Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 01, 1893, Page 3, Image 3

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    Das Muttermal.
(5. Fortsetzung.)
„Nein, ich thue es nicht. Wie sollte
ich? Ich habe mein ganzes Leben hier
gelebt und sie hat mich niemals besucht,
und nachdenke und zuweilen im Schlafe
setze ich ach so ferne und wie im
NÄil! aber so zärtlich und liebedvll --
das Gesicht einer schönen Frau, mit rei
chem Haar, das sie umfluthete, wie Dich
das Deinige; aber ich denke dob-i, das
ist nicht meine Mutter. Das ist meine
einzige Erinnerung von der Welt au
ßerhalb des Instituts."
„Wie seltsam!" sagte Paulette.
„Weißt Du, wie lange Du hier bist,
meine Liebe?"
„Sechzehn Jahre immer, seit mei
nem dritten Geburtstage."
Ein lauter,gleichsam klagenderWind
stoß ging durch die Bäume am Spiel
platze draußen. Paulette lauschte «inen
Augenblick und dann fuhr sie fort:
„Aber ihre Briefe, theure Sibyl
sie schreibt Dir sehr regelmäßig, des
sen bin ich gewiß hast Du ihre
Briefe?"
Sibyls Antlitz besänftigte sich nicht
„So wie sie sind. Ein Mutterh«rz
zeigt sich gewiß nicht darin sie be
lästigt mich nicht mit Gefühlen. Aber
-s heißt, sie sei krank und gebrechlich,
das soll Alles erklären."
„Aber was kann sie damit bezwecken,
Dich so lange hier zu halten?" sprach
Paulette nachsinnend und voll inniger
Sympathie mit ihrer Freundin. „Kann
sie Dein Alter vergessen hoben? Weiß
sie, wie schön Du bist? Ich hätte nie
mals gedacht, daß sich eine Mutter von
einer Tochter von achtzehn Jahren so
freiwillig fernhalten könne."
„Du siehst, daß «s möglich ist," er
schränkt sich ausschließlich darauf,
meine Rechnungen zu bezahlen, mir
monatlich einen Brief von fünf oder
sechs Zeilen zu und mir eine
Menge Nadelgeld zu senden so daß
ich immer mehr habe, als andre Mäd
chen im Pensionate. O Paulette, es ist
ungeheuerlich! Warum holt sie mich
nicht von hier fort? Schon vor longer
Zeit habe ich Alles gelernt, was man
hier lernen kMn. Wie müde bin ich die
ses Ortes! Wie hasse ich ihn! Wie
sehne ich mich fort!"
Und mit großem Schmerzensgefühle
schlug sie ihre kleinem, weißen Hände
Mammen. Paulette umschlang und
tüßte sie. Die zivei Mädchen schienen
einander sehr zugethan.
„Natürlich gewiß. Warum solltest
Du nicht? Ich sehne mich auch zu ge
hen obgleich man gut ge
thurn und Hilda, von der mein Vor
mund so viel spricht. Man hat doch
so viel vor sich mit achtzehn Jah
„Mein theures Kind," rief Miß An
leite ich weiß es!" seufzt« Sibyl.
zessen das ist der Laus der Welt."
„Der Welt!" rief Paulette, sich auf
„Was weißt Du von der Welt? Du
bist Dein ganzes Leben hier einge
schlossen gewesen. Was Erfahrung be
trifft, bin ich zweimal so alt wie Du,
thörichtes Kind! Ja, Du bist nur ein
Kind, ich aber habe den Jahrmarkt
des Lebens gründlich kenne» gelernt!
Nein, ich Werve Dich niemals verges
sen. Du hast sehr Un«echt, das zu
sagen. Vormiiiidchen! VormiZndchen!
Vormündchen! Hier bin ich und hier ist
meine Busensreuirdin, Sibyl Arn
stein!"
Dies Letzte sprach sie, als sie in das
Speisezimmer flog und ihre Arme um
den Nacken des Generals schlug. Er
stand am Eingange, sie erwartend, in
der That ein alter Löwe von großer,
kräftiger, aufrechter Gestalt, in einen
Mantel gehüllt, das weiße Haupt unbe
deckt und sein broncefarbiges Gesicht
zeigte den Ausdruck zärtlicher Erwar
tung. Paulette zog sein Haupt zu sich
und küßte den Alten auf eine seiner
rauhen Wangen.
„Hier bin ich," wiederholte sie, „und
hier ist meine theure Freundin, Sibyl
Arnstein."
„Und wundervoll gut siehst Du aus,
meine Liebe," sagte der General, in-
dem er tyr, wie etnem Kinde, eine Hand
auf's Haupt legte. „Du bist auch ge
wachsen einenZoll oder mehr, möchte
ich sagen. Und dies ist Dein: Freundin?
Ich freue mich, sie kennen zu lernen."
Ueber Paulettens goldgelockte;
Haupt sah er nach Sibyl hinüber. Das
Mädchen war on dex inneren Thüre zö
gernd stehen geblieben und dis Licht .iel
voll auf ihre junge Schönheit, auf die
schlairke, hohe Gestalt, auf das wohlge
bildete Antlitz mit den dunklen Augen
und dem dunkeln Haar. Der General
starrte sie an und sein Lächeln und
seine höflich«, wohlwollende Miene ver
schwand.
„Der Name ich hörte den Namen
nicht!" sagte er rasch.
„Arnstein!" antwortete Paulette.
„Ich habe es doch ein Dutzendmal in
meinen Briefen geschrieben, Vormund.
Ich bitte, komme doch näher, Sibyl.
Ihr zwei müßt Euch kennen lernen
Ihr mich! Freunde werden."
Sibyl kam näher und verneigte sich
vor dem alten Soldaten.
„Ich würde Sie mehr lieben," sagte
sie traurig lächelnd, „wenn Sie nicht
Er antwortete nicht sogleich. Sein
ganzes Aussehen hatte sich verändert
und war düster und kalt geworden,
aber die Adern auf seiner Stirne
schwollen dick an.
„Unsinn!" brach er endlich los; „Du
machst sehr schnelle Freundschaft, wenn
Du diese Kleine noch so kurzer Zeit
schon Deine beste Freundin nennst.
Arnstein! Beim Donner deZ Him
mels! Ich hatte gehofft, diesen Namen
nie wiedr zu hören in meinem Leben!"
flammten voi'. wildem Feuer, während
er sie anstarrte. Aus's Höchste beunru
higt trat Paulette zwischen die Bei
den.
„Bormund, Vormund!" rief sie, in
Thränen ausbrechend, „was ist denn so
Fürchterliches an Sibyls Name? So
warst Du »och nie! Du bist ja gar
nicht mehr Du selbst!"
Sibyl stand regungslos beiseite.
Er besänftigte sich etwas, als er
Paulettens Thränen sah, aber seinGe
sicht blieb düster.
„Wahr!" rief er rasch. „Welche Ur
sache habe ich, eine solche Scene zu ma
chen? Ich vergaß mich. Verzeih- mir,
Kind, auch Deine Freundin soll
mir verzeihen. Ich habe ein schlechtes
Temperament. Was ist ein Name? Der
Ihrige hat für mich nur einen unange
nehmen Klang, weil ihn einst eine Per
son trug, die mir schweres Leid zufügte.
Was kann sie dafür? Man muß mei
nem Alter verzeihen, aber es ist wahr,
ich habe ein Herz wie ein Mühlstein.
Ist Dein Gepäck bereit, Paulette?
Dann verabschiede Dich und laß uns
gehen."
Er war in einem Momente kalt und
mürrisch geworden. Er wendete sich
von den beiden Mädchen ab und starrte
durchs Fenster hinaus.
Paulette berührte Sibyls Arm.
„Ist das nicht seltsam?" flüsterte sie.
„Dein Name! Beachte es nicht, ich bitte
Dich, er wird es bis morgen wieder
vergessen haben alie Leute haben oft
N?unid«rliche Launen. Da koininenFräu
lein Mathilde und die Angus. Umarme
mich! Du wirst mir trotzdem schreiben,
mich trotzdem besuchen in Thüringen.
Und nun Allen mein Lebewohl!"
Eine lebhafte Beivegung folgte. Al
les driingte sich, den scheuenden Lieb
ling zu umarmen. Die Träger brachten
das Gepäck herab und die schrillen
Stimmen der Mädchen ertönten durch
einander. Sibyl Arnstein stand da wie
zum Reisen sei, und dann schlangen sich
Paulettens Arme zum Letztenmal« um
sie, und deren Küsse bedeckten ihr Ge
sicht.
„Lebewohl! Lebewohl! Soll sie
Paulette flüstern.
Tete «r kalt. „Schloß Weißenthurn
wird Deine Heimath. Es steht Dir
zurückrichtet-. Sie sah noch einmal das
finstere Gesicht d«s Mannes, der, wie
es schien, eine ihr unerklärliche tieseAb
wahrhastig!"
Fräulein AnguS, an solcheAusbrüchi
gewöhnt, antwortete zunächst mit einem
Lcben leer wird von Allem, was es be
gehrenswerth macht. Sibyl erhob sich
von der Stiege und ging traurig in
den Speisesaal, wo die andern Zög
ling« versammelt waren, um den Thee
zu nehmen. Die Wahrheit zu sagen,
war sie bei diesen nicht sehr beliebt, so
wohl ihres vornehmen als auch
nrer außerordentlichen Schönheit we
gen, und weil sie so wenig über sich
selbst wußt« und gleichsam nur dem
Institute anzugehören schien.
„So ist also Paulette fort!" plauder
ten die Mädchen leichthin. „Glückliches
Geschöpf! Dieser alte Vormund soll
reich sein wie ein Jude. Er hat ein
großes Schloß. Ah, wi« viel Liebhaber
sie haben wird!"
Man lachte, man beneidete Paulette.
„Kommen zunächst nicht Sie daran,
Miß Arnstein? Wann gehen Sie denn
einmal?"
„Niemals," antwortete Sibyl trocken.
„Ich werde ohne Zweifel eine Nonne
werden und den Schleier nehmen."
In ihrem Schlafzimmer obcn saß
sie diese Nacht lange wach und starrte
hinaus in die Finsterniß, bis eines der
Mädch-n ihr zurief: „Es ist b-sser, Sie
gehen schlafen, Sibyl. Sie bekommen
sonst die galoppirend« Schwindsucht
im Zug am Fenst«r und verderbe» Ihre
Schönheit durch Nachtwachen."
Als FräuleinAngus auf ihrer nächt-
Fenster fitzen, aber sie störte sie nicht.
Und was dachte Sibyl?
„Meine Mutter! Wo ist mein«
Mutter diese Nacht? Wie viele Jahre
liebt überhaupt mich? Kein menschli
ches Wesen in der Welt, außer Pau
lette, und die wird mich jetzt in ihrer
neuen Heimath vergessen b:i dem
Sie schlief nur wenige Stunden,
dann erwachte sie. Die Uhr schlug
sechs. Der Regen peitschte das Fenster
in der Näh« ihres Bettes. Zu Füßen
mit der Dämmerung kämpft«.
„Was gibt es?" rief Sibyl empor
fahrend und betroffen du«h diefenAn
blick. „Was ist geschehen?"
9. Capitel.
„Ist es möglich? Wer ist gekom
men?" rief sie athemlos.
„Beruhigen Sie sich," antwortete die
Lehrerin. „Ein alter Mann ein Di
en«r Ihrer lch werde Jlinen
Endlich! Endlich! Die Thüren ih-
Händen ihr« Toiletie, während einig«
Mädchen ihre» Koffer packten,
schlössen und ihn aus dem Schlafge
mache zogen.
„Das Frühstück wartet," sagte
Fräulein Angus. „Ich bin gewiß, daß
s«n, weil ich es selbst bereitet habe."
Frühstück! Sie zwang sich, «in«n Bif
s«n Semmel zu nehmen und eine Tasse
Kaffee hinabzubringen. In der Hall
fand sie einen Mann wartend, der sie in
die Arme ihrer unbekannten Mut!«
bereit wäre, de» demüthigen Befreier
zu umarmen.
Er hob seine milden Augen, sah auf
„Befindet sich meine Mutler besser?
Ist sie ganz widergenesen?" fragte Si
byl.
„Es geht ihr besser/ sagte der alte
Mann.
„Ist es eine lange Reife?"
mals mit einer Verbeugung über
reichte.
Sibyl öffnete den Brief und las:
ier."
Kein Wort iveiter. Das Herz deS
Mädchens schlug so bange, als ob es
ihr zerspringen wollt«. Leidenschaftlich
zerriß sie den Papierstreifen und warf
dann die Stücke beiseite.
„O Mutter, Du verschwendest nicht
viel Worte an mich!" lachte sie bitter.
„Nun gut, Felix, lassen Sie uns ge
hen. We b«dau«rlich es ist, daß Pau
lette nicht noch einige Stunden warten
lich von hier geschieden!"
Sie nahm rasch Abschied von Al
len und hielt sich dabei noch am läng
sten bei der Unterlehrerin, FräuleinAn
gus, auf, deren Augen von Thränen
überflössen, als sie Sibyl zum letzten
Male umarmte. Dies war die einzige
die Luft der Freiheit die Wa
genthiire schloß sich und das Mädchen
verließ für immer diesen Ort.
Bote gesagt hatte. Eine ungeheure Di
stanz für ein Mädchen, das bisher wie
«ine Nonne gelebt, das fein Dasein, ab
geschlossen von der Welt, in einem In
stitute zugebracht! Sie sprach nicht zu
So fuhren sie in völligem Schweigen
dahin. Sibyl starrte hinaus in di- reg
nxrifche Landschaft und harrte auf die
Reife erst eigentlich beginnen sollte.
Endlich s-ch sie in dem Eisenbahn
wage«, in einen Shawl gehüllt, Bücher
und Reisetaschen neben sich; und ihr
nahe saß der Diener, ivachsam wie im
mer, und Sibyl begann um sich zu bli
cken. Die Sitze des Wagens waren
größtentheils besetzt. Biele bewundernde
Blicke richteten sich auf das unver
fchleierte Mädchen mit dem entzücken
den Antlitz und betrachteten dann ih
ren schweigsamen Begleiter.
Sie betrachtete all' die Scenerien, die
an den Wagenfenstern vorüberglitten,
bis ihre Augen müde geworden waren.
Dann zählte sie die Stunden, die noch
verfließen mußten, ehe sie die Heimath
erreichen konnte, wenn überhaupt ein
Schlaf"'
Rasselnd und keuchend ging der Train
weiter.
„Ich hab: acht lange Stunden ver
schlafen," sagte Sibyl, sich entschuldi
gend. .Ükber ich bin auch Mama um
ren, Krach«n und eine» Schrei gab, dem
eine dichte Finsterniß folgte.
„Hebt sie sorgfältig auf!" sagte die
Stimme eines Mannes.
Ein Gewicht auf ihreßrust gepflanzt,
wie der Fuß eines Riesen, schien Si
byl zu Staub zu zermalmen. Plötzlich
wurde diese Last von irgendwem geho
sich.
Ueber ihrem Haupte erblickte sie im
Dämmerlichte den Himmel. Regen
tropfen fielen ihr in's Gesicht. Sie sah
auch einen st«il«n Erddamm und eine
Brücke, und auf der anderen Seite Wa
gen auf Wagen gethürmt in einer
fürchterlichen Verwüstung. Laternen
leuchteten hie und da In kec Finsterniß
wie die Augen eines Cyclopen. Sie
hörte Gestöhne und Schreie, voll un
aussprechlicher Angst. Das Gewicht,
das aus ihre Brust gedrückt hatte und
Begleiter.
tief über „Mein armes Mäd-
Sie sank unter die Trümmer zurück.
„Wir müssen hier ein Tragebett ha
ben," rief der Mann einer andern Ge
bringen."
Sibyl hatte jetzt Kraft genug, sich
mit dem anderen Arme etwa? empor
„Wer slid stammelte „Wo
aus ein Tragebett gelegt,das mit einem
Mantel bedeckt war.
Sibyl trug man über Wagentrüm
vorhier Wallner genannt worden war.
„Ich will es wagen," antwortete der
andere kurz; „nur vorwärts! Das arme
Kind muß ohnedem fast zwei Stua-
den unter d«n Trümmern gebracht
haben."
„Kind!" rief Wallner; „meiner
Treu«, Herr' sie sieht mir sehr wohl er
wachsen aus."
„Still, Narr! Und gebt auf dm
Thorpfosten Acht!"
Die Beiden kamen auf einen Gar
tenweg, voll der Düfte feuchten Im
mergrüns, wo eine Meng« Hunde, von
verschiedener Rnce uud Größe, auf sie
losstürzten und sie anbellten. Ein
Lichtstrahl traf dasGesicht des verwun
deten Mädchens, Gestalten bewegten
sich um sie und Eine schrie laut auf vor
„Still doch!" rief der Mann mit dem
Barte. „Ich habe diese Nacht schon ge
nug jammern hören! Der Teufel hole
die Hunde! Jagt sie fort, Wallner!
O«sfnen Sie das Gasizimmer, Fräulein
Monika es ist wahrscheinlich so
dumpfig wie ein Kerker. Borläufig will
ich sie in m«in Zimmer bringen."
Mehr todt als lebendig wurde Sibyl
dem Arm abzuschneiden.
„Gott, Herr von Barneck! Thäte
stand.
„Was für ein junges Geschöpf!" flü
sterte si«, indem sie auf das verwundete
Mädchen herabsah. „War sie ganz al
lein, Herr von Barneck?"
haben es mit wahrem Muthe ertragen!
Das Riechsalz! Sie wird ohnmächtig,
nachdem Alles vorüber ist, recht nach
Frauenart!"
Einmal in der Nacht erwachte Sibyl
und öffnete ihre Augen; da sah sie auf
dem Tische eine mit einem Schirme be
schattete Lampe und Medicinflaschen,
und daneben saß das alte Fräulein in
einem Lehnstuhle und nickte.
Durch den ganzen folgenden Tag
wurde das Zimmer dunkel und ruhig
kam, um nach den, verwundetenArme
zu sehen. „Betrachten Sie sich als mei
nen Gast," sagte er höflich, „und nicht
als eine Fremde. Sie haben gut ge
schlafen. Sie haben kein Fieber. Ich
prophezeie Ihnen eine baldige Wieder
gencsung."
Sie blickte ruhig zu ihm «mpor. Er
war von großer Gestalt, mit einem
gutnrüthigen Gesichte, ein Paar hell
leuchtender blauer Augen und einem
reisten?"
„Ich denke nicht. Ich habe da! Miß
lebe."
bei Sibyl. Si« fand diese ziemlich ru
helos und aufgeregt.
„Wird sich Mama um mich küm
mern?" wiederholt« sich Sibyl oft im
Stillen und bewegte häufig das Hau^t
da? Schmerzen auf demKifsen — „wird
sie endlich besorgter um mich sein, wenn
sie erfiihrt, daß ich dem Tode so nahe
war?"
Diese Frage wurde endlich so beäng
stigend für sie und das Zimmer war
„Sprechen Sie mit mir! Halten Sie
mich ab vom Nachdenken! Mein Kopf
will mir zerspringen und ich kann nicht
Theilnahme aus.
„Meine Theure!" sagte diese, „es ist
Ihnen schwer, allein zu sein unter
Fremden bei Ihren Leiden, und das ist
kein Wunder! Ich will gewiß sprechen,
obwohl Fräulein Monika es mir verbo
ten hat. Es mir auch nichts
schwerer an, als so schweigend dazu
sitzen. Sie finden das Haus wohl ein
wenig düster. Es ist Herrn von Varn
wenn er eben die Laune dazu hat und
seiner Mutter aus dem Wege gehen
will, obwohl man das nicht sagen soll.
Ich will Ihnen ein Geheimniß sag«,
wenn Sie es gerne hören wollen."
„Nicht, wenn «s Jemand Anderen
betrifft, als Sie selbst!" antwortete sie.
„Mein Gott warum sage ich auch
Geheimniß?" fuhr Anna nach einem
Seufzer fort. „Jedermann weiß eS.
Herr von Barneck hatte eine unglücklich«
Liebe."
Sibyl antwortete nicht. Sie beobach
tete die Schatten an der Wand über
ihrem Haupte.
„Es war irgend eine leichte Person,"
fuhr Anna fort, durch das Schweigen
ermurhigt. „Man schoß ihretwegen auf
ihn und er war dem Tod« nahe. Sein«
Mutter war wie wahnsinnig, und er ist
seither auch nicht mehr derselbe wii
sonst. Er lebt hier oft abgeschlossen
wie ein Mönch, was gewiß zeigt, daß
sein Herz schwer verwundet ist. Da ei
ihn Frau von Barneck gerne verheira
ihen, was er aber nicht thun will. Und
w»s sie betrifft, ist sie von sehr stolzer
und hartnäckiger Art. Wir hier fürchten
sie alle wie Gift. Wenn sie ihren Sohn
nicht auf die eine Art beherrschen kann,
versucht sie es aus eine andere Weise,
Wenn ein Befehl nicht hilft, wird si«
ohnmächtig. Wenn sie streiten, was oft
geschieht, wird sie ohnmächtig. Man
möchte in jed«r Tasche ein Riechfläfch
chen haben, wenn sie da ist. Dann ist
noch ihre Nichte, Fräulein Lucie, ganz
nach demselben Muster. Es ist kein
Wunder, wenn Herr von Barneck froh
ist, fern von ihnen leb«n zu können."
All' das wurde so rasch gesprochen,
daß Sibyl gar keine Gelegenheit fand,
dem Redefluß desMädchens Einhalt zv
thun."
„Nicht doch," sagte sie nur einmal,
„Herr von Barneck wird es nicht gern«
haben, daß Sie solche Dinge einerFrem
ixn erzählen."
„Ach, was das betrifft, weiß es ja
doch Jedermann, wie ich schon vorhin
gesagt habe," antwortete sie hartnäckig,
„Es gibt Dinge, die man gar nicht ver
borgen halten kann. Sein Benehmen isl
jaStadtgespräch. Er ist oft halbeNächt«
aus, reitet durch die Wälder oder se
gelt auf dem See, od-r ist unten in ei
nem finsteren Zimmer und spielt sein«
große Orgel oder Physharmonika, bis
Einem der Kopf zerspringen könnte.
Seine wunderlichen Launen nehmen
gar kein Ende seit jener Affaire mit
der leichten Person. Es ist bekannt,
ferne und nahe," und sie plauderte so
fort, bis Sibyl auf ihre Kissen zurück
sank und die müden Augen schloß. Di«
monotone Stimme der Schwätzerin
brachte ihr endlich den Schlaf.
Als Sibyl am nächsten Morgen
spät erwachte, fand sie di-Luft desZim
mers stark parsümirt. Ein Strom von
Wshlgeriichen umduftete sie. Sie sgh
auf Mein kleinen Tischchen einenKorb,
gefüllt mit Orchideen und Lorbeerzwei
gen, mit Rosen und Reseda.
„Ah," flüsterte sie, tief athemholend,
und sog den süßen, ihre Nerv«n beleben
den Duft ein.
Fräulein Monika näherte sich ihr
d ß Bl
von Barncck gebracht, Sie sind unge
fähr von Ihrer Größe."
Sie legte ein weißes Morgenkleid
Bett/
Anna wurde gerufen, ein Sopha an
den Kamin gerollt und Sibyl auf des
sen Kissen gebracht.
„Bringen Sie mir einen Zweig Re
seda wollen Sie?" sagte sie zu Mo
nika. „Wie gütig ist es von Herrn von
Barneck, mir das zu senden!"
Es war ein trüber Tag, voll kalter
Regengüsse und fliegender Wolken.
Durch den Contrast schien innen Alles
so ivohlig und freundlich. Sibyl
träumte die langen Stunden ungestört
fort; sie saß in den weichen Kissen, wie
«in Bogel im Neste, und Fräulein Mo
nika strickte schweigsam in der Nähe.
Es dunl«lt« frühzeitig und die Däm
auf die grüne Landschaft.
So ruh«nd, sah Sibyl plötzlich eine
Gestalt, die im Schatten der Thüre
stand und sie bobachtete.
so still, daß er selbst wie ein Theil des
Schattens erschien; als sie aber dilAu-
Fräulein Arnstein nichts gegen die G
esellschaft ihres 'Arztes einzuwenden
hat."
«influk »es Tabak« ««f die So»
Ein Mann, der nicht raucht, scheint
feine Muße nicht in dem Maße zu ge.
nießen, wie einer, der raucht —meint«
Bits" und weun er nicht etwa ein
anziehendes „Steckenpferd" hat, scheint
er laum zu wissen, was er mit sich an»
Frieden mit sich und der Welt. Nicht
wandern ihre Augen über das ganz-
Zimmer, ja in der Mitte einer interes
santen Unterhaltung jagen sie einem
der«, fvbald es übertrieben wird. De«
Rath eines/Philosophen: Genieße jeden
Luxus, den Du Dir leisten kannst,
Ehre, dem <?hr« «ebtihrt,
Ein höherer Verwaltungsbeamter in
Ostpreußen hat bekanntlich einen Brief
zurückgewiesen, weil derselbe außer sei
nem Nomen leinen der ihm zukommen
den Titel trug. Er erllärte gleichzei
tig, daß er nie eine» Brief, dessen
träger dringend zu empfehlen, an alle
seine li»rrejp»ndenten ein vollständiges
Verzeichnis seiner Titel zu send«».
Damit sie sich besser dem Gedächtniß
einprägen, konnte man sie vielleicht in
folgende, sangdareßeimlein bring«»:
Meine genaue Adresse!
Schreibe, wenn Du schreibst an mich.
Die Adresse gut und richtig,
Tt»n sind Ktim sicherlich
Meine vielen Titel wichtig!
Also iveis' ich darouf hin,
Und nun merke Dir, ich bin:
Erbenfiistuiigs - Kammer- Kallulalor,
Kommunal -Vandziegelei - Administra
tor und Justiz - Lelonomi« - Vermes
fungi - li,mmiss«riats - Kollvborator,
Steuer-Debitoren - Psändungs - M»bi
liar-Tarator. Vorstadt-Armen - Hospi-
Kansteidire.tor. Koiisistorial-Teposital-
Nendant, Teich - Tamm - Wehr - Ufer-
und Flußbrlickenbaulen-Uten'ilien-Jn
lendant, - Kata-
Cenlral-Stadt-Hypotyelenuieitn - Kan
zel ist, Großherzogthums-llrkunden Ar
chivar, Alumne» - Instituts - Schul
—An rechter Stelle. Prä
sident l ..,,, Da finde ich aber weder
unter den Belastungszeugen noch bei
Schwiegermutter des Angellagte» auf
geführt. Herr Vertheidiger!" Ver
theidiger: „Die kommt unter die mil
— Sohn des Hau feS: „Si»
wird meinen, ich sei'S wieder gewesen!"
—Diener: „O, gnä' Herr, so schlimm
war'S nun doch nicht!" 3