Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, August 13, 1896, Page 2, Image 2

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    2 Der Wolf.
Ein Märchen von Rcnc Bazin.
j? Es war einmal ein großer Wald
und in diesem Walde ein Schloß und
auf dem Schlosse wehte, so Tag wie
Nacht, eine stolze, weithin sichtbare
Fahne, und auf den Mauern standen
bewaffnete Mannen Wache, und die
Maltosen dort auf dem Meere sahen
deren Waffen gleißen und glitzern.
In dem Schlosse aber wohnte eine
ganz wunderschöne Maid mit goldi
gem Haar: Isolde. Und allüberall,
wo man diesen Namen nannte, war
er mit heißen Segenswünschen ver
eint.
Isolde war nämlich ebenso schön als
gut. Sie einte die Schönheit des Ant
litzes mit der Schönheit des Herzens.
.Die Thiere folgten ihr, um sie zu se
hen, die Atmen vergaßen ihr Elend,
wenn sie Jsoldens Lächeln sahen. Ein
kleiner Wolf, der allmälig groß ge
worden war, folgte ihr auf Schritt
und Tritt, und wenn die fchöne Isolde
zur Kapelle emporstieg, um zu beten,
gesellte sich stets der Wolf zu ihr und
kauerte sich ihr zu Füßen.
Dort, in jener Kapelle, vermählte
die schöne Isolde sich mit Ritter Alain.
Sie schwuren einander ewige Treue
und nahmen das Meer, den Wald und
den Wolf als Zeugen dieses Schwures.'
Das ganze Land war des Jubels
voll, und als man die goldenen Ringe
Jsoldens und ihres Gatten Finger
ssah. da freuten sich alle die Armen
und Elenden, daß zwei goldene Her
fen sich für's Leben gefunden hatten
und glücklich sein sollten, wie sie's ver
dienten.
! Da eines Tages mußte der Ritter
Hinaus in den Krieg, und vom Söller
Zbes Schlosses wehte ein weißerSchleier
shm lange, lange den Abschiedsgruß
nach, so lange, als das Schiff sichtbar
blieb, das den Ritter entführte. Und
Conan, der Bandit, nützte die Zeit
aus und drang, als Pilger verkleidet,
5n das Schloß ein und öffnete dieses
sseinen Gesellen.
Was er wollte, war aber nicht die
Fahne des Feindes, nicht dessen Schloß,
micht dessen Schätze und Reichthum,
nicht dessen Herrschaft, sondern
Isolde.
. Isolde aber floh.
Sie floh den Berg hinan, ohne sich
nach dem brennenden Schloß umzuse
hen. hin zur Kapelle, dort, mitten im
Walde. Drei Männer warfen sich
dort auf sie, als sie, über ein Wurzel
zeäst strauchelnd, zu Boden siel.
Der Wolf aber sprang die Räuber
an und schlug sie in die Flucht. Diese
legten ihre Bogen an und schössen ihre
Meile ab. Ein Todesfchrei ward ge
hört und Isolde lag todwund in
«ihrem Blute aus den Stufen der Ka
velle. In diesem Augenblicke eilte der
Ritter Alain, der wieder gelandet
war, hoch zu Rosse herbei, und oh,
welch' ein Blutbad richtete er unter
den Räubern an!
Und nun Du, mein Rabe, der Du
zu jener Zeit vorübergeflogen und
Alles gesehen, erzähle, was weiter ge
„Jch habe den Kreuzweg vom Blute
geröthet gesehen; ich habe den Leich
nam eines schönen Weibes auf den
Fliesen der Kapelle gesehen, das Herz
von einem Pfeil durchschossen und das
Blut langsam aus der Wunde hervor
sickernd. Ich habe einen Wolf gesehen,
cher zähnefletschend und blutgeifernd
auf drei Leichnamen lag, ich habe ei
nen Ritter gesehen, der sich, verzweif
lungsvoll weinend, über den Leichnam
-des todten, herrlichen Weibes hin
warf."
Und nun Du. mein Rabe,'der Du
auch ferner vorüberflogst und Alles
gesehen, erzähle, was weiter geschehen?
„Ich sah einen Schmerz enden, der
ewig hätte dauern müssen, ich sah ein
anderes junges Weib an des Ritters
Seite in das Schloß einziehen, von
welchem das Banner flatternd Herab
wehte, ich sah die Kapelle von den
Menschen allen vergessen und verlas
sen. Ich sah einen Wolf, der trotz der
Jahre treu geblieben ist und das Grab
seiner todten Herrin bewacht, und der
und der stöhnt; und wenn ein
Fremder dem Grabe sich naht, die
Mhne fletscht und Niemanden zu
läßt."
i Und nun Du. mein Rabe, der Du
vorüberflogst und Alles gesehen, er
zählt, was weiter geschehen?
„Ich habe einen Ritter auf dem
Söller gesehen, der sein neues Lieb
gar innig umschlang, und habe einen
grauen Wolf gesehen, der auf dem
Grabe seiner Herrin sein Leben geen-
Zdet."
Genug, genug, Du mein Rabe, Du
Hast zu viel gesehen, zu viel
Borsichtig. Oberförster:
»Aber Herr Baron, warum haben Sie
denn nicht auf den Eber geschossen;
«schießen zu können?" Baron:
haißt, nicht nahe genug? Nahe genug
war ich schon, aber nicht weil genug,
da werd' ich mer hüten und schie
ben!"
Prüde. Frau A.: „Sagen
Sie. verehrte Freundin, Sie sind nun
76 Jahre alt und haben sich in diesem
hohen Alter noch verheirathet?" Frau
B.: „Ja, sehen Sie, das hat seinen
guten Grund; mein jetziger Mann/
den ich vor vier Wochen geheirathet
habe, kam immer so viel zu mir und
hatte ich schließlich Angst, die Lvite
Limiten darüber reden."
5 Letzter Trumpf. Fräu
lein: „Ein für alle Mal, lassen Sie
mich in Ruhe mit Ihren Erklärungen,
mein Herr. Ich will nicht Ihre Frau
werden. Geck: „Warten Sie nur,
mein Fräulein, bis mein neuer Paris-«'
Anzug kommt; da werden Sie ander«
. .
Die spanische Arau.
»unst, eine ganze Legende gebildet.
Die Dichter, die Schriftsteller, die
Musiker besonders die französischen
haben aus der spanischen Frau ein
glühendes und leidenschaftliches We
sen, etwas ganz specisischßomantisches
gemacht: die wilde „Gitana" oder die
capriciöse große Dame, die mit den
Trocadors vertraut ist. Es i»t wohl
an der Zeit, ein weniger pitoreskes,
aber treueres Porträt zu zeichnen. Ich
will versuchen, die wahre Physiogno
mie einer Frau zu schildern, die in der
Geschichte hervorgetreten ist und hohe
und ernste Eigenschaften besitzt, aber
freilich nur in Ausnahmefällen das
sonderbare und feurige Seelenleben
zeigt, das man ihr zugeschrieben hat —
zugeschrieben hat auf den Credit
von Romandichtern, die nach ei
ner exotischen Poesie ganz aus Flitter
und Rauschgold suchten.
Erinnern wir uns zunächst daran,
daß Spanien von sehr verschiedenen
Rassen (unter denen man selbst einige,
die nicht zu den Ariern gehören, nen
nen könnte) bevölkert und bewohnt
wurde. Die Verschiedenheit der Ras
sen und der Gegenden, die allmählig
die spanische Nationalität gebildet ha
ben, mußte nothwendigerweise die
Verschiedenheit der weiblichen Typen
in physischer und moralischer Hinsicht
zur Folge haben. Wir sprechen hier
gar nicht von den Süd-Amerikanerin
nen, die der spanischen Rasse angehö
ren, und selbst nicht einmal von den
Creolinnen unserer Antillen; wir be
schränken uns auf die Halbinsel und
stellen fest, daß es da mindestens ein
Dutzend spanischer Frauentypen giebt,
die, einiger gemeinsamer Züge unge
achtet, ganz verschieden, ja einander
entgegengesetzt sind. Es ist schwer,
sich einen frappanteren Gegensatz vor
zustellen, als den zwischen der südspa
nischen Frau und der aus dem Norden
oder Nordwesten. Bei der ersteren
merkt man sofort das maurische Blut,
manchmal findet man sogar den reinen
Charakter der semitischen Rasse; bei
der anderen beobachtet man das Fort
leben der iberischen, germanischen und
celtischen Elemente. Die Frau des
Südens hat «inen braunen Teint,
schlanke Taille, schwarzes Auge, ge
wölbten Fuß; die des Nordens ist oft
blond oder rothhaarig, weiß, frisch,
kräftig, sie liebt die Arbeit und Spar
samkeit, während die Südländerin
mehr indolent ist und gern nach arabi
scher Sitte eingesperrt leben würde.
Nirgends, im Norden wie im Süden,
würde man so leicht viele Exemplare
der Frau mit dem brennenden Herzen,
lungen finden. Die
Frauen, die aus Liebe oder Eifersucht
Verbrecherinnen werden, sind in Spa-
Mann, der mit dem Mtsser spielt.
nal, daß die Criminalität der spani
schen Frau im Verhältniß zu der des
Mannes wie 2:20 steht. Die Frau
sam, besonders in den Ackerbau trei
benden Gegenden des Nordens; in
Galizien z. B. verrichtet sie die Feldar
beiten zusammen mit dem Manne und
manchmal ersetzt sie ihn, wenn die Au
swanderung diese Gegenden entvölkert.
Trotz des Kräfteverbrauchs, den diese
harten Arbeiten erfordern, ist die Frau
aus dem Volte sehr nüchtern, sie weiß
schnitt ein höheres Lebensalter als der
Mann. Sie ist, besonders im Nor
den, sehr fruchtbar; Häuser mit zwölf
Kindern sind nichts Außergewöhn
liches. Die Stellung der spanischen
Frau als Mutter und ihre Bedeutung
darauf aufmerksam gemacht, wie leicht
es sei, das spanische Publikum in Be
wegung zu versetzen, wenn man die
Saite des Muttergefiihls berührt.
Sohnes zur Mutter. Wenn der Lie-
Frau betrifft, so ist sie, wie die Jtalie
tcllectuell höher stand als heute. Im
T-L-A Kcutzsi-et ist di«
spanische Frau zweifellos gut katho
lisch, aber wir haben nicht mehr dies«
hervorragenden Frauen: Theologin
nen, Ekstatilerinnen, Seherinnen, die
der Heilige Geist besucht? ja wenn sie
aufträten, würden sie mit äußerstem
Mißtrauen betrachtet werden.
Der Luxus gehört nicht zu den Feh
lern der spanischen Frau. Wenig
Raffinement, «ielmehr eine gewisse
Coketterie, das Bedürfniß fein chaus
sirt zu sein und eine frische Toilette
zu haben. Der Mangel an künstleri
scher Bildung trägt wahrscheinlich zur
Verringerung ihrer Bedürfnisse bei.
Sie liebt ein schönes Kleid, einen
Schmuck, einen Schuh, der ihren Fuß
recht vortheilhaft zur Geltung bringt,
aber sie träumt nicht von Gemälden,
Möbeln, Spitzen, Equipagen, Bibe
lots, von glänzenden Gärten und die
ser Wäsche, die Tausende von Francs
kostet: sie wird vergnügt ihre Olla
potrida essen, Wasser trinken und in
sehr bescheidenen Betten schlafen. In
Spanien ist es nicht der Luxus der
Frauen, der die großen fürstlichen Fa
milien ruinirt hat. Ich habe bemerkt,
daß die alten Jungfern und die Witt
wen in Spanien von sehr wenig leben,
Ersparnisse machen und manchmal
das von den Männern zerrüttete Ver
mögen wiederherstellen.
Die Spanierin besitzt eine lebhafte
Intelligenz und eine Begabung, die sie
in zahlreichen Fällen bewiesen hat;
aber im Punkte der Erziehung ist sie
sehr zurückgeblieben. Spanien muß
zu den Nationen gezählt werden, die es
geradezu als Dogma aufgestellt haben,
daß die Frau unwissend bleibe. Ob
gleich gesetzlich berechtigt, an allen
Universitäts - Kursen theilzunehmen,
hat das junge Mädchen doch von die
ser Berechtigung keinen Vortheil. Die
herrschenden Ideen über die Mission
und die Stellung der Frau, die alte, in
unseren Sitten fortlebende arabische
Eifersucht widersetzen sich der Erwer
bung ausreichender Bildung durch die
jungen Mädchen. Eigenartig ist die
Thatsache, daß in unserem kleinen
Nachbarlande Portugal der Unterricht
der Frauen unendlich größere Fort
schritte gemacht hat als in Spanien:
während wir nur einen weiblichen
Arzt haben, giebt es in Portugal min
destens sechszehn, die diese Kunst aus
üben.
Was man an Bildung und Kennt
nissen für die jungenMädchen als aus
reichend und angemessen betrachtet,
das ist sehr wenig. Bei denen aus
dem Bolke etwas Lesen und Schreiben
Gott weiß, wie! In den bürgerli
chen Klassen die Grammatik, der Ka
techismus, Zeichnen, Geographie,
Piano, kleine Nadelarbeiten allen
falls eine oder zwei Sprachen, die man
jämmerlich genug stottern lernt. In
den hohen Klassen, bei den sehr reichen
Familien, macht man die lebenden
n,!»«", aber das ist auch Alles: andere
Kenntnisse sind den jungen Mädchen
verboten. Der Unterricht beschränkt
sich auf die Mädchen von B—ls Jah-
Mädchen überhaupt nichts mehr, sie ist
jetzt reif zur Ehe. Findet sich der
sehnlichst erwartete Freier nicht, so
hält man die Existenz des Mädchens
für verfehlt.
Selbst zugegeben, daß der einzige
Man wird schwerlich anderswo als in
Spanien so leidenschaftliche Liebhaber
und so gelangweilte und kühle Ehe
nimmt. Diesen schweren Fehler der
spanischen Gesellschaft, die Vorurtheile
der Eltern u. f. w. müssen dabei in
Musik, der Malerei, der Politik ehren
ein: sie hütet nicht mehr das Haus,
um ihre Spindel zu drehen, aber sie ist.
auch noch nicht zum Bewußtsein ihrer
Rechte gekommen.
Die kleine Hettenvorn.
Von i!l>. Zoellcr-Lionheart.
Wir hatten den Kameraden zuGrabe
getragen. Mit klingendem Spiel zog
die Regimentsmusit von dem Garni
sontirchhos in der Hasenhaide ab.
Wir, die wir nicht zumßegiment ge
hörten und dem Freunde die letzte Eh
re freiwillig erzeigten, schüttelten uns
jetzt zum Abschied die Hände. Einige
der Officiere bestiegen die harrenden
Wagen, andere zogen truppweise den
Pferdebahnen entgegen.
Freund Waldow hakte vertraulich
seinen Arm in meinm. „Hast Du Zeit,
alter Junge?"
Als wenn ein Osficier, der eben den
Dienst quittirt, keine hätte! „Zu viel,"
sagte ich mit einem schweren Athem-
Zug
„Na, dann laß uns zu Fuß gehen,
willst du? Könnten uns bei der Gele
genheit auch mal Berlin von der Kehr
seite anschaute, die wir im Westen nicht
zu sehen bekommen."
Ich war einverstanden. Wir
schritten eine Weile an den dunklen,
ernsten Tannen auf weißleuchtendem
Sande hin, hörten von den Schieß
ständen das dumpfe Knallen, sahen die
Kinder des Volkes sich von den Sand-
Hügeln kollern, spendeten einem„P»nn
bruder" mit rother Schnapsnase, Bal
lonmütze im Nacken und Wollenshawl
dreifach um den schmutzigen Hals ge
wickelt, unsern Obolus. Dann durch
querten wir eine der Seitenstraßen
und gelangten planlos an die schatten
de Allee des Canals.
„Maibachufer" las ich ab. Wie der
Name zu dem lauen Fȟhlingstage
träumerischen vermischt mit dem
narkotisch süßen Dust der blühenden
Akazien. Wie Kerzenpyramiden stan
den die rothbbliithigen Kastanien zwi
schen den saftgrünen Blättern. Sonst
hatte die Gegend mit ihren Schutt-
und Steinplätzen, dem trägfließenden,
schmutzig - grauen Wasser nichts Ver
lockendes. Aber sie war menschenver
lassen und gab zweien, die sich seit
Jahrzehnten nicht gesprochen, Gelegen
heit, sich ruhig auszuplaudern.
Waldow fragte nach diesem und je
nem, der mit uns im Lebensmai Zim
mertamerad auf der Kriegsschule ge
wesen. Einen hatten wir just zu Grabe
getragen. Drei machten Carriere. Von
dem kleinen Feldau wußte ich nichts.
„Aber ich," lachte Waldow. „Wir
„Schneidiges Kerlchen!" sagte ich.
„Hm. Meine Frau wollte nicht von
einem Umgang wissen. Die Feldaus
dern aber riesig mit seinemChik, Wein
keller und künstlerisch stilvollen Ein
richtung."
„Heirathete ja wohl damals die klei
ne Tettenborn, das bildhübsche Ra
dieschen mit der Viertelmillion?"-
„Richtig. Schlug alle Concurrenz
glänzend aus dem Felde mittelst seines
nadelspitzen Riesenschnurrbart/s und
dicken, seligen Schwiegerpapas, der als
fliegender Wursthiindler seine Mili
tärlieferantenlaufbahn begonnen ha,
ben sollte. Hat ganz recht d«-
ran gethan. Die kleine Tettenborn
war zum Anbeißen niedlich, ganz wil
lenlos, und fügsam wie ein Kind. Und
ein Kind an Jahren und Unerfahren
heit war sie in der That noch, als er
die kleine Waise frisch aus der Pension
weg heirathete und ... Mein Himmel,
was ist das?"
Wir waren bis zu einer Brücke ge
langt, auf welcher ein dicht zusammen
gedrängter VoltshausFi: Arbeiter,
Frauen mit Umschlagtüchern, Kinder
in Pantinen, über das uns abgekehrte
Brückengeländer gebeugt,in das Was
ser zu spähen schienen.' Wir drängten
uns mitten hindurch und hielten Nach
frage. weshalb die Schiffer in dem klei
nen Rettungsboot mit Stangen und
Haken im trübslüssigen Wasser umher
fischten.
Ehe noch eine Antwort kam. hatten
sie den grausigen Fund gethan. Eine
leblose Frau mit zwei Kindern zu
sammengeschnürt zerrten sie an die
Oberfläche bis ins Boot. Durch die
johlende Masse brachen wir uns Bahn
an die Ufertreppe, an der schon zwei
Schutzleute Posto gefaßt und uns
höflich Bescheid thaten.
Die Frau habe sich vor ein paarMi
nuten, als sie sich unbeobachtet glaub
te, mit ihren Kindern da vom kleinen
Steg, der zum Spreekahn führe, hin
untergestürzt. Ein Junge habe das
aber von der Luke des Kahnes mit
angesehen und Alarm geschlagen. Der
Schiffer und seine Knechte hätten so
fort das Rettungsboot bestiegen und
nachgesucht. Hoffentlich sei noch Leben
Sollte man es wünschen? Wer den
dunklen Weg beschreitet, thut ihn nicht
gern zurück!
In diesem Augenblick landete das
Fahrzeug. Die Schiffer trugen ihre
Last hinauf. Ganze Fluthen von Was
ser strömten aus den Kleidern und
Haaren der Unglücklichen. Einen Blick
auf die schlaff Hingestreckte, an deren
Brust geklammert noch die Kinder la
gen, und wir starrten uns tödtlich er
schrocken an. Aeffte uns eine Ähnlich
keit, oder spiegelte uns das eben Be
sprochene nur eine gräßliche Vision
vor? Ich blickte angstvoll forschend
Waldow an. Er war blaß bis in die
Lippen. Und er starrte wieder mich
entsetzt an.
„Es kann nicht sein," suchte er sich
zu überreden. Aber dann beugte er sich
kopfschüttelnd doch herab und suHtc,
suchte. Und sagte schließlich mit hei
serer Stimme: „Sie ist's doch!"
Wir überlegten nur eine Minute.
Eine Droschke war rasch beschafft, ein
Arzt in der Nähe, ein Asyl in derNach
barschast.
Eine halbe Stunde bangen, qualvol
len Ringens um verebbende Menschen
leben.
Dem Doctor stand der helleSchweiß
auf der Stirn, als er uns endlich die
Rettung von zweien meldete. „Das ar
me Weib", sprach er voll tiesen Mit
leids. „Es war ein hartes Stück "Ar
beit für nichts. Die Unglückliche klagte
zum Herzzerbrechen über ihre Lebens
erweckunq. Wenn sie erst weiß, daß das
eine arme Wurm dahin ist, wird sie sich
gar nicht fassen können. Meine Herren,
es giebt Fälle, wo die pflichtgebotene
Ausführung unseres Berufes zur
Grausamteit werden kann. Ein paar
Minuten länger und die arme Frau
hätte so schön geruht nach allem Elend
und Erdenleid, das sie sicherlich durch
gemacht hat."
Waldow's Frau suchte sie am fol
genden Tage im Krankenhaus auf.
Linda's Wesen wirkt wie eine Liebko
sung auf kranke Seelen.
Alles aufgespeicherte Weh und Leid
löste sich auf unter ihrem Zuspruch in
Thränen. All ihren Jammer beichtete
die Frau der theilnehmenden Schwe
sterseele.
Es war die alte Geschichte von der
Schutzlosigkeit der Frau gegenüber der
Pflichtvergessenheit desjenigen, der das
freie Verfügungsrecht und die Macht
hat über das, was ihr gehört.
Lange Jahre hatte sie wie im Halb
schlaf sein üppiges Leben getheilt.
Dann waren ihr von einem warnenden
Freuyd die Augen geöffnet.
Ein Herz sich fassend, hatte sie ih
rem Gatten Vorstellungen zu machen
gewagt: schüchterne Fragen über den
Stand ihrer Verhältnisse, die Anlage
ihres Vermögens.
„Kleine Frau, darum brauchst du
dich nicht zu kümmern, das ist nicht
Frauensache," hatte er sie gut gelaunt,
lachend, leichtherzig abgefertigt. Und
sie? Sie hatte sich beruhigt und weiter
in den Tag hinein gelebt und genossen.
Sie verstand ja auch in der That nichts
davon. Kein Mensch hatte sie das ge
lehrt, kein Mensch sie je unterwiesen,
zu hüten, was ihr und ihrer Kinder
war.
Dann wurde er in die Residenz ver
setzt, und das tolle Leben schlug im
mer höhere Wogen bei ihm.
Eines Tages brachte er Papiere nach
Hause. Mit nervös zitternder Hand
tippte er auf eine freie Linie. „Unter
legte die Hand auf ihre Schulter. Sie
hatte ein Gefühl, als wolle er sie da
durch niederdrücken. Wie seine Finger
wiederholte er mit Nachdruck, während
sie das Schriftstück zu überfliegen
suchte.
Es waren ihr Hieroglyphen. Je mehr
sie einzudringen suchte, desto weniger
verstand sie davon. Sie kam sich ganz
dumm vor.
„Nur den Namen?" fragte sie.
„Auch geborene!" trieb er ungedul
dig.
Sie gehorchte mechanisch. Er riß
ihr eilig das Blatt unter der Hand
fort, bewegte es gegen den Luftzug, da
mit es schnell trocknete, kniffte es und
stickte es in die Brusttasche.
„Was bedeutet das, Achim?" fragte
sie nachdenklich.
Er streichelte gönnerhaft ihre Wan
ge. „Laß nur, Kind, du verstehst es
doch nicht." Und plötzlich, in eiyer jetzt
seltenen Zärtlichkeitsanwandlung,
beugte er sich nieder und küßte sie.Achim
von Felda» war trotz seines sündhaften
Leichtsinns eigentlich ein gutmüthiger
Mensch. Die kleine Frau that ihm viel
leicht in diesem Augenblick leid! Er
konnte ja aber nicht anders! Nichts
führte zurück.
Und dann war er fortgegangen auf
Nimmerwiedersehn mit dem Rest ih
res Vermögens. Und nicht einmal al
lein, sondern mit derjenigen, die ihm so
wacker dabei geholfen, das Vermögen
seiner armen/schutzlosen Frau durch-
Eine kurze Zeit kämpfte die Ehever
lassene für die Existenz für ihre Kin
der. Die Erfolglosigkeit machte sie
muthlos, das wachsende Elend ver
zweifelt. Die letzte Zuflucht aller
schwachen Naturen, die nicht lange
ringen mögen, ward der Schlußact.
Nach ihrer Genesung folgte natürlich
das gerichtliche Nachspiel. Die Ge
schworenen aber hatten Mitleid mit
dieser Gebrochenen und sprachen sie
frei des fahrlässigen Mordes.
Neben mir in meinem kleinen Lan
dbaus in Thüringen lebt eine stille, ge
beugte Frau unter dem Titel meiner
Hausdame, und draußen im Garten
hetzt sich ein wilder, achtjähriger Bu
be mit meinem Jagdhund. Mattes
Roth ist allmählich in das vergrämte
Gesicht zurückgekehrt, aber in dm trau
rigen Augen steht ein schreckliches Et
was: jene unergründliche Schwermuth
des Menschen, der schon in die Ewig
keit geblickt hat.
Erinnerung.
Es ist das Herz ein Todtenschrein,
Man legt gestorbene Lieb' hinein,
Doch wenn der Mond am Himmel
geht,
Die todte Liebe aufersteht,
lind schwebt um dich im blassen Licht,
Mit thränenfeuchtem Angesicht.
Es gibt Gedanken, die Thaten
sind, weil sie wirken.
Der Keld der Hrägyeit.
Gesellschaft und trank langsam aber
sicher ihren kühlenden Mint Julep.
Der alte Richter Shotwell, dessen ge
rötbetes Gesicht mit Hülfe eines riesi
— ein Wetter, wie es höchstens Pete
Alle lachten. „Ja, Pete Snooks
..Ich beneide Pete es ist etwas
Eelbstgenügsames", sprach wieder der
alte Richter, der mit Vorliebe im klas
sischen Alterthum mit seinen Gedanken
jetzt sein?" frug Sandy Halliwell.
„Ich schätze ihn auf circa 70 da
bei noch kein graues Haar ein glück
der Richter wieder ein.
Gleichsam zur Illustration dieser
Worte trat im nächsten AugenblickPete
Snooks selbst ein. Eigentlich trat er
nicht ein „trat" ist ein zu starker
Ausdruck. Er schob sich vielmehr lang-
Gestalt hatte etwas Weiches, Kindli
ches. Das Antlitz leuchtete wie in in
nerem Frieden, wie wenn er mit sich
Richter Shotwell.
dächtig das Schanizimmer und setzte
sich dann gemüthlich in die kühle, dunk
le Ecke.
„Danke, Richter, aber um diese schöne
Wärme nach Gebühr zu genießen, muß
man nicht trinken," erwiderte Pete
dann.
Knabe."
„Gut der Kameradschaft halber will
ich's thun, obwohl mir nichts daran
liegt."
Pete gab Jim Kelly, dem rührigen
Getränkemischer hinter der Bar, einen
kleinen Wink mit dem Zeigefinger.
Der verstand, und einen Augenblick
später stand der Becher mit dem duf
tenden Trank vor ihm. Lautlos, im
mer die mächtige Nase tief im Gefäß
begrabend, nippte Pete dann seinen
Mint Julep, wobei bei jedem Schluck
ein sonniges Lächeln seine Mienen
umspielte. Offenbar trank Pete den
Stoff ganz gern, trotz seines anfängli
chen Sträubens.
Als Pete Snooks endlich mit der
Nase den Boden seines Bechers erreicht
hatte, erhob er sich wieder ganz lang
sam und wandelte, die Gesellschaft mit
einem stummen Abschiedsgruß beglllk
kend, wieder hinaus in die brütende
Nachmittagssonne.
„Wer von Euch weiß denn noch, wie
sich Pete Snooks einmal die Unsterb
lichkeit errungen hat?" frug der alte
Richter Shotwell.
Kurzes Schweigen. Darauf Al
Busbee schüchtern: „Ich glaube, mal
was gehört zu haben von der Geschich
te. Es ist aber schon lange her und die
Einzelheiten sind mir entfallen. Er
zählen Sie doch 'mal wie war das
eigentlich Richter?"
Die Uebrigen stimmten mit ein.
„Nun gut," sagte der alte Herr, „es
wird ja nichts schaden, Euch jüngere
Generation einmal wissen zu lassen,
wie Eure Väter lebten. Aber dazu
wird's nöthig sein, unsere Gaumen
nochmals etwas anzufeuchten Jim,
nochmals dieselbe Dosis für die
Runde."
Jim wartete seines Amtes ,und als
das Gewünschte auf dem blanken, po
lirten Mahagoni der Bar stand, räus
perte sich der alte Richter Shotwell und
begann:
„Pete Snooks ist der Sohn eines
Pflanzers im Black River-Thale und
wuchs in Wohlleben auf. Sein Vater
starb, als er LS Jahre zählte, und das
Besitzthum mit feinen 120 Sklaven
ging auf ihn über. Das war Mitte
der 50or Jahre. Pete war eine liebens
würdige, gastfreie Natur ein rich
tiger südlicher Gentleman, gütig und
nächsichtig gegen die Nigger und mit
stets offener Hand und offenem Haus
für seine Freunde und Nachbarn. Aber
träge war er, sehr träge—dafür besaß
er schon damals eine Reputation im
ganzen Eounty. Er war einige Jahre
in Richmond auf dem College gewesen,
aber gelernt hatte er da, glaube ich,
nichts als einige lateinische Citate, die
ihm so angeflogen waren. Diese Cita
te braucht er heute noch, wenn er sich
'mal recht wohl fühlt. Na, es waren
so einige Jahre hingegangen und man
sagte, daß die Snooks'sche Plantage
stark verschuldet sei. Da brach der
Krieg aus. Pete natürlich, als ge
treuer Sohn seines Staates, hielt es
mit der Konföderation. Die Dinge
gingen bergab, wie Ihr ja alle wißt.
Die Schwarzen liefen theils davon,
theils wurden sie von den Danks in
ihre Regimenter gepreßt, und die Ar
beit blieb liegen. Die Maisfelder ver
wilderten, bis das Unkraut auf ihnen
Heirathen war er von je zu träge ge
wesen,und so war er auch diesMal al
lein, nur vom altenToby, seinem Leib
sklaven, begleitet. Alles auf seiner-
Plantage lag m rauchendem Schutt
und Trümmern, und Pete versuchte,
hier ein Unterkommen zu finden. Das
hielt aber schwer, weil wir auch nicht
böse Zeit damals durchgemacht haben.
Arbeiten wollte er nicht konnte er
auch nicht —das wäre gegen die Würde
eines südlichen Gentlemans gewesen,
und der alte Toby war zu gebrechlich,
um viel nützen zu können. Um diese
Zeit verlor ich Pete eine Weile aus dem,
Gesichtskreis. Ich hörte nur, daß der
Toby amTyphus gestorben sei und daß
es Pete sehr schlecht gehe. Da es aber
uns allen damals schlecht ging, s»
machte dies keinen Eindruck auf mich.
Mittlerweile wurde Pete Snooks ebeir
selbst krank, und es hieß, er sei gestor-
Mitten durch Main Street bewegte sich
der. Vor Billy Boyle's Hotel hielt auf
einmal der Zug mit dem Sarge. Was
giebt's? frug man. Einer sagte, es sei
was los mit dem Sarg. So schien's
gestellt. Kein Zweifel Pete mußte
Spannung abgehoben. Darauf kam
Pete nun zum Vorschein. Er hatte sich
der Bequemlichkeit halber auf den El
lenbogen gestützt und sah ganz natür
lich aus. Ruhig und schweigend mu
sterte er die Umherstehenden, sah den
blauen Himmel und die Sonne an und
frug dann mit leiser Stimme: „Wo
bin ich?" Man theilte ihm mit, daß
:r sich geraden Weges zum Kirchhof be
funden habe. „Sonst nichts Neues?"
oerlangte er zu wissen. Nein, sagte
man ihm, der Krieg dauert noch im
mer an und Lee sei gerade einmal wie
der von den Aankees verhauen worden.
Meine Plantage noch immer inTrllm
mern?" Ja, das sei sie. „Und Toby
noch immer todt?" Jawohl. „Na>
dann schraubt den Deckel nur wieder
zu und setzt das Begräbniß fort," sagte
Pete. Sofort aber erhob sich Wider
spruch. Pete bemerkte ruhig, daß das
Lebendigbegraben nicht so schmerzhaft
als Todesart sei,als das Verhungern.
Da erhob Billy Boyle seine Stimme
und machte die Offerte jeden Tag Pete
eine Mahlzeit gratis zu fpendiren.
Davon könne er nicht leben,meintePete.
Dan McElroy mischte sich hier ein und
machte eine zweite Offerte er wolle
Pete SO Büschel Mais geben. Sam
Blake that desgleichen. Elliot Fitzroy
legte noch 2V Büschel zu und Angus
Maxwell ebenfalls. Athemlose Stille
in der ganzen Menge, ob Pete unter
solchen Umständen vielleicht seinen
Entschluß ändern werde. Da erhob
sich Pete halb auf seinem Lager im
Sarge und stellte die Frage: „Soll ich
das Korn geschält kriegen?" Nein,
sagte man ihm, ungeschält. „Dann
nur weiter mit dem Begräbniß," rief
Pete mit matter Stimme und legte
sich ruhig wieder hin.
Es genügt wohl zu constatiren, daß
bei dieser Sachlage sich die vier Bethei
ligten erboten, auch das Korn zu schä
len. worauf Pete gleichmiithig und
langsam aus seinem Lager herausstieg
und sich sofort nach Billy Boyle's Ho
tel verfügte, wo er seine erste Mahlzeit
mit großem Appetit verzehrte.
Seitdem ist Pete Snooks gebliebe»,
was er ist ein Gentleman und Phi
losoph dem die Stadt die Unannehm
lichleiten des Lebens soviel wie irgend
möglich aus dem Wege geräumt hat.
Das ist nun schon viele Jahre so ge
gangen, und vermuthlich wird's noch
viele Jahre so gehen. Und aus diesem
Grunde, Gentlemen, erhebe ich mein
Glas und trinke auf das Wohl von
Pete Snooks, dem Helden der Träg
beit."
Und alle Anwesenden thatenßescheid,
während sich Richter Shotwell mit
sem rotben Bandanna den Schwaß
com Gesicht wischte.
DerreckteMann. „Du
Maler zugefügt!"
Rechtfertigung. Herr:
(zum Diener): „Kerl, ich glaube, Du
rauchst von meinen Cigarren?" Die
as den Feieriazenl" -