Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, April 24, 1896, Page 6, Image 6

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    6 Genesung.
Bon Jsa Linden.
Wenn du im Herzen hast getragen
Still eine Liebe, groß und rein,
Und mußt dann doch dem Glück entsa
gen.
Und stehst mit deiner Lieb' allein,
O, woll' sie nicht in dir verschließen
Bis Harm sie dunkelt und vergällt,
Nein, laß sie segnend sich ergießen,
Ein reicher Strom, der ganzen Welt!
Als Opferflamme laß sie glühen
Auf deines Gottes Hochaltar,
Als weiße Lilie laß sie blühen
Den Menschen allen, rein und wahr!
O, sei der Held, der Todeswunden
Vergessend, hoch die Fahne schwingt;
Am eh'sten wird dein Herz gesunden,
Wenn fremdem Weh es Heilung
bringt,
Die Wolke sei, die lautlos spendet
Den Regen, den die Blume trinkt,
Die Sonne sei, die Strahlen sendet
Und allgestgnet still versinkt.
Der Armuth öde, düstre Kammer
Verkläre deiner Milde Schein;
Zu denen, die in Noth und Jammer,
Tritt als des Trostes Engel ein!
Aus Thränen, die du Freudelosen
Getrocknet hast mit linder Hand,
Erblühn dir rothe Freudenlosen
Auf rauher Bahn, im Wüstensand.
Und statt des Glück«6. das erstorben
Wie Sommerpracht im Herbsteswehn,
Hast du ein höh'res dir erworben.
Das unverwelklich wird bestehn!
Unsere TnnMrle.
Es ist eine relativ neue Erscheinung
unseres Gesellschaftslebens, dieses zier
liche Kartonblättchen. das da heute auf
jedem Ball vom Gürtel der Damen
herabhängt und zum heiß umworbenen
Ziel der Herrenwelt wird. Nur erst
die letzten Decennien kennen sie, und
die Geschichte hat uns den Namen des
erfinderischen Kopfes nicht aufbewahrt,
der das oft so schicksalsgewaltigeßlätt
chen schuf. Wie viele, von glühender
Lust beseelte, wie viele todeselende
Stunden im Leben eines schönen Mäd
chens, einer geistvollen Frau könnten
ihre tiefbewegte Geschichte auf solch ein
Blättchen und seine rasch hingeworfe
nen, flüchtigen Bleistiftzüge zurückfüh
ren; wie oft steht zwischen seinen Zei
len das erste Wort leidenschaftlicher
Liebe, die später ein ganzes Leben
Fragefreiheit an das Schicksal hat,
finden wir zunächst die geheimnißvolle
„Polonaise". Geheimnißvoll in ihrem
Wesen freilich nicht, denn Jedermann
kennt ihre künstlich verschlungenen
Wege, die, einem Labyrinth ohne Ari
adnefaden gleichend, die charakteristi
sche Eigenart dieses Eröffnungs-Tan
zes bilden. Und diese, im gemessenen
Marsch-Tempo und selbstbewußter
Haltung abzuschreitenden Tour«n ver
rathen an sich schon die Heimath des
Tanzes! Die stolzen Söhne und Töch
ter des alten Polenlandes haben ihn
geschaffen, und in den Dörfern und
Städten im Reiche der Weichsel, jen
seits der schwarz-weiß-rothen Grenz
pfähle, ist die „Polonaise" Nätional
tanz gewesen, lange bevor das „roth"
machte, lange auch schon, bevor diese
Pfähle ihre ursprünglich«, das preußi
scheGebiet soviel mehr einengendeLinie
Genau ist der Schöpfungstermin der
„Polonaise" nicht bekannt; sie ist eben
als Volkstanz aus dem Gebrauche her
aus entstanden, und ebensowenig, wie
beim Volkslied, läßt sich auch bei die
sen Gebräuchen ein bestimmtes Jahr
der Entstehung feststellen.
Wie der Tanz, und namentlich der
Volkstanz, aber stets ein Charakteri
stikum, die bezeichnende Illustration ei
ner bestimmten Cultur-Epoche des
Volkes gewesen ist, von dem er ge
selbstbewußtcn Charakter des in todes
muthiger Vaterlandsliebe erglühenden
Polenvolkes, und einem seiner berühm
testen Helden, Tadeus Kosciuszko,dem
letzten Oberseldherrn der Republik, ist
auch jene, in der Adelgesellschaft Po
lens noch heute hervorragend ausge
zeichnete und berühmte Tour, die
„Kosciusko-Polonaift", mit dem Texte
des Marschliedes „Auf zur Wach', Ihr
Brüder!" gewidmet. Heute ist bei
uns und auch wohl fast allenthalben
bei der „ollk p»laer»" nichts mehr
von jenen Impulsen zu spüren, welche
in ihrer, von patriotischem Feuer
durchglühten Macht die so charakteri
stisch stolze Weise des Tanzes geschaf
fen haben;heute ist seine hervorragend
ste Eigenschaft die des „wvt>>> cw i i
cwau" bei dem großen Gesellschafts
drama. das man Ball nennt. Er gibt
die Möglichkeit einer orientirenden
kianiki» I,'Viie jedes Einzelnen über
jeden Einzelnen und besitzt ferner die
angenehme Eigenschaft, auch dem Al
ter, das bereits auf die lustvollen Freu
den des Bavsaales verzichtet Hai, zu
verstatten, noch einmal gemessenen Tak
tes über das blitzende Parkett dahin
zuschreiten. Und welch' ein reizendes
Bild gewährt es nicht, wenn auch der
Großvater an der Seite der Großmut
ter im weißen Haar, sich von ihr tren
nend und wieder zurückfindend, inmit
ten voll.Lust und Jugend, die künstlich
verschlungenen Wege abschreitet, im
alten Herzen ein letztes, leises Erin
nern feiernd an die Tage, in denen
auch ihre Liebe geblüht, dereinst im
Mai! ...
In der Regel schließt sich der Polo
haben wir den deutschen Nationaltanz
vor uns. Entstanden ist er, nachdem
dende „Zweitritt" seine beherrschende
Bedeutung verloren hatte. Dieser trug
die robusten Kennzeichen ein«s echt
ernburschen und ihre Dirndle gewach
sen waren. Auch bei ihm aber berühr
ten sich dann die Gegensätze, indem sei
nem rasenden Dahiiiwüthen der „Wal
zer" folgte, den unsere Vorfahren zu
nächst langsam und mit gemessener
Würde tanzten. Wiegenden Schrittes
drehte sich der Herr um die Dame, da
bei sowohl der eigenen, graziösen Hal
tung, wie der eleganten Führung sei
ner Partnerin thunlichste Sorgfalt
ner Partnerin thunlichste Sorgfalt zu
wendend. Nach und nach wurde der
Takt dann schneller, und zu dem. was
der berühmte Kunsthistoriker Riehl so
bezeichnend das „Pathos der Liebe"
nennt, „ein süßes Träumen, ein
schmachtendes Wiegen zwischen Koket
terie und Leidenschaft". Seine heutige
Bedeutung aber, die ihn allenthalben
zum beliebten Tanz gemacht, verdankt
er jenen Wiener Tasten, die mit den
prickelnden Schöpfungen Meister
Strauß' und Lanner's von der schö
nen, blauen Donau aus durch die gan
ze Welt hin die Füße unter dem Glänze
der Kronleuchter sowohl, wie auf den
sandbestreuten Dielen der qualmigen
Bauernschänke.in begeisterte Bewegung
gesetzt haben. Mit jenen Schöpfungen
ist auch das Walzerlied" entstanden,
das mit dem Eroberungszuge seiner
Melodien am besten die Popularität,
ja den international gewordenen
Wexth des deutschen Walzers illu
strirt.
Dem Walzer schließt sich die „Pol
ka" an. Ueber ihre Herkunft sind die
Meinungen Nach der einen
Version soll sie vohmischen Ursprungs
sein, wofür man zwei Belege anführt:
Zunächst erzählt eine, freilich unver
bürgte Legende, daß der eigenthümliche
Halbschritt des Tanzes zum ersten
Male im Jahre 183 S auf einem Dorf
ball von einer Bauemmagd, aus freier
Erfindung getai«.zt worden sei und so
großen Anklang gefunden habe, daß er
bald weit»fte Verbreitung erlangte.
Weiter stützen die Vertheidiger seines
czechischen Ursprunges ihre Anschau
ung dann auf die Zugehörigkeit des
Namens zur böhmischen Landesspra
che, in welcher „pulku" soviel als
„halb" bedeutet; dieses „halb" aber be
ziehe sich auf den eigenartigen Schritt
des Tanzes. Andererseits bezeichnet
ma n ihnals aus dem schottischen Na
tionaltanz entstanden, dessen in den
deutsche» Gebrauch übergegangene, mit
dem „Polka" freilich verwandte Abart
in der That hier und da auch bei uns
unter dem Namen „Schottisch" be
kannt ist.
Eine Zwillingsschwester der Polka
nach Eigenart und Rhythmus ist die
„Mazurka". Sie hat, gleich der Polo
naise, auch das Land der Weichsel zur
Heimath. Die eigentliche Polka, wie
sie bei uns gebräuchlich, ist in Polen
selbst nur wenig vertreten; ihre Stelle
nimmt die „Mazurka" ein, die, im Ge
gensatz zur „Polonaise", den heiteren,
graziösen Lieblingstanz' des feurig
empfindenden Volkes repräsentirt.
Seine besondere Beliebtheit kennzeich
net sich ganz besonders darin, daß,
daß, ebenso wie bei uns zum Walzer,
auch zu seinen Melodien vom polni
schen Landuolke gesungen wird, und
nächst dem Walzer, der mit denStrauß
schen Rhythumen sich auch in Polen
Heimathsberechtigung erworben hat,
ist es die Mazurka, welche dort den
Ballsaal beherrscht. In Deutschland
fand der Dreiachteltakt des Tanzes zu
erst Verbreitung unter Kurfürst Au
gust 111. von Sachsen, der, aus den
schlesischen Kriegen Friedrichs des
Großen her auch in der preußischen
Geschichte bedeutsam genannt, als Kö
nig von Polen in jene? Zeit einem
Theile polnischer Sitten und Gebräu
che Eingang nach Deutschland bezw.
Preußen verschafft hatte. Hervorra
gendere, musikalisch« Bedeutung ge
wann die „Mazurka" durch die be
kannten Chopin'schen Composttionen.
Ein Tanz, der uns zweifellos von
unsery westlichen Nachbaren geschenkt
worden, ist dann der „Galopp". Sein
Ursprung läßt sich für Deutschland bis
aus 1824 zurückverfolgen, wo fein ei
genartiger Name zum ersten Male auf
tritt, der freilich von der Sprachfor
schung auch wiederum auf eine ur
sprünglich germanische Grundform zu
rückgeführt wird. Dieselbe lehnt näm
lich den Namen des damals über den
Rhein gekommenen Tanzes an das go
das althochdeutsche „Milit-nifan" wur
de, das sich endlich im niedersächsischen
wiederfindet, wo es dieje
jenige springende Gangart bei Thieren
bezeichnet, welche wir noch heute unter
dem Ausdruck „Galopp" verstehen. Die
springende Eigenart, welche im Rhyth
mus jenes Tanzes zu Tage tritt, hat
ihm augenscheinlich auch den sonderli
chen, aber bezeichnenden Namen einge
tragen. Ob seine erste, ursprüngliche
Heimath Niedersachsen war, wohin sich
der Wortllang seines Namens zurück
führen läßt, ist bisher nicht erwiesen;
eingeführt wurde er vielmehr, wie er
serer westlichen Nachbaren.
Ueberraschen dürfte es aber, daß na
mentlich der „s'i'nri->>" nicht das ist,
hin, und auch für uns würde seine Ue
bersetzung „Gegen" der Art und Be
deutung der Touren vollständig ent
in Wirtlichkeit als eine Verballhorni
j.Land-Tanz). Von allen Touren-
Tänzen ist er heute wohl beliebte
ste, und mit einigen kleinen Abände
aus allen Tanzkarten der gan
zen civilisirten Welt zu finden fein.
Unter der ländlichen Bevölkerung der
„grünen Insel", wie erwiesen, zuerst
üblich, wurde er im Jahre 1710 zum
ersten Male durch englische Schau
spieler auf französischem Boden zur
Darstellung gebracht; in dm allgemei
neren Gebmuch gingen seine Formen
hier erst um Jahrzehnte später über,
und zwar wurde seine BolkZihümljch?
keit in Frankreich wesentlich dadurch
gefördert, daß einer der größten und
einflußreichsten Musiktheoretiker des
vorigen Jahrhunderts, Jean Philippe
Rameau, in sein im Jahre 1743 zur
Ausführung gelangendes Ballett „I,vs
I'öt,» «lo einen „s'nntr,--
cknu!«>" eingeslochten hatte, der in sei
ner charakteristischen Bühnendarstel
lung allgemeinsten Beifall fand und
von nun an einen Eroberungszug durch
sämmtliche Salons antrat. Die Um
wandlung der ursprünglichen engli
schen Bezeichnung in die jetzt ganz all
gemein übliche französische vollzog sich
leicht, weil die letztere bei dem eigen
thümlichen Charakter der Touren so
nahe lag, und wurde wesentlich untev
stlltzt durch den so sehr ähnlichen Klang
der Namen. Im Jahre 183 V erschien
er in Gestalt des heutigen französischen
Nationaltanzes, der „?i'Nli?!Ü«e";
die Gewissenhaftigkeit unserer „Bal
lett-Gelehrten". d. i. unserer „Msi
tl'vs", wie der Gebrauch diese Herren
so wunderschön deutsch nennt, hat nun
auch die zuweilen auf
unsere Tanzkarte gesetzt, wahrscheinlich
wohl, um ein klangvolles Seitenstück zu
der echt französischen „<j»a<lri»v" zu
haben. Diese ist der specifisch am mei
sten französische Tanz, den die Tanz
karte aufweist, und unter allen Tou
rentänzen hat er sich zweifellos den be
deutendsten und vornehmsten Rantz be
wahrt! Kein Ball von elegantem Ge
präge ohne die Omidrille! Wann sie
in ihrer französischen Hümath ent
standen, ist genau nicht festgestellt;
man vermuthet, daß sie ihre Schöpfung
auch wie die Polonaise dem Palnischen
Einfluß verdankt in jener Zeit, als die
edlen Söhne des unglücklichen König
reiches tonangebende Rollen in den
französischen Salons spielten. Bestä
tigend würde hierfür auch der Umstand
erscheinen können,daß der Tanz gleich
falls in Deutschland schon bekannt ge
worden war,lange bevor der „Vontl'v"
seinen Weg über den Rhein angetreten
hatte.
Das Spinnrad.
Bon H. Quadt.
„Die Zeit ist hin. da Bertha spann."
Dieses alte „geflügelte Wort" citiren
wir ohne Sentimentalität, denn eine
irgendwie bedauernde Empfindung da
ran zu knüpfen, sind wir Menschen
von heut- nicht berechtigt. Haben wir
es doch nur dem gewaltigen Fortschritt
unserer Tage zu danken, daß „die Zeit
hin ist. da Bertha spann." Jetzt noch
das Spinnrad gebrauchen zu wollen,
wo die Maschine ihm längst die Arbeit
abgerungen hat, hieße die kostbarste
Zeit in der müßigsten und unfrucht
barsten Weise zu tödten suchen; hieße,
wo es gilt, eine eilige Nachricht zu
übermitteln, den säumigen Boten aus
senden, statt den Draht spielen zu las
sen, durch den mit Gedankenschnelle der
elektrische Funke fliegt.
Eine gewisse Tragik liegt in dem
Schicksal des Spinnrades. Das einst
mals so wichtige, so unentbehrliche, ei
ner so langen, reichen und stolzen Ge
schichte sich rühmende Hausgeräth ver
schwindet unter all dem alten, nutzlo
sen Gerümpel einer Trödelkammer, so
bald es ausgedient hat.
An das Spinnrad, welches Millio
nen Hausfrauen die duftenden Laden
mit schneeweißen Schätzen gefüllt, un
zähligen alten Mütterchen einen lieben
Zeitvertreib und ihr tägliches Brot ge
währt hat, knüpfen sich manche frohe
Erinnerungen aus unserer frohen Kin
derzeit. Es hat uns oft ein liebreiches
Scheltwort der seligen Großmutter
eingetragen, wenn wir es im Tumulte
niederrannten, wenn wir nicht der Ver
suchung widerstanden, selbst ein wenig
an der wunderlichen Maschine zu dre
hen, oder wenn wir gar einmal dem
Flachsbusche mit dem Lichte «zu nahe
kamen. Hatten wir uns an den lan
gen Winterabenden satt gespielt und
gingen zu Bette, war es dann im gan
zen Hause still; und spann nur noch
die liebe Großmutter in der warmen
Kinderstube eine kleine Zugabe zu ih
rem Tagespensum hinzu, wie schön
war es da, durch das Schnurren des
rollenden Rades in den süßen Schlum
mer gewiegt zu werden. Und wachten
wir auf, die Großmutter war schon
wieder in Thätigkeit. Wie das Rau
schen eines Baches und das Säuseln
des Waldes lullte uns ihr Spinnrad
noch einmal ein wenig in Schlummer,
während dazwischen das Feuer im
Ofen prasselte. Doch die Zeiten sind
dahin.
Von den ältesten Zeiten her ist die
Spindel das Attribut der Frau. Wenn
frllber von einem tüchtigen Mädchen
die Rede war, fragte man zuerst, ob sie
spinnen und weben könne, und wie die
homerischen Königinnen in der Svinn-
und Webestube ihre eigentliche Woh
nung baben. wie in unseren Märchen
l>ber ihrer Diennbark'U und Un
freiheit dem Manne gegenüber. Spin-
del und Schwert bildeten Gegensätze,
und nicht sicherer glaubte Thetis ihren
Spindel.
Die Griechen und Römer heitere
Götterwelt schwand dahin, Gothen und
Vandalen machten dem römischen
Weltreich ein Ende; die Spindel aber
behielt die Macht und Bedeutung, >ja
sie hat, was Italien anbelangt, sogar
ihre Form bis auf den heutigen Tag
bewahrt.
Wandelte sich letztere für andere
Länder, so trat vor allem die Kunkel
in vollstem Maße die Erbschaft der
Spindel an. So sehr ward dieselbe
das Zeichen des Frauenregiments, daß
noch bis heute eine Herrschaft, in wel
cher die weibliche Linie erbberechtigt ist,
„Kunkellehn" genannt wird.
Das Anfertigen der Kleidung für
die Familie war durch das ganze Al
terthum, das Mittelalter und bis in
die neuere Zeit hinein stets eine Haupt
aufgabe der Frau geblieben. Im Kö
nigspalast, wie in der Hütte wurde da
her die Spindel und Kunkel tagaus,
tagein von fleißigen Händen gedreht,
wurde ohne Unterlaß gesponnen und
gewebt, und Edeldame wie Bäuerin
setzten einen Ruym darin, feines Ge
spinnst zu fertigen. Noch in unserem
Jahrhundert schnurrte das Spinnrad
in manchem Bürger- und Bauern
hause, bis endlich sein trauter Ton
verstummen mußte vor dem siegreichen
Lärm der durch Dampf getriebenen
Maschinen, die sich unaufhaltsam auch
der Hausindustrie bemächtigten.
Wie schon angedeutet, spielt das
nützliche Geräth auch in der Poesie eine
große Rolle. Es spinnen in der alt
griechischen Mythologie die Parzen den
Lebenspfaden der Sterblichen, und dem
entsprechend spinnen und weben auch
die Nornen u«d Schicksalsjungfrauen
in der altgermanischen Götterlehre.
Die Märchen erzählen von Domrös
chen, welches durch einen Spindelstich
in den Zauberschlaf verfiel, von den
drei Spinnerinnen mit dem Plattfuß,
der großen Unterlippe und dem brei
ten Daumen, von Rumpelstilzchen,
dem possierlichen Männchen, welches
drei Kammern voll Stroh aufspann,
der Prinzessin Allerleirauh, die dem
Könige eine köstliche Suppe kochte, und
wie er mit dem Löffel auf den Grund
kam, fand er ein goldenes Spinnräd
chen darin.
Welch reiche Fundgrube für das
Volkslied und die Volksmärchen wa
ren nicht die Spinnstuben unserer
Landleute, in welchen sich an den lan
gen Winterabenden die Mädchen der
Nachbarschaft mit ihren Spinnrädern
zusammenfanden!
Durch unsere ganze Poesie zieht sich
wie ein breiter Strom das Lied zum
Lob und Preis des Rädchens und der
Spinnerin, wehmüthig und heiter,
neckisch und traurig; es singt und
klingt vom Brauthemd so gut wie vom
Todtenhemd.
„Spinn', spinn', spinn', Tochter mein,
Morgen kommt der Freier Dein!"
Aber auch Kunstdichtung und Ton
kunst stehen nicht zurück in liebevoller
Beachtung, die sie dem Spinnrad und
der seit uralten Tagen von einem ganz
eigenen Nimbus umgebenen Arbeit des
Spinnens jederzeit geschenkt haben.
Unsere größten Dichter und Tonkünst
ler erkannten die Fruchtbarkeit und
Anmuth dieses Motivs an. Wir er
innern nur an die wehmüthige Scene
in Göthe's „Faust": .. Gretchen am
Spinnrad", und aus dem Gebiete der
Oper an das reizende „Spinnlied" in
Flotow's „Martha", das trauliche
Liedchen der spinnenden alten Mar
garete in Boieldieu's „Weißer Dame",
sowie an den so ergreifenden Chor der
Spinnerinnen in Richard Wagner's
„Fliegendem Holländer."
La« Taschentuch »er Braut
In einem der Eschthäler Tirols
herrscht die Sitte, daß der Braut,
wenn sie zur Trauung geht, von der
Mutter ein Taschentuch aus neuer
Leinwand übergeben wird. Dies Tuch
hält sie während der feierlichen Hand
lung in der Hand, um die üblichen
bväutlichen Thränen damit abzutrock
nen. Nach dem Hochzeitstage legt die
junge Frau es obenauf in ihren Lei
nenschrank, um es niemals wieder zu
benutzen, mag der Leinenschrank sich
auch noch so oft leeren und füllen. Die
Kinder wachsen heran, Heirathen, die
Töchter erhalten von der Mutter neue
Thränentücher in den neuen eigenen
Hausstand mit; das Tuch behält die
alte Stelle. Hat es doch nur ierst die
Hälfte seiner Mission erfüllt die an
dere bleibt noch zu erfüllen! Genera
tionen sterben hin die einst so ju
gendsrische Braut ist alt geworden
und noch immer hat das mütterliche
Geschenk den zweiten Theil seinerAus
gabe nicht erfüllt. Doch auch er kommt
endlich, dieser Augenblick! die müden
Augen des alten Mütterchens schließen
sich zum letzten Schlummer. Dann
deckt dasselbe Thränentuch, das einst
die glückliche Zähren der jugendlichen
Braut am Hochzeitstage getrocknet, die
bleichen Lippen und erloschenen Augen
der todten Greisin und begleitet sie in's
Grab.
Neuer Ausdruck. „...Herr
Amtsrath essen jetzt mit Frau Gemab
lin stets allein, und in der ersten Zeit
nach der Hochzeit sahen Sie so viele
Gäste bei sich zu Tisch!" „O, mein
Weiberl hat sie alle in die Flucht ge
kocht!"
- Selbstlos. „...Seien Sie
überzeugt. Herr Rath, meine Liebe zu
Ihrer Tochter ist uneigennützig! Die
ganze Mitgift bekommen meine
Gläubiger!"
Ziegensbnrg.
Bayern ist die
he» Ländchen, theils
merwaid - Gebirgs,
theils die von der
tete Pfälzische Platte,
»m theil» die steinigen
Ausläufer des Juragebirges umfas
send, schaut es nur mit seiner Süd
spitze in das gesegnete getreideschwere
Donauthal herein. Hier aber erwuchs
in ihm ein geschichtliches Kleinod: die
einst hochberühmte, prächtige und
wehrhafte Reichsstadt Regensburg.
Die Erinnerungen dieser Stadt reichen
bis in die Römerzeit hinauf: eine blü
hende Colonialstadt scheint sie schon im
3. Jahrhundert vor Christus gewesen
zu sein. Die Stürme der Völkerwan
derung überdauerte sie kraftvoller, als
die anderen Römerstädte.
Nachdem die bayrischen Herzöge aus
dem uralten Stamm der Agilolfingei?
durch fränkische Gewaltpolitik gestürzt
waren, ward Regensburg Jahre hin
durch eine Lieblingsresidenz Karls des
Dom.
Großen, wie späterhin Ludwigs des
Deutschen. Reichstage versammelten
sich hier, fremde Gesandtschaften und
fürstliche Gäste erschienen, Staatsac-
Politische Größe behielt sie noch
auch die Bürger der Stadt ihren Waf
fenmuth auf's Glänzendste bewiesen.
Nach schwerer Kriegsnoth lebte die
Stadt unter den Kaisern Heinrich 11.,
Heinrich 111. und Heinrich IV. neu
auf. Im Jahre 1147 sammelten sich
hier auf zahllosen Donauschiffen die
Kreuzfahrer zu dem unglücklichen
Kreuzzuge König Konrads 111.; und
auf einem Reichstage zu Regensburg
ward 1180 Heinrich der Löwe des
bayrischen Herzogthums entsetzt.
So stand unter den Hohenstaufen
Regensburg auf der Höhe seiner poli
tischen Bedeutung und behielt diese
Bedeutung auch noch bis zum Inter
regnum. Vom Ende des vierzehnten
Jahrhunderts an aber schwanden
Wohlstand und politische Macht. Hus
fitenkämpfe, Judenverfolgungen, in
nere Zwistigkeiten der Bürgerschaft,
Streitigkeiten zwischen den bayrischen
Herzögen und dem Reiche trugen dazu
bei, das Ansehen Regensburgs nach
und nach zerbröckeln zu lassen. Um die
Neige des vorigen Jahrhunderts war
die einst so stolze freie Reichsstadt nur
noch ein Schatten ihrer einstigen
Größe.
AAÜI
Porta Prätoria.
Erst während der letzten achtzig
Jahre erfolgte wieder allmälig ein
Aufschwung. Die Bürgerschaft be
mühte sich, mit der Thatkraft anderer
Städte zu wetteifern; die bayrische
Staatsregierung that das Ihre dazu.
Aber die der Stadt
tische Stellung als Mittelpunkt eines
Welthandelswegen. Das war dahin
und läßt sich nicht mehr schassen!
Die Geschichten längstvergangener
Zeiten umgaukeln mit ihren Bildern
den Besucher, der sich vom Bahnhofe
dem Herzen der Stadt nähert. Bald
steht er auf dem Alten Kornmarkt, tief
im Mittelalter, das ihn aus den Fen-
schaut. Die Sage führt diesen Bau
bis auf das uralte Herzogsgeschlecht
der Agi,'olfinger zurück; die Geschichte
läßt ibn als ein Vesitzthum Kaiser Ot
aber stammt nicht aus Römertagen,
sonders aus frühmittelalterlicher Zeit.
Rathhausplatz.
Riesenhaft schauen über die alten
den Domthürme herein und der ganze
schöne Bau dieses Münsters, an wel
chem zweihundertfünfzig Jahre gebaut
gelben Sandstein für den Dom, einen
der schönsten in ganz Deutschland. Die
Regensburger Dombauhütte ward aber
auch zu einer Meisterschule für das
Zeitalter der Gothik. Di^Außenseite
eckigen Chor und dem üppigen Schmuck
von Sculpturen; einfach und edel wirkt
das Innere mit dem Farbenzauber
seiner Glasmalereien und seinen Denk
mälern. Der Domschatz, obwohl wäh
rend der Schwedenzeit durch Bernhard
von Weimar geplündert, enthält noch
manches werthvolle Stück. Wie das
Ulmer Münster und der Kölner Dom
ist auch dieses Bauwerk bis in »ie
ten erst in den Jahren 1859 —69 ihren
Ausbau erleben.
Aelter noch als die Kirchenbauten
sind manche Privathäuser, die vordem
alten Patriziergeschlechtern gehörten
und burgartig mit ihren Mauern,
Thoren und Thürmen in den Gassen
stehen. Das älteste unter den Bauwer
ken Regensburgs ist die Porta Präto
scher Zeit. Es war wohl in den Ta
gen des Kaisers Domitian, als hier
schon die Festung Reginum oder Ca
stro Regina stand, deren gewaltige
Grundmauern an manchen Plätzen in
den Kellern der Regensburger Häuser
noch sichtbar sind, vielfach auch das
Steinmaterial für spätere Bauten ge
liefert haben. Dieses Thor, durch wel
ches einst der gleichmäßige Schritt rö
mischer Cohorten tönte, hat eine zwei
tausendjährige Geschichte, die aus sei
ner dämmerig kühlen Wölbung weht.
Palais der Fürsten von
Thurn und Taxis
Jeder Schritt in der Stadt gemahnt
an ein großes Ereigniß, an Schatten
gewaltiger Heldengestalten. Stromab
nur 7 Meter breite und 313 Meter
lichen Berstadt Regensburgs, Stadt-
Dies Männchen ist, so erzählt die
Volkssage, der Baumeister der Brücke,
welcher mit seinem Lehrer, dem Dom
baumeister, gewettet hatte, sein Werk
eher zu vollenden. Mit Hilfe des Teu
fels soll ihm dies auch gelungen sein,
worauf sich der Dombaumeister von
seinem Bau in die Tiefe stürzte.
der Bau bis in das Jahr 133 t) zurück
nen alten Patrizierbäusern umgeben.
Durch alle Gassen Regensburgs
flüstern alte Geschichten und Sagen.
So auch um die „Neue Pfarre", ehe
dem hieß sie die Kirche „Zur schönen
deren Grundmauern aus den
alten Grabsteinen des ehemaligen Ju
denfriedhofs aufgeführt wurden, nach-
dem man im Jahre 1519 die Juden
aus Regensburg vertrieben, ihre
Häuser und ihre Synagoge zerstört
hatte.
ken der Stadt, die noch ungenannt
blieben, darf eines nicht vergessen wer
den, das ehrwürdige Stift St. Em
daß der heilige Emmeram in den bay
rischen Gauen das Christenthum ver
kündete. Ihn erschlug ein Sohn deS
Kloster Weltenburg.
Herzogs bei Helfendorf, weil Ver
leumdung den frommen Mann eines
bösen Vergehens gegen eine Herzogs
tochter bezichtigt hatte. Zur Sühne
für die Blutthat erbaute der Herzog
das Kloster im achten Jahrhundert.
Immer reicher aufblühend, ward das
selbe unter Kaiser Adolf von Nassau
zum fürstlichen Reichsstift erhoben.
Nach fast zwölshundertjähriger glän
zender Geschichte ward das Kloster am
Anfang unseres Jahrhunderts säcula
risirt; seine ausgedehnten Bauten er
warb das fürstliche Haus von Thurn
und Taxis und schuf sich daraus eine
der stolzesten Residenzen, die das Deut
sche Reich aufzuweisen hat. Zu dem
aber, was die Geschichte vieler Jahr
hunderte aus Regensburg gemacht hat,
fügte ein kunstsinniger Fürst der jüng
sten Vergangenheit, König Ludwig I.
von Bayern, noch zwei Kleinodien hin
zu, einzig in ihrer Art und von mär
chenhafter Schönheit.
Fährt man eine halbe Stunde mit
dem Dampfer von Regensburg strom
abwärts, so sieht man in der Höhe
droben auf umbufchtem Hügel die
Reste der Burg Stauf. Sie erinnern
an jene Jahrhunderte, da hier trotzi
ges Ritterthum seine schwindende
Macht gegen das aufblühende reichs
städtische Bürgcrthum zu wahren ver
suchte, bis jenem der Streitkolben aus
geharnischten Faust gewunden und
seine Zinnen und Verließe gebrochen
wurden. Aber nicht diese Burgtriim
mer sind's, die den Blick hier gefangen
nehmen, sondern ein leuchtendes Wert
moderner Kunst und Gesittung, das
von der Höhe eines Prächtig bewalde
ten Hügels schaut: die Walhalla. Wie
eine rechte Heimath Unsterblicher grüßt
diese lichte Säulenhalle von ihrem gi-
Hochalpen.
Andere Bilder erschließen sich, wenn
man Regensburg in der Richtung nach
Westen verläßt. Eine stundenlange
Fahrt mit dem Bahnzuge führt uns
im breiten Donauthale aufwärts, un-
Befreiungshalle.
ter schönen Ortschaften vorüber. An
Tagen des Mittelalters, Weinbau ge
trieben wurde. Jetzt ist er längst auf
gegeben. Höher werden die Strom
ufer; wo in die Donau das in vielen
Windungen einen beträchtlichen Theil
von Bayern durchziehende Altiniihl-
Flüßchen sich ergießt, liegt die stille
Landstadt Kelheim am Ausgange einer
Felsenschlucht, durch welche die Donau
sich ihren Weg gebahnt hat. In der
Tiefe dieser Schlucht liegen mönchische
Ansiedlungen: das stattliche Kloster
Weltenburg und, in's felsige Strom
ufer wie ein Spielzeug eingeschmiegt,
das Klösterl, ein Eremitenheim aus
dem fünfzehnten Jahrhundert. Hoch
droben aber, auf sonniger, waldum
raufchter Höhe, weit über Thäler und
Hügel schauend, ragt ein Bauwerk,
das an stiller Größe, an reinem Adel
feiner Formen noch über der Walhalla
steht: die obenstehend abgebildete Be
freiungshalle. König Ludwig I. von
Bayern erbaute sie zur Erinnerung an
die Befreiungskämpfe, die das deutsche
Volk im Beginn unseres Jahrhunderts
ausgefochten hat. und als dauernd«
Mahnung zur Eintracht.
Poesie und Prosa. Back
steller Staffels blau? Schwager:
Wahrscheinlich! Ich habe ihn seit der
Aufführung feiner letzten Premiere
nicht gesehen.
Ueber trumpft. Drei am
bereits in den Kriegen gegen die Tür
ken vor Wien gekämpft hätten. Regie
rungs-Assessor von Schnabel weiß zu
nen hat bereits die Völkerwanderung
als Einjährig » Freiwilliger mitge-