger hielten immer noch das Argument
fest.
Eine peinliche Pause, während deren
die Augen des alten Jaminet noch leb
hafter nach der Photographie über dem
„Allons fahren Sie doch fort,
MHard!" kam es aus den gepreßten
Lippen, die sich sofort wieder um so
fester schlössen.
„Monsieur, ich bin fertig ich habe
nichts mehr zu sagen," stotterte der
Beamte, und Stottern war sonst nicht
seine Art. Die Finger glitten endlich
von der Handfläche herab.
„Und Sie wollen meine Antwort
wissen, MHard?"
Dann mit «wer ruckweisenWendung
des Kopfes nach seinem Sohne hin:
„Ich weiß nicht, ob Du orientirt bist?
Ich möchte Herrn MHard nicht damit
belästigen, alles zu wiederholen. Höre
also: das Personal streikt —"
Herr Mchard machte eine abwehren
de Bewegung gegen das Wort.
„Aber ich meine, mein lieber M -
jard, wir wolle» zu solcher Stunde die
Dinge doch nennen, wie sie heißen!"
„Also das Personal streikt. Es ist
die Affaire von gestern Abend. Die
Zeitungen weisen mit Fingern nach
uns. Ein Theil der Herren hat defini
tiv quittirt «in anderer stellt Be
dingungen. Oder vielmehr nur die ei
ne: wir sollen Wahl aufgeben den
Bertrag, der seit vierzig Jahren be
steht, zerreißen...."
„Es bleibt kein anderer Ausweg,
Vater!" rief Viktor.
„Warte doch, bis ich zu Ende bin. —
Ich habe Herrn MHard bereits gesagt,
daß ich das für eine Feigheit halte, und
man wird mir nicht zumuthen...."
Er stockte, und er schien sich selbst
über die Umwandlung zu wundern,
die mit ihm seit gestern Abend vorge
gangen. War es dus VeispielGertruds,
das ihn so aufgerichtet?
„Verzeihen Sie, Herr Jaminet," fiel
M6jard ein, und er machte sich mit ei
ner Art räumender Bewegung seiner
Hände gleichsam Platz für den Ein
wurf. „Verzeihen Sie ich schlug ei
nen Modus vor, der die Verlegenheit,
in die wir uns versetzt sehen (das
„uns" besonders betont) wesentlich
mildert. (Und zu Viktor gewandt):
Es soll nicht das Aeußerste geschehen!
ich weiß ebenso gut, und ein Kind kann
das einsehen, daß das Zerreißen des
Vertrages mit Wahl für uns und ihn
den Ruin bedeutet. Aber der Selbst
mord soll ja gar nicht begangen wer
den. Es hand'lt sich darum, der erreg
ten öffentlich!?: Meinung eine Genug
thuung zu gebe», nur für eine Be
schwichtigung zu sorgen. Das ist sehr
einfach. Offiziell nur offiziell, vor
den Augen der Öffentlichkeit, wird
der Vertrag gelöscht. Es finden sich
Mittel, diese Täuschung durchzufüh
ren. Wir wär«n längst nicht die Ein
zigen, die deutsche Waaren unter va
terländischer Decke beziehen und ver
treiben. Ein ganz elementarerKniff —"
„Das ist's! Ungeheuer einfach! So
selbstverständlich!"'rres Viktor. Es war
wie ein Jubelton. Dieser Ausweg schien
die ganze Grausamkeit der Lage auf
die natürlichste Weise zu entwirren.
Gottlob, das wäre die Erlösung!
Di« Hände des Alten tasteten kon
vulsivisch über die Lehnen, mit einer
keuchenden Anstrengung »wand sich der
Körper aus der hingestreckten Stel
lung empor. Die Brust rang nachWor
ten, die Augen quollen aus den Höhlen.
„Einfach selbstverständlich «in
elementarer Kniff -"preßte «r hervor.
„Das ist das ist allerdings
einfach und selbstverständlich ein
Betrug!"
„Eine Lüge, die uns die Nothwehr
eingibt, Herr Jaminet das Gebot
der Selbsterhaltung fordert...."
„Daß ich vor mir selber nicht die
Achtung verliere, mein Herr!" siel der
Alte scharf ein.
Er richtete sich völlig auf und aus
seinen grauen Augen fprühte der helle
Zorn.
„Vater beruhige Dich doch
wir wollen gemeinsam überlegen —"
„Es ist nichts zu überlegen!" rief
Jener. „Ich weiß, was ich zu thun habe
und was ich meinem alten Geschäfts
freunde schuldig bin! Wenn es an d«m
ist und die Gassenbuben es durchsetzen,
daß wir zu Grunde gehen sollen
wohlan, so sei es!"
„Aber man beweise mir erst die
Nothwendigkeit!" fügte er athemholend
siken"we'iche ich nicht!— Wir leben mit
ten im Friedenszustand. Noch sitzen die
Gassenbuben nicht im Regiment— ich
denke, meine Herren, wir lassen uns
nicht so elendiglich in's Bockshorn ja-
Aber der Appell an den Much und
die Einsicht der beiden Andern stieß
nur aus eine stumme Verblüffung,
Mhard sowohl als Viktor stierten
ihn rathloi an. Wie ist es möglich?
Aas? Er wagt es, sich solchem Gebot
des Volkswillens zu widersetzen? Das
ist ja Wahnwitz! Das ist Verbrechen!
„Nun!" fragte der Alt- nach einer
kurzen Pause, du von dtm lebhaften
Gemurmel der Abgestellten nebenan
ausgefüllt wurde, „Ach so, Sie wollen
Antwort haben wegen des Streiks,
MHard?"
Ein leise triumphitendes Lächeln
glitt über seine Züge, die Genugthuung
darüber, daß er, der sonst nie aus der
Schablone gewichen, sie auch einmal!
durchUnerwartetes überraschen könnte.
„Gut also! Ich nehme die Kündi
gung an. Wer nicht bleiben will, der
mag gehend
„Vater!"
„Du bist ja großjährig, Viktor, und
kannst thun, was Du w'.llst!"
(Fortsetzung folgt.)
Kür die Küche.
Nachgemachte
von Schinkenresten. Der Schinkenrest
wird mit dem nöthigen Wasser aufge
setzt, Suppenkräuter, Zwiebeln, zwei
Lorbeerblätter, zwei Möhren und drei
zerschnittene Kohlrabi angefügt und
dies langsam durchgeseiht und entfet
tet, in ihr nun kleine Blumenkohlrös
chen und einigeTassen voll jungerErb
sen weich gekocht. Dann fügt man meh
rere eingemachte Birnen mit ihrem
Saft, einen Löffel Essig und wenig
Zucker an die Suppe, setzt ihr noch ei
nen halben Theelöffel Fleischextrakt zu
und läßt sie noch 10 Minuten ziehen.
Das Fleisch vom Schinlenlnochen wird
abgelöst und in Streifen geschnitten
und hierüber, sowie über Griesklöß
chen die Suppe angerichtet. Nach Belie
ben würzt man die Suppe zuletzt noch
mit gehackten Aalkräutern.
Kalbsfüße, gebacken e. Ei
ni- Füße von frischgeschlachteten Käl
bern werden sauber geputzt und ge
sengt, gewässert und gebrüht. Hierauf
kocht man sie beinahe weich in Salz
wasser, etwas Essig, Wurzelwerk, einer
Zwiebeln Zitronenschale, Lorbeerblät-
Aus
weißem Brot schneidet man gleichmä
mit einer Farce aus Schinken. Der ge
kochte Schinkenrest wird gewiegt, mil
ein paar Eiern, einigen Löffeln faurei
Sahne, gewiegten Kräutern und etwa!
Pserser zur Farce verrührt. Die damit
bestrichenen Brotscheiben wendet man
in zerquirltem Ei und geriebener Sem
mel und bäckt si« leichtbraun. Dieselbe
käuflichen Jaedickeschen Krustaden
füllen und so ein billiges, dabei treff
liches Eingangsgericht erhalten.
Englisches Eierfricas
s6e. Eine sehr beliebte Zwischen
speise, oder für den Abendtisch eine
Abwechslung bietet folgendes Recept:
sechs bis acht hartgesottene Eier wer
den in Schnitzchen geschnitten und in
nachstehenderFricasseesauce einmal auf
gekocht: Einige gehackte Champignons
werden in Butter geschwitzt, eine zer
hackte Schalotte, Petersilie, ein Eßlöf
fel Mehl, Salz und Pfeffer, Senf und
Citronensaft. Ist die Sauce mit
Fleischbrühe gehörig verdünnt und die
Eier eingelegt, kann man die Platte
vor dem Anrichten mit Krebsschwän
chen garniren und mit Krebsbutter be
träufeln. Schmeckt indessen auch pikant
ohne diese Zuthat.
Käseschnitten. Sechs Löffel
fein geschnittener oder geriebener Käse
wird in einer Pfanne mit etwas lauer
Milch und zwei bis drei Löffeln Mehl
zart und dicklicht angerührt. Hernach
klopft man vier Eier nach einander hin
ein und fügt noch eine Tasse Milch oder
Rghm dazu, setzt alles auss Feuer und
rührt beständig darin, bis die Creme
zu kochen anfängt. Sie muß ziemlich
dick sein und kann ein klein wenigSalz
beigegeben werden. Nachdem die Creme
verkühlt ist. bestreicht man fingerdick
mit derselben Weißbrotschnitten und
backt diese in frischem Butterschmalz
schön braun. Mit Schnittlauch bestreut,
sind dieselben eine sehr passende Zu
speise zu Kopfsalat, nur müssen si«
ganz warm servirt werden.
Biscuitnudeln. Nachdem
man zwei Unzen Zucker mit vier Ei
dottern eine halbe Stunde gerührt hat,
fügt man nach und nach sechs Eßlöffel
süßen Rahm, ein Pfund feines Mehl
(löffelweise), ein halbes Pfund zerlas
sene Butter, vier ganze Eier, etwaS
Salz und gestoßene Vanille Hinz«.
Nachdem der Teig gut verarbeitet ist.
formt man Nudeln in der Größe eineS
Hühnereies daraus, setzt sie auf ein mit
Butter bestrichenes Blech, überstreicht
sie mit geschlagenem Ei und backt sie im
Ofen bei mäßiger Hitze gar. und ser
virt sie, auf eine Schüssel gehäuft, mit
Weinschaum, Rahm- oder Obstsauce.
Man kann sie auch in einer mit But
ter bestrichenen Schüssel mit Rahm
mehrmals aufkochen.
Rahmlartoffeln. Gesottene,
zu Scheiben geschnittene Erdäpfel giebt
man in eine mit Butter ausgestricheoe.
mit Bröseln ausgestreute Form, da
rauf gießt man mit Schinkenfleifch
abgesprudelten Rahm, schichtet darüber
wieder Erdäpsel, Butter und Brösel
und bäckt das Gericht im Rohre.
Gute Antwort. Gattin.
„Der Arzt sagt, ich werde zu dick
ich müsse bedeutend an Gewicht abneh
men und Du verweigerst mir die
Mittel zur Badereise! (Weinend.)
Weil Du mich eben nicht liebst!"
Gatte: „Ach eben weil ich Dich so
liebe, möchte ich nicht das Geringste
von Dir verlieren!"
Der Un wider st ehliche.
Herr: Denken Sie, Herr Lieutenant,
Fräulein von Alst, die Sie gestern
Abend sahen, ist, als sie vom Balle nach
Zause kam, in Folge von Herzkrampf
plötzlich verstorben! Lieutenant:
Ist's möglich? Mein Gott!— Nun,
—ich werde mich freiwillig der Be
hörde stellen.
Ein zartes Gemüth.
»Ich sag' Ihnen, mein Nazi ist so ge
fühlvoll, wie nicht leicht ein anderer
Mensch. Sehen Sie, wenn wir Blut
wurst' haben, s» ißt er sie immer im
Dunkeln, weil er kein Blul seh:n kann."
Ungewöhnlicher Maß
stab. Protz: Alle Wetter, die See
luft bekommt mir gut. meine Uhrkett»
wird mir zu eng! 3