Krunhilde. (9. Fortsetzung.) 17. Januar. Bei meinen Spaziergängen habe ich, 'so einsame Wege ich auch aussuchte, mehrere Male Bekannte getroffen. Die einen schieben mich überhaupt nicht zu nem Befinden. „Vorzüglich," antwortete ich aus nahmslos ohne zu lügen. Jener feste Entschluß, das Unrecht meines Vaters selbst gegen Auras Willen auszugleichen, erfüllt mich mit einer Ruhe, welch: mich'jede Anfechtung ertragen läßt. Es ist jetzt die Zeit der großen Bälle. Noch nie ist der Wunsch in mir ausge taucht, daran theilzunehmen. Ich finde mein kleines Stübchen behaglicher, ja 23. Januar. Auras hatte recht, als er mir sagte: „Es gibt nur einen wahren Adelsbrief, füllung, die redliche Arbeit, die selbst lose Gesinnung, 'welche zugleich das höchste Christenthum ist. Und zugleich liegt auch darin einzig das wahre Glück." beneidet wurde, ersehnte ich täglich neue Gelüste heute fühle ich die tiefe Wahrheit des Grillparzer'fchen Wor- 'NW-ckb' Und das Bewußtsein, alle Schuld nach Möglichst abzutragen, füge iH hinzu. Was würde Auras sagen, wenn er dieses Bekenntniß lesen könnte? 30. Januar. Wieder einmal Auras: Es ist selt sam, daß ich nnck!ekt so lebhaft an »inzelne seiner Bemerkungen erinnere und stunden-, ja tagelang darüber nachdenken kann. Einst sagte er mir: „Der Mensch hat keinen besserenFreund als die Arbeit; sie gibt der Stunde ei nen Zweck, hat auch das Leben keinen." Wie mir der Professor G. einst sagte, habe ich ein hübsches Talent zur Aqua rell- und Holzmalerei. Ich werde versu chen, es nutzbringend zu verwerthen. Fast bin ich gezwungen dazu. ES der kleine Bestand, den ich bei meiner fluchtähnlichen Abreise mit mir nahm, schmilzt bedenklich zusammen. Soll ich versuchen, um Geld zu arbeiten? 9. Februar. Als ich die letzten Zeilen schrieb, regte sich in mir noch ein hochmüthiges, thö richtes Schamgefühl. Jetzt habe ich eS überwunden; ich stehe ganz auf dem Boden der Anschauung, welche in der Arbeit eine Ehrenpflicht jedes Menschen sieht. Und ist das Forschen der Gelehr ten, die Ausübung der Kunst, der Waf fendienst für das Vaterland im Grunde genommen nicht dasselbe, wie das müh selige Tagewerk des Handarbeiters? Und selbst den König ehrt seine Ar- J-tzt verstehe ich das Goethe'sche Wort: Wie stolz war ich einst auf dies Erbe! Heute wünschte ich nur, ei nen kleinen Theil daran rechtmäßig zu besitzen, um alle die Gedanken und Pläne auszuführen, die in meinem G ehirn auftauchen. Ich wollte eine andere Gutsherrin sein, als ich bisher gewesen Auras Abschied von Wildenhof hat mir gezeigt, wie ich gefehlt, wie er den rechten Weg gefunden. Thörichtes Geschwätz! Von meiner Arbeit wollte ich sprechen, vielmehr schreiben, da ich niemand habe, mit dem ich schwatzen könnte. Ich war zu der Einsicht gekommen, daß ich mir irgend eine Einnahmequelle verschaffen mußte. Gegen jede Art Dienstbarkeit, und sei es diejenige einer Hofdame, sträubt sich mein Charakkr. So verfiel ich wieder auf mein Maltalent. Ich packte einige meiner Aquarellen ein und sandte sie dem Kunsthändler, bei dem Papa und ich früher kauften. Was er wohl gedacht haben mag bei meinem Angebot, für ihn zu arbeiten? Entweder hälk er mich für fabelhaft geizig oder, was wahrscheinlicher ist, für überspannt kurzweg gesagt: ver rückt. Gleichviel, er accepttrie die Ar beiten für einen mäßigen Preis und bat um weitere Zusendungen. Nie habe ich vordem ein kostbares Geschenk mit so reiner Freude empfangen, als diese ersten Goldstücke, die ich mit meiner Hände Arbeit verdiente. 20. Februar. Onkel Edmund h Ich habe mich einig« Tage recht un glücklich gefühlt. Ueber Nacht war der Frühling »ge kommen, ein würziger Hauch zog durch das schneefreie Thal, allüberall ein ge heimnißvolles Regen und Leben, die berauschende Ahnung von kommender Sonne und Liebeswonne und nur in meinem Herzen noch alles starr und todt! Mir blüht kein Frühling mehr, da ich selbst in thörichtem Hochmuth und Trotz die zarten Keime brach, aus de nen mein Glück emporgewachsen wäre. Ich selbst, ich allein trage die Schuld meiner Vereinsamung. Ich besaß ein Herz, ein starkes, treues Mannesherz, und stieß es von mir; mir winkte ein Glück ohnegleichen ich trat es mit Füßen. Nun büße ich dafür mit meinem gan zen Leben, und recht geschieht mir ">aran! 23. März. Gestern Abend ließen mich die Thrä nen nicht weiter schreiben. Heute erkenne ich dankbaren Gemüthes, daß mir doch noch vieles geblieben iL, vor allem An deren die innere Befriedigung, das Be wußtsein, mich selbst überwunden und zur Entsagung gezwungen zu haben. Mir blieb mein Stolz darauf, die Er innerung an so manche frohe Stunde, die Bildung und Geistesstärke, die mich am Schönen in Kunst, Literatur und Natur, das Vertrauen auf Gott und die eigene Willenskraft, die Liebe zur Ar» beit. Zufällig schlug ich am frühen Mor gen den Mirza Schaffy auf und traf auf die Stelle: Das hat mich wunderbar getröstet und gestärkt. Welches Urtheil würde Auras nun für mich, daß er es nicht kann. Sollte der aussichtslose Kampf, den ich kaum überwunden, nochmals beginnen? XVI. Es folgten noch einige Seiten in dem zierlichen Buche, doch Brunhilde legte es nunmehr beiseite und trat an den und rief grüßend herüber: „Waid manns Heil! Wie geht's, FräuleinNach barin? Wollen Sie mit zur Bahn?" „Danke, Papa Rübezahl!" gabßrun- Frau Guisbesitzerinßoihberg theilt mir Wollen den Damen doch mal zeigen, daß Niemberg eigentlich ein verfl — nobles Nest ist." „Recht gern, ich schlüpfe sofort zu Fräulein Lorchen hinüber." Wirthin, kam ihr entgegen wie einer Lebensretterin. „Seit fünfzehn Jahren haben wir welche alles nach der neuesten Mode be anspruchen. Ich bin halb todt vor Angst." „Fräulein Lorchen, sagen Sie den Damen, es habe mir, der Gräfin Wil denhof, in keinem FUrftenpalast so wohl gefallen, als zwischen den altmo dischen Möbeln Ihres Stübchens. Das ist die vollkommene Wahrheit, und so mit können auch jene sich zufrieden ge ben," beruhigte Brunhilde lächelnd die schüchterne, alte Dame. „Bor allemAn dtrcn wollen wir uns in der Küche um sehen. Eine gute Limonade und ein paar Sandwiches dürsten den Damen lieber sein, als MakartbouquetS und gebrannte Holzmöbel." Damit ließ sich denn auch Fräulein Lorch«» beruhigen, fr-ilich verging kaum eine Minute, ohne daß sie gefragt hätte, ob nicht Kaffee besser sein würde, als Milch, oder das bunte Gedeck paf fender als das w:iße Damasttuch, ob der Canarienvogel wohl im Logirzim gütig-nden Bescheid, mit einer Geduld, welche sie selbst früher als etwas Wun derbares, Unmögliches betrachtet Ha- bleiche, müde, schmale Gesicht, und erst als sie in den gleichgiltigen Augen ein leises, freudigesAuffchimmern erkannte, wurde ihre Ähnung zur Gewißheit „Betty?" Nur ein tiefes, krampfhaftes Schluchzen beantwortete den Ruf; die und stumm umschlungen. Fräulein Lorchen schlug mit einem lauten „Herr jemineh!" die Hände über dem Kopfe zusammen, der Bruder marlirte sein Erstaunen durch einen halblauten Waidmannsfluch, und Frau Emma Rothberg, geborene Würzburg —so hatte sich die andere Dame inzwischen mit einer gewissenZungenfertigkeit vor gestellt lächelte vergnüglich vor sich Kochkunst alle möglich« Ehre angethan, lieb Betty wie ein müdes Kind zur Ruhe betten, und Frau Rothberg und Brunhilde wandelten mit einander res Vetters, hinter deren anscheinend derb zufassender Offenheit sich in Wahrheit eine sehr feine Berechnung „Also Sie sind die Gräfin Brun hilde, von der ich so viel gehört habe," begann sie ganz ungenirt. „Bon meinem Vetter, auch wohl von Betty im An fang wenig Gutes, desto mehr freilich jetzt von deren Bruder." „Herr Auras —" Brunhilde fühlte zu ihrem Aerger, daß sie über und über erröthete. „War erst vor einigen Wochen bei uns, leider nur auf kurze Zeit. Seine Hütten- und Bergwerksgcfchichte nimmt ihn zu sehr in Anspruch. Freilich wird er auch Millionär dadurch... Darf ich Ihnen erzählen, was er mir ü.ber Bet tys Krankheit mittheilte?" „Ich bitte." Frau Nothberg wußte genau Be scheid, und der hübsche Lieutenant wurde in ihrem Bericht in bedenklicher Schwärze gemalt. Kein Schmerzgefühl zückte mehr in Brunhildes Herzen em por; sie konnte sogar lächeln über ihre thörichte Blindheit. Frau Rothberg fuhr mit einem scharf prüfenden Seitenblick fort: „Ich bitte um Verzeihung, daß ich so offen spreche das von der Leber w>g reden liegt einmal im Würzburgschen Blute der Herr von Ruwer ist doch lein Mann, um den ein Mädchen wie Betty lebens lang trauern kann? Ihr eigenes Bei spiel beweist es." Brunhilde nickte stumm. „Und doch ist Betty noch heute so ge brochen, wie an jenem Tage, als mei nes Vetters Dienstleute sie mir todt ist genesen, der Geist noch nicht. Was habe ich alles gethan, sie aufzuheitern, für irgend etwas«zu interessiren, damit nur einmal diese furchtbare Lethargie ein Ende nehme! Alles umsonst! Sie thut ja, wozu man sie ermuntert, doch stets mit einer Miene wie ein Lamm, daS zur Schlachtbank geführt wird. Jetzt weiß ich mir keinen Rath mehr, obwohl ich sonst nicht zu Denen gehöre, welchen das Bischen Spiritus bald ausgeht Und ich habe das arme Mädchen lieb wie meine leibliche Schwester, und weiß auch, welche Hoffnungen Vetter Karl auf sie setzt..... der gute Jungx, er hat so gut wie keine Aussicht; sie will ihn nicht einmal sehen." „Uebt nicht die energische, kraftvolle Persönlichkeit ihres Bruders einen heilsamen Einfluß auf sie aus?" „Das wohl aber er ist an Lieben felde gefesselt und Betty will nichts von einer Rückkehr dahin wissen.... Meine mit einer plötzlichen Bewegung an Brunhilde. „Versuchen Sie es, Com tesse! Wenn in der That Jemandem, so kann es nur Ihnen gelingen; beden ken Sie, Sie retten ein junges, hoff nungsvolles Menschenleben Mir fehlt der Schlüssel zu Bettys seltsamem Wesen, vielleicht finden Sie ihn und das Wort, das diesen unheilvollenßaim löst." Brunhilde reichte ihr die Hand. „Ich werde es versuchen, mein Wort darauf!" Fräulein Lorchen gesellte sich zu ih nen: das vertrauliche Zwiegespräch war zu Ende. Während Fraußothberg in den näch sten Tagen eine rege praktische Thätig keit entfaltete, hatte Brunhilde Zeit und Gelegenheit genug, ihr Wert zu be ginnen. Die Vorliebe, welche Betty einst für sie gehegt, schien sich noa, vergrö ßert zu haben. Die beiden Mädchen waren unzertrennlich. Selten jedoch wurde der gemeinsamen Vergangenheit erwähnt. Betty sprach überhaupt nicht viel. Jede Spannkraft, jeder Thätigkeits trieb und Lebensmuth des einst so keck emporstrebenden Charakters schien ver nichtet. jedes Interesse erloschen. Eines Tages sprach sie: „Ich gleiche Ikarus. Auch ich wollte zur Sonne emporfliegen und stürzte zerschmettert in die Tiefe nieder." nes Mannes wi» entgegnete Brunhilde mit freundlichem Nachdruck. „Die Paläste und Salons, von denen Sie träumten, Kind, bilden mit nichten die wahre Höhe des Lebens, und in dem schlichtesten Bauern, der dem armseligen Acker mühsam sein kärgliches Brot ab ringt, steckt oft mehr wirklicher Helden muth, als in irgend einem ordenge schmückten Offici-r. So hat mich Ihr Bruder gelehrt und ich habe es bewahr heitet gefunden." Betty schwieg, doch griff sie nach Brunhildes Tagebuch und begann zu lesen. Diese ließ sie gewähren. Einige Tage später kam ein Brief von Viktor. Der Kammerherr lag krank darnie der und bat nochmals, die letzten Stun den eines Sterbenden durch das Ver sprechen des Schweigens zu erleichtern .... die nämlichen Phrasen und Be schönigungen, welch- Brunhilde schon zum Üeberdruß gehört, zum Schluß eine überraschende Mittheilung: „Ich habe mich mit Fräulein von Blachmann verlobt. Vielleicht nehme Brief. „Ehe er den'ernsten Kampf um das tägliche Brot aufnimmt, opfert er doch und heirathet die Tochter eines geadel ten Güterspekulanten," sprach sie. „Ar mer Viktor, ich glaube, daß es Dir nicht leicht fällt, die hübsch«, bunte Uniform auszuziehen und auf Dein lustiges Schmetterlingsleben zu verzichten. Du wirst Dich anfangs recht unglücklich fühlen, dann Dich daran gewöhnen und schließlich ein wenig verbauern und Dich ganz zufrieden geben mit Deinem guten Rothwein, Deiner Jagd und ei nem gelegentlichen kleinen Spielchen oder einem Abstecher nach Berlin." „Und diesen Mann habe ich geliebt wie einen Gott," murmelte Betty selbst vergessen. „So daß Sie ihn jetzt hassen? Nein, das verdient er nicht; er ist doch nur ein leichtherziger, gutmüthiger, schwa cher Knabe, ein schwankes Rohr im Winde." „Ihn hassen?" — Betty schüttelte den Kopf, während zum ersten Male in die sen Tagen eine dunlle Röthe in ihre Wangen stieg. „Nur mich selbst hasse ich, daß ich mich durch leere Worte be thören lassen konnte. Ich glaubte zu den Sternen emporzufliegen, gleich ei nem Adler, und war in Wahrheit nur ein Kind, das einen bunten Flitter sür die Sonne ansah." kleine Scene hätte ihr den längst er wünschten tiefen Einblick in Bettys Seelenlebn gewährt; nicht die verlorene Liebe drückte sie nieder, sondern die ver fester Hand die Heilung. . Das erste Bedürfniß, das wichtigste von allem, schien ihr eine bestimmte Thätigkeit. So lud sie kleine Obliegen heiten des Haushalts auf Betty ab; das Bereiten des Thees, das Gießen der Frau Rothberg reiste nach Hause, Betty blieb, nicht weil sie, sondern weil Andere es wünschten. Sie war noch völ, lig gleichgiltig gegen Alles. bleiben ebenso gut in Niemberg wie Fräulein Brunhilde." Ein leises Glänzen zog über Bettys Wadrheit. Sie begann langsam auf- Brunhilde hütete sich wohl, sich ihre Absicht e «merken zu lassen. Sie be griff. dajN>ie gleichsam entschlummerte Kraft und Natur sich selbst helfen mußte, sollte nicht das Selbstvertrauen, !cum erwachsend, schon wieder schwin den. Da traf von Frau Nothberg die Nachricht ein, daß Würzburz, der nach d'gt wordcn war. in den nächsten ge,, zur Uebernahme der Oberförster sielle m Niemberg eintreffen werde. Durch Fräulein LorchenS Unbedacht samkeit fiel der Brief in Bettys Hände und nun schien alles wieder verloren. Sie erklärte, Würzburg nie wieder be gegnen zu können, und rüstete sich zur sofortigen Abreise. Vergebens bat daS alte Geschwister- Paar, vergebens entwickelte die Gräfin alle möglichenVernunftgriinde— Betty dachte nur an jene Nacht, in welcher Würzburg sie an der Mauer von Wil denhof gefunden, sie glaubte vor Scham unter dem Blick seines Auges sterben zu müssen. Brunhilde faßte einen ihrer raschen Entschlüsse: eine halbe Stunde später trug sie selbst eine ziemlich ausführliche Depesche zur Postagentur. Der Adres sat war natürlich Würzburg. Sie hatte berechnet, daß er unter rollte heran. Sie erkannte eine grüne Uniform und winkte schon von weitem yiit dem Taschentuch. „Gehorsamster Diener!" rief Würz burg und sprang aus dem Wagen, noch ehe er hielt. „Sie können zurückfahren, Kirtfcher.... gnädigste Comtesse, ich habe Sie erwartet und benutze die erste Minute unseres Wiedersehens, um demüthigst Ihre gütige Absolution zu erbitten. Ich habe Ihnen einst inWort, Gedanken und That viel Unrecht ange than." „Doch nur, wie ich eS verdiente; desto lege sind Ihres Lobes voll, ich habe Ihnen versichern kann." In ziemlich schnellem Tempo schrit ten sie auf einem Raine der Oberför sterei zu. Würzburg war ganz der Alte, wohl genährt, beweglich, von anscheinend un verwüstlichem Humor. Man sah ihm. weder die Festungshaft noch Gewis sensbisse an. Erst als nun die Gräfin von Betty zu sprechen begann, verwandelte sich sein Lächeln in nachdenklichen, trüben Ernst. „Das arme Kind ich wollte —" er schwieg, aber er preßte die geballte Faust gegen die Brust, und die blühende Nöthe feines Gesichtes ging für "eine Endlich standen sie an der Garten thüre. Durch den wilden Wein der Laube schimmerte ein Helles Frauen gewand. Würzburg küßte Brunhilden stumm die Hand, und während sie sich langsam ihrem Häuschen zuwandte, schritt er vorsichtig, doch schnell der Laube zu. Das Verdunkeln des Einganges ließ Betty aufschauen. Am Abend wollte sie abreisen, hatte haft lächelnd, wie sie ihn hunderteMale in Wildenhof gesehen, ihr vertraulich und ruhig die Hand entgegenstreckend, len seit jenem Tage, da Comtesseßrun hilde in das Schloß ihrer Väter ein zog- zu fliehen, doch die zitternden Kniee versagten ihr den Dienst; sie wollte sprechen, schreien, ihre Kehle war wie Mit festem Griffe erfaßte Würzbürg ihre Rechte und behielt sie zwischen sei nen beiden Händen, indem er sich dicht neben sie setzte. „Guten Tag, Fräulein Betty... wie es scheint, betrachten Sie mich wohl gar keit, sintemalen Geister nicht Mittags klatscht nur mit der Peitsche. Was für eine wunderbare Idylle! Man denkt gleich an warme Kubmilch trinken und Butterbrot mit Weichquarg essen!" Noch immer hatte Betty die Augen nicht erhoben. Sie erkannte die ver- Ruhe'. ts tu i r »ner als Mit Mühe Preßte sie endlich hervor: doch —" „Nicht auch ein wenig liebenswürdig, liebenswerth?" warf er ein. „Werth der besten Liebe, gewiß! Und darum lassen Sie mich Ihnen Lebe wohl sagen," sprach sie, alle ihre Kraft zusammenraffend. Sie zog ihre Hand können noch nicht vergessen Haben, wie thöricht ich einst sprach und handelte. Ein Adler glaubte ich zu fein, der zu des Lebens sonnigsten Höhen empor zu steigen vermag, und nun —" „Entpuppt sich ein schüchternes Vö gelchen, das in ein ganz kleines, be scheidenes und noch glücklichercsNestchen gehört." fiel Wiirzburg ein, indem er mit bewundernswerther Genxindthcit seinen Arm um ihre Hüfte schlang und sie fest an sich zog. Vergeblich sträubte sie sich gegen seine Überlegen« Manneskraft. Schließlich brach sie in ein trampfhafteSSchluchzen aus und schmiegt« sich nun in der That wie ein müdes, gejagtes Vögelchen kraftlos in Würzburgs Arme. „O, ich danke Ihnen —" stieß sie ruckweise zwischen ihren'W-inanfällen hervor „Sie sind so gut, so freund lich aber es ist doch nur Mitleid, nichtsAnd«res, und darum muß ich von Ihn?» gehen nie könnten Sie mich noch lieben und achten! So leicht hin — ich darf Sie nicht mehr —" yWas denn nicht mehr?" sagte Wür zburg lächelnd, obwohl auch ihm ganz eigenthümlich feucht um die Augen würde. ,Du meinst: lieben, küssen? Hast es ja noch nicht probirt, mein Täub einsächen Grünspecht und dem kleinen Nest, das er für Dich bauen will." Er küßte ihre Lippen, und als sie sich nochmals loszureißen versuchte, flüsterte er schalkhaft: „Du mußt ich zwinge Dich Dein Herz klopft so stürmisch in dem meinen und jeder Schlag sagt deutlich: „Ich liebe Dich doch und zwar mich nur, weil ich mal an einen andern Schatz gedacht!" Gib Dich zufrie den, Schatz, das ist schon ganz Anderen als uns passirt. Wir wollen es vergessen Hand darauf! Und ich verlange nichts Anderes, als daß Du nicht gar zu sehr schmollst, wenn Wolf oder ein Anderer Dir mal über meine Studen tenbräute ein Licht aufstecken sollte, daS auf meine frühere Moral und Bestän digkeit einen ganz verteufelten Schlag schatten wirft Also: unser Schuld buch fei vernichtet! und nun. Du Ein sein werde —" Gewaltsam hob er das gefenkteKöpf chen empor, so daß er in ihre Augen zu sehen vermochte, Und diese beiden thrä nenfeuchten Augenpaare sprachen noch überzeugender und die Lippen folgten ihrem Beispiel, indem sie sich in heißen, wilden Küssen zusammenfanden. fast in Ohnmacht, als Würzburg sich mit Betty erklärte. Noch innigere Freude empfand Brun hilde. Ihr war, als habe sie eine schwere Schuld abgetragen. De: Umzug des alten weit der Oberförsterei sür den Som mer gemiethet, die Neueinrichtung der Wohnung und der Wirthschaft gaben Anlaß zu fröhlicher Thätigkeit, in der Betty binnen wenigen Tagen ihre frii das sie schmückte. Malwine und Johann, die ihrem jungen Herrn gefolgt waren, nannten sie mit Vorliebe schon jetzt „unsere gnä dige junge Frau." Merkwürdigerweise sprach Betty, welche zu Vrunhilde übergesiedelt war, fast gar nicht von Auras, zeigte auch nicht den Brief, welchen er ihr auf die Verlobungsnachricht hin geschrieben. Wohl nicht mit Unrecht zog die Grä fin daraus den Schluß, daß jener Brief sich auch mit ihr» Persönlichkeit be schäftigte. Bestärkt wurde sie darin durch eine zufällige Bemerkung des al ten pfiffigen Kutschers, daß sein Herr Besuch erwarte, und nun war sie es, welche an Flucht, an plötzliches Verrei sen dachte. Ein Auftrag ihres Kunsthändlers wußte den nöthigen Vorwand dazu liefern. Kaum hatte sie in ihrerJelängerjelie ler-Laube den Entschluß gefaßt, als das Mädchen ihr einen fremden Herrn anmeldete „einen sehr feinen," fügte fein klappernd davon. Auras! klang es in Brunhildes Her zen Noch ehe sie einen andern Ge sondern die nicht minder bekannte Ge stalt des Grafen Hohenau, die in dem englischen Touristenanzug noch länger beugte sich sehr tief und näselte: „Auf Ehre, Comtesse, Sie machen es Ihren Getreuen schwer, Sie zu finden zum Glück erfuhr ich Ihre Adresse durch Cassini." Cassini war der Kunsthändler. Die Gräfin bot dem langen Lieute nant einen Stuhl. Sie hatte Mühe, sich in diese Enttäuschung zu finden, doch nen für Ihr Interesse, Graf. Sie sind „O -- ich bitte Sie! Wie wäre es nicht, auf mein Ehrenwort, ganz und gar nicht!" „Ich bin eben arm geworden, lieber Freund das eine Wort erklärt alles genügend." „Wirklich?" „Gewiß!" (tzchluß folgt.) thut." Operateur (zu einem Patienten): ~Jch muß Sie bitten voraus zu bezah len?" Patient:,, Vorauszubezahlen? Wesbalb?" Operateur: ~O. wen» die Operation villeicht nicht glücklich ver laufen sollte, könnte ich Schwierigkeiten haben, mei» Geld zu bekommen!" »t« SN««» alt H«t»«tH»»«rmt»»«»^ Dieser Tag« wurde in Berlin «in» Hochzeit gefeiert, bei welcher, wie die» in der Ueberschrift angedeutet ist, ei» ganz gewöhnlicher Zehnpfennig - Nickel sie Rolle des HeirathSvermittlerS ge spielt hat. Die Geschichte, die von ei ner den „Betroffenen" nahestehenden Dame mitgetheilt wird, ist de: Es war an einem naßkalten Tage dor dem Weihnachtsfest. Die Pferde bahnwagen wurden besonders in den Nachmittagsstilnden von Leuten ge stürmt, die noch die letzten Einkäufe de sorge» wollten, als Fräulein F., die ei sehr eilig zu habe» schien, so glücklich war, »och einen Platz im dichtbesetzten Wagen zu finden. Die Dame hatte kaum die Freude der de» errungenen Sitz empfunden. lS sie auch schon mit nervöser Hast die Taschen ihres Kleides durchwühlte; denn o Schrecken, in dem Muff, in wel chem sie doch stets das Portemonnaie aufzubewahren pflegte, hatte sie es nicht gesunden. Gerade wollte sie den nun nahenden Kondukteur bitten, sie wieder aussteigen zu lassen, als eine ihr gegen» iibersitzcnde Dame mit'verbindlichstem Lächeln sich erbot, den nöthigen Nickel sür Fräulein F. auszulegen. Da» mit vieler Freundlichkeit erfolgte Aner» bieten der gütigen Fremden wurde gern angenommen, nachdem dieselbe auf Be frage» ihre Adresse angegeben hatte. Da jedoch die Dame ihrem Namen we der ein „Frau" noch „Fräulein" vor etwa die Mitte der 30er Jahre erreicht habe» mochte und so viel Anmuth ent wickelte, wohl einen Trauring auf der rechte», linke» oder gar keinen Hant» trage. Zwei Straßen vor Frl. F. stieg die Dame aus. nachdem sie sich mit freundlichem Kopfnicken verabschiedet hatte. Noch am selben Abend beglich Fränlein F. mit vielem Dank ihre Schuld. Am erste» Feiertage ging Fräulein F in Gesellschaft ihres Bruders, eine» Baumeisters und stattlichen Dreißigers, in ein Theater. Der Zusall wollte eS, daß der Platz neben dem des Baumei sters von einer Dame eingenommen wurde, «if welche das Fräulein F. zu ausfiel, der feiner Schwester eine bezug liche Bemerkung zuflüsterte. Fräulein F. erkannte in der Dame, die sie nun näher betrachtete, sofort die „Retterin" aus der Pferdebahn wieder, und «Z entspann sich natürlich ei» Gespräch, in dessen Verlaus das Geschwisterpaar er fuhr, daß die Nachbarin die Wittwe eines seit drei Jahren verstorbenen In genieurs sei, der ein Schulfreund des Baumeisters gewesen ist. Als achtzehn jähriges Mädchen hatte fik geheirathet. Und vier Jahre in glücklichster Ehe ge lebt, als ihr Gatte von einer Luiiaen entzündung dahingerafft wurde. Man plauderte noch viel in den Pausen, kam vom Hundertsten in s Tausendste und begleitete nach dem Theater die neuge wonnene Freundin bis zu deren Woh nung. Beim Abschied versprach man sich, bereits in der Festwoche mit dem so viel versprechenden freundschaftlichen Ver lehr z» beginnen. Dies geschah auch, und als man am Sylvesterabend sich wieder zusammengefunden hatte, und der Glockenschlag 12 das neue Jahr ver kündete, da gab es ei» Brautpaar und Millionenstadt Berlin. Beim Punsch pries man die Vergeßlichkeit des Fräu lein F.j ohne welche die Verbindung des Wohl kaum zu Stande gekommen wäre! Dieser Tage hat nun, wie Ein gangs angedeutet, der „Roman aus dem Hserdebahnwagen" durch die solenn« bochzeitsseier einstweiligen fröhlichen Abschluß gefunden. Der Chef der SanitätS »btheilung aus Ellis Island, Dr. W. Tl. Wheeler, welcher vor einiger Zeit >um Zwecke einer Inspektion der AuS oanoerungShäsen nach Europa gesandt wurde, hat an den EinwanderungS lommissär Senner von New Aork über die italienischen Häsen Folgendes aus Antwerpen berichtet! »Bon Genua be sorgt der Norddeutsche Lloyd den Trans port der Auswanderer des nördlichen Italiens. Diese sind in jeder Be ziehung den Leuten aus Süd-Italien nnd Sizilien vorzuziehen und werden bor der Abreise jeweils einer strengen Inspektion uiiterworseii. Bon Neapel aus besassen sich fünf Dampserlinien mit dem Emigranten-Transport nach New Aork. Zur Verhütung der Con lurrenz haben dieselben einen „Pool" gebildet, berechnen aber zö weniger, als die Fahrt nach Neapel kostet. Sie spediren Neapolitaner und Sizilianer. Die Schiffsgesellschasten haben keine direkten Agenten, sondern gehen Con trakte mit Maklern ein, weiche so unk» so viele Passagiere siir ein Schiff z>» liefern versprechen. Wer am meisten Kommission bezahlt, erhält die meisten Auswanderer. Die Vortehrungen und Einrichtungen sür diese sind nicht gut. Eine durchgreifende Inspektion wird in Neapel durch den Umstand erschwert, daß die Schiffe nicht an den Werften liegen, der Bai. Die Pas werden. Weder in Genua noch in Neapel herrscht zur Zeit eine ansteckende Krankheit. Gegenwärtig ist die Aus- Die ländliche Kassa n so sehr, Mutiert?" „O mei, o »?ei, mei Bruder is g'storb'n! I Hab'S glei g sagt, wie in r zu seiner Taus' gangen troffen". „Wie alt war denn das Kind?" .Siebenundsechzig Jvhr". 3