Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, June 04, 1896, Page 2, Image 2

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    2 Stimmungen.
lustiger Reim aus der Kindel«
lautet:
„Mein lieber Bruder Aergerlich
Weiß gar nicht, was er will;
> Denn was er hat, das will er nicht,
> Und was er will, das hat er nicht,
/ Mein lieber Bruder Aergerlich
i Hat alles, was er will."
Das singt man mißgelaunten kleinen
Querköpfen vor, wenn weder Spiel
noch Arbeit ihnen behagt und sie im
wahrsten Sinne des Wortes nicht wis
sen, was sie wollen. Könnte das Lieb
chen aber nicht auch manchmal bei uns
Erwachsenen Anwendung finden? Ver
mögen wir uns ganz davon frei zu
sprechen, je in solch' einer „Bruder-
Uergulich-Stimmung" zu sein? Ob
sie aus körperlichem oder geistigem
Unbehagen entspringt vorhanden ist
sie auch bei dem Besten hin und wieder.
Da haben wir einen langen, gemüthli
chen, wenn auch einsamen Abend vor
«ns, an dem viel zu schaffen wir Mor
gens schon beabsichtigen. Der Hausherr
muß zu einer Versammlung, die Wil
dfänge, die uns den Tag über in Athem
gehalten haben, schlafen also Ruhe
herrscht im gemüthlichen Wohnzimmer.
Aber das seelische Gleichgewicht ist
Wodurch wissen wir selbst
nicht. Wieviel wollten wir heuteAbend
erledigen! Briefe schreiben, nothwen
dige Näharbeiten beenden, zuletzt noch
ein Buch lesen, das bald seinem Eigen
thümer zurückgegeben werden soll
pber wir mögen nicht, absolut nicht;
Har nichts von alledem, was doch so
nothwendig wäre! Briefschreiben?
schrecklich! Es ist ja nichts Jnteres-
Andere Leute schreiben auch nicht und
lassen uns wochenlang warten. Nähen?
< — Am späten Abend noch? Nein, ein
mal muß der Mensch ruhen. Wann
hat eine Hausfrau denn überhaupt
Ruhe?! Ein Seufzer folgt dieser in
haltsschweren Frage und die Stim
mung wird immer düsterev. Nun
tleibt die Lectüre. Aber dasWuch
ist keine leichte Waare; es fordert das
Nachdenken heraus! und Denken? nein,
«uch denken mögen wir'eben-nicht!
Mißmuthig schweifen die Blicke durch
das Zimmer vielleicht ausderSuche
«ach der bekannten Fliege an der
Wand. Da bleibt das Auge auf dem
Kalender heften. Wie. heute schon der
»ierzehnte? In zwei Tagen ist einer
lieben mütterlichen Freundin Geburts
stes Glück fanden. Ehe wir selbst es
wissen, sind wir über diesen Gedanken
om Schreibtisch. Die Feder fliegt
Aber das Papier, und aus dankbarem
Worte von selbst. Der erste Bogen ist
Erfrischt und angeregt suchen wir jetzt
fast nach neuer Thätigkeit. Mit Eifer
«nd ohne Seufzer nehmen wir die
Näharbeit vor. Die Nadel schafft,
und die Gedanken wandern in die
Ferne, zu theuren Lieben, zu vergange
nen glücklichen Tagen und zurück zum
Glück der Gegenwart. So, nun ist
auch diese Arbeit fertig; jetzt noch das
Buch. Die geistige Spannkraft ist
nns wiedergekehrt, wir gehen mit Lust
und Interesse an die Lectüre, die uns
Won Seite zu Seite mehr fesselt, so daß
wir der entfliehenden Zeit nicht achten,
bis endlich das Abendläuten in unsere
Stille hineintönt und es uns mahnt,
daß der Tag ein Ende haben und jetzt
die Ruhe folgen soll, der wir nun auch
mit Befriedigung nachgehen. Wo aber
blieb die Bruder-Aergerlich-Stim
muHg? Sie ist verschwunden; in der
Arbeit und Pflichterfüllung haben wir
sie vergessen. Seaen war auch hier
«der Mühe Preis!"
" Hinlänglich motivirt.
In Sardellendorf ist, wie in allen Ost
des den Herren während der Badezeit
nntersagt. Eine ältere Dame trifft
nun auf ihrem Gang zum Bade den
vollendeten Ruhe des Weltweisen: „Ich
bin Se nämlich sähre kurzsichtig."
Die Tonhöhe. „Wie hastDu
Dich gestern in der Gesellschaft unter
halten?" „Mäßig." „Wer war
der Bassist Tiefhuber." „Was hat
Helten." „Und der Bassist?"
„Dieselben Dummheiten, blos eineOc
tave tiefer."
Fatal. „Sagen Sie, Frau
Amtsrichter, wie kommen Sie denn zu
dieser Menge Chinesen?" „Ach, als
ich Hochzeit hatte, war gerade großer
Ausverkauf in einem chinesischen Ge
schäft! ... Es sind lauter Hochzeits
geschenke!"
Ein Eisenbahnunglück
A.: „Ja, Freund, wie schaust denn Du
cus, was ist passirt?" B.: „Eisen
bahnunglück erlebt." A.: „Einen
Zusammenstoß?" B.: „Nee, fremd«
Dame im Tunnel geküßt."
Auf Hlmwegen.
Fritz Erdmger, der Bursche des
Lieutenants von Flemming, saß in
Abwesenheit des Letzteren an dessen
Schreibtisch und quälte sich mit dem
ersten schriftlichen Liebeserguß an die
Erkorene seines Herzens. Vor Kur
zem erst in den bunten Rock eingeklei
det, hatte seine Lisbeth ihm beim Ab
schied aus dem heimathlichen Dorfe
.Der Henker hole die ganze Schreibe
rei!"
Er stützte den Kopf in die Hand und
starrte auf das Fragment seines ersten
Liebesbriefes. Da legte sich plötzlich
eine Hand auf seine Schulter. Fritz
fuhr erschreckt empor.
„Ach, Sie sind's, Herr Lieutenant!"
stotterte er, sich kerzengerade aufstel
lend.
Lieutenant von Flemming sah ihn
erstaunt an und schüttelte den Kopf.
„Mensch, was hast Du? Du siehst ja
«us, als ob Du die ganze deutsche Ar
mee verrathen hättest!"
„Ach, Herr Lieutenant verzeihen,
daß ich mich hierher gesetzt habe
ober meine Lisbeth ich hab' ihr ver
sprechen müssen, zu schreiben und
nun will mir gar nichts recht Gescheid
tes einfallen!"
„Du bist ein Narr," lachte der Lieu
tenant, „warum schreibst Du Deinen
Liebesbrief auf einen solchen Foliobo
gen. den Du nicht zum achten Theile
mit Deinen Gefühlsergüssen bemalen
kannst?"
„Ich fand keinen kleineren!" seufzte
Fritz.
„Laß mal sehen!" gebot sein Herr.
Er betrachtete eineWeile kopfschüttelnd
das Geschriebene und erklärte dann,
es nicht entziffern zu können. „Kannst
Du nicht besser schreiben?"
Fritz schüttelte trübselig den Kopf.
„Kennt Deine Liebste Deine Hand
schrift?"
„Nein, Herr Lieutenant!"
„Ist sie hübsch?"
„Ein wahrer Engel und herzens
gut!"
„Kann ich mir denken! Blond
oder schwarz?"
„Rabenschwarz, Herr Lieutenant!"
„Vielleicht- vom Stamme Israel?"
frug dieser mit etwas boshaftem Lä
cheln.
„Bitte recht sehr, Herr Lieutenant!
Ihr Vater —"
„Schon gut. mein braver Fritz! Den
Stammbaum der Rabenschwarzen will
ich Dir schenken. Noch eine Frage:
Hat sie Verstand?"
„Oh, Herr Lieutenant, meine Lis
beth ist zehnmal klüger als ich!" ant
wortete Fritz mit Stolz.
„Das muß ja ein wahrer Phönix
von einem Mädchen sein!" lachte der
Lieutenant. „Willst Du, daß ich Dir
den Brief aufsetze?"
Fritz war außer sich vor Freude; er
dankte seinem Herrn, der stets zu sol
chen Späßen aufgelegt war, mit stür
mischen Worten.
„Nun also, was soll ich Deiner Lis
beth schreiben?" fragte Lieutenant v.
Flemming belustigt, als er den Platz
am Schreibtisch eingenommen.
»Ja, Herr Lieutenant, wenn ich's
nur selbst recht wüßte!" erwiderte
Fritz, sich hinter den Obren krauend.
„Sie soll um meinetwillen nicht so
grämen und ja nicht trank werden.
Ich wäre ganz gesund und munter
und dächte gar nicht daran, ihr untreu
ver Fritz! Sie soll glauben, Du habest
den Brief selbst geschrieben."
Dem guten Fritz lachte das Herz im
Leibe über dieses Auskunftsmittel,
während der Officier folgende Zeilen
zu Papier brachte:
„Theuerste Lisbeth!
geschrieben habe. Doch an meiner
Liebe darfst Du darum nicht zweifeln.
Wo fände ich auch ein Wesen, das Dir
gliche? Du bist der Stern, die Krone
meines Lebens! Mir geht es hier
sehr gut, nur die Sehnsucht nach Dir
trübt mir zuweilen die Seele, und weil
ich so gar nichts von Dir erfahre.
Bald schreibe ich mehr. Lebe wohl,
Geliebte, und antworte bald
Deinem treuen
Fritz Erdinger!"
„So, das wäre fertig!" sagte der
Lieutenant. „Bist Du zufrieden?"
„Oh, tausend Dank!" erwiderte
Fritz gerührt. „Das ist mir ganz
aus der Seele geschrieben, und ich be
greife nicht, daß mir das nicht selbst
eingefallen ist. Na, meine Lisbeth
wird aber Respect vor mir bekommen
und denken: Mein Fritz drückt sich
doch schriftlich sehr gut aus! Und
besonders die eine Stelle, die wird ihr
gefallen von dem Stern und der
Krone des Lebens!"
Lieutenant von Flemming lachte,
und Fritz trug eilig den inhaltsschwe
ren Brief zur Post.
„Was ist nur mit Dir, Lisbeth?"
fragte Fräulein Berghaus, die Besitze
rin des Rittergutes D„ ihre Zofe, als
diese erst nach dreimaligem Klingeln
erschien.
„Ach. gnädiges Fräulein, der Fritz
hat geschrieben!"
Fräulein Verghaus lächelte.
„Ei, da muß ich schon Nachsicht
Üben. Tie Liebe M .blind und
taub machen. Wie geht eS denn
Deinem tapferen Fritz?"
„Hier ist sein Brief," antwortete
Likbeth stolz, „gnädiges Fräulein
Fräulein Berghaus nahm das
Schreiben und las mit wachsendem
Interesse die Zeilen des Soldaten.
„Welch' hübsche Handschrift," be
gann sie. „Dein Fritz scheint ja ein
recht gebildeter junger Mann zu sein!"
„Das glaube ich!" erwiderte Lis
beth. „Und so bescheiden ist er. An
dere prahlen, wenn sie schöne Briefe
schreiben können, aber er thut immer,
als könne er keine Feder anfassen."
„Nun. ich gratulire Dir," sagte
Fräulein Berghaus gut gelaunt. „Ich
hoffe, daß es ihm auch ferner gut geht,
und wenn Euch die Verhältnisse ge
statten, zu Heirathen, werde ich für
Eure Einrichtung Sorge tragen."
Lisbeth schwamm in Wonne; sie
küßte ih«er gütigen Gebieterin die
und ging dann singend an die Arbeit.
Die wenigen Zeilen hatten sie auf ein
mal ganz fröhlich gemacht.
Am Abend, als Fräulein Berghaus
nach der nahen Residenz in's Theater
gefahren'war, setzte sie sich hin, um
dem Geliebten zu antworten.
Ihre Handschrift war recht gut, doch
wie sie ihr Gehirn auch abmarterte, es
war umsonst: sie vermochte es nicht,
die schönen Zeilen in gleicher Weise zu
beantworten und in wenigen Worten
so viel zu sagen. Sie fühlte wohl, daß
sie wenigstens ebenso rührend und poe
tisch schreiben müsse als Fritz, wenn
sie nicht in seinen Augen verlieren
wollte. Ein Blatt Papier nach dem
anderen wurde mit einigen Zeilen be
schrieben und wieder verworfen, kein
einziger Gedanke schien ihr des Gelieb
ten würdig zu sein. Aus lauter
Kummer über ihren Mißerfolg brach
sie schließlich in Thränen aus.
So fand Fräulein Berghaus die
Verzweifelnde bei ihrer Rückkehr.
„Sei ruhig, armes Kind!" sagte sie
gütig, als sie Lisbeths Kummer er
fahren, „ich werde Dir bei Deiner
Antwort helfen."
„Ach, gnädiges Fräulein sind zu
gütig." rief Lisbeth in freudiger
Ueberrafchung.
„Schon gut; setze Dich nur wieder
hin und schreibe, was ich Dir dictiren
werde," gebot diese.
Lisbeth setzte sich nieder und ihre
Herrin dictirte, wobei um ihre feinen
Lippen ein schalkhaftes Lächeln zuckte,
Folgendes:
„Mein geliebter Fritz!
Mit welcher Freude, ja mit welchem
Entzücken Deine Zeilen mich erfüllt
haben, vermag ich Dir nicht zu schrei
ben. Du wirst es mir auch schwerlich
nachempfinden, da es Dir möglich war,
mein Herz so lange in bitterster Sorge
und Ungewißheit z» lassen. Hundert
mal sagte ich mir: Der, um den Du
Dich grämst, hat Dich treulos verlas
sen. O, der Gedanke war mir schreck
lich! Nun ist aber Alles gut, Alles ver
ziehen, Du gedenkst meiner in alter,
treuer Liebe, mehr verlangt mein Herz
ja nicht. Doch bis Dein Urlaub Dich
zurück in meine Arme führt, schreibe
recht bald wieder so schön und zärtlich
Deiner Dich treu liebenden
Lisbeth."
Brief!" rief Lisbeth in höchstem Ent
sereins das nicht auch so von sich geben
kann?"
„Ja, das ist eben das Sonderbare
dern der Beste besteht."
Abend zur Ruhe ging, legte sie den
Brief ihres Geliebten unter ihr Kopf
kissen.
Mit stolzem Erstaunen las Fritz
Erdinger die Antwort seiner Gelieb
war, daß er demselben sogar Schiller
sche Verse zugetraut haben würde.
Triumphirend zeigte er seinem Lieu
tenant den Brief. Dieser las ihn und
schüttelte überrascht den Kopf.
„Ist Dir die Handschrift Deiner
Lisbeth bekannt?" frug er zweifelnd.
„Wie meine eigene, Herr Lieute
nant!"
„Sonderbar," fuhr Jener fort,
„das Mädchen muß in der That einen
nicht gewöhnlichen Grad von Bildung
besitzen, wenn sie die Antwort nicht
vielleicht einem Briefsteller entlehnt
hat."
„Meine Lisbeth ist so klug wie ein
Professor, Herr Lieutenant," versetzte
Fritz gekränkt. „Ihr gnädiges Fräu
lein hält große Stücke auf sie."
„Mensch, dann bist Du allerdings
zu beneiden! Ist das gnädige
Fräulein alt?"
„Bewahre, sie ist jünger als meine
Lisbeth!"
„Wahrscheinlich schon verlobt?"
„Daß ich nicht wüßte, Herr Lieute
nant."
„Ach so sie lebt von einer Pen
sion, die sie bei der Verheirathung ver
liert, was?"
„Fällig ihr gar nicht ein!" flachte
Lisbeth bebauptet, sie hasse die Män
ner und wolle nicht Heirathen."
„Eine Emancipirte also? Auf
Ehre, interessant! Häßlich wie eine
Nachteule —"
»Kult" unt:;!i:ch ihn Lieutenant
von Flemming laut auflachend, „Du
bist ja ein wahrer Don Juan wenn
das Deine Lisbeth wüßte!"
„Um's Himmelswillen, Herr Lieute
nant, sie würde mir die Augen aus
kratzen! Es war ja nur Spaß, das
gnädige Fräulein denkt ja nicht da
ran, ihre Augen auf unsereinen zu
werfen —"
„Das glaub' ich Dir auch so ob
gleich der Geschmack der Weiber zu
weilen barock genug ist, wie Figura
zeigt: Deine Lisbeth ist ein beredtes
Zeugniß einer solchen Verirrung!
Hast Du keine Photographie von ihr?"
„O ja," lachte der Pfiffige Fritz.
„Wollen sie der Herr Lieutenant ein
mal sehen?"
Lieutenant von Flemming sah nicht
das listige Gesicht seines Dieners, als
dieser eine Photographie aus seiner
Brieftasche nahm und ihm dieselbe
„Kerl das ist Deine Lisbeth?"
frug der Lieutenant erstaunt beim An
blick des reizenden Frauenbildes.
»Ist sie nicht hübsch, Herr Lieute
nant?" entgegnete Fritz mit treuherzi
ger Miene.
„Hübsch? Das ist kein Wort da
für. Sie ist schön, bezaubernd, hin
reißend Kerl! Wie kann sich ein
Frauenzimmer von solcher Qualität
in Dich verlieben?"
„Herr Lieutenant!"
„Ach was, Fritz Erdinger! Das
kannst Du selbst nicht begreifen, wenn
Du ehrlich sein willst!" fuhr der
Lieutenant im lebendigsten Eifer fort.
„Auf Ehre! Das ist eine Geschmacks
verirrung, die kein Vernünftiger gut
heißen kann. Ich beneide nein
ich bedauere Dich sie wird Dich
unglücklich machen. Mensch, was
willst Du mit einem solchen Engel be
ginnen?"
„Na, das ist ja meine Sache, Herr
Lieutenant!" erwiderte Fritz, ohne
weitere Empfindlichkeit zu verrathen.
„Geben Sie mir nur das Bild der
Herr Lieutenant könnten sich hinein
verlieben."
Dieser betrachtete es noch einen Au
genblick und gab es dann zögernd dem
Soldaten zurück, der es ruhig, ohne
es weiter zu beachten, in seine Brief
tasche zurücklegte.
„Perlen vor die Säue!" brummte
der Lieutenant für sich. „Ein solcher
Bauernbursche führt diesen Engel
heim und ich? es ist rein lächer
lich —"
Je mehr er sich das Bild des Mäd
chens vergegenwärtigte, desto mehr ent
flammte es seine Einbildungskraft.
Er konnte das süße Antlitz nicht ver
gessen und unbemerkt schlich es sich in
sein Herz, um nach und nach gänzlich
davon Besitz zu nehmen.
„Ich glaube, diese Lisbeth hat es
mir angethan," meinte er einst in einer
Stunde der Selbstpriifung. „Eine
Dienstmagd! Pah, wenn das Liebe
wäre, möchte ich dem losen Amor die
Flügel für immer stutzen!"
Nichtsdestoweniger schrieb er die
Antwort wieder für den arglosen Fritz,
den er sogar verschiedentlich daran
mahnte. Die Briefe wurden in der
Folge immer glühender und poetischer
zensgesühle in die Feder, so daß es zu
letzt selbst dem einfältigen Fritz ein
wenig zu arg für einen Brief an seine
Lisbeth erschien.
Auch Lisbeths Erwiderungen wur
erlegen.
„Die ganze Welt soll Zeuge sein,"
schrieb Fritz oder vielmehr Lieutenant
von Flemming hierauf, „daß ich Dich
liebe, daß Du mein bist, Schönste der
Schönen!"
dem davonbrausenden Zuge tausend
Donnerwetter nach. Doch was Hals's?
Er mußte gehorchen.
Sein Herr aber lächelte triumphi
rend. Er wollte Lisbeth zuerst be
grüßen und, wenn das Original dem
sich seine Gestalt neben der vierschröti
gen seines Burschen vergegenwärtigte,
mußte er lächeln und hielt den Sieg
Gefühle stehen.
Wie konnte er, der adelige Garde
officier, nach dem Stubenmädchen sich
Er wollte sich eiligst zürückzieben.
„Schöne Geschichte," dachte er zor
nig, „ein Rückzug in bester Form
ich räume einer Magd das Feld!"
Lisbeths Bild trat verlockend vor
ihn hin.
„Vielleicht entzaubert mich ihr An
blick und dann —"
Da kam ihm plötzlich ein guter Ge
danke.
> „Auf Ehre, das muß gehen!"
Er strich sich den Bart, zog die Uni
form glatt und stieg ohne Zögern die
mit Teppichen belegte Trepve empor.
nichts cls s.ch bei Fräulein
Berghaus melden lassen und bei ihr
für seinen Fritz um die Hand Lisbeths
werben. Ein etwas wunderlicher Ge
danke.
Wenn er aber geglaubt, daß Lis
beth «scheinen und ihn anmelden
würde, so hatte er sich geirrt. Eine
alte, mürrische Köchin musterte ihn
mit echaunten Blicken und ging brum
mend hinein, um seine Karte abzuge
ben.
Er mußte ziemlich lange warten, ehe
die Alte zurückkehrte und nach der halb
offenen Flügelthür deutete. Er trat
hinein, durchschritt ein Vorgemach und
stand plötzlich vor einer jungen Dame
in elegantester Toilette.
„Mein gnädiges Fräulein!" begann
er, doch im nächsten Augenblicke prallte
er zurück und fand vor Erstaunen keine
Worte mehr: vor ihm stand das Ori
ginal jener Photographie, welche Fritz
für das Portrait seiner Lisbeth aus
gegeben aber noch tausendmal schö
gezeigt hatte. Der sonst so kühne und
sattelfeste Officier war verwirrt, um
alle Fassung gebracht. Das konnte
unmöglich Lisbeth, das mußte Fräu
lein Berghaus selbst sein.
Diese blickte ihn erst erstaunt, dann
ängstlich an und machte eineßewegung
nach der Kling»!.
Lieutenant von Flemming ermannte
sich.
„Verzeihen Sie, meine Gnädige!"
begann er gefaßter, „ich habe doch die
Ehre, vor Fräulein Berghaus zu ste
hen ?"
„Allerdings, mein Herr. Jedoch —"
„Sie besitzen eine Dienerin, gnädi
ges Fräulein, Namens Lisbeth —"
Fräulein Berghaus blickte ihn wie
der ängstlich an und dann abermals
nach der Klingel. Sollte sein Bei
stand nicht in Ordnung sein? Schade
um den bildschönen, jungen Mann!
„Besagte Person." fuhr er noch
dringender fort, „scheint sich nach
Ihnen, mein gnädiges Fräulein, sehr
gebildet zu haben. In einer solchen
Schule freilich —"
„Aber ich bitte Sie, mein Herr,"
rief die junge Dame mit sichtlicher
Angst, „was hat meine Dienerin und
ihre Geistesbildung mit Ihrem Besuch
zu thun?"
„Sehr viel, meine Gnädige. Ich
komme, um ihre Hand zu werben —"
„Ah —"
Fräulein Berghaus wich entsetzt zu
rück, sie glaubte jetzt hinlänglich über
zeugt zu sein, es mit einem Geistes
kranken zu thun zu haben.
Der arme Lieutenant wußte in sei
ner Aufregung kaum, was er sprach,
und kam erst wieder zur Besinnung,
als die junge Dame nun wirklich nach
der Glocke griff.
„O bitte, meine Gnädige, hören Sie
mich erst ganz an," bat er mit flehen
der Stimme, so daß Fräulein Berg
haus die Glocke wieder auf den Tisch
stellte.
„Nun, mein Herr!" sagte sie. „Ich
bitte doch recht sehr, daß Sie zur Sache
kommen!"
„Ach ja, zur Sache!" Der Lieute
nant blickte weg, um nicht auf's Neue
durch die Schönheit seines Gegen
übers verwirrt zu werden. „Verzei
hen Sie meine Aufregung aber das
Ungewohnte ich bin hergekommen,
um für meinen Bedienten Fritz Er
dinger um die Hand Ihrer Dienerin
Lisbeth zu werben."
Ueber das Gesicht von Fräulein
Berghaus flog ein schalkhastesLächeln.
Sie hatte offenbar Mühe, ihre Heiter
keit zu unterdrücken.
„Ah, das also ist des Pudels Kern,
Herr Lieutenant!" entgegnete sie.
„Welch' außerordentlicher Mensch
muß dieser Fritz Erdinger sein, um
eine so ehrenvolle Freiwerhung zu
verdienen!"
„O ja, er ist ein braver Mensch,"
nickte der Lieutenant mechanisch.
„Sehr geistreich —"
„Thun Sie ihm nicht Unrecht!"
„Wieso? Er ist sicher ein ganz ge
bildeter Mann. Ich hatte Gelegenheit,
seine Briefe an Lisbeth zu lesen."
„Ah so ja freilich! Doch ge
gen Lisbeths geistreiche Briefe kommen
sie nicht im Entferntesten auf, mein
gnädiges Fräulein! Ich war erstaunt
über diesen Briefstil bei einer Diene
rin!"
„Sie haben die Briefe gelesen, Herr
Lieutenant?" fragte Fräulein Berg-
Haus plötzlich, wie mit Purpur Über
gossen.
Lieutenant von Flemming blickte sie
forschend an —ein Blitz fuhr durch fein
blenden.
„Ja, meine Gnädige!" versetzte er
langsam. „Sie interessirten mich in
so hohem Grade, daß ich begierig war,
die Briefstellerin kennen zu lernen."
„Und deshalb also sind Sie hierher
gekommen?" fragte sie ironisch. „Es
freut mich. Ihren Wunsch erfüllen zu
können, Herr Lieutenant."
Rasch ergriff sie die Glocke und ließ
sie ertönen.
„Meine Gnädige!" stotterte der
„Dort ist die Briefstellerin!" fuhr
hat eben feierlich um Dein« Hand an
gehalten."
„Gnädiges Fräulein!" fuhr der
anstarrte.
„Natürlich für seinen Bedienten
Fritz Erdinger," ergänzte sie sich.
wo ist er denn geblieben?"
„Eine Dienstpflicht hielt ihn zurück,"
entgegnete der Lieutenant rasch. „Aber
morgen Mittag soll er hier sein.
Fräulein Berghaus und ich geben Euch l
unseren Segen und werden auf Eurer
Hochzeit tanzen."
„Sie sind sehr kühn im Versprechen,
Herr Lieutenant." erwiderte die Ge
der ihn schon einige Male so empfind
lich getroffen. „Geh' nur wieder,
Lisbeth! Es ist gut!"
„Haben Sie sonst noch Wünsche,
Herr Lieutenant?" frug Fräulein
Berghaus, als sie allein waren.
„Ja, meine Gnädige!" versetzte die
ser, ihren Blick frei und offen erwi
dernd. „Ich bitte um die Erlaubniß,
Ihnen sagen zu dürfen, daß es mich
sehr glücklich macht, in der Verfasserin
jener Briefe eine heimliche Stellvertre
terin entdeckt zu haben, eine Stellver
treterin. die es verstand, mich durch
ihren Geist zu fesseln —"
„In der That?" lachte sie, wieder
leicht erröthend. „Nun wohl, so hoffe
ich auch mich entschuldigt, wenn ich den
Geist Ihres Dieners in einer anderen
Quelle suche, als in seinem eigenen
Gehirn."
„Zugestanden!" rief Lieutenant von
Flemming. „Die schöne Stellvertre
terin wird mir zwar niemals verzei
hen können, ihre Gedanken und Ge
fühle an einen Fritz Erdinger ver
schwendet zu haben —"
„Während Fritz Erdinger untröst
lich sein würde, wenn er entdeckte, daß
ein Anderer mit seinen Gefühlen
Spott getrieben!"
Lieutmant von Flemming war nahe
daran, ihr zu Füßen zu fallen und ihr
zu schwören, daß er an keinen Spott
denke, daß er sie liebe und längst ge
liebt habe, allein er beherrschte sich und
schlug einen weniger gefährlichen Ton
an, und bald hatte er auch den ganzen
Zauber feiner Unterhaltungsgabe wie
dergefunden.
Am nächsten Tage kam Fritz Erdin
ger auf Urlaub, von seiner Lisbeth mit
offenen Armen empfangen.
Als er die wunderlicheGeschichte von
seinem Lieutenant erfuhr, machte er
ein Pfiffiges Gesicht und lachte wie ein
rechter Schelm, doch hütete er sich
wohlweislich, seiner Lisbeth zu sagen,
daß er eine Photographie des gnädigen
Fräuleins, die er ihr früher einmal
heimlich ausgeführt, für die ihrige
ausgegeben habe in solchen Dingen
verstand Lisbeth keinen Spaß.
„Hm," sagte er vergnügt zu ihr,
„am Ende wird doch noch ein Paar
aus den Beiden."
„Sie wird nicht so närrisch sein
und des Lieutenants Schulden bezah
len." versetzte Lisbeth energisch.
Fritz schwieg, um ihren Zorn nicht
zu reizen.
Als er vor Fräulein Berghaus er
scheinen mußte, fand er jedoch seine
ganze Beredtsamkeit wieder und er
zählte der Aufhorchenden so viel Gu
tes von seinem Lieutenant, daß Fräu
lein Berghaus ihn einen vortrefflichen
Diener nannte und ihm einen Posten
auf ihrem Rittergute versprach.
Lieutenant von Flemming aber be
nützte so ausgezeichnet einen erbetenen
Urlaub, um sich das Herz der Angebe
teten zu erobern, daß die Welt bereits
nach vierzehn Tagen mit einer Verlo
bungsanzeige überrascht wurde.
Geistesgegenwart Der
Schulinspector Müller, welcher ein
ausgesprochener Feind der sogenannten
„Prügelpädagogik" ist, dagegen darauf
hält, daß die ihm unterstellten Lehrer
ihre Zöglinge mit den Regeln der Ge
sundheitspflege bekannt machen, findet
eines Tages unangemeldet in eine
Dorfschule tretend wie der Lehrer
sich anschickt, einen Jungen über's
Knie zu legen. Schnell gefaßt wen
det sich der Ueberraschte dem Eintre
tenden entgegen: „Herr Schulinspek
tor sehen mich eben im Begriff, zu dem
Capitel praktische Massage Überzu
g—Abgeführt. Frau Meier (zu
ihrer Freundin): Ja, liebe Freundin,
ich bin am 22. April geboren. Herr
Meier (der dies mit angehört): Ich
dächte, liebes Kind, Du wärest am 1.
April geboren. Frau Meier: Ja,
wenn man bedenkt, daß ich Dich zum
Manne genommen habe, könnte man
allerdings auf die Idee kommen!
Vorgebeugt. A.: Warum
hast Du Dich denn mit Schulz ge
zankt,es war doch gar kein Grund vor
handen? B.: Ja, ich hatte erfahren,
er wollte mich anpumpen, jetzt bin ich
thut.
Vor Gericht. Richter: Ha
dem Mann so Besonderes?" B.:
Erklärt. Fremder: „Jetzt bin
sen, Frau Wirthin, und nie kann man
ein Mittagessen haben! Kochen Sie
d:nn nie 'was?" —Wirthin: „A Frem
der kommt selten, und wir essen im
mer, was Tags vorher übrig bleibt!"
Durch dießlume. Feldwe
bel (?um Rekruten, der um Urlaub
bittet): „Hm, cigenilich sollten Sie noch
nicht wieder gehen .... na. in'z Teu
felsnamen los! Wenn man sich hier
'mal Schinken kauft, kriegt man ja doch
nur amerikanischen!"
Schonung» gründ. Dorf
polizist (bei einer Rauferei): „Jessas,
schlagt's 'n Jockel nit todt er is no'
's ganze Jahr d' Steuern schuldi'!"
Zweideutig. Onkel: „Nun.
mein lieber Neffe, macht die hehre Wis
senschaft auf Dich zuweilen nicht einen
überwältigenden Eindruck?" Stu
diosus: „O, Onkel, ich bin oft ganz
berauscht!",^..
ZNe Eüe und das Geld.
Einen heiklen Punlt in der Ehe bil
det oft das leidige Geld. Unentbehr
lich als materielle Grundlage häusli
chen Behagens, kann sein Mangel zur
Ursache größten Elends in den Fami
lien, seine Ueberfülle aber niemals eins
Quelle ihres wahren Glückes werde».
Bringt die Frau ihrem Manne em
Vermögen oder sogar große Reichthü
mer zu, so darf sie sich nichts darauf
zu gute thun. Ein edler Mann kann
leicht verletzt und abgestoßen werden,
wenn sie nicht reicher an Herzensgüte
und Liebe als an irdischen Gütern ist.
Nie erträgt ein hochfinniger Charakter
dos Gefühl der unwürdigen Abhän
gigkeit von dem guten Willen seiner
Frau, welche dies, wenn sie ein wohlge
bildetes Zartgefühl besitzt, auch un
möglich wünschen kann. Das eigne
Interesse gebietet ihr daher, ihrem Be
sitz durch Zartgefühl erhöhten Werth
zu geben. Oft werden von Seiten der
nur eben wohlhabenden Frau Ansprü
che erhoben, als ob das bischen Geld
ziehung, wonach die Mädchen den
Maßstab des Elternhauses an ihre
neuen Verhältnisse legen, ohne der
Thatsache, daß sie vielleicht nur den
vierten oder sechsten Theil des elterli
chen Vermögens besitzen oder erst zu
erwarten haben, Rechnung zu tragen.
Daraus entstehen natürlich Verlegen
heiten und Verwirrungen, die nur zu
oft in Mißstimmung und Zwistigkei
ten enden und zu ebenso bedenklichen
Proben des ehelichen Glückes werden,
wie großer Reichthum bei Taktlosig
keit. Führt ein reicher Mann ein
Mädchen aus bescheidener Lage als
Gattin in sein Haus, so ist oft die
lichkeit einlebt, bisher ungekannte Be
dürfnisse und Genüsse als Nothwen
digkeiten betrachten lernt, und trotz der
Lebens bekannt zu immer
neue Wünsche hegt, deren etwaige Nich
terfüllung sofort ihre Unzufriedenheit
und üble Laune hervorruft. Be
schränkte Naturen gewahren es nicht,
wie sie durch ein solches Gebaren viel
leicht die Liebe und Achtung des Gat
insoweit ein Recht über sich einräumt,
als sie damit dem Geschmack und dem
Willen des Mannes Genüge leistet.
nicht manche Enttäuschung brächte.
Sie sahen sich viel in dem Sonntags
gewande einer erhöhten Stimmung,
indem das Glück ja die meisten, we
nigstens die guten Menschen liebens
würdiger macht, oder durch das Ver
quem, zuletzt, wenn das liebende Auge
nicht als ein milder Richter waltet, un
erträglich. Da es nicht nur einem,
sondern beiden Theilen in der Regel
ganz ähnlich ergeht, so ist es gut, wenn
jeder daraus gefaßt ist, keinen Engel,
zahlt. Es ist unsere Aufgabe, die
menschlichen Schwächen zu besiegen.
Gegen des Mannes Heftigkeit ist kei
neswegs die Empfindlichkeit der Frau,
gegen feine Verdrießlichkeit nicht üble
Laune, sondern stille Heiterkeit die zu
verlässigsten Kampfmittel. Sind die
Ehegatten in der ersten Zeit auch un
zertrennlich, so wird der Mann doch
aufsuchen, ja vielleicht öfter dabei über
die Polizeistunde hinaus verweilen.
In diesem Falle ist der jungen Frau
nur zu rathen, sich bei guter Zeit zur
kiuhe zu begeben und die Stunde seiner
Heimkehr zu verschlafen, statt dieselbe
mit vielleicht bitteren Gefühlen abzu
warten und ihm ein überwachtes, von
Thränen überströmtes Gesicht zu zei
gen. Begrüßt sie ihren Mann dagegen
am Morgen mit unveränderter Lie
benswürdigkeit, so ist eher zu erwar
ten, daß der Sünder in sich geht und
beschließt, sein liebes Frauchen nicht so
bald wieder auf die Probe zu stellen.
Thut er dies aber doch, dann kann die
Hausfrau versichert sein, daß er ihr
muntere und offenherzige Erzählungen
über die stattgehabten Vorfälle geben
wird. Ueberhaupt ist es unklug, aus
der Liebe eine Kette machen zu wollen.
Wer nicht freiwillig in ihren süßen
Banden bleibt, wird die Kette schnell
genug zerreißen. Glaube doch keine
Frau, einen Vortheil für sich daraus
zu ziehen, wenn sie ihren Gatten im
merwährend zur Seite hat. Sie muß
in ihrem eigenen Interesse vielmehr
wünschen, daß er durch Beruf, Ge
schäfte und geselligen Umgang einen
Theil seiner Zeit von ihr fern gehalten
werde, damit Abwechselung seinenGeist
erfrische, er wird dann um so lieber
sein Heim aufsuchen und glücklich kann
1 sich die Frau schätzen, deren Mann
bei längerer Abwesenheit vom Hause
sein Frauchen mit den Worten be
grüßt: „Zu Haus ist es doch am be
' sjen.",