Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, January 12, 1894, Page 2, Image 2

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    2 Q-rliner Vttraerwrsr.
Als die englischen Truppen zu An
sang des Jahres 1620 nach Böhmen
durch die Mark Brandenburg zogen,
um den Wintcrkönig zu unterstütze»
bildete die aufgeregte Berliner Bevöl
kerung, in der Meinung, daß die Eng
l> 'k'Unen Berlin etwas Böses im
In den „Beiträgen zur Untersuchung
«egen den Grafen Schwarzenberg"
von Cosmar befindet sich ein Brief,
den der damalige Kanzler Pruckmann
an den Kurfürsten Georg Wilhelm
sandte, und der uns ein anschauliches
Bild in Betreff des „Aufstandes Zu
Berlin" giebt. Es heißt darin: „Die
Wache war in Cölln von ihrer zween
MuSkete zwei bis drei Mal, der fünfte
ten gewußt haben. Summa, man
hat nur lauter Schimpf gehabt. Das
Beste daran war, daß sie uns, die wir
unser ansichtig wurden, einen derma
vls wollten sie uns fressen. Wie es
des Morgens drei Uhr liefen
Haufen bringen konnte. Eine andere
Rotte dagegen, 70 Personen stark, so
garnicht aus Bürgern gewesen, hat
sich dahinten auf dem Werder (der
selbe besaß damals noch kein Stadt
recht und war mit keinem Vertheidi
gungswerk versehen) zu Haiifen rottirt
und haben die ganze Nacht aus der
Dudlei (Dudelsack) spielen lassen,
auch eine Wagenburg von Tücherwa
gen um sich geschlagen und ein über
großes Platzen und Schießen getrie
ben, dadurch auch Ev. Durchlaucht
junges, ungetanstes Herrlein (der
spätere Kurfürst Friedrich Wilhelm)
den. daß leicht ein anderer Unrath
(Unfall) hätte entstehen könn«»."
Dieser Lärm währte einige Tage in
Pruckmann sagt darüber: „damit sie
nichts von allen Mnthwillen unver
sucht ließen, so wollten die dreißig
Mann, die in den beiden Thoren von
Cölln gewacht hatten, worunter ich
den Bereiter Lorenz gekannt, der auch
der Muthwilligste, wie er pflegt, ge
wesen sein soll, ohne Spiel nicht ab
ziehen. sondern mit Sviel, sowie sie
Diese machten ein neues Getrommel,
brannten auch die Röhre gegen ernst
liches Verbot vor dem Rathhaus im--
uns jetzt durch I. G. Scott bekannt
geworden, der über die bei ihnen in
ganz außergewöhnlichem Maß- ge
bräuchliche Kopfjägern viel zu erzäh
len weiß. Sie wohnen östlich vom
Salwin in West-Manglun im Gebiete
der Schan und werden in zahme, die
ihr Haar lang wachsen lassen, und
wilde, die es abschneiden, geschieden.
Die Dörfer der wilden sind durch gute
Straßen mit einander verbunden; die
Leute sind vortreffliche Ackerbauer und
umgänglich. Aber Trunkenheit, Un
sauberkeit, das Verzehren von Hun
den und vor Allem Kopfjägerei sind
bei ihnen herrschend. An jedem Ende
des Dorfes steht eine Reisschnaps
brennerei, der tüchtig zugesprochen
wird; auch ißt man Opium, raucht
es aber nur selten. Der Zugang zu
den Dörfern wird stets durch eine Allee
von Schädeln eröffnet, die auf Pfähle
gesteckt sind. Das ärmste Dorf zeigt
deren mindestens ein Dutzend; die rei
cheren schmücken aber den Zugang mit
hundert und mehr Menschenschädeln.
Alljährlich zur Zeit der Ernte» wer
den Schädel geopfert, am liebsten die
jenigen von hervorragenden Leuten
erlangen können, suchen sie zu kaufen.
Die frischen Köpfe werden in Körben
an Bäumen aufgehängt, wo sie blei
chen ; dann erst wird der Schädel
fiierlich in der Allee aufgestellt. Eine
Priesterkaste besteht bei den Wan nicht.
Bitteres Lob. Schau
spieler: Nun, Herr Meyer, wie gefiel
ich Ihnen denn.gestern Abend in mei
nem Spiel als Erbonkel? Meyer:
Großartig! Herrlich! Man vergaß
»anj Jh« Schulden dabei I
.Schloß Nodeneck, den M. Juni
1869. Meir, lieber Herr Pfarrer!
Ein Jahr ist nun dahin, seit Gott
marternde Bewußtsein, einst ohne
Nachkommen sckmden zu müssen, wäre
uns erspart geblieben. Aber sie hat,
todtes Kind im Arme, haben wir die
junae Mutter der Erde übergeben
müssen.
lichen Tochter haben wir all' unsere
Elternliebe auf den Schwiegersohn
übertragen wollen—leider hat er sich
ihrer unwürdig erwiesen. Seit einem
halben Jahre schon führt Graf Schier
bach in Paris das tollste, Leben.
Wir, die Gräfin und ich, werden alt,
Herr Pfarrer. Und es ist so trostlos
leer und öd« in uns und um uns.
Gestern war wieder der Todestag un
seres theuren Erich. Fern liegt es mir,
über diesen schweren Verlust zu kla
gen: ich habe meinen Sohn dem Va
terland« gern geopfert, und ich bin
stolz darauf, daß er auf dem Felde
der <7hre den Heldentod sterben durfte.
unseren Lebensabend freundlicher zu
gestalten? Und möchten Sie, be
währter Freund unseres Hauses, uns
hierzu behilflich sein? Wir haben
uns nämlich entschlossen, ein fremdes
Kind möchte etwa zwei Jahre alt,
durchaus gesund und gut entwickelt
sein, auch müßte es, gleich unserer
Schichten angehörenden Eltern ab
stammen. Eine Waise wäre uns am
liebsten, jedenfalls aber müssen alle
etwa noch vorhandenen Familien
bande gänzlich gelöst werden; der
Aufenthalt des Kindes muß für die
Angehörigen oauernd tiefstes Ge
heimniß bleiben. Das Kind soll von
uns ganz so erzogen und behandelt
verpflichten, wenn Sie ein unseren
Wünschen entsprechendes Kind unauf
fällig ermitteln könnten. Die Gräfin
läßt Sie grüße», wie Sie, verehrter
Freund, ebenfalls grüßt Ihr Ihnen
stets wohlgeneigter Graf Roden zu
Rodeneck."
Sinnend schaute der Pfarrer
Schwarz zum Fenster hinaus, als er
den Brief des Grafen gelesen hatte.
Ihm, dessen Beruf es war, die Mit
menschen im Unglück zu trösten, ging
die Trauer, die aus diesen Zeilen
sprach, tief zu Herzen. Er war in
jungen Jahren Hauslehrer auf Ro
deneck gewesen. Der Pfarrer begab
sich in den Garten, wo feine Gattin
in einer schattigen Laube mit einer
Handarbeit beschäftigt war. Zu
ihren Füßen spielten zwei Mädchen
im Alter von zwei und vier Jahren.
Schweigend reichte er ihr den Brief.
„Ich habe an das Töchterchen des
verstorbenen Schneiders Häßlers ge
dacht," begann er, als seine Frau ihn
noch dem Lesen des Briefes, dessen
Inhalt auch sie sichtlich ergriffen hatte,
fragend anblickte.
„Aber wird die Mutter, trotz ihrer
Nothlage, das Kind missen wollen?
Sie hängt seh? an der Kleinen," wen
dete die Pfarrerin ein.
„Daran Hube ich auch gedacht.
Aber ich hoffe, die Frau wird selbst
los genug sein, dem Wohle ihres Kin
des das Opfer zu bringen."
„Kurl, ich fürchte, Du beurtheilst
das Mutterherz falsch. Mir scheint es
hart, eine arm«, schwer geprüfte Frsu
noch, ärmer zu machen."
„Liebes Kind, es dient ja zu ihrem
Besten und zum Glück ihres Kindes,
das ihr zweifellos eine große Last ist."
„Nun, meinetwegen mache ihr den
Vorschlag," sagte die Pfarrerin zö
gernd. „Aber versprich mir, sie nicht
Der Pfarrer versprach es und
machte sich auf den Weg zur Wittwe
Dürftig genug sah es in der Hütte
aus. Frau Häßler sah am Fenster
und strickte, während das Kind auf
dem Fußboden spielte. Es hatte den
linken Arm verbunden.
„Wie geht es Ihnen, Frau Häß
ler?" fragte der Pfarrer theilnehmend,
indem er der bleichen Frau die Hand
reichte.
„So schlecht, wie eS einer armen
Wittwe, die verhindert ist, dem Er
werb nachzugehen, nur gehen kann.
Herr Pfarrer. Hätte ich das Kind
nicht, so könnte ich mit Nähen auher
t/ reichlich meinen Un
wenig Näharbeit."
„MaS hat die Kleine am Arme?"
„Ach, sie ist vorige Woche gegen den
heißen Ofen gefallen, als ich sie einen
Augenblick allein gelassen hatte. Man
kann doch nicht immer »in sie sein."
„Bitte, zeigen Sie doch mal—so, so,
das sieht ja recht schlimm aus, wird
aber hoffentlich in einigen Wochen ge
keilt sein. Eine Narbe wird das
Kind freilich behalten —Sagen Sie,
Frau Häßler, ich könnte Ihr Kind
Herr Pfarrer," rief die Frau strahlen
den Auges. „Aber wer sollte sich der
Kleinen annehmen wollen?" setzte sie
dann zweifelnd hinzu.
„Reiche, vornehme Leute, dir ihr«
eigenen Kinder verloren haben, »vollen
Ihre Anna empfehlen."
Frau Häßler ließ ihre fleißigen
Hände sinken. „Aber die Mutter,
seine wirkliche Mutter, darf das Kind
viel!" Und die Äugen mit der
Schürze bedeckend, brach sie in hefti
aes Weinen aus.
Mensch. Sie brauchen doch gegen
Ihren eigenen Willen Jhr Kind nicht
hinzugeben."
„Das sagen Sie so. Darf ich
denn das Anerbieten ablehnen? Soll
ich mir Zeit meines Lebens vorwerfen,
gar dringend bitten, nehmen Sie
mein Kind. Jetzt kann ich nicht mehr
anders."
Der Pfarrer erhob sich. Im In
nersten ergriffen, reichte es der Frau
die Hand. „Sie haben ein edles,
als den gestellten Bedingungen ent
sprechend zu schildern.
Schon nach wenigen Wochen traf
ganze Zeit her hatte sie diesem Tage
mit geheimer Angst entgegengesehen,
gleichwohl aber, im Banne einer inne-
Pfarrer über die Angelegenheit weiter
zu reden. Auch dieser hatte den wun
den Punkt, der ihm nach dem neuli
öhne Noth wieder berühren mögen.
„Hier ist das Kind," sagte Frau
Häßler scheinbar gefaßt, ohne eine
Anrede abzuwarten. Dann ergriff sie
die Kleine, preßte sie leidenschaftlich
an sich und reichte sie stumm der Wär-
Gräfin freundlich, nachdem sie die
Kleine schnell mit prüfendem Blick ge
mustert hatte.
Brieftasche und überreichte sie Frau
Häßler.
Doch da war es mit deren mühsam
„Was, ich soll mein Kino verkau
fen?" schrie sie gellend auf. „Nein,
behalten Sie Ihr Geld; sein eigen
Fleisch und Blut verschachert man
nicht."
Heftiges Schluchzen erschütterte ihren
dem Arme der Wärterin, die es mit
verhielt.
Der Pfarrer war bei Frau Häßler
zurückgeblieben, die zu trösten er sich
bemühte. Doch sie blieb seinem Zu-
Über den Verlust des Kindes halte sie
überwältigt. Als aber endlich der
da fasste sie sich gewaltsam:
„Nein, lassen Sie!" rief sie erreg!.
„Ich darf das Lebensglück meiner
äußeren Glück ruht feit dem Tode de?
Gräfin ein tiefer Schatten düstirer
Schwermuth auf ihrem sonst so offe--
„Man sieht doch, der Besitz irdischer
Güter allein macht nicht glücklich,"
sagen die Leute. Als die Gräfin im
vergangenen Herbst gefühlt hatte, daß
sie dem vor einigen Monaten heimge
kunft aufzullaren und ihr vor Augen
zu führen, was alles sie den Pflege
eltern zu verdanken habe.
Wenn Anna auch längst gewußt
chen Verhältnisse stehe, so hatte sie
Mutter sich bei Lebzeiten von ihr ge
trennt. Ein Gefühl unsagbarer Bit-
terkeit ist über sie gekommen und
nicht mehr zu bannen, seitdem die
Gräfin ihr die Augen geöffnet. Da
gibt es keine Entschuldigung für sie,
die jhr das Leben gegeben. Muß
nicht eine ihr Kind wahrhaft liebende
Mutler es vorziehen, vereint mit ihm
unterzugehen, anstatt sich für immer
von ihm zu trennen? Das Band zwi
schen Mutter und Kind kann ''.ur
ollein der Tod zerreißen. Ob sie noch
unter den Lebenden weilt? Die Gräfin
hat darüber keine Auskunft geben
können, auch angeblich den Wohnort
Mit ihren Gedanken beschäftigt,
saß Anna eines Nachmittags in der
Veranda, als eine fremde Frau über
den Schloßhof daher kam. Jhr son
nenverbranntes Gesicht sah vergrämt
aus; ihre dürftige Kleidung verrieth
eine ordnungsliebende Hand.^
ob die junge Dame, die hier im
Schlosse wohnt, am 16. August ihren
Geburtstag hat?" fragte sie schüch-
„Frau, was geht Sie das an?
Wollen wohl den Tag zum Betteln
benutzen? schrie der Diener, aufge
bracht über die nach seiner Meinung
unverschämte Frage.
„Ich bettle nicht; bitte, geben Sie
mir doch um Gotteswill-n Aus
kunft," hörte Anna die Fremde fle
hen. Die Pein eines gequälten Her
zens drang aus ihren Worten.
Eine nervöse Unruhe hatte die
junge Dam- ergriffen; sie rief die
Frau zu sich.
„Weshalb wollen Sie denn meinen
Geburtstag wissen?" fragte sie mit
bebenden Lippen.
„Ach, verzeihen Sie einer verzwei
felnden Mutter, gnädiges Fräulein.
Seit fünfzehn Jahren durchwandere
ich unstät die Welt, mein Kind zu
suchen, das ich, um es einem trostlo
sen Elend zu entreißen, reichen Leuten
anvertraut habe. Ach Gott, ich habe
damals meinem Mutterherzen zu viel
zugemuthet, es will sich nicht be
schwichtigen lassen. Und so treibt es
mich, meine Tochter zu suchen, bis ich
sie endlich gefunden habe, oder meine
todtmüden Beine zusammenbrechen.
Und sollte sie auch nichts von m>r
wissen wollen ich muß sie von An
gesicht zu Angesicht sehen. Darum
sagen Sie mir, ob Sie am 16. August
achtzehn Jahre alt geworden sind,
und ob Sie am linken Arm eine Narbe
haben —"
Durchdringend ruhten die Augen
der Frau, in denen ein wahnsinniger
Schmerz glühte, auf dem Antlitz des
jungen Mädchens, Anna war bis an
die Lippen erbleicht, ihr Herz pochte
stürmisch im Kampfe mit den ver
schiedenartigsten Empfindungen. Die
ser elenden Jammergestalt also ver
dankte sie ihr Leben? Diese Frau,
die beinahe als Landstreicherin von
ihrer Schwelle gewiesen worden wäre,
sollte sie Mutter nennen? Unmög
lich!.... Nein, nein, sie hatte keine
Mutter; feit fünfzehn Jahren hatte
sie ohne sie leben müssen, sie würde es
auch ferner können Und das ge
quälte Weib da vor ihr ? Nun ja, eine
Frau, die so herzlos sein konnte, ihr
Kind wegzugeben, hatte kein besseres
Los verdient; sie hatte jedes Anrecht
auf Muttergliick und Kindesliebe ver
wirkt. Aber wozu hatte die Frau
sich von ihrem Kinde getrennt? Um
es glücklich zu machen, „um es dem
Elend zu entreißen." Da sah Anna
im Geiste neben der Frau eine zweite
Gestalt auftauchen, genau so ärmlich
gekleidet, mit demselben vergrämten
Antlitz doch die Gesichtszüge waren
ihre eigenen! Das also wäre sie ge
worden ohne die hochherzige That der
Mutter, die ja ein Ausfluß selbstloser
Mutterliebe war! !
Die Eisrinde, die sich um das Herz
der Tochter hatte legen wollen, zer
schmolz vor diesem Bilde in warmes,
menschliches Empfinden —Anna brach
in Thränen aus, und mit dem Auf
schrei : „Mutter, ich bin Deine Toch
ter !" sinkt sie der schwergeprüften
Frau in die Arme.
Di« ««lösten Vc,tel>«nacn.
Schach und Halma
Spielte Alma
Täglich mit "dem Nes'rendar;
Acngstlich sann sie,
Doch gewann sie
Einmal nur im Vierteljahr.
Das erbost sie;
Heimlich tost sie,
Stets gclniss'ner wird ihr Mund;
lind Herr Hartner,
Der ihr Partner,
Frägt sie schließlich nach dem Grund.
Ach, versetzt sie,
Kranit erst jetzt Sie
Meiner Seele bitt're Pein?
Ja, das weist ich!
Kindermund. Dame (im
Pofamentirgeschäft zum Verkäufer):
Schneiden Sie mir, bitte, eine Probe
kleine Karl: Aber Mama, das hast Du
ja in oen anderen Geschäften auch
schon gesagt!
VI« Berliner Festtag au» alter
3-t«
Vor fünfzig Jahren, da lag noch der
Schützenplatz der Berliner Schützen
gilde in der Linienstraße, nicht weit ab
von der Neuen Königstraße. Jetzt ist
er schon längst verschwunden mit sei
ner hohen Vogelstange, mit dem zwei
stöckigen Schützenhause an der Stra
ßenfront, dessen verwitterte und zer
schossene Scheiben im Festsaale so oft
herausgefck>aut haben auf die tanzende
Jugend, von der sich Mancher und
Manche einen Ehetreffer geholt hat,
Während Andere Vorbeischossen. Die
alte Pracht des kleinstädtischen Berli
ner Lebens ist dahin wo der alte
Schützenplatz gestanden, da erheben sich
schwere Arbeit und dauernde Sorge
ihren Einzug halten.
„Heute ist Schützenplatz!" hieß es
vor fünfzig Jahren in allen Straßen
Berlins, welches noch die alte Stadt-
Stadt vom Windmühlenberge bis zum
Kreuzberge, von den Zelten bis zum
Oberbaum das waren die End
punkte Berlins hieß es: „heute ist
Schützenplatz", in jeder Werkstatt des
Handwerksmeisters, dessen Bürger
brief unter Glas und Rahmen über
dem Sofa neben der „Servante" in
auffälliger Luxus, trotzdem es damals
noch gestattet war, daß vier Erwach
sene mit ihren „Würmern" ohnePreis
erhöhung in der Droschke Platz neh
men konnten.
In der Linienstraße ging die Ge
duldprobe an. Nur langsam kam der
Menschenstrom vorwärts, und hätten
nicht die unsterblichen Schusterjungen
ihre Witze gerissen, wäre Allen.die gute
Laune verloren gegangen.
Dort hat ein Schneider sein Fenster
mit Georginen und Spargellraut
drapirt, und würdevoll schaut die dicke
Frau Schneidermeister in dunkelro
them Kleide auf die vorbeifluthende
Menge, während ihre beiden spindel
dürren, hock>geschossenen, nicht mehr
ganz jungen Töchter ihr zur Seite ste
hen.
„Seh' mal, Ede!" ruft ein Junge,
»den ufjefchossenen Spargel da oben!"
„Un in de Mitte ne Jeorgine!"
Dort ruft ein Anderer: «Nich hu
sten, August!"
„Na, soll denn det Drofchkenpfcrd
„Nee, det wär schade! Det arme
Dhier friert jewiß!"
„Worum?"
„Weil der Kutscher heute morjen
verjessen hat, ihm det Fleisch uf de
Knochen anzuziehen."
Endlich ist das Eldorado Berlins
erreicht. Der Schützenplatz hat lieb
reich seine beiden großen Thorfliigel
geöffnet und vor der schaulustigen
Menge liegt der große, gegen die
Stadtmauer hin aufsteigende Platz
mit seinen Buden und Fahnen und
Tischen. Der Leierkasten dudelt,
Verkäufer kreischen, Akrobaten in Tri
cots brüllen von ihrer Estrade herab,
und der bezaubernde Duft der Knob
lauchswürste strebt hinauf zu den un
sterblichen Göttern, während der
Weißbierwirth nebenan langsam und
bedächtig das perlende Naß in die
schräg gehaltene riesige „Weiße" gießt.
„Vater, jieb mir'n Dreier! Ick will
bei det jroße Pfefferkuchenherz mit
würfeln!" sagt ein Elfjähriger zu sei
nem Erzeuger, der alle Hände voll zu
thun hat, denn an der Rechten führt er
den Jungen, an der Linken seine kau
ende Tochter, in dem Munde hält er
die lange Pfeife, und „Mutter", welche
das Jüngste auf dem Arme trägt, hat
ihn um nicht verloren zu gehen, an
den Rockschooß gefaßt.
„Wat?" antwortet Vater, „schon
wieder 'n Dreier? N' Katzenkopf
tannste kriejen, Du Lümmel, wenn Du
den janzen Jrofchen schon kleen ge
kriejt hast!"
„Vater," meint der Sprößling un
entwegt, „jieb mir doch 'n Dreier!"
„Nee, is nich!"
„Weeßte» Aujuft," fällt ihm jetzt die
Mutter in den Rücken, „ick würde mir
doch schämen an Deine Stelle! Um
den Dreier vor den Jungen haste Dir,
wie 'n Dienstmädchen nach ihren Jre
nadier, aber Du denkst wohl, ick habe
't nich jefehen, wie Du schon fünf
Kimmel bei 'n Budiker Piefke hinter
die Binde jejossen hast?"
„Saure Jurken, Pfefferjurken!" er
tönt es jetzt in der Fronte des soeben
hinterrücks angegriffenen Familien
hauptes.
„Wech!" ruft er ärgerlich dem ju
gendlicher Verkäufer zu.
„Det iS Dir recht!" meint ein Vor
beigehender zum Jungen. „Wat bietst
Du nu woll den Meester Deine saure
Jurken an; den macht et seine Olle
schonst sauer genug!"
„Sie können mir jarnischt bewei
sen!" erwidert ihm der Meister.
Das war für den Spötter wohl ein
überzeugendes Wort, denn er erwi
derte nur: „Schaafskopp!"
„Schandarm!" ruft der zornige
Meister einer grünen Uniform zu, in
welcher der Besitzer eines sehr rothen
Gesichtes mit einer noch rötheren Nase
steckt, und auf dessen Stirn seine un
„Was wolle» Sie?" fragt der An
geredete mit würdevoller Schroffheit
und zieht das dicke lederne Notizbuch
zwischen dem dritten und fünften
Knopf seiner Uniform hervor.
„Der Mann hat mir jeschumpfen!"
vernietender Blick der hohen
Obrigkeit trifft den verstockten Sün
der. „Wie können Sie den Mann
schimpfen?"
„Aber Herr Schandarm, et is ja
jut. et war man bloß —"
„Wie Sie hier schimpfen können,
frage ich Ihnen. Ich werde Ihnen
notiren. Wie heißen Sie?"
„Ick heeße Aujuft Schmidt, Schieß
jasse 3, evanjelisch, noch nie nich be
straft, bloß zweemal wegen Roochen uf
de Straße un eenmal in'n Dhierjarten
wegen detselbe, unverheirathet un
zweemal jeimpft."
„Schmidt mit 'n „dt"?"
„Det is Jeschmacksache.Herr Schan
darm. Wenn ick besser wechkomme,
können Sie mir mit 'n bloßet „d"
schreiben, je nachdem det Sie wollen."
„Kerrel!! Schweigen Sie! Sie
werden das Uebrichte schon erfahren,
un wer hier noch lacht, der kommt
nach'n Ochsenkopf!"
Der Jnkulpant ist eingeschüchtert;
die Umstehenden auch. Alle machen
Hermandad bei seinem wirkungsvollen
Abgange schweigend Platz.
Aus der Menge der altersschwachen
Buden, die bereits vieler Herren Län
der Jahrmärkte gesehen, ragen einige
größere hervor.
Die erste am breiten Hauptwege hat
eine entfernt« Aehnlichkeit mit einem
Vorn am Eingange wallt «ine ver
schossene rothe Gardine herab, welche
in besseren Tagen das Kleid irgend
einer Theaterprinzessin abgegeben ha
ben mag. Ueber dem Eingange befin
det sich der „Balkon", und an diesem
ein langes Schild, welches den Zweck
dieses seltsamen Baues dem Publikum
verdeutlicht: „Größter Cirkus der
Welt! Equilibristisch-pantomimische
Zauberhalle. Das Lokal ist geheizt."
„Hochverehrtes Publikum!" brüllt
am Eingange ein breitschultriger, mit
fleischfarbenem Tricot und besternten
Sammet - Schwimmhosen bekleideter
Kerl, welchem in der Dämmerstunde
in prosaischem Anzug« auf menschen
leerer Straße zu begegnen, wohl be
gründete Furcht erregen könnte.
„Hochverehrtes Publikum! Ich habe
die Ehre, der größte Künstler der Welt
zu sein. Immer rran! Ein Gro
schen die Person! Mein« Gesellschaft
besteht aus zwei Italiener, drrei Fran
zosen, vier Affe», einen rohen Fleisch
fresser und neununddreißig Papujeis.
Immer rrran! Ein Groschen die
lumpigte Person! Außerdem Du
willst wohl 'rin, mein lieber Sohn?
Geld haste nich? Denn mach, det
Du wechkommst, oller Maulasse!
Außerdem wimmelt es in meinem Cir
kus von schöne Mächens, welche Feuer
fressen, hundert Ellen Band aus
spucken un mit 'n Bären tanzen. Die
Vo 'tellung bejinnt sofort! Immer
rrii'! Ich selbst bin aus Amerika und
hatch mang die Wilden Zeit meines
Lebens jelebt! Nur ein Groschen!"
Das geehrte Publikum wendet den
Groschen an, die ungehobelten, schwan
kenden Bänke sind dicht besetzt und
Jeder ist höchlich erbaut von der
Kunstvorstell",ng, deren Genuß durch
das ohrenbetäubende Paukenschlagen
der Frau Direktorin erhöht wird.
Etwas weiter cb ist das elegische
Element vertreten, das dem Berliner
von damals, der noch von Politik
entlockte. Ein Leierkasten und da
rüber auf Wachsleinwand die „genia
len?" Morithat der Lowife Neumann,
geborene Lerche. Der Besitzer des mu
sikalischen Marterwerkzeuges steht in
würdevoller Haltung als Troubadour
daneben, in der Hand den Nohrstock
zum Zeigen der Einzelheiten des
spontanen Gebrauch für „drängelnde"
Jungen. Seine Gattin steht neben
ihm mit dem Sammelteller, dem aus-
Zuhörer vergrößert sich von Minute zu
Minute. Dieselbe besteht nicht etwa
aus dem Janhagel, wie auf heutigen
(Klatsch auf das erste Bild, das
Fro —o —oide
Als ein Licht erblickt er in der Fin
sterniß!
(Klatsch, auf das zweite Bild. Alles
gelber Klex.)
der Schneider klopft an, dem Hand
werksmann wird aufgethan. Er geht
zu Bett und schnarcht ganz nett. Und H
als er „fchluf", der Wirth die Wirthin I
maufetodt. Sie stechen ihn und au!
das Blut, spritzt himmelhoch in wilder
Wuth. Verbrenn'n ihn dann von Kopf
bis Fuß, worauf der Wirth das Licht
ausbluß. Die Morithat jedoch, ei, ei! '
Die merkte die hohe Polizei. Man
stecht die Mörder beide ein, die Polizei
wie fein, wie fein! Man band sie
gnädigst auf das Nad für ihre grause
Morithat. Und schließlich that der
schöpfen.
Selbstverständlich mehrt sich von ei
nem Bilde zum anderen die Menge des
gemalten Blutes, bis man bei der
Köpfung nur Zinnoberfarbe sieht, hin
ter der sich der phantasiereiche Berliner
.die „jrauliche" Scene des Köpfens
»ach Belieben ausmalen kann.
Während der Barde singt, gleicht die
Bardin einem Schießvogel. Sobald
die Bardin mit ihrem Teller da und
die Anzahl der gesammelten Dreier
mehrte sich höchst erfreulich.
Der Abend rückt heran, das Knal
len in der Schießbahn hört auf, und
die damals noch soliden Berliner, di
stolz auf ihren Bürgerbrief, jede Colli
sion mit der Polizei ängstlich vermie-
Platz; sie wandern heim, aufgeregt von
all' den Schaugenüssen, etwas benom
men vom Kümmel und den obligaten
Weißen. Die Karussells kommen zur
Ruhe, „denn et jeht ja schon uff
Neune!", der Gymnastiker ist ebenso
heiser wie betrunken, die hundertmal
abgedudelte Morithat findet keine
Kunstverständigen mehr und der
„Schandarm" braucht bei seinem Be-,
fehle „Feierabend" sich nicht über Wi
derspänstige zu ärgern. Was er an
„Kümmel mit Jewehr ieber" geleistet
hat, das weiß er selbst nicht; seine
Tasche auch nicht, denn er wird freige
halten als „Schandarm", wie einst
als Unterofficier. Warum? Da
rum!
Auch der Familienvater geht „mit
seiner janzen Hafenhaide", wie er
Frau und Kinder als Collectiv be
zeichnet, nach Hause. Er schweigt sehr
viel, denn die Zunge ist ihm schwer;
sein Gesicht blickt aber, trotz Mutterns
Straßen - Gardinenpredigt, äußerst
vergnügt auf die schöne Welt.
Mutter theilt ihre Aufmerksamkeit
satz ein Dreier; nach fünf verspielten
Groschen hat sie gewonnen; Werth der
fchiefbäuchigen Flasche „sechs Dreier".
Der älteste Junge sieht „nicht ganz
aus. Aepsel, Pfefferkuchen und
gibt Vater „Muttern" den Nachtkuß
sehr fcheen!" Mutter ist aber tückisch
schlafen Alle den Schlaf der Gerechten.
Dielangeßede. Der alte
Oberst von Beiß hatte seinen Abschied
von seinem Regiment mit einer länge
ren Rede zu verabschieden. Dieselbe
war auch nach mancher schlaflosen
u. s. w. An dem Tage des Abschiedes
mit feierlicher Stimme: „Hat je —"
„Adje, Herr Oberst!" antwortet das
Regiment wie aus einem Munde auf
Schlau. Sulfurius: Nanu,
College Süffel, Ihr seid schon wieder
'mal umgezogen? Süffel: Nein, wer
lichkeit selbst; davon wissen aber meine
Gläubiger nichts. Sie hat den großen
Vorzug, daß mich meine Gläubiger so
mit stets verfehlen, da ich in meiner
anderen Wohnung einfach nicht zu
Hause bin!
Kasernenhofblüthe.
Unteroffizier (einen Einjährigen an
die Achselklappenschnüre greifend):
„Sie denken wohl, Sie haben die
Begreiflich. A.: Das ist
ein reizendes Stück, das das Orchester
da spielt. B.: Ja, und doch kann
mich dieses Stück in Verzweiflung
bringen! A.: Warum denn? B.:
Weil es das einzige ist, das meine
Tochter spielen kann!