Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, February 28, 1896, Page 3, Image 3

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    Im
WUWiÄWz
(16. Fortsetzung.)
Die wichtigste dieser Fragen war
die: „Wie kommt es, daß Lydia, die
von Bernheimer genau unterrichtet zu
ivar, und wie kommt es, daß sie mich
veranlaßte, in den Verwaltungsrath
einzutreten, in einem Augenblick, wo
den drohte?" Während er diese That
sachen in Verbindung mit alledem
brachte, was ihm seit gestern das Ge
müth beschwerte, fragte er sich schließ
lich, ob er an Lydia nicht eine geheime
ruhige Raimond, der sich seit einem
Jahre willig von der Hand seines an
gebeteten Weibes leiten ließ: des
sie! Mit entsetzlicher Kaltblütigkeit er
ruhiger Ueberlegung gepaarter Zorn,
der am meisten zu fürchtende, begann
sein ganzes Nervensystem anzuspan
nen. Er begriff noch nicht, wollte noch
nicht begreifen, und doch ward es schon
ein wenig klarer in dem Wirrsal seiner
Gedanken. Aber er wollte nicht hell
sehen und schloß die Augen vor dem
Lichte, denn er fürchtete sich vor dem,
was es ihm zeigen konnte.
Vor feinem Haufe angelangt, stieg
er vom Pferde, und ohne erst die Klei
der zu wechseln, was er sonst nie zu
thun unterließ, wandte er sich nach den
Räumen seiner Frau. Er trat in den
kleinen Salon, wo sich die Gräfin auf
zuhalten pflegte: er war leer. 'Rai
mond durchschritt den Salon und öff
nete die Thüre nach dem Schlafzim
mer. Hier faß Lydia vor ihrem Schrei
bpult und schrieb. Sie wandte nur leicht
den Kopf nach der Seite hin, wo sie das
Geräusch vernommen hatte, da sie
glaubte, es sei Leila. Aber als sie ihren
Gatten erblickte, erhob sie sich hastig,
sogar etwas verwirrt und ließ geschickt
das Billet, an dem sie eben geschrieben
hatte, zwischen die Löschblatter ihrer
Mappe verschwinden. Sofort nahmen
ihre Züge einen liebenswürdig lächeln
den Ausdruck an, da sie es in jenem
Moment für nützlich hielt, ihm zu ge
fallen, und sie ging ihm entgegen.
„Ei, du bist's, und schon gestiefelt
und gespornt: Welch angenehme Ueber
raschung! Aber was verschafft mir das
Vergnügen, dich zu so ungewohnter
Stunde bei mir zu sehen?"
Die Augen auf die Stelle geheftet,
wo dcr angefangene Brief versteckt
worden war, stand Raimond unbeweg
lich vor der jungen Frau. Sie folgte
beunruhigt der Richtung seiner Blicke
und verblieb unwillkürlich in ihrer
Stellung zwischen ihm und dem
Schreibtisch. Es iah aus wie der Be
ginn eines Kampfes zwischen den zwei
Menschen, von denen der eine stets der
Sklave des andern gewesen war. Und
die Tyraiiniu, welche die Revolte im
Anzug fühlte, hiell sich auf ihrer Hut.
„Weißt Du denn nicht, was vor
geht?" fragte Raimond mit einer
Stimme, der er vergebens Festigkeit zu
geben versuchte.
„Noch nichts."
nach dem Figaro und dem Gaulois,
Zeitungen, welche die junge Frau je
den Morgen Nach dem Aufstehen zu
durchfliegen Pflegte. Er bemerkte sie
nirgends. unruhig darüber,
„Nun, das Comptoir steht vor dem
Zusammensturz.... das ganze Unter-,
nehmen ist aufs ernstlichste gefährdet....
s",Wi ist s beide änlich?"
feucht wurden.
„Es ist eben so. Die Tragweite des
Ereignisses mit seinen schweren Folgen
monds Augen, und e.- erbebt, Lydia
hatte das erste entfchezcudi Wc>rt ge
sprochen. Sie verheu-lichte ihm, daß
„Irrst Du Dich nicht? Denke erst
Nicht bejahen, hieß sich preisgeben.
Lydia bestätigte: „Ja. ich weiß es ge
wiß."
Liaimond preßte die Zähne knir-
schend übereinander, trat einen Schri.
auf Lydia zu und mit einer Stimme,
wie sie die junge Frau noch nie zuvor
von ihm vernommen hatte, sagte er:
„Gib wohl acht, ehe Du mir antwor
test; es handelt sich um ernste Dinge."
„Mein Gott!" rief sie aus, indem
sie zu lachen versuchte, trotzdem sie von
einer eigenthümlichen Angst ergriffen
wurde. „Du setzest ja wahrhaftig die
Miene eines Untersuchungsrichters
auf."
„Wiederhole mir, was Dir Bern
heimer in den letzten Tagen gesagt hat.
Daß man kaufen solle?"
„Welch sonderbare Konversation
und in welchem Tone!" rief sie aus.
„Du bist heute in der That nicht sehr
gut gelaunt."
„Du willst mir nicht antworten?"
Sie sah ihm kokett in die Augen und
legte ihm ihre Hände auf die Schul
tern.
„Küsse mich. Das ist das erste Mal,
daß Du es versäumt hast, wenn Du
zu mir kommst."
Er rührte sich nicht.
„Ich warte auf Deine Antwort!"
Sie hatte so lange als möglich da
stern bei mir war und sich fast mit
mir zankte und mich befchwc-r, zu ver
kaufen?"
„Bernheimer?"
„Ja Bernheimer. Er kam direkt von
Dir.... und beschwor mich, zu verkau
fen.... und Dir hätte er gerathen zu
kaufen?... Das wäre eine ganz sonder
bare Art zu handeln gewesen Ick
werde noch heute eine Auseinander
setzung mit Bernheimer herbeiführen."
„Du wirst ihn falsch verslauven
haben."
„Vielleicht doch eher Du!"
..Ich?"
„Eins von euch hat betrogen.... eins
gelogen.... Wer ist schuldig?.... Wer
sollte ein Interesse daran haben, mich
zu Grunde zu richten, denn nur dar
um kann es sich gehandelt haben. Mein
Vermögen, meine Ehre, alles steckt in
dem Unternehmen Sollte es Bern
heimer sein? Warum? Und wie selt
sam wäre es, wenn er mir den guten,
rettenden Rath, und Dir den perfi
den, verhängnißvollen gegeben hätte!
Wer also hat betrogen.... wer gelo
gen?"
Er hatte sich ihr genähert, berührte
sie fast. Skin fahl gewordenes Gesicht
sah entsetzlich, wie eine Steinmaske,
aus. Er war nicht mehr der, den Ly
dia verachtete, den sie bis zur Schwä
che nachsichtig und bis zum Wahnsinn
großmüthig gefunden hatte und den
sie mit der spöttischen Miene dcr sie
gessicheren Frau „den armen Mann'
genannt hatte. Er brauchte nur eine
Handbewegung zu machen.um nach ihr
zu greifen, und in namenloser Angst
hatte Lydia das Gefühl, daß wenn cr
lie anfaßte, cr sie auch niederschmettern
würde. Sie vergaß den angefangenen
Brief, den Schreibtisch mit seinen of
fenen Schubladen, sie vergaß, daß al
les, was sie vor ihm verbergen wollte,
ihm preisgegeben war. und zog sich
»nwültürlich nach dem Kamin zurück.
Er folgte ihr, und jetzt mit der Hand
auf den Tisch gestützt, an dem sie bei
seincm Eintritt geschrieben hatte, wie
derholte er drohend,mit einem starren,
erbarmungslosen Blick und mit
krampfhaft verzogenem Munde: „Wer
also hat gelogen und betrogen, Ly
dia? Du oder Bernheimer?"
„Eine solche Frage wagst Du an
mich zu stellen?" schrie die junge Frau
angstvoll auf.
..Und Du, wirst Du endlich wagen,
darauf zu antworten? Seit einer Vier
telstunde gibst Du ausweichende Ant
worten. Es ist höchste Zeit, einmal auf
richtig zu fein. Willst Du mich zwin
gen, auf anderi Weise zu erfahren,
was mir zu wissen noth thut?"
Er hatte, während er diese Worte
hervorstieß, mit den Fingerspitzen die
Blätter der Schreibmappe umgeschla
gen und hielt jetzt das angefangene
Billet in Händen. Sie schrie auf und
stürzte sich auf ihn. um es ihm zu
entreißen. Er aber streckte seinen Arm
nach rückwärts und fragte mit surcht
barerKaltblütigkeit: „An wen schriebst
Du denn, als ich kam?"
Sie warf sich ein zweites Mal auf
ihn, und mit katzenartiger Gelenkigkeit
versuchte sie, sich des Zettels zu bemäch
tigen, indem sie ausrief: „Raimond,
gib mir das Papier zurück... Was Du
da thust, ist niedrig.... unredlich.... ist
feige.... Du hast nicht das Recht, das
Billet zu lesen.... ich will es nicht!
Wenn Du es liest, ist zwischen mir und
Dir alles und sür immer zu Ende."
„Das fürchte ich auch." sagte Rai
mond mit schrecklicher Ironie, indem
er sie heftig zurückstieß. Sie aber ließ
sich in möglichst vortheilhafter, reizen
der Stellung in einen Fauteuil sinken,
und seufzte tief und schmerzlich auf.
Raimond begann mit lauter Stimme
zu lesen: „Mein geliebter Maurice!
Die so gut geladene Mine ist in die
Luft geflogen. Das Comptoir ver
kracht. Ich muß Dich bald sprechen...
Dieses Schaf von Bernheimer...."
Raimond las nicht weiter. Einen
Schrei der Wuth ausstoßend, stürzte
er auf Lydia zu, packte sie an der
Schulter und zerrte sie aus ihrem
Stuhle auf. Mit erhobenem Arm, als
wolle er sie niederschmettern, rief er
aus: „Elende Du! Aus welchem Teig
Sie hatte noch die Energie, sich ver
theidigen zu wollen: „Berurtheile mich
nicht, ohne mich gehört zu haben! Er
laube mir, Dir-zu erklären!...."
„Es handelt sich hier nicht um Er
klären, sondern um Eingestehen. Ich
will alles wissen.... jener Maurice....
nicht wahr.... ist Roquiere?"
Da sie nicht antwortete, schüttelte er
sie wuthentbrannt und drücke sie auf
die Kniee nieder.
«Wie feige! Nicht einmal den Muth
zu schweigen hat sie."
Ein unmerkliches! morddrohendeZ
Lächeln glitt über ihre Lippen. Er sah
es aber nicht und dachte nur daran,
die ganze, scheußliche Wahrheit zu er
fahren.
„Und ehemals.... die Geliebte des
Italieners in Beaulieu... des Man
nes, den ich erschossen habe das
warst Du?"
Sie preßte die Zähne aufeinander,
und frei von jeder Furcht, nur noch
von Zorn erfüllt, denn sie war sich
ihres Rechtes zu hassen wieder voll
bewußt, erwiderte sie fast stolz:
„Ja, das war ich!"
Welche Qualen er litt, Qualen, die
der Scham, Lydia für unschuldig und
der Reue, Therese für schuldig gehal
ten zu haben, entsprangen! Er sah das
stehen, da verwirrten sich seine Sinne,
und,mit einem Wuthschrei packte er die
Verbrecherin mit seinen zusammenge-
Voll Schreck wehrte sie sich, so gut sie
daran, s» zu erdrosseln, als die Thüre
zum Toilettezimmer aufgerissen wurde
und Leila auf der Schwelle erschien.
Sie stürzte sich, ohne lange zu überle
gen, zwischen Raimond und die junge
Frau. Er aber stieß sie mit einer ein
des Thier und trotz ihrer Negerhaul
fast weiß vor Erregung, ein "langes
Stilett, das in einer sammtenen Scheie
Ideal bedrohte.
Das brachte ihn zu sich selbst. Er
schämte sich seines Jähzorns und ließ
von der jungen Frau ab. Dann drehte
er sich nach der Mulattin um, welche
die Dolchspitze gegen ihn gerichtet hielt,
wand ihr die Waffe aus der Hand,
packte sie im Nacken und schmiß sie, als
wäre sie ein lebloses Bündel Kleider,
zur Thüre hinaus. Dann kehrte er zu
der jungen Frau zurück, die Miene
machte zu entfliehen; aber mit einem
strengen Blick bannte er sie auf ihrem
Platze fest. Sie hatte Zeit zum Nach
denken gefunden und bei dem Gedan
ken an die unendliche Liebe, die Rai
die aufzuführen, um sich womöglich
ohne weitere Gefährdung aus der
schrecklichen Unterredung herauszu
sank vor ihm auf die Kniee, haschte
nach seiner Hand und stöhnte: „O.
Raimond!"
„Ich hatte Angst vor Deiner Ver
zweiflung und Deinem Zorn. Du
kamst damals drohend, vom Blute des
Andern geröthet zu uns. Da hatte ich
„Sie klagte sich selbst an!"
„Um Dich zu vertheidigen, Dich zu
schützen, um auf Kosten ihrer eigenen
Reinheit Dich Weiß zu waschen.... und
dieses unsagbare Opfer hat Dir nicht
warst, die all diese Demüthigungen
verdient hätte.... Nicht ein einziges Mal
drängte sich Dir die Wahrheit über die
lich!"
Lydia zuckte die Achseln: „Aufopfe
rung gehört ja mit zu Thereses Be
liche Falschheit war mir zuwider! Sei
zynisch! Zeige Dich so verderbt, als
Du bist! O, mein Gott! Ich kann Dich
hen, um mich vor mich selbst zu recht
fertigen, daß ich mich so von Dir zum
Narren halten ließ!"
sen, daß sie den Fehltritt begangen ha
be. Gut!... Warum aber hast Du mich
geheirathet, wenn e» Dir so leicht ge
diese rasfinirte Gemeinheit?"
Lydia schien zu wachsen, so hoch rich
tete sie sich auf. Ueber ihre Züge legte
wortete sie: „Warum? Du fragst mich.
Warum ich Dich geheirathet habe. Weil
ich Dich haßte und die Ehe mit Dir
das sicherste Mittel war, mich an Dir
zu rächen! Weil Deine blinde, dumme
Liebe das Leid, das ich Dir zuzufügen
geschworen hatte, um das zehnfache
vermehren sollte. Du willst, daß ich
mich Dir offen zeige, wie ich bin. Gut,
so sieh mich an, wie ich hier vor Dir
stehe. Glaubtest Du, ungestraft den
Glaubtest Du, daß fein Blut fließen
träglich Du mir warst! Wenn ich nicht
gesehen hätte, wie meine eisige Kälte
Dich quälte, würde es mir unmöglich
halten. Dafür mußte ich wenigstens
die Gewißheit haben, Dir all diesen
Ekel in einer einzigen Stunde vergel
ten zu können. Diese Stunde ist gekom
men. Alles was ich ersann, um meine
Rache zu befriedigen, ist in Erfüllung
gegangen. Ich habe Dich pekuniär rui
nirt, habe Deine Ehre befleckt, Dich ver
rathen und an den Abgrund gestoßen.
Ich glaube, der Mord meines Gelieb
ten ist damit bezahlt. Du hast nicht
ungestraft jenen so stolzen, so schönen,
so edlen Mann, den ich anbetete und
der mich ohne Dein Dazwischentreten
geheirathet hätte, hingemordet. Ich ha
be Dir Leid mit Leid, Thränen mit
Thränen, Schande mit Schande ver-
Ploerne hatte diesen Gift und Galle
speienden Wortschwall mit keiner Silbe
unterbrochen. Er schaute Lydia an,
wie sie mit wuthverzerrten Zügen, fah
len Lippen und flimmernden Augen
vor ihm stand, und bei dem Anblick
dieses Wesens, das in nichts mehr dem
Weibe glich, das er geliebt hatte, er
faßte ihn eine maßlose Traurigkeit,
und sein Zorn wich der Verachtung.
Kalt sagte er: „Du irrst Dich! Wir
sind nicht quilt, denn Du gibst Dich Il
lusionen über den moralischen Werth
dessen hin, den Du rächen zu müssen
glaubst... über den Werth jenes so schö
nen, so stolzen, so edlen Mannes!
Wenn Du meinst, daß cr der Vergel
kl-nl-, zwischen zwei Zigarreii sein
Abenteuer zum Besten gab, und nicht
anders, als handle es sich um eine
chen Nächte im Garten beim Monden
schein... Und die Schilderung war so
genau und Leila so gut darin zu
kennen, daß ich vor Wuth und Schmerz
fast außer mir gerieth... Es handelte
sich dabei nicht um meine Liebe, son
dern um Deine Ehre. Ich b'tte Dich,
dies wohl zu verstehen! Konnte ich doch
nicht wissen, ob er sich in seiner Frech
heit nicht auch noch zur Nennung ei
nes Namens würde hinreißen lassen,
so daß Deine Schande offenkundig ge
worden wäre.... O, warum habe ich
ihn nicht zu Ende erzählen, warum
ihn nicht feine Mitschuldige unzwei
deutig bezeichnen lassen! Wieviel Un
glück hätte ich mir erspart! Aber ich
war zu empört, um Geduld zu haben...
Ich unterbrach ihn, beschimpfte ihn,
schlug ilm. den Feigling, der, nachdem
er ein Mädchen kompromittirt hatte,
seine Worte zuriicknabm, stammelte,
zitterte und mit dem kalten Angst
schweiß auf der Stirne...."
„Du lügst!" schrie ihm Lydia ent
gegen. „Du weißt, daß man Dir Deine
schandliche Lüge nicht mehr beweisen
kann, und das gibt Dir den Muth da
zu!"
„Du irrst.... Ein Beweis für das,
was ich Dir fage, existirt wohl, und
der Todte selbst soll ihn Dir liefern...
So, also einen systematischen Rache
plan hast Du auf der Achtung und
Liebe aufgebaut, die Dir dieser auf
der Straße aufgelefeneGlücksritter ein
flößte.... Lerne ihn jetzt ein wenig bes
ser kennen.... Der schöne Mädcheniäger
war, wie Nachforschungen ergeben ha
ben, ein aus seinem Lande ausgewiese
ner Jndustrieritter, der vom Spiele
und zweifellos von der Spionage leb
te, eine schmutzige Persönlichkeit, ein
Mensch, der, nachdem er ein Mädchen
auf's Schändlichste kompromittirt hat
te, zurücknahm, was er egfagt hatte,
und niederschrieb, daß er geprahlt und
gelogen habe.... und dies alles unter
zeichnete er mit seinem edlen Na
men...."
„Den Beweis! Den Beweis!" unter
brach ihn Lydia empört.
„Er hat mich seit einem Jahr nicht
verlassen, dieses Beweis, denn er ist
die Berurtheilung des Elenden und
meine Rechtfertigung."
i Raimond fuchte aus feiner Brief-
lasche ein Blatt Papier hervor, entfal
tete es und reichte es der jungen Frau
hin: „Du willst bis auf den Grund
dieses Schmutzpfühls steigen! So thut
es denn!"
Mit zitternden Händen, starren
Blicken und fast grün gewordener Ge
sichtsfarbe griff sie nach der Erllärung,
die der Italiener damals vor dem
Duell abgegeben hatte. Zweimal durch
flog sie die Zeilen, und dann drang ein
Stöhnen gedemllthigten Stolzes aus
ihrer Brust; das ganze Gebäude ihrer
Räche stürzte zusammen und begrub
sie unter den Trümmern. Raimond
ging unschuldig und edel hervor, und
der Todte.... o, der Todte!... Es war
besser, diese Erinnerung zu verscheu
chen, so erniedrigend, so furchtbar war
sie jetzt geworden! Lydia trat auf ihren
Gatten zu und mit gebrochener Stim
me schluchzte sie: „Ich bin eine Unglück
selige! Alles was ich geplant und aus
geführt habe, ist verabscheuungswiir
dig. Ich verzweifle daran, je meine
Schuld sühnen zu können. Aber so
schrecklich meine Handlungsweise auch
war, Du siehst, daß ich Milderungs
gründe zu haben glaubte.... Dein Mit
leid rufe ich nicht an.». Ich habe Dich
verkannt, geopfert, tödtlich beleidigt....
Ich verlange nur noch von Dir, daß
Du mich, soweit es noch in meiner
Macht liegt, wieder gut machen läßt,
was ich verbrochen habe."
„Und wie sollte dies geschehen?"
„Die Spekulation, die Dich ruinirt,
bereichert mich. Ich habe über eine Mil
lion gewonnen. Nimm sie von mir an
und bezahle damit, was Du schuldest."
„Unmöglich. Ich bin ruinirt, durch
Dich ruinirt, und das gefällt mir so!"
..Wenigstens.... o, laß mich dies von
Dir erflehen, vergiß den Namen dessen,
an den ich schrieb... Maurice de Ro
quiere...."
Er sah ihr mit einem kalt verächt
lichen Blick in die Augen.
„Das kann Dich nicht berühren, da
es eine Ehrensache ist."
„Ja, ich bin eine Unwürdige, aber
ich habe meinen Mitschuldigen zu gut
gewählt! er ist ein sehr gefährlicher
Gegner. Ich bitte Dich!... ob ich die
Seine war oder nicht, ist doch gleich,
nach dem, was Du jetzt weißt!"
„Für Dich allerdings, aber nicht für
mich. Ich habe den Ersten getödtet
Ich werde versuchen, auch den Zweiten
zu tödten!"
„Unglücklicher, er wird Dich tödten!"
„Das ist meine Sache."
„Schone Dein Leben!"
Raimond fuhr auf: „Für wen?"
„Für Therese, die nie aufgehört hat.
Mit drohender Stimme sagte er:
„Ich verbiete Dir, den Namen dieses
edlen, reinen und großmüthigen Mäd
chens zu nennen; er wird durch Dich
besudelt!"
Sie schwieg gedemüthigt. Nach ei
ner kleinen Pause fragte sie: „Was be
fiehlst Du mir?"
„Daß Du mich von Deiner Gegen
wart befreist," erwiderte er fast tonlos.
Sie rang die Hände in verzweifel
ter Resignation und sagte leise:
„Dann weiß ich, was mir zu thun
übrig bleibt."
Sie warf einen letzten Blick auf
Raimond, der stumm und unerbittlich
vor ihr stand, und als sie sah, daß
von ihm nichts mehr zu erhoffen war,
entfernte sie sich durch die Thüre zu
ihrem Toilettezimmer. Er verharrte
lange auf derselben Stelle und horch
te nach den Geräuschen hin, die un
deutlich aus dem Raume neben ihm
auflodernden Flamme gleich, durch
fuhr es sein müdes Gehirn und rüt
telte ihn auf. Lydias letzte Worte:
„Dann weiß ich, was mir zu thun
übrig bleibt", gewannen plötzlich eine
furchtbare Bedeutung. In blitzschneller
Bision sah er jenseits der Wand, die
sie von ihm trennte, die junge Frau
Mit schreckensstarren Blicken schzu
standen weit auf. Sogar eine eiserne
Kassette, in der Lydia ihre Werthpa
piere und Schmucksachen aufzubewah
die Thür, die nach der Dienerfchafts
treppe führte, mußte eben geöffnet
worden sein, denn die Portiere beweg
te sich noch vom Luftzug. Vielleicht
war die junge Frau noch nicht einmal
bis auf die Straße gelangt.
Raimonds Lippen kräuselten sich
zu einem bitter-schmerzlichen Lächeln:
„Und ich konnte glauben, daß sie sich
das Leben nehmen wollte," sagte er
Flucht dachte... Die ist
drokiend von seinen Lippen: ~Der Ge
liebte soll mir für beide büßen!"
Zehntes Kapitel.
Im Arbeitskabinet ihres Schwie
gersohnes stand Madame de Saint-
Maurice am Fenster. Sie war so er- >
regt, daß sie trotz der langen Stun
deu an kein Sitzen dachte und keine
Müdigkeit verspürte. Angstvoll war
tete sie auf Ploernes Rückkehr.
Sie weinte; aber es kam ihr aar
nicht mehr in den Sinn, ihr alle! j
Klagelied anzustimmen. Ihre kleinli
chen Sorgen waren verflogen, waren
einem wirkliche», grausamen Kummer
gewichen. Das unwürdige Betragen
ihrer Tochter war ihr kein Geheimniß
mehr, und sie wußte, daß Lydia fort
gegangen war, ohne daran zu denken,
ihr Lebewohl zu sagen; zwei Tage
war dies schon her, und noch hatte sie
weder Brief noch Depesche erlplten,
nicht eine einzige Zeile, die ihr hätte
Aufschluß über das Verbleiben der
Entflohenen geben können. Leila be
gleitete sie zwar; Ivohin ak:r hattei»
war, herrschte jetzt Grabesstille Schon
am frühesten Morgen hatte Bernheimer
den Grafen abgeholt, dem er mit dem
Frau hatte kein Wort der Entschuldi
ter gefunden. Sie hatte nur weinen
können und hatte ihr ganzes Vermö
gen zur Ordnung der finanziellen
Schwierigkeiten angeboten. Darüber
jedoch konnte Samuel sie rasch beruhi
gen, denn schon seit fünf Tagen hatte
er, ohne Lydias Gatten davon zu
sprechen, eine starke Gegenposition ein
gegangen und sich in Comptoiraktien
ü, I» bnisse engagirt. Alles, was Rai
mond auf der einen Seite verlor, ge
wann er auf der andern wieder. Bern
heimer, der Millionen hätte verdienen
können, wenn er gegen das Unterneh
men, dessen Direktor er gewesen war,
hätte speluliren wollen, hatte für' sich
eine sehr anerkennenswerthe Neutrali
tät bewahrt. Aber was für seine Per
son zu thun er sich öffentlich geweigert
hatte, hatte er auf Raimonds Rech
nung unternommen, und mit einer
Kühnheit, die an seine Glanzzeit er
innerte, hatte er die umfangreichsten
Aufträge ertheilt.
so schwer geschädigt hatte, sein gan
zes Unglück offenbarte, erbebte der
alte Skeptiker bis in sein tiefstes In
nere. Er fühlte, daß er noch Skrupel
zu empfinden imstande war, und mit
Trauer und Freude zugleich hatte er
angesichts dieser Katastrophe entdeckt,
daß in seinem Herzen noch nicht al
les erstorben war und sein Gewissen
sich noch regte. Mit einem Feuereifer
und einer Festigkeit, die ihresgleichen
suchte, hatte er sich Raimond zur Ver
fügung gestellt und ihm versprochen,
seine geschäftlichen Angelegenheiten zu
ordnen, wodurch er dem Unglücklichen
die Ruhe ermöglichte, deren er so drin
gend bedurfte, um seine Ehre zu ret
ten. Denn die Begegnung mit Ro
quiere, die er energisch verlangte,
drohte ausnahmsweise ernst zu wer
den.
Der junge, in allen Leibesübungen
so gewandte Mann war mit der Pistole
in der Hand ein ebenso gefährlicher
Gegner, wie mit dem Degen. Seine
Zeugen hatten alles aufgeboten, soweit
es sich mit ihren Pflichten vereinbaren
ließ, daß der Degen gewählt würde.
Sie wußten, daß ihr Freund den Gra
fen gern geschont hätte, was bei Pisto
len unmöglich war, da mußte er sich
rücksichtslos seiner Haut wehren. Aber
Bernheimer und der Admiral Regnaud,
hatten strenge Instruktionen erhalten.
Die von Raimond geforderte Waffe
war die gezogene Pistole, und die Di
stanz war auf fünfundzwanzig Schrit
te festgesetzt, mit der ausdrücklichen
Bedingung, daß jeder der Duellanten
fünf Schritte vorgehen dürfe. Diese
Abmachungen waren derart rigoros,
daß Roquieres Sekundanten erst mit
dem Marquis darüber berathen woll
ten. Aber Roquiere war auf alles ein
gegangen. Er sprach sich das Recht ab,
die Erhöhung de,r Gefahr, die sein
Gegner absichtlich herbeizuführen
wünfchle, zurückzuweisen, doch fühlte
er sich tief traurig bei dem Zwang, der
ihm dadurch auferlegt wurde, Rai
mond ernstlich zu verwunden. Was
Ploerne anbetraf, so war, wie damals
in Toulon, seine Rachgier so groß, daß
er die feste Ueberzeugung hegte, er wer
de Roquiere niederschießen. Vielleicht
würde er ebenfalls in dem Zweikampfe
fallen: um so besser dann! Er litt so
furchtbar, daß ihm der Tod Erlösung
schien. Das Duell sollte um zehn Uhr
Morgens in Billancourt auf eine- Pri
vatbesitzung stattfinden.
Hinter den Fensterscheiben, die Blicke
starr auf die Straße gerichtet, stand
Madame de Saint Maurice noch im
mer. Wahrhaft mütterliche Beforguiß
und Angst benahm ihr fast den
Athem, während sie auf Raimonds
Rückkehr wartete. Die Kaminuhr
schlug eben halb zwölf Uhr. Seit min
destens einer Stunde mußte das Duell
beendet sein, und Billancourt war nicht
so weit entfernt, daß man nicht im
Wagen in dreiviertel Stunden hätte
zurück sein können. Was ging vor?
Was war geschehen? Sollte sich zu ih
rem Kummer über Lydias Flucht auch
noch der Schmerz über Raimonds tra
gisches Ende gesellen müssen? War er
Nur verwundet? Hatte man davon ab
sehen müssen, ihn zu transportiren.
und mußte sie vielleicht in ein fremdes
Hau! eilen, um ihn ohne Bewußtsein
und in seinem Blute schwimmend vor
zufinden? Und vor Angst und Pein
fast vergehend, vergaß Madame de
Saint-Maurice ihre Müdigkeit und
ihre Leiden, um nur noch Gedanken
für die Gefahren zu haben, denen der,
den sie wie einen Sohn liebte, ausge«
setzt war.
(Fortsetzung folgt.)
Zur Sic Kua,e.
Lebersuppe. Man nimmt ein
halbes Pfund frische Leber, schneidet
dieselbe in sebr dünne Scheiben, wen
det sie in Mehl und brät sie mit zwei
zerschnittenen Zwiebeln nebst etwas
Petersilie und Suppenwurzeln in
brauner Butter rasch ab, füllt zwei
Quart kochendes Wasser daran, rührt
die Leber beim Kochen oft um, fügt
noch einige Pfefferkörner und das
nöthige Salz hinzu, gibt die Suppe,
sobald die Leberftückchen gehörig zer
kocht sind, durch ein Sieb und zieht
dieselbe mit 2 Eidotter ab.
Aal - Bastion. Ein mittelgr»-
Ber Aal wird aufgeschnitten, das
Rückgrat behutsam herausgelöst und
nun mit einer beliebigen pikanten
Farce gefüllt. Man näht ihn zu, bin
det ihn in ein reines Musselintuch und
kocht ihn langsam in Wasser mit viel
Wurzelwerk, Gewürz und etwas Essig
weich, worauf man ihn erkalten läßt.
Zu gleicher Zeil hat man aus Fleifch
extract mit Wasser, Wein, etwasEssig,
Gewürz und Gelatine ein kräftiges
Aspik bereitet, mit dem man den in
Stücke geschnittenen Aal überzieht.
Reis wird in Salzwasser weich gekocht,
zerstampft und in eine viereckige oder
runde Form gedrückt. Nach dem Er
kalten stürzt man den Reissockel auf
eiNe passende Schüssel, bestreicht ihn
rings mit Kräuterbutter, arrangirt
die Aalstücke zierlich auf dem Sockel
und überstreut dasGericht mit gewieg
tem, verschieden gefärbtem Aspik.
Äalantine von Kalb
fleisch. Man nimmt dazu ein
Schulterstück, befreit es von allen
Knochen und bereitet dann aus Kalb
fleisch mit Speck, gekochtem Schinlen,
einigen gehackten Trüffelscheiben, Ei
ern, Sahne, Salz, Gewürz und ge
weichter Semmel eine Farce, mit deren
Hälfte man die Innenseite des Fleisch
stückes einen Zoll dick bestreicht. Dann
belegt man die Farce mit Trüffel-,
Schinken-, Speck- und Zungenscheiben,
streicht die übrige Farce darüber und
rollt das Fleisch fest zusammen, näht
es zu, umschnürt es mit Bindfaden
und bindet es in eine Serviette. In
halb Bouillon, halb Weißwein mit
Gewürz, Wurzelwerk und Kräutern
dünstet man die Galantine nebst den
ausgelösten Knochen langsam weich.
Man läßt sie in der Brühe erkalten»
preßt sie, schneidet sie in Scheiben und
garnirt sie mit der Gallerte, die sich
aus der Brühe bildet und die man da
her vorher klären muß.
Gedämpfte Enten mid
Kapern. Die Enten werden aus
genommen, gereinigt, gesengt (über
Papierflamme), reibt sie außen und
innen mit.ettyas Salz ein und dämpft
stein Butter gelb. Dann legt man sie
in ein anderes Geschirr,.gießt heiße
Fleischbrühe, ein Glas Wein, will man
sie sauer haben, auch ein wenig Essig
dazu, thut Eitronenschale, einige ganze
Zwiebeln, Pfeffer, Nelken und Mus
katblüthe daran und läßt sie so bis
eine halbe Stunde vor dem Anrichten
dünsten. Dann röstet man (für 2
Enten 3 Löffel) Mehl braun, rührt
es mit der Entenbrühe an, gibt 3 Löf
fel Kapern hinein und läßt Alles zu
sammen durchziehen. Beim Anrichten
bestreut man sie mit feingehackter Ci
tronenschale.
GediimpsterHa.se-, Der Hase
wird zugerichtet, gespickt, in die Beize
gelegt und zugesetzt, indem man noch
Fleischbrühe und ein Gläschen Wein
beifügt und den Hafen weich dämpft,
welchen man nun herausnimmt und
auf die Seite stellt. Dann wird ein
kleines braunes Einbrenn gemacht, mit
Fleischbrühe aufgefüllt, in die Sauce
hineingerührt, diese nochmals aufge
kocht und schließlich durch ein Haarsieb
getrieben. Der Hase wird in passende
Stücke geschnitten, die Sauce darüber
gegossen und mit Kartosfelklößen
oder Kartoffelnudeln und Sauerkraut
zu Tische getragen.
Punschßoyal. Zu- einem hal
ben Pint Wasser, worin man einen
Theelöffel feinen Thee hat ziehen las
sen, gibt man den Saft von sechs bis
acht Stück Citronen und ungefähr 1j
bis zwei Pfund geschlagenen Zucker
und läßt denselben darin zergehen.
Nachdem dies geschehen, gießt man
eine Flasche Burgunder, eine Flasche
Champagner, eine Flasche Rheinwein,
eine Flasche Marasquin und eine
Flasche Arak hinzu und rührt Alles
mit einem Holzlöffel gehörig um.
Hierauf läßt man den nun fertigen
Punsch noch eine Weile an einer hei
ßen Stelle ziehen. Obige Quantität
eine größere Gesellschaft be
— Das erlösend,« Wort.
Sie (zu ihrem sehr wankend heimkeh
renden Gatten): Schäme Dich wie
der in einem solchen Zustande und
noch dazu am frühen Morgen. (Auf
den Kaffeetisch zeigende) Sieh ich
habe schon getrunken! Er: Auch ge
trunken? Gott sei Dank! nun
kann sie doch nichts- mehr sagen
dem» nun war ich's ja nicht allein!
In Familien - Angele
genheiten. Amtmann: Herr
Schultheiß, Sie sind um 9 Ul»r Vor
mittags vorgeladen und jetzi ist eS
Kachmittag 2 Uhr, aus welchem
Grunde haben Sie den Termin ver
säumt? Schitktheiß? Ich mußte m
Familienangelegenheiten in die Stadt.
Amtmann: Und welcher Art waren
diejeFamilienangelegenheiten? Schult
heiß: Herr Amtmann, ich mußte Fer
tign taufen!
Das vorsichtige Carl»
ch cn. Karlchen (mit seinen fünf
Geschwistern beim Spazierengehen ei-
Jesses, Papa, dreh' Dich schnell um;
sonst wenn Dich der Storch sieht.fällt'S
ihm am Ende' ein, miaWviedcr eilt
Lrüdercheo »u blinoui! 3