Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, December 22, 1893, Page 6, Image 6

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    6 Eine geschiede»» Hr<n».
Der Sturmwind tobte heulend um
die Mauern eines kleinen Hauses einer
Mittelstadt Deutschlands. Er rüt
telte an den Fenstern so gewaltig, daß
die Glasscheiben ächzend klangen und
klirrten, als sei ihnen ein großes Leid
geschehen, dann rüttelte er die alten
Bäume, welche das Haus unter Schutz
und Scbirm genommen hatten, bis ties
in ihr innerstes Mark hinein, und riß
die noch grünen Blätter von ihren
Zweigen, sie hoch in die Luft in tol
lem Tanze umher wirbelnd, bis er sie
Die junge Frau, welche unaufhör
lich in dem Zimmer auf und ab schritt,
richtete kaum auf den Sturm draußen,
noch viel wilder und vernichtender,
er zerbrach Frieden und Glück, er
tödtete alle Hoffnungen und Wünsche
ihres noch so jungen Lebens.
Sie war erst fünfundzwanzig Jahre
alt, und kam sich doch wie siebenzig
jährig vor. „O mein Gott," dachte
sie, „kann denn ein so schweres Schick
sal nicht die fehlenden Jahre ersetzen?
mnß ich weiter leben, weil ich noch
jung bin? o laß mich sterben, Va
ter im Himmel, denn meine Schultern
werden erdrückt von der Schmerzens
last, mit der Du sie beladen hast!
Was habe ich denn verbrochen, um eine
so schwere Züchtigung zu verdienen!
Es ist zu viel, viel zu viel! und wenn
es wahr ist, daß Du aller Kreatur ein
barmherziger Vater bist, daß selbst
der Sperling nicht ohne Deinen Wil
len vom Dache fällt, o so hilf mir tra
gen, was ich allein nicht tragen kann!"
Sie trat an den Nähtisch, welcher
neben dem Fenster stand, und auf wel
chem zwei Ariefe lagen. Sie nahm
den großen, der das bereits erbrochene
amtliche Siegel trug, vom Tische, las
noch einmal, immer bleicher werdend,
Was kümmerte es sie, daß zwei
'Schritte von ihr entfernt die Natur
eine beredte Sprache redete? sie ver
mach dem Sturme die Sonne wieder
scheint, sei es in der Natur,
oder in dem zuckenden Herzen
des Menschen. In Ihr war Alles
hold gelächelt! Damals, vor fünf
Jahren als sie, die fast mittellose
Waise, von dem wohlhabenden Kauf
mann Heinrich Wiese zu seiner Gattin
gewählt wurde.
Wie hatte sie ihn geliebt! fast
gab es die erste „Scene" in dieser bis
jetzt so friedlichen Ehe. Hätte sie
auch dazu schweigen sollen? aber nein,
nein, das durfte sie nicht, denn sie
mußte es doch wenigstens versuchen.
ihr häusliches Glück zu retten.
Doch dieses war unwiderbringlich ver
loren, denn Alles, was sie bisher er
duldet, war ja Kinderspiel gewesen ge
gen den einen Schmerz, den sie nicht
Überleben zu können geglaubt hatte:
Man hatte ihr zugeflüstert, ihr
Mann sei ihr untreu geworden, aver
„Verleumdung" entrüstet von sich ge
wiesen, bis sie aus seinem eigenen
Munde die Bestätigung und zugleich
die Bitte hören mußte, ihm seine Frei
heit zurückzugeben.
„Nein niemals!" rief sie, „ich
gebe meine Einwilligung nicht zu die
sem schmählichen Treubruche!"
Als sie dann aber sah, wie trotzig
und verächtlich er sich von ihr wandte,
als ihr klar wurde, daß er nicht eine»
Augenblick an sie und ihre getränkten
Gefühle dachte, sondern nur an jene
Andere, um derentwillen sie geopfert
werden sollte, da war es mit ihrem
Widerstande >:i, und es kam ihr
vor, als sei etwas in ihrem Herzen zer
rissen. Halb ohnmächtig sagte sie zu
allein, was er vorschlug, „Ja".
Er hatte ihr den Vorschlag gemacht,
sie solle verreisen, und ihren Aufent
haltsort in dieser Stadt wählen, da
mit er aus „böswilliges Verlassen"
klagen könne, denn einen anderen
Scheidnngsgrund gab es nicht, da sie
sich weigerte, ihn vor Gericht des
Treubruchs anzuklagen, und er dies
auch nicht wünschte, da dies seiner Wie
derverheirathung im Wege stehen
könne. Sie lebte seit einem halben
Jahre hier, stets schwankend zwischen
Verzweiflung und Hoffnung, denn
immer wieder hatte die Letztere ihr ein
trügerisches Bild von seiner Reue vor
gemalt, bis die heutige Post ihr die
Gewißheit brachte, daß Alles vorüber
und sie eine geschiedene Frau sei.
„Eine geschiedene Frau!" und in
jenem Briefe, der da noch uneröffnet
lag, und dessen Adresse seine Hand
schrift trug, würde er ihr vielleicht mit
theilen, daß sie einander Nichts mehr
angingen, daß diese fünf Jahre aus
gelöscht seien, und daß nun Jeder fei
nes Weges zu ziehen hätte. War es
nöthig, mußte sie solche Worte lesen?
Ja, sie mußte, der bittere Trank
wurde ihr nicht erspart, sie muhte ihn
leeren bis zum Grunde.
Ihre zitternden Hände öffneten den
Brief, zuerst sah sie nur Buchstaben
und Worte, die er geschrieben, zum
letzten Mal an sie geschrieben hatte
aber sie fand keine Bedeutung, keinen
Sinn darin. Endlich hatte sie sich so
weit gefaßt, daß sie begreifen und im
Ausammenhange lesen konnte.
Er dankte ihr für seine Freiheit in
beredten Worten, „o mein Gott und
er fühlt nicht, welche Beleidigung das
für mich ist!" murmelte sie und las
weiter. Jetzt nahmen ihre Züge einen
leidenschaftlichen Ausdruck an, ihre
Augen flogen von Reihe zu Reihe,
dann plötzlich zerriß sie den Brief und
schleuderte die Stücke weit von sich, in
dem sie schluchzend rief: „Geld für
ein Herz! meine Rechte, mein Glück
und meinen Frieden gedenkt er mir mit
Zwanzig Jahre waren seit jenem
Tage verflossen. In Berlin, in einer
belebten Geschäftsstraße, saß am Fen
ster der ersten Etage eines stattlichen
Hauses, dessen untere Räume ein wohl
renommirtes Weißwaarengeschäst ent
hielt, Frau Marianne Wiese, nun eine
Frau Marianne Wiese war die Be
sitzerin des Hauses und des Geschäfts,
und sie hatte sich beides durch eisernen
Fleiß und Beharrlichkeit errungen.
Freilich ein wenig Glück war auch
dabei gewesen, denn ohne dies pflegt
die Feuerprobe überstanden hat, For
tuna selten abhold bleiben.
Marianne war mit tausend Thalern
ihr ganzes Heirathsgut, nach
Berlin gegangen, und halte dort ein
nem Style eröffnet. Sie war sehr
geschickt und sehr fleißig, und der Er
folg ließ nicht lange auf sich warten;
Jetzt klopfte es leise an ihre Thür,
unterbrochen. Aus ihr „herein" trat
ein hübsches, aber sehr blasses junges
Mädchen über die Schwelle.
„Ah —Sie sind es. Miß Meadow,"
„Ja, Frau Wiese, ich möchte Sie
bitten, mir einige Tage Urlaub zu ge
ben," sagte dieselbe mit etwas fremd
ländischem Dialekt.
„Wozu, mein liebes Kind?"
„Vater ist sehr trank, ich darf es
wirklich nicht wagen, ihn ganz allein
zu lassen."
»Natürlich erfülle ich gern Ihr«
Bitte und hoffe, daß Ihr Vater bald
wieder genesen wird, was sagt denn
der Arzt, er findet ihn doch nicht ernst
lich erkrankt?"
Die blassen Wangen des jungen
Mädchens rötheten sich und sie ant
wortete leise: „Wir sind zu arm,
fürchte, daß mein Vater sehr krank
ist."
„Und das erfahre ich erst jetzt," rief
Marianne, die Hand des jungen Mäd
chens ergreifend, „haben Sie denn so
wenig Vertrauen zu mir?"
„Ach, Frau Wiese, es ist so schwer,
Almosen anzunehmen, noch schwerer,
solche zu erbitten."
Ja, das wußte Frau Wiese auch,
und sie begriff den Stolz des jungen
Mädchens, aber geholfen muhte
hier doch werden. Sie legte ihren
Arm um die Schultern von Ada Mea
dow und zog dieselbe an sich, dann
sagte sie:
„Ich biete Ihnen kein Almosen,
mein Kind, denn ich hege ein Gefühl
für Sie, als ob ich Ihre Mutter wäre,
und von einer Mutter kann das Kind
alle- nehmen."
„Sie sind so gut."
„Ich darf Ihnen also meinen Haus
arzt schicken, und darf mich diesen
Nachmittag selbst davon überzeugen,
wie es Ihrem Vater ergeht, und ob ich
ihm nicht auf die eine oder die andere
in einem elenden Stadttheile,"
sagte Ada, die Augen zu Boden sen
kend.
„Schadet nicht! ich werde mich
schon zurecht finden. Und noch eins
haben Sie denn gar keine Freunde
hier in Berlin?"
„Gar keine."
„Weshalb sind Sie denn von Ame
rika hierher gekommen? Reiche, oder
wenigstens wohlhabende Amerikaner
gehören hier in Berlin nicht zu den
Seltenheiten, aber "
„Sie wollen sagen, Frau Wiese,
daß Sie nicht begreifen, was wir in
Deutschland suchen, da wir doch arm
sind? Ich begreife das selbst nicht,
aber Vater war in seiner Jugend ein
mal in Deutschland gewesen, und
wenn es nicht gar zu lächerlich klänge,
wenn ich behauptete, er l>abe Heimweh
nach dem fremden Lande gehabt, so
würde ich diese Behauptung aufstel
len, denn er hatte nur den einen
Wunsch, mit seinem Kinde nach
Deutschland zu reisen, und es hat
lange gewährt, bis er in die Lage kam,
sich denselben erfüllen zu können."
„Erzählen Sie mir von Ihrer
Kindheit, Ada."
„Diese war verhältnißmäßig glück
lich, Frau Wies«, denn wir waren
reich, wenigstens hielt man uns dafür,
wir machten ein großes Haus, und
meine Mutter war eine elegante Dame,
die großen Aufwand trieb. Auch mir
wurde jeder Wunsch gewährt, nur der
nicht, daß meine schöne Mutter mich
lieben sollte. Sie bekümmerte sich
sehr wenig nm ihr einziges Kind, sie
hatte keine Zeit dazu. Meinen Vater
sah ich nur selten. Als ich sieben
Jahr alt war, starb meine Mutter
plötzlich, man hatte sie am Morgen
todt in ihrem Bette gefunden, und an
demselben Tage wurden unsere schö
nen Sachen aus dem Hause geholt und
verkauft, denn mein Vater hatte Ban
kerott gemacht, wie die Leute sagten.
Wir bezogen eine sehr kleine beschei
dene Wohnung. Nun sah ich meinen
Vater oft, und dann sprach er immer
von Deutschland und lehrte mich die
deutsche Sprache, die bis zu der Zeit
nie in unserem Hause gesprochen
Vater nicht nach Hause kam, gerade
wie zu Lebzeiten meiner Mutter. Zu
weilen hatte er dann viel Geld, und
man arbeitet?"
„Nein, liebe Ada, das ist ein über
wundener Standpunkt; jetzt giebt es
nur noch wenige, die es dafür hatten,
Arbeit macht frei und bringt Segen,
das habe ich an mir selbst erfahren,—
sie hilft das Unglück würdig tragen
sie macht dieMenfchen besser und nach,
sichtiger mit Anderer Schwächen
> Glauben Sie eS mir, Ada, Arbeit if
die größeste Wohlthat, welche der
Schöpfer dem Menschn, auf seinen
Lebensweg mitgeben konnte, und nie
mals kann er ihm genug für dieses
Geschenk danken."
Noch niemals war der Fuß von
Frau Wiese durch so erbärmliche
Straften geeilt als jetzt, da sie die
amerikanische Familie aufsuchte. End
lich —da war Straße und Hausnum
mer.—Sie erklomm drei enge Stie
gen und befand sich auf einem fast
dunklen Vorplatz«, auf den fünf oder
sechs Thüren mündeten, hinter wel
chen eben so viele Familien zu Hausen
schienen, wie die angenagelten Visi
tenkarten besagten, von welchen jede
einzelne einen andern Namen trug.—
Frau Wiese suchte und fand den Na
men „Meadow" und klopfte dann leise
an die Thür. Sie mußte ziemlich
lange warten, endlich öffnete sich die
selbe und Fräulein Ada trat ihr ent
gegen: „Ich habe meinen Vater dar
auf vorbereitet," flüsterte sie ihr zu,
daß meine gütige Brotherrin uns be
chen will, aber bitte, xiirnen Sie ihm
nicht, wenn er dies nicht so dankbar
anerkenn, als er wohl sollte; das Le
ben hat den armen Papa bitter ge
macht, —lassen Sie mich im Voraus
für ihn um Verzeihung bitten."
„Fürchten Sie nichts, liebes Kind,
weiß ich doch, daß es ein Kranker ist,
den ich besuche, und mit den Launen
eines solchen rechnet man nicht."
Hatte Ada erwartet, ihr Vater
würde die fremde Besucherin barsch
abweisen, so hatte sie sich getäuscht,
aber fürdas, was jetzt zwischen den
beiden Personen vorfiel, fehlte ihr
jedes Verständniß.
Der Fuß von Frau Wiese blieb
nämlich wie angenagelt an der
Schwelle haften, sie schien vor Schreck
fast gelähmt zu sein, während der
Kranke sich in seinem Bette ausgerich,
tet hatte und die Eintretende wie eine
Vision anstarrte. Er streckt« die Hä
nde wie abwehrend ihr entgegen; dann
flüsterte er: „Nein, —nein—es ist ja
nicht wahr —ein Traum —wie er jede
Nacht kommt, —aber es ist noch Tag
—Marianne, o Marianne bist Du ihr
Geist, oder kommst Du, um Dich zu
rächen?" Er schlug die Hände vor
das Gesicht, und leise stöhnend sank er
in die Kissen zurück.
Nun kam Leben in die Gestalt der
todtbleichen Frau auf der Schwelle,
sie schwankte auf das Bett zu, sank
dort auf ihre Knie nieder, faßte nach
der abgezehrten Hand und rief: „O
Heinrich, welch ein Schmerz, muß ich
Dich so, so wiederfinden!"
„So ist es wahr, es ist nicht Dein
Geist—Du bist es selbst? Und Du
kommst in meiner letzten Stunde?
Du willst dem Unseligen fluchen, der,
seinen Lüsten sröhnend. Dich verlassen
hat? O Marianne, sei barmherzig,
ich bin gestraft genug!"
„Ich komme nicht um zu fluchen,
sondern um zu helfen, wenn dies mög
lich ist. Ich komme, um Dich in
schwerer Krankheit zu Pflegen, wie sich
dies für Dein Weib schicki."
„Für mein Weib! so weißt
Du nicht "
„Ich weiß, daß diejenige todt ist,die
zwischen uns gestanden hat, sonst—"
fügte sie mit leiser Stimme hinzu,
„würde ich ihr den Platz nicht nehmen,
der ihr vor der Welt gebührt."
Er lachte höhnisch auf und erwi
derte dann: „O, sie würde ihn Dir
nicht streitig machen, denn sie war nicht
geschaffen für dunkle Tage."
„Vater, was ist das?" rief jetzt Ada
mit todtblassem Angesicht, „ich ver
stehe dies alles nicht, was ist Dir jene
Frau? Hast Du sie schon gekannt?
Gott, meine Sinne verwirren sich!"
„Ob ich sie gekannt habe, was sie
mir ist? —Kind, sie war meine erste
Liebe und mein Weib, ehe ich noch
Deine Mutter gesehen hatte? doch Du
sollst später alles wissen—jetzt verlas
sen mich meine Kräfte."
Marianne glättete ihm die Kissen,
er griff nach ihrer Hand, und dies«
festhaltend, sagte er: „O verlaß mich
nicht! Gehe noch nicht fort, Ma
rianne!"
„Ich bleibe b«t Dir, bis Du gene
sen bist. —Ada, nimm meine Droschke
und fahre in's Geschäft, sag' der Di
rektrice, daß ich möglicher Weise einige
Tage fort bleiben würd« und daß sie
mich vertreten soll. Dann laß Dir
von der Haushälterin Wein und
Gelee für den Kranken geben und
komm so schnell wie möglich zurück."
Als Ada noch halb im Traum das
Zimmer verließ, sah sie, daß Frau
Wiese am Bette ihres Vaters Platz
genommen hatt«.
„Ist es auch wahr, daß Du mir
verziehen hast?" fragte er, und es er
schien Marianne, als strahlten seine
Augen in einem überirdischen Glänze.
„Von Herzen."
„Und dennoch bist Du gerächt, und
ich bin furchtbar gestraft für alles,
was ich an Dir verbrochen habe, —
Daß es Mrs. Harlington war, die
mich zum Treubruch gegen Dich ver
lockt hat, wird man Dir erzählt ha
ben. Sie war eine bezauberndschöne,
junge Wittwe, eine Amerikanerin, die
ein Jahr in Deutschland lebte, wahr
scheinlich in der Absicht, sich einen rei
chen Mann zu suchen, und ich galt für
reich! Sie bestrickt« meine Sinne in
einem Grade, daß ich mich jetzt selbst
nicht begreife, und drängte mich zu der
Trennung von meinem bis dahin treu
geliebten Weibe. Als ihr dies gelun
gen, erklärte sie mir, nur in dem Falle
in eine Verbindung mit mir willigen
zu wollen, daß wir nicht nur unfern
Wohnort in Amerika wählen, son
dern daß ich mich auch entschließen
würde, für einen geborenen Amerika
ner zu gelten und meinen Namen zu
verändern, um dies glaublich zu ma
chen. Sie erklärte, es nicht ertragen
ju können, wenn man sie in New ZZorl
weniger hoch achte, weil sie einen
„Dutchman" geheirathet habe. Ich
war so verblendet, daß ich mich außer
Stande fühlte, ihr irgend einen
Wunsch unerfüllt zu lassen, glaubte
dauerte nicht lange, da wußte ich, daß
ihr« Liebe nicht mir, sondern meinem
Vermögen galt. Und trotzdem ließ
ich mich von ihr ruiniren. Ich ver
suchte wohl einmal ihrer wahnsinni
gen Verschwendung entgegen zu tre
ten. aber —ohne allen Erfolg. Mit
fieberhafter Begierde lief ich dem
Gelde nach, um es ihr mit vollen Hän
den zuwerfen zu können, ich spelulirte,
ich ergab mich dem Hazardfpiele—und
ich verlor. Ich stand vor dem Ban
kerott.—Sie war theilnahmlos und
verlangte Gold—immer wieder Gold;
da sagte ich ihr, daß sie sich entschlie
ßen müsse, ein bescheidenes Leben mit
mir zu führen, denn ich hätte alles
verloren, wolle mich aber ihretwegen
bemühen, wieder empor zu kommen.
Sie lacht« höhnisch und sagte, sie wisse
Beileres. als mit einem sentimentalen
Deutschen, den sie nicht einmal liebe,
Hunger zu leiden—Am nächstenMor
gen fand man sie todt im Bette,—in
der Hand hielt sie noch krampfhaft
«ine kleine Phiole fest.
Aum Glück war mein einziges Kind,
meine Ada, so ganz anders geartet,
als ihre Mutter; sie erinnerte mich in
ihrem Wesen oftmals an Dich, an die
ich nun wieder viel dachte, aber—auf
lange hielt ich es auch bei ihr nicht
aus, denn der Spielteufel hatte mich
einmal in seinen Klauen, und er ließ
mich nicht wieder los. Ich wurde
krank und immer kränker, ohne daß
Ada dies bemerkte, und da ergriff mich
eine fieberhafte Sehnsucht, wenigstens
in dem Lande zu sterben, in dem Du
lebtest. Ich kam vor fast einem Jahre
in Berlin an und gedachte Nachfor
schungen nach Deinem Wohnort anzu
stellen, denn ich wollte Dich wenigstens
aus der Ferne einmal sehen, aber ich
war zu schwach, zu energielos gewor
den, und so unterblieben auch diese
Nachforschungen. Ein glücklicher Zu
fall hat Dich heute zu mir geführt,
und es war die höchste Zeit, denn ich
fühle es deutlich, es geht mit mir zu
Ende.—Widersprich mir nicht, ich sehe
es Dir, die ja niemals lügen konnte,
an, daß auch Du weißt, wie nahe der
Tod meinem Lager steht, und ich
würde eine Welt freudig verlassen, in
der ich so viel geirrt und gefehlt habe,
wenn ich nicht meine Tochter allein,
und ach! so schutzlos zurücklassen
müßte!"
„Ich werde sie nie verlassen, —Dein
Kind soll auch das meinige sein! Lieb«
ich Ada doch schon jetzt, und wenn Du
mir dieselbe anvertrauen willst, so ge
lobe ich Dir, daß ich dieselbe zu einem
nützlichen Gliede der menschlichen Ge
sellschaft erziehen werde. Sie soll
meine Tochter, meine Stütze, —einst
meine Erbin werden, und Du kannst
ihertwegen ruhig sein."
„O Dank, Dank Nun sterbe ich
ruhig," antwortete der Kranke mit
schwacher Stimme und suchte die
Hand seiner ehemaligen Gattin zu er
greifen.
Als nach zwei Stunden Ada zu
rückkehrte, da schlief ihr Bater den
ewigen Schlaf. Statt seiner em
pfingen sie die geöffneten Arme ihrer
„Mutter", deren Edelmuth ihrem
Vater eine ruhige Sterbestunde ver
schafft hatte. —O, Ada wollte sie ehren
und lieben, die „geschiedene Frau"
ihres Vaters, welche ihr Vater, Mut
ter und Heimath ersetzte, und in deren
Augen sie den Strahl der Liebe ent
deckte, den sie bei der eigenen Mutter
vergebens gesucht hatte.
AuS «>nt,n alten Prtdigtbuch«.
Der Pfarrer Spörer zu Rechenberg
im Fränkischen ließ 1720 eine Predigt
drucken, in welcher nachstehende Stelle
vorkam: „Das Frauenzimmer lieb ich
von Natur, wenn es schön galant coin
plaisant, honett, sauber aufputzt, wie
ein schönes Pferd, da? weiß ich schon,
wie sie zu refpektiren seien, dem Manne
Mann heimkommt und einen so lie
benswürdigen Engel antrifft, der ihn
mit den schneeweißen Händchen em
pfängt, küsset, herzet, «in Brätlein und
Salätlein auf den Tisch trägt, und sich
hinsetzt und spricht: Engel, wo willst
Du heruntergeschnitten han? und was
dergleia>«n Honig- undzuckersüße Sa
che» noch mehr sind. Wenn man aber
einen boschi! boschi! roschi! roschi! ei
nen Rumpelkasten, ein altes Reibeisen,
einen Zeidelbär, eine Haderkratz, ein
Marterfell im Hause die immer
brummt: mumm! mumm! Die eine
Tbür zu- die andere aufschlägt, die im
Schlot mil der Osengabel hinausfährt
und wieder auf den Herd herunter
plumpt, die ein Gesicht wie sieben Tag,
Regenwetter oder wie ein Nest voll
Eulen macht, die lauter Suppen aus
dem Höllentopfe anrichtet, und ivas
d's Tercfelzeugs mehr ist: die lieb' ich
nicht, '»er Teufel mag sie lieben!"
S>a»alc«ncnt.
Ein Spatzenkopferl,
Zwei Aeugerln wie der Mai,
(?in stumpfrges Naserl....
Und 's Beste dabei:
Sie is mein Baserl!
—Aucheinß e w> e i s. Mama:
<.''!ai!i>st Tu denn wirklich, daß Dich
' : Helr Assessor heirathcn wird; ivas
eine» beweis l>ift Du dafür?"
Achter: er hat auf der Pro.
.aoe M!>-. gcstrel>
Moderne Literatur.
Der rastlos fortschreitenden Thätig
keit moderner Dichter ist es noch vor
Thorschluß des Jahrhunderts gelun
gen, ein muss Gebiet für die Poesie
zu erobern: Wie in der Malerei, so ist
auch w der Literatur die Schönheit
Kss Häßlichen entdeckt worden! Fort
mit all' "dem Wust von Blüthenduft
und LenzeKzauber, von Seelenadel und
Herzensgröße? das Niedrige, das Ge
wöhnliche allein hat noch Recht! Nennt
man darum die besten Namen solcher
Werte, so wird man nur Titel hören
wie „L eines Wurmstichigen"
„angefressene Geschichten" „aus
allen Winkeln" „der Traum der
Lumpensammlerin" und ähnliche.
Daß bei solchen Bestrebungen die
alten Formen nicht mehr taugen, daß
sich die modernen Dichter auch nach
neuen Klassennamen für ihre Producte
urns-ihen müssen, ist nur begreiflich,
und möchten ihnen daher vielleicht
nachfolgende bescheidene Anregungen
nicht ganz unwillkommen sein. Wie
wäre es, wenn man forthin, statt der
Humoreske, die Hautgoulmoresle
Pflegte, statt des Sonetts, um gleich
den Mißklang anzudeuten, den der
woderne Dichter in oer Seele erzeugen
will, nur noch Dissonette uno Mißso
nette schriebe? Statt der Epopöe schla
loer sieht >»a nicht schon vor seinem
geistigen Auge den Schauplatz des
Werks! statt der Allegorie kann
statt des Idylls das Dynamityll, statt
der erotischen Dichtung die bankeroti
sche. Auch die Nohmanze hat ihr
Recht, und was bisher lyrisch war, sei
nun delirisch!
Ilnd erst gar der dramatische Dich
ter! Welche Fülle von Namen findet
er! Statt des Rührstücks das Degene
! rirstück, statt der Posse die Misanthro
posse, statt des Dramas das Hypo
chondrama, statt des Melodrams das
vielleicht, statt fader Einakter, hin und
wieder sogar ein kleines Schweinakter
chen!
Wir zweifeln nicht, daß es der ge
nialen Productivität unserer moder
nen Dichter gelingen wud, aus diesen
wenigen Andeutungen eine großartige
Fülle der neuesten häßlichst - schönsten
Bezeichnungen und Werke abzuleiten
und so der Verarmung der Sprache
kräftig entgegen zu wirken!
Schnell gefaßt.
Jäger zur Wie reizend
Sie heute aussehen, Rest! Nun, geben
Sie mir schnell einen süßen Kuß!
Rest: Lassen Sie mich gehen, Sie
zudringlicher Mensch!
Jäger: Na, na, nur nicht so böse.
Dann geben Sie mir einen Bittern!
Mannes stolz.
Miller: Ich gehe heute Abend z»
tiner Solopartie, Karl, meine Fmu
hat nichts dagegen. Kannst Du mit?
Lämmchen: Führe mich nicht in
Versuchung, Fritz! Du weißt doch, daß
die Schwiegermutter bei uns zu Be
such ist. '
—lm Seebad. „Fräulein,
wenn Sie in's Wasser fielen und ich
zöge Sie heraus würden Sie Ihren
Lebensretter mit Ihrer Hand beglük
k«n?" „Wozu solche Umstände?
Wenn Sie ein« Frau über Wasser hal
ten können, so erreichen Sie Ihr Ziel
auch aus dem trockenen Wege."
Höchster Triumph. „Ka
merad haben um die Tochter des Ban
kiers angehalten?"—„Ja, wollte ar
mem Kind kleine Freude machen!" —
„Haben aber doch Korb bekommen!"—
,Na ja, ist doch höchster Triumph für
sie. m i r Korb geben zu können!"
Heiraths - Annoncr.—
Dame, jung, hübsch, geistreich, arm,
wünscht Herrn mit den entgegengesetz
ten Eigenschaften behufs glücklicher
Ehe kennen zu lernen.
«ine schneidig- Aamili«.
Der Vater ist Rentier und schneidet aS
(Coupons).
Der älteste Sohn ist Jäger und schnei-
Der Zweitälteste Söhnest Literat und
schneidet 'raus.
Der jüngste Sohn ist Lieutenant und'
schneidet Cour.
tauscht« Kin»,^"^
Ein Matrosenulk. <
Gegenseitige Dank
barkeit. (Der Herr Sanitätsrach
wird spät in der Nacht noch zu einer
leicht erkrankten Comtesse gerufen.)
.Das rechne ich Ihnen hoch an, Herr
SanitätSrath, daß Sie noch so spät
gekommen sind!" .Ich auch." erwi
derte der Alt« lakonisch.