Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 16, 1896, Page 2, Image 2

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    2 Wetti.
Eine herrliche Sommernacht. In
die Dunkelheit spann das sterbende
Licht noch immer seine goldenen Son
nenfäden, das trauliche Dämmern
sollte gar kein Ende nehmen und«»
manchen Stellen warf ein Bogenlicht
sein< weißleuchtende Strahlensluth
auf die dunklen Wasser des Canals.
Aul dem eleganten Restaurant, das
öS« Ufer, mitten im Grünen aufgebaut
ist, tönen lustige Stimmen und Glä
serklirren zu mir herüber.
Da taucht eine Gestalt aus der
Finsterniß empor, schattenhaft, gei
sterhaft. Das lichte Kleid, das ein
schneeweißer Atlasgürtel umschließt,
läßt die zarten Formen in scharfen
Umrissen hervortreten, und wie das
Mondeslicht sich auf den Gürtel wirft,
scheint er sich, wie die Maschen und
Bänder, die das Kleid zieren, in eitel
Silber zu verwandeln. Jetzt wendet
sie sich vorsichtig um. Sie scheint zu
suchen. Ein großes glühendes Auge
sucht mit angstvollem Blicke. Es ist
ihr Auge.
„Wetti! —" Sie hält inne und
schaut sich um. Ich habe sie erkannt.
Ja, es ist die „Wetterl,,, die schlanke
ben Jahre nicht gesehen, das merk
würdige Mädchen mit dem ewigen
Lachen auf den Lippen und dem steten
tllieinen im Herzen. Sie sieht nicht
«llzu gut aus, bie arme Wetti, so
schien es mir. Oder war's die abend
liche Mondbeleuchtung, die ihr Antlitz
fahler und blässer erscheinen ließ.
Aber ihre Augen waren noch diesel
sich wie Leuchtkäferchen und hoben sich
in herzlich treuem, dunklen Braun
»uS bläulichem Weiß hervor.
> Sie kam mit noblen Damen in Be
rührung. sie betrat elegante Woh
nungen, und wenn sie dann desAbendS
in die bescheidenen Wohnräume ihrer
Eltern zurückkehrte, da wirkte der
Kontrast verbitternd auf das Gemüth
des schönen Kindes und eS fragte sich:
„Warum sind die übrigen so glück
lich, so reich, von Glanz und Pracht
»mgeben? Warum nicht auch ich?
Warum hat das Leben für mich nur
Arbeit und keine Freude?"
Und die Freude des Lebens kam
euch für sie mit der ersten Liebe. Jetzt
lachte sie des Reichthums, des Glückes,
des Glanzes und der Pracht der
Noblen, sie fühlte sich »riendlich glück
lich durch die Liebe. nd es
wieder die Armuth, die schwere Gist
tropfen in diesen Freudenbecher träu
selte. Er hatte Bedenken, er begann
zu rechnen, was ein Haushalt braucht,
und er kam zum Schlüsse, daß die
Wetti arm sei und die Sache war zu
Ende.
Die Zeit heilte mit dem Balsam
des Vergessens die schwere Herzens
wunde Wetti's und in ihr braunes
Auge legte sich wieder freudiger Glanz
und jugendliches Feuer. Und so traf
ich sie.
„Was machst Du hier?"
„Er ist da! Ich hab« ihn gesehen,
in froher Gesellschaft habe ich ihn ge
sehen, und seit Monaten erwarte ich
ihn und stets ist es eine ander« Aus
r«de, die er sür mich bereit hat. Lassen
Sie mich! Da kommt er!"
Lachend und schäkernd kam eine
Gesellschaft daher. Das helle Kichern
Stimmen der Männer heraus.
„Der Elende! Sagen Sie mir,
lieber Freund, darf denn ein armes
Madchen nicht lieben? Soll ein armes
Auge?"
Was sollte ich ihr sagen? Ich dachte
eben nach, da eilte sie schon davon.
Ich begann mir mein« Antwort für
in« Wetti zurechtzulegen, aber es wollte
mir nichts Rechtes, Gefcheidtes ein
sallen.
Die Wirklichkeit macht der schönsten
Philosophie oft ein Ende und That
sachen werfen di« sorgfältigsten Berech
nungen über d«n Haufen.
Unter solchen Gedanken kam ich zur
Brücke. Dort stand Wetti, an d«
Brüstung gedrückt. Ihr Schleier schien
v»n Perlen durchzogen zu sein, es wa
rtn aber Thränen. Sie weint« Herz-
Brechend, die klein« Modistin, und da
tch ihre Hand faßte, schaute sie mich
«m, als kenne sie mich nicht mehr.
Dann legte sie ihr dichtes, kastanien
braunes Haar auf mein« Schulter und
schluchzte: „Da unten sitzt er in dem
Restaurant und icb seh« hinein in das
Fenster und höre dieKüsi«, die er giebt,
die er bekommt. Der Elende! O, darf
denn ein armes Mädchen nicht glücklich
werden durch die Liebe?"
Die arme Wetti brach zusammen
und von drüben klang froher Becher-
Ilang hin zur Brücke, auf der das
ohnmächtige Kind lag.
Ein schlauer Bankier.
Blumenstein: Lieber Goldstein. Ihr
Cafsirer kommt mir sehr verdächtig
vor, ich seh' ihn immer im Kaffeehaus
d«n Fahrplan nach Amerika studiren.
Nehmen Sie sich in Acht, ich sage Ih
nen das als guter Freund. Gold
st«in: Seien Sie ruhig, lieber Freund,
das thut er in meinem Austrag, da
mit di« Leute glauben, daß Geld in
d«r Casse ist. . »
k- Ein guter CUrort.
Kurgast: Sie, Eu« Doctor ist ja ganz
blind! Bürgermeister: Dös macht
nix. Kranke Hain mer kane, na und da
verwtnd'n ma'i» nur als Todtenbe
Kiu merkwürdiger Kran
keuvcluch.
Als Dr. Bergseld sich i.i dem Städ
tchen Lumsdcn, das am Abhang eines
Gebirgskammes der Blauen Berge in
Virginien liegt, niederließ, da war das
Staunen der Bewohner groß. Seit
Menschengedenken war kein Deutscher
dort ansässig gewesen, und Niemand
hatte erwartet, als der alte Dr. Need
hc>m gestorben war, daß sein Nachfol
ger ein Ausländer fein würde. Indes
sen war Dr. Bergseld einer von jenen
Deutschen, die man sofort lieb ge
winnt. Frisch und froh, von jener ge
winnenden Herzlichkeit im Benehmen,
wie sie alten Corpssludenten oft eigen
thümlich ist. Und Corpsstudent war
der junge Arzt mit Leib und Seele ge
wesen, das verriethen schon die vielen
„Schmisse", die sein offenes Antlitz
bald die ganze Praxis des versto be
nen Collegen und noch viele neue Pa
tienten dazu, umfomehr als sein Ruf
als tüchtiger Arzt bald felsenfest be
gründet war und sein nächster College
immerhin 16 Meilen weit weg quer
über die Berge wohnte.
Im Frühjahr, als der Doctor viel
mit seinem wackeren Braunen über
Land ritt, benutzte er mit Vorliebe den
schönen, harten, gutgepflegten „Rock
Road", der bei jeder Sorte von Wit
terung leicht passirbar war. Und so be
merkte er auch sofort, als er eines Ta
ges im Mai an der alten Hamson Cot
tage vorüberkam, daß dieses Anwesen
neue Bewohner erhalten hatte. Leute
aus dem Norden waren es, die zur
Kräftigung ihrer Gesundheit das mild«
und doch so erfrischende Klima dieses
Theils des alten Südstaates aufgesucht
Vorbeireiten häufige Bemerkungen an.
Die junge Frau schlank, sehr zart
und mädchenhaft in ihrer Erscheinung;
der Mann hager, mit einer hekti
schen Röthe auf den Wangen, noch
jung, aber schon alle Anzeichen eines
Schwindsüchtigen an sich. Mit Interes
se bemerkte er, wie zärtlich besorgt das
junge Weib um ihn war, ihn stützend,
zu ihm plaudernd, ihn ermunternd,sein
lieblicher Schutzengel. Wie ein Paar
Turteltauben, so innig schien das Ver
hältniß in dieser Ehe zu sein. Schade!
seufzte der Arzt, denn seinem profes
sionellen Scharfblick konnte es nicht
verborgen bleiben, daß die Spanne
Zeit, die dieser arme Kranke noch aus
Erden zuzubringen habe, eine nur sehr
kurze sei. Manchmal sah er die Beiden
im Garten, wo hohe, schattige Bäume
und viel dichtes Gesträuch den Aufent
halt zu einem angenehmen machten, wie
die junge Frau mit Gartengeräth
fchaften hantirte »nd der Kranke dabei
faß, auf seinen Stock gestützt. Dann
wieder beobachtete er sie, wie sie auf der
Veranda ihr Frühstück oder ihren Thee
einnahmen, und verschiedene Male
drang zu seinem Ohr das silberhelle
Lachen der Frau, wenn der Kranke
„seinen guten Tag" hatte und gesprä
chig war. Indeß war nie Dr. Bergseld
in das Haus gerufen worden, und die
tödtliche Krankheit machte wohl nur
langsame Fortschritte in dieser balsa
mischen, reinen Lust.
Dann kamen stürmische, rauhe
Herbsttage. Der Regen schlug mit sei
nem inelancholichen Geprassel gegen
die Fensterscheiben in des DoctorsÖf
sice, und es gab viel zu thun für ihn,
denn Krankheiten aller Art nahmen
überhand bei solchem Wetter. Dr.
Bergseld hatte das Paar in der Ham
son Cottage a»» den Augen verloren.
Eines Abends war er müde und
abgespannt von seinem Tagewerk
heimgekehrt. Wenn nur nicht noch Je
mand mich herausklopft, dachte er bei
sich, als er die matten Glieder auf dem
Sopha ausstreckt« und eine Pfeife an
gesteckt hatte vor'm Zubettgehen. Da
erscholl aber auch schon der Messing
klopfer an der Thür, und einen Augen
blick später stand ein alter Neger,
athemlos von dem scharfen Ritte, vor
ihm.
„Doctah, Sie müssen sofort zuMis
tah Brownlow kommen es steht
schlecht um ihn die Missus schickt
und kommen Sie schnell, hat sie ge
sagt, es ist Gefahr!" schrie der Schwa
rze in heiserem Ton«.
Die Brownlow« waren die beiden
Leutchen aus dem Norden, die in der
Hamson Cottage wohnten. Dr. Berg
feld wußte genug. Schnell kleidete 'er
sich wieder an, ließ sein Gig anspan
nen, nahm die Medicinkiste unter de»
Arm und das B«steck mit Instrumen
ten, wie es jeder Arzt auf dem Lande
braucht, und fuhr hin durch die Nacht,
so geschwind wi« ihn di« Hufe seines
getreuen GauleS tragen wollten.
Es war Mitternacht vorüber, als er
vor der Thür der Hamson Cottage
stand. Aus sein ungestümes Klingeln
wurde ihm sofort aufgethan. Die jun
ge Frau, todtbleich und mit einem ei
genthümlichen Licht in dm dunklen,
weitgeöffneten Augen, stand vor ihm.
„Kommen Sie schnell, Doctor", flü
sterte sie, als ob sie Jemand zu wecken
fürchtete, und zog ihn in ein großes
Zimmer hinein. In demselben stand ein
breiter schwerer Mahagonitisch, und
jenseits desselben, gerade dem Flur ge
genüber, war ein Bett, in dem der Pa
tient regungslos lag. Die eine Hand
fiel zur Erde, das Haupt war der
Wand zugekehrt. Der Doctor rückte
sich einen Stuhl ans Bett und begann
eine Untersuchung. Die Hand war kalt,
eiskalt, und steif. Er griff nach dem
Herzen. Kein Schlag war zu fühlen.
Der Puls stand still. Er wandte das
Haupt sich zu. Die Kinnlade war ge
falltn und die Augen standen offen mit
Zweifel --- tr hatt: eine Leiche vor sich.
Der Mann mußte mindestens vor 4
6 Stunden gestorben sein.
Erschüttert stand Dr. Bergseld auf
und wandte sich der jungen Frau zu,
die auf der anderen Seite des schweren
Tisches stand, sich auf die Platte des
selben mit ihren schlanken, weißen Fin
gern stützend.
„Mrs. Brownlow", sagte er mild
und zögernd, „meine Hülse kommt zu
spät. Ihr Mann ist todt."
Di« junge Frau stieß einen einzigen,
schrillen Schrei aus. Dann krampste
sich ihre Hand über der Brust und sie
sprach, während ein fürchterlicher Blitz
aus ihren dunklen Augen zuckte:
„Sie lügen, Doctor. mein Mann ist
nicht todt. Wecken Sie ihn wieder zum
Leben!"
„Madame, ich schwöre es Ihnen,"
sprach flehenden Tones Dr. Bergseld,
„alle Hülse ist vergebens. Vom Tode
kann man Niemand zum Leben er
wecken."
Ohne ein Wort der Erwiderung
sprang das junge Weib an einen
Schrank, riß ein Schubfach auf und
nahm einen schweren Gegenstand her
aus. Es war ein großer sechsläusiger
Colt - Revolver, und indem sie den
Hahn spannte, daß das Knacken deut
lich zu hören war, stützte sie ihren rech
ten Arm mit dem linken und legte auf
den Arzt an. Dr. Bergseld sah deut
lich, wie die schwarze, runde Mündung
der fürchterlichen Waffe ihn anstarrte.
„Sie lügen, Doctor, Sie gehören
auch zu unseren Feinden. Sie wollen
meinen Mann lebendig begraben las
sen. Aber ich lasse es nicht zu. Er lebt
noch. Bringen Sie ihn wieder zum Be
wußtsein. Lassen Sie ihn nur wieder
sehen und sprechen. Zaubern Sie sein
liebes Lächeln wieder auf seine Züge,
und ich will vor Ihnen knieen und Ih
nen danken wie meinem Herrgott. Miß
achten Sie mein Gebot, und Sie sind
ein Kind des Todes. Sie sollen meinen
Mann nicht ermorden!"
Dies sprach das junge Weib mit
scharfer, durchdringender Stimme, in
dem sie dabei den Arzt mit flammen
dem Auge ansah.
Wahnsinnig! Dielleicht durch den
plötzlichen Schreck, vielleicht schon vor
her. aber zweifelsohne wahnsinnig.
Was thun? Dr. Bergfeld war ein
muthiger Mann das hatte er schon
bei alle möglichen Anlässen bewiesen,
auch letzten Monat am Wahltage, als
er in eine lebhafte Discussion übel
Nationalpolitik verwickelt worden war.
doch neu, und er sah, daß seine einzige
Rettung in der List bestand. Sich auf
die Wahnsinnige werfen und ihr den
Revolver entreißen? Beim ersten
Schritt würde er eine Kugel im Ge
hirn sitzen haben, das sah er an dem
irren Leuchten ihrer Augen. Flucht?
Sie war ihm abgeschnitten. Ueberre
wie diese.
Plötzlich durchzuckte eine Idee seinen
Schädel. „Ich will sehen, ob da noch
etwas zu thun ist," sagte er und beug
te sich wieder über den Todten. „Viel
leicht ist es ein Fall von Katalepsie
Recept." 2
Und Dr. Bergftld riß ein Blatt von
feinemßeceptblock herunter und begann
zu schreiben. Sein Recept sollte eine
Botschaft um Hülfe sein. Aber wie sie
abfassen, ohne daß die junge Frau es
merkte? Das warmer schwierige Punkt.
Halt! Lateinisch —der Apotheker wür
de wohl soviel davon versteh«n und die
Frau jedenfalls nicht. So schrieb er
dann:
Für Mr. Brownlow, Hamson Cot
tag«, Rock Road.
Dr. Bergfeld.
Und di«fes Recept gab er, nachdem
di« junge Frau durch «inen Schlag aus
das Gong den alten Neger herbeigeru
fen und das Papier selbst vergeblich zu
entziffern versucht hatte, dem Neger,
ihm zugleich ein Blick des Einverständ
nisses zuwerfend.
» « »
Einen Moment später hörte «r «inen
schnellen Hufschlag die Straße nach
Lumsdcn zueilen. Es mußte der Bote
sein. Ob rrchtziitig Hülfe brin.
folgten! Draußen klatschte und plät
schert« der kalte Regen. Und hier im
Zimm«r hielt dies wahnsinnige junge
ehern wie das Schicksal selbst, ihreAa>
che. Ihr Arm schien nicht zu «rlahmen,
und noch immer starrte die Mündung
sammengesunten war, drohend an.
Gräßliche Gedanken durchwühlten
ihm das Gehirn. Nur ein Fingerdruck
trennte ihm vom Tode, dachte er, und
wie leicht war es möglich, daß ein
Wulbansall dieses arm>, irrsinnigeGe
schöpf packen könn«, und danii seine
Phantasie malte sich's aus, wie er hier
blutend, mit einer klaffenden Stirn
wunde, neben dem Bette des Todten
hinsinken werde. Schmachvoll! So der
Gewalt eine? schwachen Weibes, das cr
mit einerHand bemeistern könnte, wenn
nur der schwere Tisch, der sein Näher
kommen unmöglich machte, nicht im
Bleiern verstrich die Zeit. Und jeden
Augenblick war er gewärtig, den schar
fen Knall der Pistole zu hören und die
schwere Kugel in seinen Körper zu
emps.Xgen. Wie viele Stunden müßten
schon Estrichen sein, seitdem er so die
Wiederkunft des Boten und die erbete
ne Hülfe erwartete? Und würde sie
überhaupt kommen? War vielleicht der
Bote selbst das Opfer eines unglückli
chen Zufalles auf dem Wege geworden?
Oder hatte er seine Botschaft nicht ab
geliefert?
Kalte: Schweiß Hrach dem qualvoll
Wartenden aus allen Poren bei diesen
Zweifeln und düstern Gedanken. -
Doch horch! Da klang scharfer,
schneller Hufschlag. Es mußte eine
Anzahl Pferde sein. Die Hülfe nahte.
Endlich! Und unwillkürlich stieß Dr.
Tische hatten ihn auch gehört,und miß
trauisch blickte sie ihn an. Da drang
auch schon neues Geräusch an ihr lau
schendes Ohr. Feste, eilende Tritte
Vorzimmer, in unmittelbarer Nähe.
„Verräther! Mörder meines Man
nes!" kreischte sie auf: „Nicht Medicin,
Hülfe, um Dxn erbärmliches Leben HU
retten, wolltest Du haben. Aber mein
Mann, mein geliebtes Herz soll nicht
allein in's Grab Du mußt ihm da
hin nachfolgen!"
Und der Schuß krachte. Dr. Berg
feld fühlte einen stechendenSchmerz in
der Seite und dann wurde es ihm
schwarz vor den Augen.
Als er wieder zum Bewußtsein kam,
da blickte er verstört um sich.
Er lag in einem Bette. Sein schwar
zer Diener lächelte ihn an. „Massah!
Mistah Doctah! Alles in Ordnung!"
Aber Dr. Bergfeld hat niemals sein
Abenteuer jener Nacht vergessen, ob
wohl die Wunde in der Hüfte schon
längst vernarbt ist.
Wachsame Schuld.
Der Staatsanwalt Dr. Dürbrink
warf die den Fall Böching behandeln
thig den Sessel zurück und schritt in
nervöser Unruhe im Zimmer auf und
nieder.
Dieser Fall Böching war von allen
der complicirteste und zugleich hoff
nungsloseste, denn auch nicht die leiseste
Spur des Verbrechers war bisher ge
funden worden, wenn dieser Gustav
Adolf Heinrich Böching, den man als
der That verdächtig in Haft genommen
hatte, seinen Versicherungen gemäß
wirklich unschuldig war. Und der Fall
war von allen der fatalste, weil er un
mittelbar auf zwei noch ungesühnte
Capitalverbrechen gefolgt war und der
dem Staatsanwalt vorgesetzten Behör
de zu der durchsichtigen Mahnung Ver
anlassung gegeben hatte, die Untersu
chung „dieses Mal" mit „besonderer"
Umsicht zu führen.
den des Mordes Verdächtigen zu über
führen, erfolglos blieb, so stand die A
nklage auf so schwachen Füßen, daß sie
fast völlig haltlos geworden war. Ja,
es würde dann das Beste sein, denVer
hasteten unverzüglich der Freiheit zu
rückzugeben, die falsche Fährte zuge
stehen und nach einer neuen sich ernst
lich umzusehen.
Der Staatsanwalt zog die Uhr.
Gottlob, nur wenige Minuten noch und
der mit der Ausforschung des Mörders
betraute Criminalinspector mußte neu
erlich Bericht erstatten.
Sechs Wochen waren vergangen, seit
die Wittwe Ellen Böching geborene
Kriegs erdrosselt und ihres gesammten
großen Baarvermögens beraubt auf
qefunden worden war. Man hatte so
fort alles inßewegung gesetzt, desMör
ders habhaft zu werden, und mit ra
schem Griff sich des Schwagers der Er
mordeten versichert, als dieser, der we
gen Wechselfälschung vor langen Jah
ren von dem Bruder nach Amerika ge
schickt worden war, wenige Tage nach
dem Tode der Verwandten plötzlich in
Hamburg auftauchte und sich durch ein
verschwenderisches Leben bemerkbar
machte. Aber der Volksmund, der den
ungerathenen Sprossen einer angese
henen Familie bestimmt als den Ver
brecher bezeichnet hatte, schien sich dies
mal doch geirrt zu haben. Der Verhaf
tete erklärte mit aller Ruhe, er habe
von dem Morde erst in Hamburg er
fahren, j>ur Zeit derThat sich aber nicht
einmal in Deutschland, sondern in der
schönen Wienerstadt aufgehalten. Die
Untersuchung ergab die volle Bestäti
gung dieser seiner Angaben: Der Mord
war am 15. Mai begangen worden,
der des Mordes Verdächtigte aber hat
te sich am 4. Mai in Wien an- und am
16. Mai von dort nach Hamburg ab
gemeldet und gerade am Abend des
18., wie durch eine glänzende Reihe
einwandsfreier Zeugen bestätigt wur
de, an einer Ballfestlichkeit bis zum
frühen Morgen betheiligt.
Sein Ailibi war damit glänzend
Dr. Dürbrink fuhr sich mit ge
spreizten Fingern in die Haare. „Und
doch traue ich i>em Kerl nicht." mur
melte er vor sich hin.
Der Gerichtsdiener trat geräuschlos
Elshardt.
Der Staatsanwalt blieb in der Nä
he der Thür stehen und sah gespannt
.Nun?"
Elshardt zuckte di« Achfeln.
„Nichts, Herr Staatsanwalt."
begann seine Wanderung von Neuem.
„Berichten Sie, Herr Inspektor. Da
wird uns wohl nichts Anderes übrig
bleiben, als den Herrn zu entlas
sen. Der Befehl ist bereits vorberei
tet."
anwalt, den Gefangenen hereinführen
zu lassen, damit ich den Bericht in sei
ner Gegenwart erstatte —"
„Sind Sie des Kuckucks? Ins Ge
acht Tage zu ihm in die Zelle haben
sperren lassen, als Vagabund, um ihn
auszuhorchen? Sie sind nicht gescheidt!"
„Gleichviel, Herr Staatsanwalt.
Was die List mitunter nicht zu Wege
bringt, das schafft oft die Ueberra
fchung. Die Schuld ist eben wachsam;
sie drängt ans Licht, durch die That
und durch den Thäter. In der Zelle
war ihm auf keine Weife beizukommen.
Zweck meiner Anwesenheit durchschau
te, den Spion in mir witterte. Nur die
eine Ueberzeugung habe ich gewinnen
Seinesgleichen "
„Das heißt für einen gleichfalls von
der Nemesis Verfolgten bezw. Ereil
ten?"
„Unbedingt, Herr Staatsanwalt."
Der Staatsanwalt klingelte und be
fahl, den Gefangenen vorzuführen.
Elshardt setzte sich dem Staatsanwalt
te darin.
Böching betrat unter doppelter Be
deckung das Zimmer, stellte sich ruhig
auf und sah erwartungsvoll auf den
Zellengenosse."
„Ah? Sie haben ihn ja noch nicht
einmal angesehen!"
Elshardt eine kleine spöttische Verbeu
gung. „Die acht Tage in Ihrer Gesell
schaft waren die angenehmsten meiner
Hast, Herr Inspektor."
Beide Beamte waren überrascht.
„Sie haben," fragte der Staatsan
waltschaft, „die Beamteneigenschaft des
Herrn gleich geahnt?"
„Die hätte ja ein Mondkalb erken
nen müssen," war die grobe Antwort.
„Ueberhaupt, Herr Staatsanwalt: Sie
halten mich für einen abgefeimtenßer
brecher und kommen mir mit solchen
verbrauchten Mitteln wo bleibt da
das grobmaschige Netz seiner verfäng
lichen Vertraulichkeiten nach Fragen.
Ueber diefeGrobmafchigkeit nachzud«n
l.n hatte ich schon vorh«r reichlich Zeit.
Auch das Netz von scheinbaren Ver
dachtsgründen, das Sie über mich ge
worfen haben, leidet daran. Bedenken
Sie doch selbst, was sind das für An
klagegrundlagen: die alte Dame wird
zu ungefähr der gleichen Z«it ermor
det, in der ich von Amerika heimkehrte
darum soll ich der Mörder sein; die
Dame ist zufällig meine Frau Schwä
gerin, darum soll ich mit ihren Verhäl
tnissen vertraut gewesen sein und sogar
um den schrulligen Geiz gewußt haben,
der sie dazu trieb, ein Vermögen in
morschen Kisten und Kasten um sich
zusammenzuscharren. Und wenn noch
die Summe stimmte! Aber nicht einmal
das! Sie geben den Betrag der geraub
ten Banknoten und Goldbestände auf
über hunderttausend Mark an; nicht
einmal die Hälfte davon nenne ich mein
eigen: wo sollte denn das andere ge
blieben sein? Nein, Herr Staatsan
walt. mein bescheidenes Vermögen habe
ich mir in redlicher Arbeit erworben
und ich hoffe ernstlich, daß ich endlich
von Ihnen das Wort hören werde, das
mich aus meiner schmählichen Lage be
freit. Ich habe Sie höflichst ersucht, die
Meldescheine aus Wien kommen zu
lassen, die Ihnen zu allen Zeugenaus
sagen meinen dortigen Aufenthalt
schwarz auf weiß bestätigen werden.
Ich hoffe, Sie haben meinem Wunsche
entsprochen und meiner Entlassung
steht nichts mehr im Wege."
Der Staatsanwalt hatte ihn ruhig
reden lassen. Jetzt streckte er die Hand
nach den Acten aus. „Sie erhuben,
Herr Jnspector." Und zu dem Ange
klagten: „Die Scheine sind da." Er
blätterte suchend. „Hier, hm." Er er
hob sich. „Haben Si« die Ausfüllung
d«r Formulare eigenhändig besorgt?"
Böching prüfte sorgsam die großen
steilen, etwas schulmäßig steifen Buch
staben und nickte befriedigt. „Jawohl."
„Hier, eine hiesige Unterschrift. Hm.
In dem G. liegt eine kleine Abwei
chung, da, gleich zu Anfang. Sie ist
Böching verglich ruhig.
„Nicht im Mindesten. Der Grund
character ist derselbe. Darauf kommt
es doch allein an. Einzelne Abweichun
gen begegnen Jed«ni. Wenn ich zum
Beispiel stehend schreiben muß, fallen
die Züge anders aus als bei bequeimm
andern. Er hatte sich unwillkürlich in
teressjrt vorgebeugt, richtete sich aber
scheinbar gleichgiltig wieder auf unti
stellte die directe Frage: „Wann werde
ich entlassen?"
Elshardt hatte nicht ein einziges Mal
gesprochen, den Angeklagten aber fort
dauernd scharf beobachtet. So entging
ihm dessen hastige Bewegung ebensowe
nig wie die offenbare Beunruhigung,
die sich seiner bemächtigt hatte. Die
fahlen Züge des Gesichtes waren um
einen Schatten bleicher geworden, die
Augen des Angeklagten hatten den In»
fpector blitzschnell verstohlen gestreift.
„Mit Verlaub!"
Elshardt trat mit den Acten dicht
ans Fenster und prüfte; dann kam ein
Laut Heller Ueberrafchung über feine
Lippen und er wandte sich triumphi
rend an den Angeklagten:
„Ah! Also man hat Sie! Man hat
Es ist etwas Wunderbares! Was
steht hier bei der An- und da bei Ab
meldung, ganz zweifellos und ganz
übereinstimmend? Ah, Sie zittern?"
Ein Schauer rüttelte plötzlich den
Angeklagten und seine wässerigen Au
gen schössen Blitze tödtlichen Hasses.
Erregung über ihn, daß er nicht ein
mal oersuchte, sie zu verbergen. Seine
geballte Faust schlug hart auf denTifch
und über seine Lippen kam ein derber
Fluch und dann, ehe der Staatsanwalt
noch wußte, um was es sich handelte,
die abgerissene Vertheidigung: „Ein
elender Schreibfehler! Ein ganz elen
der, boshafter Zufall! Aber das sagt
lich zu enthaften."
In höchstem Erstaunen hatte der
Staatsanwalt aufgehorcht.
„Was ist jetzt das?" fragte er.
„Bitte, lesen Sie, Herr Staatsan
walt. Hier die Anmeldung, den Na
men!"
„Gustav Adolf Hinrich Böching
selbstverständlich."
„Nein, durchaus nicht selbstverständ
lich: Gustav Adolf Heinrich und
hier, auf der Abmeldung: Gustav
Adolf Heinrich da aber in den
Acten: Gustav Adolf Hinrich Ah,
man hat sich selbst verrathen. Sie,
Herr, das hier, von Wien, hat ein An
derer geschrieben, nicht Sie! Ein Com
plice von Ihnen ah freilich, das
stimmt ja ebenfalls hunderttausend
geraubt fünfzig ihm, fünfzig Ih
nen! Eines Räthsels Lösung Ihr
Alibi in Wien: Der Complice mit Jh
nicht zu genau."
Böchings Gesicht war leichenblaß,
seine Lirpen zitterten, sein schlaffer
„Selbst verrathen! ah, Donner"
sagte der Staatsanwalt mit tiefer Be
friedigung und athmete wie von einer
Last befreit auf.
Lende Barriere und ergriff blitzschnell
das auf dem Tische vor dem Staats
anwalt stehende schwere Tintenfaß.
Gefäß dicht am Kopse des Jnfpectors
Lärm herbeigerufenen Gerichtsdienern
Eintritt gewährte, die den Wüthenden
alsbald überwanden und fesselten.
Wachsame Schuld es ist richtig
damit. Ein winziger Buchstabe das
Auge der strafenden Gerechtigkeit hatte
ihn nicht entdeckt, aber die Schuld hat
te zitternd darauf hingewiesen
Z>'r „Schtadtöauratt)."
R.H? '
Mei theierschter Leser! Weeßte, de
Glicksgettin is ooch manchmal tutt'ch.
Schmeißt se da neilich den eefält'ch'ten
Dinglich, mein'n Leibdienstmann
Sießmilch, än Lotteriegewinn in sein«
blaue Schärze, daß'r bei sein'n An
schbrichen an's Lewen beinahe Rent'j«
schbiel'n kennte. Na ja, ich geen's'n ja
von ganzen Herzen, denn daS arme Lu
der hat'ch ooch beese dorch sei bissel Le
bletzlich gar keene Sorge mehr hat,
denn, verschsteh'ste, mei Fremd, ich er
leb's ja östersch genug an mir selwer,
kee Esel is ze alt, als daß'r nich ämal
ooch usf dumme Gedanken kommt.
tags in „Civil" bummeln ging.
Zwärnhandschuhe fchteckt'r d'rbei uff.
Ne, das Vergniegen hat'r sich ooch
sauer genug verkoofen miss'n, denn er
is balde än ganzen Tag rumrasaunt,
von een'n Schtrumbladen zum andern,
Talben uffgcgawelt hatte. Se
schtand'n zwar wie än Schweine ä
Kummt, awer er drickte dorch und das
war de Hauptsache. For gewehnlich
war sei Leibgetränke Nordheiser, den
sosf'r in fein'r Schtammdestille nur
aus'n Bull'chen, war'r awer in Civil,
ging'r naus nach Bieschen in den
„Durscht'gen Frosch" und genehmige
ä Glas „mäsong dünohr". Na ja, 's
fe's blos nich ungiet'g. awer ich muß ä
baar vernimst'ge Schteeße mit Sie
reden."
„Nu, was Hain's« uff'n Herz'n?"
sagt'ch zu'n.
„Hiirn'se, Herr Schbindler, ich
zloowe, das l«ft' m'r an'sßeen," fing'r
nu an, und kratzte sich hmier de Les
se!. „Sehn'sc, allewrile werd da uff
de Schtraßen iwerall gebuddelt, daß's
„Ja, das merkt ä Bferd," schtimnit'
ich'n zu. „Sehn'se, wo sich's nor är
gend was anbring'n läßt, werd gepfla
stert, geasphaltirt, Gas rebarirt, in
der Wasserleitung rumgefummelt,
leichtung gelegt."
Na, da hat'r ja nich Unrecht; än sol
chen Zustand, wie'r bei uns alleweil«
um'n ooch richt'g wärd'gen ze kenn'n,
das is grade, als ob das ganze Nest ge
wend't wer'n sollte, wie ä alter Rock.
„Mäsong dünohr?" srug'ch.
„Na, naiierlicherweise selbstverständ
lich," meent'r druff. „Mäsong dü
wärd, is ooch Arweit, und da komm's«
herzu, von de Derfer, aus d'r wennd
fchen Därkei, Bruder bemmifches und
Gott wer weeß was for Volt, ich sage
Sie, Herr Schbindler, wenn m'r an so
Elbberg vorbei und da schtehn Sie
zwee Kerle mit än Gesichte, so tabb'g
und eesält'g "
uff de Welt geschickt worden."
„Was, Dunnerwetter'noch ämal, än
Schbazierschtock ham'se ooch?" meent'ch
verwundert.
„Nu, was denn," sagte das alte
tabbche Dienstmannsgeschtelle, „ich
hab' m'r'n vor fimf'nvärz'g Bfenn'g«
gekooft; also, da kommt Eener von die
beeden Gottliewe angeschtorcht und
fragt, ob'fe hier nich ä Bischen arw«it«n
könnten. Gott, wer weeß, fär was for
L großes Thier die mich angefeh'n hat
ten. Ich hab' nifcht d'rzwisch«n,
sagt'ch, Wenn's Eich Schbaß macht, da
schacht ämal qu«ri«wer de Schtraße än
Grawen aus sechsMeter lang und zwee
Meter breet und fuffz'g Centemeter
tief. Nu macht'ch mich natierlich dinne,
denn ich dachte, wenn die merken, daß
'te se verast't hast, kannste vertowakt
wer'n, daß's nor so roocht. Ich denke
nu doch nich "
„Na, was denne?" warfch dazwi
schen. dß d' b««d d > L
dersch da druff Hubben wer'n und nifcht
Eiligtr'fch ze thun ham, als ä Loch in'n
Erdboden ze reißen. N' ganzen Nach
mittag ham'se gewärgt, daß d« kee
Mensch vorbei konnte und kee Mensch
hat se in ihrer Arweit geschteert. Awer
nu, mei liewer Herr Schbindler, nu
Heiliges Bech noch ämal, ich denke doch
qlei, Ostern und Bfingsten fällt ze
sanim'n uff een'n Tag. Awer helle,
wie'ch bin, schtell'ch mich dumm und
thu, als ob'ch die beed'n Brieder in
mein'nLewen noch nich ze seh'n gekriegt
hatte. Herr Jeses noch ämol, werden
die Brieder awer schlecht; na, natierlich
Wörde ä Usslauf, an den'ch ooch meine
Collegen lebhaft beteiligten, de Bole
zei kam und ich mußt« mit. Das kann
änne scheene theire Schmi«re wer'n,
und was nu's Allerschlimmstt iS, wo'ch
mich blicken lasse, nenn'f« mich'n
Schtadtbaurath."
Recht appetitlich. Herr
(zur Köchin, die ihm zum Geburtstag
eine prachtvolle Torte bringt): „Schau,
schau, die schöne Torte! Haben Sie
si« selbst gebacken, Nanni?" Nanni:
„Freili', gnä' Herr! Dees war aber a'
Arbeit! Da hängt manch» Schweiß
tropfen d'ran!"
Vom musikalischen
Standpunkt. Frau: „O, Franz, bc-
Partitur!"
Pumperig: Ha. 510,<XX) Schulden
biger stecken!
Mutt«rwitz. „Sie haben
so ein nettes Händchen, Fräulein
Tini!" „Na, weil 's Ihnen gar so
gut gefällt da behalt» Ei« 'S!"'