Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, March 23, 1894, Page 3, Image 3

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    Mia»
t?. Fortsetzung.)
Olga faßte den Entschluß abzureisen
,ur rechten ?>it. Zweifel oder keine
Zweifel, ihr Verweilen in Astianello
Areopag. s H >
Die Sympathie für Milla war zu
rückgekehrt. freilich nicht über die Ma
ßen, aber doch lebhaft genug und ge
stärkt durch den Neid, welchen Olga
doch mit der Zeit in einem weiblich«»
Kreise wecken mußt«. Vom Neid zur
Kritik ist ein kurzer Schritt, und die
Russin wußte sehr wohl, was ihr nü
tzen oder schaden konnte. Sie hatte bis
jetzt verstanden, immer so zu thun, daß
man ihr viel nachsah, und daß durch
leine ihrer verschiedenen Herzensange
legenheiten die beneidenswerthe Stelle
gefährdet wurde, die si« in der Gesell
schaft einnahm. Sie war darin ver
blieben gleichviel wie sogar trotz
ihres langen Abenteuers mit Eiuliano
aber sie wußte sehr wohl, wie lange
man ungestraft Sand in die Auzen
streuen darf. also schr
druck dieses Verdachtes biß sie sich ei-
und mühsam erwachte Gewissensbiß
plötzlich verstummte, um einer Art fei
gen Aergers Platz zu machen be
eigenthümlichen Blick nach dem ge
schlossenen Fenster von Millas Zimmer
hinauf. Sie ließ die herzlichsten, zärt
lichsten Grüke für sie zurück und sprach
die sich«!« Hoffnung aus. sie bald voll
kommen gesund und frisch wie eine
Rose wieder zu sehen. Inzwischen war
sie selbst wunderschön, üppig, unwider
stehlich in der kräftigen Fülle ihrer
Formen. Sie war im Reisekleid unge
mein verführerisch. Ihr Pilzwert
machte sie nicht plump wie die meisten
Woldes/"' antel einer Konigin des
Die Krankheit war jedoch nicht
schwer. Von Typhus keine Spur. Das
Fieber nahm nicht zu und kam nur
jetzt wieder ganz ordentlich gehe. Aber
nach der Abreise der letzten Gäste war
es wieder etwas schlimmer mit ihr
weinte im Stillen alle Augenblicke.
Mit Giuliano wechselte sie nur selten
ein gleichgiltiges Wort. Ihre Kräfte
waren erschöpft, aber sii leistete Wi
derstand, und in diesem von Niemand
bemerlten Kampfe verzehrte sich ihre
Energie. Sie war von jener stets zu
nehmenden Schwächt befallen, zu wel
che: weibliche Temperamente eine ver
l"ngnißvolle Neigung besitzen. Diese
n?r!würdige Art Krankheit ist nicht
tätlich an und für sich und ist sehr
x,ut zu heilen, jedoch nur, wenn der
"ranke den festen guten Willen dazu
hat. Wenn nicht, so stirbt er und be
geht unschuldigerweise einen unsinni
gen und grausamen Selbstmord.
So vergingen zwei Wochen. Giu
liano fing an, sich ernst- Gedanken zu
machen, und der Arzt desDorfes wußte
nickt inehr, was er sagen sollte. Eine-
Tages rückte er mit dem Vorschlage
heraus, man möge noch einen Arzt ru
fen.... um eine Meinung mehr zu ha
„Ah!" sagti Giuliano. ' "
Er erschrak. Und sollte die arme
Milla wirklich so krank sein, weil sie
das unglücklich« Gespräch gehört hatte!
Wie dumm war er doch genxsen! Zu
dem hatte Olga ihn gehörig zum Be
sten gehabt.... während Milla. daS
gute Wesen, ihn vergötterte! O gewiß,
ein tüchtiger, ei» berühmter Arzt
mußte herbei. Und der berühmte Arzt,
von Giuliano telegraphisch herbeigeru
fen, traf wenige Tage nachher inAstia-
Im Grunde genommen sagti ir nicht
viel. Er sprach von Nerven, von gro
ßer Gefühlserregtheit, von Blutarmuth,
Schwäche. Und während er diese Be
merkungen machte. Millas weiße, abge
magerte Hand hielt und di» Puls be
fühlte, betrachtete er aufmerksam bald
Giuliano, bald das starre Antlitz der
Herzogin.
Schließlich erklärte er, es sei nicht?
Gefährliches; er verordnete Eisenniit-
Ängesiellten des Gutes Asiu-nello zu er
kennen gab und ihn einfach, aber
ziemlich kategorisch fragte, ob die He
rzogin sehr, sehr krank wäre.
Der Arzt verweigerte die Antwort
friedigen.
Abe: Drollino gab sich nicht zufru
den.
ungedulidg die Achseln.
„Mein Lieber, was fragt Ihr? Wa
rum sollte sie sterben? Sie hat eine
gute Natur und ist jung. Sie bedarf
der Ruhe und hat nöthig, daß, man sie
in Frieden läßt, oasist alles."
„Ja," sagte Drollin? Aber wenn
indessen "
ren und tiesbekummerien Ausdruck.
„Ob es nicht noch anhängliche
Dienstboten gibt?" sagte der berühmte
Arzt zu sich selbst, während er in einen
schonen Wagen erster Klasse stiez.
Tonia im Ankleidezimmer, „das ist das
dritte Mal, daß er heute kommt, mit
der Entschuldigung, sich nach dem Be
finden der Frau Herzogin zu erkundi
gen."
„Ei, ei!" antwortete Theresa, die
zweite Kamm«rsrau, ~«r hat so ganz
Unrecht nicht; Carolina ist gar nicht
übel. Und er hat jetzt einen schönen
Lohn, und Beide gehören zum Gute. Es
„Was gibt's?" fragte sie ärgerlich,
als sie errieth, daß ihre Ankunft ein
Besprach abgeschnitten hatte.
„Nichts, nichts. Wir sprachen nur
zon Dr011in0...."
„Merkwürdig!" erwiderte das Mäd
chen. „Natürlich um Böses über ihn
zu sagen! Alle haben es auf den armen
Lurfchen abgesehen. Ich aber behaupte,
°»ß--"
„Was weiß man?... Es ist nichts
be 'ch " s'l Th
todt sei?"
„Potztausend!" flüsterte Tonia, „sie
U d si s t 'h d
mochten lateinisch« Namen sagen, so
viel sie wollten, das Uebel der Herrin
war nur Leidenschaft, das war es, und
Eifersucht und das Leid, welches der
Herzog ihr zugefügt hatt« wegen der
dicken Hexe, der Russin, die immer
lachte.
rolinas aufmerksam zu, ohne etwas zu
fag-n, ohn« zu merken,daß das hübsche,
artige Kammermädchen auch
er di« Zeit mit langen, ermüdenden
Ritten todt, von welchen Mia sehr oft
ganz schaumbedeckt heimkehrte.
Manchmal traf Drollino im Hause
oder in der Allee d«n Herzog an. Giu
liano bemerkte die Gegenwart des jun«
Ahnungsvermögen das Nahen de?!
Herzogs, und wenn er Zeit hatte, wich
er der Begegnung aus. Er-fühlt?, wi«
bei seinem Anblicke das Blut in ihm
wallte, und es kam wie wahnsinnige
Lust über ihn, diesem Manne mitStolz
und Empörung gegenüberzutreten. Ein
Lippen. Aber dann kam ihm die Her
zogin in den Sinn, welche dgs Fluche:«
nicht leiden konnte, und er wagte nicht,
ihn auszusprechen Und doch, wi«
gern« hätte er dem Herzog die Verwün
schungen in'S Gesicht geschleudert!
Er thaßte ihn aus Herzensgrund....
ohne irgend welche Scrupel. Er war
Und nun sollte Milla... vielleicht sterbeii
wie er langsam und gesenkten Hauptes
durch den Gang schritt. Er sah ihm
mit einem grimmigen Blicke nach, und
danken, der ihn von Kind auf bewegt
hatte, denjenigen, mit Mia zu fliehen,
weit, weit fort. So würde er nickts
wissen, nicht? seyen...., gesetzt den Fall,
daß....
Er verlieh den Stall und ging sein«
alten Wohnung zu.
ES war ein ileineSßauernhzuZ, daS
an ein großes Heumagazm angebaut
war und vor dem sich die große Ebene
ausdehnte. Ein alter Weidhüt»r mit
seiner Familie wohnte darin. Drollinos
Wohnung bestand aus einem Raum im
Erdgeschoß, der früher als Küche ge
dient hatte; er hatte sein Bett, zwej
Stühle und ein« alte Truhe dort, in
letzterer bewahrte er die wenigen von
seinem Vater geerbten Kleider, seine
gehörenden, und etwas alten Kram
bunt durcheinander auf. Er war schon
ein« Zeitlang nicht mehr dagewesen.
Die Hausfrau hatte seine Abwesenheit
benutzt, um in einer Ecke des Raume?
die letzte Kartoffelernte aufzuhäufen',
große Spinngewebe hingen zwischen
den Balken der Decke, und das einzige
kleine Fenster hatte zerbrochene Schei
ben.
Er öffnete die Truhe und fing an, in
den alten Kleidern herumzuwühlen.
Plötzlich hielt er inne. Es war ihm ein
kalter, schwerer Gegenstand in dieFin
zer gekommen. Mit einer lebhaften Ge
bilde zog er ihn hervor. Es war eine
ilte, zweiläufige Pistole, und er er
kannt« s>« sofort als die Waffe, welch«
sein Vater als Wachter immer benutzt
hatte. Er untersuchte sie lange, sie war
noch in ordentlichem Zustand«: und als
:r nxiter suchte, fand er in einemWin
lel der Truhe sogar noch Munition.
Drollino dachte nicht daran, die Kle
ider wieder zu ordnen. Starr, wie mag
nctisirt, blickte er auf die alte, etwas
vom Roste angefressen« Waffe.
Langsam sing er sie an zu putzen,
brachte sie in Ordnung und lud sie mit
vem Gedanken: »Sie wird mir auf der
Reise dienen."
Aber als er sie sauber und glänzend,
zum Gebrauch« b«reit, mit nachgiebigem
Drücker vor sich sah, hielt er nochmals
inne. Sein Gesicht glühte, die Schläfen
hämmerten, und er spannte den Hahn
und setzte ihn vorsichtig mit einer fast
krampfhaften Gebilde wieder in Ruh«,
wie in «insm furchtbaren inneren
Kampfe.
Endlich zuckte es blitzartig über das
verstörte Gesicht, und ein Gedanke
schien zu siegen. Drollino verbarg die
Pistole in der inneren Tasche der Jacke,
welche er eben trug, dann warf er die
Kleider alle wirr durcheinander wie
der in das Innere der Lade.
Zu Hause angekommen, erkundigte
er sich nach der Herzogin. Das Fieber
hatte zugenommen.
Am folgenden Tage fiel der erste
Schnee und hüllte die prächtige Villa
in tiefes, winterliches Schweigen. Im
Haufe herrschte eine fchwermüthige
Stille. Man sah den Herzog selten, und
Milla war seit mehreren Tagen nicht
mehr ausgestanden. Die so plötzlich
eingetretene Kälte war ihr schlecht be
kommen. Sie fühlte sich zwar nicht
sehr leidend; in der tiefen, trauervollen
Ruhe, in welch- si« sich versenkt hatte,
kam es ihr sogar vor, als werde sie ge
wiegt von einer sie langsam einschlä
fernden, vorrückenden Erschlaffung.
Und wenn dieselbe schließlich auch das
Ende bringen 5011te,.... je nun.... de
sto besser!..... Das nnr kein Leben
mehr.... Sich demüthigen, sie?.... So
beledigt»., vergessen? O niiii.... eher
Eiuliano seimrseits war im höch
sten Grade Schwere Gewis
sensbisse beunruhigen seine schwache
Seele. Er wünschte aufrichtig die Frau
zu retten, welche feiner grenzenlosen
Eitlkeit ihr eigenes Leben zum Opfer
brachte. Der unmittelbaren Herrschaft
OlgaS entrückt, kehr» er in sich; er be
reute, sie wieder geliebt zu haben, und
glaubte sie jetzt zu verabscheuen. Das
Schicksal seiner Gattin rührte ihn, und
er weinte oft, wenn er aus dem blauen
Zimmer kam. Wie gern wäre er sogar
er, dem die Scenen so sehr zuwider
waren Milla zu Füßeti gefallen,
hätte ihr gesagt, daß er im Grunde
nicht so schuldig war. wie si- ihn viel
leicht hielt.... hätte dessenungeachtet
ihr: Verzeihung erfleh?», ihr für die
Zukunst «ine aufrichtige, unum
schränkte Treue schwören.... und halten
mögen.
Er versuchte zwei- oder dreimal eine
Erllärung. Aber sie blickte ihn mit so
unnahbarem, eisigem Stolze an, daß
er in den einleitenden B-merkungen so
fort abbrach und die Erklärung.... auf
später verschob.
Eines Tages verkünd:!» Carolina
Drollino etwas, das sie ungemein be
trübte.... die Herzogin hatte nach Vater
Loria verlangt.
Drollino antwortet- nichts darauf
als sein gewohntes „Ah!", aber es
klang diesmal rauh und wie erstickt.
Nun wollte Carolina ihn beruhigen.
O, deshalb war es noch nicht zum Aeu
ßerstin gekommen; aber die Frau Her
zogin war so fromm, und dann.... viel
leicht..,.
Drollino blieb ernst und finster und
starrte aus den großen Tisch, wo eben
die Wäsche gestärkt wurde.
Der Schne« fiel unaufhörlich in gro
ßen, ausgefransten Flocken, und Pater
Loria kam in einem wirklich bemitlei
dcnswerthen Zustand in der Vorhalle
an. Während er vor dem großen, im
Kamin des Speisesaalts angezündeten
Feuer sich abtrocknete, kam der Herzog,
um ihn zu begrüßen. DasGespräch war
kurz und kalt, fast wie der Tag. Der
Priester und der Hausherr studirten
sich aeaenseitig und mißtrauten einan
der auch gegenseitig.
Giuliani? hatte für ihn zwei oder
drei etwas gewundene Phrasen; er
empfahl ihm, die Herzogin nicht zu er
müden, die Arme, die gar so schwach
war. Dafür hatte Pater Loria ein
zwei- oder dreimaliges' Kopsnicken. was
den Herzog jedoch gar'nicht beruhigte.
Und doch mußte dieser auf derSchNxlle
d«s Zimmers ein höfliches: .Bitt-, ma-
cyen Sie stch'S bequem," murmeln unv
sich sachte zurückziehen, während die
väterliche Gestalt des freundlichenAeist
lichen sich MillaS Bett näherte.
stürmisch würd«. Es war «in förmli
ches Duell zwischen der Autorität und
der Empörung.
Milla erzählt« ihm alles mit fieber
hafter Hast, mit dem ganzen Unge
stüm ihreSGrolleZ, mit dem Bedürfniß
nach Mitgefühl, das sie so sehr
quälte. Sie erzählte ihm mit plötzlich
erwachender Energie, wie sie ihren Gat
ten liebte, wie sie fühlte, daß der
Schmerz an ihrem Leben nagte wi« der
Wurm an der Wurzel der Pflanze?
O! Ihre Liebe war so groß, so glü
hend gewesen, ihre zärtlich«, schranken
los« Folgsamkeit nicht die Schwäche
einer zur Herrfchaft unfähigen Seele;
nein, ein vernünftiges Wollen, ihre
Auslegung d«r Liebe, ein unersättli
ches Opftrbedürfniß, die Selbstver
leugnungsmanie des liebenden Her
zens. Sir hatt« volles Vertrauen ge
habt, hatte ihm dies volle Vertrauen
biweisen wollen!... Sie wollte um
j«d«n Preis dem Herzen dieses Man
nes genügen! Und alles das war um
sonst gewesen. Er war wieder jener
.». zu Füßen gifallen. Und nun?
Pater Loria ließ sie ausreden» Aber"
als si« zu Ends war, als sie noch ganz
zitternd von ihrem Herzenserguß mit
heftiger Geberd« sich in ihr« Kissen
zurücksinken ließ, fing er an zu spre
chen.
Er hielt k«ine langen Reden.
„Ich verstehe Sie und bemitleide
Sie," sprach er sanft. Und dann, als
sie ihn wie außer sich mit weinenden
Aug«n ansah, fügt« er gelassen bei:
„Nun thut zweierlei noth: erstens ver
zeihen."
Si« schauderte. „Und dann?" fragte
sie mit leidenschaftlicher Ironie.
„Und d«nn leb«n," war Pat«r Lo
rias einfache Antwort.
Als der alt« Priester eine Stunde
nachher das Zimmer der Herzogin ver
ließ, traf er mit dem Herzog zusam
men, welcher, ungeduldig und beunru
higt durch die langandauernde Unter
redung, mit großen Schritten imGange
auf und ab ging. Der Beichtvater und
der Gatte grüßten sich äußerst höflich,
noch höflicher als beim ersten Zusam
mentreffen, aber nicht weniger miß
trauisch und voll gegenseitiger Abnei
gung.
Giuliano fühlte «twas in der Luft
liegen. Vielleicht eine nah- bevorste
hende Erklärung, welcher er jetzt, da
der Priester sie veranlaßt hatte, mit
Schrecken entgegensah. ES war für ihn
ein« wahre Erleichterung, als er von
der Kammerfrau vernahm, die Herrin
sei müde und habe besohlen, man solle
-sie ruhen lassen.
Milla hatte ausgeruht... aber jetzt
war sie ermattet.... Diese Ruhe war in
Wirklichkeit einer der HLrtestenKäm
pfi ihres armen beleidigten und zu
gleich liebenden Herzens gewesen. Die
Religion hatte einen Rath gegeben, und
die Natur und di« Jugend hatten ihn
mit geheimer Zustimmung gut gehei
ßen aber der Stolz hatte auch sein
rebellisches Wort geführt.
Die winterliche Dämmerung, ver
längert durch den weißen Widerschein
des gefallenen und des noch immer fal
lenden Schnees, breitete langsam ihr
grauweißes Zwielicht aus. In dem zu
nehmenden Dunkel trat das große Bett
mit den hellblauen Wänden deutlich
hervor. Millas blasses Eefichtchen hob
sich nicht mehr ab von dem weichen
Weiß der Kissen und schien beinahe die
unbestimmten Umrisse einkr Masle ai.-
zunehmen.
„Befehle,, Sie Licht?" fragte das „Nmi,"
„Nmi," antwortete Milla mit selt-
Das Mäbch-n ging auf den Fuß
spitzen hinaus.
- Im Zimmer herrschte ein tiefes, fei
erliches Schweigen. Giuliano empfand
ciine unerklärliche Angst, sah wie ge
bannt auf das blendend weiße Bett
und versuchte mit dem Blicke die unge
wissen Umrisse des kleinen weiblichen
Körpers zu erfassen, der regungslos
unter den Betttüchern lag und in dem
Dunkel, welches das Zimmer nach und
nach einhüllte, dahinzusterben, sich in
Nebel aufzulösen schien. Er hätte gern
mit Milla gesprochen, ihre Stimme
gehört; es war ihm ein angstvollesßc
dürsniß. Und während er dachte, wie
er ein« wenn auch gleichgiltige Fragt
an Milla richten könnte, aus die sie ihm
antworten müßte, siehe, da ertönte
plötzlich durch die beängstigende, ge
heimnißvolle Stille ihr schwaches
Stimmchen und sprach ein Wort, das
kommen war: „Giuliano!"
Er fuhr in die Höhe und neigle sich
rasch über das Bett, erschreckt von die
„Giuliano....", wiederholte sie lang
sam. „ich muß nic?!.... ich muß noch
nicht sterben. Und deshalb... weißt
Du...."
O! Sie konnte es fast nicht über die
Lippen bringen; es war so hart, so
üb»r-nenschlich Sie sie
kam aus der Fassung.
„Weißt Du," suhr sie mit einer h:l
-gessen will. Aber auch Du mußt, wenn
Du willst, daß ich..."
Er ließ sie nicht ausreden. Er warf
lich auf di« Kniee, ergriff sie bei den
Händen, bat sie mit erstickter, leiden
schwur, daß er sie lieb«, daß er nicht
Wirtlich schuldig sei. daß das, waZ sie
geyorr yane, nur der Ausdruck «>n«r
momentanen, flüchtigen Tollheit, einer
flüchtigen Laune ohn« irgend nxlch«
tiefere Bedeutung und Folgen gewesen
sei. Und er wiederholt« sein« Betheu«,
rungen, die glühend und aufrichtig
war«n, wi« in diesem Moment auch
seine Reue glühend und aufrichtig war.
Und in dieser sturmischen Reaction, in
diesem plötzlichen Wi«deraufleben sei
ner Liebe zu de>r Frau, die er zu verlie
ren fürchtete, würd« Giuliano b«redt
und zeigte sich in einem neuen Lichte,
in einem Lichte, in welchem er, seiner
Herrschaft über Milla vollkommen si
cher, sich nie die Mühe gegeben hatte, zu
erscheinen.
„Du liebst mich also. Du liebst
mich?" fragte die Kranke, in diesem
Augenblicke hingerissen von ihrer rasch
erwachten, warm ausbrechenden Liebe,
die sie wieder alles entschuldigen, ver
zeihen, vergessen ließ und sie blind
lings und selbstvergessen einer noch
mächtigeren und unerschütterlicheren
Täuschung überlieferte.
Er bedeckte sie mit Küssen. O, trie er
sie liebte! Wie er gelitten hatte!.... O
fein«, Milla, sein« angebetete Milla! Er
war nicht.... Kreole in diesem Augen
blick!
Plötzlich fühlte Mlla, wie in der fic
erwachten. Sie setzte sich im Bette auf,
umklammerte mit ihren abgezehrten A
rmen Giulianos Hals und schmiegte sich
' an ihn mit einem Schrei de« höchsten
Triumphes und Entzückens: .Leben!
Leben!"
« » «
In der Villa war noch immer das
Unterste zu oberst gekehrt. Vor weni
gen Stunden waren der Herzog und
die Herzogin nach Neapel abgereist, wo
die alte Herzogin Lanti«ri mit ihnen
zusammentreffen sollte.
Die Abreise hatte eben stattgefunden
und es würd« «och immer darüber hin
und her gesprochen. Die Herrin war
wirklich noch nicht hrrgeskllt, doch ging
es ihr viel besser. Aber sie hatt« viel
ausgestanden, die Arme! Und was für
eine Freude war ei für Alle gewesen,
als sie zum erstenmal zum Essen herun
terkam.
Den Abend vergaßen sie so schnell
nicht. Di« Mahlzeit war nicht im gro
ßen Saale aufgetragen worden, son
dern in einem gut erwärmten, mit den
schönsten Kamelien des Treibhauses ge
schmückten Zimmerchen. Nach beende
tem Mahle war die Herzogin, auf den
Arm ihres Gatten gestützt, einen Au
genblick in die Halle gekommen, um
den guten Leuten für ihre vielen „Le
behoch" zu danken. Sie hatte fast mit
jedem gesprochen, hatte die alte Pfört
nerin wiedererkannt, die Verwalterin
gegrüßt, hatte auch gesehen, daß zwei
Weidehüter da waren und sogar Drol
lino, der. scheu wie immer, sich hinter
einen Pfeiler halb versteckt hatte. Sie
ließ ihn sogar vor sich rufen.
„Ich habe vernommen," sagte sie
freundlich zu ihm, „daß auch Du oft
kamst und Dich nach meinem Befind«»
erkundigtest. Ich danke Dir dafür."
Er sah sie starr an, wie bezaubert....
Wie schön und blaß war sie... wie ver
schieden von allen Anderen!
.Giuliani), welcher der Herzogin zu
Ehren ganz alten Johannisberg» ge
trunken hatte, war sehr fröhlich auf
gelegt.
„Gewiß," rief er leutselig, „er kam
jeden Tag, um bei der Carolina nach
zufragen.... ei!.... ei! schau.... Drol
lino!"
tete, sie möchte sich ermüden.
Milla widersetzte sich nicht; ohne es
zu bemerken, verfiel sie unwiderstehlich
schast wurden natürlich di« Ereigniss«
der stürmischen Villeggiatur bespro
chen.
„Und die Russin?" fragte auf ein
mal der Küchenjunge.
gleiche Höhe mit dem Kinn und blies
mit einer lebhaften Grimasse rasch über
die Handfläche hin.
Es folgte ein allgemeines Gelächter.
Aber d«r boshafte Junge fuhr fort:
„Auf immer?"
scheu Miene die Achseln in die
„Mein Lieber, wer weiß das Künf
tig«?.... Hoffen wir, ja! So viel ist si
cher, daß dank dieser Te»f«lin unsere
gute Herrin in großer Gefahr gewesen
Und ich sge we d s ch
„So stirbt sie, he? stirbt sie
„was verstehstDu davon, jungerNichtS-
daß Du Dein Maul darein
hängn?"
Und um ihm zu beweisen, daß es ihn
gar nichts angehe, versuchte er ihm
Drollino ging unbemerkt aui der
Küche und begab sich wieder in den
! Stall.
angenehme Wärme und ein dem Auge
wohlthuende? Halbdunkel, welches hin
und wieder durch das Licht kleiner, an
den Gewölbebogen ausgehängter Lam
pen unterbrochen wurde. Hinten neben
der AusgangSthür brannte ein kleines
flackerndes Oellicht vor dem Bilde des
heiligen Antonius. In einem offenen
und eben leeren Verschlag lag auf «i
-n«m Klappbett ausgestreckt und in sei
nen großen, grauen Mantel gehüllt der
in festem Schlafe.
Im Stalle waren eb«n jetzt nicht
mehr als fünfzehn Pferd«. Sie waren
Ben ab und zu ein leichte» Stampfen
hören und verriethen jede Bewegung
durch den Lärm d«r hölzernen Kugeln,
die an den Halftern angebracht waren
und gegen die äußeren Wände der
Krippen schlugen.
Mia war zuhinterst, im Verschlag
rschts, und schlief, seitlich auf dem
Stroh ausgestreckt; aber als Drollin»
näher kam und sie halblaut beim Na
men rief, erhob sich daS gute Thier,
auZ dem Schlafe aufwachend, ungestüm
mit der raschen, dem edlen Pferde-eige
nen Bewegung, das nicht in einer un
thätigen Stellung überrascht werden
will. Es wandt« den kleinen, intelligen
ten Kopf und schaute s«in«n Herrn mit
den großen, ausdrucksvollen Augen
an....
Sprechenden, indem er liebkosend den
glänzenden Rücken des Pferdes strei
chelte.... „Mia, sie ist abgereist."
Der Widerschein des kleinen Lichtes
Tone fort, „wenn si« gestorben wäre...
hätte ich ihn getödtet.... weißt Du?...."
Eines der nächsten Pferde riß hes-
Jm Stalle herrschte tiefe Sülle.
8. Capitel.
wieder da, der Mai und sein Heller
Himmel, seine leichten Wolken, seine
frühzeitige Wärme! Der Mai, welcher
der Villa Astianello zulächelt, undMil-
Rosen von Astianello zulächelt.
Im Garten blühen sie in zahlloser
Menge, in allen Sorten und Farben;
Strauch doch sehr viel Geld kostet.
Eine Seltenheit, natürlich. Diese
ehrliche Abart der Rosen möchte bei
uns lieber nicht wachsen, da sie wohl
nimmt. Aber wir, statt ihr Dank zu
wissen für ihre ästhetische Erkenntniß
und ihre Sprödigkeit, strafen sie da-
Jetzt richtet sie sich auf und ruft:
leichten Roth üb«rhauchl ist. Ihre Ge-
Schleifen und rosafarbenen Blümchen.
Das reizende Geschöpf strahlt wirklich
von Gesundheit; der frische Morgen»
herte sich dem Feiister. In der Rechten
"'?Was?'
„Diese Rose."
„Weil es nicht eine Rose ist wie die
zndern auch; sie hat ein Original sein
wollen, und das taugt nichts."
„Wirtlich?" 5
„Nein. Man muß vernünftig sein
und thun wie die Andern bin
so überzeugt davon, daß ick nicht gut
predigen und schlecht handeln will. Ich
will nicht sein wie die grüne Rose. Wir
wollen also im Juni in's Bad geben."
„Aber, mejneLiebe, warum denn in's
Bad geh«», wenn Du keim- Lust da,u
t,a>t? Wr könnten ganz gut hier blei
ben."
(Fortsetzung folgt.)
Dem Reinen ist alles rein. Den'.
Münn«rtte!»«r für Arau««»
Kleiderreform für die Frauenwelt
bildet heutzutage «in schier unerschöpf
lches Thema. Verschiedene System«,
welche ein Mittelding zwischen der
Männer- und der Frauenkleidung dar
stellen, wie das modificirte syrische
System" und andere mehr haben be
geisterte Vorkämpfer und Anhänger
gefunden, andererseits haben dies« Re
formbewequngin «in« entschiedene Ver
urteilung erfahren. Ein berühmter
Pariser Künstler, der um sein Gutach
ten in dieser vielfach erörterten Frage
ersucht wurde, gab «ine zwar deutliche,
wenn auch brüste Antwort.
„Wenn meine Frau Hosen anzi«h«n
wollte, würde ich sie (die Frau) zum
Aenster hinauswerfen," erklärte er.
Trotzdem gibt es in Paris zahlreiche
Frauen, welche vollständige Männer
tleidung tragen und denen die dazu er
sordcrliche Erlaubniß von den Behör
den bereitwilligst ertheilt wird. Mei
stens thun dies Frauen, welche die' A
rscher zu Schaden, der, in das Hospital
überführt, um Unterbringung in der
Frauenabtheilung nachsuchte; es war
eben eine Frau, die, als Mann geklei
det. besser zahlende Beschäftigung ge
funden batte. Allein auch Frauen der
sogenannten besseren Stände haben die
Männertleidung adoptirt. Unter ih
nen ist besonders Madame Jane Dieu
lasoy bemerkenswerth. Bereits im
Jahre
Jane Dieulafoy.
1870 folgte sie in „Knickerbockers" ih
rem Gatten in dcn Krieg. Als ihr
Gatte später eine Forschungsreise nach
bleiben und sich mit „Flirtations" die
Zeit zu vertreiben oder MännerUeider
anzulegen und ihm zu folgen. Sie
that das Letztere und seitdem trägt sie
dieselbe nicht nur auf ihren ausge
dehnten Reisen, sondern auch in Ge
sellschaft. Ihrer Ueberzeugung nach
als billiger ist und das weiblicher Ge
schlechts auch von Frauen adoptirt
werden, da dieselbe sowohl praktischer
als billiger ist und die weibliche Ge
schlecht in den Stand setzt, Berufsar
ten zu ergreifen, die das jetzige Bell«,
dunasfystem dem Weibe verschließt.
.Nun, mein lieber Felsenbauer, wie
gehts denn Euch und Eurer Fami
lie?"
„Ich danke, unterthänigst, für hoch
gräfliche Gnaden, meine Kinder, ich
und m«i' Weiberl' fan g'fund, nur
die alte Muttersau, die is jetzt g'rad'
a wengerl unpäßlich!"
Sein Begriff.
.Mtin Sohn widmet sich der For
schercarriere, wird Reisender und geht
nächstens in die heißen Länder "
— will er machen in Son
nenschirmen?"
Bezeichnend.
„Wie alt sind denn die drei Töchter
d-r Baronin?"
.O. die erste ist heirathssähig, die
zweite heirathsberechtigt und die dritte
h-irathslustig!"
Splitter. Auf der Bühne
endet die Comödie mit der Hiirath; im
Leben beginnt die Tragödie mit de«
Heirath! 3