Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 21, 1893, Page 3, Image 3

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Krunhilde.
(9. Fortsetzung.)
17. Januar.
Bei meinen Spaziergängen habe ich,
'so einsame Wege ich auch aussuchte,
mehrere Male Bekannte getroffen. Die
einen schieben mich überhaupt nicht zu
nem Befinden.
„Vorzüglich," antwortete ich aus
nahmslos ohne zu lügen.
Jener feste Entschluß, das Unrecht
meines Vaters selbst gegen Auras
Willen auszugleichen, erfüllt mich mit
einer Ruhe, welch: mich'jede Anfechtung
ertragen läßt.
Es ist jetzt die Zeit der großen Bälle.
Noch nie ist der Wunsch in mir ausge
taucht, daran theilzunehmen. Ich finde
mein kleines Stübchen behaglicher, ja
23. Januar.
Auras hatte recht, als er mir sagte:
„Es gibt nur einen wahren Adelsbrief,
füllung, die redliche Arbeit, die selbst
lose Gesinnung, 'welche zugleich das
höchste Christenthum ist. Und zugleich
liegt auch darin einzig das wahre
Glück."
beneidet wurde, ersehnte ich täglich neue
Gelüste heute fühle ich die tiefe
Wahrheit des Grillparzer'fchen Wor-
'NW-ckb'
Und das Bewußtsein, alle Schuld nach
Möglichst abzutragen, füge iH hinzu.
Was würde Auras sagen, wenn er
dieses Bekenntniß lesen könnte?
30. Januar.
Wieder einmal Auras: Es ist selt
sam, daß ich nnck!ekt so lebhaft an
»inzelne seiner Bemerkungen erinnere
und stunden-, ja tagelang darüber
nachdenken kann. Einst sagte er mir:
„Der Mensch hat keinen besserenFreund
als die Arbeit; sie gibt der Stunde ei
nen Zweck, hat auch das Leben keinen."
Wie mir der Professor G. einst sagte,
habe ich ein hübsches Talent zur Aqua
rell- und Holzmalerei. Ich werde versu
chen, es nutzbringend zu verwerthen.
Fast bin ich gezwungen dazu. ES
der kleine Bestand, den ich bei meiner
fluchtähnlichen Abreise mit mir nahm,
schmilzt bedenklich zusammen. Soll ich
versuchen, um Geld zu arbeiten?
9. Februar.
Als ich die letzten Zeilen schrieb, regte
sich in mir noch ein hochmüthiges, thö
richtes Schamgefühl. Jetzt habe ich eS
überwunden; ich stehe ganz auf dem
Boden der Anschauung, welche in der
Arbeit eine Ehrenpflicht jedes Menschen
sieht. Und ist das Forschen der Gelehr
ten, die Ausübung der Kunst, der Waf
fendienst für das Vaterland im Grunde
genommen nicht dasselbe, wie das müh
selige Tagewerk des Handarbeiters?
Und selbst den König ehrt seine Ar-
J-tzt verstehe ich das Goethe'sche
Wort:
Wie stolz war ich einst auf
dies Erbe! Heute wünschte ich nur, ei
nen kleinen Theil daran rechtmäßig zu
besitzen, um alle die Gedanken und
Pläne auszuführen, die in meinem G
ehirn auftauchen. Ich wollte eine andere
Gutsherrin sein, als ich bisher gewesen
Auras Abschied von Wildenhof
hat mir gezeigt, wie ich gefehlt, wie er
den rechten Weg gefunden.
Thörichtes Geschwätz! Von meiner
Arbeit wollte ich sprechen, vielmehr
schreiben, da ich niemand habe, mit dem
ich schwatzen könnte. Ich war zu der
Einsicht gekommen, daß ich mir irgend
eine Einnahmequelle verschaffen mußte.
Gegen jede Art Dienstbarkeit, und sei
es diejenige einer Hofdame, sträubt sich
mein Charakkr. So verfiel ich wieder
auf mein Maltalent. Ich packte einige
meiner Aquarellen ein und sandte sie
dem Kunsthändler, bei dem Papa und
ich früher kauften.
Was er wohl gedacht haben mag bei
meinem Angebot, für ihn zu arbeiten?
Entweder hälk er mich für fabelhaft
geizig oder, was wahrscheinlicher ist,
für überspannt kurzweg gesagt: ver
rückt. Gleichviel, er accepttrie die Ar
beiten für einen mäßigen Preis und
bat um weitere Zusendungen. Nie habe
ich vordem ein kostbares Geschenk mit
so reiner Freude empfangen, als diese
ersten Goldstücke, die ich mit meiner
Hände Arbeit verdiente.
20. Februar.
Onkel Edmund h<!k geschrieben: ein
neuer Versuch, mich umzustimmen, das
Vergangene nach Möglichkeit zu vertu
schen! Begreift er denn noch immer
nicht, daß mich eine unwiderstehliche,
innere Gewalt vorwärts treibt auf dem
Wege, den ich nun einmal beschritten,
daß es moralischer Selbstmord wäre
wenn ich umkehrte?
Durch meine Bilder scheine ich wieder
mehr in den Vordergrund des öffentli
chen Interesses getreten zu fein. Man
selbst einige Besuck?e stellten sich ei»!
wurden aber ausnahmslos abgewiesen.
Soll ich der albernen Klatschsucht
Lotzen oder aus dem Weg- gehen?
12. März.
Ich habe das letztere vorgezogen, ein
Zeitungsinserat machte mich aus Riem
berg aufmerksam, seit acht Tagen zählt
mich daS hübsche Dorf zu seinen Be
wohnern, und seit gestern habe ich mich
entschlossen, immer hier zu bleiben. Die
Brandung der großen Welt schlägt ihre
Wogen nicht bis in dieses freundliche,
Wald- und bergumgürtete Thal. Und
für den Sommer bietet mir doch der
Besuch der Sommerfrischler einigen an
regenden Verkehr, wenn ich dessen be-
sollte. Twch, hab« ich noch
Ich glaube es nicht. Mir ist, als hätte
ich mich aus dem wilden Meer als
Schiffbrüchige auf eine einsame, un
bewohnte Insel gerettet. Das Häus
chen, in dem ich bei der Wittwe des frü
heren Pastors wohne, liegt ein wenig
abseits vom Dorfe. Ich sehe auf den
Wald hinüber, an dessen Rande die Kö
nigliche Oberförsterei mir einen ange
nehmen Aussichtspunkt gewährt. Der
greif« Oberförster, ein alter, derber
Waidmann, mit einem goldenen Herzen
und Humor, ist bereits mein treuer
Freund. Schade, er will sich Pensioniren
lassen, doch hat er mir versprochen, je
des Jahr einzig mn meinetwillen einige
Wochen in Riemb«rg zuzubringen.
17. März. >
Ich habe mich einig« Tage recht un
glücklich gefühlt.
Ueber Nacht war der Frühling »ge
kommen, ein würziger Hauch zog durch
das schneefreie Thal, allüberall ein ge
heimnißvolles Regen und Leben, die
berauschende Ahnung von kommender
Sonne und Liebeswonne und nur
in meinem Herzen noch alles starr und
todt!
Mir blüht kein Frühling mehr, da
ich selbst in thörichtem Hochmuth und
Trotz die zarten Keime brach, aus de
nen mein Glück emporgewachsen wäre.
Ich selbst, ich allein trage die Schuld
meiner Vereinsamung. Ich besaß ein
Herz, ein starkes, treues Mannesherz,
und stieß es von mir; mir winkte ein
Glück ohnegleichen ich trat es mit
Füßen.
Nun büße ich dafür mit meinem gan
zen Leben, und recht geschieht mir
">aran!
23. März.
Gestern Abend ließen mich die Thrä
nen nicht weiter schreiben. Heute erkenne
ich dankbaren Gemüthes, daß mir doch
noch vieles geblieben iL, vor allem An
deren die innere Befriedigung, das Be
wußtsein, mich selbst überwunden und
zur Entsagung gezwungen zu haben.
Mir blieb mein Stolz darauf, die Er
innerung an so manche frohe Stunde,
die Bildung und Geistesstärke, die mich
am Schönen in Kunst, Literatur und
Natur, das Vertrauen auf Gott und die
eigene Willenskraft, die Liebe zur Ar»
beit.
Zufällig schlug ich am frühen Mor
gen den Mirza Schaffy auf und traf
auf die Stelle:
Das hat mich wunderbar getröstet
und gestärkt.
Welches Urtheil würde Auras nun
für mich, daß er es nicht kann. Sollte
der aussichtslose Kampf, den ich kaum
überwunden, nochmals beginnen?
XVI.
Es folgten noch einige Seiten in dem
zierlichen Buche, doch Brunhilde legte
es nunmehr beiseite und trat an den
und rief grüßend herüber: „Waid
manns Heil! Wie geht's, FräuleinNach
barin? Wollen Sie mit zur Bahn?"
„Danke, Papa Rübezahl!" gabßrun-
Frau Guisbesitzerinßoihberg theilt mir
Wollen den Damen doch mal zeigen,
daß Niemberg eigentlich ein verfl —
nobles Nest ist."
„Recht gern, ich schlüpfe sofort zu
Fräulein Lorchen hinüber."
Wirthin, kam ihr entgegen wie einer
Lebensretterin.
„Seit fünfzehn Jahren haben wir
welche alles nach der neuesten Mode be
anspruchen. Ich bin halb todt vor
Angst."
„Fräulein Lorchen, sagen Sie den
Damen, es habe mir, der Gräfin Wil
denhof, in keinem FUrftenpalast so
wohl gefallen, als zwischen den altmo
dischen Möbeln Ihres Stübchens. Das
ist die vollkommene Wahrheit, und so
mit können auch jene sich zufrieden ge
ben," beruhigte Brunhilde lächelnd die
schüchterne, alte Dame. „Bor allemAn
dtrcn wollen wir uns in der Küche um
sehen. Eine gute Limonade und ein
paar Sandwiches dürsten den Damen
lieber sein, als MakartbouquetS und
gebrannte Holzmöbel."
Damit ließ sich denn auch Fräulein
Lorch«» beruhigen, fr-ilich verging
kaum eine Minute, ohne daß sie gefragt
hätte, ob nicht Kaffee besser sein würde,
als Milch, oder das bunte Gedeck paf
fender als das w:iße Damasttuch, ob
der Canarienvogel wohl im Logirzim
gütig-nden Bescheid, mit einer Geduld,
welche sie selbst früher als etwas Wun
derbares, Unmögliches betrachtet Ha-
bleiche, müde, schmale Gesicht, und erst
als sie in den gleichgiltigen Augen ein
leises, freudigesAuffchimmern erkannte,
wurde ihre Ähnung zur Gewißheit
„Betty?"
Nur ein tiefes, krampfhaftes
Schluchzen beantwortete den Ruf; die
und stumm umschlungen. Fräulein
Lorchen schlug mit einem lauten „Herr
jemineh!" die Hände über dem Kopfe
zusammen, der Bruder marlirte sein
Erstaunen durch einen halblauten
Waidmannsfluch, und Frau Emma
Rothberg, geborene Würzburg —so
hatte sich die andere Dame inzwischen
mit einer gewissenZungenfertigkeit vor
gestellt lächelte vergnüglich vor sich
Kochkunst alle möglich« Ehre angethan,
lieb Betty wie ein müdes Kind zur
Ruhe betten, und Frau Rothberg und
Brunhilde wandelten mit einander
res Vetters, hinter deren anscheinend
derb zufassender Offenheit sich in
Wahrheit eine sehr feine Berechnung
„Also Sie sind die Gräfin Brun
hilde, von der ich so viel gehört habe,"
begann sie ganz ungenirt. „Bon meinem
Vetter, auch wohl von Betty im An
fang wenig Gutes, desto mehr freilich
jetzt von deren Bruder."
„Herr Auras —" Brunhilde fühlte
zu ihrem Aerger, daß sie über und
über erröthete.
„War erst vor einigen Wochen bei
uns, leider nur auf kurze Zeit. Seine
Hütten- und Bergwerksgcfchichte nimmt
ihn zu sehr in Anspruch. Freilich wird
er auch Millionär dadurch... Darf ich
Ihnen erzählen, was er mir ü.ber Bet
tys Krankheit mittheilte?"
„Ich bitte."
Frau Nothberg wußte genau Be
scheid, und der hübsche Lieutenant
wurde in ihrem Bericht in bedenklicher
Schwärze gemalt. Kein Schmerzgefühl
zückte mehr in Brunhildes Herzen em
por; sie konnte sogar lächeln über ihre
thörichte Blindheit.
Frau Rothberg fuhr mit einem scharf
prüfenden Seitenblick fort: „Ich bitte
um Verzeihung, daß ich so offen spreche
das von der Leber w>g reden liegt
einmal im Würzburgschen Blute der
Herr von Ruwer ist doch lein Mann,
um den ein Mädchen wie Betty lebens
lang trauern kann? Ihr eigenes Bei
spiel beweist es."
Brunhilde nickte stumm.
„Und doch ist Betty noch heute so ge
brochen, wie an jenem Tage, als mei
nes Vetters Dienstleute sie mir todt
ist genesen, der Geist noch nicht. Was
habe ich alles gethan, sie aufzuheitern,
für irgend etwas«zu interessiren, damit
nur einmal diese furchtbare Lethargie
ein Ende nehme! Alles umsonst! Sie
thut ja, wozu man sie ermuntert, doch
stets mit einer Miene wie ein Lamm,
daS zur Schlachtbank geführt wird. Jetzt
weiß ich mir keinen Rath mehr, obwohl
ich sonst nicht zu Denen gehöre, welchen
das Bischen Spiritus bald ausgeht
Und ich habe das arme Mädchen lieb
wie meine leibliche Schwester, und weiß
auch, welche Hoffnungen Vetter Karl
auf sie setzt..... der gute Jungx, er
hat so gut wie keine Aussicht; sie will
ihn nicht einmal sehen."
„Uebt nicht die energische, kraftvolle
Persönlichkeit ihres Bruders einen
heilsamen Einfluß auf sie aus?"
„Das wohl aber er ist an Lieben
felde gefesselt und Betty will nichts von
einer Rückkehr dahin wissen.... Meine
mit einer plötzlichen Bewegung an
Brunhilde. „Versuchen Sie es, Com
tesse! Wenn in der That Jemandem,
so kann es nur Ihnen gelingen; beden
ken Sie, Sie retten ein junges, hoff
nungsvolles Menschenleben Mir
fehlt der Schlüssel zu Bettys seltsamem
Wesen, vielleicht finden Sie ihn und
das Wort, das diesen unheilvollenßaim
löst."
Brunhilde reichte ihr die Hand.
„Ich werde es versuchen, mein Wort
darauf!"
Fräulein Lorchen gesellte sich zu ih
nen: das vertrauliche Zwiegespräch war
zu Ende.
Während Fraußothberg in den näch
sten Tagen eine rege praktische Thätig
keit entfaltete, hatte Brunhilde Zeit
und Gelegenheit genug, ihr Wert zu be
ginnen. Die Vorliebe, welche Betty einst
für sie gehegt, schien sich noa, vergrö
ßert zu haben. Die beiden Mädchen
waren unzertrennlich. Selten jedoch
wurde der gemeinsamen Vergangenheit
erwähnt.
Betty sprach überhaupt nicht viel.
Jede Spannkraft, jeder Thätigkeits
trieb und Lebensmuth des einst so keck
emporstrebenden Charakters schien ver
nichtet. jedes Interesse erloschen.
Eines Tages sprach sie: „Ich gleiche
Ikarus. Auch ich wollte zur Sonne
emporfliegen und stürzte zerschmettert
in die Tiefe nieder."
nes Mannes wi» entgegnete
Brunhilde mit freundlichem Nachdruck.
„Die Paläste und Salons, von denen
Sie träumten, Kind, bilden mit nichten
die wahre Höhe des Lebens, und in dem
schlichtesten Bauern, der dem armseligen
Acker mühsam sein kärgliches Brot ab
ringt, steckt oft mehr wirklicher Helden
muth, als in irgend einem ordenge
schmückten Offici-r. So hat mich Ihr
Bruder gelehrt und ich habe es bewahr
heitet gefunden."
Betty schwieg, doch griff sie nach
Brunhildes Tagebuch und begann zu
lesen. Diese ließ sie gewähren.
Einige Tage später kam ein Brief
von Viktor.
Der Kammerherr lag krank darnie
der und bat nochmals, die letzten Stun
den eines Sterbenden durch das Ver
sprechen des Schweigens zu erleichtern
.... die nämlichen Phrasen und Be
schönigungen, welch- Brunhilde schon
zum Üeberdruß gehört, zum Schluß
eine überraschende Mittheilung:
„Ich habe mich mit Fräulein von
Blachmann verlobt. Vielleicht nehme
Brief.
„Ehe er den'ernsten Kampf um das
tägliche Brot aufnimmt, opfert er doch
und heirathet die Tochter eines geadel
ten Güterspekulanten," sprach sie. „Ar
mer Viktor, ich glaube, daß es Dir nicht
leicht fällt, die hübsch«, bunte Uniform
auszuziehen und auf Dein lustiges
Schmetterlingsleben zu verzichten. Du
wirst Dich anfangs recht unglücklich
fühlen, dann Dich daran gewöhnen und
schließlich ein wenig verbauern und
Dich ganz zufrieden geben mit Deinem
guten Rothwein, Deiner Jagd und ei
nem gelegentlichen kleinen Spielchen
oder einem Abstecher nach Berlin."
„Und diesen Mann habe ich geliebt
wie einen Gott," murmelte Betty selbst
vergessen.
„So daß Sie ihn jetzt hassen? Nein,
das verdient er nicht; er ist doch nur
ein leichtherziger, gutmüthiger, schwa
cher Knabe, ein schwankes Rohr im
Winde."
„Ihn hassen?" — Betty schüttelte den
Kopf, während zum ersten Male in die
sen Tagen eine dunlle Röthe in ihre
Wangen stieg. „Nur mich selbst hasse
ich, daß ich mich durch leere Worte be
thören lassen konnte. Ich glaubte zu
den Sternen emporzufliegen, gleich ei
nem Adler, und war in Wahrheit nur
ein Kind, das einen bunten Flitter sür
die Sonne ansah."
kleine Scene hätte ihr den längst er
wünschten tiefen Einblick in Bettys
Seelenlebn gewährt; nicht die verlorene
Liebe drückte sie nieder, sondern die ver
fester Hand die Heilung. .
Das erste Bedürfniß, das wichtigste
von allem, schien ihr eine bestimmte
Thätigkeit. So lud sie kleine Obliegen
heiten des Haushalts auf Betty ab; das
Bereiten des Thees, das Gießen der
Frau Rothberg reiste nach Hause,
Betty blieb, nicht weil sie, sondern weil
Andere es wünschten. Sie war noch völ,
lig gleichgiltig gegen Alles.
bleiben ebenso gut in Niemberg wie
Fräulein Brunhilde."
Ein leises Glänzen zog über Bettys
Wadrheit. Sie begann langsam auf-
Brunhilde hütete sich wohl, sich ihre
Absicht e «merken zu lassen. Sie be
griff. dajN>ie gleichsam entschlummerte
Kraft und Natur sich selbst helfen
mußte, sollte nicht das Selbstvertrauen,
!cum erwachsend, schon wieder schwin
den.
Da traf von Frau Nothberg die
Nachricht ein, daß Würzburz, der nach
d'gt wordcn war. in den nächsten
ge,, zur Uebernahme der Oberförster
sielle m Niemberg eintreffen werde.
Durch Fräulein LorchenS Unbedacht
samkeit fiel der Brief in Bettys Hände
und nun schien alles wieder verloren.
Sie erklärte, Würzburg nie wieder be
gegnen zu können, und rüstete sich zur
sofortigen Abreise.
Vergebens bat daS alte Geschwister-
Paar, vergebens entwickelte die Gräfin
alle möglichenVernunftgriinde— Betty
dachte nur an jene Nacht, in welcher
Würzburg sie an der Mauer von Wil
denhof gefunden, sie glaubte vor
Scham unter dem Blick seines Auges
sterben zu müssen.
Brunhilde faßte einen ihrer raschen
Entschlüsse: eine halbe Stunde später
trug sie selbst eine ziemlich ausführliche
Depesche zur Postagentur. Der Adres
sat war natürlich Würzburg.
Sie hatte berechnet, daß er unter
rollte heran. Sie erkannte eine grüne
Uniform und winkte schon von weitem
yiit dem Taschentuch.
„Gehorsamster Diener!" rief Würz
burg und sprang aus dem Wagen, noch
ehe er hielt. „Sie können zurückfahren,
Kirtfcher.... gnädigste Comtesse, ich
habe Sie erwartet und benutze die erste
Minute unseres Wiedersehens, um
demüthigst Ihre gütige Absolution zu
erbitten. Ich habe Ihnen einst inWort,
Gedanken und That viel Unrecht ange
than."
„Doch nur, wie ich eS verdiente; desto
lege sind Ihres Lobes voll, ich habe
Ihnen versichern kann."
In ziemlich schnellem Tempo schrit
ten sie auf einem Raine der Oberför
sterei zu.
Würzburg war ganz der Alte, wohl
genährt, beweglich, von anscheinend un
verwüstlichem Humor. Man sah ihm.
weder die Festungshaft noch Gewis
sensbisse an.
Erst als nun die Gräfin von Betty
zu sprechen begann, verwandelte sich
sein Lächeln in nachdenklichen, trüben
Ernst.
„Das arme Kind ich wollte —"
er schwieg, aber er preßte die geballte
Faust gegen die Brust, und die blühende
Nöthe feines Gesichtes ging für "eine
Endlich standen sie an der Garten
thüre. Durch den wilden Wein der
Laube schimmerte ein Helles Frauen
gewand.
Würzburg küßte Brunhilden stumm
die Hand, und während sie sich langsam
ihrem Häuschen zuwandte, schritt er
vorsichtig, doch schnell der Laube zu.
Das Verdunkeln des Einganges ließ
Betty aufschauen.
Am Abend wollte sie abreisen, hatte
haft lächelnd, wie sie ihn hunderteMale
in Wildenhof gesehen, ihr vertraulich
und ruhig die Hand entgegenstreckend,
len seit jenem Tage, da Comtesseßrun
hilde in das Schloß ihrer Väter ein
zog-
zu fliehen, doch die zitternden Kniee
versagten ihr den Dienst; sie wollte
sprechen, schreien, ihre Kehle war wie
Mit festem Griffe erfaßte Würzbürg
ihre Rechte und behielt sie zwischen sei
nen beiden Händen, indem er sich dicht
neben sie setzte.
„Guten Tag, Fräulein Betty... wie
es scheint, betrachten Sie mich wohl gar
keit, sintemalen Geister nicht Mittags
klatscht nur mit der Peitsche. Was für
eine wunderbare Idylle! Man denkt
gleich an warme Kubmilch trinken und
Butterbrot mit Weichquarg essen!"
Noch immer hatte Betty die Augen
nicht erhoben. Sie erkannte die ver-
Ruhe'. ts tu i r »ner als
Mit Mühe Preßte sie endlich hervor:
doch —"
„Nicht auch ein wenig liebenswürdig,
liebenswerth?" warf er ein.
„Werth der besten Liebe, gewiß! Und
darum lassen Sie mich Ihnen Lebe
wohl sagen," sprach sie, alle ihre Kraft
zusammenraffend. Sie zog ihre Hand
können noch nicht vergessen Haben, wie
thöricht ich einst sprach und handelte.
Ein Adler glaubte ich zu fein, der zu
des Lebens sonnigsten Höhen empor zu
steigen vermag, und nun —"
„Entpuppt sich ein schüchternes Vö
gelchen, das in ein ganz kleines, be
scheidenes und noch glücklichercsNestchen
gehört." fiel Wiirzburg ein, indem er
mit bewundernswerther Genxindthcit
seinen Arm um ihre Hüfte schlang und
sie fest an sich zog.
Vergeblich sträubte sie sich gegen seine
Überlegen« Manneskraft. Schließlich
brach sie in ein trampfhafteSSchluchzen
aus und schmiegt« sich nun in der That
wie ein müdes, gejagtes Vögelchen
kraftlos in Würzburgs Arme.
„O, ich danke Ihnen —" stieß sie
ruckweise zwischen ihren'W-inanfällen
hervor „Sie sind so gut, so freund
lich aber es ist doch nur Mitleid,
nichtsAnd«res, und darum muß ich von
Ihn?» gehen nie könnten Sie mich
noch lieben und achten! So leicht
hin — ich darf Sie nicht mehr —"
yWas denn nicht mehr?" sagte Wür
zburg lächelnd, obwohl auch ihm ganz
eigenthümlich feucht um die Augen
würde. ,Du meinst: lieben, küssen? Hast
es ja noch nicht probirt, mein Täub
einsächen Grünspecht und dem kleinen
Nest, das er für Dich bauen will."
Er küßte ihre Lippen, und als sie sich
nochmals loszureißen versuchte, flüsterte
er schalkhaft: „Du mußt ich zwinge
Dich Dein Herz klopft so stürmisch
in dem meinen und jeder Schlag sagt
deutlich: „Ich liebe Dich doch und zwar
mich nur, weil ich mal an einen andern
Schatz gedacht!" Gib Dich zufrie
den, Schatz, das ist schon ganz Anderen
als uns passirt. Wir wollen es vergessen
Hand darauf! Und ich verlange
nichts Anderes, als daß Du nicht gar
zu sehr schmollst, wenn Wolf oder ein
Anderer Dir mal über meine Studen
tenbräute ein Licht aufstecken sollte, daS
auf meine frühere Moral und Bestän
digkeit einen ganz verteufelten Schlag
schatten wirft Also: unser Schuld
buch fei vernichtet! und nun. Du Ein
sein werde —"
Gewaltsam hob er das gefenkteKöpf
chen empor, so daß er in ihre Augen zu
sehen vermochte, Und diese beiden thrä
nenfeuchten Augenpaare sprachen noch
überzeugender und die Lippen folgten
ihrem Beispiel, indem sie sich in heißen,
wilden Küssen zusammenfanden.
fast in Ohnmacht, als Würzburg sich
mit Betty erklärte.
Noch innigere Freude empfand Brun
hilde. Ihr war, als habe sie eine schwere
Schuld abgetragen.
De: Umzug des alten
weit der Oberförsterei sür den Som
mer gemiethet, die Neueinrichtung der
Wohnung und der Wirthschaft gaben
Anlaß zu fröhlicher Thätigkeit, in der
Betty binnen wenigen Tagen ihre frii
das sie schmückte.
Malwine und Johann, die ihrem
jungen Herrn gefolgt waren, nannten
sie mit Vorliebe schon jetzt „unsere gnä
dige junge Frau."
Merkwürdigerweise sprach Betty,
welche zu Vrunhilde übergesiedelt war,
fast gar nicht von Auras, zeigte auch
nicht den Brief, welchen er ihr auf die
Verlobungsnachricht hin geschrieben.
Wohl nicht mit Unrecht zog die Grä
fin daraus den Schluß, daß jener Brief
sich auch mit ihr» Persönlichkeit be
schäftigte. Bestärkt wurde sie darin
durch eine zufällige Bemerkung des al
ten pfiffigen Kutschers, daß sein Herr
Besuch erwarte, und nun war sie es,
welche an Flucht, an plötzliches Verrei
sen dachte.
Ein Auftrag ihres Kunsthändlers
wußte den nöthigen Vorwand dazu
liefern.
Kaum hatte sie in ihrerJelängerjelie
ler-Laube den Entschluß gefaßt, als
das Mädchen ihr einen fremden Herrn
anmeldete „einen sehr feinen," fügte
fein klappernd davon.
Auras! klang es in Brunhildes Her
zen Noch ehe sie einen andern Ge
sondern die nicht minder bekannte Ge
stalt des Grafen Hohenau, die in dem
englischen Touristenanzug noch länger
beugte sich sehr tief und näselte: „Auf
Ehre, Comtesse, Sie machen es Ihren
Getreuen schwer, Sie zu finden
zum Glück erfuhr ich Ihre Adresse durch
Cassini."
Cassini war der Kunsthändler.
Die Gräfin bot dem langen Lieute
nant einen Stuhl. Sie hatte Mühe, sich
in diese Enttäuschung zu finden, doch
nen für Ihr Interesse, Graf. Sie sind
„O -- ich bitte Sie! Wie wäre es
nicht, auf mein Ehrenwort, ganz und
gar nicht!"
„Ich bin eben arm geworden, lieber
Freund das eine Wort erklärt alles
genügend."
„Wirklich?"
„Gewiß!"
(tzchluß folgt.)
thut."
Operateur (zu einem Patienten):
~Jch muß Sie bitten voraus zu bezah
len?" Patient:,, Vorauszubezahlen?
Wesbalb?" Operateur: ~O. wen»
die Operation villeicht nicht glücklich ver
laufen sollte, könnte ich Schwierigkeiten
haben, mei» Geld zu bekommen!"
»t« SN««» alt H«t»«tH»»«rmt»»«»^
Dieser Tag« wurde in Berlin «in»
Hochzeit gefeiert, bei welcher, wie die»
in der Ueberschrift angedeutet ist, ei»
ganz gewöhnlicher Zehnpfennig - Nickel
sie Rolle des HeirathSvermittlerS ge
spielt hat. Die Geschichte, die von ei
ner den „Betroffenen" nahestehenden
Dame mitgetheilt wird, ist de:
Es war an einem naßkalten Tage
dor dem Weihnachtsfest. Die Pferde
bahnwagen wurden besonders in den
Nachmittagsstilnden von Leuten ge
stürmt, die noch die letzten Einkäufe de
sorge» wollten, als Fräulein F., die ei
sehr eilig zu habe» schien, so glücklich
war, »och einen Platz im dichtbesetzten
Wagen zu finden.
Die Dame hatte kaum die Freude
der de» errungenen Sitz empfunden.
lS sie auch schon mit nervöser Hast die
Taschen ihres Kleides durchwühlte;
denn o Schrecken, in dem Muff, in wel
chem sie doch stets das Portemonnaie
aufzubewahren pflegte, hatte sie es nicht
gesunden. Gerade wollte sie den nun
nahenden Kondukteur bitten, sie wieder
aussteigen zu lassen, als eine ihr gegen»
iibersitzcnde Dame mit'verbindlichstem
Lächeln sich erbot, den nöthigen Nickel
sür Fräulein F. auszulegen. Da»
mit vieler Freundlichkeit erfolgte Aner»
bieten der gütigen Fremden wurde gern
angenommen, nachdem dieselbe auf Be
frage» ihre Adresse angegeben hatte.
Da jedoch die Dame ihrem Namen we
der ein „Frau" noch „Fräulein" vor
etwa die Mitte der 30er Jahre erreicht
habe» mochte und so viel Anmuth ent
wickelte, wohl einen Trauring auf der
rechte», linke» oder gar keinen Hant»
trage. Zwei Straßen vor Frl. F. stieg
die Dame aus. nachdem sie sich mit
freundlichem Kopfnicken verabschiedet
hatte. Noch am selben Abend beglich
Fränlein F. mit vielem Dank ihre
Schuld.
Am erste» Feiertage ging Fräulein
F in Gesellschaft ihres Bruders, eine»
Baumeisters und stattlichen Dreißigers,
in ein Theater. Der Zusall wollte eS,
daß der Platz neben dem des Baumei
sters von einer Dame eingenommen
wurde, «if welche das Fräulein F. zu
ausfiel, der feiner Schwester eine bezug
liche Bemerkung zuflüsterte. Fräulein
F. erkannte in der Dame, die sie nun
näher betrachtete, sofort die „Retterin"
aus der Pferdebahn wieder, und «Z
entspann sich natürlich ei» Gespräch, in
dessen Verlaus das Geschwisterpaar er
fuhr, daß die Nachbarin die Wittwe
eines seit drei Jahren verstorbenen In
genieurs sei, der ein Schulfreund des
Baumeisters gewesen ist. Als achtzehn
jähriges Mädchen hatte fik geheirathet.
Und vier Jahre in glücklichster Ehe ge
lebt, als ihr Gatte von einer Luiiaen
entzündung dahingerafft wurde. Man
plauderte noch viel in den Pausen, kam
vom Hundertsten in s Tausendste und
begleitete nach dem Theater die neuge
wonnene Freundin bis zu deren Woh
nung.
Beim Abschied versprach man sich,
bereits in der Festwoche mit dem so viel
versprechenden freundschaftlichen Ver
lehr z» beginnen. Dies geschah auch,
und als man am Sylvesterabend sich
wieder zusammengefunden hatte, und
der Glockenschlag 12 das neue Jahr ver
kündete, da gab es ei» Brautpaar und
Millionenstadt Berlin. Beim Punsch
pries man die Vergeßlichkeit des Fräu
lein F.j ohne welche die Verbindung des
Wohl kaum zu Stande gekommen wäre!
Dieser Tage hat nun, wie Ein
gangs angedeutet, der „Roman aus dem
Hserdebahnwagen" durch die solenn«
bochzeitsseier einstweiligen fröhlichen
Abschluß gefunden.
Der Chef der SanitätS
»btheilung aus Ellis Island, Dr. W.
Tl. Wheeler, welcher vor einiger Zeit
>um Zwecke einer Inspektion der AuS
oanoerungShäsen nach Europa gesandt
wurde, hat an den EinwanderungS
lommissär Senner von New Aork über
die italienischen Häsen Folgendes aus
Antwerpen berichtet! »Bon Genua be
sorgt der Norddeutsche Lloyd den Trans
port der Auswanderer des nördlichen
Italiens. Diese sind in jeder Be
ziehung den Leuten aus Süd-Italien
nnd Sizilien vorzuziehen und werden
bor der Abreise jeweils einer strengen
Inspektion uiiterworseii. Bon Neapel
aus besassen sich fünf Dampserlinien
mit dem Emigranten-Transport nach
New Aork. Zur Verhütung der Con
lurrenz haben dieselben einen „Pool"
gebildet, berechnen aber zö weniger,
als die Fahrt nach Neapel kostet. Sie
spediren Neapolitaner und Sizilianer.
Die Schiffsgesellschasten haben keine
direkten Agenten, sondern gehen Con
trakte mit Maklern ein, weiche so unk»
so viele Passagiere siir ein Schiff z>»
liefern versprechen. Wer am meisten
Kommission bezahlt, erhält die meisten
Auswanderer. Die Vortehrungen und
Einrichtungen sür diese sind nicht gut.
Eine durchgreifende Inspektion wird in
Neapel durch den Umstand erschwert,
daß die Schiffe nicht an den Werften
liegen, der Bai. Die Pas
werden. Weder in Genua noch in
Neapel herrscht zur Zeit eine ansteckende
Krankheit. Gegenwärtig ist die Aus-
Die ländliche Kassa n
so sehr, Mutiert?" „O mei, o »?ei,
mei Bruder is g'storb'n! I Hab'S glei
g sagt, wie in r zu seiner Taus' gangen
troffen". „Wie alt war denn das
Kind?" .Siebenundsechzig Jvhr". 3