Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 28, 1896, Page 2, Image 2

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    2 Kindcrslilbchn».
Wie inGottes Kirche, trete
Ich in's Kinderstübchen traut,
Und zum innigsten Gebete
Wird mir Kindes Stammellswt.
Aug' der Unschuld, fromm erhöbe», 5
List mir, was dem dunklen Thal
Heilverkündend, glanzgewvben,
Ist der gold'ne Morgenstrahl!
Himmelssegen auf die Lippe
Fühl' ich und in's Herz mir thau'n.
Gleich den Hirten an der Krippe,
Hingesenkt in süßes Schau'n!
Gemeinsame Interessen.
Ueberdenkt eine Frau mit Ernst dir
Pflichten, welche ihr nach allen Seiten
ihres Berufes obliegen, sowohl in prak
tischer wie in idealer Richtung, dann
gleichen sich alle anderen Verschieden
heiten friedlich aus, und selbst ausfal
lende Gegensätze lassen sich harmonisch
lösen, denn es wird auch unter den
äußerst günstigsten Verhältnissen und
bei gegenseitiger Liebe und Achtung in
der Ehe kein dauerndes Glück zu fin
den sein, wenn zwischen beiden Gatten
die Uebereinstimmung in ihren inner
sten Ueberzeugungen fehlt und sie in
haben. Das noch weicher«, eindrucks
fähigere Gemüth der Frau dagegen
hängt vielmehr von den Einwirkungen
ab, welche die Führung des Gatten
darauf ausübt. Liegt darin eine große
Verantwortung für den Mann, der
seine Aufgabe mit heiligem Ernst er
faßt, so erleichtert sie auch der Frau die
willige Hingebung, welche sich in Allem
dem Willen dessen unterwirft, den sie
als „ihren Herrn" anzuerkennen vor
sie dies mit Bewußtsein, nicht nur aus
eigener Haltlosigkeit thut, um so zu
friedener wird sich das eheliche Leben
für beide Theile gestalten. Ein star
ler Pfeiler des Glückes ist die Gemein
samkeit der Interessen. Nicht immer
liegt es nur an der Flatterhaftigkeit
und Veränderungssucht des Mannes,
wenn seine Liebe wie Strohfeuer schon
nach den Flitterwochen erkaltet min
destens ebenso oft darf man die Schuld
bei der Fran suchen, die es nicht ver
stand, seine Interessen zu den ihrigen
zumachen. Namentlich muß die junge
Frau alle Verwandten des Mannes
mit ausrichtiger Herzlichkeit als die ei
genen betrachten und es als einen wich
tigen Theil ihres Glückes schätzen,
wenn sie gern in ihren Kreis ausge
nommen wird. Gewöhnlich hat sie es
mit dem Schwiegervater nicht schwer,
der des Sohnes Wohl am vorurtheils
freiesten auffaßt und anspruchslos ge
nug ist, manche kleine Versäumniß in
den äußeren Formen mit der jugend
lichen Schüchternheit zu entschuldigen.
Ganz falsch ist es, wenn sie die Liebe
und Verehrung, welche ihr Gatte seiner
eigenen Mutter zollt, nicht zu schätzen
weiß, sondern sich in kindischer Eifer
sucht die niemals aus Liebe, viel
mehr stets aus Egoismus entspringt
dagegen auflehnt. Will sie sich die
Liebe des Mannes nicht verscherzen,
der gewiß ein um so besserer Gatte ist,
je treuer er an seiner Mutter hängt, so
muß sie das übliche Vorurtheil gegen
Schwiegermütter von sich weisen und
ihr die Ehrfurcht entgegenbringen,
welche die Mutter ihres Gatten unter
allen Umständen zu fordern hat.
Selbst in dem nicht gerade seltenen
Falle, daß eine Mutter für ihren
Sohn schwer zu befriedigen ist, da sie
nicht immer seinen Geschmack theilt
und die junge Frau dies empfindet,
liegt es ihr erst recht ob. zu beweisen,
daß ihres Gatten Wahl die richtig«
war und sie wohl befähigt ist, ihn zu
beglücken. Wahre Güte und wahre
Klugheit führen sie auf diesem Wege
sicher zum erwünschten Ziele, und der
Mann, welcher die beiden ihm theuer
sten Wesen glücklich sieht, lohnt ihr mit
erhöhter dankbarer Liebe die Selbst
verleugnung und Sanftmuth, womit
Gewiß würde sie es als ein/ schwere
Kränkung empfinden, wenn ihre eigene
Mutter nicht die hohe Anerken
nung und Rücksichtnahme von Seiten
des Mannes erführe, die sie unbedingt
für sie in Anspruch nimmt um so
mehr sollte sie es als einen tief gemüth
vollen Eharacterzug an ihm schätzen,
wenn er in seiner Mutter das nach- >
ahmen-!werthe Vorbild für jede Frau
erblickt, ihr alles abzulauschen und ab
zulernen suchen, bis auf die Bereitung
der Lieblingsspeisen herab, womit sie
dem Gatten die Erinnerung an das
Elternhaus und die von Mutterliebe
getragene Kindheit so süß macht.
JmmerGeschäftsmann.
Principal (zum Commis): Nachdem
Sie nun meine Gründe gehört haben,
lieber Herr Müller, werden Sie wohl
einsehen, daß ich Ihnen die Hand mei
ner Tochter unmöglich geben kann; so,
jetzt gehen Sie nur wieder in's Comp
toir, und schreiben Sie 'mal gleich der
Firma Fettlich ck To. in Berlin, sie
solle sofort ein Faß Schmieröl bester
Qualität schicken!
Aus der Rolle gefal
len. Gläubiger: „Also Dein Vater
ist nicht zu Hause. Er ist verreist?
rin sich der Vater versteckt hat):
.Papachen, der Herr frägt, wann Du
wiederkommst?"
Berliner Keüfrenden.
Die Schneiderei, die zum Pfingst
fest gehört, war bestens besorgt, für
Frau Olga in grau, für Fräulein Els
werke zusammengestellt hatte. Anders
der glückliche Gatte und Vater, Franz
Hubert Mauserich, ein Rentier und
Haustyrann in der Lothrinaerstraße,
der allerdings zugab,daß die Rechnung
nicht vom Wirthschaftsgeld bezahlt
fuhr:
„Schon wieder achtzehn Mark, und
dabei, wie das Volkslied schwindelt,
soll Psingsten das Fest der Freude
großeßeinmachen, bei dem um nicht
im Wege zu stehen, den Staub der
Häuslichkeit von den Füßen schütteln
und in der benachbarten Bierstube bis
Mitternacht und darüber Skat spielen
mußte.
„Dir zu Liebe", sagte er zu seiner
Frau, die mit Elschen «inen verständ
nißvollen Blick wechselt«. Sie hatten
ihr Psingstprogramm, dessen Durch
führung von seiner guten Laune ab
ein strebsamer Oberquartaner, war
unwirsch. Er sah voraus, daß er
während der Periode der großen Säu
den würde, und so kam es auch.
Schließlich schrieb er einen Aufsatz
über die Gründung Roms auf dem
Plättbrett in der Mädchenkammer.
Das war zu viel. In voller Römer-
Cigarren ausVatersSonntagskiste und
setzte die „Coulvirmütze" auf, mit der
er als Senior seiner Verbindungs
brüder in Oberquarta dem vorgeschrit
tenen Zeitgeist huldigte.
„Na, na", fragt Frau Olga, „wohin
denn so eilig?"
„Freund? Ein Architekt, der sein
Staatsexamen macht? Was kann der
mit Dir sprechen?"
„Sehr viel! Zum Beispiel von Els
chen," entgegnete Herbert mit Selbstge
fühl und ging von dannen.
Seine Schwester, gllihroth, lief hin
terher. „Das hätte ich Dir nicht zuge
traut, diese Schändlichkeit —"
Heraus muß es doch, und Dein Herz,
na, das ist Deine Sache. Darin läßt
man sich heute nicht mehr Vorschriften
Frau Olga war einen Moment
sprachlos. Dann schrie sie schmerzlich:
„Elschen, Elschen, was hast Du ge
than?"
„Aber gar nichts, Mütterchen, gewiß
nicht. Herr Rotten wohnt ja auch erst
seit Ostern hier. Ich saß aus dem Bal
lon, und er sah zum Fenster Hinaus.
Er ist gar zu schüchtern —"
„Das thut Dir Wohl leid? Ach,
Elschen, sei offen und ehrlich! Was
noch?"
„Wir begegneten uns zweimal auf
Acht, und daß der Papa nichts
merkt."
Elschen hatte verschwiegen, daß
auch schon ein Veilchenstrauß auf den
Balkon gefallen war, doch gleichviel,
Frau Olga konnte es nicht als Unglück
ansehen, wenn ihr holdes Töchterlein
Gegentheil, sie lächelte, ihr mütterli
cher Ehrgeiz war befriedigt. Aber sie
wollte nichts merken und bis auf Wei
teres im Stillen die Vorsehung spielen
lassen.
Am nächsten Mittag, als die ganze
Wohnung blitzblank war, kam endlich
das Psingstprogramm zur Erörterung.
Der brave Herbert wollte sich an einer
er anständiges „Futter" und reichliches
Taschengeld.
„Versteht sich," sagte Papa Mause
„Ja wohl, als Jubelgreis. Also
kurz und gut, drei Mark inagst Do
verturnen."
„Zehn Mark, Papachen. Billiger
geht'z nicht, kostet mich selbst mehr.
Auf Ehrenwort. Ihr fahrt hochfein
nach der Sächsischen Schweiz, und ich
soll wohl gar an meinem armen Leio
ich fahre mit."
„Sächsische Schweiz!" schrie Herr
Mauserich und sah ergrimmt seine
Frau an. „Olga, Du warst Wohl in
Dalldorf?"
Die Gattin senkte ihr Haupt und
blieb die Antwort schuldig, doch Els
chen, das auch schon etwas vom Tem-
perament der modernen Tochter hatte,
entgegnete unverzagt:
„Alle Tanten und Cousinen haben
ihre Pfingstsahrt, die eine nach dem
Harz, die anderen nach Rügen, die
„Natürlich!" siel arglistig ihr Vater
ein, „das lohnt sich auch wenn man
Geld hat, aber das bischen Sächsische
Schweiz, Bastei, Kuhstall, Winterberg,
Prebischthor.na, Kinder, ich bitt' Euch,
das ist einfach lächerlich."
„Für unsere bescheidenen Wünsche
mehr als genug."
„Geht mir doch! Bescheiden? Zwei
hundert Mark, denn nobel oder gar
nicht. So bin ich. Dafür können wir
fürstlich schwelgen im wunderschönen
Grunewald, oder in Treptow am grü
nen Strand der Spree, oder sonstwo
in benachbarter Wildniß. Einen Müg
gelsee giebt's in ganz Sachsen nicht.
Laßt mich nur sorgen. Ins Früh
concert geh' ich freilich nicht, aber
darunter sollt Ihr nicht leiden, Pfing
sten ist Trumpf! Amüsirt Euch
nur."
Frau Olga kannte ihren Mauserich,
der bei hartnäckigen Angriffen auf sei
ne Großmuth sehr ungemüthlich zu
werden pflegte. Sie verzichtete also
auf die Pfingstsahrt, aber sie weinte
vor Aerger und Verdruß. Auch Els
chen war bitterböse und hatte dazu
ihre besonderen Gründe. Ihr schüch
terner Architekt war verständigt wor
den, daß sie verreisen wollte, und am
Morgen ins Havelland nach dem Lan
dgut seiner Eltern gefahren. Selbst
Herbert, der dieses kleine Mißverständ
niß besorgt hatte, war voll edlen Un
willens, doch kam er dabei auf die Ko
sten. Herr Mauserich, „der schnöde
Philister", ließ sich, nachdem er das
sonstige Psingstprogramm bis auf ein
Frühconcert verbilligt zu haben glaub
te, richtig die zehn Mark „abknöpfen",
mit dmen sein flotter Herbert am
Sonnabend Nachmittag stolzen Muths
nach dem Sammelplatz der Turnbrü
der lief. Was fehlte ihm auch? Er
den mütterlichen Segen und in jeder
Tasche zwei Schinkenstullen. „Gut
Heil" und vorwärts! Vielleicht konnte
er, da die Turnfahrt nach dem Wer
der und thunlichst weiter gegen Westen
gehen sollte, unterwegs seinen Freund
Rotten treffen und ihm zu Elschens
Trost die beschleunigte Rückkehr nach
Berlin an's Herz legen.
Für den Psinßstsonntag hatte der
meteologische Bericht im Allgemei
nen erwünschte Heiterkeit und erst ge
gen Abend etwas Gewitterstimmung
angekündigt. Auch Falb hatte nur ei
nen kritischen Tag zweiter Ordnung in
Aussicht gestellt. Das Frühconcert
auf dem Bötzowberge war also gegen
himmlische Zwischenfälle Verhältniß
mäßig gesichert. Frau Olga und Els
chen, die sich in Hausfreundschaft der
Familie des Kanzleidirectors Wolken
schieber angeschlossen hatten, saßen auf
der Südterrasse, sonnten sich «in Mor
genstrahlen, athmeten mit Entzücken
um, auf der Prenzlauer Allee und zwi
schen den Kirchhöfen der Friedenstraße.
Der Kaffee war auch ganz preiswerth,
Beste an Morgenluft, Scenerie und
Blechmusik. Elschen meinte sogar,
daß es auf der Brühlschen Terrasse in
sie, Du bist ja der Wolkenschieber. Aber
„Gott sei Dank," sagte Elschen.
tert."
Hause kommen?"
Das war' das Ende des Frühcon
certs.
Herr Mauserich hatte inzwischen
festgestellt, daß ihm der Hagel sechs
Fensterscheiben eingeschlagen hatte.
len
„Laß mich, Tyrann", rief die Gat
tin. „Du bist an Allem schuld. Nun
zieh mir wenigstens die Stiefel aus."
Sie warf sich auf's Sopha und
streckte die Füße vor. Er zog mit Man
neskraft, bis ihm der Schweiß auf die
Stirn trat, doch nahm die Operation
eine volle Minute in Anspruch. „Hast
Du Worte, na!" rief er endlich. „Weni>
Du mit diesen Psingststiefeln im Ge
birge herumklettern wolltest —"
Frau Olga war ihm dafür eine
Kundgebung ihrer tiefsten Empörung
schuldig. Aber sie zog erst die Haus
schuhe an, die ihr Elschen gebracht
hatte. Dann streckte sie beschwörend
die Arme empor: „MPiserich! Das
wird Dir vergolten werden! Ich weiß
nicht, wie! Aber der Tag ist lang, noch
bist Du nicht zu Bette."
Man hörte eine Droschke vorfahren
und sah. daß ein Herr und «ine Dame,
mit einer kleinen Reisetasche, ausstie
gen und in's Haus traten. Dann
knarrten vier Schuhsohlen auf den
Treppenstufen und „Klinglingling"
erscholl's an der Eorridorthür.
Herr Mauserich sprang auf,wie elek
trisirt, stürzte hinaus und öffnete. Vor
ihm standen seinJugendsreund Näsele,
jetzt Bürgermeister in Wokritz, und
Frau Gemahlin, Pauline, geborene
Karitzka.
„Alter Junge", rief fröhlich das
Stadtoberhaupt, „da sind wir endlich
mit dem Extrazug der Ostbahn. Hof
fentlich doch willkommen."
„Ungeheuer!" schrie Herr Mauserich
in aller Bestürzung und breitete die
Arme aus. Ihm war zu Muthe, als
ob er noch nachträglich bis zum Ruin
verhagelt sei. Doch das war nur ein
Moment der Schwäche. Im Grunde
seines Herzens regten sich für den un
erwarteten Gastfreund die dreifachen
Sympathien der Schuljahre, des
Stammtisches und der Kriegskamerad
schaft. Sie hatten zusammen Straß
burg belagert, in den Vogesen mit den
Rothhemden Garibaldis scharmützelt
und drei Tage lang an der Lisain« mit
einem furchtbaren Schnellfeuer den
deutschen Rhein gerettet. Nach dem
Siegeseinzuge in Berlin wurde Nä
sele Magistratssecretär. Zwei Jahre
später bewarb er sich gleichzeitig mit
bestem Erfolg um die Erbtochter des
reichen Wassermüllers in Wokritz und
um die Bürgermeisterstelle daselbst.
Seitdem hatte er Berlin nicht wieder
gesehen, doch hielt er die Freundschaft
aufrecht durch ein Darlehen von 20,-
IXX) Mark, das nach dem Tode seines
Schwiegervaters der Erbschaft ent
nommen und als Hypothek dritterGüte
auf das Mauserichsche Grundstück in
der Lothringerstraße eingetragen war.
Er bekam 6 Procent Zinsen und liebte
die peinlichste Pünktlichkeit, die er zur
Jagdzeit gern mit eines
Häsleins honorirte. Dagegen drohte
er, wenn der Zins ausblieb erbar
mungslos mit Kündigung, und das
war vernichtend, denn auf diese dritte
Hypothek wäre in Berlin sicher kein
Geldmann hineingefallen.
Herr Mauserich begriff, daß sein
Freund, der immer herzhaft zufaßte
und nie zu kurz kam, Ansprüche ma
chen würde, und das verdarb ihm die
Laune. Er war ja nur ein Rentner
niederer Ordnung. Frau Olga aber
strahlte vor Gastlichkeit. Sie sah in
dem Bürgermeister von Wokritz den
Rächer des Unrechts, das ihr durch die
versagte Pfingstsahrt zugefügt war,
und als anstandshalber gefragt wurde,
ob in der Nähe ein Gasthaus sei, ent
gegnete sie schnell: „Aber liebste Freun
din, was denken Sie von uns! Wir
Damen richten uns unten ein, und drei
Treppen hoch wohnt die achtbare Witt
we Käsebier, die zwei Zimmer vermu
thet. Das eine ist leer, und der Herr,
dem das andere gehört, ein liebens
würdiger Architekt, ist verreist. Dort
können die beiden Herren schlafen.
Mein Mann als Hauswirth tann das
in Ordnung bringen."
Herr Mauserich sah sie an wie ein
Wütherich. doch schon huschte Elschen
vorbei, um sich der Einwilligung der
Frau Käsebier zu versichern. Es war
ihr besonderes Vergnügen, zwei Mi
nuten in der Architektenstube zu ver-
Zum Mittagbrod, das in thunlich
ster Beschleunigung aufgetragen wur
de, spendete Frau Olga auch zwei Fla
schen Rothwein, allerdings von ver
dächtiger Qualität. Dann wurde der
Kaffee hinterhergejagt und zum Auf
bruch gerüstet. Die Damen suhren
nach dem Sedan-Panorama und von
dort nach Eastans Panoptikum, das
stand an der Spitze des Programms
der Frau Bürgermeisterin: ihr Gatte
dagegen entschied sich für eine Rund
fahrt. Er wollte wenigstens annähernd
wissen, ob wirtlich Berlin während sei
ner zwanzigjährigen Abwesenheit zur
schönsten Stadt der Welt sich ausge
wachsen habe. Um Sj Uhr war Ren
dezvous im Ausstellungspark und nach
einer Ersrischungspause gemeinsame
Fahrt zur „Großstadtluft" im Lessing-
Theater; nicht blos aus eigenem Trieb,
sondern auch auf Anstiften der Ho
noratioren von Wokritz. die über das
kleine städtische Eulturbild endlich ein
obrigkeitliches Urtheil hören wollten.
Herr Mauserich und sein Gastsreund
stiegen also in einen offenen Ringbahn
wagen und suhren bis zum Halleschen
Thor. Der kritische Tag hatte sich in
der Morgenfrühe ausgedonnert, und
die Festlust zog farbenprächtig durch
alle Straßen, die zu den Vororten
führten; auf dem Damm Kremser,
Miethswagen, Droschken und Pfingft
reiter, auf den Trottoirs Familien-
Paare, unzähliges junges Volk, schnei
dige Bursche, hellgekleidcte Fräulein,
Fciertagsbummler und Kindermäd
chen. „Alles wie sonst", sagte Freund
Näseke, „Berliner Leben in psingstli
cher Potenz". Aber die Scenerie war
Moabit, am Königsplatz mit d.'in hoch
ragenden Parlamentspalast und im
Zuge der Königgrätzerstraße. Doch das
weiß die Welt. Wer wird in Berlin
davon sprechen? Punktum!
„Aber die Innenstadt", rief Herr
Mauserich mit allzu leichtfertigem Lo
kalxatriotismus, „auch sie hat sich berr<
lich verjüngt."
-.Dann nimm nur in Gottes Namen
eine Droschke, Freund, und genir:
Dich nicht. Wenn Du jemals nach
Wokritz kommst, bin ich mit allen Se-
Herr Mauserich, seufzend im Herzen,
Wie der vielduldsnde Odysseus, im Sü
den, imCentrum und Nordwesten kreuz
und quer durch die Straßen gondeln,
die in der fünften Nachmittagsstunde
des Pfingstfonntags fast gänzlich ver
ödet waren. Aber er kam mit dem
Gastfreunde für baare fünf Mark we
nigstens rechtzeitig im Ausstellungs
park an, wo er arglistig bemüht war,
die Theaterzeit zu versäumen. In aller
Erregung darüber, daß aus dem „Nas- i
sen Dreieck" die Terrasse von Perga
mum mit dem Tempel des Olympi
schen Zeus emporgewachsen war, hätte
der kunstsinnige Näseke sich beinahe in
den Glaspalast verschleppen lassen, in
deß die Damen protestirten und mahn
ten zur Eile. Noch war es ein Glück,
daß man den Omnibus benutzen konn
te; aber die schwache Hoffnung, daß die
„Großstadtluft" ausverkauft sein wer
de, schlug s:hl. Für die Extrazügler
waren Billets reservirt. Herr Mause
rich zahlte an der Kasse für fünf Par
quetplätze 2V Mark und an der Garde
robe für 3 Damenhüte 76 Pfennige.
Er wünschte sich aus die Bastei, die er
seiner Gattin verweigert hatte. Von
dem köstlichen Schwank und dem köst
lichen Spiel hatte er doch keinen Ge
nuß. Im Gegentheil, je hochgradiger
die Heiterkeit wurde, desto mehr är
gerte er sich. Am liebsten hätte er den
alten Kriegskameraden, der an Allem
schuld war, auf gezogene Kanonen ge
fordert, doch er fürchtete die dritte
Hypothek. Vergebens stieß ihn Frau
Olga an: „Mauserich, blamire Dich
nicht." Er heuchelte Kopfweh und
setzte sich bei der Heimfahrt melancho
lisch auf den Bock zum Kutscher. In
seinem Tiefsinn vertilgte-er auch beim
Abendbrod fast allein den Rest des
Psingstbratens. Das war der Schluß
seines kostenreichen Tagwerks.
Man begab sich zur Ruhe. Herr
Mauserich legte sich in das Archikten
bett, blieb aber zunächst schlummerlos.
da Freund Näseke im Nebenzimmer ein
Schnarchconcert ausführte, das nur
mit dem Brausen der ererbten Wasser
mühle zu vergleichen war, dann sielen
ihm doch die Augenlider zu. E»
träumte sogar, daß er der „Fliegende
Holländer" sei, bis ein greller Licht
schein ihn aufschreckte. Am Tische
stand ein großer vollbärtiger Mann,
der die Lampe angezündet hatte,
neben ihm Herbert, der Turner. Tab-
Herr Mauserich saß gesträubten
Haares aufrecht im Bette. Herbert
rief: „Nanu, Papachen, Du hast Dich
wohl selbst exmittirt." Es folgten die
gegenseitigen Vorstellungen und Er
klärungen. Der Architekt begnügte sich
in aller Hochachtung, die er für Els
chens Vater hegte, herzlich gern mit
dem Sopha und Herbert schlief im
Fauteuil. Der Bürgermeister von
Wokritz war gar nicht erst aufgewacht
und concertirte weiter im Genre der
Wassermühle.
Am nächsten Morgen hatte -Herr
Mauserich einen rettenden Entschluß
gefaßt. Er meldete sich krank und er
suchte den angenehmen Herrn Rotten,
den Freund seines Sohnes Herbert,
die Führung der Gesellschaft nach der
National-Galerie und den Museen zu
übernehmen. Elschen war glücklich.
Sie hatte ihr grünes Kleid an und
überzeugte sich mit einem Seitenblick,
wie sehr sie von ihrem zukünftigen
Baumeister bewundert wurde. Kaum
minder glücklich fühlte sich Herr MaU
serich in seiner Entlastung. Gegen
Mittag aber kam Herbert und ent
täuschte ihn mit der Botschaft, daß
Mama mit den Gastfreunden nach dem
Zoologischen Garten gefahren sei
bitte um 3V Mark."
„Sie ist wahnsinnig!" schrie Herr
Mauserich.
„Vatsr", entgegnete Herbert, „fange
doch endlich an, Dich mit den Ansprü
chen der Neuzeit abzufinden. Wir kom
men auch gar nicht nachHaufe, sondern
fahren direkt nach dem Stadtbahnhof
am Alexanderplatz. Du sollst gegen
Zehn dort Abschied nehmen und die
tliine Reisetasche mitbringen."
Das war ein Vorschlag zur Güte.
Herr Mauserich quälte sich ein Zwan
zigmarkstück und machte sich dann in
seiner Art einen vergnügten Pfingst
montag.
„Als er gegen zehn auf dem Bahn
hof erschien, sagte Freund Näseke:
„Schade, schade, wir hätten wenigstens
acht Tage bleiben sollen.
Der Zug fuhr vor. Näseke schob
seine Pauline hinein, sprang Hinter-
Fenster.
„Besten Dank, Mauserich. Aber zu
Neujahr muß ich die Hypothek kündi
gen." Ein schriller Pfiff. Fort war
der Gastfreund.
„Schurke!" rief ihm Herr Mauserich
nach und stand einen Augenblick wie
betäubt. Er wußte noch lange nicht
Alles, auch das nicht, daß Elschen und
ihr Architekt im stillen Gebüsch am Bä
renzwinger sich heimlich verlobt hatten.
Aber Eins war ihm klar. Er nahm
die Hand seiner Gattin und sagte fast
zärtlich:
„Ueber's Jahr machen wir eine
Pfingstsahrt. gleichviel wohin, meinet
bleiben wir nicht."
AusderHochzeitsreise.
Erste junge Frau: Nun, Erna, was
suchst Du denn so eifrig im Fremden,
sichrer? Zweite junge Frau: Eine
Stelle in Venedig, wo mich mein Mann
noch nicht geküßt hat.
Renommage „Ich sah
gestern im Westen der Stadt colossal«
Rauchwolken aufsteigen." Don Ju
an: Stimmt, habe einen Theil meiner
Liebesbriefe verbrannt.
Die gnte Stuöe.
Von Zoe v, Reuß.
Die gute Stube welch altvateri
scher Klang, welche stillbelächelte Er
innerung an das deutsche Pfahlbür
gerthum unserer Großeltern! Darf
erwähnen in unserer vorgeschrittenen
Zeit, die ihre geheiligten Gesetze un
mittelbar von der Hygiene und dem in
der Gegenwart fast zum Allgemeingut
gewordenen künstlerischen Geschmack
empfängt?
Ja, sie ist viel geschmäht worden,
diese einstige, stolze Königin des deut
schen Bürgerhauses, mit Recht und
Unrecht zugleich bis sie das Feld
geräumt hat!
Und sicher war es auch ein bedenk
liches, anfechtbares Princip unserer
Vorfahren, den schönsten und besten
Raum des ganzen Hauses der fortge
setzten Benutzung und dem täglichen
Verkehr zu entziehen und lediglich für
Festacte, Besuchszwecke oder besondere
Veranlassungen zu schonen. Dennoch
vermag ich in dieser Grabrede nichts
Böses und Kränkendes von ihr zu sa
anerkannten Grundsatz „von den Tod
ten soll man nichts Uebles sprechen."
In unentweihter Majestät steht sie
mir auch noch vor Augen, die „gute
Stube" meines theuren Elternhauses,
als Allerheiligstes der Heimath! Der
ponceaurothe Damastbezug der Möbel,
mit den atlasartig eingewirkten Blu
men des Wollstoffes, wirkte maiesta
tisch wie der Purpur eines Königs
throns! Als anspruchsvolle Grund
farbe war das augenblendende pon
ceauroth auch in der weiteren Ausstat
tung des allgemeinen Heiligtbumes
festgehalten, trotz aller sonstigen Be
scheidenheit meiner elterlichen Woh
nung. Die meisten Rosen, mit dich
ten, blaugrünen Blättern, mit denen
irgend eine Haustante die beiden steif
beinigen Fußbänkchen mühsam in sei
nem Kreuzstich bestickt hatte, ruhten auf
ponceausarbenem Grunde. Gleichkar-
Male vom Abwaschen herbeirief und
ihr, aus lauter Respect, kaum so viel
Zeit ließ, die Küchenschürze abzubin
den. Es war aber keineswegs allein
die Rücksicht auf Würde und Reprä
sentation des Hauses, welche die schrei
ende, rothe Farbe ausgewählt hatte,
sondern auch die praktische Rücksicht
auf die Echtheit der Farbe. Selbst die
indiscreteste Märzsonne vermochte
nichts an der „Pracht" zu ändern,
trotzdem sie ihre goldenen Strahlen
finger schon in der Morgenfrühe zu
den Fenstern hereinstreckte und bis zur
Zeit der Knixvisiten darin verweilte,
vermuthlich um die Toiletten der Be
sucherinnen in's rechte Licht zu setzen.
Das Werthvollste des Raumes waren
die Familienbilder über dem Sofa, die
im koketten Rokokocostüm, erstere in
der Tracht der dreißiger Jahre. Mein
guter Vater, kaum dreißig Jahre alt,
bliithenweiße, aber in zierliche, trep
penähnlich gebrochene Fältchen gelegte
Serviette ausgebreitet war. In der
Mitte desSosatisches auf einem „Per
lenbricken", stand ein riesiges Krystall
flacon voll Kölnischen Wassers. Die
Servante an der Wand war in Wahr
heit ein „Mädchen für Alles"! Gut
Selbst Male, der mit Scheuerbürste
kel der „guten Stube". Für gewöhn
lich, wenn freundschaftlicher Besuch
kam „zum Lichten", das heißt zu einem
Plauderstündchen nach dem Abendes
sen. wurde die Beleuchtung des Hei
ligthums durch die neumodische, be-
Wer überhaupt noch die Bekanntschaft
dieser launenhaften Schonen gemacht
hat, kennt auch die Verlegenheiten, die
sie bereiten konnte. Ein complicirtes
recht störend zu sein. Die Hausfrau
mußte dann von Neuem „pumpen",
um fünfzehnMinuten später abermals
eine egyptische Finsterniß über sich her
einbrechen zu sehen. Dafür blieb es
aber auch ein Triumph, wenn die un
glückselige Lampe sich endlich wieder
auf ihre Bestimmung besann und für
eine halbe Stunde das Streiken ein
stellte. Solche Liebenswürdigkeit
pfleg«» von den verständnißvollen,
durch eigene Erfahrung belehrten Ga
sten jedesmal mit Acclamation aufge
nommen zu werden! Gewissermaßen
als Adjutanten standen der unberechen
baren Moderateurlampe zwei Wachs
kerzen auf silbernen Leuchtern zur
Seite, zu denen eine silberne, auf läng
lichem Tellerchen ruhende Lichtputze
gehörte, die allerdings mehr zur Ver
vollständigung der Ausstattung und
zur Repräsentation diente, denn die
Wachskerzen wurden eigentlich nicht
„geschnauzt". Dennoch pflegten wir
Es lautete:
„Wie heißt das Ding, das beißt,
Beißt's oben, macht es munter,
Es tödtet, beißt es drunter!"
gessen, an dem die Leiche meines Brü
derchens in der gutenStube aufgebahrt
war. Der Tod hatte ihn durch eine
tückische Kinderkrankheit schnell wie
durch Blitzstrahl getroffen. Bon dem
Sterbebett hinweg trug ihn Vater wei
nend auf seinen Armen in das Heilig
thum hinüber. Wir aber schlichen gei
sterhaft leise in dem nun doppelt ge
weihten Raume umher, um den gelieb
ten kleinen Todten nicht zu wecken, mit
dem wir doch so lebensgern das Ves
perbrot getheilt und das alte lustige,
tolle Spiel getrieben hätten! Aber auch
respectvoll verstreute und
Blätter vom Erdboden auf, damit sie
nicht zertreten würden und den blü
thenweißen, durch dunkle, ölgetränkte
Eichenholzstreifen noch mehr gehobenen
Dielenboden beschmutzten.
Ich glaube, der moderne Salon mit
seiner frivolen Einrichtung, der
falls er überhaupt nicht fortgesetzt be
wohnt wird, sich doch täglich zum
Empfang öffnen muß, vermag die fei
erliche, erziehliche Bedeutung der von
ehrfurchtsvoller, aber warmliebender
Pietät gehüteten „guten Stube" nicht
Wann wird eine Frau alt.
DieverheiratheteFrau
sagt:
Alt nennt man eine Frau, die Runzeln
kriegt.
Doch dies sind Zeichen, welche oftmals
lügen;
Alt sind wir, wenn der Gatte uns be
trügt,
trügen.
DiealteJungfer.
Die Welt ist ganz verkehrt, das ist doch
klar!
Mich läßt man steh'n! Auf keinem
Balle tanz ich!
Jung ist noch jede Frau von dreißig
Jahr.
Alt jedes Mädchen schon mit neunund
zwanzig!
D i e „S ch ö n h e i t."
Das Haar ist fahl, der Teint verblüht.
Ach, wer mich sieht, begreift nicht meine
Qualen:
Jung sind wir, wenn der Maler vor
uns kniet,
Und alt, sobald wir anfangen zu
malen.
Die Schauspielerin.
Man weiß, daß keine Jugend ewiz
Jung"°/dtt be^^
Di e S ch r i 112 t st e l l e r i n.
Die Jugend flieht nicht mit den brau
nen Haaren,
Das Alter kommt nicht mit dem wei
ßen Haupt:
Alt ist, wer siebzehn Auflagen erfah
ren.
Und jung, wer noch an die Verleger
glaubt!
Die Philosoph? n.
mag.
Wozu die Siebzehnjährigen beneiden!
Ach, man ist jung an jedem Freudentag
Und stets genau so alt wie seine Lei
den!
—Gleiches Recht. Hab'n
Dummheit gemacht!
Selbstbewußt. Herr: „Da
ist in unserer Nachbarstadt ein Mann
von phänomenaler Schönheit ausge
ich einen Doppelgänger haben?"
Seine Tinte. Käufer (in
einen Laden tretend): „Habvi SieTin
te?" Kaufmann: „Ach Herrjefes,
ich sitze bis über die Ohren drin!"