Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, February 16, 1894, Page 2, Image 2

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    2 ' Nirgends werden so viel« falsche
Haare getragen wie in Paris. D«
deutsche Frau pflegt ihre eigenen
Haare, die ihr ja der Kamm bei jed«r
Morgentoilette massenhaft entführt,
sorgfältig zu sammeln, um sich später
daraus «inen Zopf machen zu lassen,
»oenn ihr die einst so vollen Flcchkn
dünner zu werden beginnen. Sie
trägt also gewissermaßen einen falschen
Zopf, aber k«ine falschen Haare. Di«
Französin sucht den Coiffeur auf, wie
man den Confectionsladen aufsucht; je
nach der Mode wechselt sie mit der
Coisfur« wie mit einem neuen Hut.
Wober bezieht nun der Pariser Haar
künstler das Material zu den verschie
denen Perücken. Toupets und Flech.
Jen? Di« Haare werden in ganzen
Wallen importirt, aus Indien, aus
China, auch aus Italien. Si« stam
men, die asiatischen wenigstens, von
Leichen. In Chini und Indien ster
ben ja die Menschen massenhaft dahin,
«n der Cholera, am Typhus und an
sonstigen Epidemien; in genllgendcr
Menge, um deren abgeschnittene Haare
z,u einem lohnenden Exportartikel zu
machen. Wie oft mögen die An
,st«ckunask«ime bösartiger Krankheiten
an diesen Toixtenhaaren haften geblie
ben und nach Europa geschleppt wor
den sein! Zwar den elegantesten Pe
rückenträgerinnen tonnten sie nicht
mehr gefährlich werden: bis solche»
Haar asiatischer Cholera- und Ty
phusleichen dazu komm«, als Perücke
auf dem hübschen Haupte einer koketten
Pariserin zu thron«», hat es so viel
Waschungesi und chemisch« Behandlun
gen durchzumachen gehabt, daß es als
vollkommen desinsicirt gelten muß.
Wohl aber konnte es jene Arbeiterinnen
gefährden, die zuerst dieses eingeführte
Haar, direkt vom Schiffe weg, in die
Hände bekommen, die es den ersten
Waschungen zu unterziehen, es nach
Farbe, Stärke und sonstiger Beschaf
fenheit zu sortiren haben. Erst neuer
dings geht man in Paris damit vor,
jalles importirte Menschenhaar gleich
mach der Ausladung gründlich zu des
lnficiren. Was nun dessen „Bearbei
tung" anbelangt, so wird es erst einem
Bade unterworfen, das den Zweck hat,
die Haarsträhnen fein und schmiegsam
zu machen. Chinesenhaar ist ja dick
und hart wie das von Pferdemähnen.
Es würde sich übel ausnehmen als
Ponylocke auf der zarten Stirn der
Pariserin. Ein zweites Bad hat die
Farbe auszuziehen oder doch wenig
stens zu mildern. Chinesenhaar ist
von einer so intensiven Schwärze, daß
«s seltsam aus einem Europäerschädel
anzuschauen wäre. Dann erst kommt
es in die verschiedenen Langen und
Beizen, mit denen das eigentliche Fär
ben beginnt, das Färben vom matten
Aschblond und leuchtenden Golkrath
bis zum glänzend«» Rabenschwarz.
Das ist eine so complicirte chemische
Behandlung, daß sie der gründlichsten
Desinfection gleichzuachten ist. Ueber
!dies werden nur kleine Toupets und
Perücken geringerer Sorte aus Tod
tenhaaren verfertigt. Für ganze
Flechten und bessere Perücken 'sind diese
zu spröde und brüchig, überhaupt we
nig haltbar. Dazu muß man schon
«in Haarmaterial verwenden, das man
noch lebenden Personen abgeschnitten
bat. Der Preisunterschied zwischen
"diesem und jenem ist allerdings auch
ein enormer. Die asiatischen Haare
losten in Paris nur fünf Franken das
Kilo, di« inländischen dagegen, die
von lebenden Personen stammen, müs
sen mit hundert Franken das Kilo be
zahlt werden.
Aufrichtig. Mutter: „Mit
den kleinen Kindern hat man doch ein
rechtes Kreuz;.... wenn sie nur erst ein
»veniq größer sind, dann geht es schon
leichter!"— Besuch (ohnehin schon er
grimmt über das ungezogene Beneh
men der Buben): „Da haben Sie
Recht, gnädige Frau —dann kann man
fie wenigstens alle Tage ein paar Mal
gehörig durchhauen!"
MUssig. Hören Sie, Sie
wollen Mitglied unseres MäßigkeiK
vereins sein und am ersten Tage nach
Ihrer Aufnahme sindet man Sie be
trunken im Rinnstein! Das ist eben
«in Zeichen meiner Mäßigkeit.— Schö
nes Zeichen das! Na, erlauben Sie,
früher fiel ich doch immer in meiner
Stammkneipe unter den Tisch!
Verfehlte Wirkung.
Photograph: „So. mein Herr, jetzt
bitte ich, Ihr« Augen auf dieses Pla
kat zu richten, und «in recht freundli
ches Gesicht zu machen." Student:
»Das ist mir unmöglich!" Photo
graph: „Warum denn?" Student:
»Ja, auf dem Plakat steht ja: Es wird
tiebeten, gleich zu bezahlen!"
—Er kennt ihn. Mensch,
Heinrich, laß Dich umarmen! Ich
bin so glücklich! Ich habe mich gestern
verlobt. —Verlobt?— Ja. Ich Habelei
beschreiben.—-Ist nicht nöthig! Nenne
mir nur die Summe ihrer Mitgift,
dann weiß ich schon genug!
StinWunsch. A.: Ich sag«
Dir, meine Frau ist eine Schlang«!
B.: Hm, ich möchte wohl, daß meine
das wäre; denn eine Schlang« bekommt
Bedes Jahr von selbst eine neue Haut,
nnd meiner Frau muß ich mindestens
dreimal im Jahr ein neues Kleid kau
fen!
Stoßseufzer. —Gattin
Zkarl.das ist die letzte Mod«. Gatte:
Monat kommt ja wieder «ine andere!
ch eine Krankheit.
Joseph: Herr Lehrer, Sie solle so gut
sein und solle meiner Schwester Ur
laub geben! Lehrer: Was fehlt ihr
beim? Josephe Se jett kv« Schuh!
« v I»«n x.
Alfred Werner betrat in Mephisto
tracht das Schlafzimmer seiner Kin
der. Ruhig athmend, mit rosigen
Wangen lagen die süßen Kleinen in
ihren blüthenweißen Bettchen, während
die junge Mutter, «ine anmuthigeFrau
mit goldblondem Haar, emsig beim
Lampenlicht an einem Röckchen nähte.
Verwundert blickte sie mit ihren
großen, sprechenden Augen von ihrer
Arbeit auf.
„Du, Alfred? Ich glaubte, Du wä
rest schon lange fort!"
„Da, näh' mir mal das Knöpfchen
an, aber schnell, Elsbeth, mein Wagen
wartet." Mit ungeduldiger Miene
warf er ihr den Ballhandschuh hin.
„Nun, Du sagst ja gar nichts; wie ge
falle ich Dir in meinem Hlnzug?"
„Du hättest keinen besseren, ich
wollte sagen, passenderen wählen kön-
Spott.
Pfeifend stellte er sich nun vor den
Spiegel und fand, daß ihn der feuer
rothe Atlas mit dem schwarzen Sam
met wirklich außerordentlich gut klei
„Du weckst die Kleinen, Alfred, sie
schrecken, bitte, sei doch' still!"
„Bah! Sie schlafen ja wie Murmel
thiere."
aber, mit der sie das Knöpfchen an
nähte, zitterte.
„Noch nicht fertig? Das dauert ja
'ne Ewigkeit so endlich."
Er nahm den Handschuh ohne
entgegen und entfernte sich mit einem
flüchtigen „Gut,? Nacht, Schatz!"
nicht so laut klappert und scheuert -
und halt« die Kinder still; ich muß
ausschlafen; später gibt's höllisch zu
Schreibtisch liegen, für mich durch;
sie müssen spätestens um elf Uhr Vor
mittags zur Post."
„Wenn ich' Zeit finde, Alfred."
ich Zeit finde! Als ob solch' wichtige
Maske noch etwas fester."
Sie erhob sich schweigend und that,
wie ihr geheißen.
»Ja, ja, glaube mir, ich bliebe auch
„Stoff?" Elsbeth lachte und klopfte
ihm auf den Arm, „an Stoff fehlt cs
Gleich darauf verschwand Mephisto.
In den prachtvoll erleuchteten Räu
men des Kurhauses schwirrten die
Die Musik rauschte. Viele wirbelt-n
Alfred Werner war zu feiner großen
Freude nicht der einzige der Hölle ent
stiegene, in flammend rothen Atlas ge
kleidete böse Geist; außer ihm machten
kerbissen aufgabelten, ihn, Alfred Wer
den, seiner ganzen Würde entkleidet,
Spießruthen lausen ließen. Wie fühlte
er sich durch die drei Höllenbrüder ge
merkfamkeit länger als eine Minute
fesselte: keine der vielen schönen Er
scheinungen reizte ihn zum Tanze, j
So verstrich abenteuerloi eine halbe
Stunde. Nun stand er am oberen,
Ende des Saales an eine Marmor
säule gelehnt und überschaute daS
buntfarbige Getriebe; es herrschte ech!
Rheinländische Ausgelassenheit, ihm
selbst aber wollte sich die rechte Stim
mung immer noch nicht mittheilen.
Da legte sich plötzlich eine Hand auf
seinen Arm. Wie elektrisch berührt
zuckte er zusammen. Vor ihm stand
Ein dichter schwarzer Schleier ver
hüllte ihr Antlitz; sie reichte ihm cin
egyptisches Kästlein voll von nach
Ambra duftenden Papierröllchen,
schüttelte diese durcheinander und sagte
mit sonorer, durch den Schleier ge-
Greife hinein, Mephisto, Geist des
Bösen,
Löse mein Räthsel und laß Dich er
lösen.
Zettelchen heraus und entrollte es ge
spannt.
Wer richtet, die Schuld vergrößernd.
Ob auch des Nächsten Glück sie ver-
Fraae ab«r ist zu leicht; naturlich: das
Gewissen!"
„Das Gewissen? Falsch gerathen!
Das lehrt man die Kinder in der
Schule; die Lebenserfahrung lehrt
uns Anderes, kennst Du Dich denn
selbst so wenig? Wo ist Dein eigenes
Gewissen? Wo ist das Gewissen von
Tausenden Deinesgleichen? Der Ge
wissenlose kann doch nicht von seinem
Gewissen, einem Nichts, verurtheilk
und bestrast werden! Nein, solch'
seichte Antwort hätte ich von einem
Mephisto nie erwartet. Rathe wei
ter!"
Mephisto sann einen Augenblick
nach, schüttelte den Kopf, daß die
rothe Hahnenfeder auf seiner spitzen
Mütze nickte und sagte lachend:
„Du bist doch klüger als ich; Dein
Räthsel ist mir zu schwer, Sphinx!"
„Zu schwer trotz Deiner gepriesenen
Geistesschärfe? Nein, nicht möglich!
Ich schenke Dir Bedenkzeit, Mephisto,
um Mitternacht will ich Dich wieder
treffen. Vielleicht hast Du bis dahin
die Lösung gefunden."
Damit wendete sie sich gravitätisch
und verlcr sich bald im Mastengewim
mel.
Alfred Werner versuchte nochmals,
das Räthsel zu entziffern, doch vergeb
lich. Achtlos steck!? er das Zettelchen
in die Tasche, indem er sich in den
prachtvollen weißen Saal begab.
Ein Meer blendenden Lichts fluthete
ihm entgegen, di« gigantischen goldge
rahmten Wand- und Pfeilerspiegel
warfen, den Raum in's Endlose i'er
soeben vor dem Erblicken der Schönen
ganz kalt gelassen; sie, Ludmilla ist der
Brennpunkt aller seiner Gedanken und
Gefühle, er muß. muß Ludmilla um
schlingen, sich mit ihr im Tanze ivir
zlätten, lüftet den Schleier, um freier
zthmen zu können, während er wie cin
Verzückter jeder ihrer Bewegungen
Ballgewimmel! Hui! Wie Alles im
Galopp dahin saust, jagi, fliegt. Me
phisto hält seine Tänzerin fest im
Arm; er hat ein Gefühl, als wären
ihm Flügel an den Sohlen gewachsen?
in solch' eigenartig beschwingtein
Tanze weiter bewegt, Zuleita berübrt
den Boden kaum, sie schwebt, sie läßt
sich von ihm tragen, und doch ist sie,
Zuleika es, die ihn ohne den geringsten
Anprall durch die Klippen des wogen
den Meeres der Tänzer steuert, die ihn
mit rasender Geschwindigkeit weiter
treibt, als hätte ihn mit unwiderstehli
cher Allgewalt ein Wirbelwind ersaht.
Jetzt erstirbt die Musik. „Us." sagt
-Zuleika sich fächelnd, „bin i haiß
g'worde; schwitz, als wenn i a türkisch
Bad nehme' that. Du, komm, laß uns
a bisserl trinke bin halt türk'sch,
nehm's aber net so g'nau mit 'en hei
lige Koran."
Sie kichert und schmiegt ihren vollen
weichen Arm in seinen und läßt
von lustigen Zechern angefüllte Re
staurationszimmer führen. Ha, ein
Abenteuer, wie er es nicht interessanter
Fast alle Tische sind mit phantasti
schen Gestalten besetzt; hier labt man
sich an Eis, an perlendem Rheinwein,
dort klingen die überschäumenden
Champagnergläser. Bater Karneval
schwingt sein Scepter, und Alles über
läßt sich der immer toller werdenden
Ausgelassenheit.
Mephisto und Zuleika nehmen in
einer Nische an einem für zwei Gäste
gedeckten Tischchen Platz. Sie lacht
und klatscht in die Hände vor lauter
Freude über die Schmeicheleien, mit
denen er sie überhäuft! in Ausdrücken
höchster Bewunderung lobt er ihre An
muth, ihre feine Charakterisirung, ihr
Maßhalten, ihre Natürlichkeit, ihre
schöne Aussprache auf der Bühne; er
nennt l!e eine Künstlerin von Gottes
Gnaden und prophezeit ihr eine große
Zukunft. O ja, sie weiß wohl, daß
sie Tüchtiges leistet und ihre Mutter
sprache als Künstlerin tadellos spricht;
unter „Freunden" aber liebt sie ihren
Dialekt, der ist ja viel gemüthlicher.
kriege ihät s' halt a lusti Lebe' in
Wiesbade Du wohnst au' hia i
waiß" und sie flüstert ihm in's Ohr:
„bist der Sohn vom Banquier Müh
lenheim, hast mi' ja einen Prachtstrau
ßerl g'schickt i verrath nix "iir
ka Angst —"
„Kellner: pst, pst —" ruft Mephisto;
er ist schier außer sich vor Uebermuth;
köstlicher Spaß! Sie hält ihn für Fe
lix Mühlenheim, einen der reichsten
jungen Männer in Wiesbaden. „Brin
gen Sie einige Dutzend Austern mit
Zubehör und Liebfrauenmilch, schnell,
bitte.,,
„Natives," verbessert Zuleika, „und
Champagner! Du, i mach mi rein
goar nix aus Eure saure Rhein
„Also Natives und Röderer/ be
stellt Mephisto. Wie entzückend sie ist
in ihrer Ursprünglichkeit.
Und Zuleika streift ihre langen dä
nischen Handschuhe ab, träufelt Citro
nensaft auf ihre Natives und schlürft
sie mit Kennermiene und augenschein
lichem Behagen. Dabei erzählt sie al
lerlei stark gewürzte Theateranekdoten
und läßt sich ihr Glas immer auf's
Neue füllen. Ihm, dem Halbbe
rauschten, klingt Alles, was sie
schwatzt, naiv, originell, pikant, ja,
das sind reine, ungekünstelte Natur
laute, da ist nichts Gemachtes, nichts
Geziertes in ihrem Wesen, Ludmilla
Ricardo gibt sich ganz und gar, wie
ist die lauter« Wahrheit. Und diese
goldgestickten Stiefeletten. „Ein Ge
dicht" nennt Alfred Werner die Füß
ihre Taille. „Bielleicht irrst Du Dich
doch!"
errathe 's gibt halt vier Mephistos
Alfred Werner —"
„Wer?" fragt er, ihr sein Ohr zu
neigend.
„Nu, der Fratz, der Alfred Werner.
O, wie i den hasse thu' bild't si'
ein, er kann Bühnenstücke verfasse'.
nähernd anständi' spiele' laßt! I lag'
Di', der's halt reif für's Tollhaus und
man that guat, ihn einzusperre!"
halt; aus hundert Lustspiel' von La
biche abgeschriebe un zusammegeslickt
wie 'nen Potpourri; ka Hand hat si'
gerührt, als wir drinne ausgetrete'
sind, er un !. Un nu stell' Di' L«, in
so 'ne Roll, die goar kein Roll iZ, net
Fisch un net Fleisch, in so 'ne Roll soll
i wieder spiele."
„Wenn ich bitten darf, mein Herr,
dreißig Mark," sagt der Kellner, der,
die Serviette unter'm Arm, die Rech
nung präsentirend. herangetreten ist.
Auf'S Aeußerste verwirrt, mit zit
ternder Hand, zieht Mephisto sein
Portemonnaie und zahlt.
„Aber i thua's net, i thua's net, i
thua's absolut net," eifert Zuleika mit
gesteigerter B-tonung, „un wenn i
vom Director g'zwunge werde' sollt',
dann ruinir i die Partie vollends;
sreili, 's gibt net viel daran zu ruinire,
das kann i beschwöre."
Wie in einem Bulkane gühren die
gewaltsam zurückgedämpften Gefühle
Mephistos. Er, Alfred Werner, er ein
Fratz! Er «in Plagiator, ein Abschrei
ber von Labiche! Er bebt, er schwört
ihr Rache, während Zuleika den Rest
ihres Glases bis auf die Neige leert,
sich langsam die Handschuhe überstreift
und ihm den Arm hinhält: „Du
's halt a bisserl schwer schließ mir
mal die Knöpferl aber kneif mi
net —"
Da durchzieht ihn plötzlich daZ Bild
seiner Elsbeth, wie sie am Bettchen der
Kinder bei der Lampe fleißig arbeitet,
er knöpft den Handschuh Zuleikas, als
hätte sich die ganze verführerische Ge
stalt in todtes Holz verwandelt.
Einige Minuten später befand sich
Mephisto wieder allein. Innerlich
wuthentbrannt, äußerlich höflich, hatte
er sich von Zuleika getrennt. Jetzt
schwebte sie am Arme eines seiner Dop
pelgänger durch den Saal! Himmel!
Wenn sie je entdeckt-, wem sie die Kri
tik seiner Werke in's Gesicht geschleu
dert. Er, die Zielscheibe des Witzes
ihrer Kollegen!
Da ging die Sphinx an ihm vor
über. Ob sie ihn bemerkt, als er mit
Zuleika beim Champagner gesessen?
Bah, was ging denn die Sphinx ihn
an?
In Gedanken versunken, saß er auf
einem Divan. Wie ihn das Urtheil
einer kleinen Vorstadt-Soubrette nur
so aufregen, wie er es nur so hoch an
schlagen konnt,?! Eigentlich war die
ganze Geschichte ja nur amüsant, ei
gentlich sollte er sie von der komischen
Seite auffassen—! Das Wort:
Fratz aber ließ ihm keine Ruhe. Was
hatte sie damit sagen wollen, daß er
selbst ein geistiges Zerrbild war, daß
er geistige Zerrbilder schuf ? Hahaha!
Er, dessen Novellen und Romane von
der maßgebenden Kritik als müster
giltig, ja als Perlen der erzählenden
Prosa-Dichtung bezeichnet wurden! —
Ja, ja! seine Romane und Novel
len !
Der Hieb, den Ludmilla ihm ver
setzt, schmerzte tief, sehr tief, wie viel
von dem seinen Romanen gestreuten
Weihrauch er auch als Betäubungs
mittel seines verwundeten Gefühls
heraufbeschwören mochte. ZmGrunde
lag ihm ja wenig an den großen Er
folgen, di« «r mit seinen novellistischen
Arbeiten erzielte, sein ganzer Ehrgeiz
war ja darauf gerichtet, ein berühm
ter Biihnenschriftsteller zu werden.
Weshalb sollte er nicht erreichen kön
nen, was ein Anderer erreichte!
Ja, weshalb nicht! Ludmilla
hatte ihm gerade soeben gar zu deutlich
den „Knoten" gezeigt.
Sein« Karnevalstimmung war um
geschlagen, als wenn aus h-.iterem,
blauem Himmel ein eisigkalter Regen
herabgeströmt wäre und ihn bis in's
innerste Herz durchschauert hätte. Er
wollte den Ball verlassen, da trat eine
schlanke Zigeunerin an ihn heran,
Tambourin in der Hand ; ohne Wei
teres ließ sie sich neben ihm nieder.
„O, Fritz, was für köstlichen Spaß ich
wieder gehabt," sagte sie im Flüster
ton. „Wahrhaftig! ich verdiene ei
nen Ord«n als erfolgreicher Detektiv
im Dienste höchster Moral. Sieh!
sieh! der Mephisto, der dort mit dcr
Ludmilla Ricardo vorüberrast, das ist
der Schriftsteller Alfred Werner!
O, der schreckliche, abscheuliche
Mensch!"
„W—w wer ?" stammelt Me
phisto und n«igt der Unbekannten sein
Ohr zu.
„Nun, der Alfred Werner, von dem
wir neulich im Weltspi«gel die wunder
volle Novelle : „Ihr einziger Sohn"
gelesen sch, sch, sch— man könnte
uns hören." Damit rückt sie ihm nä
her und zieht vertraulich ihren Arm
durch den Mephistos, der vor Ueber
seiten des Lebens alles Gute, Reine.
„In den Schmutz !" fährt ' ephi
feder auf seiner Mütze kerzengrade em
porrichtet. „Sch. sch, sch! O, wenn
Du wüßtest, was Fräulein Miene, die
ja auch bei Werners näht, nicht Alles
„Klatsch !" sagt Mephisto empört.
„Nein, nein, lieber Fritz, kein
Klatsch ! die lautere Wahrheit. Neu
lich in dcr Gesellschaft bei Geh-imrathS
wurde auch darüber gesprochen. Die
arme Frau Werner! Vom Morgen
früh bis zum Abend spät arb:itet sie
für die Wirthschaft, für die Kleinen.
Alles soll so hübsch und zierlich bei
Werners sein! Wie die Püppchen
gehen die Kinderchen ja immer geklei
det !"
Unwillkürlich nickt Mephisto, wie im
EinVerständniß.
.Und denke Dir, schreiben muß sie /
obendrein für ihn; ja, man behaup
tet sogar, all die schönen Novellen im
Weltspiegel seien von ihr, von Frau
Werner, und er leihe nur seinen Na
men ; das glaube ich nun freilich
nicht —"
„Ha!" stöhnt Mephisto, der sich
Wie von Flammen umzüngelt fühlt,
und versucht, den Arm aus ihrem zu
befreien.
Sie lehnt sich aber nur noch inniger
an ihn : „Eine entsetzliche Ehe! Und
weißt Du, was der Grund an all dem
häuslichen Elend sein soll? Seine
bodenlose Eitelkeit! Für all seine
dramatischen Mißerfolge muß bie
Aermfte feine böse Laune leiden
brrrr er soll rein wie vom Teufel
besessen sein, wenn die schlechten Kri
tiken über seine Stücke in der Zeitung
stehen. Kein Wunder, daß die arme
Frau sich von ihm scheiden lass«n
will!"
„Dummes Zeug! Weibergewäsch!
—Es ist nicht wahr —" stößt er her
aus, fühlt aber, als ob sich ihm ein«
Centnerlast auf die Brust wälze.
„Doch! doch! es ist wahr, wi:
unglaublich es auch klingt; Fritz.
Ach, eine Liebesheirath! Und daß es
nun dazu kommen muß! Er soll ja
nur durch die übertriebene Vergötte
rung seiner Frau solch furchtbarer
Egoist geworden sein. Hahaha ! Ich
hätte seine Frau sein sollen! Du,
nicht wahr, Fritz, Frauen, die sich im
mer so in den Hintergrund stellen und
über Mann und Kind sich selbst ver
gessen, sind doch eigentlich recht dumme
Gänschen und gewiß schrecklich lang
weilig und hausbacken —"
„Sie ist kein Gänschen, und sie ist
nichts weniger als hausbacken, sie wiegt
an Geist und Gemüth Tausende von
anderen Frauen auf!" sagt Mephisto
zornig, seiner selbst nicht länger Mei
ster.
„Ah! Du kennst sie, Fritz? Das
ist mir neu, ganz neu !"
„Nicht persönlich!" versetzt er
schnell; „es weiß es aber Jeder, daß
sie eine Perle von Gattin und Mutter
ist."
„Und doch soll er zahllose Liebfchaf
„Natürlich!"
„Seine Frau hat mindestens zwölf
an ihn gerichtete Liebesbriefe aufgefan
gen ; sie werden bei der Scheidung
wider ihn zeugen !"
„Hahaha! Liebesbriefe an ihn!
Schöne Beweise!"
„Nun, wenn Du gesehen, wovon ich
vorher Augenzeugin gewesen, Du, mit
Deinem seinen Rechisgefühl, würdest
ihn sicher gleich verurtheilen, Fritz."
Und sie flüstert ihm ganz leise zu, was
sie als „Detektiv" im Speisesaal er
späht.
„O, solches Betragen, Fritz! Schau
erlich ! Vater von drei entzückenden
Engelskindern! Wie er ihnen nu:
wieder in die unschuldigen Gesichter
blicken und sie küssen kann! Das
versichere ich Dich, Fritz, wenn die
Scheidung auf Schwierigkeiten stößt,
wenn es ihr an schlagenden Beweisen
fehlt, ja, dann helfe ich ihr, dann zeuge
Schriftsteller Alfred Werner war?
Wir sind hier ja vier an der Zahl, alle
fast ganz gleich kostümirt! Du hät
test mich ja auch für Alfred Werner
halten können!" sagt er mit ge
zwungenem Lachen.
Fritz! Du bist köstlich! Alz
tappt „in flagranti!" Es entfiel sei
ner Tasche, als er den fabelhaften Ap
petit seiner schönen Türkin theuer be-
Auf Wiedersehen, Fritz !" Schnell
rückt.
Und Mephisto, zerknirscht.
Vergeblich suchte er die Sphinx, um
ihr die Lösung des Räthsels zu brin
gen. Wie wilnderbar, daß er aus
ihrem Kästlein eine Frage gegriffen,
deren Antwort er durch eine an sich ge-
Antwort hieß: Der Klatsch! -
Kurhause durchschritt, schlug es Mit
schwarzes Spitzengewebe vom mond
erhellten Himmel ab. Biele ver
mummte Gestalten eilten an ihm vor
red: der Sphinx lag ihm im Sinn:
.Laß Dich erlösen! Laß Dich erlö
sen !" Und plötzlich hob er die Hand
empor wie zum feierlichen Eide und
sagte laut: „Kein Bühnenwerk mehr,
so wahr ich Alfred Werner heiße!"
j Hochaufathmend, wie befreit von bö
sem Bann, betrat er seine Wohnung.
! Elsbeth theilte das Zimmer der
Kinder, denn daS einjährige Knäblein
! bedurfte auch in der Nacht oft ihrer
mütterlichen Pfleg«. Eine kleine grün
Sachte, sachte öffnete Alfred Werner
die Thür, näherte lich aus den Zehen
spitzen der anscheinend Schlafende»
und küßte sie.
Elsbeth aber dachte mit kaum zu
unterdrückendem Lächeln: „Nie sollst
Du erfahren, wer Dir heute als Sphinx
das Räthsel gereicht, wer Dir als Zi
geunerin die Maske von Deinem inne
ren Selbst genommen, vielleicht Dir
di« Erlösung gebracht."
„Elsbeth!" flüstert «r. sich noch
"°„Du'Alfted^Schon?"
„Ja! gute Nacht, mein Engel --
«s war ohne Dich so —"
„Sch, sch, sch ! Du weckst die Klei
nen."
Im «iura».
Der großen Armee der Stahlroß-
Dragoner, welche sich aus Männlem
und Weiblein aller civilisirten Länder
rekrutirt, wird in einem neupatentir
ten Einrad eine Fortbewegungs-Ma
schine geboten, welcht, den Verheißun
gen des Erfinders zufolge, die besten
ZweirSder weit übertreffen soll. In
dieser Maschine ist der Sitz innerhalb
des Rades und unter dessen Achsen
arrangirt, so daß das Balanciren
leicht «rmöglicht wird. Das große
äußere Rad, welches den ganzen Be
wegungsapparat trägt, hat «inen pneu
matischen Reifen, welcher an hohlen
Felgen, die aus einzelnen, mit Schrau
ben verbundenen Sectionen construirt
sind, befestigt wird. Aus der inneren
Seite der Felgen sind parallel ange
brachte hohle Reifen, welche mit den
selben durch kurze Speichen verbunden
sind; diese Speichen sind in di« Fel
gen eingeschraubt. währ«nd ihre inne-
Ren Enden in Köpfen auslaufen, die in
den Reifen festgehalten werden. Auf
der inneren Seite einer jeden Nabe
und mit derselben fest Verbund«!, besinn
det sich ein Zahnradgetriebe; jede
Nabe hat ein cylindrisch gebohrtes
Loch zur Aufnahme ihrer Achse, on
denen das Gestell der ganzen Maschine
hängt und welche in Kugelscharnieren
laufen. Das innere Ende einer jeden
Achse läuft in einem Kopfe aus, der
an dem oberen Theil des Hauptge
stells befestigt ist. Das Letztere ist
aus Hohleisen construirt und hat die
Gestalt eines lateinischen U. In der
ganzen Länge jeder Seite des Gestelles
befindet sich ein Gestänge mit einem
in das Zahnrad an der Nabe eingreift
und dadurch das Rad bewegt, während
das untere Ende in ein anderes Ge
triebe an einer kurzen Well« greift,
di« wiederum mittels Kurbeln mit ge
wöhnlichen Tretern (Pedalen) in Ver
bindung steht. Durch diese Kurbeln
mit den Tretern wirkt die Tretkrast
auf die Naben und bewegt das Rad.
Der Sitz ist an den Enden der in den
Naben laufenden Hauptachsen befestigt
und aus Stahl construirt, der eine Be
wegung nach den Seiten, aber weder
nach vorwärts noch nach rückwärts zu
läßt. Bremsen aus biegsamen Stahl
stäben sind ebenfalls vorgesehen und"
das Lenken geschieht ohne Schwierig
keit durch entsprechende Bewegungen
des Körpers. Mit diesem Einrad soll
eine sehr große Schnelligkeit erzielt
werden können.
Sie und ich»
Ich hab' eine Liebste, die dichtet
Bei Tag und bei Nacht,
Doch nicht für schnöden Mammon,
Weil's ihr Vergnügen macht!
Ich würd' sie d'rum nicht schelten.
Behielt sie's nur für sich;
Jedoch mit ihren Versen
Bestürmt die Liebste mich.
Und nicht 'mal lachen darf ich,
Der Grund. Mensch, Du
lieast noch im Bett, und es ist schon
bald Mittag! Was will ich machen?
M habe nämlich keinen Regenschirm.
Aber deshalb kannst Du doch auf
stehen. So? Nun, wie soll ich denn
in dem Hundewetter da draußen in die
Kneipe kommen?!
Im Zweifel. Jessas
wenn i wüßt', ob der g'schnieg«lte
berr drüben der Herr Baron ist, der
mi anbetet, oder der Friseur, der mir
mei' Haar kräuselt!
Stimmt. Frau (zum Mann):
lrink net so viel Bier, Alter, Du wirjt
jeh'n, Du mußt noch einmal sterbest