Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 28, 1896, Page 3, Image 3

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    M Wmi-Mme.
<lO. Fortieziuug).
Wurm begab sich direkt zu dem In
haber jenes plötzlich so gefährlich ge
auf dem Wege war, ja noch in dem
Augenblicke, als er i» die Thüre von
seines Gläubigers Office trat, schien
ihm nichts natürlicher, als daß sein
Ansuchen bereitwilligst Gewährung
finden würde. Als er aber dem
Mann«, von dessen gutem Willen so
viel abhing, gegenüberstand, da sank
ihm plötzlich man verzeihe den et
was trivialen Ausdruck das Herz
in die Hosen, >md er vermochte nur
gen. sch Z
Mr. Bly, der Gläubiger, war ein
baumlanger Mensch mit grauen Haa
ren, einem Bart, wie ihn Abraham
Lincoln getragen hatte, und ruhigen,
grauen Augen. Er war durch und
durch Geschäftsmann und sein Cha
rakter kalt und scharf wie Kieselstein.
Ohne eine Miene zu verziehen, ließ er
Wurm ausreden, den armen Wurm,
der trotz seiner Herzensangst sich den
Anschein zu geben suchte, als sei er
voll Sorglosigkeit darüber daß „sein
langjähriger Geschäftsfreund, Mr.
Bly" nicht zögern würde, ihm die „un
bedeutende Gefälligkeit", einen neuen
Wechsel als Deckung für den alten zu
nehmen, gewähren würde.
Als Wurm seine konfuse Darstel
lung der Sachlage, sowie sein Ansu
chen endlich vorgetragen hatte, vertrieb
die bangt Erwartung, wie das Ende
der Unterredung fein würde, plötzlich
das mühsam genug festgehaltene Lä
cheln von seinem Angesicht und er
starrte den Mr. Bly mit so großen
und entsetzten Augen an, als erwarte
«r vo" dessen Lippen sein Urtheil über
Leben und Tod.
Aber Mr. Bly nahm darauf nicht
die geringste Rücksicht.
„Ordnung ist die Grundlage aller
Geschäfte,", antwortete er mit seiner
trockenen, geschäftsmäßigen Stimme.
„Feder Wechsel muß am Verfallstage
eingelöst werden. Ich kann in dieser
Beziehung keine Ausnahme machen.
Und de? Mann setzte wieder die Fe
der an, um in seinen Büchern weiterzu
sch'ciüen, wo er'unürbrochen hatte, a!)
W,!U>> eingetreten vir.
Wurm, dem der Schweiß in großen
Tropfen auf die Stirne trnt, ließ ge
wohnheitsmäßig das Kinn in der
Halsbinde verschwinden, und war un
schlüssig, ob er sich zum Gehen wen
den oder noch etwas zu Gunsten seiner
Bitte vorbringen sollte. Endlich ent
schloß er sich zu letzterem, obwohl er
eigentlich nicht recht wußte, was er
noch sagen sollte. Kaum Halle er aber
den ersten Satz in's Blaue hinein be
gonnen, da sagte Mr. Bly, ohne von
seinen Eintragungen aufzusehe:
"Vmi dc>tti>r Itt luv ulons, »in; I
Als echter Deutscher glaubte Wurm
selbst angesichts dieser groben Abwei
sung noch zu einer Entschuldigung
verpflichtet zu sein. Er stammelte also
das Fragment einer solchen hervor,
wünschte dem Mr. Bly, der von seinem
„langjährigen Geschäftsfreunde" nicht
die geringste Notiz mehr nahm, sehr
höflich einen recht angenehmen guten
Morgen und da stand er nun
auf der Straße.
Wie niedergeschmettert taumelte der
Bedauernswerthe dudrch die Straßen.
Er wußte kaum, wohin ihn seine
Schritte führten und das war ja
auch völlig gleichgiltig, denn er hatte
in seiner hoffnungslosen Verzweiflung
kein Ziel vor Augen. Wohin hätte er
sich auch wenden sollen? wo war noch
Hilfe und Rettung zu erwarten?
Eben kam er an einer Wirthschaft
vorüber. Die Kehle war ihm wie aus
getrocknet. Ein Glas Bier würde ihn
erfrischen, vielleicht auf irgendeine gute
Idee bringen. Er trat ein, ließ sich an
einem der Tischchen nieder und bestellte
ein Glas Bier. Als der Aufwärter
den braunen Trank vor dem Gast nie
derstellte, hatte dieser die Arme aufge
stemmt und war in tiefes Nachsinnen
Wie Wurm gehofft hatte, so kam es:
eine Menge von „guten Ideen" zog
ihm alsbald durch den Kopf. Den
Teufel auch! man muß nicht gleich ver
zweifeln. War auch dieser Mr. Bly
ein hartherziger Schuft, so gab es doch
noch andere Leute, zu denen das Haus
Wurm seit langen lahren angenehme
Geschäftsbeziehungen unterhielt. Ei
ner von diesen würde doch wohl für
eine Gefälligkeit zu haben sein. Und
wenn selbst das nicht zu was war
der Grocer denn Mitglied einer Logs,
in welcher ein paar steinreiche Leute
sich seine „Brüder" nannten?
Wurm begann sich allmählig zu beru
higen. Wie alle Sanguiniker hielt er
den schwachen Strohhalm, den er vor
sich schwimmen sah schon für ein fe
stes Brett, auf welches gestützt, man
sicher und ungefährdet an Land kom
men müsse. Als er das zweite Glas
Bier geleert hatte, war er auch schon
Hause des Mr. Bly vorüber. Erst jetzt
bleiben und durch die verstaubten Fen
ster in das Lokal zu sehen.
Drinnen saß Mr. Bly noch immer
vor seinen Büchern und machte Ein
tragungen.
„Schäbiger Filz!" schimpfte drau
ßen der Grocer zu sich selbst, als er
seines „langjährigen Geschäftsfreun
des" wieder ansichtig wurde; „aber das
schwöre ich: wenn es mit meinem Ge
schäft auch wieder vorwärts ginge wie
mit Siebenmeilen-Stiefeln, bei Dir
kaufte ich nicht für einen halben Dol
lar Waare."
Aber ach! Die Hoffnung, die
in diesem Selbstgespräche verschämt
zum Ausdrucke kam, erlitt nur zu bald
einen schweren Stoß. Denn auch der
zweite „Geschäftsfreund" zeigte nicht
die mindeste Neigung, auf die Wünsche
Wurms einzugehen. Wurm wan
derte zu einem Dritten, aber das Er
gebniß war kein besseres. Noch an zwei
weiteren Thüren klopfte er an, aber
auch da wurde er unter Hinweis auf
die schlechten Zeiten und die Herrschends
Geldklemme abgewiesen.
Müde und abgespannt kam er
Abends spät nach Haus. Dir Kopf
schmerzte ihn und ein« dumpfe Gleich
giltigkeit gegen Alles hatte sich seiner
„Wo ist Julius?" fragte er, als man
sich zu dem frugalen Abendessen nie
dersetzte.
Niemand wußte es.
Wurm fragte nicht weiter, ja, er
hatte eine Minute später schon verges
sen, daß er überhaupt nach seinem
Sohne gefragt. Dumpf hinbrütend
saß er an seinem Platze. Frau Jo
hanne sprach ebensowenig wie ihr
Gatte und nur manchmal entfuhr ein
Stoßseufzer ihren Lippen. Frau
Heinzelmann verbrachte den Abend auf
ihrem Zimmer, wo sie den eigenen
trübseligen Gedanken Audienz gab und
von wo sie jede halbe Stunde einmal
hinüberging an Lipps' Krankenlager,
um nach dessen Wünschen sich zu er
kundigen. Die Kinder unten fühlten
mit jenem seltsamen Instinkte, der
den Menschen in ihren frühesten Jah
ren eigen ist, daß jetzt nicht die Zeit
sei, um Unfug zu treiben und Lärm
zu machen; auch unter ihnen herrschte
daher Kirchhofsruhe. Der letzte Tisch
genosse endlich, Toby, hing während
des Essens einer sehr merkwürdigen
und äußerst verwickelten Räuberge
schichte aus dem fernen Westen nach, in
welcher Ramon Ortiz, ein Stern er
ster Größe unter den Banditen von
Arizona, eine äußerst glänzende Roll
spielte.
Es herrschte also Todesschweigen
Um neun Uhr Abends brachte Frau
Johanne, heute, wie die Taae her, da
Lipps liegen mußte, ohne Hilfe seitens
der Frau Heinzelmann, die Kinder zu
Bette. Wurm nahm ein Licht und be
gab sich nach dem Geschäftslokale hin
unter, um, wie er sagte, die Bücher
durchzusehen, Toby aber stieg eilends
in seine Dachkammer, um eine neue
Geschichte zu beginnen, die diesmal
gar von dem großen Jesse James sel
ber handelte.
XI. Eine Schreckensnacht.
Allein gelassen in seinem Laden,
dessen nach außen führende Thüre
geschlossen war, da bei dem elenden
Geschäftsgange zu so später Stunde
auf das Vorsprechen vonKunden ohne
hin nicht im Entferntesten zu rechnen
war, suchte Wurm seine Bücher hervor.
Trotz seiner Müdigkeit begann er zu
rechnen und zu vergleichen, daß ihm
der Kops rauchte. Aber wie er sich
auch mühte aus den Buchstaben und
Ziffernkolonnen, die schon vor seinen
Augen zu tanzen anfingen, brach kein
noch so leichter Hoffnungsschimmer
hervor. »
Wurm stemmte den Arm auf das
Pult, an dem er saß, und starrte gei
stesabwesend in das vor ihm liegende
Buch. Nichts rührte sich, nur die alte
Schwarzwälder-Uhr, die vor so vielen
Jahren aus der alten Heimath mit
herübergekommen war, tickte eintönig
an der Wand weiter.
Eir>»önig?
Für den, der nicht näher hinhört,
sagt allerdings eine Uhr nichts Ver
nünftiges- nichts weiter als „Tik-
Tak" vom Morgen bis zum Abend und
vom Abend bis zum Morgen. Aber
wer m einsamen und trüben Stunden
je einmal einer Pendeluhr zugehört
hat, der weiß, daß eise solche, beson- <
ders wenn sie schon bei Jahren ist, also
Gelegenheit gehabt hat, im Leben Er- >
fahrungen zu sammeln, sehr ernst und
chen Volke der Taschenuhren, würde !
man vergeblich auf ein vernünftiges I
Wort warten.
Aber die alte Schwarzwälderin im
Laden unseres Freundes Wurm war
nun begreiflicherweise schon in Folge I
ihres Alters eine von den erfahrensten >
Uhren, die es hier zu Lande überhaupt
gab, und darum hörte der arme Wurm !
sehr bald, wie sie, ihr einförmiges Tik-
Tak einstellend, zu ihm zu sprechen be-
„Früher! Früher!" sagte sie, und !
men Wurm eine ganze Kette von weh- >
Ja, früher da war es anders;
es war allerdings eine bescheidene Exi- !
stenz gewesen, voll Arbeit vom Mor- >
gen bis zum Abend, aber doch eine >
Existenz, in der es auszuhalten war. i
Wie war doch plötzlich die Wendung !
zum Schlimmen gekommen? Wurm j
sann vergeblich darüber nach. Die j
Schwarzwälderin aber hatte gleich eine ,
Antwort bereit. Sie sagte langsam !
und eindringlich: I
„Unfrieden verzehrt, Frieden er- >
nährt!" i
Und das wiederholte sie mehrmals,
bis Wurm es verstanden hatte.
Ja, die leidigen Streitereien in um
außer dem Haus, sie hatten ihm Alle!
men ohne daß er eS selbst bemerk'
- hatte. Zuerst war ihm das Haus ver
! leidet worden, dann das Geschäft, un!
' rinaer, und damit war der Boden
' üble Unternehmungen von der Art de«
„Deutschen Sparbanl" bestellt. Hätli
' er nicht die Lust an seinem Geschäfte
> verloren, dann wäre dieses nicht zu
> rückgegangen und wäre dieses nicht zu
rückgegangen, so hätte man ihn ver-
gebens zu beschwatzen versucht, sein
Geld diesem Schwindler Brozen anzu
vertrauen; er hätte alsdann nicht nö<
thig gehabt, aus die „dreißig oder vier
zig Prozent" der sogenannten „Deut
schen Sparbank" zu spetuliren. Sc
reichte Eins dem Anduen die Hand,
Aber war es denn wirklich sein«
Schuld, daß es so gekommen, wai
nicht vielmehr eine gewisse Frau —i
„Nein, nein!" sagt« ernsthaft dii
Uhr.
Und sie hat recht, sann Wurm wei
ter. Denn der Herr im Haus hätte
er sein sollen, nicht die Andere, dii
Frau Heiinelmann.... Hätte er nur ein
einziges ZMI mit Festigkeit ihr gegen
über seinen Standpunkt vertreten,
wäre er nur ein einziges Mal dabei
geblieben, wenn er eine Meinung, eine
Ansicht aufgestellt hatte nie mehr
hätte Frau Heinzelmann gewagt, ihm
entgegenzutreten, wie sie es thasächlich
gethan, ach! und so oft gethan!
Er hätte bald Ruhe und Frieden in
seinem Hause gehabt, Haus und Ge
schäft wären ihm nicht unangenehm
geworden mit einem Wort: es hing
wieder Alles zusammen, wie
ein Sack krummer Nägel und es stellte
sich klar heraus, daß ihm selber die
Hauptschuld an dem unvermeidlich ge
wordenen Zusammenbruche beizumes
sen sei.
Eben wollte Wurm eine neue Frage
an die alte Dame an der Wand rich
ten, da knarrte die Hausthüre in ihren
rostigen Angeln.—
, Wurm fuhr aus seinen Träumereien
auf und sah verstört um sich.
Julius war nach Haus gekommen.
Er stieg eben die Treppe hinauf.
Schlaftrunken ließ Wurm das
Haupt wieder auf das Pult sinken; er
wollte hören, was die Schwarzwälde
rin ihm noch weiter von ihrer Weisheit
mitzutheilen hätte.
Aber die Uhr war offenbar nicht
mehr recht zum Sprechen aufgelegt.
Wurm hörte längere Zeit hindurch
nichts mehr von ihr als das gewöhn
liche „Tik-Tak", mit dem sie sich auch
sonst die Zeit zu vertreiben Pflegte. -
Endlich ließ sie sich wieder verneh
„Muß anders werden!" tickte sie.
Ja, es sollte anders werden, ganz
anders, gelobte sich der Grocer. Er
wollte von nun ab die Fuchtel imHause
selber führen und sich den blauen Teu
sel darum kümmern, wenn das etwa
der Frau Heinzelmann nicht angenehm
sein solle. Die Frau Schwiegermutter
mußte lernen, Ordre zu pariren und
die Gattin mußte sich gewöhnen, dem
Manne zu gehorchen, anstatt der Mut
ter. Dann würde das Ding wie von
selber gehen und alle Noth hätte ein
Ende. Und als er dieses bei sich dach
te. da senkte Wurm im Traume das
Kinn tief in die Halsbinde, als stünde
er schon vor den beiden Weibern, um
ihnen seinen unwiderruflichen Ent
schluß anzukündigen, daß er hinfort
das Szepter des Hauses führen und
nicht mehr aus der Hand lassen werde.
Ehe die Schwarzwälderin noch ir
gendetwas weiteres sagen konnte,
mengte sich etwas Anderes ungebeten,
in's Gespräch: die Petroleumlampe
nämlich, die dicht neben dem nun gänz
lich auf dem Pulte ruhenden Haupte
Wurms stand. War die Uhr an der
Wand mit einer soliden Bürgersfrau
die es sich handelt, ja, ohne die
Erfahrung zu haben, die nöthig ist,
um ein Ding richtig beurtheilen zu
„Macht euch nicht lächerlich! Wir
die Welt zu regieren, nicht das schwer
fällige Männervolk."
Wurm wußte nicht, womit er dieser
Keckheit begegnen sollte. Er wartete
daher ab, was die Uhr dazu sagen
würde.
Diese ließ sich endlich herab hinzu
werfen:
„Laß' sie reden, laß' sie reden!"
„Siehst Du," sagte nun auch Wurm
seweises Geschwätz. Besser Du hältst
den Schnabel und thust allein, was
Deines Amtes ist."
„Was meines Amtes ist!" zischte die
Lampe boshaft auf. „Und weißt Du,
was meines Amtes ist? leuchten,
leuchten, damit ihr nicht Alle im Dun
keln tappen müßt. Wie denn, wenn es
keine Lichter gäbe wie ich Eines bin
ihr würdet, wenn die Sonne einmal
Weiber nicht wären, würdet ihr auch
beim hellen Tag in Finsterniß wan
deln, denn ihr Beruf ist es, wie der
zu erleuchten."
Wurm wartete, was die Uhr dazu
sagen würde» da diese sich aber in tie
fet Schweigen hüllte, antwortete er an
ihrer statt:
„Ja, leuchten und glänzen, das wäre
schön und gut. Aber weder die Wei
her noch die Lampen begnügen sich
damit, und nicht selten richten Beide
damit Unglück an."
Da Wurm dergestalt seine Weisheit
„Gieb Acht gieb Acht!"
Die Lampe lachte und hüpfte vor
Vergnügen, und da sie ohnehin sehr
den Korb, der mit Sägespähnen ge
füllt war.
Die Uhr sagte nichts weiter als:
„Da hat man's, da hat man's!"
Es herrschte jetzt tiefe Stille im
her..
Aus dem Korbe mit den Sägespäh
nen aber kroch eine feurige Schlange.
chen konnten.
Krach! Da sprenate der Rauch
das einzige Fenster des Raumes.
ein Nc?sender an die Thüre, die in sein
Haus führte.
„Feuer! Feuer!"
zigen mächtigen Flamme, die mit ru
fender Schnelligkeit Alles verschlang,
was in ihrem Vereich war, und mit ei
an den ausgetrockneten Wänden.
Wurm mit seinem Feuerruf hatte
rasch Alle im Ha-use, den hilflosen
Lipps allein ausgenommen, auf die
Beine gebracht. Frau Johanne in ihrer
fürchterlichen Angst unterließ es
vielleicht zum ersten Male in ihrem Le
ben angesichts der schrecklichen Ge
fahr, zu seufzen und die Hände zu rin
gen, sondern sie handelte, und das mit
anertennenswerther Energie. Ihre
Alarmrufe hatten die Kinder geweckt.
Die zehnjährige Mary, ein kluges
Mädchen, half ihre Geschwister mit
dem Nothdürftigsten bekleiden. Gusting
rettete in treuer brüderlicher Lieve zu
guter Letzt sogar noch des kleinen Char
ley Schaukelpferd und eilte mit diesem
in den Armen vor der Mutter her, wel
che Charley und das Baby trug, auf
l>ie Straße alle zusammen so fürch
terlich schreiend und Hilfe rufend, daß
vie ganze Nachbarschaft aus den Bitten
fuhr.
Julius erkannte in dem Augenblicke,
da der Ruf des Vaters ihn geweckt
hatte, die ganze Gefahr: Ein altes
Instrumenten, und hob sodann die
schwere Bücherkiste auf die Schulter,
während er die leichtere mit den Jn
iahm. So bepackt, betrat er den Korrt
sor.
Im ganzen Haus war nichts mehr
Zern der flammen, wenn ein frischer
iZuftzug über sie hinfährt. Wie ein in
veiter Ferne brandendes Meer hörte
in, die sich mit wunderbarer Schnel
igkeit um die Brandstätte versammelt
Batten. Der Korridor oben, den der
voktor der ganzen Länge nach mit fei
ier Last durchschreiten mußte, war
lchon mit Rauchschwaden angefüllt,
zoch war die Luft für eine kräftige
Zunge immerhin noch zu athmen. Je
'iefer der junge Mann die Treppe hin
ib kam. desto schlimmer wurde eZ in
ziefer Beziehung. Die Thüre, welche
>nrne auf die Straße führte, war of
fenbar nicht mehr zu Passiren. Julius
vendete sich daher ohne Zögern nach
dem Hinteren Ausgang des Hauses, der
in den Hof führte.
Als er sammt seinen Schätzen durch
diese Thüre ungefährdet in's Freie
trat, fiel ihm der Vater unbekümmert
um Bücher- und Jnstrumententisten
,um den Hals und rief ein- um da» an
dere Mal:
„Mein Sohn! mein Julius! Gott
sei gepriesen!"
Julius wußte sich der Liebkosungen
des Alten kaum zu erwehren. Endlich
gelang es ihm, seine Kisten niederzu
stellen, und aufathmend richtete er sich
auf. Da aber stürzte Frau Heinzel
mann auf ihn zu, indem sie mit angst
verzerrten Zügen schrie:
l „Und Lipps? Wo ist Herr von
Lipps?"
Lipps!
Der alte Wurm wuiche leichenblaß,
als er den Namen hörte Alle hatte er
gerettet, den kranken Lipps aber hatte
er vergessen. Auch Julius erblaßte.
„Hast Du ihm nicht in's Freie ge
holfen?" fragte er den Vater.
„Wie konnte ich!" stotterte dieser.
„Schnell ein nasses Tuch!" rief Ju
lius unter die Umstehenden hinein, „es
„Du wirst doch —?" stöZnte
„Soll.'n wir uns nachsagen lassen,
daß wir uns Alle gerettet, daß wir
aber unfern erkrankten Gast hätten
rück. „Nur schnell, Leute!"
treffende dabei.
„Hinauf gewiß," antwortete Ju
lius, „aber wohl kaum mehr denselben
Weg zurück. Besorgt eine Leiter,
Leute, und Du, Vater, zeige den Män
nern, w? sie anzulegen ist. —Vorwärts,
starrte dem so heißgeliebten Sohne
nach, dessen hohe, kräftige Gestalt eben
in dem Thorwege verschwand.
Pfad betrat, noch einmal tief Athem
geschöpft und dann das "durchnäßte
Tuch über das Gesicht aeworfen. Es
mußte ihn vor den so gefährlichen Ver
brennungsgasen schützen, die sich in dem
engen Korridor, so nahe dem Feuer-
Mann rechnete, daß das obere Stock
werk noch gefahrlos zu Passiren sein
würde. Das untere wollte er laufend
hinter sich bringen. So stürzte er sich
denn rasch entschlossen in den Qualm,
welcher in einem breiten Strome durch
brauchte er, um die ersten Stufender
Treppe zu erreichen. Diese halbe Mi
nute aber war schrecklich, und jeden
Augenblick glaubte Julms, zusam
menbrechen zu müssen. Aber er arbeitete
sich, ohne den Weg, den er machen muß
te, zu sehen, zur Treppe durch und ge
langte über "diese, wenn auch nM ver
sengtem Haar und Bart in das obere
Stockwerk.
aber es war doch schon weit besser als
unten. Das aber war dem Doktor klar,
daß er weder allein, am allerwenigsten
das Fenster aus dem in Flammen ste-
Als Julius in Lipps' Zimmer ge
stürzt kam, war dieser eben bemüht,
„Alle Wetter, Doktor," rief er, nicht
schnell!"
bei Gott —"
lieat- auch das hier in Schutt
Kissen und Decken aus dem Bette und
half Lipps aufrichten.
Dieser ächzte und stöhnte zum Er
unter. Ich kann mich kaum bewegen!
Das ist eine schöne Befcheerung."
Der Doktor, ohne sich auf ein Ge
spräch einzulassen, hüllte den Kranken
in seine Decken.
„Versuchen Sie, ob Sie stehen kön-
legen Sie den linken Arm
um meinen Nacken; bis zum Fenster
sind nur fünf Schritte, so weit bringe
ich Sie schon."
Lipps that, wie ihm geheißen. Diese
aber mehr Zeit in Anspruch, als Ju
lius gebraucht hatte, um aus dem Hofe
heraufzukommen.
Von draußen drang nun verdoppel
der Wand zeigte an daß man endlich
eine passende Leiter gefunden hatte,
daß Rettung nahe sei. Da erschien
auch schon eine dunkle, mit Ruß bedecktl
Gestalt von außen am Fenster und rie'
herein:
„Her mit dem Kranken! Wenn di!
Leiter hält, bringe ich ihn hinunter!"
Julius schien es, als sei ihm du
Stimme nicht unbekannt. Doch macht«
er sich Weiler keine Gedanken darüber.
Lipps, den die'geringe Anstrengunc
so sehr erschöpft hatte, daß er kau«r
mehr wußte, was mit ihm geschah, lies
willenlos mit sich machen, was man
wollte.
Er fühlte, daß man ihn emporhob
daß plötzlich kühle Abendluft um seiiil
Schläfen spielte dann ging es ir
gendwo hinab, tief hinab
Der Doktor hielt die Decke, in wel
che er Lipps eingeschlagen, hinten fest
um so dem Manne, welcher den Kran
ken an den Beinen umfaßt hatte, Dil
schwere Last zu erleichtern. Ehe er au>
diese Weis« das Zimmer verließ, würd«
die Thüre wie von einer unsichtdareii
Macht mit furchtbarem Krachen aufge
schlagen, und herein drang eine breit«
Feuerzunge, die alsbald über das gan
ze Zimmer hin leckte, und im Nu Al
les, was sich drinnen befand, in Feuei
gesetzt hatte.
Eine Minute des Zauderns hättl
dem Doktor wie seinem Patienten Tot
und Verderben gebracht.
Jetzt erst erschien die zu spät gerufen«
Feuerwehr. Wurms Haus war begreif
licherweise nicht mehr zu retten; mar
und sich darauf beschränken, die Nach
barhäuser vor einem gleichen Schicksal
zu bewahren. In dieser Beziehung wa
ren denn auch die Arbeiten der wacke
ren Löschmannschaften von Erfolg be
gleitet. Das „Grocerhaus" aber war
nach kaum einer halben Stunde nichts
weiter mehr, als ein rauchender Trüm
merhaufen.
Die Familie Wurm, Frau Heinzel
mann mit inbegriffen, hatte für den
Rest der Nacht bei Nachbarn ein Unter
kommen gefunden. Es handelte sich ja
für sie nur darum, ein Dach über den
Häuptern zu haben an Schlafen
dachte erklärlicherweise keines von ih
nen. Lipps war auf einem rasch requi
rirten Handwagen nach der Wohnung
Stichows geschafft worden, welch' letz
terer den Kranken für sich beansprucht
hatte. Nur um Toby bekümmerte sich
Niemand.
Doch halt! Auch seiner erinnerte sich
schließlich Jemand, wenn auch leider
durchaus nicht in jener liebevollen Wei
se, wie sich Toby das gewünscht hätte.
Als nämlich, nach der so wohl gelunge
nen Rettung von Lipps der hoffnungs
volle junge Mann darüber wetterte
und schimpfte, daß die Retter nicht auch
seinen Tobys Koffer in Sicher
heit gebracht hatten, in welchem doch
tagsstaat, sondern auch eine ganze Rei
he „sehr werthvoller Bücher" aufbe
wahrt gewesen waren, da erhielt ver
eine Posaunenstimme scholl an sein
Ohr, welche rief:
„Lausejunge, wir hätten wohl auch
Schrecken Mr. Balthasar H. Hopser,
kanntliH nicht mit sich spaßen ließ. So
hielt es der Jüngkng für vortheilhaf
ter, die Maulschelle ohne jede Entgeg
nung zu lassen und wortlos zu ver
schwinden.
XII. Gefangenschaft and
Befreiung.
Wir haben den armen Wurm Inner-
Als wir an jenem denkwürdigen Tage
die Bekanntschaft des vortrefflichen
Mannes zu machen das Vergnügen hat
ten, befand er sich in vergleichsweise
befriedigenden Verhältnissen. Aller
dings fühlte der Grocer sich schon da
mals nicht so recht glücklich, woran
aber in erster Linie seiner Schwieger
mutter, der Frau Heinzelmann die
Schuld zuzuschreiben ist; allein er war
damals doch noch ein „aufrechter Ge
schäftsmann", der zwar
mer sammelte, jedoch sein Leben auf
eine recht anständige Weise fristete.
Dann kam der plötzliche Rückgang des
Geschäftes, welcher geradezu rapid
wurde, als sich ihm Rautenstrauch als
Konkurrent aus den Nacken setzte. Kurz
darauf ereignete sich jenes Unglück mit
der unseligen sogenannten „Deutschen
Sparbank", und nun der Brand, wel
cher ihn und die Seinigen vollends an
den Bettelstab brachte.
Diese Schicksalsschläge hatten be
greiflicherweise auch in dem Aeußeren
des bedauernswerthen Mannes ihre
sehr sichtbaren Spuren zurückgelassen.
Von Fettleibigkeit war auch in den
guten Ta»in Wurms nichts an ihm
zu bemerken gewesen; jetzt aber war er
offenbar auf dem besten Wege, bei le
bendigem Leib- zur Mumie einzutrock.
nen. Sein Rücken war gebeugt, wie
der eines Mannes, der mitten im Grei
fenalter steht, und seine einst so sanft
und wohlwollend in die Welt blicken
den Augen sahen nun müde und erlo
schen drein, wie in Folge hohen Alters
erblindete Fenster.
Er war schrecklich unglücklich, der
Arme, so unglücklich, daß es ihm gar
nichts mehr ausmachte, als am Mor
gen nach dem Brande, der zugleich auch
der Fälligkeitstag jenes in den Händen
des Mr. Bly befindlichen Wechsels
war, dieses Papier
zur Zahlung priisentirt wurde. Er
zuckte nur die Achseln, als der Abge
sandte des Mr. Bly von den Folgen
sprach, die sich unabwendbar einstellen
müßten, wenn die Zahlung nicht ge
leistet würde.
(Fortsetzung folgt.)
Kür dir Küche.
Kalbsmil ch (B riesle, Midder).
Für die Krankenlüche, sowie für klei
nere Kinder ist die Kalbsmilch ihrer
Weichheit und Leichtverdaulichkeit we
gen von großem Werthe und deshalb
sehr zu empfehlen. Für diesen Zweck
blanschirt man sie in siedendem Was
ser, kühlt sie ab, putzt sie aus und kocht
sie in schwach gesalzenem Wasser oder
sehr leichter Fleischbrühe weich. Zu
letzt schneidet man sie zierlich in die
Suppe. Als feine Beilage zu Gemü
sen, wie grüne Erbsen, Endivien, Blu
menkohl u. s. w. bereitet man die
Kalbsmilch auf folgende Weise: Nach
dem man sie gewässert und blanschirt
hat, schneidet man sie in nette Stücke,
legt sie in ein Kasserol mit einigen
Speckscheiben, zerschnittenem Wurzel,
werk, einer Zwiebel, etwas Kräuter
und wenig Nelke. So zubereitet über
gießt man Alles mit kräftiger KalbS
brühe und dämpft bei gelindem Feuer
und öfterem Begießen die Kalbsmilch
eine gute Stunde. Sobald sie genü
gend weich ist, nimmt man sie heraus,
seiht die Brühe durch, entfettetxsie und
gibt sie entweder so, wie sie ist. vder
Zerkocht sie mit einigen conservirten
Beefsteaks von Rinds
lende. Man nimmt eine schöne
Rindslende, häutet sie ab und schneidet
querdurch fingerdicke Scheiben daraus,
welche man mit einem gewöhnlichen
Hackemesser etwas breitschlägt; dann
bestreut man diese Scheiben auf beiden
Seiten mit Salz und gestoßenem Pfef
fer und läßt sie zwei Stunden so lie
gen. Nachher taucht man diese Schei
ben in siedende Butter, legt sie auf den
Rost und bratet sie bei starkem Feuer
so geschwind wie nur möglich- sowie
die Scheiben auf einer Seite braun
sind, werden sie umgekehrt, daß die
andere auch braun wird. Dann drückt
man etwas Citronensaft darauf, auch
Sardellenbutter kann man dazu geben.
Hat man keinen Rost, so brate man sie
in siedender Butter auf Hellem Feuer
fünf Minuten unter fortwährendem
Hin- und Herschieben der Pfanne.
Man richtet die Beefsteaks mit gerö
steten Kartoffeln an.
Schinken s p e i s e. Eine vor
zügliche Speise von Eier und Schinken
bereitet man, indem man vier Dotter
mit etwas Salz und ungefähr einem
Kaffeelöffel Mehl fein abrührt, dann
den Schxiee der vier Eier dazu gibt,
diesen Teig in eine Pfanne mit heißer
Butter gießt und ihn bei osfenemFeuer
backen läßt, gewendet darf die Speise
nicht werden. Wenn sie auf der un
teren Seite eine goldgelbe Farbe hat
und oben leicht überlaufen ist, gibt
man fein gewiegten Schinken nebst ei
nigenKapern darauf, schlägt die Speise
über dem Schinken zusammen, läßt sie
noch einige Augenblicke in der Pfanne
und gibt sie dann rasch zu Tisch.
Heringsklopseohne Fleisch.
Man nimmt 6 Heringe, schneidet sie
auf, reinigt sie gut und wässert sie 12
Stunden; dann entfernt man die Grä
ten und wiegt die Masse mit 6 Zwie
beln recht fein. Hiermit mischt man Z
ganze Eier, 18 gargekochte, geriebene
Kattoffeln, eine Prise Pfeffer und Ge
würz und so viel geriebene Semmel,
daß der Teig fest wird und sich mit
Leichtigkeit kugelartig formen läßt.
Die Klopfe werden glatt gedrückt und
in gutem Schweineschmalz schön braun
gebraten. Die angegebene Menge ge
nügt für sechs Personen.
Sensbutter. Sechs Eßlöffel
voll feinen Senf, 4 hartgekochte Eidot
ter, etwas Salz und Pfeffer werden
mit einem halben Pfund Butter ver
mischt, durch ein Sieb gerieben und zu
kaltem Fleisch gegeben.
Karlsbader Mehlspeise.
Ein Eßlöffel voll Mehl, zwei Eßlöf
fel voll Zucker, Zj Unzen geriebenes
Weißbrot, 6 Eier, 1j Quart saurer
Rahm werdm gut abgerührt, die
Hälfte in eine bestrichme Form gefüllt.
1» bis 13 Minuten gebacken, dann
eine Marmelade darauf gegeben »nd
die andere Masse darüber gelegt. Nach
einer Viertelstunde streut man geriebe
nes Brot, das mit Zucker und Zimmet
vermischt ist, fingerdick darüber und
backt es noch eine halbe Stunde.
Gefülltes Lamm. Man
nimmt ungefähr 5 Unzen trockenes
Weißbrot, reibt die eine Hälfte, weicht
die andere Hälfte ein und preßt sie
wieder aus, hackt Petersilie und I—2
Schalotten fein und dämpft beides in
Butter an, gibt ein halbes Pfund ge
hacktes Kalbfleisch und ein viertel Pfd.
mageres Schweinefleisch dazu, ferner
2 Eidotter, 2 ganze Eier, etwas Mus
katnuß und etwas Salz. Das Alles
verrührt man gut und streicht eS durch
ein Sieb. Bon einem jungen, gemä
steten Lamm schneidet man die Bor
derbeine ab, knickt die Rippen, füllt
das Innere mit obiger Masse und
näht es zu. Dann bindet man die
Keulen zusammen und stellt es in den
Bratofen, und es wird unter anhalten
dem Begießen schön gar und recht saf
tig. An die Sauce gibt man etwas
sauren Rahm, nachdem man sie entset
tet^hat.^
läutert man Zucker, kocht ihn zu Sy
rup, taucht jede Scheibe da hinein, so
lange er heiß ist und legt dieselben zum
chenes Papier.
Der Wundervogel. Jun
ge Dame: Ich besitze einen
spricht: „Wat rookst Du lieber, Ci
garr' oder PipZ" dann anwortet
.Pip!" 3