Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, February 22, 1895, Page 3, Image 3

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Gin
Genie der Tlmt.
(12. Fortsetzung.)
„Schön," sagte er plötzlich kalt, aber
mit zusammengebissenen Zähnen.
„Schön, Du hast Dich entschieden. Du
willst ihn behalten. Nun, so behalte
ihn! Sei glücklich mit ihm! Aber geh
mir aus den Augen. Ich will Dich
nicht mehr sehen. Geh zum Onkel. Laß
mich und mein Unglück ollein. Wer
nicht für mich ist, wer in dem Elend,
das uns getroffen hat, da? Herz hat,
sich zu verlieben und verloben, gehört
nicht mehr zu uns. Du packst auf der
Stelle Deine Sachen verlässest auf
der Stelle mein Haus! Ich habe keine
Tochter mehr. Setze Dich hin, schreib
Deinem Onkel! Da hast Du Dich ja
immer wohler gefühlt, als unter mei
nem Dach. So geh für immer dahin.
Ich werde es ja nicht mehr lange ma
chen, dann bist Du ein unabhängiges,
reiches Mädchen und hast Dein Thun
und Lassen."
Da lag Annie mit einem Male zu
seinen Füßen, hob die bittenden Hände
und das -hränenüberströüite Gesicht zu
ihm auf.
„Fort!" knirschte er und stieß mit
beiden gehobenen Fäusten nach ihr. die
dünnen allen Lippen von den gelben
Zähnen ziehend und scheu sprang
sie auf, floh vor ihm zurück bis an ihr
das sie ihr nasses Gesicht wühlte,
schluchzend und zitternd am ganzen
Körper.
Einen Augenblick schaute er mit
höhnischer Grimasse aus das knieende
Mädchen dann lief er aus dem
Zimmer, die Thür wild hinter sich zu
werfend.
Ach, so lanae hatte er geschwiegen,
hatte seinen Grimm und seinen Gram
in sick gefressen, die Lippen zusammen
gebissen, nur hie und da ein Wort über
sie gehen lassen jetzt war es endlich
dazu gekommen, er wußte nicht wie,
daß er sich einmal Lust machte, alle
Verzweiflung, allen Zorn ausschüttete
es war am unrechten Orte geschehen,
er hatte es alles über sein Kind aus
geschüttet saß nun wie vernichtet in
seinem Rohrstuhl an seinem altenPult
ächzt- stumm, daß er den letzten
Menschen von sich gestoßen, den er
außer Johannes noch besaß preßte
die Fäuste auf seinen Mund, wankte
mit dem Oberkörper nach vorn und
, hinten und fühlte in greulicher, herz
zerreißender Freude, daß nur noch eine
Brücke ihn mit der Menschheit ver
band sein Sohn. Und es drückte ihn
fast in der Erregung des Augenblicks,
daß er diese Noch nicht abgebrochen.
Johannes war nicht zu Haus, hatte
nichts von der Szene erlebt; und es
war ein Glück, daß er nicht jetzt gerade
heimkam d-nn der alte Mann hätte
nicht gewußt, was er thäte wäre der
Jüngling ihm nunmehr unter die Au
gen getreten.
Als er eind Zeitlang so gesessen, zog
er seine Schlüssel aus der Tasche,
nahm Geld aus dem Geheimfach des
Sekretärs, versucht? im Kopse auszu
rechnen, wie viel er zu seinem Vorhaben
braucht-, brachte es aber ohne Feder
und Papier nicht heraus.
Als die Rechnung stimmte und er
das Fach wieder hatte in seine Feder
springen lassen, ging er hinüber in die
Wevkstätte und gebot Feierabend.
Der Werkführer mußte die Arbeiter
aus den drei Stockwerken des Seiten
flügels, wo die Feilen und Zwickelsägen
raspelten, die Fräsmaschine» gingen
und das alte Durchstoßeisen noch in
Thätigkeit wer, zusammenrufen, und
als die Leute alle um den Herrn her
umstanden, hieß es. die Werkstätte
müsse geschlossen werden.
„Ihr wißt alle, wus geschehen,"
sagte Heinrich Graaf. „es ist mir seit
heute morgen keine Ehre mehr, mich
als preußischen Staatsbürger zu be
trachten, ein arbeitendes, initthätiges!
Glied dieses Gemeinwesens zu sein.
Ich scheide aus dem Gewerk. In kur
zer Zeit werde ich wegen eines gemeinen
Diebstahls vcrurtheilt und in's Ge
fängniß gesteckt werden. Einen solchen
Arbeitsherrn sollt ihr, ehrliche Arbei
ter, nicht haben. Der Betrieb ist zu
Ende. Es ist Feierabend. Ihr seid alle
gekündigt. Euer Lohn für die abgelau
fene Arbeitswoche und auf sechs fer
nere darüber hinaus iverde ich euch so
fort auszahlen. Seht euch nach ander
weitiger Arbeit um. Wer heute über
sechs Wochen noch keine gefunden,
komme wieder zu mir ich will ihn
dann weiter unterstützen. Ihr habt alle
stets treu zu mir gestanden, so lange
ihr mich für einen ehrlichen Mann hiel
tet ich danke euch dafür und möge
«s euch gut gehen. Wir haben zusam
men Tüchtiges geleistet, das wird euch
allenthalben Empfehlung fein. Aber es
würde über kurz oder lang do-h nie
mand mehr von mir Waare biziehen
mögen.Darum höre ich lieber ohne wei
tere Kränkungen selbst auf. Noch ein
mal, Jungens, laßt's euch gut gehen!
Friedländer," er wandte sich dem
Werkführer, „da hast Du da? Geld,
zahle sie aus, wie ich es eben bestimmt
habe. Es ist in Ordnung ich hab'
es selbst nachgezählt! Adieu!"
Damit wendet« er sich rasch 'ib und
lief hinaus. Er wollte nicht schen las
sen, daß er die Thränen in den Augen
hatte.
Ms nachher der Werkmeister zu ihm
kam, um ihm den Dank der Arbeiter
zu sagen gern hätten sie noch einzeln
von ihrem alten Herrn Abschied genom
men da stellte ihm Heinrich Graaf
frei, sich von den vorhandenen Maschi
nen, Arbeitsmitteln und Rohmateria
lien so viel zu nehmen, als genügte,
um einen selbstständigen kleinen Be
trieb zu beginnen. Und obezein gab
«r dem Manne, der gegen sieben Jahre
in seinem Dienst gestanden, eine
Summ«, die ihm helfen sollte, sich zu
«tabliren. Mit vielem Dank und in
ehrlicher Rührung ging der so sorglich
Belohnte davon.
„Alle diese werden nicht schlecht von
mir denken," sagte sich Graaf, „so
lange wenigstens, wie das Geld reicht.
Aber für unklug werden sie mich hal
ten bah!"
Es dunkelte schon beinahe.
Aber er hatte sein Werk noch nicht
Er nahm Stock und Hut und ging
in seine Ladengeschäfte, deren er drei
in verschiedenen Theilen der Innen
stadt unterhielt, eins am Werder'fchen
Markte, eins in der großen Friedrich
straße, eins in der Königstraß« unweit
der Kolonnaden.
Diese Geschäfte wurden von alien
„Mamsellen" geleitet, denen Graaf die
Waaren lieferte, mit denen er allwö
chentlich abrechnete und die auch von
feinem Hause aus beköstigt wurden
eine Einrichtung noch ganz aus der
vergangenen Zeit. Sonntags und an
besonderen Festtagen mußten sie an
oder erhielten, na
tcn Mädchen gern in's Grüne nach dem
Grunewald schickt-, dafür eine Extra
vergütigung.
Wie erstaunt w»r Fräulein Julie in
der Friedrichstraße, eine Angehörige
der französischen Kolonie, in der Fami
lie „Jilly" genannt, als l>eute Abend
der Herr bei ihr eintrat, ein eigen
thümlich verstörtes Gesicht zeigte und
sie fragte, ob sie das Geschäft taufen
wolle.
„Herr Graaf, dazu reichen meine
Mittel nicht!"
„Alte Heuchlerin," das war unge
fähr der Ton gemüthlicher Grobheit,
in dem Graaf mit den Mamsellen ver
kehrte, „ich weiß besser, was Sie sich
bei mir erspart haben, als Sie selber,
denn keiner hat es Ihnen je angelegt,
als ich. Sie haben jetzt etwa sechszehn
üausend Mark beisammen —"
„Du meine Güte!" rief Fräulein
Jilly. „So viel ist es ja nicht. Nach
dreitausend Thaler!"
„Sei'n Sie still! Ich weiß es besser,"
fuhr der Herr sie an. „Ich werde En
gelhardt sagen lassen, daß er Ihnen
die Abrechnung schickt. Sie sind beinahe
dreiundvierzig Jahre bei mir. Ihren
Lohn von all der Zeit haben Sie fast
immer sparen können, denn was Sie
gebrauchten, dafür hat meine Frau ge
sorgt! und Essen und Trinken hatten
Sie. Das ist alles angelegt, mit Zins
und Zinseszins, den Sie alte Thörin
natürlich zu berechnen vergessen; und
dazu haben, macht es soviel Sie lesen
wohl keine Zeitungen thun auch
ganz recht daran! Sonst würden
Sie wissen, Jilly, daß die italienische
Rente, die ich Ihnen vor Jahr- und
Tag mit S 8 gekauft, 98 steht."
„Achtundneunzig?" Und die alte
Jungfer schlug in freudigem Schreck
die Hände über dem Kopf zusammen.
„Da h.it Sie Ihr Geld beinahe ver
koppelt!"
nicht allein. Wird Ihnen die Sache
'mal zu schwer, so verkaufen Sie Ihr
Geschäft und haben dann etwa fünf
hundert Thaler Rente; damit kommen
u" s'tz
versah, seine Hand an ihr« welken
Lippen.
„Alle Donner!" fuhr der Herr auf.
'"Scheies so. .tt>uu.
Ebenso sorgte er für seine andren
beiden Mamsells, die gleicherweise be
reits ein Menschenalter in seinem
Die Verträgt mußte am nächsten
Tage Johannes bei Riehm machen
lassen und seine Unterschriften neuen
die des Baters setzen.
Sein Sohn sah mit Unrnhe, daß er
sein Haus bestellte, wendete aber nichts
ein. Er hatte ja einen andern Beruf
ergriffen, und das Familienvermögen
mindert! sich durch die Liberalität des
Vaters nur unwesentlicki auch war
zwischen ihnen beiden früher schon be
sprochen, daß im Falle plötzlichen Ab
lebens in ähnlicher Weise für die alten
Treuen desHauses gesorgt werden solle.
Am nächsten Tage auch ging Johan
nes im Austrüge des alten Herrn hin
und inserirtc Haus und Fabrik. So fest
Heinrich Graaf an dem Namen „Werk
stätte" für seine Kammfabrik gehalten,
für die Verkaufsanzeige ließ er sich
stillschweigend daZ modernere Wort,
das der Sohn aufgeschrieben, gefallen.
„Was soll werden, Papa," fragte
Johannes an diesem Morgen endlich,
„wenn wir alles verkauft haben?"
„Ich will mich zur Ruhe setzen, bin
elt genug!"
„Weiß noch nicht. Hier nicht hier
bleib' ich nicht! Warst Du bei Deinem
Onkel? Will er Deine Schwester zu sich
nehmen, bis alles in Ordnung ist?"
„Ja er möchte Dich gern ein
mal sehen, läßt Dich herzlich grüßen,
Du sollst die Dinge nicht so schwer,
nicht so sentimental nehmen!"
„Sentimental? Er hat gut reden!"
xvm.
torietät gebreicht.
Er war aufgetaucht, wie ein Me
teor in allen Zeitungen und Zeit
schriften von Ruf war sein Name, be
fanden sich Beiträge von ihm.
Er schrieb täglich zweihundert Zei
len so hatte er (bei unverbrüchlicher
Scmntagsruh«) in diesem Sommer
zwei längere Romane, fünf Novellen
un» einundzwanzig Feuilletons, Skiz
zen, Nov-lletten in stetiger, allerdings
etwas handwerksmäßiger Arbeit zu
stande gebracht, welche Summe von
Fruchtbarkeit ihm sozusagen llberNacht
seine Stellung in der Zunft geschaffen.
Des Morgens lag eine gewisse An
zahl von Blättern weißen Papiers ge
schnitten auf seinem Schreibtisch
Abends waren sie aufgebraucht er
ging nicht el)er zu Bett, ehe fein Ta
geSpensum abgearbeitet.
„Woher bekommt der Mann denn
alle diese „Stoffe?" fragt der stets
fdoffhungrige moderne Autor.
Graf Breying war eine praktische
Natur.
Sein Grundsatz lautete: „In heu
tiger Zeit kommt es nicht so sehr
darauf an, etwas zu können, als etwas
zu thun!"
So that er etwas.
Er las geläufig Französisch, einiger
maßen Englisch. Die französische, die
englische Literatur ist ja so reich
kleine Anleihen schaden ihr nichts.
Hatte er ein«n Roman von sa
rarl oder sonst einem weniger Ueber
setzten gelesen, so vergegenwärtigt: er
sich noch einmal die Handlung, verein
fachte sie, komprimirte sie sozusagen,
bis ein Novellen- oder Novelettenstofs
»araus geworden. Der Schauplatz
wurde verlegt, immer an einen Ort,
den Breying aus eigener Anschauung
genau konnte des Lokalkolorits we
gen. Die dem deutschen Publikum nicht
zusagenden Jndecenzen in Personen
und Handlung wurden sorglich aus
gemerzt uns ersetzt; selbstredend wurde
jeder französische Krämer ein deutscher
„Onkel aus der Provinz", jede Grisette
ein naives Pensionsfräulein, jede Type
von jenseits des Rheins in eine der
guten alten stets wirkungsvollen Fi
guren des deutschen Romans oder des
deutschen Theaters umgewandelt, die
von jeh» entzückt, belustigt, gerührt
Ein gewilies Maß von Intelligenz
und Feder gehörte zu dieser Art Arbeit
immer noch aber das und den ent
sprichenden Fleiß besaß er ja.
Die Idee war übrigens nicht von
ihm selbst er hatte sie einem andern
abgsguckt und für praktisch befunden.
Als er einmal in einem Berliner
Blatt eine höchst dezente und span
nen»« Skizze fand, die er sofort als
eine geschickte Umarbeitung eines der
zweifelhaften Stoffe aus' Boccaccios
Dekamerone erkannte, da war ihm sei
ne künstige Arbeitsmethode klar; er be
schloß, es ebenso zu machen, nur ge
schickter, so daß man die Quellen nicht
nachweisen könnte.
Allein er beschränkte sich nicht auf
„Umprägung" französischer und eng
lischer Arbeiten er nahm seine
Stoffe überall, wo er sie fand.
die Stupidität. Was Neues saugt ihr
Mann!"
Der große Brite hat einen König
Lear geschrieben welch herrlicher
Stoff.
Turgenjeff ist> so begeistert davon
gewesen, daß er alsbald einen „König
Lear der Steppe" in russischemßauern
kslorit daraus machte schön, seien
wir ebenso begeistert, schneiden wir
uns aus dem Königsinaniel einen mo
platz nach Schöneberz zu den reich ge
wordenen Bauern, denen ob ihres plötz
lichen MillionenseMs überhaupt
geschickte", eingedickt natürlich auf
etwa sechshundert Druckzeilen und mit
treuester Lokalfarbe überpinselt.
Redaktionen, dann dem Publikum,
überall zur Mitarbeilerschift aufge
fordert werden, in allen Quartalsan
was soll denn ein Schriftsteller eigent
lich noch mehr von seiner Muse ver
langen. Narren diejenigen, die sich zum
„verlorenen Haufen" schlagen, voran-
springen, eine ehrenvolle erste Lanze in
den Feind werfen wollen, sich drmn
reißen, diz Geistesschlachten »es Jahr
hunderts mitzuschlagen!
Breyings Arbeiten waren in keiner
Weise originell, packend, zündend, be
geisternd aber sie waren immer gut
l brauchbar, stets von d«r genehmen
Länge, sich in den Rahmen des Ta
gesbedarfs einfügen zu lassen, stets
glatt, unterhaltend, das Lesebedürsniß
befriedigend - item, er war einer der
„beliebtesten Erzähle?', sein war der
Erfolg!
Und als er ein halbes Jahr lang das
Tagesst.roh der Lokalredaltion gedro
schen, machte ihn sein Vreleg-r zum
Leiter des Feuilletons, gewährte ihm
ein großes Gehalt, einen langen Kon-
Oheim hatte er am nächsten Morgen
durch ein Billet des Mädchens erfahren.
Sie bat ihn darin, rasch ihrem
bekannte Allee bei Schloß Bellevue
herabzukommen, wenn er sie sehen
wolle.
Breying wartete zunächst, bis er von
ten.
Schicksal.
erinnern, nnd von neuem bäte, seinem
Wunsche zu willfahren.
Ehe er hierauf noch ein« Antwort
verkauft habe der Tag der Verhand
lung gegen den alten Mann war da,
und dieser wurde unter Annahme al
ler mildernden Umstände zu einem
Tag« Gefängniß verutheilt.
Er Halts nicht hingehen wollen es
hätte ihm nichts geholfen Johannes
mackte ihm klar, daß er sich damit nur
»er zwangsweisen Abholung durch
Schutzleute aussetze.
Er hatte auch daran gedacht, zu flie
hen allein er sagte sich, daß dann
vermuthlich in allen Zeitungen hinter
ihm Steckbriefe erlassen würden, und
daß er damit seiner Familie noch mehr
schade, als wenn er sich stelle, Urtheil
Der alte Justizrath suchte ein Bild
aneigneten. Graaf hat draußen am
Wedding Berlin im Jahre 1873 von
genommen und sich nichts dabei gedacht.
Diebstahl betrachten wollen!"
genommen hätte." '
Der andre Vertheidiger Graafs wies
auf dessen Gemiithszustand hin, stellte
alle die thörichten Schritt« dar, die der
alte Mann unternommen, seit die An
gelegenheit wieder aufgelebt, und zeigte,
Diebstahl sei oder nicht. Er hätte den
selben ja thatsächlich vorher bezahlt
und konnte bei seinen unklaren Vor
itt vollster Erregung aufsprang und
ihm zurief: „Zum Verrückten wollen
Sie mich stempeln? Sie irren sich, Herr
Rechtsanwalt, ich bin völlig klar, war
mir völlig klar über die Tragweite
meiner Handlungen! Glauben Sie ihm
nicht, mein« Herren. Ich brauche solche
Ausflüchte zu meiner Entschuldigung
nicht. Der Stein war mein ich war
im Recht, und daran können tausend
richterliche Erkenntnisse nichts ändern!"
Der Vertheidiger un» der Vor
sitzende gliichzeitiz brachten ihn zum
Schweigen aber die Stimmung im
Saal war von diesem Augenblick an
die, daß der unkluge alt« Mann sich
selbst den Hals gebrochen habe.
Einer der Schöffen erbat sich eine
Frage an den Angeklagten.
„Entsinnen Sie sich genau, daß der
Stein von Ihrem Vater bezahlt wor
den ist, als er gesetzt wurde?" fragte er.
„Den Stein kenne ich von meiner
Kindheit an," war Graafs Antwort.
„Erst stand er mit einem gleichen an
unsrer Thoreinfahrt, links einer, rechts
einer. Dann bat sich der hochfeligePrinz
Karl für seine Sammlung einen von
den beiden von meinem Vater aus. Er
wollte ihn kaufen mein Vater aber
litt das nickt, sondern machte ihn Sei
ner Königlichen Hoheit zum Präsent,
was huldvoll angenommen ward. Die
ser Stein befindet sich noch jetzt in der
Sammlung zu Schloß Glienicke. Je
der, der dort Einlaß findet, kann ge
hen, sich ihn ansehen. Der andre wur
de, als die Stadt jenseits des schma
le» Bütgersteiges bei der Einfahrt zur
Quergasse einen Prellstein brauchte,
um ungefähr vier Fuß vorgerückt und
stand seitdem nicht mehr unmittelbar
an unsrer Hausthür, sondern jenseits
des Rinnsteins am Straßendamm!"
„Haben damals Verhandlungen
zwischen Ihrem Vater und der Stadt
über das Besitzrecht an dem Stein statt
gefunden?"
„Weiß ich nicht. Ich war noch zu:
jung und zu dumm dazu, mich um der
gleichen Dinge zu kümmern. Ich habe
ihn immer als unsren Stein ange
sehen."
„Er war aber nicht mehr der Ihre!"
bemerkte der Richter. „Es unterliegt
keiner Frage, daß er von Ihrem Vater
der Stadt geschenkt worden ist, als er
auf den Damm gesetzt wurde. So hat
auch »er Zivilrichter entschieden. Und
das war Ihnen auch klar sonst wä
ren Sie nicht bei Nacht und Nebel hin
gegangen, ihn aus der Baubude weg
zunehmen. Ihr Glück ist nur, daß es
eine offene Baubude war sonst wür
den Sie damals im überquellenden
Drange Jhresßechtsgefühls einen Ein
bruch begangen haben!"
Als er sich abwenden wollte, fragte
der Vorsitzende, bemüht, den Prozeß
aus den Alten und der Welt zu
schaffen: „Sie verzichten wohl auf eine
Berufung?"
Und Graaf, ehe noch der Vertheidi
ger dazwischentreten konnte, in felbft-
Recht zu bekommen!"
Am Nachmittage desselben Tages
war Breying bei ihm, hatte in der
bung mündlich an.
„Nehmen Sie sie," fuhr Graaf auf.
„Ebrenmaiin, der Sie fein müssen,
Breying sah sehr ernst und feierlich
ans, war in vollster Toilette: „Ich ver
arge Ihnen Ihre Erregung nicht, Herr
verliebt haben? Mit dem Schwieger
vater, verspreche ich Ihnen, sollen Sie
nicht mehr viel zu thun haben. Der geht
Also ich bin Ihnen für den Edel
wuth Ihrer Handl'ungSwiis« nicht
> weiter dankbar."
„Meiches Mädchen/" Dies Wort
nahm Breying auf. „Ich versichere
Sie, Herr Graaf, deswegen "
„Will ich ja auch gar nicht gesagt
ruhten schwer auf den Armlehnen des
Korbgeflechts, und er sprach mit apa
thischer, dumpfer Stimme, als sei er
aus. Mag sie nehmen, wer will. Hab'
mich selbst nicht schützen können
wie soll ich mir erlauben, anzuneh
les aus, alles aus! Unser alter Kaisei
liegt krank er wird sterben, Moltte
ist alt, Bismarck ist alt, »er Kron
prinz wird auch schwerer leidend sein,
als man's wahr haben will; Berlin
brandmarkten Namen los wird!" Und
er klappte mit der Hand auf du
Stuhllehne.
Breying saß stumm, suchte nach
Worten.
nein prüfenden Blick aus den tieflie
genden, finsteren Augen zu ihm um,
„junger Herr, sagen Sie mir wenig
stens, und nehmen Sie dazu den über
stimme haben sagen Sie mir we
nigstens, daß Sie den ehrlichen Wil
sen hegen, das Mädchen glücklich zu
machen!"
Der ächzende alte Mann that Brey-
ing in diesem Augenblicke wirtlich auf
richtig leid.
„Ich will!" sagte er nnd griff nach
Heinrich Graafs Hand. Er hatte das
Bedürfniß, den Kopf vor »es andren
> Blicken zu senken so war dies
bequemste Gestus.
Aber Graaf zog die Hand zurück.
' „Nicht doch!" murmelte er. „Wei
wird einem Dieben die Hand drücken!"
und er versank in die frühere Apathie.
> Eine dumpfe Pause entstand
Breying nahm seinen Zylindsrhut auf
! der neben seinem Stuhle stand.
i „Ich will Ihnen eins sagen," begann
>er alte Mann auf's neue, „eine un-
Gatten sie trifft beide. Macht man
! seine Frau leiden, so straft man sich
i damit selbst. Es ist Egoismus, wenn
!man sich alle nur erdenkliche Mühl
l gibt, wenn man alle Vorsicht anwen
det, sich das Verhältniß zu dem Men
-5 schen, an den man nun »och wemg
-sden häuslicherßehaglichkeit. Und häus
iliche Behaglichkeit wieder ist Arbeits
kraft, Erwerbsfähigkeit, läßt sich be
hauch von vornherein überzeugt sind,
!daß, was ich sag«, Unsinn ist!"
Breying wollte widersprechen.
„Nein, nein!" sagte Graaf, „es ist
schon so. Wie soll das, was ich sage,
fortan Werth haben? Ein verurtheil
ter Mann! Wann wollen Sie meinen
Segen haben jetzt oder übermorgen
entlassen werde? Wissen Sie, ich will
! meinen Segen lieber für mich behalten.
Hat er selbst Kraft, so könnte er Ihnen
vielleicht nur schaden. Ich bin nicht
abergläubisch ich meine die inner«
Wirkung was soll Ihnen denn das
sagen und nützen, wenn ich über Sie
und Sie beide denken dabei: „Der alte
Dieb!" und meine Kleider riechen viel
leicht dazu noch muffig nach Gefäng
nißluft. Am besten. Sie machen alles
mit meinem Bruder ab und, da Sie
Sie mich im übrigen ungeschoren!"
„Siebzigtausend oder nicht!" dachte
Breying, als er die Treppe hinunter,
ging. „Das ist jetzt «gal. Der Alte ist
mehr."
Aber leid that ihm Heinrich Graas
doch. Er nahm eine peinliche. drückende
das Bedürfniß, ein paar Glas Sekt
irgendwo rasch hinunterzustürzen, um
diese Empfindung los zu werden.
„Aber wie hätte ich's denn sonst
machen können? Er hat sich die Sache
ja in seiner Unbesonnenheit selbst ein»
gebriFckt, sie durch seine Hartnäckigkeil!
selbst verfahren. Soll auch ich deswegen
niiM Lebtag den Holzhacker spiele»?
Ez kann noch froh fein, daß ein (in
ständiger Kerl keiwnt und seine Tochter
heirathet."
muß vorläufig damit feine Schulden
bezahlen und auSzukoii,.men suchen
mit dem, wc-S dann noch bleibt. Wullen
heut er hätte die Summe verisp»
pelt. Aber es wäre wider den Anstand
gewesen. Mon muß es auf feinereMif<
zu lnczen suchen!"
(Fortsetzung folgt.)
Die Mitlwe.
de» Ungarischen von Victor R-kofi
Eines Sommerabends begab ich
mich mit der Straßenbahn in's „Ka>-
serbad". Eine ganz in Schwarz ge
kleidete, korpulente Dame laß nebes
mir; ich schätzt« sie auf ihr« ISS
Pfund. Sie ließ ihren Fächer fallen,
ich hob ihn auf; sie ließ ihr Taschentuch
fallen, ich hob es auf; sie trat mir auf
den Fuß, ich machte kein Aufhebens.
All' das rührte sie so sehr, daß sie mich
ansprach:
„Lieben Sie das Horngebläfe?"
Ueberrascht blickte ich auf sie.
„Wie meinen Sie das, meine Gnä
diges"
„Ich meine, ob Sie das Horn lie
ben, wenn es geblasen wird?"
„Ich muß gestehen, meine Gnäd'ge.
darüber noch nicht nachgedacht zu ha
ben."
„Nun, ich liebe eZ nicht, und es
macht mich ganz nervös, daß dieser
Kutscher unaufhörlich bläst."
Jetzt verstand ich, was sie meinte.
„Uebrigens" fuhr sie fort
„vielleicht wirkt dieser Klang nur des
halb so auf mein« Nerven, iveil er mich
«n die Nothsignale der Schiffer erin
nert."
„Knüpfen sich daran für Sie wohl
traurige Gedanken?"
„Ach, wie traurige! Das Scheiter»
des „Albatroß" —"
„Der Herr Gemahl Seemann?"
ftirfchte ich mit tiefem Mitgefühl.
„Ja, mein Herr! Aber er legt« fein
Examen auch auf Süßwasser ab."
„Bielleicht auch auf Sauerwasser?"
fragte ich voll Empressem-nt, wurde
aber im selben Moment meines Ver-
Zweifel: sie ist Wittwe. Ihr Gatt«
Wittwe aus der Straßenbahn. Mit
alles Bestehenden. Doch verrieth
mit keinem Worte mehr, als was sie
mir schon bei unserer ersten Begegnung
mitgetheilt hatte.
Trotzdem war ich entschlossen, sie zu
meinem Weibe zu machen, und eines
Nachmittags, da der Regen in Strö
men niederprasselte und nur wir Beide
im Wagen saßen, eröffnete ich ihr
meine Absichten.
Ihr Auge leuchtete, ihr ganzes Ant
litz wurde zinnoberroth, sie schüttelte
meine Hand und sprach:
„Ich bin die Ihre, aber sprechen Sie
mit meinem Gatten —"
Ich schnellte vom Sitze empor.
„Sind Sie denn keine Wittwe?
Und der „Albatroß"?"
„Der „Albatroß"? Das war ein Ge
treideschlepper. auf der Donau und
versank mit unserem ganzen Vermögen
der Vater starb vor Gram dar»
über —" '
~"uo Gatte?"
„Lebt und ist SchissscapitSn."
„Auf dem Ocean?"
Die Frau sah mich einfältig an.
„Nein, mein Herr, auf d«r Donau,
zwischen Titel und Szegedm. Ich bin
bereit, mich von ihm scheiden zu lassen,
wenn Sie es ivüiischen!"
„Meine Gnadige, das kann ich nicht
verantworten. > Die Route Titel-Sze
gedin ist langweilig genug, warum
sollte ich die qualvolle Existenz ihres
Gatten noch mit einer Familien-Tra
gödie beschweren! Ich hätte Sie gern«
zur Gattin genommen, unter der Be
dingung, daß mein 80-gänger zwi
schen den Korallenklippen der kanari
schen Inseln im Kreis» altersgrauer
Wallfische den ewigen Schlummer
schläft; daß ich aber die Wittwe ein«K
zwischen Titel und Szegedin.lebendig
fahrenden Seecapitäns: nicht eheliche«»
kann, ist klar. Gott befohlen aus im»
Ich stieg ab. Seit jener Zeit aber
befällt mich, so oft ich einen Wagen
der Straßenbahn besteige, die S«»
krantHeit.
DaS „Zwisch«i»"-Sptcl.
Frau Dr. Z., die Gattin eines be»
kannten Schriftsteller! und Abgeordne
ten. die mit Ernst und Eifer ihren
jungen MutterpsHchten obliegt, erhielt
Mgft Besuch einer ihr befreun
iuten, «benfalls schriftstellerischen Krei
sn anghörendm Dame. Man plau
derte von allerlei Neu-Erscheinungen
auf theatralischem und uns besonder»
literarischem Gebiet, wobei man zu
fälligerweise den bekamen Jenfen
schen Zwischen Wvei Welten",
und darar anschließend eine neu er»
schienene Gdaichisaininluing, „Zwischen
zwei Nächten" und endlich das Lust
spiel .„Zwischen zwei Herzen", dessen
Neu-AzMhrung bevorsteht, berührte.
„Da werden Sie doch gewiß hingehN?"
sagt die Besucherin. „Glaube
entgegnet Frau Dr. X. „Mich in
ter-tssirt jetzt wirklich bei Weitem mehr
alt „zwischen zwei Welten", „zwischen
Mi Nächten" »nd „zwischen zwei Her
zen", „zwischen zwei Flöfchchen"
die einzige Z'it nämlich, in welcher ich
ausgehe...
I Jettrockenerein Witz ist,
! um so leichter zündet «. 3