Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 13, 1894, Page 3, Image 3

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    M mMMW.
(4. Fortsetzung.)
So saßen sie schweigend bei einander,
lange Zeit. Das einzige Geräusch, das
man vernahm, war das Knistern des
Holzes im Kamin, das in sich zusam
menfiel, um sich in Kohle zu verwan
deln und danach zu Asche zu werden.
Sonst regte sich kein Laut, und es war,
ols hauchten die alten Möbel, dießil
der an den Wänden die dumpfe Stille
aus, die wie eine Last im Zimmer lag.
Es war, als thäten sich geräuschlos in
Winkeln und Ecken und in der Luft
umher Augen auf, dunkle, schwerniü
thig forschende Augen, als blickten sie
fragend auf die beiden in sich versun
ken«, Menschen dort, und als blinzel
ten sie sich gegenseitig zu, Gedanken
tauschend, wie die Abgeschiedenen sie
verstehen, die Lebenden aber nicht.
Endlich hatte Anna ihre Fassung
»ieder erlangt.
„Komm weiter," sagte sie, indem sie
Er stand auf.
„Nun wirst Du wohl nichts mehr se
hen wollen?" fragte er.
Sie fühlte, daß sie ihm Muth ma
chen müsse.
„O ja, gewiß," versetzte sie, „Du hast
es mir versprochen, und Versprochenes
muß man halten."
Sie hing sich in seinen Arm, sie
bemühte sich, einen leichten Ton anzu
schlagen und ihm zu zeigen, daß alles
überwunden und vergessen sei.
So führte er sie denn weiter, bis
daß sie am andern Ende der Zimmer
flucht in zwei kleinere, freundlichere
Gemächer gelangten.
„Siehst Du," sagte er, stehen blei
bend, „dies, hatte ich gedacht, sollte
Dein Wohnzimmer sein, und dort ne
benan solltest Du schlafen."
Anna blickte umher.
„O ja," meinte sie, „hier könnte es
mir gefallen."
Sie ging an's Fenster.
„Da hab' ich ja gerade meineßlumen
vor mir," sagte sie, indem sie in den
Garten hinunterblickte. „Das macht
sich alles ganz vortrefflich. Nur, weißt
Du, was ich möchte? Daß das Zim
mer vielleicht eine andere Tapete be
käme."
Sie trat an die Wand und befühlte
den dicken, dunkelbraunen Stoff, mit
dem sie bekleidet war.
„Das ist ja alles ganz prachtvoll,"
fuhr sie fort, „und die eingepreßten
Goldmuster geradezu kostbar, aber
siehst Du, ich bin nun einmal ein Kind
unserer Zeit und möchte es gern ein
bischen Heller haben und freundlicher."
«in vergnügtes Kind.
„Aber Anna," rief er, „das ist ja
mein Gedanke gewesen von Anfang an!
Alle Zimmer miteinander möchte ich
umtapeziren lassen, damit mehr Licht
in die alte Finsterniß kommt. Und in
Breslau habe ich ein Muster gesehen,
...Weißen Untergrund mit goldenen und
blauen BlttMen, etwas reizend Freund
liches, den suchen wir uns, gleich mor
gen, nicht wahr?"
Sie nickte ihm zu.
„Gleich morgen," sagte sie.
Er ergriff ihre Hände. Es sah aus,
als wolle er sich bei ihr bedanken.
„Und andre Möbel darf ich Dir auch
hineinstellen? Nicht wahr? Diese alten,
fchweren Sessel mit den riesigen Lehnen,
diese bauschigen Sofas, das ist doch
alls nichts für Dich? Nicht wahr? Et
was recht Zartes, Luftiges und Duf
tiges suchen wir uns aus, das erlaubst
Du mir? Nicht wahr? Hast Du Ro
senholz gern?"
Sie sah ihm in-die Augen und neig
te das Haupt.
„Alles, was Dir gefällt, wird auch
mir gefallen, und was Du mir schenkst,
nehme ich gern."
Ein Freudenschein zuckte über sein
Gesicht. Er machte eine Bewegung, um
sie zu küssen, bevor er aber dazu ge
langt, bog er den Kops wieder zurück.
Der ängstliche Ausdruck, mit de»- er sie
ansah, verrieth, daß er sich nicht ge
traute. Er dachte an den Auftritt von
vornhin.
Anna schob langsam die Hände an
seinen Armen hinauf, bis daß sie auf
seinen Schultern ruhten. Da stand er
vor ihr, der Besitzer all dieser Pracht
und Herrlichkeit, der gegenüber sie sich
wie eine Bettlerin erschien, da stand er,
der starke Mann, in dessen Armen sie
wie Glas zersplittert wäre, wenn sein«
Kraft sich gegen sie gewandt hätte
und bat sie, demüthig wie ein Knab«,
ihr all seinen Reichthum zu Fußen le
gen zu dürfen, und wie ein Schuld
bewußter wagte er nicht, si« zu küssen.
Und worin bestand denn seine Schuld?
Johann die Teller wechselte, schenkte
tr«u, und derßaron, ihre „Erde", leuch
tete in ihrun Lichte aus.
Das einzige, was sie eknigermaf.»!?
hätte stören lönnen, war der Anblick
des alten Dieners, der schweigend auf
wartete und, während sie aßen und
tranken, hinter de» >in«sHcrr»
stand.
Unwillkürlich gingen ihre Bltck« v»«
Zeit zu Zeit zu ihm hin, und immer sah
sie ihn dann in einer ganz seltsamen
Haltung, regungslos, den Kopf wie in
brütendem Sinnen zu Boden gesenkt,
an seinem Platze stehen.
Offenbar dachte er immer noch darü
ber nach, wie furchtbar und eigentlich
grundlos der Baron ihn vorhin ange
fahren hatte. Das that ihr so leid um
den alten Mann. Sie fühlte das Be
dürfniß, ihm irgend eine kleineFreund
lichkeit zu erweisen. Zwischen Herrn
und Diener war offenbar eine Span
nung; es wäre ihr so lieb gewesen,
wenn sie das Verhältniß zu einem gu
ten hätte machen können; Menschen,
die so einsam leben, wie sie drei nun
bald leben würden, müssen sich doch
verstehen, dürfen nicht mit feindseligen
Gedanken umeinander hergehen.
„Aber wissen Sie, Johann," fing sie
möglichst unbefangenen Tones an, in
dem sie den Kopf zu ihm erhob, „ich
muß Ihnen wirklich mein Kompliment
machen, wie das Schloß im Stande
gehalten ist. Da ist ja keiif Stäubchen
und kein Fleckchen, und das Feuer in
den Kaminen —" Sie brach im Satze
ab.
Der Alte, als er seinen Namen von
ih»em Munde hörte, hatte langsam, wie
aus einem Traume zurückkommend, den
Kopf erhoben und die Augen auf sie
gerichtet, und als sie seine Augen sah,
tonnte sie nicht weiter.
Was für Augen waren das! Stie
rend, bohrend, als wollten sie sich durch
ihre Augen hindurch bis in das Mark
ihres Lebens hineinwühlen. Dabei
that sich, wie sie es vorhin schon an ihm
wahrgenommen hatte, sein Mund halb
auf, so daß die langen Zähne sichtbar
wurden, der Kopf schob sich nach vorn,
und das ganzeGesicht nahm einen Aus
druck an ja, was war es nur für
ein Ausdruck? Anna begriff ihn zuerst
gar nicht, dann kam ihr das Bewutzt
ftin: das war ja Haß! WüthenderHaß!
ficht? Was hatte sie ihm gethan?
War er so erbittert über sie, weil sie
ahnungslos die Ursache gewesen war,
daß sein Herr so heftig gegen ihn
wurde?
Der Baron, der nervös aufgezuckt
war, als sie sich an den Alten wandte,
hatte ihr plötzliches Verstummen be
merkt. Jetzt sah er ihr todtenblasseZ
Gesicht und ihre verstörten Augen.
„Ist Dir etwas?" fragte er.
Er faßte nach ihrer Hand; ihre Hand
war eiskalt.
„Ist Dir unwohl?" wiederholte er
Sie schüttelte den Kopf. Von der
Stuhllehne, an die sie zurückgesunken
war, richtete sie sich gewaltsam auf.
Sie drückte feine Hand, als wollte sie
ten. Aufzuschauen wagte sie nicht, denn
da Nand ja der Alte; den Baron anzu
schauen vermochte sie auch nicht, denn
sie spürt«, wi« die wilde Unruhe in sein
Gesicht zurückkehrte. Der seltsame
Raum, in dem sie sich befand, die
fremdartigen Thiergestalten in den ge
möchten nach Haus fahren ich glau
be, es wird Zeit."
Mit einem Sprunge war er neben
„Der Wagen soll vorfahren!" herrsch
te er dem Alten zu.
Sobald dieser hinaus war, beugte er
sich ZU ihr.
„Was ist Dir?" forschte er vollerße
forgniß, „ist Dir etwas geschehen? Hat
Dir jemand etwas gethan?"
der Alte war fort. Ihre Lippen be
den ganzen Treppenraum hallten. Am
Fuße der Treppe stand der alte Jo
hann; er hatte hören müssen, was der
Baron eben gesagt hatte. Und nun be
gab sich etwas Unerhörtes.
Indem der Baron mit Anna die
Treppe hinabzusteigen begann, knickte
sein Mund war weit ossen. Aber er
brachte nichts hervor, als-ein dumpfes
Keuchen; mit plattem Leibe warf er
sich auf die Treppe, so daß sein grauer
Kopf auf den Stufen lag.
„Jesus, Gottes Sohn —" stammel
w Anna, indem sie, von Grausen ge
tzackt, txn Arm ihres Begleiters um-
und ihn zum Stillstehen
zwang.
Jetzt fing der Alte mit dumpfer, heu
lender Stimme an: „Gnädiger Herr
begann.^
„Sag ihm, daß Du ihn behältst,"
raunte sie mit fliegendem Athem;
Du ihn behältst!"
Ruhe war ihm zurückgekehrt.
„Steh auf, Johann." sagte er, „Du
sollst bleiben, ich jage Dich nicht fort."
Mann auf trat an den Fuß der
Treppe zurück. Er blickte nicht auf,
ne Arme hingen herab, mit der rechten
Hand wischte er den Treppenstaub von
seinem Rock.
überschritt, „küß ihr die Hand, sie hat
für Dich gebeten."
Knechtisch gebeugten Hauptes trat
Der Baron stieß sie heimlich an.
„Thu's," flüsterte er ihr zu, „es muß
sein!"
Nun überließ sie ihm ihre Hand, die
der Diener, ohne die Augen zu erhe
ben, an den Mund führte.
Indem si« die gebrochen« G«stalt vor
sich sah, überkam sie ein wahres Jam
„Das wird alles vorübergehen,"
sagte sie mit wohlwollendem Trost, „ich
weiß ja, wie treu Sie dem Herrn Ba-
Gespenster und Dämonen kehrte sie zu
den Menschen zurück.
Von den Aufregungen erschöpft, die
Tapeten ansehen."
Das gab ihm das Leben wieder.
Freudig drückte er ihre Hand.
das alte Haus!"
Als Anna zu dem Onkel und der
Tante zurückkam, saßen die beiden al
ten Leute und spielten „Rabouge", ein
Kartenspiel ältester Art, das heutzu
tage kaum jemand mehr kennt. Das
das Fahrenwald'sche und jetzt
hier diese Behausung! Daß die Woh
nung ärmlich war, hatte sie wohl im
dort drüben der Mann, der nur ein
Verlangen hatte, aus Nacht und Grau
en in's helle gesundeLeben zu gelangen,
Wasser! ,
Als sie heute Mittag aus Schloß
Fahrenwalo beim Frühstück gesessen
lind das Todesgrauen empfunden hat
te, mit dem all das Unverständlich«,
Unbegreifliche über sie herfiel, war der
Gedanke in ihr aufgestanden, daß es
als müßte sie ihm abbitten, alles was
sie gedacht.
„Nein, nein, nein, ich will Dich nicht
sisk> denken konnte. Anna war er
schöpft, der Baron zeigte keine Spur
von Müdigkeit.
„Morgen," sagte sie, „das hat Zeit
Es half ihr nichts, daß sie auf das
nah bevorstehende Mittagessen verwies.
„Ach was. Dein Onkel und Deine
Tante können auch ohne Dich ess«n."
rant folgen, und es war natürlich nicht
das schlechteste von Breslau. Dort ta
felten sie.
Als sie auf die Straße hinaustraten
„Aber Eberhard," sagte sie, „Du
„Weißt Du," sagte er, „das ist köst
das erste Mal, daß das Blut der beiden
Das Frühstück durfte natürlich auch
heut nicht, fehlen, und so folgte nun
ein Tag dem andern.
t«n,
ren Wellen zu rollen begann, war es,
als reckte und streckte sich ihre ganze
Persönlichkeit; aus der unscheinbar«»
An einem dieser Tage, als si« durch
streift waren, um Sämereien sür den
„Weißt Du." flüsterte er ihr in's
Ohr, „nun hätte ich eine große Bitte/'
Sie lächelte vor sich hin; sie wußte
ja, daß, um ihm etwas zu geben, sie
„Was denn also?" fragte sie.
„SiehstDu, ich habe mir das in mei
ner Phantasie so ausgedacht: Wenn ich
Dich so in den Armen halte und an
mir fühle, komme ich mir vor, wie «in
Gärtner, der eine Blume groß zieht.
Den Winter hindurch hat meine Blu
me ihr altes, unscheinbares Gewand
getragen, aber nun wird es Frühling,
siehst Du, und da ist es doch in der
Natur geboten, daß sie sich anders und
reicher und schöner Neidet? Nicht
wahr?"
Anna senkte die Augen und sah
stumm an sich hernieder. Aermlich ge
nug war sie ja freilich angezogen.
„Und siehst Du," fuhr er fort, „was
ich Dich nun bitten wollte: daß wir
morgen in Kleiderhandlungen und
Modemagazine gehen und uns Stoffe
aussuchen zu Kleidern für Dich, wie
sie Dir gefallen und am besten stehen?"
Sie erröthete in Scham.
„Aber Eberhard," erwiderte sie
leise, „für seine Ausstattung muß doch
ein jedes Mädchen selbst sorgen!"
Indem sie aber das sagte, fragte sie
tung besorgen sollte. Der Onkel und
die Tank etwa? Oder sie selbst, aus
ihrem eigenen Vermögen? Ja, wo war
ganz anderes. Das hab' ich Dir ja ge
sagt, daß Du das Licht in meinem Le
ben bist, und ein Licht, siehst Du, das
muß man sich selbst anzünden. Und
sein Glück muß man sich selbst erschaf
fen, wenn's ein echtes Glück sein soll
und einem Kraft und Muth verleihen
soll. Und darum, verstehst Du, wenn
ich Dich so von Kopf bis zu den Fü
the sein, als hätte ich mir die ganze ge
liebte Gestalt, die dann vor mir steht,
selber erschaffen, und das wird mir
Nicht wahr?"
dem Mann gefühlt hatte, der um ihre
Liebe flehte, war nur ihre Seele wach
gewesen; jetzt, da er stark und fröhlich
fühls trieb sie willenlos dem Manne
zu. Sie drückte ihr erglühendes Gesicht
an seinen Hals.
„Thu, wie Du willst," flüsterte sie.
Und nun war es, als wären alle
diese Besorgungen nur Vorbereitun
gen für das Eigentliche und Wahre ge
wesen.
förmlich geplündert, und als sie damit
fertig waren, wollte er sie in Wäsche
handlungen führen. Dem aber wider
setzte sie
Er fügte sich ihrem Willen. Aber sie
werk kaufen wollte. Die Rechnungen
sollten auf ihren Namen geschrieben
werden, «r würd« sie bei ihr abholen
und albs abmachen.
Wenn sie nicht gewußt hätte, daß er
reich war, so hätte sie ihn für einen ra
senden Verschwender halten müssen.
Ganze Ballen von Seidenstoffen
und Leinen liefen nun bei Anna ein;
vierzehn Tage lang wurde geschneidert
und geschustert, als gälte es, den
Brautstaat einer jungen Königin fer
tigzustellen; der Onkel und die Tante
gingen mit dumpf verblüfften Gesich
tern umher und wußten nicht, was sie
sagen sollten. Anna wußte es selber
kaum; die Welt war nicht mehr die
Welt.
Der Baron ließ sich in diesen Ta
gen nur von Zeit zu Zeit sehen, und
wenn er kam, war er in fliegender
Hast. Er war jetzt vielfach auf dem
Schlosse draußen, wo die Zimmer für
Anna eingerichtet wurden. So oft er
bei ihr in der Stadt erschien, wurde
er rasch wieder hinauskomplimentirt
Frauen, die in solcher Thätigkeit
stecken, können Männer nicht brauchen.
Gegen Ende der vierzehn Tage aber,
als sie ihn auf den Flur hinausbeglei
tete, hielt sie ihn an der Hand fest.
„Heute Abend," sagte sie leise, mit
lieblichem Erröthen, „wird das creme
farbige Seidenkleid fertig, das Du so
besonders gern magst. Es hat einen
sehr hübschen Schnitt und wird mir
vielleicht leidlich stehen." Sie beugte sich
näher zu ihm.
„Wenn Du willst, kannst Du mor
gen Mittag kommen, und ich will mich
Dir zeigen."
Er schloß sie an die Brust, als wollte
„Du Engel," erwiderte er.
Ein Gluthstrom floß aus seinen A
ugen. Dann riß er sich los, eilte die
Treppe hinab, lehrte vom Absatz noch
einmal zurück, schloß sie noch einmal
wie rasend in die Arme und schoß darn
Anna begriff kaum, was ihn so er
regt hatte; aber die Gluth, die ihn er
füllte, fetzte auch sie in Feuer, und als
das Kleid am Abend angekommen
war. beschloß sie, sich am nächsten Vor
mittage recht schön sür ihn herauszu
putzen.
Es war das erste Mal imLeben, daß
sie sich in so lostbare Stoffe hüllte. Sie
schloß sich in ihr Schlaskämmerchen
ein und kleidete sich von Kops bis zu
den Füßen um, weil es sie nun doch ge
lüstete, die neuangeschafften Sachen
wirklich einmal zu Probiren.
Wie das alles anders war als das,
was sie bisher getragen hotte! Wie
grob das Hemd war, das sie auszog,
und wie weich sich das neue zarte Lin
ihr nicht sagen tonnte, ob das Kleid ihr
saß. Dazu mußte sie in das Gesell
schaftszimmer gehen, wo zwischen den
schien der Baron. Sie sah, wie er ste
hen blieb und ihre Gestalt mit den A
ugen verschlang; in seinem Blick war ei
ne verzehrende Gier. Anna sah wirk
lich niedlich genug aus. Das Kleid war
stand er schon hinter ihr, und gleichzei
tig fühlte sie sich von seinen Armen
umfaßt, vom Boden emporgehoben und
etwas Erstickendes, Erdrückendes, Zer
malmendes; seine Küsse fühllen sich
wenn er am liebsten in Annas
men fand. Endlich warf sie mit äußer
ster Anstrengung den Kopf zurück,
stemmte beide Hände gegen seine Brust
und „Latz mich los!" stieß sie wie in
Der Ton kam so rauh, so zornig
heraus, datz er erschrak. Er hielt in sei
nem Auf- und Niedergehen inne, sah
ihr in's Gesicht und sah, daß sie die A
ugen geschlossen hatte.
Nun ließ er sie aus den Armen glei
de auf die Lehne des Sessels, das Ge?
ihr vorhin, als er sie vom Boden em
porgehoben hatte, vom Fuße geflogen
war. In feiner Rathlosigkeit hob der
Baron ihn auf, als er sich aber zu An
na niederbeugte, um ihr den Schuh
wieder anzuziehen, riß sie denselben
aus seiner Hand und 'verbarg ihren
Fuß unter dem Kleide.
„Nein!" rief sie, „faß mich nicht an!
Du follft mich nicht mehr anfassen! Ich
weiß gar nicht, wie Du bist!"
Sie sprach aus, was sie empfand; sie
konnte sich in der That die Art des
Mannes nicht erklären. Das war ja
gewesen, als wenn ein wildes Thier sich
über sie gestürzt hätte.
Bei der zornigen Bewegung, mit der
sie ihm den Schuh entrissen hatte, war
er einen Schritt zurückgewichen; jetzt
stand er wie zerschmettert da.
„Aber Anna," sing er wieder an.
„bist Du mir denn böse, daß ich Dich
so liebe?"
te die verweinten Augen auf ihn.
„Liebe?" sagte sie zornig, .ist das
Liebe, wenn man jemand so anfaßt?
an?"
Sie blickte an sich herab und strich
mit bebenderHand das zerknitterte und
wieder in den Schuh, und als sie den
Fuß aussetzte, stampfte sie beinahe
auf.
(Fortsetzung folgt.)
Mann geschossen?"—. Aus Nothwehr",
erklärt« der Polizist. „Aber er hatte
doch die Flucht vor Ihnen ergriffen."—
„So sah es allerdings aus. aber ich be«
! lausen und mich von Hnten attackiren."
Unter uns Krauen.
Tausend und abertausend Miitteo
und Väter ergötzen sich in diesem Au
genblicke, wie das ganze liebe Jahr
hindurch, an dem halbverständlichen
Lallen, den unbeholfenen Greif-, Steh-
und Gehversuchen, oder an dem unbe
schreiblich wechselnden Ausdrucke deS
rosigen Gesichtchens ihres Kindes. Wi«
süß! Wie herzig! Wie lieb! So und
ähnlich, manchmal auch „Wie klug!"
ertönt, wie seit Jahrtausenden auch
jetzt noch, allen erdenklichen Spra-
Wie Wenige aber waren oder sind
sich dessen bewußt, daß sich vor ihren
Augen eine der interessantesten, merk
köstlichen Besitzes. Wer mag sich da
zeug? Das Erste sieht man kaum und
begreift es noch weniger; das Zweite
aber ist so leicht, förmlich mit den Hän-
Der Sorglosigkeit und Bequemlich
keit der Mütter bietet auch hier, wie
anderwärts, die Wissenschaft eine gar
leichte Handhabe für Jede, die davon
Gebrauch machen will. Wissenschaft
ist ja bekanntlich von ganz besonderem
Werthe für Me, welche nur das Fett
von der Oberfläche abschöpfen wolleru
Gelehrte strengten sich offenbar zum
Besten dieser Lebenskünstler an, mit
mehr oder minder großer Wahrschein
lichkeit zu beweisen, daß Erblichkeit
den Charakter und das Schicksal deS
Kindes entscheiden. Bei oberflächli
cher Auffassung wird es uns Frauen
da recht leicht gemacht, die Hände in
den Schooß zu legen und für daS
Uebrige den lieben Herrgott sorgen zu
lassen.
Der wirklich denkende Mensch Wirt»
aber aus den Lehren der Wissenschaft
ganz andere Schlüsse ziehen müssen.
Gerade weil die Erblichkeit unbestrit
ten eine große Rolle spielt, wenn auch
nicht die allentscheidende, wird man da
für sorgen müssen, daß man selbst die
beste Grundlage für seine Nachkommen
schaft liefert und der Glaube an die
Erblichkeit darf die denkende Mutter
nicht abhalten, auf die Entwickelung
von Seele und Charakter ihres Kind«s
den allerbesten Einfluß zu üben. Denn
nur die Anlage ist Erbtheil, ihre Aus
bildung aber Sache der Erziehung.
Im Grunde ist beides von den Eltern
,des Kindes abhängig und bedingt.
Es mag ja richtig sein wir kön
nen «s ebenso wenig bestreiten, als die
Gelehrten es bisher zu beweisen ver
mochten,. daß die Seele des Kindes
schon vor der Geburt mit vielen un
sichtbaren Zeichen beschrieben war.
Wie weit aber diese Zeichen zum Vor
schein kommen, hängt ohne Zweiftl
von all' den Eindrücken ab, welche der
frischen, empfänglichen Kindesseelt
ausgeprägt werden. Das kleine Wesen
mag noch so unentwickelt scheinen,
wenn es überhaupt bereits sieht oder
hört, sieht und hört es doch Alles, was
im Bereiche seiner Sinnesorgane ist,
und wird davon beeinflußt. Eltern,
aber namentlich Mütter, die ihr-Kind
wahrhaft lieben und in ihm nicht bloS
«in lebendiges Spielzeug sehen wollen,
werden die zarte kinderseele zu befle
cken sich wohl hüten. Und wenn schließ
lich der um des Kindes willen sich selbst
auferlegte Zwang zur eigenen Besse
rung fichrt, um so besser nicht blas
für die Eltern, sondern auch für die
spätere Fortentwickelung der Seele des
Kindes.
Gemüthlich.
Der Rittmeister Graf Milde von
Zartheim, Kommandant einer Kaval
lerie-Escadron, wurde slld seine GM
und Nachsicht von allen seinen Unter
gebenen sörnrkich angebetet. Ber der
selben Escadron dient« seit langen
Jahren schon ein Wachtmeister, der
hingegen wegen seiner Pedanterie und
Strenge von der Mannschaft der Es
cadron sxhr gefürchtet' war.
Eines Tages stand Rittmeister
Graf Milde in der Thüre eines Stal
les seiner Escadron und wartete auf
die Sartlung eine>» Remonte. Von
hier aus bemerkte »r> daß sein Wacht
meister ?uer über den Kasernenhof in
den Stall zu kennen beabsichtigte.
Beängstigt über das Wohl seiner
Mannschaft, stürmte unser lieber Ritt
meister entlang den Pferdeständen
dorch den ganzen Stall und slüslerte
5-en mit PserdeauswartlMg beschäftig»
den Soldaten zu: „Leute, Leute, auf»
Sassen, fleißig Eutzen, der Herr W«ht
— Frommer Wunsch. Alte
Jungser (im Kaffeekränzchen): .Wenn
die Flüsse Kasse« anstatt Wasser füh
ren würden, wüßte ich mir wahrhaftig
keinen schöneren Tod als Ertrin
ken —"
Parirt. Kritiker: Kurz und
gut. von heute ab werde ich die Er
zeugnisse Ihrer Muse gänzlich ignori»
! ren! Dichter: Und ich werde
Ihnen für diese Ignoranz sehr dank»
bar sein! 3