Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, March 24, 1893, Page 2, Image 2

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    2 M»»«tt»»er et««» HetrathSvcruUr».
l«r».
Herr N.. der Inhaber eines Geschä'ic
in Berlin, hatte Luft, sich zu verheilt
then, und trat mit einer hier in oer
Müllerstraße wohnenden Frau M. in
Verbindung, die ihm denn auch, »ach
Empsangnahme der üblichen .Ein
schreibegebühren", die glänzendsten
Aussichten eröffnete. Eines Tages
wurde er dann von Frau M. durch die
Mittheilung erfreut, daß sich .Etwas"
für ihn gesunden habe, eine hübsche
Hallenserin, die einzige Tochter einer
steinreichen Wittwe, die im Besitze eines
lukrativen ColonialwaarengeschästeS sei.
Um die Bekanntschast aber in die Weg«
zu leiten, sei es nothwendig, daß Frau
M. selbst nach Halle sahre und die ihr
besreundete Familie aus die Ankunst
des FreierS vorbereite. Entzückt durch
solch günstige Aussichten, war Herr N.
gern bereit, de» verlangten Reisevor
schuß im Betrage von vierzig Mark ab
zuladen, sollte er doch schon nach drei
Tagen Gelegenheit haben, die .Ge
liebte" warum soll man die wun
derschöne Tochter einer steinreichen
Wittwe nicht lieben? in Halle zu
sehen, wo sie ihm auf dem Bahnhof
von Frau M. vorgestellt werden sollte.
Endlich war der glückbringende Tag
angebrochen, und Herr M. dampfte
nach Halle ab. Mit pöchendem Herzen
verließ er den Wagen und stürzte auf
den Perron, wo die Liebliche, die Holde
sich ihm am Arme der Frau M. bald
zeigen mußte. Ader welche EnttSu
sschung! So weit sein Blick auch umher
schweifte, die Erwarteten waren nicht
zu sehen. Endlich entschloß sich Herr
N.. die ihm von oer Berliner HeirathS
vermittlerin bezeichnete Familie aufzu
suchen. Nach mühseligen Nachforschun
gen wurde er denn auch auf den richti
gen Weg geleitet. Frau M. hatte ihn
also doch nicht angeführt, die Familie
existirte wirklich, und diese Gewißheit
gab ihm neuen Muth. Er erreichte
endlich das Ziel seiner Wanderung und
fand, wenn auch kein großes Kaushaus,
so doch einen bescheidenen, ganz soliden
Kramladen.
Herr N. stellte sich vir und fragte
nach seiner Berliner „Geschäftsfreun
din", der Frau M. Man kannte sie
nicht. Das stimmte nun seine Hoff
nungen wieder bedeutend herab. Aber
etwas mußte doch an der Sache sein,—
wie wäre denn Frau M. dazu gekom
men, ihm gerade diese Adresse auszu
geben? Er entschloß sich, der Geschichte
auf den Grund zu gehen, und sragte
nach der Tochter des Hauses. .Da
kommt sie grade", sagte die Wittwe,
auf eine nicht mehr ganz junge Dame
deutend, die eben in den Laden eintrat
und ein Kind auf dem Arm trug, das
ihr „wie aus dem Gesicht geschnitten"
war. Herr N. räusperte sich. Der
kleine Engel auf dem Arm der hübschen
Mutter hatte ihn doch etwas aus dem
Gleichgewicht gebracht, aber... .je nun,
man tonnte doch mal nachfragen. Die
Tochter einer steinreichen Wittwe, und
man sährt doch qicht umsonst nach
Halle und leistet sich so große Ausga
ben, um unter den Pantoffel zu kom
men..
Herr N. wurde also deutlich und
sagte gerade heraus, weshalb er nach
Halle und zu der braven Wittib gekom
men war. Er wollte die Tochter hei
rathen. Noch niemals ist der HeirathS
antrag eines Freiers mit einem so schal
lenden Gelächter ausgenommen worden,
wie es hier der Fall war. Ja, sagten
Mutter und Tochter, der Antrag wäre
sehr ehrend, aber es ginge wirklich
nicht. „Weshalb denn nicht ?" fragte
Herr N. Nun, aus einem zwar einfa
chen aber sehr triftigen Grunde—die
Tochter wäre nämlich schon seit zwei
Jahren glücklich verheirathet und denk«
gar nicht daran, dieses angenehme Ver
hältniß zu lösen Mit welchen Ge
fühlen der HeirathSkandidat die Rück
reise nach Berlin antrat, kann man sich
denken. Hier angekommen, begab er
sich zu seinem Rechtsanwalt, um Frau
M. auffordern zu lassen, ihm sosort
seinen Baarverlust zu ersetzen. Dazu
hat sich die „Vermittlerin" denn auch
bereit erklärt.
Folgenschwer« Zufüll«.
Beispiele wie das von James Watts'
Theekessel, in welchen der Zusall als
Erfinder erscheint, gibt es noch viele.
Gutenberg z. 8.-sah den Abdruck eines
Pferdehufes auf der Straße und be
glückte die Menschheit mit der Buch
druckerkunst. —Newton beobachtete den
Fall eines Apsels und sann über die
Gesetze der Schweikrast nach. —Böttcher
versuchte eine Erdmischung zur Herstel
lung von Schmelztiegeln und ersand
das Porzellan. Ein Uhrmacher hielt
«in UhrglaS zwischen Daumen und
Zeigefinger und war erstaunt über die
Größe der nahen Kirchthurmspitze—die
Fernrohrlinse war erfunden. Einem
Nürnberger Glaser fiele» einige Tro
pfen Flußsäure (Fluor) aus sein Bril
lenglaS und er bemerkte, daß das Glas
matt erschien. Bei Anwendung des
Firnisses kam er auf eine höchst einfach«
Aetzmethode. —Das geringe Schwanken
des Kronleuchters im Dom zu Pisa
brachte Galilei zur Entdeckung der Pen
delgesitze. welche Huygens dann prak
tisch anwendete.
Das erste Opfer. Junger
Arzt: „Nun, endlich hab' ich den ersten
Patienten bekommen! Den lass' ich
aber nicht eher gesund werden, als bis
ich den zweiten krieg !"
Aus einemLitbeSbrief.
... .Sollten Sie meine Liebe nicht er
wiedern. so bitte ich um Rücksendung
dieses Brieses, damit ich denselben noch
anderweitig verwerthen kann.
Nicht der Mühe werth.
Pepi (sein Weihnachtsgeschenk, einen
kleinen Hanswurst betrachtend): „Und
deßwegen hab' ich schon drei Wochen
vorher brav sein müssen!"
Ironie des Zufalls.
Flüchtiger Kassirer: „Teufel noch 'mal,
hab' ich in der Zerstreutheit 'u Retour
billet genommen!"
Das neue Klud-Mitglied.
Irgend etwas mußte mich an jenem
Abend zurückgehalten haben, denn es
war fast Mitternacht, als ich in d n
Klub gelangte. Und dabei bin ich doch
ein abgesagter Feind vom Spätkoinmen.
denn erstens sind die nettesten unserer
Mitglieder jetzt verheirathet und solide
Ehemänner, die höchstens bis ein oder
zwei Uhr bleiben, und dann nehmen die
früher Gekommenen die behaglichsten
Plätze an den «einen Tischen in Be
schlag, während den späteren Gästen
nur die Plätze an oer langweiligen gro
ßen Tasel bleiben.
Die meisten Mitglieder unseres Klubs
gehören zu den Vertretern der schönen
Künste. Dann und wann gelingt frei
lich die Aufnahme cikiein Millionär, der
für einen Kunstmäcen gilt, aber zu
meist find die Leute, die man hier fin
det, Schriststeller, Schauspieler, Bild
hauer oder Maler.
Die Soupers, die immer Sonnabend
Abend um elf Uhr stattfinden, bieten
Gelegenheit zu zwanglosen Zusammen
künsten. Man trisst sich mit seinen
Freunden nach der Woche voll Müh'
und Arbeit, man hat einen Ort. wo
man behaglich essen, trinken und rau
chen kann, und wo man immer eine
gemüthliche Plauderecke findet, um mit
den Bekannten Neuigkeiten auszutau
schen.
Als ich in das Lesezimmer trat, kam
mir Astroyd, ein bekannter Schauspie
ler, lebhast entgegen.
„Arthur." begrüßte er mich erfreut,
„Sie kommen wie gerufen. Sie sollen
als Dritter im Bunde an unserem
Tische Platz nehmen. Sie müssen heute
noch mal eine Flasche Wein, mit mir
leeren, denn es ist der letzte Abend aus
lange Zeit hinaus, den ich im Club zu
bringe."
„Wollen Sie denn wiederwandern?"
fragte ich mit lebhaftem Interesse, denn
ich mag Astroyd gern, und ich weiß, daß
auch die Andern alle seine Abreise be
dauern werden.
„Nach Australien geht's diesmal,"
entgegnete er. „Dreißig Procent der
Einnahme und fünfhundert Dollars die
Woche garantirt. Morgen in aller
Frühe geht's fort, und ich bin mit dem
Packen noch nicht zur Hälfte sertig.
Deshalb möchte ich jetzt auch schnell das
Essen bestellen. Uebngens will ich Sie
noch mit einem meiner Freunde bekannt
machen."
Jetzt erst gewahrte ich einen Herrn,
der an AstroydS Seite, ein wenig zu
rück, stand.
„Mr. Harrington Cockshaw, Mr.
Arthur Penn."
Während wir einander die Hände
schüttelten, sagte Astroyd:
„Cockshaw ist ein neues Mitglied un
seres Clubs."
Als wir uns in den Speisesaal be
gaben und uns zu Tische setzten, be
trachiete ich mir unser neues Vereins
mitglied etwas genauer. Mr. Cock
shaw war eine kleine, unbedeutende
Erscheinung mit aufwärts gedrehtem,
aschblondem Schnurrbart. Seine Au
gen waren hellbraun, und sein GesichtS
ausdruck verrieth bald Schüchternheit,
bald Selbstbewußtsein.
Der Kellner öffnete die Flaschen,
Mr. Cockshaw beugte sich zu mir herüber
und sagte mit einer gewissen wohlwol
lenden Miene:
„Ich bin doppelt ersreut, Sie eben
kennen gelernt zu haben, da ich gerade
heute Nachmittag Ihr interessantes
Essay über „das Sonett und seine Ge
schichte" gelesen habe."
Ich murmelte einen Dank für die
gütige Beurtheilung, und Mr. Cock
shaw fuhr fort:
„Ich selbst schreibe nicht, ich wünschte,
ich könnte es. Aber mein Schwager
steht in gewisser Beziehung zur Litera
tur, er ist ein Verleger, Compagnon
der Firma „Carpenter ck Co."
In diesem Augenblick gewahrte
Astroyd unsern Freund Harry Brackett,
der eben im Thürrahmen erschien.
„Hier. Harry," rief er. „fetz' Dich
zu uns zu einem Abschiedstrunk. Ich
habe Dich seit einer Ewigkeit nicht ge
sehen. und morgen früh geht'S sort nach
Australien."
„Ist Dir Amerika nicht mehr gut
genug?" fragte Harry Brackett, wäh
rend er sich ganz gemächlich zu uns
setzte.
„Nein, mein Lieber, in diesen Tagen
allerdings nicht. Einen neuen Präsi
denten sür die Ver. Staaten wählen,
ist dem großen Publikum amüsanter
als eine Comödie im Theater."
„Ja. leider ist'S so," entgegnete
Harry, „und ich sehe auch nicht, wie ich
das öffentliche Interesse sür meine
GettySburg-Schlacht wach erhalten soll.
Astroyd gewahrte den verwunderten
Ausdruck, der bei diesen Worten über
das Antlitz unseres neue» Club-Mit
glieds flog, und beeilte sich, den Neuan
gekommenen vorzustellen.
„Mr. Brackett. Mr. Cockshaw. Mr.
Brackett ist Unternehmer des Panora
mas „Die Schlacht von Gettysburg",
fügte er hinzu.
„Und ich werde bald auf dem Schlacht
feld? begraben werden," schaltete Brak
kett ein, „wenn ich nicht irgend etwas
finde, dke allgemeine Ausmerksamkeit
darauf zu lenlen."
.Ich sollte meinen, ein solches Kunst
werk bedarf gar keiner besonderen Re
klame," bemerkte Mr. Cockshaw lä
chelnd. „Erst gestern hatie ich da»
Vergnügen, das Panorama zum zwei
ten Male anzusehen. Es ist eine präch
tig« Malerei, außerordentlich lebendig,
ganz der Wirklichkeit entsprechend, we
nigstens sagt man mir das. Ich selbst
war nicht in der Schlacht, aber mein
Schwager commandirte eine Nord-Ca
rolina-Brigade und verlor dabei »in
Bein."
„Ich weiß nicht, ob ein einbeiniger
Invalide ziehen würde," sprach Brackett
halblaut vor sich hin. „Ter Erklärer,
den wir jetzt haben, taugt nicht viel,
aber eS ist auch schwer, einen zu sinken,
der aussieht, wie ein alter Soldat.
Außerdem ist sein Name etwas werth.
Er ist so kurz. daß wir ihn mit großen
Lettern in einer Zeile drucken können:
Colonel Mark Ta.>! Ich wette, es sind
die zwei kürzesten Namen in d.n Ver.
Staaten."
„ES ist ein kurzer Name," sayte der
kleine Mann, augeincheinlich ersreut,
sich wieder ins Geipräch mischen zu kön
nen. „ES ist wirtlich ein kurzer Name:
aber ich kenne einen kürzeren. Mein
Schwager hat einen Buchstaben weni
ger in dem seinen und eine «ilbe mehr,
er heißt Eli Low."
Harry Brackett warf dem neuen
Klubmitglied einen Blick zu, als ob er
ihm irgend eine ironische Antwort
geben wollte, besann sich aber eines
Bessern und schwieg. Als aber Mr.
Cockshaw bald wieder von einem merk
würdigen Erlebnisse seines Schwagers
berichtete, sah ich. wie Brackett ihn auf
merksam betrachtete. Ich war denn
auch nicht verwundert, daß Brackett
mich, als die Andern alle ausbrachen,
noch zurückhielt und sragte:
„Sagen Sie mal, Arthur, wer ist
denn eigentlich der kleine Mann, der
mit dem Schwager?"
Ich entgegnete, daß ich Mr. Cockshaw
heute zum ersten Mal geiehen, und daß
Astroyd ihn mir als ein neues Mitglied
unseres Klubs vorgestellt hätte.
~So, so, daher habe ich ihn früher
nie gesehen." sagte Brickctt. ..Son
derbarer Kauz das, nicht? Und wie er
bei jedem Gespräch seinen Schwager
auf's Tapet zu bringen weiß! Ich bin
neugierig, was und wer er eigentlich
ist."
Um Harry'S Wißbegier zu befriedi
gen. fragten wir ein Dutzend Leute, ob
sie etwas über das neue Mitglied Mr.
Cockshaw wüßten, aber Niemand kannte
ihn. Offenbar war Astroyd der Ein
zige unter uns, der ihn vor dem heuti
gen Abend schon gesehen hatte.
Wir ließen das Eintragebuch holen,
um zu sehen, wer ihn vorgeschlagen.
Da stand, daß I. Harrington Cockshaw
von Mr. Joshua Hossman, dem be
kannten Millionär und Philanthropen,
und von Mr. John Carkendale. dem
Vizepräsidenten der Methusalem-Le
bensversicherungs - Gesellschaft, einge
führt sei. Leider konnten wir uns bei
keinem von den Beiden Auskunft holen,
da der Erstere sich auf seiner 'Zacht im
Mittelmeer besand, während der Letztere
seine alljährliche Inspektionsreise weit
drüben im Westen machte, und Astroyd,
der. ihn vorgestellt und wahrscheinlich
hätte Auskunst geben können, war im
Begriff, nach Australien abzureisen.
„So ist Alles, was wir von ihm wis
sen," bemerkte Harry Brackett, das Er
gebniß unserer Nachforschungen zusam
menfassend. „daß er I. Harrington
Cockshaw heißt und Rentnier ist, daß er
Joshua Hossman und John Carkendale
von hier eingeführt, und daß er einen
Schwager hat, dessen Name Eli Low ist,
der im Jahre 49 in Californien war,
bei Geltsburg ein Bein verlor und jetzt
Theilhaber des VerlagShauses Carpen
ter ck Co. ist."
Und mit dieser Auskunft mußte
Harry Brackett sich einstweilen zufrieden
geben.
Am nächsten Sonnabend kam ich et
was zeitiger in den Klub, nachdem ich
zuvor mit Delancey Jones, dem Archi
tekten, in dessen Hause dinirt hatte.
Als wir in den großen Saal traten,
fanden wir schon ein Dutzend der stän
digen Sonnabendgäste um einen Tisch
in der Nähe des großen Kamins ver
sammelt. Starrington. der bekannte
Tragöde, und der Richter Gillespie
gehörten zu der Gruppe, auch de Ruy
ter, der beliebte Novellist, und John
Sharp, ein junger Asrikareisender.
Und behaglich aus dem breiten Sopha
saß noch neben Harry Brackett Mr.
Cockshaw. unser neues Klubmitglied.
Als wir zur Gesellschaft traten, er
zählte der Richter gerade von einer
Einbrecberbande. die er wegen Ein
bruchs in ein Bankhaus kürzlich zu
schwerer Strafe verurtheilt hatte.
Man sprach darauf von Geldschränken
im Allgemeinen und feuerfesten im
Besondern. Jones, der Architekt,
meinte:
„Es ist fast ebenso unmöglich, einen
seuersesten als einen diebessicheren Geld
schrank zu finden. Vor zwei Jahren
kaute ich sür eine Feuerversicherungsge
sellschast in Nemark ein prächtiges
Haus, und noch ehe die Einrichtung
vollendet war. brannte es bis auf den
Grund ab. Die Gesellschaft hatte ihre
Geschäftsräume im ersten Stockwerk
schon bezogen, und die Hälfte der in
SicherheitSschränken aufbewahrten Do
cumente war durch dasFeuer unbrauch
bar geworden."
„Ich selbst bin noch nie abgebrannt,"
mischte sich jetzt Mr. Cockshaw ins Ge
spräch. „aber mein Schwager war
Director einer Aktien-Gesellschaft in
Chicago zur Zeit des großen Brandes,
und er erzählte mir, daß damals sast
alle Bücher der Firma zerstört wur
den !"
Allmählich ging die Unterhaltung
auf andere Gebiete hinüber, und John
Sharp, der Asrikasorscher. begann, an
geregt durch eine Bemerkung de Ruy
terS, von seiner Reiie in Afrika zu er
zählen, von dem schändlichen Sklaven
handel, der dort immer noch in vollster
Blüthe stände. Wir hörten mit großem
Interesse zu. denn John Sharp war
sonst nicht der Redseligste, und von sei
nen Erlebnissen im dunklen Erdtheil
hatte er selten gesprochen.
.Ja, ja." meinte der Richter, .es ist
schlimm bestellt um Asrika, solange d«m
abscheulichen Sklavenhandel kein Ein
halt gethan wird. Und bis er nicht
vollständig ausgerottet ist, scheint mir
auch das Hinaussenden von Missionä
ren eine zwecklose Gelb- und Zeit»«r
schwendung."
„Aber die Missionäre geben doch we
nigstens ein schönes Beispiel von Muth
und Opsersreudigkeit", fügte hier Mr.
Cockshaw schüchtern ein. „Ich kenne
diese Dinge nicht aus eigener Ersah
rung, aber mein Schwager nahm Theil
an der Expedition Stanleys zur Auf-
findung von Livingstone, und ich wie
derhole nur, was ich oft von ihm gc>
hört habe...."
Jetzt gewahrte ich. wie Harry Rrackett.
das neue Klubmitglied wieder aufmerk
samer betrachtete und mir dann einer
vielsagenden Blick zuwarf. Die Unter
haltung ging noch eine Zeit lang ohm
bemerkcnzwerthe» Zwischensall weiter,
bis das Souper angekündigt wurde unt
die Gesellschaft sich erhob.
Mr. Cockshaw, Harry Brackett, De
lancey Jones und ich blieben zusam
men. Wir setzten unS an einen oe>
kleinen Tische im Speisesaal.
„Wie geht eS denn Deinen Zwillin
gen?" wendete sich Brackett an Jon«
ganz unvermittelt.
„Danke, sie sind ganz wohl," ent
gegnete Jones gleichmüthig.
„Der Gedanke, daß Du Zwilling«
haben sollst, ist zu komisch," fuhr de»
Panoramabesiper fort. „Du biß
Künstler, liebst Alles, was apart und
überraschend ist, und ich hätte nie ge
dacht, daß Du so etwas Alltägliches,
wie Zwillinge sind. Dein eigen nennen
würdest; zwei ganz gleiche Wesen, von
gleicher Größe und gleichem Alter, bei
unserer Schwärmerei sür das Mannig
faltige."
„Ja, eS ist ja merkwürdig, ich gebe
eS zu," meinte Jones, „aber bedenke,
wir haben ein Schaltjahr, und be
kanntlich werden in einen, solchen stet
mehr Zwillinge geboren, als sonst.
„Ach, das habe ich aber noch nie ge
hört." erklärte Brackett nachdenklich.
„Woher mag das wohl kommen?"
„Ich glaube", bemerkte hier Cock
shaw freundlich, .daß die Statistik über
die Geburt von Zwillinge noch sehr der
Vervollkommnung bedarf. Ich befaßte
mich mit diesem Studium freilich nicht,
aber mein Schwager, der ein Schüler
Spitzers in Wien war, hat sich für die
sen Gegenstand lebhaft interefsirt. Er
hatte auch eine Schrist verfaßt, in wel
cher er eine ganz neue Theorie vor
bringt und wollte sie beim Medizini
schen Kongreß, der damals in Wien
zur Ausstellungszeit im Jahre 1873
tagte, vorlesen, aber leider starb er zehn
Tage vorher."
„Wer starb?" fragte Brackett auffäl
lighastig. „Spitzer oder Ihr Schwager?"
„Dr. Spitzer lebt noch," entgegnet«
Cockshaw ruhig, „mein Schwager ist
gestorben."
„Gott sei Dank." wendete sich Brak
ket halblaut zu mir, „wenn er todt und
begraben ist, werden wir hoffentlich
nichts mehr von ihm zu hören bekom
men."
Und wirklich, obgleich wir noch einig«
Stunden beisammen waren und plau
derten, erwähnte unser neues Mitglied
seinen Schwager an diesem Abend nich'
mehr.
Eine Woche darauf saß ich in mei
nem Arbeitszimmer und war gerad«
damit beschastigt, an einer Novelle mit
Versen, die ich für die Weihnachts
nummcr eines Blattes geschrieben hatte,
noch einmal zn seilen, als Harry Brak
kett mir gemeldet wurde. Ich hatte
ganz vergessen, daß heute Sonnabend
war, und Brackett bestand daraus, daß
ich mit in den Klub kommen müßte,
und zwar heute aus ganz besonderen
Gründen. Das Wetter war abscheu
lich: Regen und Wind schlug mir in'S
Gesicht, als wir auf die Straße hin
austraten.
„Ich frühstückte im Klub," begann
Brackett zu erzählen, nachdem wir müh
sam meinen Regenschirm, der sich um
gedreht hatte, wieder in Ordnung brach
ten, „und da hörte ich, wie dieser un
glaubliche Cockshaw dem Lawrencz
Laugton wieder merkwürdige Erlebnisse
seines Schwagers erzählte."
„Und deshalb schleppst Du mich in
diesem Mordswetter nach dem Klub,"
ries ich ärgerlich, „damit ich Dir Gesell
schaft leiste beim Anhören von Mr.
Cockshaws Geschichten?"
„Mir liegt daran, daß Tu gerade
heute dabei bist. Am vorigen Sonna
bend war ich sroh, daß der unvermeid
liche Schwager endlich begraben war,
und ich glaubte, wir wären ihn nun ein
sür alle Mal los. Aber schon am Mitt
woch hat b'ockshaw den Leichnam wieder
ausgegraben und ihn zu neuem Leben
erweckt. Jeden Abend in dieser Woche
hat er im Club gespeist."
»Der Schwager?" fragte ich.
„Unsinn, natürlich Cockshaw. Wenn
ich den Schwager dort nur einmal leib
haft vor mir sehen könnte, wollte ich
gern sein Souper zahle». Aber dic
Freude werde ich wohl nie erleben. Der
Mann hatte zu viel merkwürdige Aben
teuer zu bestehen."
Ich billigte Bracketts Reden über
Cockshaw durchaus nicht und bemerkte,
daß ich das neue Cludmitglied sür einen
sehr bescheidene» und gutmüthige» klei
nen Mann hielte.
„Das ist ja gerade das Aergerliche",
ries mein Gefährte; „wenn er noch ar
rogant wäre und von sich selbst Lügen
erzählte, könnte ich ihm verzeihen. Aver
das ist S ja, das kleine Lemilolon von
Mann rühmt sich ja nie eigener Aben
teuer. Er iaiiimtlt alle Held.nlhattn
aus seines " hwagerS Haupt. »i
der gtmeinsie Kniss. der mir je vorge
kommen. Glaubst Du denn über
haupt. daß er einen Schwager hat oder
ze gehab! hätte?"
„Ja, aber weshalb denn nicht?"
„Na natürlich. Du bist so ein leicht
gläubige? Menschenkind, das sich Alles
einreden läßt. Ich glaub's aber nicht.
Dieser Cock'haw hat nie einen Schwa
ger gehabt, weder einen lebendigen noch
einen todten. Er sollte doch aber vor
sichtiger sein mit seinen Flunkereien.
Im Lanie von zwei Wochen hat er uns
erzählt, daß sein Schwager im Jahr«
53 die Jungsrau bestiegen, daß er im
Jahre 63 in der Schlacht ein Bein ver
lor und-schließlich 64 mit einem Schiff«
unterging, und was sonst noch Alles.
Na, ein Schwager, der das Alle
macht, ist ei» übernatürliches Wesen,
ein Gespenst, und verdiente, ausgestellt
zu werden."
Ich erklärte, daß ich da» Alles für
ganz möglich und wahrscheinlich hielte.
»r hatten inzwischen das Klubhaus
e. reicht und fanden, als wir den Speise»
>aal lc:ralen, den Richter Gillespie, de
'Auoter und Cockshaw gemüthlich an
einem runden Tisch in einer Fenster
nische sitzen. Te Ruyter ries uns heran,
und man rückte zusammen, um Platz
sür uns zu schaffen.
Die Unierhaltung war bald im
Gange, und die verschiedensten Ge
sprächsstoffe wurden herangezogen.
Schließlich kam man auf Kirchen und
Klöster. Harry Brackett hatte eine
Nacht bei den Bernhardiner-Mönchen
im Hospiz aus der Höh« des Simplon
passes zugebracht, de Ruyter das Trap
pistenkloster in Kentucky besucht. Ich
selbst war in den spanischen MisfionS
stätten in SUd-Californien und Mexiko
gewesen. Nur unser neues Klubmit?
Glied hatte keine eigenen Ersahrungen.
Er hörte mit liebenswürdigem Interesse
zu, während Jeder von uns seine Er
lebnisse berichtete. Erst als wir damit
zu Ende waren, begann Cockshaw lä
chelnd und sast schüchtern:
.Ich habe ein wenig bewegtes Leben
geführt, und nie einen Mönch von An
gesicht zu Angesicht gesehen. Aber mein
Schwager reiste als Knabe mit seinem
Vater in der Bretagne und sand für
eine Nacht in einem Kloster Aufnahme.
Er erhielt eine Zelle zum Schlafen, in
der über dem Bette eine kleine Schale
mit Weihwasser hing. Der Knabe, der
etwas AehnlicheS nie gesehen hatte und
den Zweck des Gesäßes nicht kannte,
trank das Wasser einfach aus un» that
seine Zündhölzchen in die Schale, um
sie Nachts bei der Hand zu haben."
.Wann war das?" fragte Brackett,
indem er aus seiner Tasche einen Blei
stift holte.
„Im Jahre 67 oder 63/ antwortete
Cockshaw.
Harry Brackett zog feine linke Stulpe
ein wenig herunter und schrieb schnell
etwas daraus, ohne daß Cockshaw es
bemerkte.
„Späterhin," fuhr Cockshaw fort,
.lernte mein Schwager noch viele
Mönche aus der Bretagne kennen! denn
während er in Paris Medizin studirte,
brach im Jahre 70 der Krieg aus, und
er schloß sich einer amerikanischen Am
bulanz an, die mehr als einmal Gele
genheit hatte, den tapferen Bretonen
Beistand zu leisten. Ja, auf dem Felde
bei Champigny wurde er, als er gerade
bei einem verwundeten Bretonen weilte,
von einem Granatsplitter getroffen und
getödtet."
Da ich mich erinnerte, daß Cockshaw
uns früher erzählt hatte, sein Schwager
sei ertrunken, blickte ich erstaunt aus.
Zufällig begegnete mein Blick demjeni
gen Cockshaws, der mir ruhig, aber doch
mit einer gewissen Schüchternheit ins
Auge schaute. Das verwirrte mich
eigentlich, und ich sah zu Brackett hin
über; der schien aber die Decke des Saa
les angelegentlich zu betrachten und
spielte noch mit seinem Bleistift.
Dann wandten wir unsere Aufmerk
samkeit dem Abendessen zu. das eben
ausgetragen wurde. Unsere Fveundc
waren fast fertig, als wir vorhin anka
men, und Richter Gillespic erhob sich,
um sich zu verabschieden.
„Ich wünschte, ich wäre so jung wie
Ihr: aber in meinem Alter kann man
das späte Ausbleiben nicht mehr recht
oertragen. Außerdem habe ich sür
morgen srüh auch eine Verabredung mit
Lord Stamyhurst. dem ich die Gnaden
lirche zeigen will!"
„Ist Lord Stamyhurst hier?" fragte
Cockjhaw mit lebhaftem Interesse.
„Ja, er ist heute Nachmittag mit der
wiluria von England gekommen,"
mtgegnete der Richter. „Ist er Ihnen
bekannt?"
„Ich kenne seinen Sohn," und nach
kiner Pause sügte er hinzu: „Wir sind
sogar ein wenig verwandt. Er ist der
Schwager meines Schwagers."
Der Richter und de Ruyter hörten
diese Bemerkung nicht mehr, sie hatten
uns mit kurzem Gruß verlassen. Aber
Harry Brackett hatte sie gehört und,
sich in seinem Stuhle aufrichtend, rief
er: .Was sagten Sie eben? Würden
Sie wohl die Liebenswürdigkeit haben,
es noch einmal recht langsam zu wie
derholen?"
„Aber gewiß," erwiderte Cockshaw
ganz ruhig, mit seiner gewohnten
Freundlichleit. „Ich sagte, daß Lord
Stanyhursts Sohn der Schwager mei
nes Schwagers sei; um es deutlicher zu
erklären, er heirathete die Schwester des
Mannes, den meine Schwester hei
rathete."
„Wissen Sie auch, daß Sie den merk
würdigsten Schwager der Welt haben?"
sragte Brackett feierlich.
„Wieso?" meinte Cockshaw mit einem
Ton, der merken ließ, er singe an, das
Betragen des Mannes, der zu ihm
sprach, übel zu nehmen.
Ich saß still dabei und sagte nichts;
ich hatte keine Ursache, mich einzumi
schen. und war auch auf den Verlauf
des Gesprächs neugierig.
„Nun. ich will ja gegen keines M«n
schen Schwager etwas sagen," fuhr
Brackett sort, „aber sindeii Sie das
Benehmen des Ihrigen nicht selbst ein
wenig sonderbar?"'
„In welcher Beziehung?" sragle Cock
shaw sehr kühl.
„Nun, was z. B. das Sterben be
trifft. Die meisten Menschenkinder kön
nen nur einmal sterben, aber Ihr Herr
Schwager dringt das zweimal zu Wege.
Erst ertrank er, und dann wurde er bei
Champigny getödtet."
„Aber er war nicht —," begann das
neue Clubmitglied, hielt jedoch mitten
im Satze inne und sagte nur: „Nun
und weiter?"
„Er war jedenfalls eine merkwürdige
Erscheinung. Ihr Schwager," wieder
holte Brackelt, nicht mehr ganz so sicher
als vorher, „ehe er dieses Leben zwei
mal verließ; ja richtig, er starb sogar
dreimal; ich vergaß ja seinen Tod in
Wien im Jahre 1873, ehe die Ausstel
lung eröffnet wurde. Ich kann nicht
glauben, daß Sie die Schwester des
ewigen Juden zur Frau haben, oder
daß Ihre «Schwester mit dem fliegenden
Holländer verheirathet ist, aber ich muß
gestehen, ich finde keine andere Erklä
rung. Ich habe auf meiner Stulpe ge
nau Buch geführt. Ihres Schwagers
Name ist Eli Low, und er ist jetzt Theil
haber der Verlagsfirma Carpenter ck
Co. Aber im Jahre 49 ging er nach
Californien. bestieg 53 die Jungfrau,
verlor in der Schlacht von Gettysburg
im Jahre 1863 ein Bein und kam beim
Untergänge des Dampfers Tecumseh
im Jahre 64 um's Leben, was ihm
aber nicht hinderte, einige Jahre später
als Knabe in der Bretagne zu sein oder
im Kriege l87i) bei Chamuigny zu
fallen, obgleich ich meine, die Preußen
hätten sich schämen sollen, einen ertrun
kenen Menichcn mit Granaten zu be
schießen. Und dieses zweite Sterben
stimmt gar nicht damit überein. daß er
Director einer Gesellschaft in Chicago
zur Zeit des großen Brandes im Jahre
7l war. oder mit seiner ForfchungS
reise in Asrika in demselben Jahre.
Und dann muß er sich sehr beeilt haben,
von dort zurückzukehren, denn im Jahre
1873 studirte er in Wien bei Dr.
Schnitzer, wo er zum dritten Mal ge
storben ist."
Cockshaw hörte dieser langen, eitrigen
Rede Bracketts ganz geduldig zu, und
l nur hie und da stahl sich ein kaum
merkliches Lächeln über sein freund
liches Antlitz. Jetzt sah er auf und
schaute Brackett ruhig in s Auge.
„So meinen Sie also, ich hätte ge
logen?" sragte er.
„Ich möchte das Wort nicht gebrau
chen." entgegnete Brackett, „aber Alles
in Allem finde ich. daß Ihr Schwager
doch unglaublich viel erlebt hat. Ich
begreise eigentlich nicht, weshalb er
nicht über seine Erlebnisse Vorträge
hält, oder warum Sie selbst nicht einen
Roman darüber schreiben?"
.So halten Sie mich also für einen
Lügner?" wiederholt« das neue Klub
mitglied.
Harry Brackett schwieg.
Cockshaw fuhr in ruhigem, gleichmä
ßigem Tone fort: „Sie meinen, daß,
ils ich Ihnen alle diese Dinge erzählte,
ich Ihnen müßige Unwahrheiten vor
geplaudert hätte? Nun, was meinen
Sie, wen» ich Sie versichere, daß alles
die lauterste Wahrheit ist?"
„Wenn Sie mir die Versicherung ge
ben, daß Ihr Schwager erst im Jahre
1864, dann 7V und schließlich im
Jahre 73 starb, dann kann ich mir nur
denken, daß ihm das Sterben ganz be
sonderes Vergnügen machte!"
„Ich schlage eine Wette vor, meine
Herren!" mischte ich mich in das Ge
spräch, eigentlich nur in der Absicht,
Unterhaltung eine gemüthlichere Wen
dung zu geben. Einige Flaschen Sect
zum Beispiel.
„Mr. Brackett," entgegnete das neue
Clubmitglied zu seinem Äegnec gewen
det, ernsthaft und ohne des Wettvor
schlages zu achten, „als ich Ihnen all'
diese Geschichten von meinem Schwager
erzählte, da meinte ich nicht und ahnte
auch nicht, Sie würden annehmen, daß
all' das ein und deinselben Schwager
pasfirt wäre. Meine liebe Frau hat
sechs Brüder, und ich habe süns Schwe
stern, die alle verheirathet find; so
habe ich jetzt noch acht lebende Shwä
ger!"
Harry Brackett setzte die auf dem
Tische stehende Klingel in Bewegung
und rief dem eilfertig herbeieilenden
Kellner zu:
„Nehmen Sie die Befehle Mr. Cock
shaws entgegen!"
Ein alter Husar.
Nach Beendigung des siebenjährigen
Krieges sah sich ein alter Husar, der
abgedankt worden war und von der ge
ringen Pension nicht leben konnte, ge
zwungen, aus seinen geringen Schul
kenntniisen Kapital zu schlagen, und,
wie es viele Andere in seiner Lage da
mals thaten, eine Mittelschule zu er
richten, in welckier er gegen eine geringe
Entschädigung hauptsächlich Soldaten
kindern Unterricht ertheilte. Friedrich
der Große kümmerte sich bekanntlich
sehr um das Schulwesen in seinen
Staaten und ließ insbesondere auch den
Winkelschulen, in denen Mancher un
terrichtete, der selbst nicht ordentlich le
sen. schreiben und rechnen konnte, schars
nachspüre».
So wurde denn auch eines schönen
Tages da- Bildungsinstitut des allen
Hujaren entdeckt. Friedrich wollte in
deß dem alten Soldaten, der in so und
soviel Schlachten das Leben sür ihn
eingesetzt hatte, die ohnehin kärgliche
Existenz nicht gern verkümmern und so
wurde denn ein Oberkonsistorialrath
veranlaßt, sich zu überzeugen, wie der
alte Husgr Schule halte und was erden
Kindern beibringe. Eines TageS trat
der Rath in das Schulzimmer und
fragte den überraschten Herrn Magister,
waSerfürUnterrichtsgegenstände treibe.
Der Husar nannte sie, und da auch
Geographie darunter war, verlangte
der Rath eine Probe. Der Husar be
gann:
„Kinder, wo wohnt jetzt der König
von Preußen?" Kinder: „In Berlin."
Husar: „Wo lieg: Berlin?" Kinder:
„In Brandenburg." Husar: „Wo
liegt Brandenburg?" Kinder: „In
Preußen." Husar: .Wo liegt Preu
ßen?" Kinder: „In. Deutschland."
Husar: „Wo liegt Deutschland?" Kin
der: „In Europa." Husar: „Wo
liegt Europa?" Kinder: „Auf der
Erde." Husar: .Wo liegt die Erde?"
Kinder: „In der Welt." Husar:
„Aber. Herr Konsistor-alrath, wo liegt
die Welt?" Der geistliche Herr machte
eine verlegene Miene, kratzte sich hinter
den Ohren und mußte schließlich einge
stehen, daß er keine Antwort auf die
Frage wisse. Husar: „Nun, Kinder,
wo liegt die Welt?" .Die Welt liegt
im Argen!" antworteten die Kleinen
einstimmig. Der Herr Rath konnte
gegen die Richtigkeit dieses Satzes nichts
einwenden, er gab dem König genauen
Bericht und der alte Husar hielt nach
wie vor die Schule.
Man sucht in der Welt»
was man in sich vermißt.
Tcr Herr„Vrof."
Da? nicht mehr ganz jugendlich«-
Fräulein Martha Z. las vor einiger
Zeit in einer Zeitung folgendes Hei»
rathSgeiuch: „Ein nicht uuvermög.
Herr. Prof., wünscht die Bekannt
schast ein. j. Dame mit 1500 M. Ver
mögen behufs Heirath zu machen. Off.
etc." Fräulein Martha säumte nicht
einen Moment, ihre Offerte einzurei
chen. Ein Künstler oder Gelehrter
das war es. wonach sie sich schon seit
Jahren sehnte. Und wie lacherlich'
wenig war es, was der Herr Prosessor
verlangte! Nur lumpige sünszehn
hundert Mark, während ihr Vermögen
mehr als das Zehnfache betrug. Ja,
die deutschen Gelehrten sind nun einmal
unpraktisch und sehr bescheiden. Welche
Augen der Herr machen wird, wenn er
au« ihrem Schreiben ersieht, daß sie
ihm mit einer Summ« aufwarten kann,
die weit über feine Wünsche hinausgeht.
Nun. er hat es gewiß nicht nöthig.'unt»
nur um wenigstens etwas zu verlangen,
hat er die kleine Summe angegeben.
Ihres Sieges ist sie aber ganz sicher.
Und in der That es kommt eine Zu
sage, eine enthusiastische Zusage. Sie
hat folgenden Wortlaut:
..Hochgeliebtes Fräulein. Mit Ver
wiegen gre/'e ich zur Feder, um Sie
wissen zu thun, daß Ich ihr ergebene»
schreiben in die Zeitung richtig abjeholt
habe und mit Freide ersehe, daß sie auf
mir reflektürcn, womit ich denn auch
janz inverstanden bin und das Aufge
bot je kürzer je lieber erfolgen kann,
indem mich Ihre Brobositioney mit
Zwanzig Tausend zusagen un
dies mehr als jenug >s für die Einrich
tung einer Tischlerei, aber Schaden
kanns nicht, es ist etwas meer als jenug.
Sehr geschetztes, bald innigstgeliebte»
Fräulein! Sie machen in mich auch kei
nen schlechten Griff, denn wenn ich auch
kein so großes Geld habe wie Sie, so
bin ich doch ein geschickter un nicht un
jebildeter Kerl, was doch auch nicht ohne
Werth is "
Fräulein Martha war, als sie den
Brief gelesen hatte, einer Ohnmacht
nahe. Der „Professor" aus der Hei
ratsannonce war also nicht Professor,
sondern Prosessionist! Und diesem
Manne, aus den sie keineswegs „reslek
tirke", hatte sie ihre Photographie ge
schickt! O diese irreführenden Abkür
zungen in so wichtigen Annoncen!
Fräulein Martha verlangte die Rück
gabe ihres Bildes, aber der Tischler
weigerte sich hartnäckig, diesem Verlan
gen nachzukommen. Er habe ihr Ehe
versprechen und denke nicht daran, die
Partie sahren zu lassen. Frl. Martha
hat sich nun, wie das „Berl. Tgbl."
erzählt, an den Rechtsanwalt gewandt,
um mit dessen Hülse wieder zu ihrem
Eigenthum zu kommen.
Ettttttenkram.
Vom Etikettenkram früherer Zeit gibt
der soeben erschienene 7. Band der
„Bibliothek des Humors" von E. O.
Hopp mancherlei Proben. Im Jahre
1653 begegneten sich im Haag der fran
zösische und der spanische Gesandte in
ihren Staatstarossen, die zu jener Zeit
bekanntlich von mächtigem Umfange
waren, von Gefolge begleitet, auf offe
ner Straße. Da diese eng war. wurde
eS den Beiden unmöglich, aneinander
vorbeizufahren, und eS blieb nichts An
deres übrig, als daß die eine Partei
eine Strecke zurückfuhr und dadurch der
anderen Platz machte; aber gegen solche
Nachgiebigkeit empörte sich aus beiden
Seiten der Gesandtcnstolz. Man wich
nicht, und da es hier, wie dort, zu leb
hasten Erörterungen kam und das Ge
folge auch nicht müßig blieb, mußte
sich ein holländischer Offizier, von
Beyerwerden, mit hundert Mann dort
hin begeben und diese zwischen die Hart
näckigen aufstellen, um nur die Diener»
fchafi von Thätlichkeiten abzuhalten.
Weiter aber konnte auch er nichts er
reichen; die Herren blieben standhaft
in ihrem Stolze und wären wohl nie
mals mit den Wagen gewichen trotz
Wind und Wetter, sie wären vielleicht
gar an Ort und Stelle gestorben,
wahrlich seltsame Märtyrer für die
Ehre des Staats, wenn nicht die Ge
neralstaaten selbst eingeschritten wären.
Sie machten dem Streit dadurch ein
Ende, daß sie die Einfassungen der
Straße, die schützenden Geländer neben
den Häusern wegreißen lievn und also
Platz zum Ausweichen schafften. Stolz
fuhren nun die Herren Gesandten an
einander vorbei. Kaiser Leopold I.
schickte einst eine große Gesandtschaft
von 354 Personen mit dein Grasen
Oettingen an der Spitze nach der Tür
kei. Zu Salankemen erwarteten ihn
die Türken. Beide Botschafter stiegen
mit einem Tempo vom Pserde. Gras
Oettingen aber blieb seine Alters
schwäche war wohl Schuld daran —im
Steigbügel hängen. Und nun hielten
die Türken auch ihren Gesandten so
lange aus dem Sattel in freier Lust,
als der deutsche im Steigbügel zap»
pelte.
Pufendorf erzühlt. als der Zar
Iwan 1687 einen Gesandten nach Ber
lin schickte, war der Große Kurfürst ge
rade krank und wollte, atS ein wahrhaft
großer Mann über allen Formenkram
hinwegsehend, den Russen im Bett«
empfangen. Darauf aber begehrte der
Moskowite, beim Empfange „auch in
einem Bette zu liegen" und zwar mit
Kopfbedeckung und gestiefelt. Zum
Glück wurde der Kurfürst wieder gesund
und konnte den wunderlichen Gesellen
auf dem Stuhle empfangen.
So ging es überall peinlich genau
und förmlich her. Ein Kaiserlicher
Gesandter, der zufällig nur ein Aug«
hatte, wurde in Paris von einem Ge
nera! bewillkommnet, der gleichfalls ein
äugig war; und als König Friedrich
11. den Obersten Cremus, der nur einen
Arm hatte, nach Paris sandte, schickt«
man ihm einen Gesandten wieder mit
nur einem Fuß!
Romanphrase. Die jung«
Dame stand vor ihm bald wie
Purpur, bald wie in Schne« gebadet. 1