Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 21, 1894, Page 6, Image 6

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    6 Sic Kunst. Ilch ;u kleiden.
Bon Georg Buj>.
„Die Schönheit des Körpers," sagt
Galen, „beruht auf dem Ebenmaß aller
Theile, wie im Kanon des Polykl«! ge
zeigt ist." Was ist aber Ebenmaß?
Wir nehmen an, daß es «in uns wohl
gefällig berührendes Verhältniß der
einzelnen Theile unter sich und zum
Ganzen ist. Lässt sich dieses Verhält
hältniß genau sixiren, durch mathema
tische Formeln ausdrücken, ist es das
Verhältniß dH goldenen Schnitts?
Menschliche Ertenntniß hat eine Gren
ze, und auch in diesem Falle. Das
Wesen des Ideals beruht darin, daß
es sich niemals verwiMcht. Die ab
solute Normalgestalt weroen wir nie
mals finden, denn sie ist unerreichbar
unerreichbar wie das Absolut-
Schöne.
daß die Schönheit des Körpers auf
dein Ebenmaß aller Theile beruht, wie
denn überhaupt das Ebenmaß in der
Kunst stets als der erste und wichtigste
Factor anerkannt worden ist. Wir
ges für das Charakteristische der Er
scheinungen ein Norinativ-Tchönes
gewonnen, in dem das Ebenmaß eine
stalten, bestimmen das Verhältniß der
einzelnen Theile unter sich und zum
ganzen Körper, ziehen aus di«sen Er
gebnissen das Mittel und construiren
eine Normalgestalt in der stillschwei
genden Anerkenntniß, daß sie in Folge
unserer menschlichen Beschränkung die
einzige, wahre, echte Jd-algestalt, di«
absolut schön ist, noch immer nicht
sein kann. Wir müssen uns also
begnügen mit einem Nothbehelf.
Solche Normalgestalten haben Poly
moch Bochenek, ganz abg-sehen von ei
-ner Reihe anderer Künstler und Na
turforscher, conftruirt und zur Nach
achtung empfohlen.
Die Laien gelangen, wenn auch in
schlichterer Form, auf demselben Wege
zu der scheinbaren Ertenntniß der
lschönen Gestalt: wir üben Kritik an
diesen und jenen Menschen, die uns
ergründen und sichtbar zu'veranschau
lichen sucht, wird der vom Künstler
aufgestellt- Kanon die Richtschnur ab-
Die Vorzüge der Gestalt zur Er
lcch vor, wohl aber zu der unbeding
ten Forderung, daß sich die Vertreter
und Vertret.«.'innen der Bekleidungs
kunst nach Möglichkeit mit gewissen
Anforderungen der Aesthetik und
ganz besonders mit einem guten Ka
können und überhaupt einen festen
Halt zu haben gegen Thorheiten der
Mode, die geradezu den Glauben er
wecken, als habe eine völlige Verschie
bung der Körperverhältnisse stattge
funden.
Von gewitzigten Vertretern der Be-
IleidungÄunst wird jene Forderung
als sehr berechtigt anerkannt, und es
der zahlreichen Schneiderakademien,
die in den letzten Jahrzehnten entstan
den sind, das ästhetische Moment beim
Zuschneiden eine ganz hervorragend-
Würdigung gefunden. Leider werden
die Institute, die man nur zu oft we
gen ihrer hochtrabenden Signatur be
spöttelt. noch nicht in wünschenswer
thein Umfange besucht. Die meisten
von ihnen können wirkliche Werthschä
tzung beanspruchen, da sie ihren Schü
lern und Schülerinnen neben der
praktischen auch die in unseren Tagen
ganz besonders nothwendige theoreti
sche Ausbildung« verschaffen. Wenn
ein- Schneider!-', in der Geschichte der
che» werden. Also zu belächeln sind
die Institute, welche diese Kenntnisse
zu vermitteln suchen, durchaus nicht.
fer Schneiderinnen zu bespötteln, die
in ihren Ateliers die Venus Milo, die
Medicäerin oder sonst eine klassische
Frauenfigur stehen haben, um an die-
Schon ein einfacher Kanon für ein«
weibliche Gestalt kann der Schneide
rin, die ihre Kundin verschönern will,
vortreffliche Dienste leisten. Die Nor
malfigur ist acht Kopflängen hoch,
mithin beträgt ihre Schulterbreite zwei
Kopflängen. Weicht die Schulterbreite
der lebenden Gestalt von diesem Nor
malmaß ab, so kann di; Schneiderin
durch das Costüm corrizen: si- wird
die allzu bedeutende Schulterbreite
verringern, und die allzu geringe
Schulterbreite zu steigern suchen. Mit
Vortheil wird sie auch corrigiren kön
nen, wenn sie weiß, daß bei der Nor
malfigur die Taillenbreite gleich einer
Fußlänge ist. Diese normale Taillen
breite durch Schnürungin zu einer
ganz abgesehen von den bedauerns
werthen Nachtheilen für die Gesund
heit, eine Geschmacksverirrung, die
nicht scharf genug zu geißeln ist. Ein«
von Natur zu schmal geformte Taille,
die erheblich hinter j-n« des Kanons
zurücktritt, kann hingegen, um sie dem
übrig-n Körper proportional erschei
nen zu lassen und die viel begehrt«
Schlankheit zu erreichen, durch Wat
iirung verbessert werden. Von dieser
Verbesserung machten insb«sonders die
französischen Modedamen von der Re
volution vielfach Gebrauch: sie benutz
ten zu diesem Zweck klein« Hüfttissen
und verlängerten auch die Taille des
Kleides. Leider wurden diese Hilfs
mittel in kurzer Zeit in einer solchen
Uebertreibung angewendet, daß von ei
ner Verschönerung kaum noch die Rede
Di: Damenconfection benutzt mit
Vorliebe das lebende Modell, die so
genannte „Eonsectioneuse". Jedes
größere Geschäft gebietet über ein hal
bes oder ganzes Dutzend dieser Da
men, unter denen die englische Figur,
die Normalfigur und Figuren in ver
schiedenen Stärken und Größen ver
treten sind. Ein Uebelstand bei dieser
Massenfabrikation, die ja in Hinblick
auf dss Wesen unserer heutigen Indu
strie durchaus berechtigt ist, besteht nur
darin, daß die individuellen Besonder
heiten der Käufer keine Berücksichti
gung finden können. Wer eine fo-che
Berücksichtigung beansprucht, muß auf
Massenwaare verzichten und sich einen
Anzug nach Maß „bauen" lassen. Der
geschickte Maßnehmcr wird aber nicht
ren Fällen zu Gunsten einer vortheil
haften Wirkung gewisse, nothwendig
erscheinende Correcturen nach den Nor-
Es könnte nun so scheinen, als ob
auch gewissen Moditollheiten ein Zu
geständniß gemacht werden soll. Ge
möglichst genau inne hält und aus
Sonderbarkeiten, welche eine scheinbare
Verschiebung der Körperverhältnisse
herbeiführen, verzichtet. Leider läßt
sie diesen '.llnstlerischen Grundsatz nicht
ausschließlich walten, oft unterdrückt
sie ihn sogar, um nur etwas Neues,
schäftes einen Modezwang in der siche
ren Voraussicht auszuüben, daß sich
ihm die Damen willig unterwerfen
werden. Daß txr Geschmack bei ei
nem solchen Verfahren oft zu kurz
kommt, lehren zahlreiche Beispiele: aus
jüngster Zeit mögen nur die Keulsn
ärmel angeführt werden, jene Mon
stra, die an Geschmacklosigkeit ihres
Gleichen suchen und ganz besonders
scheußlich wirlen bei kleinen, an und
für sich schon breiten Damen. Als
Princip in diesem Unsinn hat wahr
scheinlich gegoltin, die Taille durch
den Gegensatz der gewaltig gesteigerten
Schulterbreite möglichst schmal erschei
nen zu lassen. In Wahrheit sind je
doch Figuren geschaffen worden, die
bedenkliche Aehnlichkeit mit den be
ht das Ergebniß au' d-n
Bei der Bekleidung des Körpers ist
worden sind, zu durchblättern. Aber
alles Neu« entwickelt sich aus dem Al-
Der angeborene Geschmack, die Aus
wahl kostbarer, theuerer Ltosse, die
einfache Anerkennung der Tages
lich Schönes erreicht werden soll.
Den Beschluß dieser Ausführungen
mögen des Dichters schöne Worte bil
den: „Gott nur siehet das Herz.
Darum eben, weil Gott nur das Herz
Erträgliches sehen." So hat Schiller
treffend die eigentliche Triebfeder des
Schmackens und Putzens gekenntzeich
geschmackvoller Roben, Hüte, Umhänge
und Sonnenschirme ist nichts weiter
als «in Ausfluß der höchsten Rück-
Weibliche Studenten.
Ein französischer Schriftsteller Na
mens Louis Frank hat sich mit der
Frage beschäftigt, welche Stellung die
Frauen in den verschiedenen Staaten
Europas und Amerikas zur Universi
tät einnehmen. Darnach wurden die
Universitäten in Frankreich den
Frauen schon 1863 geöffnet. Eine
Dame, die den Magistergrad in der
Mathematik erwarb, erhielt an der
Scrbonne das erste Diplom und un
gefähr gleichzeitig eine englische Dame
das erste medizinische Doctordiplom.
1868 hatte die medizinische Fakultät
in Paris 4 weibliche Studenten, 1886
119. In der juristischen Fakultät in
Paris wurden dagegen nur 3 Damen
immatrikulirt. In Deutschland sind
die Frauen hinsichtlich des Universi
tätsstudium mit am schlechtesten ge
stellt. Sie werden weder zu den Vor
lesungen noch zu den Examen zuge
lassen. Zwar erhielten 1871—8 V an
der Universität zu Leipzig einige Da
men Zutritt zu den Vorlesungen, doch
wurde die Erlaubniß später wieder
aufgehoben, ebenso in Bayern, wo
188 V auch den Frauen der Zutritt zu
den Vorlesungen gestattet worden war.
In Oesterreich - Ungarn und Spanien
sind den Frauen die höheren Unter
richtsanstalten gesetzlich verschlossen.
Rußland besitzt «ine medizinische Hoch
schule für weibliche Studirende. Die
Wirksamkeit dieser Anstalt ist durch
eine kaiserliche Verordnung vom 2.
August 1890 geregelt und ein im
vorigen Jahre ausgestellter Utas hat
außerdem den Frauen das Recht er
theilt. an den russischen Eisenbahnen
als chirurgische AjliAnten zu sungi
ren. Dagegen verbietet ein Ukas von
1876 den Frauen, die Advocatur und
Anwaltschaft auszuüben. In Belgien
haben die Frauen das Recht, alle Vor
lesungen zu hören und akademisch«
Grade bei allen Fakultäten zu erwer
ben, dagegen können sie nur als Aerzte
oder Apotheker prakticiren. Die eng
lischen Universitäten stehen den Frauen
schon längst offen, wogegen sich die
schottischen in dieser Beziehung noch,
bis vor kurzer Zeit ablehnend verhal
ten hattem Erst nach langen Käm
pfen ist es so weit gekommen, daß die
Universität zu Edinburg weibliche
Studirende zuläßt. Holland zählt
viele Damen unter seinen Studirenden.
Das Hauptcontingent weiblicher Stu
dirender findet man aber doch in der
Schweiz. Deren Anzahl betrug dort
im Sommer 1892 641 und der größte
Theil da«n war in Genf, Bern und
Zürich, ewige in Lausanne und Basel.
Von diesen weiblichen Studenten stu
dirten 161 Medizin, 46 Philosophie,
21 Naturwissenschaft und 5 Jura.
Trotz alledem gibt es unter den 1137
pratticirenden Aerzten ,der Schweiz
nur 10 weibNche. In Italien haben
die Damen Zugang zu allen Hochschu
len sowie das Recht, jede Wissenschaft-,
liche Bethätigung mit Ausnahme der
Anwaltschaft auszuüben. In Rumä
nien steht die Universität zu Bukarest
den Frauen offen, ebenso wenig ist in
versität einschreiben zu lassen. Voll
ständige Unterrichtsfreiheit herrscht in
den Ver. Staaten, wo den Frauen nie
mals dij höheren Unterrichtsanstalten
verschlossen waren. In 23 Staaten
der Union steht es den Frauen nicht
Aerzte gibt.
Die Sonntagsruhe. A.
" Vielfache Scheidung.
Algy: „Ich wundere mich, daß Ihr
Schauspielerinnen Euch fast immer
rm: „Das lommi von den häufigen
Pausen zwischen unseren Ehen!"
Sin Tag in Bayreuth.
Bayreuth, di« Stadt des reinen
Thoren (wie sie in Anspielung auf
Parsifal genannt wird) liegt auf der
oberfränkischen Hochebene, in ziemlich
weitem Boge?« umkränzt von sanftge
wölbten Hügeln, den Borbergen des
rauhen Fichtelaebirges. Ein nicht zu
anspruchsvoller Naturfreund kann dem
Landschaftsbilde Behagen abgewinnen
und Derjenige, welcher es auf die Ent
deckung einer bis tief ins Mark hinein
waldursprünglichen! Kleinstadt abgese
hen hat, wird schwerlich wo anders
seine Neugier besser befriedigen können.
Wenn man ganz ehrlich sein will, so
Nest. Trotz seiner 23,999 Einwohner
Gassen durchwandert. Aber alle zwei
bis drei Jahre wird dieses trostlose
Nest dem Winterschlafe entrissen, mit
einem Schlage entwickelt sich weltstädti-
Zimmerchen abverlangt, zu dem lin
stockfinsterer Corridor führte, welcher
die schönste Gelegenheit zum HalSbre-
Richard Wagner.
Wie die meisten genialen Menschen
Lebensjahren gewesen. Einst wurde
ihm eine halbe Million Dollars ange
boten, wenn er nach Amerika kommen
und dort den Dankees seine Zukunfts
musik höchst eigenhändig vordirigiren
wolle. Er schlug das Anerbieten ent
rüstet aus, nahm aber doch PS9W kür
die allerschlechteste seiner Kompositio
nen, den Philadelphiaer Centennial-
Marsch, an. Bei der Begründung des
Festspielhauses schwebte ihm der Ge
danke vor, daß sein Kunstwerk uicht
zum Privilegium der begüterten Klas
sen entwerthet werden solle, er wollte
überhaupt keinen Eintrittspreis bei den
Festspielen erheben, dafür aber auch
nur den Würdigen, namentlich ?en
lernbegierigen Musikern den Besuch ge
statten. Er hatte den schwärmerischen
und damals noch ganz gesunden König
von Bayern vollständig in der Hand
und es hätte ihm wohl nur ein Wort
gekostet und die in den königlichen
Prunkschlössern später verschwendeten
Millionen hätten in München ein Fest
spielhaus ganz nach den Plänen deS
Meisters geschaffen. Aber Wagner
war verstimmt durch die Gegnersekast
der Münchener, besonders der pariiku
laristischen Hofclique. Er entzweite
sich mit seinem Freunde auf dem
Throne und zog sich grollend nach dem
weltentlegenen Bayreuth zurück. Dort
baute er sein Festspielhaus unter uner
hörten persönlichen Opfern aus eigenen
Mitteln und denjenigen seiner Freunde.
Jetzt steht es da am denkbar schlechte
sten Orte, weit ab vom Weltverkehr, es
kostet den Wagnerschwärmern schweres
Geld, um nach B. zu gelangen uno dort
in der schlechtesten Weise zu oezitiren,
und der Fremde, welcher jetzt 21 Mark
für einen Sitz bezahlt, bildet sich bei
diesen in Deutschland unerhörten Prei
sen noch ein, daß er das Opsc: einer
Geschästsspekulation Seitens der Frau
Cosima Wagner geworden ist. Das ist
nun zwar ganz und gar nicht der Fall,
denn die Wittwe des Meisters kann
froh sein, wenn die Spielperiode kein
Defizit hinterläßt, aber man kinn den
Leuten, welche von den kleinstädtischen
urtheil gar nicht ausreden. Ja, hätte
Richard Wagner einen Manage c ge
habt, der ihm den geschäftlichen Theil
dann könnte jetzt die Hälfte deS Hau
ses zu 40 Mark per Sitz verlöt wer
lernbegierigen Musici znr freien Be
nutzung hätte übergeben werden kön
nen.
Ich konnte nur einen Tag, einen
entsetzlich kalten und regnerischen Tag,
in Bayreuth verbringen, da es gar nicht
möglich war, für die späteren Vorstel
lungen Eintrittskarten zu erhalten.
Selbstverständlich besuchte ich die Villa
Wahnfried, wo die Familie Wagner
wohnt, sowie das hinter dem Hause be
legene Grab des Meisters. Das visl
von einem herrlichen Parke umschlosse
nes Gebäude, dessen Inneres man je
doch nur auf Einladung der Frau Co
denn die Wittwe des Meisters ist damit
umrankten schlichten Marmorplatte
ohne jede Inschrift.
Villa Wahnfried in Bay
reuth.
Das Tabernakel Wagnerischer Kunst
liegt etwa 20 Minuten vom Bahnhofe
entfernt auf einem die Stadt überbli
aus Stein aufgeführt, sondern der
obere Theil besteht fast gänzlich aus
Fachwert. Aber das Theater hat rie
senhafte Dimensionen. So beträgt die
Höhe der Bühne 43 Meter, also unge
fähr 142 Fuß. Der Zuschauerraum
huldigt rein demokratischen Grund
der Zuschauerraum besteht, kostet ein
Sitz so viel als der andere. Das Par
terre ist eine ziemlich steil aufsteigende
seitlich theilt. Aus diesem Musen
was an die frivole Genußsucht unserer
Tage erinnert, dagegen sind alle Ein
richtungen bequem und es gibt wohl
kein anderes Theater, welches sich so
rasch füllen und entleeren kann. Das
Haus faßt im Ganzen 1650 Zuschauer,
Berliner Opernhaus 1800, das Hof
theater tn Dresden 1730, das Ham
burger Stadttheater 2<XX>, das Mün
chener Hoftheater 2399 Zuschauer auf
nehmen kann. Die Baukosten des
Festspielhauses betrugen 39,999 Mark.
Am Tage meines Besuchs wurde
Tannhäuser gegeben. Ich war, wie
viele Andere nur wegen der von Bay
reuth monopolisirttn l?tzten Oper
Wagners, Parsifal, nach Bayreuth ge
pilgert und war deshalb recht ent
täuscht, als ich den Theaterzettel mit
Tannhäuser vorfand. Tannhäuser
hatte ich wohl dutzendmal« in vorzüg
licher Aufführung gesehen, jedoch sollte
ich bald erfahren, daß Tannhäuser in
der Bayreuther Vollendung ausge
führt, etwas ganz Anderes ist, als
Wagners Grab.
Tannhäuser in Dresden, Berlin oder
München. Ich würde gern eine noch
weitere Reise machen, um jenen Ge
nuß noch einmal durchkosten zu kön
nen. Von der Klangwirkung des un
terirdischen Orchesters kann man sich
gar keinen Begriff machen, wenn man
nicht selbst Öhrenzeuge gewesen ist.
Hundertundzehn Musiker, sorgfältig
auserlesen aus allen Kunstinstituten
Deutschlands, spielen hier unter Lei
tung eines von Wagner selbst heran
gebildeten und in dessen Intentionen
eingeweihten Kapellmeisters (der eben
falls dem Publikum unsichtbar bleibt).
Hier klingen die Blasinstrumente nie
mals schmetternd, brutal und grell,
hier übertönt kein Instrument das an
dere, das ganze Klangbild ist ideali
sirt. Ein geübtes Ohr kann auch die
leisesten Mittelstimmen mühelos ver
folgen. Einen so milden schönen, ab-
geklärten Ton des Orchesters findet
man wohl nirgends in der Welt.
Dazu kommt «ine Akustik, welche den
kleinsten Triller der Flöte, wie den
gedämpftesten Wirbel der Trommel
und das sanfteste Flüstern der Geige»
im ganzen Zuschauerraum zur Gel
tung bringt. Die Sänger brauchen
nicht bis vor die Rampen hervorzutre
ten um sich im ganzen Hause verständ
lich zu machen, wie das bei vielen
Theatern der Fall ist. sondern man
hört selbst das ätherischste Pianissimo
Bühne. Zu beneiden sind jene un
terirdischen Musik«r allerdings nicht.
Trotz aller Bemühungen ist es nicht
gelungen, den unsichtbaren Schauplatz
ihres WirkenS zu vent!!ir«n. Man
muß ihnen deshalb Freiheiten in Be
zug auf Toilette gestatten, die an an
deren Orten undenkbar wären. An
schon Wagner hat die Hemdsärmel
hi-r salonfähig gemacht. Auch gehört
es sich, daß den Unterweltlerischen d«r
bayrische Labetrunk während der Pro
ben und Ausführungen nicht entzogen
wird.
— Es ist zwecklos, ausführ
lich der Leistungen der Solisten zu ge
denken. Es treten hier nur Künstler
allerersten Ranges auf und zwar sind
sich dieselben wohl bewußt, daß sie vor
dem kritischsten Publikum der Welt
singen. Wer in Bayreuth abfällt, hat
an jeder anderen Bühne einen schweren
Stand, wer in Bayreuth besonders ge
fällt, dessen Stern wird bedeutend stei
gen. Hier werden keine Künstlerma
rotten geduldet, auch der größte Des
zu unterwerfen und alle vorgeschriebe
nen Proben mitzumachen, einerlei wie
lange die Rolle schon auf seinem Re
pertoire steht. Es sollte ein Künstler
Fe st spielhaus
chen und Unarten zu machen, welche
sogar auf mancher Hofbühne Deutsch
lands voH besonders beliebten Sän
gern verübt werden.—Selbstverständ
lich »wird kein Takt gestrichen, das
hast hinreißender Gewalt und Schön
heit erscheint, als vielleicht die schönste
Perle der ganzen Oper.
Waldsriedent des Wartburgbergs, die
Welt für die Ausstattung so großartig
«ingerichtet ist, wie das Festspielhaus.
In allen zur Ausführung gehören
gen Wagnerianern eine große Rollt
spielt, di« Feststimmung und die Weihe
des Orts.
Nachmittags und erst um Abends 9
Uhr grünte der Stab des durch den
Sühnetod Elisabeths erlösten Sünders
Tannhäuier. Das sind fünf Stun
telstündige Pausen unterbrochen wer
den. In diesen Pausen hat man Gele
genheit den durch das gespannte Zu
hören ermüdeten Körper gebührend
aufzufrischen. Erst Begeisterung, dann
Durst, erst Tannhäufer, dann bairi
sches Vier, erst höchste Erdenentrückt
heit, dann Bratwürste und belegte
B-inmchen, das sind die Gegensätze,
die in der berühmten Kneipt neben
dem Festspielhause in freundlichster
Lösung sich versöhnen. In diesen
Pausen hat man auch willkommene
Gelegenheit das Publikum zu studiren,
das interessanteste und vielsprachigste
Theaterpublikum,welches auf der Welt
zu finden ist.
l IndeiPause.
Ich hatte erwartet, daß die Mehr
heit dieses Publikums aus Leuten be
stehe, welche die Neugier nach Bayreuth
getrieben hatte, aus Leuten, bei denen
„money no object" ist. Kurz aus ei
nem Modepublikum, wir man es in
den Bädern und an der Riviera trifft.
Jedoch waren diese an der Kleidung
und am Benehmen leicht kenntlichen
Leute bei weitem in der Minderheit.
Die Mehrheit bestand aus Musikern
und Musikfreunden, man bemerkte
viele Künstler ersten Ranges darunter,
so z. B. hatte mir der Zufall den be
deutendsten Pianisten der Jetztzeit,
D'Albert, zum Nachbarn gegeben. An
Speisetischen und Büffets ging es
recht gemüthlich zu,bei Bier und Kaffee
plauderten einander ganz fremde
Menschen über die Aufführung, und
sogar die vielen sonst so steifen Eng
länder und Amerikaner wurden von
zum Zeichen, daß die Pause beendet ist
und alle Gäste strömen dem Fest
spielhaus« wieder zu. Letzteres füllt
sich erstaunlich schnell und nach weni-
Unfug des Da Capo ist auf's Tiefste
Verpönt und erst nach Schluß des Akts
erfolgt mäßiger Beifall, niemals aber
Es gibt heute nur noch
wenige Gegner, welch- Wagner unter
schätzen, oder sein« Größe verkleinern
ihrem Ein-flusse nicht mehr entziehen.
Man kann mit Recht sagen, daß Wag
ner der Ausdruck der gesammten dra
matischen Musik unseres Jahrhunderts
ist. Ab«r in dem Maße wie die Wag
ner'sche Musik sich durchgerungen hat,
hat auch die Zahl der sogenannten ver
rückten Wagnerianer abgenommen.
Die Menschen, welche in ihrem blinden
Fanatismus nichts Anderes gelten
lassen wollen, als Wagner, sind nur
noch in vereinzelten Exemplaren vor-
Zum Schluß will ich den Lesern eine
Ode auf Bayreuth nicht vorenthalten,
welche ich in einem der vielen Frem
denbücher fand:
Alte fronNne- Edelfräulein
Lispeln dieses Gnadenortes
Heiligen Namen, aufgelöst in
Scheue Inbrunst, und der Säuglinz
Eingeschläfert von/ nachbarlich
Süßen Klängen mannichsacher
Wagner-Haspelnder Klaviere,
Selbst der Säugling träumt in seine»
Unschuldsvollen Windeln nur von
Kindermehl und Parsifal...
Ach so!
j
„Also den Rentier Thomas Mülle«
willst Du keirathen? Aus Liebe?"
„Nein, aus Halberstadt!"
—R i Kkirt. .... Wie ist es dm»
tel einen Heirathsantrag gemacht?"
„Ach, ich wollt' ihr halt 'mal, was An
genehmes- sagen!"
Zaristisch begründet.
Hotelier: „Ich kann den Mann als»
votat: „Gewiß, denn er hat gelogen.
Die Sirenen locken die Reisenden durch
ihren Gesang an, Ihre Tochter aber
treibt die Reisenden durch ihren Ge
sang aus dem Hotel fort!"
Noch gar nichts. A. zu B.:
Ich sage Ihnen, in H. sind die Hotel
preise so hohe, daß der Oberkellner an
l gewiesen ist, beim Präsentiren der
Rechnung darauf zu achten, daß sich
hinter dem Gaste oder in seiner unmit
telbaren Nähe ein Stuhl oder ein Sofa
befindet! B.: Das ist noch gar
nichts: in R. ist der die Rechnungen
Präsentirende soweit medizinisch gebil
det. daß er etwa in Ohnmacht fallen
den Gästen gleich die ärztliche Hilfe
leisten kann!
Eingegangen. „Sage mir
doch, Männchen, ist der Weg weit in
Dein Stammlokal?" „Gott behüte
keine zehn Minuten!" „Viel
leicht läßt aber die Küche dort zu
wünschen übrig," „Ich kann Dich
versichern, daß sie vorzüglich ist!" —-
„Aber der viele Tabakrauch könnte Dir
in Zukunft doch schaden!" „ES
wird wenig geraucht und die Ventila
tion ist sehr gut!" „Da kommen
wohl auch mitunter Damen hin?"
„Gewiß, liebes Weibchen!" Dann
kann ich also ganz beruhigt mit Dir
gehen!"