Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, June 28, 1895, Page 2, Image 2

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    2 Dlaustrmrpft.
Nicht wahr, meine verehrte Leserin,
sie stehen in Ihrer Achtung auch nicht
besonders hoch, diese aus dem Geleise
der Alltäglichkeit getretenen Frauen?
Und dennoch wage ich es, für dieselben
in jeder Weis« einzutreten. Ja, ich be
absichtige allen Ernstes, Ihnen zu be
weisen, daß es zum größten Theil doch
nur böse Vorurtheile sind, die Sie den
geistig arbeitenden Frauen entgegen
kommen, aber ich brauche keinen Com
mentar, um zu wissen, was die Titu
latur „Blaustrumpf" bedeutet. O,
und ich versicher« Sie, Alle,» die Sie
Blaustrümpfe nennen, haben es schon
Pflichten zu erMen hat, die ihr auf
erlegt sind. Man sagt auch den
Schriftstellerinnen' nach, daß sie von
beit.
Aas hölzerne Küchengeschirr.
selbst reines, ausgetrocknetes Holz,
wen» auch keine bedenklichen Einflüsse
aus die darin befindlichen Stoffe aus
iiben, so doch denselben einen uner
wünschten Geschmack und Geruch ge
lben kanri, verlangt auch das hölzerne
Küchengeschirr eine gewisse Aufmerk
samkeit der Hausfrau. Manche Holz
end des Nußbaumes äußern. Andere
Holzarten, z. B. der Ahorn, die Birke
knd die Esche, enthalten im Frühjahr
leinen zuckerartigen Saft, der, wenn
die Bäume um diese Zeit gefällt wer
ken, noch einige Zeit im Holze bleibt,
sich auflöst, den in solchen Gefäßen sich
!befindlich«ii Substanzen mittheilt und
Bei allen Geschirren von Holz, selbst
dom dichtesten, saugt die Holzfaser ihr
kahe kommende flüssige Theile in sich,
woraus zwei Nachtheile entstehen, «in
wal wird jede Flüssigkeit, welche man
In ein hölzernes Geschirr bringt, in
entfernt, so verhindert eine Waschung
tnit starken Abkochen von Eichenlohe
«der Eichenspänen die neue Moderer
tzeugung; es müssen die Holzgeräthe
nach diesem Waschen jedoch einige Zeit
d«r Einwirkung von Luft und Sonne
dllszesetzt werden.
Ein Kenntnißreicher.
Professor: „Was wissen Sie mir von
llhland zu sagen. Herr Candidat?"
Student (für sich): „Du mein! Wenn
Ich nur jetzt wüßt', wo das verflixte
,t!and liegt!" ......
Der Hunger.
Menschen sind:
stiegen.
Als Keppler stieg und starb in Hun
gersnoth,
D l' ' d^"'K"
Brot."
reits im Jahre 1347.
gerleider", der das Gefühl des Nicht
aller Menschen tiefstes Mitleid wach-
Wirtung auf den Organismus be
gründet. Wie Freude und Schmerz,
Lust und Unlust, Ekel und Angst, Er-
Stoffwechsels. Das Leben ist Stoff
versagt diese einfache und billige Sät
tigungsweise gänzlich, wie sie über
haupt nur kurze Zeit „vorhält".
Ein« vollständige Erklärung des
Hungers wonach die Physiologen
noch vergeblich suchen ist natürlich
nur dann richtig, wenn sie auch zu
gleich das Gefühl des „Sattseins" oder
die Sättigung hinreichend erklärt.
Beide Gefühle unterscheiden sich nur
von einander, daß das Salt
sein ein Zustand der Ruhe oder wenig
stens des Beruhiztseins, der Hunger
hingegen ein Zirswnd der Unruhe >.'Nd
Aufregung ist.
Ein Mensch oder Thier ist satt,
kenn seine Körpersäfte so viele leicht
oxydirbare Substanzen (insbesondere
Fette und Kohlenhydrate) enthalten,
vaß der unausgesetzt den Körper durch
dringende Sauerstoff von diesen ding
fest gemacht und dadurch verhindert
wird, die Baustoffe (Eiweiß) des Kör
pers anzugreifen und zu zersetzen.
Denn sobald der Vorrath an Eircu
lationsfaft und circulirenden Kohlen
hydraten erschöpft ist, beginnt der
Sauerstoff die Zersetzung der Eiweiß
stoffe, des Baumaterials des Körpers.
Mit dieser Zersetzung des organischen
Eiweißes treten dann sofort die Hun
gerdüfl« auf, welche wegen ihrer Flüch
schmackhafteres Fleisch, ihr Fleisch ist
Erklären wir nunmehr den Zustand
bezw. das Gefühl der.Sättigung und
des Sattseins. Wenn wir uns nach
dem Auftreten desHungergefühls durch
irgend eine Speise sättigen, was ist es
dann, wodurch wir satt geworden sind?
Die Speisen sind doch noch lange
Vicht verdaut, d«nn es dauert bekannt
lich immerhin noch einige Stunden, eh«,
das Deficit in der Säftemasse durch
die, neue Nahrungszufuhr wieder er
setzt und ausgeglichen ist. Anderer
seits ist es bekannt, daß der Geruch
frischen Brotes allein schon vom soge
vannten Heißhunger erretten kann.
Es ist ferner auch bekannt, daß bei
Hungersnöthen und in Zeiten der Noth
Und Theuerung arme Leute um die
Vergünstigung nachsuchten, ihre hun
gernden Kinder in die Backstuben brin
gen zu dürfen, um ihnen die dem
Volke wohlbetannte hungerstillende
Wirkung des frischen Brotdustes zu
Theil werden zu lassen. Auch alle
Speisedüfte lähmen oder stillen den
Hunger ebenso, das ist eine allgemeine
Erfahrung aller Köche und kochenden
Hausfrauen, die bei Tische nicht den
rechten oder keinen Appetit mehr ha
ben, weil sie die ganze Zeit die Speife
düfte in der Küche einathmen, „sie sind
dom Geruch satt geworden." Die
Speisedüfte werden eben einfach einge
kthmet, durchdringen gleichfalls die
ganze Säftemasse und zerstören die
Hungerdüfte, und damit hört nicht nur
der Hunger, sondern auch der Appetit
nach d«r betreffende» Speise auf; die
in den Speisedüften enthaltenen
Brennstoffe bieten dem Sauerstoff neue
Angriffspunkte, und damit ist die Ei
weißzersetzung aufgehoben, sistirt —>
der Hunger verschwindet leider nicht
für lange! Es liegt sonach hier genau
dieselbe Erscheinung bezw. derselbe
Vorgang vor, wie bei der Desinfektion
und Desodorification (Luftverbesse
rung) wo ein zu beseitigender übler Ge
ruch durch «inen hinzugesetzten, bezw.
zerstäubten anderen Geruchstoff zer
stört wird.
Wesentlich ist die Thatsache, daß der
vom Hunger verursachte Gefühlszu
stand unter den genießbaren Stoffen
eine bestimmte Auswahl trifft, d. h.
die Nahrungswahl muß auf die gleiche
Ursache zurückgeführt werden. Das
Thier nimmt, wenn es die Wahl hat
nur solche Nahrung, deren Geruch
und Geschmack ihm angenehm ist, und
weist alles Unangenehme zurück
nach dem Nährwerth fragt das Thier
doch überhaupt nicht. Der Kernpunkt
die Qualität welche
hier den Ausschlag, gibt, denn sonst
könnte nicht ein und dieselbe Speise
angenehm schmecken. Angenehm schmeckt
ein« Speise, wenn der Nahrungsduft
mit dem Eiweiß des Genießenden
der Speise e,ne unangenehme.
Ekel gegen eine Speise stellt sich
auch dann ein, wenn man ein« Zeit
allein sie liegen ja alle auf der Hand.
Das ist der Widerwille gegen Spei
sen.
sich noch ein« hygienisch hochwichtige
Folgerung bezüglich der Zugänglichkeit
der Speisen; nämlich eine Speise wird
nen Appetitreiz erzeugen, d. h. ein Ge
lüste nach der Speise wachrufen. Alle
Speisen kein Gelüste mehr
n<!ch zu jene» mit nur bedingter Bil
ligkeit. Hygienisch ist der Tisch am
besten bestellt, der weniger Massenge
sagenden Speisen zu zwingen, ist eine
Versündigung gegen alle Hygiene und
den gesunden Jnstinct.
Zier Engel mit dem verlMien
AnUih.
zu, auf dessen Mitte Kirche' und
Wirthshaus thronte; dahinter lag der
Wald und vorn, am Abgrund, die
der armen Kleinen gnädig!" Eine
Mahnung an jene Männer des Dorfes,
die dem Laster des Trunkes ergeben
waren und wegen ihrer Rohheit, Faul
heit und Diebsgelüste in den Nachbar
dörfern eines traurigen Rufes genossen.
ton Allen, hieß Balthes Trönkle; so
lange er noch einen Groschen im Sack
hatte, fand er den W«g nicht nach
Hause, und es kümmerte ihn wenig,
dunklen Stube d«s am Ende des Ortes
gelegenen Hauses ängstlich auf sein
Kommen harrten. Diese Angst aber
steigerte sich zur Verzweiflung, wenn
hinten aus dem Stall das jämmerliche
Meckern einer Ziege kein Ende nehmen
wollte.
„Wenn sie doch auf der Stell' sterben
thät!" Wie oft schon war dem nächt
lichen Himm«l dieser Wunsch unter
heißen Thränen anvertraut worden.
So auch eines Abends. Die Kinder
standen am Fenster und starrten rath
los in die Nacht hinaus, dieweil der
Wolke hervorkam, das trotz Noth und
Entbehrung rundliche Kindergesicht des
größeren Mädchens verklärte; neben
ihr aber, bleich und streng, mit Augen
wie die einer Katze, lehnte die Schwe
ster; in ihrem Nacken erhob sich ein
Höcker und sie umklammerte den son
nenverbrannten Arm der Kleinen mit
dürren, stahlharten Fingern.
„Wir wollen sie todtmachen," sprach
sie im Flüstertöne, „ganz todt, dann
brauchen wir kein Futter mehr zu steh
len und keine Angst mehr zu haben vor
dem Feldschütz, dann hört sie auf
mit ihrem Meckern, und wir kriegen
sie um —"
Das Kind schüttelte den Kopf.
„Immer ich immer ich."
„Weil Du stark bist; Dir thun die
aber mir, o mir!"
Die Augen der kleinen Buckligen
schillerten und über, ihr« unkindlichen
Dunkel der Stube und kam mit einer
Nadel zum Fenster zurück. „Nimm,
nimm!" drängte sie.
ab. „Geh' mit Deiner Nadel, Du
ich mag nicht!"
Die Schwester lachte hart auf.
„Dann mach' ich mich selber todt o
Grab, als alle Tag' Schlag' kannst
D«in Fut'ter suchen, wirst schon jehen,
wie Dir's geht."
„Gieb her!" schrie das Lenle auf und
verließ mit der Nadel die Stube.
Im Stall, die Ziege warf sie fast
um, so prallt« sie auf das Kind los,
mit vorgestreckter Schnauze nach dessen
Händen haschend.
„Hab' nichts," seufzte das Lenle,
„aber komm, sei schön still, sonst muß
ich Dich umbringen.'
Sie streichelte das Thier und gab
ihm gute Worte; da dies nicht half,
versuchte sie dem widerspenstigen Ge
schöpf die Schnauze mit der Schürze
zu umwickln; da that das Thier erst
recht verzweifelt, und die Kleine stürzte
»ilig vor die Thüre und lauschte in die
Nacht hinaus, ob der Vater nicht Win
nie. Dann kehrte sie in den Hos zu
rück und starrte hinauf zum Linden
baum, im Nachbarhause. Wenn sie
von dort eine Schürze voll Blätter
hätte holen können aber der Nach
bar, der Feldschütz, war auf seiner Hut;
ein großer, grimmiger Hofhund be
wachte das Eigenthum seines Herrn.
denn er sah es auf der Welt nicht
ein, Gutthaten an Solche zu verschwen
den, die auf nichts weiter bedacht wa
ren. als das Eigenthum Anderer zu
gefährden. Auch der Pfarrer und der
Bürgermeister, die die Frau für das
Schicksal der Kinder des Trunkenbol
des zu interessiren suchte, hatten nur
ein bedauerliches Achselzucken für ihren
Vorschlag, die Kleinen von dem rohen
Manne wegzunehmen.
„Er ist nun einmal der Vater," hieß
es. und außerdem, der Trönkle galt
für Einen, der sich nicht lange besann,
mit d-m ersten besten Stuhlbein den
ersten besten Schädel einzuschlagen
ttxr wollte wohl mit so Einem zu thun
Stille und für sich allein, was sie für
das Richtige hielt; allein so sehr sie sich
auch bemühte, das Lenle, dessen alle
daß die Schwester der Nachbarin Haus
betrat, und das Lenle stand ganz unter
dem Bann der um zwei Jahre älteren
und so viel klügeren Brigitt'. Es
ollen Dingen den Hauplantheil für sich
in Anspruch nahm. Indeß dem sonni
gen Gemüth des Kindes konnten auch
geschäftig Blatt um Blatt in das aus
„Warum gehört das Kind nicht
mir?"
Unterdessen taumelte Balthes
Wirthshause bis zum Ende des Dor-
T " kl sicb s ' H s
bar, die Ziege hatte ihr Futter bekom
men, denn sie war still, und Trönkle
riß die Hausthüre auf und taumelte in
ander geschichteten Ofenbänke und
starrten mit großen, angsterfüllten Au
gen dem Vater entgegen. Sonst, wenn
sie meckert«, die Ziege, riß der betrun
kene Mann die zitternden Kleinen von
ihrer Lagerstätte herunter und schlug
so lange blindlings aus sie ein, bis er
nicht mehr konnte auf die unterste
Ofenbank sank; von dort warf er seine
Stiesel, feinen Rock und was er sonst
zu erreichen vermochte, den wimmern
den Kindern nach, die blutend und zer
schunden in ihr armseliges Nest krochen
und. Wange an Wange, sich in den
Schlaf weinten.
Hatt« jedoch die Ziege ihr Futter be
kommen, ließ der Mann die Kinder in
Ruhe und nahm, da er doch einmal das
Malträtiren in der Gewohnheit hatte,
in Ermangelung von etwas Anderem
das nächste scheibenlose Fensterchen
auf's Korn. Das Lenle machte sich
aus diesen Wurfgeschosse, so lange sie
nicht seine» Kopf gefährdeten, keiner
lei Sorgen und ihr ruhig athmendes
Kindergesicht zeugt« nicht von Träu
men, die die düstere Gegenwart wieder
gaben.
Anders die Brigitt'. Mit weit offe
nen Augen lag sie da und ihr elender
Körper zuckte allemal krampfhaft zu
sammen, so oft ein Gegenstand >wn der
Ofenbank her gegen das Fenster flog.
Und wenn sich endlich in der nächtlichen
Stille die Augen der kleinen Buckligen
schlössen, so war's d«r Feldschütz, der
sie im Traume ängstigte und sie er
tappte auf ihrem Wege durch die Wie
sen, beim Stehlen des Futters; und sie
wimmerte im Schlafe und bat und
flehte: Einmal noch, einmal noch möge
er's hingehen lassen und dem Bat«r
keinen Strafzettel bringen, sonst
schlag- er sie todt er hatte es gesagt
noch «inen Strafzettel und er schlage
sie todt.
Schweißgebadet fuhr das Kind aus
dem Schlaf und setzte sich auf mit be
benden Gliedern, indeß die schmale,
eingesunkene Brust nach Athem rang.
Und sie saß und starrte in's Dunkle
und böse, seltsame Wünsche reiften in
der jungen Brust. Heiß, inbrünstig
sehnte sie sich nach d«m Tode ihres Pei
nigers, der da unten lag und schnarchte
und dessen harte Hand ihr so viel
Schmerz anthat. Und „Schlag'
ihn mit Deinem Blitz todt, Gottvater,"
lautete die Bitte, welche allnächtlich
aus der baufälligen Hütte des Balthes
Trönkle zum Himmel stieg.
Des Morgens wanderten die Kinder
aus; das Lenle mit der Sichel unter
der Schürze, die Brigitt' mit einem
Sack unter dem Rock; sie nahm sich
neben dem rosigen, hellblonden Kinde
wie «in Schatten aus, wie das Elend
und Leid neben der Kraft und Gesund
heit; allein ihr tatzenartiger Blick sah
und prüfte Alles und ließ sich keinen
Vortheil entgehen. Mochte das Lenle
in Gottes Namen vor Hunger weinen,
wenn nur sie, die Brigitt', satt wurde.
Mit einer List, die nicht ihres Gleichen
hat!«, schwindelte sie der Schwester das
Stückchen Brot aus der Hand, den
Schluck Milch von den Lippen; und die
Püffe und Ohrfeigen, die der Vater
Tags über, im Zustande der Nüchtern
heit, austeilte, sie trafen immer nur
das Lenle; denn die Brigitt' wußte es
die Schuldige war.
„Es ist so dumm, daß es singt,
Wenn's stiehlt," verklagte sie's beim
Vater, den sie wie eine Katze umschmei
chelte, um es dann freilich immer wie-
Abends, wenn er betrunken war, keinen
Unterschied zwischen ihr und der
Schwcster zu machen im Stande war.
Schwester in verbissenem Groll die
Worte murmelte: „Wenn er doch gleich
todt hinfiel'!"
Es wollte überhaupt nichts vom
so herrlich, ihn zu überlisten, und wie
es die Brigitt' verstand! Gerade als
habe sie zwanzig Augen im Kopf, statt
zwei; das Lenle in seiner Unvernunft
empfand die ganz: Sache als ein pures
Vergnügen, während die Brigitt', die
Todesangst im Herzen, wie um ihr Le
ben spielte. Sie ahnte die Nähe des
Gefürchteten oft, bevor sie ihn sah, und
wenn es vorkam, daß der Feldschütz die
kleinen Diebinnen bei der That er
tappte. da war sie, die Brigitt', stets
die Unschuldige.
„O nur keinen Strafzettel, nur kei
nen Strafzettel," fleht« sie den Mann
an, „denn sonst schlägt uns der Vater
alle Zwei todt, und ich hab' doch nicht
stehlen wollen, das Lenle allein hat's
gethan."
Und der Feldschütz ließ sich von dem
jammervollen, in Thränen aufgelösten
Geschöpf immer wieder bethören, gab
in Gottesnamen d«m gesunden L«nle
ein paar Ohrfeigen und kündigte den
Strafzettel für das nächste Mal an.
Eines Tages schrieb er si« denn auch
auf, und Brigitt's Ber«dtfamkeit, ihre
Thränen und auch die Drohung der
Vater schlagt uns Beide todt machte
keinen Eindruck mehr.
„Nein, jetzt ist's aus," erklärte er,
„jetzt giebt's einen Strafzettel und
damit fertig."
Die Brigitt' nahm das weinend«
Lenle bei der Hand:
„Trag' ihn nur hin, trag' ihn hin,"
schrie sie dem Feldschützen nach, „aber
das sag' ich Dir, todtschlagen lassen
wir uns nicht lieber machen wir uns
selber todt."
Der Feldschütz lachte und schaute ih
nen nach, wie sie über die Wiesen eilten
und dann den kleinen Pfad einschlugen
hinauf zum Felsen.
Droben auf dem grünen Fleck wei
deten die Ziegen des Dorfes, gehütet
von einem steinalten Hirten, der saß
und strickie und die Kinder nicht weiter
beachtete.
Die Brigitt', das Lenle bei der Hand
haltend, zerrte es vor bis zu jener
Stelle, wo der Fels sich jäh vornüber
theils über die Wiese, theils über den
Abgrund neigte. Und die kleine Buck
lige deutete hinab in die Schlucht, aus
der das dumpfe Toben der Alb stieg.
„Da da ist's," flüsterte das Kind,
„da müssen wir hinunter,dann sind wir
todt."
„Das Lenle riß die Augen weit auf:
„Ich will aber nicht todt sein."
Brigitt' hatte nur einen vsrächtlichen
Blick sür diese Aeußerung und hockte
sich nieder, indem sie vorsichtig den Rock
um's Haupt schlug, denn es regnete,
und die Sonne stieg hinter dem Dörf
lein in einen schwarzen Wolkensack;
drunten aus der Wiese beeilten sich die
L«ute, das Heu unter Dach zu bringen,
und da und dort schwankt« ein voller
Wagen dem Dorfe zu.
Die Brigitt' schaute über das Alles
weg: „Was hat man von dem Leben,"
murmelten ihre Lippen, „immer die
Gais, die Futter will, und der Vater,
der drein schlagt das ist Alles —'
„Aber vielleicht," meinte das Lenle,
und «in freudiger Schimmer ging über
fein G-sichtchen, „vielleicht giebt uns
die Nachbarin an Weihnachten wieder
Gipfel."
„Im Himmel kriegt man alle Tage
Gipfel," warf di« Brigitt' hin.
„Glaubst Du?" kam es etwas zwei
felnd von des Kindes Lippen, „aber
ich will doch lieber nicht sterben," setzt«
es gleich darauf mit «inem heftigen
Schütteln des Kopfes hinzu.
„Dann geh' nur allein Futter ho
len," sagte die Brigitt', „ich mach' nim
mer mit."
Es zuckte keine Muskel in dem har
te» Kindergesicht, und der Blick.der zum
letzten Mal das Bild der Heimath in
sich aufnahm, drückte keine Wehmuth
„Sei nicht dumm," sagte sie zum
Lenle, „was besinnst Dich lang?"
„Aber dieGais muß ja oerhungern,"
stammelte di« Kleine.
„Geschieht ihr recht, sie soll nur
drausgehen.'
Lenle suchte nach «inem neuen Ein
wand: „Alle Leut' beten zum lieben
Gott, wenn sie sterben, wir wollen auch
beten."
Brigitt' schüttelte den Kopf: „Das
ist nicht nöthig, wenn man's so schlecht
gehabt."
„Am End' könnt's aber doch nöthig
sein," beharrte das Lenle. worauf die
Schwester mit einem Achselzucken wie-
„Dann geh' nur allein Dein Futter
Jetzt überkam di« Klein« ein tiefes
Angstgefühl:
„Brigittlc," bat sie, „komm heim, ich
zeig' Dir was, ich hab' ein kleines
Püpple von der Nachbarin Hinte» im
Garten vergraben ich hol' Dir's.
Brigittle —"
Si« wollte davon eilen, allein die
Schwcster hielt sie fest:
„So, Du hast was vor mir verstcckt
gelt, Du denkst, jetzt haltet ihr zu
sammen, Du und die Nachbarin, und
Du kriegst Alles allein und darfst bei
ihr in der Stub' sitzen aber die
die ist auch so schlecht,» die ist so schlecht
wie der Vater wart' nur, bis sie
Dich hat. dann zieht sie Dir die Haut
über die Ohren."
Auf der Wiese, di« Bauern waren
nicht wenig erschreckt, plötzlich zw«i
auf einen dicht am Abgrund liegenden
Hiuhausen. >
Jetzt liefen die Leute zusammen und
ein großes Geschrei entstand, als sie in
dem besinnungslosen Kind des Balthes
Trönkle Lenle erkannten. Jemand
lief nach dem Bater der Kleinen; zu
gleich mit ihm kam der Feldschütz und
sein Weib.
Trönkle starrte wie ein Blödsinniger
in die Schlucht, als man ihm das
Schicksal seines ältesten Kindes mit
theilte; die Nachbarin aber warf sich,
in lautes Weinen ausbrechend, über
„Abgestürzt?" fragte der Geistliche,
der mit dem Bürgermeister herb«igeeilt
„Ich w«!ß nicht," stotterte der Feld
schütz, „ich hab' sie beim Futterstehlen,
getroffen und aufgeschrieben, da hat
die Brigitt' gesagt, der Vater schlag''
sie todt, und mir nachgerufen todt
schlagen ließen sie sich nicht, sie wollten,
sich lieber selbst todtmachen."
In diesem Augenblick kam der alte-
Hirte, der auf dem Felsen droben die
Ziegen hütete, ganz aufgeregt über die
Wiese gerannt.
„Jesus Maria, Jesus Maria,"
keuchte er schon von Weitem, „was ist
geschehen, was ist geschehen 's Bri.
gitt' hat's Lenle vom Fels hinunter
gezerrt ich denk', sie machen Spaß
auf einmal ist's geschehen."
„Das ist ja fürchterlich!" entsetzte
sich der Geistliche, und der Bürgermei
ster fügte hinzu: „Mord und Selbst
mord unter Kindern!"
Inzwischen aber hatte des Feld
schützen Weib dem Lenle das Hemd von
den Schultern gerissen, um nach dem
Herzschlag des Kindes zu lauschen
und da, welch' einen Anblick bot der
kleine, mit blauen Mälern, Schwielen
und Striemen über und über beleckte
Körper.
„O du Leiden Christi," schrie die
Frau auf. „da schaut her. schaut Alle
her so Einem gibt Gott Kinderk
Um ein bisle Futter, das gestohlen
wird, kümmert sich's Gericht, aber
«inem Trunkenbold legt Keiner was in
den Weg, und wenn er seine Kinder
bis in den Tod treibt. Ja wohl, Herr
Pfarrer, der dort, der Vater ist's, der
die fürchterlich« That gethan auf
den allein kommt sie, nicht auf die Kin
der. Bin ich nicht bei Euch gewesen
und beim Bürgermeister zwei-,
dreimal hab' ich's Euch an's Herz ge
legt— dem Trönkle seinen Kindern
muß man helfen, die muß man reiten,
hab' ich gesagt, bevor es zu spät.
Aber's hat sich keiner gerührt, Ihr nicht
und der Bürgermeister nicht —. ich soll
schweigen, hat's geheißen, 's geh' mich
nichts an, ich soll vor meiner eigenen
TWr kehren. Jetzt aber schweig ich
nimmer, denn hättet Ihr auf mich ge
hört. das Unglück wär' nicht geschehen.
Für's Trinken freilich, da habt ihr
Männer alle ein Verständniß und
meint, was im Trunk geschieht, das sei
keine Siind'. und Keiner denkt dran,
daß er seine Kinder in's Laster treibt,
wenn er im Rausch heimkommt, und
sie's mit ansehen müssen, was der
Wein aus ihrem Vater gemacht. Der
aber" und sie wies mit ausgestreck
tem Zeigefinger auf den an allen Glie
dern zitternden Trönkle hin „nein,
weg da," schrie sie ihn an, als er mit
linkischer Geberde sich dem Lenle nä
hern wollie „Du hast kein Kind
mehr, Du hast D«in Recht verscherzt
und magst Dir sagen: ich hab' sie Beide
in den Tod getrieben das da gehört
jetzt mir. Ja wohl, Herr Pfarrer, und
Ihr sollt' mir helfen, daß er's ver
spricht da, vor allen Bauern
und's Euch schriftlich gibt, daß er von
dem Kind läßt, denn der giebt's Trin
ken nimmer auf, und an dem armen
Geschöpfe könnt Jhr's sehen, wie der
seine Pflicht verstanden hat. Ich hoff,
Herr Pfarrer. Ihr wßt mich nicht wie
„Nein, nein," sagte der geistliche
Herr, „wenn's Eurem Mann recht ist,
und Ihr das Kind wirklich ausnehmen
wollt, so will ich mit '-em Trönkle schon
fertig werden."
„Ja, mir ist's recht, Herr Pfarrer,"
erklärte der Feldschütz, wurde aber von
Trönkle unterbzochen, der mit etwas
unsicherer Stimme aufzubegehren
suchte.
Aber da hießen sie ihn Alle schwei
gen. die Männer und Weiber, die da
standen und lauschten; mit einem
Schrei der Wuth und Entrüstung
rückten sie auf den Trunkenbold ein,
der sich erschreckt hinter den geistlichen
Herrn flüchtete; er sah, er war allein,
«s stand ihm Niemand bei, er hatte in
der That fein Recht verscherzt.
Die Frau aber nahm das Lenle in
ihre Arme, das jetzt die Augen öffnete
und. noch halb betäubt von dem Sturz,
sich ängstlich an den Hals seiner Be
schützerin klammerte.
„Ja. Du gehörst jetzt mir," sagte
diese, „Du bist jetzt mein Kind da
rum hat mir unser Herrgott keines ge
geben, damit ich Dich in mein Haus
aufnahm' und gut' mach, was an D'r
Böses geschehen."
Das Lenle schaute sie angstvoll an:
„Aber die Gais, darf ich sie auch mit
nehmen und sie alle Tage füttern?"
..Es soll ihr an nichts fehlen," ver
sprach die Frau und schritt mit dem
Kind davon; hinter ihr stand Alles und
starrte ihr nach, und auf der großen,
weiten Wiese herrschte Todesstille.
An der Stelle aber, wo des Balthes
Trönlle Brigitt' den Tod gefunden,
errichtete man eine Tafel von Holz,
welche einen Engel aufwies, in blauem
weinte, darunter stand: „Herr, sei der
arme» Kleinen gnädig!'
Manchergeh timmer leer
aus, weil er bittet, wo er fordern, und
fordert, wo er bitten sollte.