Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, December 29, 1893, Page 2, Image 2

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    2 Dt« eiserne MaSke.
Der berühmte Mann mit d«r eiser
nen Maske in der Citadelle van Pig
nerol, der so häufig in Sensations
»vman«n als Hauptperson verwendet
worden ist, soll nach neuer«n For
schungen Sir de Bulonde gewesen
sein, der auf Befehl König Ludwigs
deS Sechzehnten zur Straf« dasii»,
daß er di« von ihm commandirt«
Festung Coni ohne Schwertstreich dem
Feind« übergeben hat, zu lebensläng
licher Haft in die erwähnte Citadelle
gebracht worden ist. Nachts hatte er
«in Zimmer zur Verfügung und tags-
Lbn durfte er auf den Festungswer
ken spazieren gehen, jedoch mußte er
immer die eiserne MaSke trag«n.
Uebrigens tragen auch jetzt noch die
Gefangenen in den französischen Zel
lengefängnissen Masken, freilich nicht
«us Eisen, sondern aus Baumwolle,
„Cagoule" genannt. Es ist dies ein
netzariiqes Gewebe, das nach Art der
Kapuze getragen wird. In seiner
Zelle kam, der Gefangene nach Belie
ben die Maske über das Gesicht ziehen
»d«r nicht, w«»n ein Beamter eintritt.
Dagegen ist er verpflichtet, die Mast«
zu gebrauchen, wenn er die Zelle ver
laßt, sei es, um im Hofe spazieren zu
«eben, sei es, wenn er in's Sprechzim
mer gehk—kurz überall, wo er mit an
deren Gefangenen zusammentrifft.
Diese Maßregel wurde aus folgenden
zwei Gründen getroffen: erstens um
Bekanntschaften zwischen den Sträf
lingen unmöglich zu machen und so
der Gefahr eines etwaigen Komplot
tes vorzubeugen; zweitens um die
Sträflinge später, wenn sie die Frei
heit wieder erlangen, vor Erpressun
gen ihrer Genossen zu schützen. Frü
her ist es nämlich sehr häufig vorge
kommen, daß irgend «in verkommenes
Individuum, welches in Gemeinschaft
mit einem moralisch höher stehenden
Menschen im Gefängniss« eine zeit
lanq verbracht hat, dann nach von
Beiden absolvirter Hast, d«m l«tzteren
»nter Androhung das „Geheimniß"
bekanntzugeben, Geldsummen «r-
Vreßte.
Dt« El»i„«s«„ als Bc»is«nbau«r.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß
die Missionäre, die vor mehr als hun
dert Jahren die Thatsache berichteten,
daß die Chinesen hängende Brücken
hätten und daß viele derselben von
Eisen wären, den europäischen Inge
nieuren den ersten Wink gaben, auch
ihrerseits solche Werke herzustellen,
daß also China die Priorität auch die
ser «Erfindung besitz«. Wenigstens
schreiben chinesische Historiker die Er
findung der Hängebrücken der Dyna
stie der Han zu, welch' letztere zwischen
200 vor bis 202 nach ChristuS re
gierte. Namentlich von Schang Lieng,
der Ober - Commandeur der Armee
»nter dem ersten Herrscher der Han-
Dynastie (vor circa 2000 Jahren) er
zählt die chiensisch« Spezialgeschchtt
ganz merkwi<ige Dinge. Er war es.
welcher die großen Wegbauten gegen
den Westen des Reiches hin unter
nahm und mit Hilfe einer Masse von
über hunderttausend Arbeitern hohe
Berge durchstach, die Thäler mit Erde
füllte, welche ihm jene Ausgrabungen
verschafften, wo dies nicht hinreichte.
Brücken baute, die auf Pfeilern oder
Vorsprüngen ruhten. Bei anderen
Stellen, wo die Berg« durch ti«se
Schluchten getrennt wären, faßte er
den kühnen Plan (also wahrscheinlich
«lS der Erste) hängende Brücken von
«in«m AbHange zum andern zu schla
gen. Diese von den chinesischen
Schriftstellern „fliegende Brücken" ge
nannten Uebergänge waren mitunter
in schwindelnder Höhe. Noch sollen
ihrer solche zu sehen sein, z. B. in d«r
Provinz Schen-se, wo sich eine Brücke
von Berg zu Berg in einer Länge von
«a. 400 Fuß über einen 600 Fuß tie
fen Abgrund erstreckt. Die meiskn
di«ser fliegenden Brücken scheinen breit
genug g«wes«n zu sein, daß vier Mann
nebeneinander hinreiten konnten und
an beiden Seiten waren Geländer zum
Schutze der Reisenden angebracht.
tausend«!, entwickelt war,allerdings bei
demselben Volke, welches noch viel frü
her die Buchdruckerkunst, die Schieß
— Erster Dienst
mann : „ Was, Du kaufst Dir
rathstocbter. Wenn ich Der sage, ein
junger Herr bat es mir für sie gege
ben, da schenkt sie mir gleich so viel
bezahlt ist!"
Boshafte Antwort. A.:
»Na, mein Lieber, heut so aufgeregt?"
B.: „Habe auch Grund dazu;
denn der Gastwirth Müller hat mich
einen Esel geheißen." A.: „Ja,
ja der Kerl ist so, der sagt jedem
die Wahrheit in's Gesicht."
urlicrooren. „T>ie, haben
Sie schon den Kunst-Taucher im Zir
kus ges'hen, der bleibt vier Minuten
unter Wasser!"—„Das ist gar nichts!
Ich hab' mal einen gesehen, der ist
zar nicht wieder 'raufgekommen!"
Ungalant. Aeltliches Fräu
lein: Ach, gehen Sie ab. Alle Män
ner sind schlecht! Herr: Das ist gerad»
so richtig, als we,nn ich sagen wollte:
Alle Damen sind jung. Aeltliches
Fräulein: Wieso? Herr: Nun ja
es paßt beides nicht einmal auf di«
llmvtsendenl , - . > ,
Kriege.
»Herr Major, der Gefreite Zimmer
mann ist vom Repli mit der Schleich
patrouille Numero 2 zurückgekehrt. Er
meldet daß in der Oeffnung der Hecke
jenseits der Parkmauer des Schlosses
Launay der Klaus Spreckels von der
Compagnie des Herrn Hauptmanns
durch einen Schuß auS dem kleinen
Hause in der Nähe des Thores getödtet
worden ist."
„Das ist bereits der siebente Mann,
der durch den verdammten Halunken
in dieser Woche todt geschossen worden
ist, welcher dort sich verborgen hält und
nie eine G«l«genheit vorübergehen läßt,
auf unsere Leute z l feuern."
Der Meldende war der Unterofficier
Schulz vom dr'tten Bataillon des In«
fanteriereqimentl Nro. 103, das zu de«
Division des Generals von Montbe
vom zwölften Armeecorps gehörte, wel
ches während der denkwürdigen Bela
gerung von Paris im Winter 1870
'7l auf der Ostfront kant.mnirte.
„In der That, ein verfluchter Ha
lunke !" rief der BataillonS-Comman
deur. Major von Schönberg, aus. „Er
nimmt jede Gelegenheit wahr, wie Si«
sagen, und bietet selbst niemals eine
dar, ihm eins auszuwischen. Spreckels
soll vorschriftsmäßig begraben werden.
Ich danke Ihnen, Schulz."
„Zu Befehl, Herr Major!" erwi
derte der Unterofficier, darauf machte
er Linksumkehrt, wie ein Automat,
! ging mit drei Schritten zur Thür und
Meldung de! Unterilsizierl Schulz.
Die Scene war ein schönes, aber
jämmerlich verwüstete» Zimmer in ei
nem Hause an dem äußeren Rande des
Dorfes Gagny, dicht an der Borposten
linie der Deutschen, in dem Theile zwi
schen Raincy und Villa Evrart, gerade
über dem Moni Avron, über dessen
niedrigeren Gipfel die finsteren Wälle
Forts RoSny grimmig emporragten,
l Große Geschütze standen zu jener
Zeit auk dem Mont Avron, und mit
Löcher in daZ Dach, die Wände und in
den Parketboden des Wohnzimmers
geschlagen, das den Officieren zum ge
genfenster stand, welches nach dem
Mont Avron hinausging, und hatte
eine unbeschreibliche Verwüstung unter
den Hämmern und Saiten angerichtet.
Bis zu Weihnachten, der Zeit deS
Friedens und deS Wohlgefallens unter
den Menschen, waren es noch drei
Taqe.
Am Abende vorher, hatte eine eigen
thümliche Scene stattgefunden, als im
Schutze der Dunkelheit (kein Fahrzeug
durfte eS während des Tages wagen,
sich sehen zu lassen) einer der Ba>ail
lonswagen die Weihnachts-Liebesga
ben von dem Feldpostamte in Le Bert
Galant herausgebracht, die, eingepackt
Sachsenlandes anlangten. Es war
ein seltsames Gemisch, das aus dem
! Wagen herausströmte, nachdem vor der
I Hauptwache hinter dem Hause des
Majors das Verschlußbrett niederge
lassen worden.
Renkisten heraus, in Leinwand einge
wickelt, lange Rollen, deren Umrisse
deutlich das Wort „Wurst" bedeuten;
teln, in denen es beim Heruntergleiten
klapperte, sich gewiß einige Thaler be
fanden. Ein großer Haufen von die
aus, das ihm von einem Gefreiten zu
gereicht wurde.
Es war ein ebenso trauriger wie
„Gefallen," lautete die kurze Ant
wort.
„KaSpar!"
! .Verwundet/
.Stolberg!"
! ..Todt/'
„Bergmann!"
i »Im Lazaret."
„Vermißt/
Dieses „Vermißt" hat im Kriege ein?
weite, ungewisse Bedeutung; es will
sagen, der Mann ist entweder gefangen,
er fehlt, ist unb»grab»n, defertirt (doch
dieser letztere Ausdruck ist niemals auf
einen deutschen Soldaten während des
Krieges in Anwendung gekommen);
das Wort bedeutet schließlich: „nicht
da. und der liebe Gott weiß, wo er ist."
Noch bevor Schulz mit der Austhei
lung der Weihnachtsgaben fertig war,
lag ein ganzer Haufen von Paketen
neben ihm, deren Adressaten niemals
dieselben reklamiren würden. Es war
mir, da ich die für Spreckels angekom
mene Cigarrenkiste öffnete, als ob eine
Thräne auf dieselbe fiel, bevor sein
Körper den Platz der Bertheilung ver
ließ.
Jetzt lag er auf dem Brette dort,
zwischen den Knöpfen seines Waffen
rockes steckte ein halbes Dutzend von den
Cigarren, die über Nacht von seiner
Mutter in Kamenz für ihn angekom
men waren.
Die Borpostenlinie der Franzosen
lief längs eines Weges hin, der sich am
unteren AbHange des Moni Avron hin
zog, das kleine Thal vor dem Dorfe
Villemomblc (das von den Franzosen
besetzt war) überschritt und dann der
l Richtung der Mauer folgte, welche den
. mit schönen Bäumen bestandenen Park
xleich sich die beiden Linien hie und da
etwas näherten, an Stellen, wo das
Terrain coupiri war, so waren sie doch
meistens etwa tausend Schritte von ein
ander entfernt.
In den meisten Kriegen zwischen
civilisirten Nationen ist eS üblich gewe
sen, daß die Vorposten zweier sich ge
genüberstehenden Armeen sich, unter
gewöhnlichen Verhältnissen, einander
nicht belästigen.
Andere Zeiten, andere Sitten!
Ganz im Gegensatze zu dieser Beobach
tung der Etikette bei den Vorposten be
nahmen sich die französischen Soldaten
im Jahre 1870. Gleich vom Beginne
des Krieges an benutzten sie jede sich
darbietende Gelegenheit, auf die deut
trouillen zu feuern. Die französischen
Soldaten ans Vorposten in der Ber
theidigungslinie von Paris bestanden
häufig nicht auS regulären Truppen,
und selbst wenn dieses der Fall, so wa
ren es Rekruten, die keinen Respekt vor
den alten Traditionen cioilisirter Na
tionen hatten, wenn sie überhaupt et
was von denselben gehört. Infolge
dessen gab es während der Belagerung
die Franzosen einen großen Vortheil,
weil ihre Chassepots eine größere
Schußweite besaßen. Ihre besten
> Schützen pflegten bei den Vorposten sich
laufzuhalten, um diese Art von vorbe
j Stadt einen Feiertag machten in ihrem
Handel mit wohlfeilem Tod. Es war
einer von diesen Schlächtern, den Un-
Häuschen einquartirt, das wahrschein
lich die Wohnung deS Gärtners gewe
sen und schoß aus dem Hintergrunde
Zimmer verlassen.
„Der Schurke wird noch das Batail
lon decimiren," sagte der Major. „Ich
er hinzu."
und sie niederbrennen; »a Z wird die
Deckung jenes Burschen zerstören. Ich
erbiete mich freiwillig, diese Brandstif
heule?lbend noch?"
„Es darf nicht so gelch-ben, wie Sie
vorschlagen, Kirchbach!" entgegnete
der Major ganz betrübt. „Sie wis
sen, meine Befehle lauten streng dahin,
jetzt nichts zu unternehmen, was zu ei
man hinter uns, vor dem Maison
Guyot, die Batterien für die Belage
rungsgeschütze auswirft."
„Ach so !" ertönte es von einen« hal
ben Dutzend Lippen.
.DcnnoÄ ist es ein verkl'lchter 2lam-
mer," rief der kleine Hammerstein aus,
„daß unsere braven Juugens in dieser
Weise ermordet werden sollen !"
„Gestatjen Sie mir ein Wort, Herr
Major," sagte ein junger Mann in hell
blauer Uniform, der in der Nähe der
Thür stand. Der Sprecher war ein
so kleiner Bursche und hatte ein so ju
gendliches Gesicht, daß er noch gar nicht
ausgewachsen zu sein schien. Der
Schnurrbart war noch nicht auf seiner
Oberlippe gesprossen, aber in seinen
Augen leuchtete ein Feuer und eine so
ruhige, bescheidene Entschlossenheit lag
aus seiner ganzen Erscheinung, daß
sähnrich und kommandirte daS kleine
Detachement von des Kronprinzen Rei
terregimente, das dem Bataillon in der
Vorpostenlinie zum Ordonnanzdienste
zugetheilt war.
„Nun, Baron, wollen Sie sich etwa
anbieten, jenen Burschen mit Ihrer ga
loppirenden Abtheilung aus seinem
Hause heraus zu hauen?" fragte
Schönberg in etwas spöttischem Tone.
Der junge Mann war beiläufig ein
stein ; doch wenn er auch einen prahle
rischen Namen führte, so war dieses
auch das einzige Prahlerische an ihm,
denn so jung er auch war, so trug er
doch das eiserne Kreuz im Knopfloch,
das er bei einem glänzenden Angriffe
am Abende von Beaumont gewonnen
hatte.
„Ich denke, Herr Major, daß meine
Leute begierig die Gelegenheit crgrei
lich außer Frage. Aber, wenn Sie es
mir erlaubten, mein Sergeant kann für
einen oder zwei Taqe ganz gut mein«
Stelle versehen. Ich möchte gern ver
suchen, ob ich nicht bei etwas Glück der
Teufelei dieses Kerls ein Ende machen
kann. Man zählt mich zu den besten
Schützen auf Wild mit der Jagdbüchse
in unserem Theile der sächsischen
Schweiz; auch hab« ich meine Lieb
linqswaffe mitqenommen. Man weiß
niemals, ob man nicht einmal Gelegen
heit hat, sie zu gebrauchen. Was ich
zu thun wünsche, ist, diesen französi
schen Teufel zu beschleichen. Darf
ich?"
> „Sie mögen Ihr Glück versuchen,
Baron, erwiderte der
von dem etwas unqeheuerlichen Scherze
des Majors, an jenem Abende die Ziel
! Scheibe einer ganzen Menge von Spä-
ßen. Der große Helldors taufte ihn
! David und bot sich an, mit ihm zu ge
hen und ihm zu helfen, passende Steine
für seine Schleuder zu suchen. Doch
! der kleine Baron nahm den Scherz mit
bescheidener Heiterkeit auf, ah kräftig
zu Mittag und ging zeitig zu Bett,
nachdem er seine getreue Büchse sorg
! hatte. Früh am Morgen brachte ihm
sein Bursche das Frühstück, dann zog
er sich warm an, denn es war draußen
ließ; nachdem er in die Vertiefung jen-
seits deS Dammes hinuntergeglitten,
begann er den langsam ansteigenden
Abhang hinaufzuklettern, auf dessen
Kamm daS Schloß Launay zwischen
insofern eine Gefahr in sich bargen,
daß sich französische Späher oder Pa
trouillen in ihnen möglicherweise ver
steckt hielten, so boten sie andererseits
den Vortheil, daß sie eine Strecke lang
Vorrücken des Hungen Offiziers
anstatt" jedoch direkt sich darauf zuzu
schkichen, was zur Folge haben mußte,
daß sein Bersteck sich gerade in der Ge
sichtslinie des französischen Schützen
> befinden würde, drang er etwas nach
rechts vor mit der Absicht, sich irgend
wo links.von der Hütte einzunisten.
Als er etwa fünfhundert schritte vor
derselben angelangt war, befand er sich
i ganz in der Nähe eines dichten Ge-
fteäuches von Immergrün. In dieses
! Gesträuch drang er ein und legte sich
auf das Moos im Innern desselben
»'-'der, das ganz frei von Schnee ge
er ein freies daS Häuschen
hatte, das jeht durch den FrostneZel
nur trübe sichtbar w^r.
Wie ihm schien, kochte der dasselbe
ein schwacher Rauch aus d-.in Schorn
stein stieg. Bal» darauf kam die
Sonne heraus und jagte den Nebel
auseinander; der Daran meinte den
Glanz eines Büchsenlaufes im hintern
Theile des Zimmers zu sehen inner
halb der weiten Oeffnung, die in
! friedlichen Zeilen der Rahinen eines
Fensters gewesen war. Sein erster,
lmpuls war, «in Stück hinter der
, Stille zu zielen, wo er den Schimmer
gesehen, und dann zu schießen; doch er
hielt sich zurück. Aller Wahrscheinlich
ieit nach würd« sich ihm, .wie er be
dachte, nur ein« einzige Gelegenheit
darbieten, wenn überhaupt, auf den
Franzosen zu feuern, so schlau hatte
sich derselbe bisher gezeigt. Auf diese
einzig« erhoffte Gelegenheit muhte «r
warten mit der Geduld eines India
ners, sollte es auch stundenlang wäh
ren, denn er mußt« seinen Feind auf
den ersten Schuß todten. Er lag da
her unbeweglich da, fortwährend auf
die weiße Front des kleinen Hauses
starrend, gegen welche? der Schnee fast
bis zur Höhe des Fensters getrieben
war.
Die Zeit verstrich. Dreimal waren
der Blitz eines Schusses und eine kleine
weiße Wolke aus der Fensteröffnung
in der vorderen Seite des Häuschens
hervorgedrungen. Wie d«r Baron
wußt«, bedeutete jeder Schuß den Tod
ein«S sächsischen Soldaten; während
er in der Qual seiner Unfähigkeit, den
von ihm gefaßten Entschluß auSzu
siihren, still liegen mußte. Sollte er
es riskiren, das Feuer zu erwidern?
fragt« «r sich jedesmal, wenn der kalt
blütige, grausame Teufel dort ge
schossen. Und jedesmal gab er sich
selbst die strenge, entschlossene Ant
wort: „Nein; s«i ruhig. Alles erreicht
derjenige, der zu warten versteht."
Der Franzose feuerte zum vierten
male, gerade als die Sonne untergwg,
Zimmers. Als es dunkel geworden,
erhob sich der junge Mann steif und
halb erfroren und schleppte sich zurück
in di« Stellung der Sachsen. Wäh
rend des Tages hatte der Schütz« in
dem Häutchen einen Posten getöot«t,
verwundet. D«r arme Baron wurde
schrecklich geneckt. Ein Offizier be
hauptet«, «r hätte seine Büchse nicht
losschießen können; ein anderer meinte,
Gelegenheit verpaßt. Ein dritter gab
an, «r wär« überzeugt, daß Steinfurt
den Tag damit zugebracht habe, mit
dem Franzosen zu fraternisiren.
'
Der kleine Baron besaß einen Grad
von Kaltblütigkeit, der über seine
Jahre war. Die schlechten Witze sei
mindesten aus der Fassung; er hatte
die feste Zuversicht, daß, wenn der
Franzose ihm nur ein einzigesmal die
vorsichtig sein. Am nächsten Morgen
befand er sich vor Tagesanbruch wie
der in fein«m Berstecke zwischen den
Jmmergrünsträuchern im Hinterhalt
liegend, die Büchse an der Schulter,
die Augen beständig auf die Oeffnung
d Z'
schüchtern« Weis«. Ein lautes, spötti
sches Gelächter empfing ihn.
.Wieder mit leeren Händen zurück,
o herzhafter Junker!" rief Hauptmann
Kirchbach.
„Wissen Sie wohl, Herr Baron,"
bemerkte Hauptmann von Zanthier
mit spöttischem Lächeln, „daß Ihr
Gegner dort drüben heute Nachmittag
Kerl todtgeschossen? Ist es Ihr voller
hen sich die Herren, welche sich für diese
kleine Affaire interessirlen, morgen
früh nach der Vorpostenlinie hinaus
bis zum V-chndamm. von koo aus Sie
durch Ihre Feldstecher die Vorderseite
des kleinen Hauses beobachten kön
nen." Darauf verbeugte er sich, sagte
„Gute Nacht" und begab sich in sein
Quartier über den Ställen, in denen
dir Pferde des Detachements unterge
bracht waren.
Am nächste«, borgen war der erste
Weihnachtstag. In ganz Deutschland,
in welchem vom Palast bis zur Hütte
die Herzen von Kummer und Angst
schwer waren, erklangen die Ki.-chen
glocken durch die klare, frische Luft.
Es waren ganz andere Klänge, nach
denen wir aufhorchten an jenem Weih
nachtsmorgen bei den Vorposten unter
dem Schatten des Mont Avron. Von
seinem stumpfen Gipfel dort oben im
Scheine der Wintersonne feuerte eins
von den schweren Geschützen des Co
lone! Stoffel in regelmäßigen Zwi
schenräumen einen Schuß ab; die große
Granat« flog unschädlich und heulend
über unsere Köpfe hinweg, als ob sie
Eile hätte bei ihrem raschen Fluge, um
in Clichy oder Montsermeil hinter uns
auf dem höher gelegenen Terrain Un
heil anzurichten. Nicht fünf Minuten
lang war es in der Vorpostenlinie
vollständig ruhig und still,fortwährend
knatterte das unbehagliche, abscheu
liche Gewehrfeuer, bald hier, bald dort
so geringfügig, so wild, so bitter
von dem eingewurzelten Haß gegen den
einzelnen Mann Zeugniß ablegend.
Der Feldgeistliche würde etwas später
gewiß versuchen, seine Botschaft:
„Friede und den Menschen ein Wohl
gefallen" vorzutragen, die ihm ins An-
Hasses.
Der Krieg und seine Teufeleien hin
derten uns indeß nicht, als wir uns
bald nach Sonnenaufgang in unserem
gemeinschaftlichen Salon zum Mor
genkaffee zusammengefunden, «inan^er
kleine Baron uns am Abende vorher
in so rätselhafter Weise vorgeschlagen
hatte. Auch der Major, welchen die
Neugierde plagte, hielt eS mit seiner
Würde wohl vereinbar, unS zu beglei
ten, während der Baron selbst nicht
>um Vorschein kam. Die Rekognos
zirungspartie bestand aus Kirchbach,
seinem Schwager Hammerstein. Zan
thier, Heldorf, Freiherrn von Zehmen
and drei oder vier jüngeren Offizieren.
! Als wir bei dem Elsenbahiroamm
»nlangten, bemerkten wir, daß die
Leut« des rPikets über den Rand des
selben nach dem entfernten Häuschen
hinblickten, jeder seine Augen mit der
Hand beschützend gegen das Blenden
«er Sonne auf dem Schnee.
„Es hängt dort etwas aus der Fen
steröffnung heraus, Herr Haupt
mann," meldete der Sergeant des Pi
lets dem Hauptmann von Kirchbach«
,es sieht aus wie der obere Theil eines
zroßcn Mantels und als ob der Hut
wäre."
Hammerstein hatte sehr bald sein
Nlas dorthin gerichtet. „Bei Gott, eS
Ja wohl, er hatte Recht. WaS dort
öffnung herabhing, war der obere
Theil von dem Körper eines Mannes.
Die breiten Schultern hoben sich deut
lich von der weißen Wand ab, ebenso
daS schwarze Kopfhaar; das Gesicht
war natürlich nicht sichtbar, da es nach
der Wand zu lag; die Arme hingen
lang ausgestreckt bis zu der Schnet
brink herunter, di« gegen den unteren
Ich war der einzige von unserer Ge
sellschaft, der ein Fernrohr bei sich
hatte. Der Feldstecher ist bequemer
für einen Offizier als ein Fernrohr,
seine Tragweite indeß viel begrenzter;
folgendes: Die zusammengezogenen
Hände hatten sich in den Schnee einge
krallt; daS lange Haar hing gerade
herunter und war schmutzig roch ge
färbt. Eine Büchse lag etwa zwanzig
Fuß vom Fenster entfernt und war
offenbar über den gefrorenen Schnee
so weit heruntergezlitten, nachdem sie
den Händen des Mannes einfallen.
ES war kein Irrthum möglich; der
kleine Baron hatte sein Werk mitSau
berkeit und Gründlichkeit ausgeführt.
ES klingt beinahe gräßlich, es aus
zusprechen, aber die Vernichtung des
französischen Scharfschütze» wurde
unter allgemeinem Beifall als daS
Weihnachtsgeschenk des Barons Stein
furt für das Bataillon angesehen.
Nach dem Gottesdienste erschien unter
Anführung des Unteroffiziers Schulz
eine Deputation bei dem Baron; in
strammer Haltung, die Absätze hörbar
aneinander schlagend, stotterte Schulz:
„Im Namen des Bataillons tau
send Dank verdammter französi
scher Schweinehund!" dann trat -r
einige Schritte von dem erröthenden
Steinfurt zurück und verließ mit sei
nem Gefolge das Zimmer.
Mit wenig Worten erzählte uns
dann der junge Mann den Hergang
der Sache, während wir unser Früh
stück verzehrten. Bis zum Nachmittag
des zweiten Tages seiner Wache hatte
«rVruhig seinen Schuß zurückgehalten,
frstx entschlossen, seinen Gegner mit
ejne« einzigen Kugel niederzustrecken.
Während dieses Tages hatte der Fra
nzose einige Male gefeuert, aber dem
auch nur einen Schimmer von seiner
P«rfon gezeigt. Seinen letzten Schuh
feuerte er gerade vor dem Beginne der
Dämmerung ab und tödtete mit dem
selben den Mann von Zanthiers Com
pagnie; eS war das einzige Mal an
jenem Tage, daß sein Feuer von Wir
stetS, ohne sich selbst bloßzustellen; als
indeß die Kugel aus dem Lause war,
vergaß «r sich zum «rsten Mal« wäh
rend der beiden Tage. Ohne Zweifel
begierig, zu sehen, ob sein Schuß ge
seinem sichern Hinterhalte heraus und
zeigte seinen Kopf und die Schultern
über dem Fenstersims, gerade vor sich
cher er geschossen. Alles das that er
wie mit einem Ruck. Er war im Be?
griff, sich zurückzuziehen, als der kleine
Baron aus feinen, Hinterhalte auf ihn
feuerte. Steinfurt hatte sich nicht ver
geblich auf der Kaninchenjagd mit sei
ner Büchse geübt. Der Franzose brach
sofort zusammen und fiel so, wie Wir
nem DeOschen mehr daS Leben neh>
men würde. Da er sich in dem Be
reiche der französischen Vorpostenlime
befand, verließ der Baron sein Bersteck
nicht eher, als bis die Dämmerung i»
vollständige Dunkelheit übergegangen
war.
DaS war Alles, was er zu erzählen,
hatte.
In der Kaserne.
„Du, Du hast ja dem Unteroffizier
gesagt, in Deinem Weihnachispacket
Gewiß waren es nur gestopft«
Strümpfe, aber sie waren Wurst
g-stopft.
Der AllerweltS-Onkel.
Am Gartenhag den Schlehendorn
Deckt schon «in dunkles Blau,
Herbstlüfte ziehen drüber hin
Zm weißen Blüthenkleid
.O holde Frühlingszeit!"
Das ist vorbei, der Spätherbst kam,
Die Schlehensrucht, weil Rauhreif kalt
Und eisig drüber strich.
Auch ich stand einst im Frühlings kleid
So unschuldsvoll und weiß.
Erblick' ich dort den Schlehendorn,
Wird mir's im Herzen heiß.
Auch mich hat einst am Gartenhag
O —
Mich blasser Neid ergreift,
Ich bin trotz Prügel, Sturm, Herbst,
Frost
Noch heut' nicht durchgereift!
Schneidiges Versema
chen. Sehen Sie mal blos, Herr
schmachtet! Ja, ja:
kein Genuß,
Wohl möglich. A.: Ihr
Haar ist sehr dünn! V.: Und doch
war es vor 30 Jahren noch vie>, dün
ner! A.: Aber Sie sind doch höch
stens 30 Jahre alt. B.: Ditie sehr,
Vor Gericht. Präsident:
Aber, Herr Präsident, blos wril ich
sKnen wiedersehen wollt«!