Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 03, 1896, Page 2, Image 2

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    2 Zersetzungen der Kinder.
Unvorsichtigkeit und Muthwillen
fügen den Kindern oft durch Fallen,
Stoßen, Schneiden etc. äußerliche Ver-
zu, und es bleibt bei gerin
licher sind, als das Kind selbst ahnt
licht, um einer gesürchteten Strafe zu
entgehen. Durch diese Verheimlichung
von äußerlichen sind
gen, durch Fall oder Stoß erzeugt, be
dürfen in der Regel keiner ärztlichen
Hilfe, sondern es genügt, beim frischen
taltes Wasser getaucht sind; dasselbe
geschieht bei einer blutenden, gerisse
nen oder mit Hautverlust verbundenen
Wunde, bis dieVlutung aufgehört hat,
wo sie dann gehörig abgetrocknet und
mit Heftpflaster bedeckt wird, womit
man die Wundränder zugleich in einer
vereinigten Lage zu erhalten sucht;
kleine Schnittwunden läßt man aus
bluten und zieht sie dann ebenfalls mit
Heftpflaster zusammen. Ist aber eine
größere, klaffende Wunde entstanden,
so wende man kalte Wasserumschläge,
und, wenn dießlutung nicht bald auf
hören will. Druck auf die Wunde an,
vis der Arzt kommt und die Wunde
regelrecht verbindet, nötigenfalls hef
tet, oder deren anderweitigeVedeutung
prüft. Kopfwunden durch Fall soll
man nu so gering nehmen, wie an an
achte aufmerksam, ob das Kind auch
nicht schläfrig, oder im Gesicht blaß,
oder ob es gar übel werde und Brech
neigung zu erkennen gebe, das sind be
hirnerschütterung «der Schädelverle
tzung. Bei jeder stärkeren Kopfver»
letzung mache man sofort kalte Um-
Handlung in die Hand nimmt. Es ist
sehr wichtig, das nach jedem erhebli
cheren Falle des Kindes, mag es mit
oder ohne Quetschung und Wunde ge
schehen sein, namentlich auch bei dem
nackt ausgezogen und an seinem Kör
per untersucht werde; war es auf den
Rücken gefallen, so muß die geringste
Formveränderung, jedes Schmerzge
fühl bei Druck oder Bewegung im Ge-
Änochen, hinreichender Grund werden,
das Kind vom Arzt untersuchen zu
lassen. Wenn Eltern aber, wie so oft
des Kindes daraus entwickelt. Ueber
haupt mache man es sich zur Regel, bei
einem Kinde nie eine schmerzhafte
Gutes Mittel.
unter die Veranda seines Hauses zum
Kaffee. Dieses Momentbild schickt er
seiner Gattin mit freundlichem Gruße
zu. Am anderen Tage war sie schon zu
Hause.
Unverschämte Foppe
rei. „Du, der Plauschhuberist ganz
rntrllstet über Dich, daß Du ihn vorige
Woche aus der Eisenbahn so barsch an
geschnauzt hast!" „Was? Der Trops?!
hab' und fragt mich, wo die Vergnü
gungsreise hingeht!"
Abgewunken. Herr: , Fiau
lein, ich habe Ihr Herzchen gesunden
und gebe es nur gegen einen entspre
chenden Finderlohn." Dam:: ..Fin
derlohn? Zu was? Bei Ihnen isi et ja
gut ausgehoben." Herr: „O neint
Fremdes Eigenthum muß zurückerstat
tet werden."
E i n e s e i x e N a y t: A.: „Ob
wohl die olympischen Götter auch nä
hen tonnten?" B.: „Gewiß! Wenn z.
B. dem seligen Zeus ein Hemdenknops
fehlte, nahm Frau Juno die Nadel der
Kleopatra, dann den Ariadnefaden,
machte einen gordischen Knoten und
nähte drauf los."
Das junge Deutsch
land. „Die Schriftstellerin Federkiel
schreibt ja jetzt auch realistisch." —„Bei
«wer Dame doch erklärlich, die zu
den „Jüngsten" gerechnet sein will."
Begründet. „Aeh, lieber
Punnwitz, warum Plötzlich Lauf
schritt?" „Haus von Schwieger
mutter Passion!" .
Ein verfeyttes Leven.
Es war drückend heiß. Die schwüle
Luft regte sich nicht. Am Himmel
glühte es in jenem kupferfarbenen
Roth, wie es einem schweren Ungewit
ter vorauszugehen Pflegt. Selbst die
Vögel des Waldes und der Wiese
schwiegen, als ob sie den nahenden
se, unheimliche Stille, und nur ab und
zu das ganz ferne Rollen des Donners
war vernehmbar, wenn sich an der
düsteren Wolkenwand im Süden das
Wetterleuchten zeigte. Auf den Fel
dern lag das Getreide im Garben am
Boden, und das dustende Heu auf den
Wiesen umher war schon zur Fahrt in
Fernab, hinter einem manneshohen
Gitter, lag das Herrenhaus von Ring
heim, und im Grün des Partes, der
das weitläufige, altmodische Gebäude
umgab, sah man die hellen Kleider der
Kinder und Frauen durchschimmern.
Quer durch die flache Landschaft,durch
die ein träges Fliißchen sich dahin
schlängelte, führte ein Pfad, und auf
diesem schritt ein Mann in den Vierzi
gern müde und langsam dahin. Sein
schwielig, aber er machte nicht den
Eindruck eines Arbeiters, sondern den
eines Herabgekommenen, der einst auf
den Höhen des Lebens gestanden und
dann herabgestiegen oder herabgefallen
war. Sein Gang war schleppend und
er stützte sich beim Gehen mühsam auf
einen Knotenstock. Aber er war nicht
nur körperlich erschöpft, sondern man
sah ihm deutlich an, daß das ganze
Dasein auf Erden keinen Reiz mehr
für ihn habe. Er war ein tief Un
glücklicher, ja mehr, ein Mensch, der
die Hoffnung verloren. Er war auch
fehr ärmlich gekleidet. Sein Rock war
abgeschabt und bestäubt, und seine nie
dergetretenen Schuhe klafften; um den
mageren Hals schlang sich ein rothes
Halstuch.
Als der Wanderer auf dem Steg
angelangt war, der das Fliißchen
überspannte, hielt er inne, nahm sein
blaues Bündel vom Rücken und setzte
sich auf den Prellstein. Dann blickte
er lange in die Ferne. Sein Auge
schweifte hin nach dem Herrenhaus und
als die schwere Abendluft ihm das
fröhliche, silberne Lachen der spielenden
Kinder und das muntere Kläffen ei
nes Hündchens an's Ohr trug, da
seufzte er tief auf. Ueber die durch
furchten, grambewölkten die von
erloschenen Leidenschaften förmlich
durchwühlt schienen, bahnten sich die
Thränen leise einen Weg durch den
Staub, der auf der Haut lagerte. Er
wischte sich die Zähren ab mit dem
Rücken der Hand und starrte dann
düster in das murmelnde Wasser zu
seinen Füßen. So saß er einige Zeit,
unbeweglich, träumerisch, und nur ein
Seufzer schwellte ab und zu seine
Brust. Ein ungeschlachter Knecht in
Holzschuhen und mit einem Rechen
ging an ihm vorüber, der den Fremden
mißtrauisch, feindselig ansah und ihn
nicht grüßte. Der stille Mann merkte
es nicht. Seine Gedanken waren weit,
weit. Die Dämmerung schlich allmä
lig heran, und die Wolken thürmten
sich in immer größeren Massen am
Firmament auf, bleigrau, mit schwar
zen Rändern. Und noch immer sann
der Wanderer und sann.
Seine Kindheit stieg herauf seine
glückliche Kindheit, als er, ein fröhli
cher, blondgelockter Knabe, dort in je
nem schattigen Park spielte, sich hier
auf diesen Wiesen und Feldern tum
melte, im Fliißchen plätscherte und im
großen, tiefen Dorfteich, der dort gleich
hinter dem Part anfing und bis an die
Mauern der grauen, moosbedeckten
Kirche reichte, schwamm und tauchte
nach Herzenslust.
Ja, das waren glückliche Zeiten,
damals lächelte ihm das Glück und die
Sonne strahlte hell und heiter. Wie
genau er sich erinnern tonnte auf Alles
was wohl aus jenem langen, dür
ren Candidaten wie hieß er nur
noch gleich? Leberecht, ja richtig, Le
berecht Fuchs aus Sachsen gewor
den war, der ihm und seinen jüngeren
Bruder, Felix, damals im Schweiße
seines hagerenAngesichts di« Anfangs
gründe das Latein und Griechischen
Und die Stirn des Träumenden
umwölkte sich wieder. Sein jüngerer
Bruder Felix hieß er, der Glückliche.
Ob er wohl glücklich geworden war?
Welche Thorheit es eigentlich war,
damals als er, der Aeltere, dem jlln
verschmäht hatte! Welche Thorheit!
Und doch, wer weiß! Manche Men
schen haben nun einmal kein Talent
zum Glücklichsein, und er selbst war
wohl ein solcher Mensch einer mit
dem Cainszeichen des zum Unglück Ge-
und wenn er in Deutschland geblieben
und Majoratsherr auf Ringheim ge
worden wäre, so wäre sein Leben ge
ßerlich wären die Ilmstände andere
gewesen. Das war der ganze Unter
schied.
Aber ach, diese langen, trüben, bit
teren Jahre da drüben in Amerika!
Sie kamen ihm vor, da er jetzt darauf
zurückblickte, wie eine ungeheure Sand
wüste. mit kaum einigen winzigen
Orsen in der ganzen Fläche. Niemand
sollte von ihm hören, so wollte es sein
eiserner Stolz, und Niemand hatte
von ihm gehört in diesen langen Lo
Jahren. Allein, ohne Hilfe, hatte er
sein schweres, sein kummervolles Lo?s
getragen, und kein Freund, lein lie-
bendeS "Neib hatte ihni die Bürde er
leichtert.
Wie verfehlt sein ganzes Leben
war! Nur Nieten hatte er
gezogen. Und doch war auch er einst
ein fröhlicher, lachender Knabe gewe
sen, dem die Worte Sorge und Un
glück unbekannte und ungeahnte Be
griffe waren.
Aber in Amerika, wo die Luft rau
her weht und wo für grübelnde Sen
timentalität kein Raum ist, da waren
ihm die letztenJllusionen geschwunden.
Er entsann sich deutlich des Gefühls
völliger Vereinsamung und der Her
abwürdigung, als er in den Kohlen
minen des westlichen Pennsylvanien,
nachdem er vergeblich in den großen
Städten der atlantischen Küste seinen
Unterhalt zu verdienen versucht hatte,
gearbeitet hatte wie ein Negersklave,
er, der Jüngling aus vprnehmemHau
se. Arbeit schändet nicht, hatte man
ihm gesagt in Amerika. Nein, gewiß
nicht, das thut sie auch nicht, die Ar
beit nicht. Aber die Gemeinschaft mit
diesen rohen, harten, thierischen Gesel
len aus allen Winkeln der Erde, Slo
vaken, Walliser, Polen, Jrländern,
nur wenigen Söhnen seines eigenen
Heimathslandes das entwürdigt
und bringt den Menschen herab auf
ein Niveau, wo man die Gebote der
Sittlichkeit und des Anstandes wohl
oder übel schließlich vergißt.
Und viel besser war es ihm auch
später nicht ergangen, wiewohl er sich
den Wind aus allen Theilen des uner
meßlichen Landes hatte um die Nase
wehen lassen in den Prairiestaaten
des Nordens. Ueberall war's ihm nicht
geglückt. Wie sollte es auch! Nützli
ches, für Amerika Nützliches, hatte er
nicht gelernt in der Jugend, und selbst
seine Kenntnisse vom väterlichen Gute
her fruchteten hier nichts Boden,
Bewohner, Verhältnisse, Bearbeitung
waren grundverschiedene. Tagelöhner,
Bergmann, Farmknecht das war so
der Kreis gewesen, in dem sich die W
Jahre seines Aufenthalts in der mäch
tigen Republik jenseits des Meeres be
wegt hatten. Mühevolles Leben, kar
ges Leben. Und dazu sein verhäng
nißvoller Trotz, der ihm die Rückkehr
nach der Heimath verbot! Wohl hörte
er durch einen Dritten einmal zu
fällig in San Francisco vom Tode
seines Vaters und daß es jetzt nur von
ihm selbst abhänge, zurückzukehren,
den Bruder aus dem Hause zu drän
gen und Besitz zu ergreifen von dem
blühenden Erbe. Aber nein er
wollte so nicht wiederkehren, mit dem
schlagene zu sein. Da zog er's vor,
als ein Verschollener im Gedächtniß
derjenigen weiter zu leben, die ihn nur
der Heimath ein Bettler, ein Lump.
Schwer rang sich der Athem aus seiner
Brust.
„Wat deiht ju Heer?"
Ohr des Wanderers. Vor ihm stand
gend an. Der stämmige, hünenhafte
Mann schwipste mit der Peitsche in der
Luft, um die Antwort zu beschleuni
gen.
Das Plattdeutsch kam dem Wande
rer etwas schwer an, aber er antwor
tete doch in derselben Mundart wie
der Fragende, und das besänftigte txn
Letzteren. Ja, er ließ sich sogar her
bei, etwas zu erzählen über die „ge
strenge Herrschaft". Ja, sagte er, der
gnädige Herr und die gnädige Frau
führten eine sehr glückliche Ehe, und
die sechs Kinder seien alle gesund,
bildhübsch und wüchsen heran zur
Freude ihrer Eltern. Das Gut ge
deihe prächtig. Nächste Johann! soll
ten noch 90 Morgen vom Gehöft des
„ollen Snut", der sich im „Bramwin"
zu Tode gesoffen, hinzukommen, und
die Ernte Heuer falle ungewöhnlich
günstig aus. Ob da nicht ein älterer
Bruder da sei, der eigentlich das Gut
hätte erben sollen? Verdutzt schaute
der Mann den Wanderer an. Aller
dings, meinte er, sei ein älterer Bruder
der Zeitung gestanden, llebrigens,
fügte der Mann hinzu, sei das besser
so wie es sei, denn der jetzige Herr lebe
sein Glück selbst thöricht mit Füßen
Mann.
Der Wanderer setzte sich nieder auf
den Prellstein und blickte in's rau
schende Fliißchen hinab, das Zusehens
anschwoll bei dem Regenguß. Der
Sturm heulte und pfiff und die Blitze
zuckten am Himmel wie feurige
„Nutzlos! Ein nutzloses Leben!"
murmelte er vor sich hin.
Da stieß ihn ein Fuß, und aufbli
ckend sah er einen schlanken, hohen
Kerzengrade erhob sich da der Wan
derer und blickte dem Andern in'» Au
ge. Er sah ein Antlitz vor sich, in dem
Güte, Pflichttreue, Energie in schöner
Harmonie sich ausprägte. Es war
Aber nur der Eine erkannte den An
deren. Die Züge des Aeltesten waren
von Noth, Wetter, Gram und bitterer
Reue so von ihrem Original abgeiui
sich.
Dann sagte der Aeltere mit dumpfer,
wankender Stimme: „Ich habe Nach
richt von Ihrem Bruder!"
„Von meinem Bruder?" Und die
Züge verfärbten sich. „Ich glaubte, er
Amerika. War ich falsch berichtet?"
„Nein, Ihr Bruder i st todt", sagte
der Wanderer. „Er starb wie er ge
lebt unglücklich."
„Armer Bruder! Armer Detlev!"
war sein Berhängniß."
„Er trug mir auf, Sie aufzusuchen
und seine letzten Grüße zu überbrin
gen."
Der Jüngere drückte dem Boten be
wegt die Hand. Dann frug er: „Und
kann ichJhnen selbst irgendwie nützen?
Sie waren ein Freund meine.s armen
Bruders, nicht wahr? Bedürfen Sie
Beistand, er soll Ihnen gern und reich
lich gewährt sein."
Dem Aelteren durchlief ein Schüt
teln den Körper, aber er sagte dumpf:
„Nein, danke, ich bedarf nichts
mehr."
Und er wandte sich und ging schnell
über den Steg, mitten durch die breite
Wiese, nach der Kirche zu, wie Je
mand, der genau den Weg kennt.
Der Regen rauschte. Die Gewit
terwolken lagen schwer über dem gan
zen Horizont und derßlitz fuhr hernie
der,von polterndem.schweren Donner be
gleitet. Die Dorsstraße war leer. Der
Fremde bog um die Kirche uyd lief
auf den Teich zu.
Am nächsten Morgen fand man da
rin seine Leiche. Er hatte endlich Ruhe
und Vergessen gefunden.
Die Aekrame Schwieger
mutter.
Der junge Arzt Dr. Parlow ge
hörte nicht zu denjenigen Menschen,
die von der Natur die beneidenswer
the Fähigkeit erhalten haben, sich zur
Geltung zu bringen. Fast ein halbes
Jahr schon saß er in der Kreisstadt
Holstendorf in der Mark und noch im
mer war seine ärztliche Praxis gleich
Null. Zu stolz, um die Gunst des
Publikums zu werben, übte er in al
len Dingen eine vornehme Zurückhal
tung, die aber von der Holstendorfer
Gesellschaft als Bescheidenheit, wenn
nicht gar als Schüchternheit aufgefaßt
wurde, und beide Eigenschaften sind
schlecht- Empfehlungen für einen jun
gen Anfänger. Da er außerdem die
Unvorsichtigkeit begangen hatte, sich
zu verheirathen, «he er das Pflaster
von Holstendorf betrat, so wurde ihm
naturgemäß auch das Interesse ver
sagt, das fürsorgliche Mütter an jun
gen Leuten zu nehmen Pflegen. Er
hatte so gar nichts Jmponirendes in
seinem Wesen. Sein bescheidenes Aul
treten, sein blutjunges, bescheidenes
Frauchen, sein bescheidener Haushalt,
ja selbst sein bescheidener Name, das
alles wurde nach und nach Gegenstand
eines gewissen Mitleids. In Holsten
dorf waren die Pumpschulzens und die
Schottinüllers die tonangebenden Fa
milien und bei diesen war es ausge
macht, daß Dr. Parlow „ein herzlich
unbedeutender Mensch" und seineFrau
ein „ganzes großes Gänschen" sei,
wenn man sie schließlich auch als ein
„recht niedlichesPaar" gelten ließ. Dr.
Parlow sah ein, daß seine Existenz in
Holstendorf in Frage stand, denn
nichts ist für einen jungen Anfänger
verhängnißvoller, als über den Ansang
nicht hinauszukommen und ewig ein
junger Anfänger zu bleiben.
„So geht es nicht länger," sagte er
eines Tages nachdenklich zu seiner
Frau. „Entweder muß ich mich mit
verlassen."
„Möchtest Du nicht noch einmal
dem Fabrikanten Schottmüller einen
Besuch machen?" fragte Elisabeth be
sorgt. Der genannt« Schottmüller
war ein reicher Wittwer, der es nach
glücklicher Versorgung seiner Töchter
liebte, alten und jungen Damen ge-
Wilhelm schüttelte entschieden den
Kopf. „Mit Eomplimenten erreicht
„Ich wünschte ihm eine schwere
Krankheit, die kein Arzt heilen kann,"
rief Elisabeth.
„Aber Kind!"
„Und die Du dann natürlich heilen
müßtest. Dann wärst Du auf einmal
durch."
Wilhelm lächelte trübe. „Das hast
lesen. In der Wirklichkeit geht es an
ders zu. Ich sage Dir, Schottmüller
würde eher sterben, als daß ihm der
Gedanke käme, mich an sein Kranken
bett rufen zu lassen."
Elisabeth versank in düsteres
Schweigen. weig reinen Ruch,'
fagte sie endlich. „Aber ich möchte an
Mama schreiben. Bis jetzt haben wir
ihr unsern traurigen Zustand ver
schwiegen. Aber was Hilft'S! Ein
mal muß sie es ja doch erfahren."
„Sie ist eine kluge Frc.u," bestätigte
Wilhelm.
d Elisabeth schrieb und die umgehend
eintreffende Antwort lautete: „Ich
komme!"
Uns Frau Bornemann kam. Sie
war eine schöne, imposante Erschei
nung. Zur Höhe ihrer Gestalt stand
die Fülle ihrer Glieder in schönemVer
hältmß. Die großen Augen hatten ei
nen eigenthümlichen Glanz und dos
leicht ergraute Haar hatte trotz der
fünfzig Jahre an Fülle nichts verlo
ren. Vornehmheit und Güte schienen
von ihr auszustrahlen. Ihr lebhaftes
Mienenspiel zeigte bald den Ausdruck
liebenswürdiger Verbindlichkeit, bald
jenen beherrschenden Blick, den nur
geistige Ueberlegenheit zu geben ver
„ Donnerwetter!" sagten die Nach
barn, die sie zufällig gesehen hatten,
„eine solche Schwiegermutter hätten
wir dem Doktor garnicht zugetraut."
Bei ihrem Anblick schöpften die jun
gen Leute neuen Muth. Man brauch
te sie nur zu sehen und ihre Stimme
zu hören und unter dem Blick ihrer
Augen zu stehen, um die Gewißheit
einer sröhlichenZukunst zu empfangen.
Sie ließ sich von ihren Kindern eine
eingehende Schilderung der städtischen
Verhältnisse geben und hatte sodann
bald ihren Feldzugsplan gemacht.
Schottmüller wohnte in einer rei
zenden, reich ausgestatteten Villa, die
sich außerhalb der Stadt unmittelbar
neben der Fabrik in einem kleinen ent
zückenden Garten befand. Er war ge
rade dabei, den Springbrunmn in
Thätigkeit zu setzen, als ein Wagen
vorfuhr, dem der Doktor nebst Frau
und Schwiegermutter entstieg. Schnell
löste Schottmüller den Hahn aus, daß
der Brunnen hoch emporsprudelte und
den marmormen Engel in der Mitte
in ein zartes Netz von Wasserstrahlen
hüllte; dann ging er artig dem Besuch
entgegen.
Die Vorstellung erfolgte. Mit Ken
nerblick ließ Schottmüller sein Auge
über Frau Bornemann gleiten, die in
dem kostbaren Seidenkleide mit der
Diamantbrosche am vollen und doch
zierlichen Halse vornehm wie eine Für
stin aussah. Dann reichte er ihr mit
einer tiefen Verbeugung den Arm und
führte sie in den Salon der Villa. Zu
ihnen gesellte sich Fräulein Plump
schulze, eine ältere Verwandte Schott
miillers, die seit dem Tode der Haus
frau dem Hauswesen vorstand und in
steter Eifersucht die Schritte des Haus
herrn bewachte. In ihrer unscheinba
ren Nähe erschien Frau Bornemann
doppelt bedeutend.
„Sie wollen gewiß sehen, FrauVor
nemann, wie es dem jungen Paare
geht," so begann Herr Schottmüller
die Un^rhaltung.
„Dieses weniger, Herr Schottmül
ler," entgegnete Frau Bornemann mit
einem scherzhaften Anfluge. „Ich
wollte mir den Ausreißer nur zurück
holen. Ja, denken Sie! Er hat es ja
gar nicht nöthig, zu practiziren. Er
sollte die Universitätscarriere einschla
gen. Kein Opfer wäre mir für dieses
Ziel zu groß und Professor v. Schlei
derer, der berühmte Physiologe, dessen
Assistenzarzt er lange Zeit war, hat
ihm das günstigste Prognostikon ge
stellt. Er aber besteht darauf, erst
als praktischer Arzt seine Tüchtigkeit
zu erproben."
Herr Schottmüller betrachtete den
jungen Arzt mit verwunderten Bli
cken. „Wie, Herr Doktor? Sie haben
eine solche Vergangenheit und dies er
fährt man jetzt erst?"
„Er legt auf solche Nebensächlich
keiten keinenWerih," entgegnete schnell
die Mutter. „Ja, sehen Sie, es hat
eine kleine Verstimmung zwischen uns
gegeben. So oft ich ihn auch zurück
rief, er wollte Holstendorf nicht ver
lassen. Freilich gestehe ich offen, nach
dem ich diese reizende Stadt kennen
gelernt habe, kann ich seine Hartköp
figkeit verstehen, wenn auch noch nicht
verzeihen."
Ihr verbindlichstes Lächeln beglei
tete diese Worte. Schottmüller fühlte
sich in seinem Lokalpatriotismus tief
geschmeichelt. „Bleiben Sie längere
Zeit bei uns, verehrte Frau, und Sie
Irerden es ihm hoffentlich auch noch
verzeihen."
Frau Bornemann verneigte sich
dankend. „Die Liebenswürdigkeit der
Bewohner ist gewiß nicht daran
schuld, wenn ich einer so freundlichen
Einladung nicht nachkommen kann.
Ich bin sozusagen auf der Durchreise.
Schon in der nächsten Woche muß ich
in Hohenwaldau sein."
„Ach das reizende Hohenwaldau!"
rief Schottmüller entzückt. „Und Sie
„Derßittergutsbesitzer ist mein Vet
ter."
nicht irre?"
„Derselbe. Es ist aber nicht blos
die äußere Verwandtschaft, noch viel
mehr ist es die innere Harmonie der
Seelen, was uns zueinander zieht.
Und dann liebt es mein Vetter, auch
in wirthschaftlichen Dingen den Rath
so einer alten Gutsbesitzersfrau, wie
ich bin, zu hören. Sie sehen, Herr
Schottmüller, ich bin unersetzlich,"
lieber Gast sein würden?"
stehenden Reisedispositionen nicht än
dern. Noch längere Zeit wurde die
Unterhaltung in der angeregtesten
Weise fortgeführt, und als sich dann
der Besuch verabschiedete, ließ es sich
Herr Schottmüller nicht nehmen, die
Dame zum Wagen zu geleiten. „Auf
Wiedersehen, meine gnädigste Frau,"
sagte er, indem er verbindlich ihre
Hand an seine Lippen führte. Erha
ben und gütig wie eine Göttin grüßte
sie noch einmal zum Wagenfenster hin
aus und mit einer Auffrischung im
Herzen, wie er sie selten empfunden
hatte, ging er in seine Villa zurück.
Das gab ein Aufsehen in Holsten
dorf! Fast mit der Schnelligkeit eines
elektrischen Funkens machte das, was
Schottmüller erfahren hatte, die Run
de durch die ganze Stadt. Dr. Par
low, Assistenzarzt des berühmten Phy
siologen Professor v. Schleiderer,
Universitätscarriere, kein Opfer
wäre ihr zu groß gewesen, das Geld
dazu mußte also da sein, Vetter
Rittergutsbesitzer Baron Senden,
alte Gutsbesitzersfrau! So hatten sich
also die Plumpschulzens und die
Schottmiillers schwer geirrt. Dr. Par
low war gar lein so unbedeutender
Mensch. Jetzt entsann man sich auch,
daß sein Name mit demjenigen des be
rühmten Physiologen gelegentlich der
Operation beim Fürsten Rodanski in
den Zeitungen genannt war. Der
Schwede! Sich so zu verstellen. Und
seine Vorliebe für Holstendorf war
doch eigentlich rührend, wie seine Be
harrlichkeit selbst einer solchen Schwie
germutter gegenüber auf edle Männ
lichkeit deutete. Wer noch etwa zwei
felte. und Zweifler gab es ja über
all, besonders bei den Damen
der wurde vollständig überzeugt, als
Frau Bornemann in den nächsten Ta
gen noch weitere Besuche machte und
mit ihrer Liebenswürdigkeit und gei
stigen Ueberlegenheit die Plumpschul
zens und Schottmiillers umstrickte.
Der erste Eindruck, den Frau Borne
mann gemacht hatte, vertiefte sich mehr
und mehr, und bald stand es wie ein
Axiom fest, daß die Gesellschaft von
Holstendorf dem Dr. Parlow und sei
ner Frau nicht länger die ihnen zu
kommende Berücksichtigung versagen
Eines Tages fuhr Schottmiillers
Equipage bei Parlows vor. Der Fa
brikant, zwei reizende Rosenbouquets
in der Hand, stieg die Treppe hinauf
und wurde oben aufs Liebenswürdig
ste empfangen. Es dauerte etwas
lange, ehe er wieder herabkam; er hat
te in dem geistreichen Gespräch mit
Frau Bornemann die gesellschaftsmä
ßige Besuchszeit ganz vergessen, aber
er erschien nun auch mit der hocher
freulichen Zusage, daß die Dame der
Ressource zu Liebe ihren Besuch beim
Baron Senden aufschieben und an
dem großen Herbstfest theilnehmen
wolle.
Dieses Fest bildete einen hervorra
genden Marlstein in der Loealgeschich
te Holstendorfs. Der wundervolle
HerbstMchmittag hatte die Gesellschaft
zunächst in dem prächtigen Garten des
Parkhotels vereinigt. Damen und
Herren sahen mit Spannung dem Er
scheinen der Familie Parlow entgegen,
die nach Art großer Herrschaften et
was auf sich warten ließ. Als sie am
Eingange sichtbar wurden, ging ihnen
Schottmüller schnell entgegen und
führte sie zum Vorstandstisch, wäh
rend sich die Augen im weiten Umkreis
mit Gläsern bewaffneten. Man hatte
sich nach dem Rufe Frau Bornemanns
viel von ihr versprochn, aber alle Er
wartungen wurden übertrofsen. Sie
erschien in einem dunkelblauen Sam
metkleide mit Schleppe, das ihrer im
posanten Gestalt vorzüglich stand. Je
den Schmuck hatte sie vermieden, aber
die Knöpfe an dem einfachen und so
schönen Kleide waren Diamanten.
Einige Zeit stutzte die Gesellschaft;
dann aber, als sie an der Echtheit der
blitzenden Steine nicht mehr zweifeln
tonnte, ging ein Rauschen der Ver
wunderung durch den Garten. Die
verstand es! Die hatte Geschmack und
ihr Vermögen mußte unermeßlich sein.
Wie reich und doch wie einfach! Alle
die schönen, mühsamen Damentoilet
ten umher wurden durch dasSammet
kleid mit den Diamanttnöpfen in den
Schatten gestellt.
Bei Anbruch der Dunkelheit ging es
hinauf in den hellerleuchteten Saal.
Schottmüller führte mit Frau Boine
mann die Polonaise a». Es war ein
stattliches Paar, beide groß und schön,
beide voll Grazie in den Bewegungen,
de Kinder des Reichthums und des
Glücks. Freilich, mit Frau Borne
mann konnte es auch Herr Schottmül
„Der Ausreißer!" Dieses Wort
die seine Mittheilungen erregten, oft
in Helles Gelächter auslöste. Als die
Ehampagncrpfropfen knallten, kam
mutter!" Justizrath Reichelt aber,
Holstendorf voll wär von den Ereig
nissen des Herbstfestes, fuhr wieder die
Equipage Schottlȟllers am Hause
des Doktors vor und wieder stieg
Schottmüller mit zweißosenbouquettS
die Treppe hinauf. Die Aufregung
in der Einwohnerschaft war groß
noch größer die Bestürzung bei den
Plumpschulzens und den Schottmiil
lers. Und als der Präsident der Res
source gar am Nachmittag Frau Bor
nemann und das junge Paar zu zjner
Spazierfahrt abholte, da wurde die
Verlobung zur Gewißheit. Die Fa
milien Plumpschulzt und Schottmül
ler kamen schnell zu einem Familien
rath zusammen und am nächstenMor«
gen schon erschien Fräulem Plump
schulze, die Wirthschaften» der Fabri«
lanten, als Deputirte der genannten
Familien bei Frau Bornemann, um
die Dame zu warnen und sie auf dil
zahlreichen Mängel des reichen Witt
wers aufmerksam zu machen. Nach
einer halben Stunde verließ sie das
Haus des Doktors mit sehr zufriede
nem Gesicht, und kaum war sie ver
schwunden, als auch schon der Wagen
Schottmiillers vorfuhr.
Frau Bornemann ging ihm mit
strahlendem Gesicht entgegen. „Den
ken Sie, lieber Freund," sagte sie voll
Laune und Schalkhaftigkeit, „welche
Absicht die böse Welt uns beiden nach
sagt! Wir wollen uns verloben. Sie
kann sich ein rein freundschaftliches
Verhältniß nicht denlen und ignorirt
dabei ganz, daß sich eine verheirathete
Frau doch nicht mehr verloben darf."
„Verheirathete Frau?" rief Schott
müller erschrocken. „Man hat Sie
allgemein für eine Wittwe gehalten."
Frau Bornemann lachte und dieses
Lachen klang so silberhell und ein
schmeichelnd, daß dem Fabrikanten
wieder warm ums Herz wurde und
sein Gesicht den Ausdruck ruhiger Hei
terkeit annahm. Zuletzt stimmte er in
das heitereGelächter ein und in diesem
Lachduett wurde ein Freundschasts
bund besiegelt, der fürs Leben dauerte
und in der Folge auch dem jungen
Doktor zu Gute kam. Die Reisekoffer
standen bereit; der Wagen, welcher
Frau Bornemann nach dem Bahnhof
bringen sollte, hielt auf der Straße.
Da erschien ein eiliger Bote. Der Herr
Doktor möchte so gut sein und schnell
zum Herrn Büigermeister kommen;
das Kind sei bedenklich erkrankt.
„Hurrah, der erst« Patient!" rief
Wilhelm. Er umarmte seine Schwie
germutter und eilte hinweg.
Frau Bornemann saß bereits im
Wagen zweiter Klasse, als Hr. Schott
müller in seiner Equipage heranjagte.
Mit einem Bouquet, schöner als die
früheren, eilte er zum Wagen und
überreichte es dem „theuren Gast" mit
einer graziösen Verbeugung. Sie
reichte ihm die Hand, die er galant an
seine Lippen drückte. Das zahlreich
versammelte Publikum sah dem
Schauspiele mit Behagen zu und als
Fran Bornemann aus dem abgehen
den Zuge ihr Taschentuch wehen ließ,
da wurden auf dem Bahnsteige alle
Taschentücher flott, die sich noch halb
wegs sehen lassen konnten, und das
Winten und Grüßen wollte kein Ende
nehmen.
Die Einwohnerschaft Holstendorss
denkt gern an jenes Herbstfest in der
Ressource zurück und mit Stolz weist
sie bei Gelegenheit darauf hin, daß der
berühmte Professor Dr.Parlow in der
Hauptstadt, der Nachfolger Schleide
rns, feine Laujbahn in Holstendorf
begonnen und zu den gesuchtestenAerz
ten der Stadt gehört habe.
Splitter.
Wem die Natur als Tugend gab
Bescheidenheit, der leg' sie ab,
Weil sie die unbescheid'ne Welt
Für weiter nichts als Dummheit
hält.
AucheinGrund. „Lieber
Freund, ich muß Dir sagen, Deine Co
usine ist ein entzuckendes Mädchen! Die
möchte ich zur Frau haben!" „„Um
Gottes willen nicht!"" „Warum
denn nicht?" „„Sie kann nichtCla
vier spielen."" „Nun, ist das denn
ein Unglück?" „„Erlaube, lieber
Freund, sie kann nicht Clavier spielen»
spielt aber doch.""
Ein Dickschädel. „Wo
rennst denn hin, Michel?" „„Zum
Thierarzt der Schimmel hat ausg'-
haut und hat den Großknecht an den
Kops getroffen!"" „Und da gehst
Du zum Thierarzt?" „„Freilich—
denn der Schimmel ist lahm!"
Hartgesotten. Richter:
Sie geben also zu, Ihren Wohlthäter
bestohlen zu haben. Schämen Sie
sich nicht, einen Mann, der sich so warm
Ihrer angenommen, der Angeklag
ter: I bitt', Herr Richter, Werden's
net sentimentalifch!
Mißverstanden. Herr (auf
einer Soiree zu einer Dame): „Mein
Freund Müller ist erst vor Kurzem von
einer dreijährigen Forschungsreise aus
dem dunklen Erdtheile zurückgekehrt."
Dame: „Wie bedauere ich doch Ih
ren Freund, daß er hat müssen entbeh
ren so lange das Licht der Sonne."
Moderne Liebesqua
len. „Also Dich foltert schrecklich
unglücklich liebst?" „Allerdings . ..
Gift zu erfahren!"
—Dasfurchib a r e E ch o.
„Warum fiel denn vorhin der Äeaeta
der Echowand „Hansmursr" oeriifen
und da tönte es „Wurst"
zurück!"
Hartnäckig. Advocat: „Es
thut mir leid, das, Sie auch diesen Pr
o— Obo! Erste Köchin: „Warum
geschafft und jetzt einen Dragoner?"—
Zweite Köchin: „Ach, weißt D», dessen
Leibgerich! gelang mir «»»!'