Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, February 23, 1894, Page 3, Image 3

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    M 5 6.
Nomon äks den, Italienischen »es Muitnl.
(3. Fortsetzung.)
j Er sing an zu lachen und schaukelte
„Der erste Stock für sie," dachte Giu
liano ruhig; der zweite für meine
Junggesellenwirtschaft, und diese Wo
hnung für die Mama allein."
anbetungswürdiger Charakter, ich ver
sichere Dich. Die Brillanten deS Hauses
sind auch noch da. Und denk nur, mein
eigene Familie zu haben!"
„Ja. eine Schaar Fratzen, die nicht
lernen wollen, oder nichtsnutzige Bu
ben, die Schulden machen."
Er war in der That rathlos. EZ är
gerte ihn, daß er sich bemühen sollt:,
jeineii Entschluß zu fassen.
Unten im Hof ertönte in einem fort
Säge. In's Zimmer hinein dämmerte
der Frühlingsabend. Die Wanduhr
verkündete die acht« Stunde mit seltsa
men, mißtönenden Klängen, mit den
Klängen einer Uhr, die nicht mehr in
der M»de ist. Der letzte Sonnenstrahl,
welcher schräg durch das Fenster drang,
fiel auf die verschossene, von der Leh
ne eines lahmen Sessels gequetschte
Sammttapete.
„Mutter Gottes zum Trost". Gewiß,
Gewiß, die Hochzeit" sollte bald stä'tt-
Er kam sich tugendhaft, im höchsten
Grade moralisch vor. Eine lebhafte,
zärtliche Achtung für seine eigene Per
sönlichkeit stieg in seinem Innern auf.
Er, so schön wie er war, ein solcher
Herr, ein solcher Edelmann, bequemte
sich dazu, eine Frau zu nehmen vor der
Zeit der Perrücke, der Fettleibigkeit,
der falsche» Zähne, der fiinszigvroeen
tigen Wechsel. Er lächelte still, lä
chelte der Zukunft entgegen und be
glückwünschte seine Mutter.
„Brave Mama! Und Du hast sie die
ganze Zeit hindurch sür mich ausge
'>svart, odschon...."
verschrumpften Wangen der
eine fast jugendliche
Färbung>!«^
„Ich wartet-/^-sagte sie einfach.
den!"
„Meinst Du? Nun wohl, desto bcs-
O weh, sehen Sie, wie ich verwirrt
bin? Kurz, ich verspreche Ihnen,
das Englische nicht zu vernachlässigen,
denn es ist gar so schön, und ich weiß,
daß es Ihr Wunsch ist, ich möchte nicht
vergessen, was Sie mich gütig gelehrt
haben. Ich bitte Sie, es nicht zu beach
ten, wenn dieser Brief nicht gut ge
schrieben ist, nicht einmal gut auf ita
lienisch. denn ich schreibe ihn b:imlich
uns yave leine Zeit, an vie Syntax
und alle andern Listen und Kniffe der
Grammatik zu deuten. O, meine liebe
Frau Rhoda! Wenn Sie wüßten, wie
viel sich ereignet hat. seitdem ich Ihnen
das letzte Mal schrieb, und welch«
Neuigkeiten °khre Milla zu berichten
hat!
„Manchmal kommt es mir vor, als
ob ich träume, und dann fürchte ich ein
jähes Erwachen; und manchmal wieder
weiß ich nicht, wie ich Worte finden
soll, um dem Herrn zu danken. Wenn
ich die Augen schließe, glaube ich von
blauer Himmelsluft, wie wir sie hoch
über uns sehen, umhüllt zu sein; ge
wiß recht sonderbar, Sie werden sich
wohl auch darüber wundern. Glauben
Sie aber trotz alledem nicht, daß ich
tolle Streiche mache; ich bin vielinehr
sehr ruhig, da ich sehe, daß der Herr
vor mir eine» lichten, sonnenbeschie-ie
nen und mit zahllosen Blumen bestreu
ten Weg geöffnet hat. Kur,, ich will
versuchen, Ihnen «Ves haa.llein zu er
zählen; ick weiß gar nicht, unrum ich
eine Art Scheu empfinde, Ihnen al
les dies zu sagen, da ich doch so glück
lich und zufrieden bin....
wie thöricht!
„Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen
schrieb, ich wolle Nonne werden? Zum
Oberin, zu warte» und mich zu prü
ft», ob ich dazu berufen sei! Nun sehe
im em, daß ich einen großen Fehler
begangen hätte. Aber damals war mir
der Gedanke gekommen, weil ich meine
arme Gefährtin Giulia Ferranito hatte
sterben sehen (ach! welcher Schmerz war
das für mich!) und weil meine theure
Freundin Teresa Reccadei die Anstalt
verlassen hatt»; zudem war Maria
San Fermo im Kloster eingekleidet
worden, und diese Ceremonie hatte auf
mi-5 einen sehr großen Eindruck ge
macht. Eigentlich hatte ich noch einen
andern Grund, aber diesen habe ich
niemals ausgesprochen. Ich war näm
lich recht melancholisch geworden; am
Donnerstag wurden alle andern Zög»
linge in das Sprechzimmer gerufen,
für mich aber kam niemals jemand,
niemals! An diesem Tage wußte ich
dann nichts anderes zu thun, als zu
weinen, und wenn meine Gefährtinnen
der Zeit geblieben, aber dem Schmerz
um die Mutter, die einem fehlt, ist
leider nicht abzuhelfen! Was soll ich
also (so dacht: ich bei mir selbst) allein
in dieser schrecklichen Weli voll Gefah-
Allem unterrichtet?.... Deshalb hatte
zu bleiben. Aber jetzt, o ist al
die Welt, alles, alles! '
erst Dienstag, läßt mich die Mutter
anziehen," weil ich noch eiittge Frost
beulen hatte, und führt mich selbst in
das Sprechzimmer. Und dort, hinter
und der ehrwürdigen Mutter Oberin
in Silber gefaßten Rosenkranz
bringe, den der Papst für sie gesegnet
etn Wort zu sagen. AIS sie im Begriffe
waren zu gehen, grüßte er mich auf's
höflichste und sagte, er empfehle sich
meinem Gebet. Ich betete in der That
auch recht von Herzen und dachte an
den unerwarteten Besuch und an den
Befehl der Oberin, bei meinen Gespie
linnen nicht davon zu sprechen, und
fragte mich oft recht neugierig, ob die
Dame am Donnerstag wohl wieder
kommen und allein kommen würde.
' „Aber am gleichen Abend noch ließ
mich Mutter Maria dellä Croce ru
fen und fragte mich, wie jener Herr
mir gefallen habe. Ich sagte, er scheine
mir gut zu sein, wie sein« Mutter.
Dann sprach mir die Oberin lange von
«Lattin verlange.
„Stellen Si: sich vor, Frau Rhoda,
wie ich dastand. Es gab mir einen ge
waltigen Stich in's Herz ich kam
ganz aus der Fassung! Aber die Obe
rin machte mir Muth und sagt:, ich
möge nicht erschrecken, sonder» viel
mehr dem Herrn danken, der mich vor
den Gefahre» habe behüten wollen, die
in der Welt unausbleiblich auf ein
junges Mädchen warten, und mich so
eine günstige Gelegenheit habe finden
lassen, um in einen Stand zu treten,
der, wenn auch noch so unvollkommen
und noch so tief «iter dem geistlichen
Stande stehend, doch derjenige sei,
welchen die Vorsehung den meisten
Mädchen bestimmt habe. Sie erging
sich in Lobeserhebungen über den Her
zog und den Adel seines Hauses und
erklärte mir, wie dankbar ich ihm sein
müsse, daß er an eine einfache Pensio
närin gedacht habe, während er eine
viel glänzender« Wahl hätte treffen
können. Darauf fayte sie mir, ich solle
mich drei Tage in stiller Zurückgezogen
heit bedenken und die Hilfe des Herrn,
der Mutter Gottes und aller Heiligen
anrufen, damit sie mich erleuchten und
mir den Willen der göttlichen Vorse
hung kund thun möchten.
„?iuli wurde ich sofort ruhig, und
nachdem ich den Herrn, die Mutter
Gottes und die Heiligen viel und eifrig
besraat hatte, kam es mir wirklich
vor, als ob sie ,ja" sagten, und daß es
gut wäre, wenn ich einwilligte. Auch
mein Beichtvater war der gleichen Mei
nung, und als die drei Tage vorbei
waren, sagte ich der Oberin, ich sei
einverstanden. Die Herzogin kam so
gleich, nannte mich ihre liebe Tochter
und überhäufte mich mit prachtvollen
Gescheuten, welche das Entzücken mei
ner Gefährtinnen ausmachen. Auch
mein Verlobter kam zu wiederholten
Malen wieder, und ich begreife jetzt
nicht mehr, wi? es in der heilige»
Schrift stehen kann, die Frau müsse
ihren Mann lieben. eine schöne
eine schöne Aufgabe!
„Aufrichtig gesprochen denke tch, tch
muß wirklich dumm scheinen, weil ich
niemals den Muth zum Sprechen fin
den kann und ganz zufrieden bin, wenn
ich ruhig hinter dem Gitter stehe und
ihn reden höre mit seiner Stimme, dte
so sanft, o nein, noch viel besser klingt,
als diejenige keiner Mutter, und ihn
sehe, wie er jenseits des GiiterS seine
weiße Stirn und seinen goldschim
mernden blonden Bart an die Stäbe
lehnt. Ich habe bemerkt, daß er blaue
Augen hat. Auch hat er schneeweiße
Hände, die mit einem blitzenden Ring
geschmückt sind. Und was für Sachen
er mir sagt.... Zum Beispiel, stellen
Sie sich vor, daß er so viel von mir
schon gut gewesen sei, bevor er mich
gekannt habe. Da sieht man deutlich,
daß eine Fügung Eotles uns zusam
les thun, um mich glücklich zu machen,
er werde ranne leisesten Wünsche er
füllen; auch ist mir zuliebe ausgemacht
worden, daß wir sosort nach der Hoch-
Ach, denlen mein liebes Astianello,
sehen Habs! Es wird mir'gewiß recht
weh thun, das Kloster, di: guten
Schwestern und meine Gespielinnen zu
verlassen; aber so sehr es mich auch
schmerzt, bin ich dennoch glücklich (das
ist wohl recht schlimm von mir?) und
wundern mein' Glück,"die' Schwestern
sind äußerst zufrieden, ivenn sie auch
jeden Augenblick von den Leiden des
Ehestandes sprechen; aber ich glaube,
sie reden so, weil sie das eben nicht
gut verstehen. Mich diinlt, ich möchte
um alles Gold der Welt keine Nonne
werden, und der Herr sei überaus gü
tig gegen mich gewesen.
»vmtlchuldigen Eie dielen schrea
lichen Brief. Denken Sie sich nur. wenn
ich englisch geschrieben hätte, mit all
dm verwickelten should und would!
Ich werde Ihnen wieder schreiben, um
Ihne» anzuzeigen, wann die Hochzeit
ist. Wer weiß, ob wjr nicht in Astia
nello bleiben? Denlen Sie! In Astia
sagen mit meinem Gatten. Ei» son
derbares Wort, nicht wahr? Bergessen
Sie den Namen nicht: Gtuliano....
Herzog Giulino Lantieri... Ich aber
habe ihn bis jetzt immer Herr Herzog
genannt, und er sagt Fräulein zu mir.
Wie wird es wohl klingen, wenn er
Milla sagt!.
„Gestern habe ich d?el geweint; ich
dachte an meine gute Mutter, die ich
nie gekannt, und an meinen Vater, den
ich so früh verloren habe. O, wie wer
den sie sich freuen im Himmel!
Thränen in die Augen. Entschuldigen
Sie diesen Brief; weiß Gott, wie viele
Fehler darin sein weiden. Schreiben
Sie mir recht bald. Ich verbleibe Ihre
glückselige Schülerin
Turin, im Kloster der...
Milla d'Astianello.
P. S. Vergessen Sie den Name»
nicht.... Giuliano." I
3. Capitel.
Nach Astianello 'kam die überra
schende Nachricht in einem langen
Briese, welchen der Vormund an den
Gutsverwalter schriet. Die Hochzeit
sollte an dem und dem Tage in Turin
gefeiert werden, und sechs Stunden
nachher würden die Neuvermählten
bei derEisenbahnstativn *** anlangen,
wo die herrschaftlichen Kutschen bereit
sein sollten, sie nach der Villa abzuho
len. Zudem wurde befohlen, die Weg«
mit frischem Kies zu überführen, dos
blaue Gemach, das Schlafzimmer, wel
ches auf die Terrasse ging, zu lüften
und für das junge Paar herzurichten
und die Mahlzeit für zwei Personen
um sieben Uhr bereit zu halten.
Diese unerwartete Anzeige, dieser
Wind, der sich so Plötzlich in der Atmo
sphäre erhoben hatte und einen neuen
Herrn herwehte, erregte großes Aufse
hen. Wer war er? Wie sah der Bräu
tigam des Fräuleins aus?.... Das pri
vilegire Westen, welchem ein derartiges
Glück zu Theil geworden?
Die Berichte kamen nur spärlich
und vereinzelt; etwas allerdings ver
nahm man von diesem verwünschten
Bräutigam. Er war ein Herzog.... al
so ebenfalls ein Hochadliger und hatte
bis jetzt ein luftiges Zeben geführt...
und nun nicht mehr viel Geld. Es hieß
euch, er fei sehr schön, und das Fräu
lein habe sich im Kloster in ihn ver
liebt.... «ine schlaue Mutter habe die
Sache einzufädeln gewußt. Ihre Woh
nung sei nicht bereit, und deshalb kä
men sie nach Astianello.
Die Neugierde unter den gutenLeu
ten war groß und auch die Ungewiß
heit. Wie würde es mit dem neuen
Herrn gehen? Wer würde befehlen, er
oder sie? Und das Gestüt? Verstand er
wohl etwas davon? Würde er es wohl
in gutem Stande halten?.... Auf den
Triften wurde von nichts Anderem ge-
Und je näher der Tag der Ankunft
heranrückte, desto mehr hielt eine heim
liche Furcht vor dem unbekannten Gat
ten des Fräuleins das dienende Perso
nal auf dem Landgute in Aufregung
und in einem freundlicheren und we
niger egoistischen Verkehr.
Endlich brach der große Tag an.
Ein lauer, Heller Tag, einer der letz
ten des April, ein wahrer Hochzeits
tag.
Der Gutsverwalter gab genaue Be
fehle: um vier Uhr Nachmittags auf die
Station den Landauer mit vier Pfer
den und einen Jäger zu Pferde, als
Begleiter des Wagens, gerade Drolli
no, welcher der geschickteste und statt
lichste Reiter aus dem ganzenGute war.
Und in der That war Drollino im
Zeitraum dieser acht Jahre sehr schön
geworden. Er war rasch gewachsen und
war kühn und gewandt wie ein Dis
kuswerfer des Alterthums. Seine Ge
müthsart hatte keine großen Verän
derungen erlitten; er hatte sich eine
große Selbstständigkeit des Charakters
beivahrt, war weder lustig noch gesel
lig und verkehrte mit seinen Kamera
den gerade so viel, als die gemeinsame
Arbeit es erforderte. Er war mitten
unter den Pferden, im Stall und auf
den Triften und zog beständig im wei
ten Gebiet der Einfriedigung umher.
Das Fluchen hatte er sich fast ganz ab
gewöhnt, aber stets ein einsilbiges We
sen beibehalten. Er war nun beinahe
zwanzig Jahre alt und hätte in den
Herze» der Dorfschönen große Verhee
rungen anrichten können, wenn ihm et
was daran gelegen wäre; aber er war
so wenig freundlich gegen sie und be
schäftigte sich so wenig mit ihnen, daß
die auf keine Weife ermuthigten Sym
pathien bald erloschen. Im Ganzen ge
nommen flößte er mehr Scheu als
Sympathie ein. Aber auf dem Gute
hielt man große Stücke auf Drollino.
Jeden Unterricht verschmähend,
hatte er allein mit einem eisernen Wil
len die schwierigsten Fertigkeiten sei
nes Standes gelernt. Er war der erste
Bändiger, auf den das Haus Astianel
lo, ach! nicht mehr Astianello.... Lan
tieri! stolz sein durfte. Er hatte seine
ganz eigene Methode, um die wider
spenstigen Thiere zu bezwingen, eine
Methode, die er keinen andern lehrte;
ein Stierhuter, so hieß es, halb Hexen
meister, halb Zigeuner und nebenbei
Schmuggler, hatte ihn darin unter
richtet. Mödlich, daß nicht alles mit
rechten Dingen zuging. Man vermu
thete ein Geheimniß, eine Art Zau
ber. Um nicht belästigt zu werden, ließ
er das Geschwätz aus dem Gute ruhig
fortbestehen, vielleicht wußte er selbst
nicht, wie es kam, daß er die unfolg
samsten Pferde wie mit magnetischer
Kraft derart beherrschen konnte. Er
wollte! Das war alles.
ur war immer ernst; aver man
konnte ihm weder Melancholie noch
üble Laune fortwerfen. Besser als bei
den Kameraden, besser als bei den
ländlichen Schönheiten auf dem Gute
schien es ihm in der großartigen Ein
samkeit der weiten Ebene zu gefallen,
wo Mia seine fast unzertrennliche Ge
fährtin war!
Mia war eine Prachtsstute gewor
den, berühmt durch ihre außergewöhn
liche Schönheit der Formen und ihre
vorzüglichen Naturanlagen.
Wenn Drollino ohne Sattel auf
Mias Rücken über die Weiden ritt/
hielten die Pferdeknechte und die Berei
ter in ihren Beschäftigungen inne und
standen still, um die prächtige Gruppe
zu betrachten. Mias Name war über
die Grenzen des Gutes hinausgedrun
gen, und es waren Drollino schon an
sehnliche Kaufsangebote gemacht wor
den; aber der junge Mann hatte mit
einem so barschen, kurzen Nein geant
wortet, daß jetzt Niemand mehr Un
terhandlungen anzuknüpfen versuchte.
Mia war Drollinos Stolz, Drollinos
Leidenschaft. Er hatte nie Jemand er
laubt. sie zu reiten oder zu lenken, und
erwies ihr unermüdlich die größte und
zärtlichste Sorgfalt.
Manchmal pflegte er ihr etwas in's
Ohr zu flüstern, als ob sie ih» anhö
ren. ihn verstehen könnte. Er brachte
,str zum Gehorsam, ohne sie je zu schla
gen, er hatte sie an eine außerordent
liche Empfindlichkeit des Mundes ge
höhnt. Der Traum seiner Kindheit
>war erfüllt; dieses Pferd war fein, im
'mer fem, wirklich sein.... Nei«! Nicht
"immer.
Es gab einen Hill, einen einzigen
Fall, in welchem Drollinos Stimme
jede Zaubermacht über Mia verlor. In
diesem Falle widersetzte sich Ma.
Nichts konnte diesen Widerstand be
zwingen, weder Härte noch Güte, we
der heftige Züchtigung noch grausame
Hiebe mit der Gerte. Mia fürchtete sich
vor dem Knall einer Feuerwaffe.
Eine unsinnige, rasende Furcht kam
über sie und versetzte sie in eine tolle,
wuthähnliche Aufregung. Sowie sie
den Knall hörte, jagte sie i» gestreck
tem Galopp mit wett offenen Nüstern
und einem durchdringenden, schmerz
lichen Wiehern davon. Und um nicht
aus dem Sattel oder dem leichten
Wagen geworfen zu werden, an wel
chen Drollino feine Stuie zuweilen
anzuspannen pflegte, bedurfte es Drol
linos eiserner Kniekehle» und Fäuste.
Er hatte das Möglichste gethan, um
das arm« Thier von dieser nervösen
Reizbarkeit des Gehörs zu heilen, aber
er hatte nichts erreicht, und in jenen
Momenten wurde Mia auch für ihn ein
gefährliches Pferd.
Auf dem Gute kcrnnte man diesen
einziaen Fehler Mias; aber Niemand
wagte, mit Drollino davon zu sprechen,
seitdem ein unvorsichtiger Stallknecht,
der ihm höhnend dies« Feigheit der
Stute vorgehalten hatte, von ihm mit
einem wahren Hagel von Faustschlägrn
heimgeschickt worden war.
Vor der kleinen Eisenbahnstation
betrachten einige Landleute erstaunt
Landauer, den ein imponirender Kut
scher aus dem ebenen Platze langsam
hin und her führt.
Em wenig abseits vermag ein Reit
knecht nur mit Mühe eine prachtvolle,
unruhig stampfende Stute, Mia, zu
zügeln.
Von Zeit zu Zeit läßt Drollino ih
rer Laune ein wenig freien Lauf und
beobachtet dabei mit boshaftem Blicke
von hinten den kleinen Herrn Damelli,
den Gutsverwalter, der auch hergc
seine Aufwartung zu machen, und sich
ängstlich hütet, seinen Spaziergang bis
in di« Nähe der Stute auszudehnen.
Aber wie Drollino den Zug von ferne
heranpoltern hört, faßt er die Zügel
straffer. Der Landauer hält gerade dem
Bahnhof gegenüber still, die Locomo
tive wird sichtbar und neugierig wer
den die Hälfe gereckt.
Lärmend naht sich ein schwarzes
Ungethüm, das einen großen Feder
busch von weißem Rauch nachschleppt.
Man hört eine Glocke läuten, sieht eine
rothe Fahne im Winde flattern. Mia
wird unruhig, schnaubt, möchte sich
bäumen, aber ihr Reiter hält ihr die
Weichen wie in einem eisernen Schrau
bstock fest, während er mit der in hirsch
ledernem Handschuh steckenden Hand
der Stute leicht auf die Mähne klopft
und ihr den Hals streichelt. Mia beru
higt sich und wartet, aber mit gespitz
ten Ohren und zitternden Knien.
Ein langgezogener Pfiff tönt über
die Gitter weg, der Zug hält still und
geht eine Minute nachher wieder ab,
und mitten aus dem Gewimmel taucht
unter der Thüre des Bahnhofs ein
junges, schönes Paar auf, welches seine
Schritte »ach dem Landauer lenkt.
Stunden Vermählten!
Drollino sieht sie sogleich und be
trachtet sie wie im Traume.
Ja.... sie ist es, die Signorina. Ge
wachsen, ganz gewiß, aber nicht sehr;
und immer noch das gleiche, ungemein
liebliche Gesichtchen. Wie blaß sie ist!...
Aber jetzt, mit diesem Lächeln auf den
Lippen, ist sie ganz die Milla vor acht
Jahren!
Sie trägt einen großen Hut von
stbwarzem Sammt mit schwarzen Fe
dern. ein eng anschließendes, dunkles,
englisckies Kleid. Sie schaut rundum
mit bewegtem, erschrockenem und zu
gleich glücklichem Blicke. Der Verwal
ter tritt vor, um sie zu begrüßen. Sie
wird gerührt. .Ach! Herr Damelli,
nicht wahr!.... Mein armer Papa..."
Zwischen den braunenWimpern drängt
sich eine Thräne hervor. Da schüttelt
die junge Frau den Kopf, lächelt, er
räthst und stellt Herrn Damelli Giu
liano vor: „Der Herzog... mein Man»!"
Sie sagt zum erstenmal: „Mein
Mann!" Und dieser Mann Ist ohne
Zweifel «in sehr schöner junger Herr,
nicht sehr groß, etwas beleibt, mit ei
nem goldblonden Christusbart. Die
Gesichtszüge durchaus vornehm, rund
lick> etwas schlaff. Er ist äußerst lie-
Nachlässiges. ja, genau besehen, sogar
etwas Verächtliches. Sei» ganzes We
sen trägt den Stempel des Langweili
gen Trägen; aus seinem starren Lä
cheln. aus dem flammenden Blau sei
ner Augen spricht ein frecher Wunsch:
er möchte zu Hause sein.
Drollino. schlank und unbeweglich
auf dem Rücken seines schönen Neit
thieres, betrachtet forschend und auf
merksam das Gesicht des neuen Herrn,
das ihm nicht gefallen will, und kommt
schließlich auf den seinen praktischen
Sinn kennzeichnenden Gedanken, man
müsse einen Mann erst im Sattel gese
hen haben, um ein richtiges Urtheil
über ihn zu fällen.
Wiihrend die Koffer geladen werden,
betrachtet Milla die bekannte Land
schaft. Und in dieser Landschaft bietet
sich ihrem Auge plötzlich das unbeweg
liche Bild eines Reitknechts zu Pferde.
Sie blickt genauer hin und weiß nicht,
ob sie recht sieht, zwei funkelnde Au
gen und ein braunes Gesicht sind ihr
zugewandt: „Oh!" sagt sie lächelnd
und gerührt. „Drollino!"
Drollino neigte sich tief, während
ein flammendes Roth über sein drau-
neZ Nirtlitz fllegk. Mlla näher! sich
und sogt:
„O Drollino! Wie groß Du gewor
ben bist!"
Jetzt erinnert sie sich an Mia und
frägt nach derselben.
„Da ist sie!" sagt Drollino und zeigt
auf sein Reitthier.
Milla streckt die Hand aus, wie um
Mia zu lieblosen, und Beide, der Reit»
knecht und die Herzogin, gedenken lä
chelnd der alten Zeit.
Aber die Koffer sind geladen und
Der Herzog hat sich Herrn Damelli vom
Halse geschafft. .Milla," ruft er unge
duldig. Sie vergißt Drollino, vergißt
Mia, verläßt sie, ohne zu grüßen, und
eilt zu ihrem Gatten, welcher ihr den
Arm bietet, um ihr beim Einsteigen be
hilflich zu sein. „Vorwärts!" befiehlt
der Herzog; und auf der schmalen,
staubigen Straße, zu deren beiden
Seiten weite, grüne Saatfelder sich
hinziehen, traben die vier Pferde rasch
und pomphaft dahin. Drollino ist hin
ter dem Wagen zurückgeblieben und
wartet nur, bis die größere Breite d:r
Straße es ihm möglich macht, dasGe
fpann zu überholen. Der Landauer ist
offen, und er sieht, wie der große,
schwarze Federhut und die elegante
schottische Reisemütze sich nähern, sich
einander zuneigen, als wollten sie
selbst ein Gespräch beginnen... er sieht
breite, unruhige Schultern und seine,
'schmale, ein wenig zitternde Schultern
.... sieht bewegte Profile, sprechende, la
chende Lippen. Aber plötzlich schreckt
der große schwarze Hut rasch zurück....
wie vor einer Gefahr.
Nun wendet sich der Herzog mit ei
ner beinahe brutalen Bewegung der
Ungeduld: .Voraus!" herrscht er
Drollino-zu.
Mia fiihlt die Sporen in den Wei
chen, fühlt sich auf den äußerst schma
len Wegstreifen getrieben, der links
xiuf der Straße zwischen dem Weg und
den Feldern sich hinzieht. Blitzschnell
jagt sie vorbei, und Drollino sieht
nicht, wie sich die Hand des Herzogs
unter dem schwarzen Hut mit der wal
lenden Feder durch ausstreckt und mit
gebieterischer Lüsternheit aus die Schu
ltern der Herzogin legt.
Das Personal des Gutes war bei
nahe vollzähilg am Gitter bei der Ka
man in der Ferne von der Straße her
das Geräusch eines Fuhrwerks ver
nahm. Dann hörte man nur kurze, halb
unterdrückte Worte: „Jetzt kommt sie...
sie ist's.... gleich wird sie da sein." Aber
sie war es nie, und es fing bereits an
Endlich hörte man einen anhaltenden
heftigen Galopp „das sind sie ge
wiß." Und alle erhoben sich auf die
Fußspitzen, um besser, um zuerst zu
sehen. Aber nein... es war Drollino.
mit Schaum bedeckt. In zwei Sätzen
flogen Roß und Reiter zum Gitter
herein durch die zu beiden Seiten
gedrängt stehende Menge, die bei dem
Erklärungen zu geb?n, in gestrecktem
Galopp sauste er dahin und verschwand
fast plötzlich in der Richtung gegen die
Triften.
Der Wagen mit den vier Pferden
langte erst zwanzig Minuten später
an.
4. Capitel.
Die Uhr auf dem braunen Kirch
thurm verkündete mit tiefem, schwerem
Schlage halb elf. Die jungen Gatten
hatten vor kurzem die Mahlzeit be
endet, und der Herzog, der in schläfri
gem Tone von der Ermüdung durch
die Reife gefprockM, hatte Milla so
gleich hinaufgeführt in ihr Zimmer...
Und die Räume,
ging. Dann wurden die Thüren ge
schlossen und keinerlei Geräusch war
mehr hörbar. Lust und Fröhlichkeit
beschränkten sich auf die Gesindestube.».
Ivo der Wein die Runde machte und
fröhliche Späße, ungezwungenes La
chen und ungezwungene Reden in un
unterbrochener Folge miteinander
wetteiferten. Aber der laute, rohe Ju
bel verhallte innerhalb der getünchten
Wände dieses Raumes.
Das Haus lag, in feierliche Stille
getaucht, wie schlafend da in der licht
vollen Klarheit der Nacht; hoch, ge
heimnißvoll, vornehm, leuchtend im
hellen Mondenschein, welcher, voll auf
die Fassade niederfluthend, diese mit
kühlem Silberglanze zu umweben
schien. Tiefschwarz lagerte sich der
Schatten der Villa seitwärts auf das
feuchte Grün des Gartens. In diesem
sanften Lichte schienen alle Umrisse
schärfer hervorzutreten: das duntle
Laubwerk der Allee schien sich wie ge
meißelt von dem Hintergrund der rei
nen tiefblauen Lust abzuheben.
Ein unendlicher Frieden lag über
Schloß und Garten. Im Röhricht deS
Weihers ertönte zuweilen ein kurzes
Geflüster der Binsen, welche gewiegt
werden v»n einem plötzlichen Hauche
des Nachtwindes: von der Allee her ein
verlorener Schlag der Nachügall.... Die
Luft war erfüllt von dem starken und
lieblichen Dust des spanischen Flieders,
davon ganz nahe ein großer Strauch
in voller Blüthe stand
Mitten in diesem Frieden und dieser
Ruhe fiel aus den Kies des Gartens
der Schatten eines Mannes, buld län-
Richtung des Körpers, der ihn warf.
Es war Drollinos Schatten.
(Fortsetzung folgt.) .
Zigeuner,misik.
Wenn Trägheit und Leichtsinn alle
Tugenden brach legen, so befördern sie
doch bei den Zigeunern zwei Talente:
das der Poesie und das der Musik t
Wie die wandernden S»ielleute deS
Mittelalters das Volkslied und die
Fiedeltänze erfanden, während sie ür
den Bock gespannt auf der Schand
bühne faßen, so sind auch die Zigeuner
trotz aller Vedrängniß ihres Stammes
Musikanten geblieben bis auf den heu
tigen Tag—mehr als Musikanten —
Musiker. In ihren Poesien weht der
Hauch des Orients schwül und duftig
wie ein Mittag lüftchen über Narzis
sen. Keine andere Musik hat diese
eigenartige, bizarre, bald klagende,
bald schmeichelnde, beinahe winselnde
Klangfarbe. Freilich ist sie nie fr»
von Effekthascherei. Bald wird das
Tempo gezogen und gedehnt, daß eS
wie das Klagen des Windes klingt,
'bald wird es überhastet, so daß mal»
einen Katarakt von Tönen zu hören
glaubt. Man ist verblüfft, gefangen,
man meint, das Höchste gehört zu ha
ben, und hat doch eigentlich nur da?
Aiafnnirteste kennen gelernt. Die
'schrillen Töne der Panflöte (einen»
primitiven Instrument, dessen anein
andergefiiate Röhren von verschiedenes
Länge aus Schilfrohr bestehen) Hüpfens
gleich Irrlichtern über dem stagniren
den Wasser der ungarischen Klage
melodie, das Cymbal rauscht, die
Mandoline schwirrt, und in diese?
Tönebachanal kratzt und piept dann
manchmal noch das, „Jl Remo" ge
nannte, einem Reibeisen ähnliche Mu
sikwerkzeuq, welches jetzt durch dei»
Kontrabaß ersetzt zu werden pflegt.
Ueber dem allen aber schwebt die Kö
nigin der Instrumente, die Geige, die
stete Begleiterin der Zigeuner, seine
Freundin von der Wi?ge bis zum
Grabe.
„Die Geige gibt mir Leben,
Trank und Speis' muß sie mir geben;
Wenn ich nicht mehr geigen kann«
Bin ich ein verlorener Mann.
Will mein Herz vor Leid zerspringen.
Hör' im Sack kein Gel? ich klingen,
Spiel' ein Liedchen ich aus der Geigen.
Bringe Hunger, Schmerz zum Schwei-»
S si .t d . d'
primitive Instrumente darunter—aber
Fülle, welche Kraft,, welchen
des Tones weiß der Zigeu
ner feiner Geige zu entlocken. Man
fragt sich unwillkürlich: haben denn
gestalten? Und. dieses Musikgedächt»
Zerfahrenes, Wüstes und ist des ur
zu den stürmisch berauschenden unga
rischen Märschen. Auch die rumäni
schen Zigeuner sind geborene Musiker
und Tänzer, die den Takt in der Seele
zu heben scheinen, und bei denen tanzen
und spielen und gehen l:rnen dasselbe
ist: denn wenn die Mutter in die Hände
klatscht, macht das Kind, das kanin
auf den Füßen stehen kann, schon takt
mäßige Bewegungen dazu. Hat daZ
Kind dann das Alter von vier bis
sechs Jahren erreicht, so wird ihm eine
kleine Geige „Pochetts,, in die Hand
gegeben, auf der es sich mit der ihm
anaeborene Liebe und Veranlagung
ohne jegliche Unterweisung versucht.
Den Fremden bietet sich in den rumä
nischen Vorstädten und Gassen, welche
den Zigeunern zugewiesen sind, oft
das seltsame Schauspiel eines auf der
Straße von unbekleideten und zerzau
sten Kindern ausgeführten Streich-
Spielleuten abgelauschtes Lied wieder
giebt. Ein zweites Lieblingsinstru
ment besitzen die Zigeuner in der
Harfe. Doch dient ihnen dieses Jn
tesse, daß das Publikum in helle Be
drei Stunden verwandt: dessen unge
achtet hielten sie Unterschiede von einer
Vierundsechszigstel Note taltmäßig
fest. Der „Primarsch" spielte die
erste Geige und dirigirte zu gleicher
ist bei ihnen kaum die Rede. Auch in
Bravourstücken sind die Zigeuner Mei
ster. Gleich Paginini spielte auch
Zlakay Jani auf zwei Saiten, als ihm
einst zwei während des Spiels geris
sen waren. , , 3