Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 09, 1896, Page 2, Image 2

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    2 Unser Nervensystem.
' Es geht eben mit unserem Nerven
system wie mit allem anderen: man
kann es verwöhnen und gewöhnen.
Wenn wir uns selbst erlquben, jeder
geringen Regung von übler Laune
nachzugeben, jedem physischen Unbeha
gen, gleichviel wodurch es erzeugt wird,
eine zu große Bedeutung zuschreiben,
genau jedes unbedeutende Symptom
betrachten und besprechen und uns
Wunder wie sensitiv und zart vorkom
men, weil wir bei grauem Himmel
uns weniger wohl fühlen, als bei Son
nenschein, dann müssen wir uns nicht
wundern, wenn wir mit der Zeit ner
vös werden und unsere Kinder unse
rem guten Beispiele folgen. Es ist ja
interessant, nervös zu sein! Junge
Mädchen suchen manchmal eine wahre
Ehre darin, ein so sensitives Nerven
system zu haben, daß sie die geringste
Anstrengung oder Ermüdung sofort
angreift, sie können kein Blut, keine
Wunde sehen; eine Schnittwunde oder
eine sonst unbedeutende Verletzung,
Welche sich der Bruder durch einen Fall
oder unvorsichtiges dem
Taschenmesser zugezogen hat, greift
ihre Nerven so an, daß sie inOhnmacht
fallen oder zu weinen anfangen., an-
Patt helfend einzugreifen. Man ver
wechselt nämlich oft das ewig Weib
liche -mit alberner Nervosität und ver
gißt ganz, daß die wahre, «dle Weib
lichkeit darin besteht, jede Handlung,
jede Hilfeleistung ruhig und liebevoll
zu verrichten, tröstend und helfend bei
der Hand zu sein, nur aus 'das Wohl
der Anderen bedacht. Wenn Jemand
ober nun unglücklicherweise theils von
Geburt an, theils durch schlechte Erzie
hung nervös ist, oder durch Krankheit
wirklich nervenleidend geworden ist
und gern wieder gesund werden möch
te, läßt sich hier etwas thun? Ein
wirklich zerrüttetes Nervensystem läßt
sich schwer vollkommen wieder herstel
nöthig, als ein nach den Regeln der
Hygiene geführtes Leben, in dem Nah
rung, Bewegung, Beschäftigung u. f.
Bankerott zuvorzukommen. Ein Ner
venkranker braucht viel Schlaf, die Be
wegung soll nicht zu stark sein, ein
Spaziergang, der den Kräften ange
messen, viel Aufenthalt in freier, son
niger Luft, aber ohne Ermüdung.
Bäder, besonders Meersalzbäder, sind
sehr zu empfehlen. Junge Mädchen in
den Entwickelungsjahren sind beson
ders dazu geneigt, nervös zu werden.
Leider sind solche oft mit Schularbeiten
Lberhäuft und haben wenig Bewegung
und frische Luft. Dazu kommt noch
jene physische und moralische Aende
rung in ihrem Organismus, die beson
wicht ist, manchmal vollständig erschüt
tert. Das früher sakfte. liebenswür
dige Mädchen ist mürrisch und unwil
lig geworden; sie gibt unfreundliche
Antworten und wird launenhaft. Es
gehört viel Tact und Geduld dazu, hier
den richtigen Weg zu finden, um das
Mädchen vor einem völlig zerrütteten
Nervensystem zu bewahren. Landluft,
gute Kost, weniger Schularbeiten,
ernste, aber liebevolle Vorstellungen
und Ermahnungen vermögen viel.
Es ist Zeit, daß unsere Frauen, die
schon gegen so vieles gekämpft und in
mehr als einer Sache den Sieg davon
getragen haben, sich muthig gegen den
Fainiliengliick und Lebenslust zu un
Wtkgtiilrd.
von Berlhold Paul Förster.
Wist mal flapen, lütte Racker.
Makst Du glieck de Ogen to!
Kiek, de Mand stecht all an'n Heben,
Un de Siinn geiht uk to Roh.
lln de Blömings nicken lising.
An de Wind, de snorkt sogor.
Möd sünd nu uk Din Kledaschen,
lln de Strümps slöpt bi den Schoh
Wist mal slapen, lütte Racker,
Makst Du gliek de Oogen to!
Ein Biedermann, Herr
(in eine Apotheke tretend): „Haben
Sie ein gutesMittel gegen Neuralgie?"
Apotheker: „Nein, dagegen kann ich
Ihnen eigentlich nichts Rechtes em
pfehlen!" Herr: „Dann geben Sie mir
wenigstens Ihre Hand, denn Sie sind
der anständigste Apotheker, den ich seit
fünfzehn Jahren getroffen habe."
Bedenklicher Appetit.
Junge Frau: „Ach, Theodor, ich bitte
Dich, esse doch nicht wieder so schreck
lich viel sonst glaubt kein Mensch,
taß Du mich lieb hast!"
Wie o:e Z>enj'.on er-
Nett.
Jacob Stumpf war ein einfacher
„Buschbauer" im nördlichen Wiscon
sin, und außer seiner wöchentlichen
Zeitung und dem gelegentlichen Gesicht
eines seiner Nachbarn, von denen der
nächste auch einige Meilen entfernt
wohnte, sah und hört« »r nicht viel von
der Welt, noch die ZMt von ihm. Als
gen Süden "zu baute, da geübte
habe das große Loos ge-ogen und be
dürfe fürder nichts mehr vom Glück.
Und zuerst ging °ja alles ganz
schön, und Jacob hinterlegte im Laufe
der 10 Jahre nach seiner Hochzeit mit
Anne Marie ein schönes Sümmchen in
der Hard Pen Bank in Kauketo, der
County-Hauptstadt, das ihm ein
Nothpfennig für alle Zufälle des Le
bens fein sollte. Auf feiner Farm sah
es von Jahr zu Jahr geordneter und
wohlhabender aus, und er hatte sich so
gar den Luxus erlaubt, einen kleinen
-Weinberg amAbhange nach dem Flüß
chen zu anzulegen, aus dessen Trauben
er einen Wein kelterte, der, wenn ev sich
große Mühe gab, sogar trinkbar war.
Aber> dann kamen schlimme Zeiten.
Während eines harten, langen Win
ters verlor er beinahe seine gesammte
Schafheerde, und dann schlug die Wei
zenernte fehl, und im nächsten Jahre
crepirten ihm seine besten zwei Kühe,
und eine große Dürre trat ein und der
Futtermangel nöthigte ihn, für theu
res Geld Heu und Stroh selbst zu kau
fen. Und dann fiel einst beim Holz
fällen im Busch ein dicker Ast aus ihn
und er brach den Arm und wurde auf
Monate arbeitsunfähig, fodaß seine
Frau einen großmäuligen Jrländer
zur Aushilfe engagiren mußte. Auf
diese Weise war es gekommen, daß
Jacob Stumpf nicht allein seine
sämmtlichen Ersparnisse aufbrauchen,
sondern auch noch eine erste und später
sogar eine zweite Hypothek auf seine
Farm aufnehmen mußte. Es standen
jetzt, da e» seit zwei Jahren auch nicht
im Stande gewesen war, die vollen
Zinsen zu zahlen, etwa 52,000 auf
wußte genau, daß im Zwangsverkauf
kaum so viel sür die Farm mit allem
darauf bezahlt worden wäre. Und
jetzt kam eine Zeit, wo der Gläubiger,
ein Häuferfpeculant in Milwaukee,
darauf drang, sein Anlehen in voller
Höhe zurückgezahlt zu erhalten, denn
er bedurfte das Geld im Geschäft. Ja
cob war in einer schlimmen Lage. Ei
nes Abends, nachdem er mit Bleistift
und Papier die ganze Sache genau
ausgerechnet hatte, sagte er zu seiner
Frau, der rothwangigen, lebhaften
Anne Marie: „Frau, es geht nicht
mehr wenn ich meine Pension jetzt
nicht bekomme, so müssen wir die
Farm verlassen. Und was dann aus
uns wird, das weiß ich nicht."
„Ist es so schlimm?" frug die
Frau, und ihre fleißigen Hände ließen
Nadel und Zwirn, mit denen sie gerade
eine schadhafte Stelle im Sonntags
rocke ihres Jungen ausbesserte, mo
mentan in den Schooß sinken.
„Ja, ich habe es ausgerechnet
selbst wenn wir gute Preise für unse
ren Weizen und unsere Kartoffeln
erhalten, bin ich noch um mindestens
5600 zu kurz, um die Hypothek und
die Zinsen abzuzahlen. Nur die Pen
sion kann uns noch retten. Es müs
sen immerhin 53,000 bis 53,500 sein,
Augenzeugen bei der Geschichte in An
tietam sind, als ich die Fahne des Re
giments rettete, das weiß ich nicht.
chen. Ach!" Und Jacob Stumpf, des-
Jack, der älteste Sohn des Paares,
schon hatte ihm der Vater, auf fein
Drängen, von der Heldenthat erzählen
müssen, die Jacob Stumpf, der be
scheidene deutsche Recrut, in jener
blitzenden Augen hatte er immer zuge
hört. Jack war ein flotter, waghalsi
ger Bursche von 17 Jahren, und es er
schien ihm eine Schande, daß Onkel
auch seinem jungen Kopfe fiel kein'an
deres Mittel ein, als die Pension. Am
nächsten Morgen näherte er sich seinen
Und wie willst Du denn hinkommen?"
frug der Bater. „Das laßt meine
geheimnißvoll. Und auf das Drän
gen seiner Eltern entwickelte er denn
auch seinen Plan. Er hatte ein Pony
sein Eigenthum, das er bisher w-.x
seinen Augapfel gehütet.
würde ihm Mr. Peckham in Kauketo
es ihm schon längst abtönn "ollen!
Und in Chicago einen
Freund, der im Bur .au der Baltimore
6: Ohio Bahn ei',,xn Posten hatte und
de» ihm schon <lnen Freipaß hin- und
zurück versofft,, werte. Und nach
dem die lange hin und her er
woger. worden war, gaben die Eltern
Einwilligung zu dem Unterneh-
Vater selbst war auf der Farm unent
behrlich, also ließ man Jack ziehen.
Der Junge mit seinen hellen, gescheid
ten Augen würde schon das Richtige
sehen, dachten sie. Und Jack verdiente
auch dieses Zutrauen, denn für sein
Alter war er leiblich wie geistig sehr
gereist, dabei von gesundem Verstand
und mit allem Muthe der Jugend.
So entfernte sich denn Jack noch am
selben Tage, denn die Zeit drängte
in einem Monat schon war Zahlungs
termin für die Hypothek. Als Jack
sein Pony zum letzten Mal umarmte,
da traten ihm doch die Thränen in die
Augen, aber rasch wischte er die Nässe
von den Wangen und bat nur Herrn
Peckham. ihm das Thier wieder ziiin
selben Preise zu verkaufen, im Falle
er das Geld bald austreiben könne.
und dem Kaufgeld für das Pony aus
gerüstet, trat Jack die Reise an nach
Washington, wo er seinen Eltern die
Farm retten wollte.
In Chicago aber erlebte Jack eine
arge Enttäuschung. Sein Freund
dazu hin, um Jack eine Freikarte nach
Washington zu verschaffen. Doch be
mühte er sich anderweitig, so gut er
konnte, und zuletzt gelang es dem
Freunde, den „Superintendent os
Mails" in Chicago für das Schicksal
Jack's und seiner Eltern zu interessi
ren. Dem hohen Beamten gefiel der
junge Bursche, und so that er denn.ein
Uebriges und gab Jack die Erlaub
niß, die Fahrt in dem Postwagen mit
zumachen. „Eigentlich ist es gegen die
Dienstregeln," bemerkte er dabei lä
chelnd, „aber ich glaube, mein Junge,
Du wirst meiner Empfehlung keine
Unehre machen, und vielleicht hast Du
während der Reise Gelegenheit, Dich
nützlich zu machen."
Jack machte sich denn auchinützlich.so
viel er konnte, und die Postbeamten,
die mit ihm im Wagen waren, gewan
neii ihn alle lieb. „Sieh Jack, in
ser großen Ledertasche sind 5600,000
von Onkel Sam's Gelde," bemerkte der
Chef, indem er auf einen Winkel wies.
„Halte die Augen offen und lasse ihn
nicht fortkommen." Jack sah sich die
Tasche sehr genau daraufhin an und
achtete auch genau auf die Siegel da
rauf und die Zettel. Während der
Nacht schlief er auf der Tasche, und als
der Morgen graute, da überzeugte er
Zug dahin durch Indiana mit ei
ner Geschwindigkeit von 40 Meilen die
Stunde. Plötzlich dröhnte Alles um
Jack herum —ein Geräusch erscholl, als
seien alle Teufel der Hölle losgelassen.
Jack war in die Ecke des Wagens ge
schleudert worden, und halb betäubt
ander von Stimmen Schreien,
Schmerzensgeheul, das Kreischen von
Weibern und Kindern.
Ueber seinem Haupte drang ein
Sonnenstrahl durch eine klaffende
Spalte, die sich im Dache des Wagens
gebildet. Sonst war Alles dunkel da
rin die Lampen waren umgestürzt
und erloschen. Die Postbeamten muß
ten aus dem Wagen gesprungen sein—
vielleicht waren sie auch todt, zu sehen
waren sie nicht. Aber die Thüren wa
ren zu, und Jack konnte sie nicht öff
nen. Im selben Moment aber drang
Brandgeruch unter seinen Füßen her
vor. und der Rauch entwickelte sich in
Wolken. Die Post brannte. Jack
hämmerte an die ihm zunächst befind
liche Thür, so stark er konnte. Der
Wagen, in dem er war, mußte aber
durch die Collision umgestürzt sein,
denn die Thür war jetzt in anderer
Lage. Er mußte gehört worden sein,
denn sogleich erscholl dumpf von außen
her das Schmettern von Azthieben ge
gen die dicke Fütterung der Thür. Da
dachte Jack wieder an die Ledertasche
mit den 5600,000. Wie der Blitz
warf er sich in die Ecke, und beim
Glimmern desFeucrs. beim ungewissen
Lichte der Sonnenstrahlen von oben,
die sich einen Weg durch die dicker und
dicker werdenden Rauchwolken zu bah
nen suchten, fand Jack das Kleinod.
Er überzeugte sich davon, daß es die
ihn nur mit äußerster Anstrengung bis
zur Thür schleppen. Als der lctzie
Artschlag ein sußgroßes Loch in
reichte Jack dem draußen ste
henden Postbeamten erst den Sak
durch die Oessnung. Dann zwängte er
sich selbst durch.
und neben ihnen stand Jack, dessen Ge
sicht ebenfalls mehrere Wunden zeigte.
Sie die dlni
Eisenbahni'.nfaU und wie Jack allein
sticht die Besinnung und den Muth im
ersten Augenblick der Gefahr verloren,
sonder erst die werthvolle Geldsen-
eigenes Leben in Sicherheit zu
bringen. Der Generalpostmeister
klopfte ihn wohlwollend auf die Schul
ter. „Du verdienst eine Belohnung,
mein Junge," sagte er. „Was lann
ich für Dich thun?" „Meinem Vater
„Dein Wunsch soll erfüllt werden,
mein Junge," bemerkte der General
postmeistev, und noch am selben Tage
fuhr er mit Jack, dem er auf eigene
Kosten einen neuen, eleganten Anzug
an Stelle des bei dem Unfälle be
schädigten gekauft hatte, zu dem Pen
sionscommissär, dem er den Fall drin
gend an's Herz legte. „Als einen per
sönlichen Gefallen gegen mich," sagte
er, „für den ich mich erkenntlich zeigen
werde, nehmen Sie sofort den Fall des
Herrn Stumpf auf." Und der Com
missi» hatte nichts Eiligeres zu thun,
als dieser dringenden Empfehlung
nachzukommen.
Drei Tage später reiste Jack nach
der väterlichen Farm zurück, diesmal
nicht als blinder Passagier. Er hatte
die Zahlungsanweisung sür die ge
sammte rückständige Pension seines
Baters in der Tasche. Und die
Freude bei seiner Ankunft war groß.
Jack kaufte natürlich sein Pony zu-
Wer Hage aus LiM's
Leven.
i.
Es ist Abend. Die ganze Familie,
Vater, Mutter, zwei jüngere Brüder
und die beiden Dienstmädchen stehen
um die älteste Tochter herum, die heute
zum erstenmal „ausgeht". Lilli hat
ein rosa Mullkleidchen an, das mit
rosa Rosen und rosa Schleifen ge
schmückt ist. Ungeduldig klopft ihr
Fuß auf den Boden; fiebernd erwartet
sie die Droschke zweiter Classe, die
Papa Geheimrath mit seinen Damen
zum Ball fahren soll. Papa ist sehr
stolz auf seine schöne Tochter, fast so
verliebt wie ein junger Anbeter, der
übrigens noch nicht vorhanden ist.
Endlich ist man verpackt, nicht ohne
daß Lilli ängstlich geschrieen hat, so
bald ihrem Kleide eine Gefahr drohte.
Aufsehen. Im Umsehen ist ihre Karte
dem „Drachenfels" und empfängt
strahlend die sauersüßen Glückwünsche
über den Erfolg ihrer Tochter. Selbst
Papa Geheimrath trennt sich heute von
seiner geliebten Cigarre und sieht von
der Thür aus zu, wie Lilli von Arm
chen in den frischen Wangen fortwäh
rend spielen. Beim Cotillon riskirt er
sogar einen Walzer mit seiner schönen
Tochter, was einen Sturm discret ge
äußerten Beifalls zur Folge hatte.
Längst kann sie die Menge der Blu
mensträuße nicht mehr mit ihren etwas
vertanzten Handschuhen fassen; auf
ihrem Stuhl hat sich ein duftender Hü
gel von angedrahteten Rosen, Maiblu
men und welkendem Flieder gehäuft.
Ihr eifrigster Tänzer ist ein junger,
für sein Amt sogar sehr junger Lega
tionsrath. Er gilt für einen Frauen
kenner und ist wegen seines guten Ge
schmacks berühmt. Die Damen sind
glücklich, wenn er ihre Töchter aus
zeichnet, was er übrigens höchst selten
thut. Für gewöhnlich sucht und er
ringt er seine Erfolge nur bei den
jungen Frauen. Deshalb ist er auch
bis jetzt gänzlich unverlobt durch alle
noch so geschickt gestellten Fallen ge
schlüpft. Heute macht er eine Aus
nahme. Er ist sogar im Corridor,als
sie mit der Mutter aus der Damen
garderobe sonst Schlafzimmer der
Tochter des Hauses tritt und
bringt die Herrschaften bis an den
Wagen. Das ist Lilli nicht einmal
sehr angenehm, weil ihr Umhang aus
einem alten Mantel der Mama zu
rechtgeschneidert ist. Und während
der Legationsrath Berg im Casö
Bauer mit seinen Freunden die Da
men des BalleS durchhechelt, wobei die
schöne Lilli von allen das Zeugniß
Nummer l bekommt, rattert Familie
Möller selig nach Hause.
Im elterlichen Schlafzimmer findet
noch ein höchst angenehmes und weit
in die Zukunft blickendes Gespräch
statt, bei dem das mütterliche „Du
sollst sehen, Lilli wird sich bald verbei
rathen" nur ein Frömmelndes Einver
ständniß findet. Der Papa ist. wie
alle Väter von hübschen, siebzehnjäh
rigen Töchtern, eifersüchtig auf fein
Kind und möchte sie am liebsten im
eigenen Hause behakten.
Unterdeß drückt Lilli ihr müdes
Köpfchen behaglich in d»e Kissen, froh
ihrem Munde Ruhe geben zu können,
der heute so eifrig geschwatzt und so
schlagfertige Antworten gegeben hat.
Dcr Duft der im frischen Wasser wie
der auflebenden Blumen umschmei
chelt sie freundlich, dicht an ihrem Kopf
steht ein prachtvoller Rosenstrauß.
Legationsrath Berg hat ihn ihr gege
ben.
Von Träumen umgaukelt, die so
rosig sind wie ihr erstes Ballkleid, ver
schläft sie ihren Triumph, den ersten,
und gewiß nicht den letzten.
Beim Aufwachen lächelt sie dem
dem 2cl,en , >
Z.
Zehn Jahre sind vergangen.
Sie sitzt unter den leise rauschenden
Kiefern am Grunewaldsee. Zwischen
den Stämmen schimmern helle Mäd
chenkleider und sommerliche Herren
anzüge. Die junge Welt spielt „Trit
ten abschlagen", lacht, tollt und macht
sich den Hof. Um sie hat sich Keiner
gekümmert. Sie ist müde und allein.
Zur großen Verwunderung der El
tern und der Freunde und zum eigenen
Erstaunen hat sie sich nicht verheira
thet. Junge Leute haben ihr den Hof
gemacht, aber Angesichts des relativ
unbedeutenden Gehalts des Geheim
roths wurde es niemals Ernst damit.
Jahrelang ist Berg ihr eifrigster Tän
zer auf den fünf oder sechs Bällen ge
wesen, die sie in jeder Saison durchge
um. Papa Gcheimrath riskirt immer
noch ein Tänzchen mit seiner Tochter,
aber es erregt kein discretes Beifalls
gemurmel mehr. Es soll gewöhnlich
eine Leere aus ihrer Tanzkarte ver
stecken, wie sie sich bei der ewst gefeier
schreckend ost eingestellt hat. Ihre
Zunge, deren fröhliche Schlagfertigkeit
früher entzückte, ist wegen ihrer Schärfe
jetzt gefürchtet.
Und sie ist sich über das alles klar
sehr klar. Ihre Mutter hat ihr
schon oft Vorwürfe gemacht, ihr Vater
»in sorgenvolles Gesicht nicht versteckt,
wenn er von ihrer Zukunft sprach.
Was soll aus ihr werden, wenn er
mal die Augen schließt? Vermögen ist
nicht da. Die Jungens werden sich
schon durch die Welt finden; aber sie,
sie hat ja nichts gelernt, womit sie sich
ihr Brot verdienen könnte. Also viel
leicht Kinderfräulein oder Stütze der
Hausfrau?
lernte? Warum immer nur für hüb
sche Ballkleider gesorgt, als <ob das
das einzig Nothwendige für ein junges
fallen! Denen steht alles offen, bloß
Und Berg, der einzige von allen, die
ihr den Hof gemacht haben, den sie
geliebt hat den sie liebt warum
spricht er nicht warum?
tens hat sie die Geschichten, die er von
seinen Reisen als Schiffsarzt erzählt,
erst einmal gehört und weiß noch nicht,
wickeln, drittens macht er ihr den Hof
und viertens ja viertens kennt sie
ganz genau die Ziffer seines jährlichen
Einkommens!
Höhne hat um die Erlaubniß gebe
ten, sich neben ihr niederlassen zu dür
fen. Es ist ein glücklicher Zufall, daß
er sie allein getroffen, seit Wochen hat
er etwas auf dem Herzen.
Sie erröthet jäh und neigt das
Haupt. Er stottert verlegen eine lang
athmige Liebeserklärung und hat seine
grauen Handschuhe gerichtet, die er
zwischen seinen Fingern dreht. So
bemerkt er nicht, wie das Gesicht neben
ihm blasser und blasser wird. Furcht
bare Minuten, wenn der Verstand dem
Herzen das Jawort abringt! Sie
mußte es ja thun! Er bot ihr Alles,
! worauf hin man sie erzogen hatte: die
Ehe als eine gute Versorgung einen
Namen, sein Haus eine Stellung
in der Gesellschaft denn ein altern
des Mädchen hat keine. Sie ist eine
lästige Zugabe, die man gern mal bei
einer Gesellschaft „aus Versehen" ver
gißt, die man dem Herren bei der
Tischsiihrung zutheilt, auf den man
die wenigsten Rücksichten zu nehmen
dert, in Angst und Qual und Unge
wißheit.
Plötzlich ist es. als ob ein Schleier
von ihrem Gesicht abfalle. Ihre Blicke
hängen an einer Männergestalt, die an
der Seite eines sehr jungen, hübschen
Mädchens aus dem Walde auftaucht.
Es ist Berg. Er spricht angeregt und
heiter mit der Dame; er umgibt sie
mit jener ritterlichen Aufmerksamkeit,
die er früher für Lilli hatte. Jetzt
sieht er sie. Mit höflichem, freund
schaftlichem Lächeln nimmt er den Hut
ab; die brennende Qual in den einst
so lachlustigen braunen Augen bemerkt
er nicht. Ruhig geht er weiter.
In demselben Augenblick fühlt
Hohne die Hand der Nachbarin auf
seiner. „Lassen Sie uns meine Eltern
aufsuchen," murmelt Lilli, „und geben
Sie mir Ihren Arm!"
Mit stolz erhobenem Haupt und
leicht geratheten Wangen geht sie an
ihrem früheren Verehrer vorbei. Eine
halbe Stunde später sind sie, ihr
Bräutigam und die Eltern von glück
wünschenden Freunden umringt, die
Lilli herzlich umarmen, Höhne die
Hand und daS
suchen. Beim Weggehen sagen sie un
tereinander: „Nein, diese Lilli! Wer
Würde gedacht haben, daß sie noch ein
„Und Berg? Was sagt denn ihr alter
Anbeter dazu?" „Bah, der ist viel
„Hat das Mädchen ein Glück! Wie
alt ist sie eigentlich?"
3. " '
Aus dem alternden Mädchen ist eine
junge Frau geworden.
Sie sitzen zu dritt beim Mittags
mahl: sie, ihr Mann unt»-Berg. Die
beiden Herren sind Corpsbrüder und
Grunde nicht ausstehen. Berg hält
seinen Wirth für einen vulgären Bur
schen, der es stets versteht, Andere für
sich bezahlen zu lassen, und Doctor
Höhne seinen Gast für einen eingebil
deten und hochmüthigen «Menschen.
Trotzdem hat Berg bei den jungen
Leuten Besuch gemacht, und trotzdem
ist er sofort zu einem gemüthlichen
Mittagessen eingeladen worden. Im
Grunde hat Berg sich doch über Elisa
beths Verheirathung geärgert und ihre
Wayt unbegreiflich gefunden. Ver
stohlen streift er seine Nachbarin mit
blaß, aber wieder sehr hübsch aus. Die
scharfen Fältchen um den Mund sind
verschwunden und haben einer weichen
Frauenhc»ftigke!t Platz gemacht; auch
sie ist nicht mehr so lebhaft wie früher
und überläßt ihrem Mann das große
Wort über die zurückgelegte Hochzeits
reise.
Bei Tisch ereignete sich ein kleiner
Zwischenfall. Der Doctor vermißte
ein Salzfaß, und Frau Elisabeth er
wäre eben die Pflicht einer Hausfrau,
auf ihre Wirthschaft zu achten. Sie
lächelte und antwortete nichts Berg
gen. Dann stand sie auf, um im Ne
benzimmer den Kaffee zu bereiten.
Die Herren blieben noch ein wenig bei
schen. hT> t ch'
es mir nach. Du glaubst gar nicht,
wie hübsch es ist, eine Frau zu haben."
„Also ihr paßt vorzüglich zusam
men?"
„Natürlich, das habe ich auch gar
nicht anders erwartet. Weißt Du,
Frauen muß man gleich richtig erzie
hen. Zuerst wollen sie immer hoch
hinauf. Mondscheinschwärmen, Göthe
citiren, die letzte Kirche durchstöbern
und einen mit ästhetischen Problemen
langweilen da babe ich ihr gleich
gründlich meinen Standpunkt klar ge
macht. Nie hat sie mich wieder mit
solchen Sachen gelangweilt. Ich bin
wirklich sehr mit ihr zufrieden. Na,
nun wollen wir Kaffee trinken."
Drüben ging der Doctor, um den
Liqueur zu besorgen. Die Beiden wa
ren allein. Sie schwiegen unsicher.
Zwischen ihnen stand so Viele« was
nie ausgesprochen worden war und
was sie doch innerlich fühlten. Enl.lich
entschloß er sich zu reden, irgend etwas
Gleichgiltiges.
macht baben! Ich erinnere mich, es
war immer Ihr Wunsch, Italien zu
sehen. Sind Sie mit Ihren Ein
drücken zufrieden gewesen?"
„Nein. So vieles im Leben hat
man sich schöner gedacht, und so vieles
nicht so schlimm." Sie ordnete
fühl. „Sind Sie glücklich, Frau
Lilli?" fragte er leise und beugte sich
ein wenig vor.
er j j hs, K.
ganze Bild: jene schreiende, billige
Eleganz derßerliner Miethswohnung,
auf dem Tisch die leere Flasche und
dem sein billiger Schaumwein zu Kopf
gestiegen war und der den Arm zeit
lich um feknc junge Frau geschlungen
batte, während sie mit dem Ausdruck
trostloser Müdigkeit vor sich hin
starrte.
Unten auf der Straße knöpfte sich
Berg fröstelnd seinen Ueberzieher zu.
„Eine unglückliche Ehe mehr," mur
melte er. „Was wird das Ende sein?
4.
tet iin neuen, fruchtbaren Leben.
Ein Herr kommt ihr entgegen, dessen
ernstes Gesicht nicht vom Frühling
spricht. Scharfe, von der Arbeit ge
un>- araue
«der man erzahlt ltch, dax er nächsten»
Minister wird. Er ist schon an ihr
vocüii, als er plötzlich stutzt, einen Au-
w' kl'ck S' "d'. !
ben Stadt Sie haben sich '
gar nicht verändert/
Sie lächelt und schweigt, denn sie
kann seine Höflichkeit nicht erwidern.
Er sieht sie mit einem langen Blick an.
„Tie müssen glücklich geworden
sein," sagte er, ohne daran zu denken»
chen Worte gebraucht hat.
„Ja," sagte sie einfach, „und Sie?"
„Ich habe keine Zeit, daran zu den
ken aber ich glaube, nein."
„Und warum nicht? HabenSie nicht
alles erreicht, was Sie sich als junger
Mann vorgenommen hatten?"
„Was hatte ich mir denn damals
vorgenommen, gnädige Frau?"
würden nicht eher zufrieden sein, bis
Sie Minister wären und wenn man
den Zeitungen glauben soll —"
„Wie lange mag das wohl her
sein?" fragt er bitter. „Ja, damals
war es noch Frühling!"
noch begeistern, damals trat alles, was
schön war, in mein Leben. Aber ich
dachte nur an meine Zukunft und an
„Man wird nicht eher glücklich, bis
man gelernt hat, sich selbst zu verges
sen und für andere zu leben," antwor
tet sie mit ruhigem Ernst.
Sie beugt sich zu dem kleinen Mäd
chen herab, das unterdessen seine Hand
in die ihre geschmiegt hat, dann wen
det sie ihre frauenhaften, großen Au
gen zu ihm. „Adieu," sagt sie freund
schied.
Hand, durch den knospenden, grünen
Wald schreitet. Dann wendet er sei
nen hastigen, trockenen Schritt eilig
thöricht sein kann!" Und lächelnd
schüttelt sie wieder den Kopf.
Drei Edle.
Beide, zerrissen und abgeschabt,
Spotteten Einer des Andern.
Habegehabt baut' nimmermüd'
Der Erinnerung Brücke,
Werdehaben pfiff sich ein Lied
Von zukünftigem Glücke.
Trafen sie lachenden Angesichts
Einen neuen Begleiter,
Nannte sich Herr von Habenichts,
Zog mit den Andern weiter.
Zogen zusammen durch Stadt und
Land,
Und mit grimmigen Mienen
Stritten die Drei da miteinand':
Ulliwthige Frage.
„Spund", „Faß" und „Loch"
drei fidele Commilitonen, haben einen
Ausflug nach einem etwas recht weit
entlegenen Bierdorfe gemacht. Der
Weg dorthin führt an vielen Gasthö-
Wunder, wenn er erfährt, daß die
drei Studenten zwar im Bierdorf,daS
zugleich Bahn-Haltestelle ist, ankom
men, aber just zu einer Zeit, da der
letzte Zug nach der Universitätsstadt
bereits zur Abfahrt bereit steht. Im
Begriff, einzusteigen, schwanken die
Drei an der Locomotive vorüber. Be
sorgt ruft Spund dem Führer zu:
.Ja, Herr Locomotivführer, wissen
Sie ooch den richtigen Weg? Wir ha
ben Sie nämlich keene Ahnung da
von!"
Schlecht ausgeredet.
Frau (zu ihrem betrunken heimkom
menden Manne): „Du kommst heute
in einem schönen Zustande nach Hause;
sage mir nur, wie Du Dich so betrin
ken konntest?" Mann: „Ich hab' un
seren Wirth tröste» müssen, weil ihn
sein Hausherr mit der Pacht gestei
gert hat."
AuS einer Vertheidi
gung. Vertheidiger: „Ich bitte wei
te. da seine Frau daheim sofort er
nüchternd auf ihn wirkte."
Confervativ. Kellner:
Wünschen Sie Confect oder Käse zum
Desert? Bauer: Beileibe nur ka'
Huzel! Bring'n S' mer lieber a Paar
Backsteinkaas!
Folgerichtig. Die Ehen
von heutzutage sind mir ein Räthsel!-
„Ganz richtig, Frau Räthin sie
werden aber auch häufig genug auf
gelöst!"
Gerechte Entrüstun g.—
Gläubiger (zum Schuldner): „ Und'
jetzt wollen Sie gar eine Frau ohne
Geld beiratben?! .. . Sie sind eir
Scha-dn»!"