Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, March 06, 1896, Page 2, Image 2

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    2 Der Ichein trügt.
DaS lachende Auge, das muntere
DZort, die heitere Miene, ach, wie oft
täuschen sie doch! Weißt Du, ob nicht
in der Einsamkeit dieses strahlende
Antlitz den Stempel tiefster Betrüb
niß trägt, dieser scherzende Mund
seufzt,an diesem sonnigen Auge Thrä
nen zittern? Ueber Heiterkeit werden
so oft im Leben Fehlschlüsse gezogen,
besonders über die des Weibes. Es
giebt Frauen, die in den schwersten
Verhältnissen guten Muthes aushar
ren, die ihren Kummer erhobenen
Hauptes, mit heiterer Stirn tragen.
Weißt Du, wie ihre Kniee wanken,
wie oft sie dem Zusammenbrechen
nahe find, welche inbrünstigen Gebete
aus ihrer geängsteten Seele, ihrem
belasteten Herzen zu Gott emporstei
gen? Niemanv denkt das, wer kann
in's Herz sehen! Ebensowenig ver
mag man bei dem Gegensatz ein siche
res Urtheil zu fällen. Man begegnet
in seinem Bekanntenkreise einer Dame,
kühl, reservirt im Wesen, einen weh
müthig ernsten Zug um die fest ge
schlossenen Lippen, die so selten lä
cheln, die niemals scherzen. Wie
schnell ist da das Urtheil zur Hand,
daß in dieser Hülle ein kaltes, hartes
Herz schlage. Wie kühl! seufzt muth
los der Mann, der vergebens um das
geliebte Mädchen wirbt. Und obgleich
er sich nach wie vor auf die zarteste
Weise um sie bemüht, bleibt sie theil
namlos. Sie hat kein Herz; so ur
theilt die Welt. Niemand fragt aber
danach, was dieses Herz so hart wer
den ließ, welche bittere Erfahrungen
dieses Mädchen gemacht, was ihr den
Glauben an die Menschheit genommen
hat! Keiner giebt aber auch dem Ge
danken Raum, daß vielleicht doch tief
in ihrer Brust warme Regungen
schlummern. Einst verschönten auch
wohl diese Lippen ein holdes Lächeln,
auch sie verstanden jn sprudelndem
Uebermuth zu scherzen diese Stirn
war einst heiter und diese Au
gen blickten lebenslustig in die
Welt, die schonungslos Alles vernich
tet, welche die schönsten Illusionen
zerstört. Es bildet der Charakter sich
im Strom der Welt. Es giebt selbst
ständige Naturen, die nicht, demEpheu,
gleich, einer Mauer bedürfen, um sich
anzulehnen, sie wollen keinen Schutz,
sie glauben, sich selber genug zu sein.
Aber nicht selten überschätzen sie den
noch ihre Kraft. Der-Strudel des
Lebens reißt sie mit sich fort, sie ma
chen Erfahrungen, enttäuscht wenden
sie der Welt den Rücken und ihr Herz
wird hart. Oft geht noch später ein
solcher Mensch die Ehe ein, es ist keine
Herzensverbindung, irgend einer der
vielen Beweggründe, die außer dem
Bereich der Liebe liegen, haben
den Bund für's Leben geschlos
sen. Ach, wie ist er so kalt, seufzt
Eiskruste doch vielleicht zu schmelzen
sei, die sein Herz zu umgeben scheint.
So gehen sie weiter, nebeneinander,
Brust. Manche stille Thräne vergießt
das Bedürfniß, sich »nnig anzu
schließen. Aber er fragt nichts da
nach, sein kaltes, hartes Herz bedarf
ja der Liebe nicht, klagt sie. O, daß
sie sich die Mühe nähme, einen Blick
in die Tiefen seines Herzens zu thun,
sie würde eine« Schatz an edlen, war
läßt. Wenn die Gattin mit Klug
kannte Herz des Gatten zu verstehen
suchte, sein Vertrauen erstreben, sich
unabläßlich bemühen, ihn die Täu
glücklich gestalten. Meistens sind es
Herzen geschlagen, die ihre Spuren
zurücklassen, die oft auf's Neue bluten,
die selten vernarben. O, rühre nicht
Schonung suche zu ergründen, ob die
Wunde heilbar.
»er Andere.
Fräulein Lieschen 16jährig,
Zopf, Notenmappe wird auf der
-Straße von einem Herrn angesprochen.
Ein Anderer bemerkt es und tritt auf
Beide zu mit den errcgtenwWorten:
„Mein Herr, ich bemerke, daß Sie die
Dame durch Zudringlichkeiten belästi
gen, was ich nicht dulden werde.
Bitte, mein Fräulein, vertrauen Sie
sich meinem Schutze an." Darauf
Lieschen, nachdem sie Beide gemustert,
mit munterer Entschiedenheit: „Ach
nein! der andere Herr gefällt mir bes
ser!"
Aus dem Stammbuch ein es
Junggesellen.
Das Seidenkleid,
Es wird zum Futter,
Die süße Maid
Zur Schwiegermutter.
Spruch.
Starker Arm braucht nicht zu zagen.
Recht ersaßt, ist halb getragen.
Der boshafte Gatte.
Sie (schluchzend): „Hu mußt mir den
Schmuck kaufen!" Er: „Weinst Du
aber heut' wieder zum Edelsteiner
weichen!"
Verblümt. Frau (eines
Schauspielers): „Haben Sie meinen
Mann schon als „Don Juan" gese
den?" Bekannter: .Im Theater
»ock nickt!"
Durch Nacht und Achnee.
Bon C, Weßuer.
„Du Du liebst mich nicht?
Das ist nicht wahr, Therese!"
„Es ist wahr!"
Die Stimme des Mannes klang lei
denschaftlich, gepreßt; diejenige des
Mädchens ärgerlich, herausfordernd.
helle Gluth beleuchtete die schlanke Ge
stalt. Den Kopf hatte sie trotzig in
den Nacken geworfen; die großen brau-
Der junge Mann, ihr Verlobter,
stand wenige Schritte von ihr entfernt.
Die Rechte umklammerte krampfhaft
die Reitpeitsche man konnte deut
lich die geschwollenen Adern auf der
dunklen Hand sehen. Ein anderes
Weib würde vielleicht nicht gewagt ha
ben, diesen Ausbruch heraufzubeschwö
ren; aber Therese Halden besaß ein
heftiges Temperament und war
eifersüchtig. Sie hatte es sich eingere
det, daß ihr Verlobter zu der Tochter
des Oberst Werder viel zu liebens
würdig sei. Erich Wilbrand war
stolz und empfindlich, darum ver
schmähte er es, den reuigen Sünder
da zu spielen, wo er sich keines Un
rechtes bewußt war. Als ihn Therese
nun heute so schwer beleidigte, indem
sie ihn der Unireue zieh, hielt et es für
unter seiner Würde, auch nur ein ein
ziges Wort zu seiner Vertheidigung zu
sagen.
„Du wirst morgen hoffentlich ande
ren Sinnes sein",sagte er ernst. „Heute
scheinst Du wirklich nicht zu wissen,
was Du sprichst."
„Ich weiß ganz genau, was ich
spreche", rief sie aus. „Anderen Sin
nes werde ich nie werden. Du kannst
Deine Freiheit zurück haben. Ich
ich liebe Dich nicht!"
Diese grausamen Worte schnitten
tief in des jungen Mannes Seele.
Sein Stolz gab ein wenig nach.
„Du liebst mich nicht! Ich glaube
das nicht, Therese!"
Ein spöttischer, trotziger Blick war
ihre Antwort.
Eine Weile lang blickte Erich Wil
brandt seine Braut tiefernst an, dann
wandte er sich zur Thür.
„Nun", sagte er mit erzwungener
Ruhe, „dann habe ich allerdings nichts
mehr Hu erwidern."
„Nein. Nur etwas zu nehmen.
Dieses hier —"
Sie streifte den Verlobungsring
von ihrem Finger und hielt ihn Erich
Er stutzte. Dann färbte sich sein
Gesicht dunkelroth und ein unendlich
schmerzlicher Ausdruck legte sich auf
seine Züge. Doch sofort ermannte er
sich, nahm den Ring aus ihrer Hand
entgegen und sah ihr fest und tiefernst
in blickenden Auge«^
„Wenn Du ihn ha
ben möchtest, dann wirst Du erst dar
um zu bitten haben," sagte er mit kal
ter Ruhe.
Er öffnete die Thür und verließ
Ein zorniges Lachen Theresens
tönte an sein Ohr.
Erichs Besitzung lag etwa eine
Meile von dem Hause der Familie
Halden entfernt. Der junge Mann,
dessen Inneres von den wildesten
Stürmen durchwühlt war, ritt in tol
ler Hast nach Hause. Sein Hirn
brannte, das Herz zuckte in wehem
Schmerz. Doch fest preßte er die Zähne
zusammen, um sich zu beherrschen.
Wenn Therese ihn wieder zu ihren Fü
ßen sehen wollte, dann dann mußte
sie erst vor ihm knieen! Er hatte in
der That bisher zu viel von ihrer Ei
fersucht erduldet! Jetzt war das Maß
voll. Und dennoch hätte er um Alles
in der Welt nicht sagen mögen, daß
es besser sei, wenn sie sich trennten.
Er liebte Therese mit der ganzen
Gluth seines Herzens und er ver
mochte nicht zu glauben, daß sie
wirklich ihre Verlobung im Ernst lösen
wolle.
Aber Therese war es wirklich Ernst,
das Verlöbniß aufzulösen, oder sie
glaubte wenigstens, daß es ihr Ernst
damit sei. Sie war im höchsten
Grade ausgebracht und zum Unglück
für sie nahm ihre Mutter auch noch
ihre Partei in dem Streit des jungen
Paares. Frau Halden war eine thö
richte. schwache Mutter, welche ihr
Kind schon von frühester Jugend an
verwöhnt und verzogen hatte. Nur
eins ärgerte die gute Frau; daß ihrer
Tochter nun die beste Partie weit und
breit entging. Denn Erich Wilbrandt
war der reichste unverheirathete Rit
tergutsbesitzer in der ganzen Umge
bung und Therese besaß nur ein klei
nes Vermögen.
Die Nachbarschaft wußte in merk
würdig kurzer Zeit, daß Erich Wil
brandt nicht mehr zu Haldens ging.
Fräulein Lücie von Werder freute sich
hierüber ungemein. Sie verdoppelte
und verdreifachte ihre Liebenswürdig
keit gegen den reichen, stattlichen
Gutsbesitzer, denn sie war im Stillen
schon längst neidisch auf Therese gewe
sen, trotzdem sie ihr dem Anschein nach
in inniger Freundschaft zugethan
schien.
Therese hatte eine Einladung zu ei
nem kleinen Feste bei der Familie von
Werder angenommen. Es war ein
wilder, stürmischer Wintertag. In
dichten Flocken wirbelte der Schnee
vom Himmel herunter und hüllte die
Erde in sein weiches Tuch. Dichter
und Dichter wurde die Schneeschicht
auf dem Boden, bis sie fast meterhoch
lag. Am Morgen war das Wetter
noch ganz leidlich und der Weg zum
Werderschen Hause frei gewesen. The
rese hatte sich denn auch frühzeitig
aufgemacht, um Lurie sei diesen und
jenen lleinen Vorbereitungen zum
Feste behilflich zu sein. Und sie war
«ern sehr gern gegangen! Trug sie
doch im Herzen die Hoffnung, Erich
wiederzusehen!
Der Abend kam und der Schnee
sturm war immer heftiger geworden.
Weg und Steg war verschneit. Lu
liens Vater duldete es nicht, daß The
rese in solchem Wetter nach Hause zu
rückkehrte. Man hatte also rechtzeitig
zu ihrer Mutter geschickt und be
nachrichtigt, daß Therese bei Werders
Übernachten werde.
Erich Wilbrandt war nicht gekom
men.
Gegen zehn Uhr verließ das junge
Mädchen das Gesellschafts-Zimmer,
um sich zurückzuziehen. Die Luft dort
erschien ihr so dick, so schwül. Leise
trat sie in's Freie, um noch ein wenig
frische Luft zu schöpfen. Es war ihr
so bang zu Muthe. Die Kälte that
ihr wohl. Im Grunde besaß sie auch
eine so gesunde Natur, daß sie dieser
schon etwas bieten durfte.
Die Nacht war dunkel, sternenlos.
Gespenstisch leuchteten die weißbe
schneiten Bäume und Sträucher aus
der Finsterniß hervor. Jetzt war The
rese an eine kleine Anhöhe gelangt,
Parkthür.
Therese blieb stehen und blickte nach
denklich in die düstere Umgebung hin
ein. Plötzlich zuölte sie erschreckt zu
sammen.
Der Name „Wilbrand" war an ihr
Ohr gedrungen. Im Flüsterton hat
ten man ihn gesprochen.
standen zwez, Männer, welche irgend
einen Plan besprachen. Sie konnte fast
jedes Wort hören
chenfee hat mir Alles treuherzig er
zählt... Es befindet sich eine Menge
baares Geld im Haufe... er will das
fürchten... Sein Arbeitszimmer, dort
liegt nämlich das Geld, befindet sich
im Erdgeschoß rechts... Seine Tante,
eine alte Dame,die halb taub ist,wohnt
im ersten Stock... Wir steigen durch
das Fenster in sein Zimmer... Ist
er zu Hause, so wird er sofort gekne
belt. .. Schießt er etwa auf uns, nun
dann geht es eben auf Leben und
Tod..
„Also Punkt zwölf Uhr," erwiderte
die andere Stimme. „Ein Wetter,
für uns wie geschaffen.... Der
Schnee fällt... also wird man Fuß
spuren nicht sehen... Doch nun
komm, wir wollen noch eins trinken,
ehe wir an die Arbeit gehen —"
Therese kauerte sich schnell nieder,
als die beiden Männer draußen vor
beigingen und die Richtung nach
der Dorsschänke einschlugen. Ihre
Jetzt, da sie das Gespräch der Ver-
Augen, welche allein durch Trotz und
Eifersucht verblendet waren. Sie
dachte jetzt nur noch an das Eine: daß
der Geliebte in höchster Gefahr
schwebe! eilte sie hinaus. So
in den Schnee. Mehr als einmal
fühlte sie sich einer Ohnmacht nahe.
Schoa fürchtete sie, umzusinken und
hen. Nein, Gott fei Dank, sie hatte
Anhöhe, die sie schon so oft erklommen.
Mühsam bahnte sie sich den Weg hin
auf. Jetzt jetzt war sie oben ange
langt.
Zitternd an allen Gliedern, fiebernd
Qual aufjauchzen mögen, als sie das
Haus erblickte. Dort in seinem Ar
beitszimmer brannte Licht. Sie mußte
Endlich stand sie vor der Thür. Ihr
Auch des Riegels
tönte an ihr Ohr.
Ein Lichtschein fiel jetzt über die
angst, rief:
refe!"
geliebten Mädchens.
Ällmälig lainen iyr di: Sinne zu»
rück.
In fieberhafter Hast erzählte sie
Wilbrandt ahnte den Zusammen
hang.
Er sprang an's Fenster und ließ
die schweren Jalousien herab. Dann
holte er eine Flasche Kognak, mischte
ein Glas dieses Getränkes mit Wasser
und, den Kopf Thereses auf seinem
Arm bettend, flößte er ihr den Inhalt
ein. Trotz all seiner Herzensangst
hatte er auch nicht einen Augenblick
seine Geistesgegenwart verloren.
„Bist Du sicher" hauchte sie matt
„ganz sicher?"
„Ja, mein Lieb, ganz sicher," flü
sterte er bewegt, indem er abermals
feine Lippen aus ihren Mund preßte.
Dann stand er auf und ging schnell
durch eine Seitenthür nach dem ande
ren Flügel, um die Dienerschaft zu
wecken und ihr die nöthigen Befehle zu
geben.
Als er zurückkehrte, war Therese
von Neuem in eine Ohnmacht gesun
ken. Er trug sie aus den Armen hin
auf in dasZimmer seiner Tante. Diese
brachte das junge Mädchen sofort zu
Bett, nachdem sie ihr mit Hilfe einer
Magd die völlig durchnäßten Kleider
ausgezogen.
In den wilden Phantasien There
sens offenbarte sich dann mit aller
Klarheit, wie sie hinter den Anschlag
gekommen und welche Qual sie erlit
ten, um nur noch zur rechten Zeit zu
ihm gelangen zu können.
Durch die Umsicht und Geistesge
genwart Erichs, welcher die Einbrecher
erst ruhig „arbeiten" ließ, sie dann
bei dieser Beschäftigung überrumpelte
und ohne viele Mühe packte und kne
belte, war die Gefahr glücklich beseitigt
worden...
Matt, kraftlos von den körperlichen
und seelischen Anstrengungen, lag
Therese auf einem Divan, als am fol
genden Tage Erich Wilbrandt zu ihr
in das Zimmer trat.
Trotz desVerbots seiner Tante hatte
er sich nicht abweisen lassen. Leiden
schaftlich bewegt neigte er sich über sie
und bedeckte ihr Gesicht mit heißen
Küssen.
Er hatte Mühe, die g»waltige Erre
gung, welche ihn zu übermannen droh
te, zu unterdrücken.
Therese schlang dir Arme um seinen
Nacken.
Zwei Wochen später wurde die Ver
lobung gefeiert und schon nach wei
teren Sier Wochen fand die Hochzeit
statt.
Weder Therese noch Erich haben die
Begebenheiten jener entsetzlichen Nacht
vergessen. Doch Beide sind einig in
wollte.
Ei» unheimlicher Mensch.
„Kennen Sie Slackman? Sie ken
nen ihn? Gut. Dann kennen Sie
vielleicht auch Slackmans Freund
Winkles? Wie, Sie kennen ihn nicht?
habe, ohne daß Sie ihn kennen. Es
gab übrigens eine Zeit, wo ich ihn auch
nicht kannte, aber eines schönen Ta
man sich so recht ausnehmend wohl
fühlt, so heiter, so zufrieden, so er
haben, wie selten, sah ich von weitem
Slackman mit Winkles kommen.
„Halloh", rief Slackman, als ich
näher kam.
mit einer so fröhlichen Miene als hätte
ich alle vier Aß im Poker.
„Kennen die Herren einander schon?"
tig vor. „Mister Wintles,"
„Freut mich sehr", sagte ich und
streckte Winkles die Hand entgegen.
Der ergriff sie und ich...
fragte ich gleich: „He, Jorgan, kennen
Sie Wintles? Ein famoser Kerl, der
Winkles."
gegen.
Ich brach, als Winkles dieselbe er-
und plötzlich, verdamm mich Gott,
plötzlich hielt Winkles Jorgans Hand
in der seinen, vollständig abgedrückt,
vollständig vom Rumpfe getrennt, und
Jorgan lächelte, streckte seinen Arm-
stumpf vor und sagte: „Ach bitte,
schrauben Sie sie mir wieder an."
WinkleS stand notorisch da ganz
bleich und fassungslos; dann plötzlich
warf er Jorgan wüthend die Hand bor
Vie Füße, stürzte auf mich zu und
„Wissen Sie, was Sie sind? Ein
ganz -gemeiner Mensch sind Sie, denn
nur gemeine Menschen haben Freunde
mit Korkhänden" lind damit ging er
und ließ mich stehen, während Jorgan
ganz phlegmatisch seine Hand an
schraubte.
Mein Freund Jorgan aber war,
wie ich später erkannte, noch viel „ge
meiner" als Winkles je ahnen konnte,
und er entblödete sich nicht, es
mir selber bei einem Glase Brandy zu
erzählen, das er mir zahlte, damit
ich mich von meinem Schrecken er
hole.
„Ja," sagte er, „das ist das Gering
ste was Sie von mir erwarten können.
Da hatte ich eines Tages in Kalifor
nien ein ganz anderes Erlebniß. Ich
ritt auf meinem Pferde dahin durch
die herrlichste Landschaft, die Brett-
Harte selber nicht besser geschaffen
hätte, als plötzlich ein wilder Mustang
auf mich zu sprengte. Ich, das Pferd
sehen und von der Lust erfaßt werden,
es zu stoppen, ist eins. Ich gebe mei
nem Pferde die Sporen,jage dem gallo
pirenden Thiere entgegen, jage ihm
nach, mache meinen Lasso, parat und
scht! saust die Schlinge durch die Lust
und mein Mustang fällt vornüber
auf die Kniee und wälzt sich im
Staube. Im selben Augenblicke aber
fcht! fliegt ein anderer Lasso durch die
Luft, fliegt mir um den Kopf und ich
fühle mich rücklings vom Pferde ge
rissen."
„Haben wir Dich, Hallunke", brüllt
mir's in's Ohr. „Werden Dich leh
ren Pferde stehle?, Schuft Du", und
ich fühle mich gepackt, auf die Füße
gestellt und mit Kolb-nstößen einem
Baume zugetrieben. War ein famoser
Ast dort an dem Baume um gehängt
zu werden und diesem so verlockenden
Aeste konnten die Männer, die mich
gepackt hatten, offenbar nicht widerste
hen, denn sie knüpften mich auf, war
fen den Strick über den Ast, zogen an
und ließen mich baumeln. So bau
melte ich" und mein Freund Jor
gan füllte sein Glas auf's Neue
„so baumelte ich ein paar Stunden.
Da plötzlich kamen die Reiter zurück.
Sie kamen um mich um Entschuldi
gung zu bitten und zu begraben. Der
Mustang war nämlich thatsächlich mit
anderen Pferden gestohlen worden,
aber nicht von mir. Er war dem
Diebe durchgegangen und ein anderer
Trupp hatte ihn gepackt und gehangen,
nachdem er Alle» bekannt hatte. Meine
Unschuld also war glänzend erwiesen
und das Wenigste was sie mir thun
konnten, war, unter Gentlmen'S, daß
sie sich entschuldigten und mich anstän
dig begruben. Sie schnitten mich auch
ab und „Gott sei Dank" war mein er
stes Wort, „ab«r j«tzt könntet Ihr mir
auch einen Schluck Brandy geben."
Die Folge war entsetzlich, die tterle
liefen davon wie verrückt und an jenem
Tage gab es imJrrenhaufe von Frisco
fünfzehn vollständig frische Narren
„Ja aber?" fragte ich meinen
Freund Jorgan...
„Oh, das ist sehr einfach", entgeg
nete er, „und die Lösung des Räthsels
ist einfach die: ich hatte mich drei Mo
nate vorher verschluckt."
„Verschluckt?" fragte ich, immer
verblüffter.
„Ja wohl, verschluckt," erwiderte er
mit der ruhigsten Miene der Welt.
„An einem Knochen: und da ich zu
ersticken drohte, schnitt man mir den
Kehlkopf auf und ersetzte ihn später,
wie.das so oft geschieht, durch einen
silbernen. Das wußten die Kerl«
nicht, und statt, daß der Strick mir
die Kehle zuschnürte, hielt er mir den
Hals warm und bewahrte mich vor
einem Schnupfen, der sonst ganz un
ausbleiblich gewesen wäre."
Ich sah ihn ganz verstört an.
„Oh", sagte er, „das ist immer
nicht Alles."
Emes Tages, es war in James
town oder Philippstown, ich weiß
nicht mehr recht, kam ich mit einem
Kerl in Streit. Er behauptete näm
lich, die Hennen kämen aus den Eiern,
während ich behauptete, die Eier kä
men aus den Hennen. Kurzum, wie
dem auch sei, unser Streit artete nahe
zu in Thätlichkeiten aus. Ich holte
aus und was war's? War es der
Schwung oder war es sonst etwas,
kurz, meine Hand, meine falsche Hand
fliegt ihm in's Gesicht und schlägt ihm
ein Auge aus, während mir seine
Faust einen Vorderzahn einschlägt.
Die Folge war natürlich ein Duell.
Dcr Kerl stellte sich mir gegenüber
und den ersten Schuß hat er.
„Aug' um Auge," knirscht er, zielt
und giebt den Schuß ab.
„Sie werden es nicht glauben, aber
er traf, traf in mein rechtes Auge und
Ilirr, gings in Stücke. Ich nahm die
übrigen Scherben heraus, denn es war
mein Glasauge, sagte nur „Zahn um
Zahn" und schoß ihm eine Kugel durch
den Mund. Zwei Zähne und die Ku
gel flogen ihm rückwärts wieder hin
aus. Todt glauben Sie? Gar keine
Idee. Er ist mir jetzt eigentlich sehr
dankbar, denn er kann seine Cigarre
jetzt.
„Eines schönen Tages, es war in
Billystown oder Eharlestown, ich
weiß es nicht mehr wo, da lief ich
nämlich ernstliche Gefahr, mein
Leben zu verlieren? Nein, viel ärger,
mich sogar zu Heirathen. Ich führte
nämlich eine junge Dame aus dem
herrliche Mondnacht, und da wir vom
Wetter schon gesprochen hatten, wollte
ich mit ihr von Astronomie reden. Ich
ne, Washington, Abraham Lincoln,
Cleveland und McKinley. Dann
wollte sie den Namen noch eines Ster
nes wissen, der ihr ganz besonders ge
fiel und ich sagte ihr, der heiße Alfred.
Und dann fragte ich sie, ob ihr der
Name Alfred gefalle und ob ihr nicht
der Name Jorgan noch besser gefalle
und sie nicht ihren Namen mit diesem
vertauschen möchte? Und wie ich so
fragt«, sie aber nur seufzte, da kamen
wir an einem Gartenstiihle vorbei, an
einem ganz einsamen Gartenstuhle,
wie geschaffen, um sich in so einer
Nacht darauf zu setzen. Sie aber sagte
verschämt: „es ist ja nur Platz für Ei
nen."
„Setzen Sie sich", sagte ich.
„Nein, Sie."
„Nein, Sie."
„Wenn Sie mich lieb haben, sitzen
Sie", bestand sie darauf.
„Und ich, ich fetzte mich wirklich,
und zog sie nieder auf meine Knie.
bergessen, fünfundachtzig Kilogramm!
Und im selben Moment gabs 4-inen
Krach. Sie hatte... den Stuhl durch
brochen glauben Sie? Oh nein: mei
ne Beine, dieselben Beine, die mir
beim Eisenbahnunglück von Minetoba
abgefahren worden waren untmdie ich
durch Korkbeine ersetzt hatte. Die
Stahlschienen erwiesen sich als zu
schwach, obwohl der Mechaniker hun
dert Kilogramm Tragfähigkeit garan
tirt hatte. Und diesem Umstände
allein verdanke ich, daß ich noch ledig
bin. Der Mann verdient eine Ret
tungsmedaille."
Und mein Freund Jorgan trank
seinen Brandy aus, ich aber ging, ehe
er eine neue Geschichte erzählte.
Parfüm und Düste.
Strömender Regen treibt mich in
einen Straßenbahnwagen. Dichter
und durchdringender Moschusgeruch
schlägt mir entgegen; nicht von dem
echten und theuren Erzeugniß des
Moschusthieres, das man trotz seines
hohen Preises vor Zeiten wohl als
letztes Mittel gegen den dräuenden
dem unechten und billigen Erzeugniß
der rastlos arbeitenden und erfinden
den chemischen Industrie. Und wenn
früher zu gewissen künstlichen Düften
nur gewissermaßen eine Ahnung des
kostbaren Moschus hinzugesetzt wurde,
um ihnen einen sozusagen vornehmen
und prickelnden Reiz mitzutheilen, so
drängt sich der neue Moschus gleich
einem rohen Emporkömmling massen
haft vor, den Parfümirten mit einem
weiten Dunstkreise umgebend. Gern
wäre ich auf dem Außenplatz geblie
ben, aber eisiger Wind trieb mich in
die Moschushöhle, und noch dazu in
unmittelbare Nachbarschaft der Doft
fpenderin. Nun, wie jedes Leid ein
Ende haben soll, so fand auch dies
eins. Ich schlüpfte in's Theater, ließ
meinen durch die Nachbarin parfür
mirten Mantel in der Garderobe und
eilte auf meinen Sperrsitz. Doch mit
des Geschickes Mächten ist kein ew'ger
Bund zu flechten: neben meinem Sitz
hatte bereits eine ähnliche Stinkquelle,
bitte um Verzeihung Duftquelle, dies
mal sogar in männlicher Gestalt, Platz
genommen. Entweichen ist nicht mög
nicht bloß drei Theaterstunden lang,
sondern noch anderen Tages saß mir
der fatale Duft in der Nase, erinnerte
mich fortwährend an die ekelhafte
Quelle des eigentlichen Moschus und
plagte mich mit eigenthümlich drücken
dem Kopfschmerz.
Mit den Wohlgerüchen steht es in
gewisser Weise wie mit dem Wohlge
schmack. Manche lieben Knoblauch
und Zwiebeln, sogar den Stinkasant,
der im Volksmunde Teufelsdreck ge
nannt wird; anderen ist alter Käse,
noch anderen Hautgout des Wildes,
für den wir nicht einmal einen deut
schen Namen haben, höchster Genuß.
Ueber den Geschmack ist eben bekannt
lich nicht zu streiten; aber an diesen
Zungen- und Gaumengenüssen braucht
Niemand theilzunehmen, der sie nicht
mag und will. Einer Hausgenossin,
die nichts Schöneres meinte
als alten Käse, gestattete ich solchen
gern unter der Bedingung, daß sie ihn
am Ende meines Gartens verzehrte
und wohlvirschlossen hin- und zurück
brächte. Die Parfüms sind mittheil
sam und aufdringlich: sie erfüllen so
gar unsere Wohnung, wenn »in nicht
abweisbarer Besuch sie hineingebracht
hat. Mit brennender Cigarre bei
Fremden einzutreten, verbietet der gute
Ton; sollte nicht für andere starkrie
chende Stoffe ein Gleiches gelten?
Mit den Gewürzen, die unseren
Geschmackssinn reizen, haben die Riech
stoffe noch eine andere Eigenschaft ge
mein: von beiden darf nicht zu viel
gegeben werden, um so weniger, je
stärkere Empfindungen sie erregen.
Etwas Salz ist vielen Speisen noth
wendig, ein wenig zu viel und wir
verschmähen sie als versalzen. Zucker
ist so allgemein beliebt, daß mit seiner
Eigenschaft süß auch alle möglichen
anderen angenehmen Dinge bezeichnet
werden, und doch kann zu viel Süße
auch eine Lieblingsspeise verderben.
Sogar der Stinkasant soll nach dem
großen Geschmackskünstler Brillat-
Savarin gewissen Fleischspeisen einen
besonderen Wohlgeschmack verleihen,
wenn nur ganz leise damit vor der
Bereitung über den Boden der Schüs
sel gestrichen wird; ein wenig mehr da
von und Niemand würde die
Speise genießen wollen. Viele Blu
men duften herrlich im Freien und
riech?., scharf und widerlich, wenn man
die Nase daran hält oder ihrer zu viele
in's Zimmer stellt, wo der starke Duft
sog«? Kopfschmerzen, Angstanfälle,
Ohnmachten und vielleicht sogar ?en
Tod verursachen kann. Auch des Gu
ten kann es zu viel werden, oder wie
das alte Mahnwort sagt: u»? qu>6
Gerüche haben die Eigenthümlich
keit, daß sie das Gefühl des Angeneh
abstoßen, und in letzterem Falle da
durch bewußte und unbewußte Ab
wehrbestrebungen erzielen. So halten
wir unwillkürlich den Athem an. um
einen unangenehmen Geruch zu mei»
den, und stoßen die Luft mit Heftigkeit
aus, um ihn schleunigst zu entfernen.
Ueble Gerüche machen sogar leicht Ekel
und Uebelkeit und nehmen empfindlich»
Personen mehr in Anspruch als die
nicht gerade durch ihre Heftigkeit
Schrecken oder Schmerz hervorrufen.
Andererseits saugen wir angenehme
Gerüche mit weitgeöffneten Nasenlö
chern behaglich oder gierig ein; sie ru
fen leicht eine angenehme und behag
gene Stunden.
ES ist deshalb durchaus natürlich
und nichts weniger als tadelnswerth,
rUchen zu umgeben liebt, aber es ist
damit Maß zu halten. Denn unsere
Nase hat nicht die Hauptaufgabe, Sin
nenlust zu bereiten, sondern steht als
Wächter vor unseren Athemorganen,
um Schädliches nach Möglichkeit von
ihnen fern zu halten. Unser Athem
verlangt reine Luft; Düfte täuschen
aber und können Schädliches unbe
merkt eindringen lassen. Deshalb ist
allgemeine Gesundheitsregel, daß un
angenehme Gerüche, besonders in un
seren Wohnungen, nicht durch Düste
verdeckt, sondern durch Reinlichkeit
verhütet und beseitigt werden sollen,
und wo ein sehr aufdringlicher Wohl
geruch sich bemerklich macht, muß er
immer den Verdacht erwecken, daß
durch ihn etwas verborgen werden
soll, was nicht in Ordnung ist. Wer
seinen Leib durch Waschen und Baden
rein hält, seine Kleider gehörig lüftet
und reinigt u. s. w., der braucht weder
Moschus, noch andere starkduftende
Parfüms, um seine Anwesenheit an
genehm oder wenigstens nicht unan
genehm zu machen. Kann man das
Wort vom Duste edler Weiblichkeit
verstehen, wenn diese Weiblichkit sich
mit Moschus parsümirt?
Auch die Wohlgerüche sind der ge
meinen Thatsache der Gewöhnunz
nicht entzogen. Im Gegentheil, die
meisten nehmen wir binnen kurzem
nicht mehr wahr, wenn wir in ihnen
verweilen. Die Riechnerven werden
unempfindlich und stumpf gegen an
haltende, mit der Zeit auch wohl gegen
andere Gerüche, wenn ihnen nicht Zeit
gewährt wird, von heftigen oder lang
dauernden Einwirkungen sich zu erho
len. Daher kommt es, daß Leute, die
sich beständig mit Wohlgerüchen um
geben, ihre Person, ihre Kleider und
ihre Wohnung »rfümiren. immer
stärkere Riechstoffe benutzen. Ob ab
sichtlich oder unabsichtlich durch ein
zelne Düfte besondere Gefühlsregun
gen oder Leidenschaften erweckt wer
den, wie vielfach behauptet wird, wage
ich nicht zu entscheiden jedenfalls sollte
schon der bloße Verdacht sie von der
guten Gesellschaft ausschließen. Wich
tig ist auch die unbestrittene Thatsache,
daß die Gewöhnung an starke Par
füms weichlich und weibisch macht,
und daß die durch sie hervorgerufene
Erregung der Nerven und des Gehirns
zur Erzeugung und Verschlimmerung
jener Nervosität beiträgt, die ehemals
als Hysterie mehr verspottet als bemit
leidet wurde, neuerdings sich aber als
Zeitkrankheit eine hervorragende Stel
lung errungen hat.
Zwei Räusche.
Am zweiten Juli, Morgens vier
Uhr, nach einer durchschwärmten Nacht,
kehrte Arnold Rubler nach dem väter
lichen Hause zurück und wollte eben
den Hausschlüssel in's Schlüsselloch
stecken, als er einen betrunkenen Men-
Freund Max Rettig.
rief er dem Taumelnden zu. „Du hast
ja einen Mordsrausch! Wie bist Du zu
dem gekommen?"
stammelte der Angeredete,
„! —ick) ha —habe ini—mich Heu —heute
äh, woll —wollte sa —sagen, ge—
gestern ver—lobt! Es ist ein Ver—
Verlobungsrausch!"
Hausthür und seinem Freunde: „Gu
ten Morgen, Max, schlafe wohl!" zu
rufend, schlüpfte er in den Flur hin
ein und warf die Thür hinter sich zu.
Am zehnten Juli rannte Rubler,
als er um eine Ecke bog, wieder an
am lichten Tage, stechkanonenvoll war.
„Mensch, Du hast ja schon wieder
einen ganz fürchterlichen Rausch!" rief
Rubler. „Wie kamst Du zu dem?"
„Hi, hi!" lachte der Betrunkene,
,habe mich Heu —heute glü—glücklich
wie—wieder ent—entlobt! Entlo
bungsrau—rausch!"
Aha. Herr: Nun, Fräulein
Mimi, nun sagen Sie mir einmal aus
richtig, mögen Sie denn all' diese Lie
besgeschichten da so gern leftn?—Jun
ge Dame: Ach, lieber noch erlebte :ch
sie!
Staunenerregenp. Herr
(zu seinem Freund): „Du, wds ha
ben denn die Nachtwächter mv dem
Mann dort vor, daß sie ihn so anstau
nen?" „Das ist der Studiofus'Mül
ler, den sehen sie zum erstenmale
kern!" i