Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, December 30, 1892, Page 2, Image 2

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    2 Mass«isttten.
Pater Leroy, der an der Expedition
der Väter vom heiligen Geist in s Kili
mandscharo-Gebiet thnlnahm, schildert
»inen Besuch in einem Massailager am
Auße des Paregcdirges. Er schreibt:
.Gegen Abend gehe ich. von unserem
Dolmetscher Salim geleitet, um den
Besuch des Massai - Häuptlings zu er
widern. Der greise Häuptling führt
mich in das Lager. Sofort werde ich
umringt, betrachtet und wie ein Wun
der angestaunt. Ich meinerseits schaue
auch und staune. Das sind echte
Wilde, wahre Vertreter jener Rasse,
welche Thompson (ein englischer For
scher) mit Recht als die schönste und
merkwürdigste Asrikas bezeichnet. Nach
»nd nach werden sie freundlich. Man
reicht mir die Hand, und Jeder will
meine weiße Hand berühren: bald er
kühnt sich eine starke Frau, mir ihr
Kleinstes zu präsentiren. Sie trägt
dasselbe in einem Sack aus Ziegenfell
ans dem Rücken und bittet mich sehr
bescheiden um die Gnade, dem Kinde
aus das Haupt —zu spucken. Mein
Dolmetscher Salim erklärt mir. daß
dies eine Art von Segenswunsch sei
und daß mein Speichel bei diesem
Stamme eine» großen Werth habe.
Ich thue es recht freigebig, während
der Kleine mich mit seinen funkelnden
Aeuglein anschaut.
Alsbald stellen sich die Mütter, die
Kinder alle, die Greise alle mir vor;
Jeder will von diesem glücklich machen
den Speichel. Ich muß ihn förmlich
verschwenden. Aber der Stamm ist
zahlreich, und bald ist mein Mund
vollständig trocken. Eine Massaidame
bemerkt es, läuft zu ihrem Zelte und
bringt einen großen Kürbis voll Milch,
den sie mir darreicht. Ich lösche den
Durst in vollen Zügen, während Salin«
in herzliches Lachen ausbricht, und neu
gestärkt beendige ich die Begrüßung mit
einer Freigebigkeit, welche mir lle
Herzen gewinnt. Nur hatte ich nicht
die Erwiderung meiner Höflichkeit vor
ausgesehen: man saßt mich bei den
Armen, man streift mir die Aermel in
die Höhe, und von all diesen lachenden
Lippen ergießt sich ein ähnlicher Regen
aus meine abendländische Haut. Als
wir spät zu unserem Lager zurückkehr
ten, lacht der Schlingel Salim in einem
fort.
„Warum lachst Du?"
„Warum ich lache ?"
„Lachst Du wegen der Begrüßung?"
„Nein. Herr. eS ist wegen der Milch.
War sie gut?"
„Sie hatte einen kleinen Beigeschmack.
Warum?"
„Weil die braven Massai, um den
zu erhöhen, die Milch mit
'Urin von der Kuh vermischen."
Und Salim brach von Neuem in
lautes Lachen au»."
Weihnacht.
Heil'ge Nacht.
Morgenröthe» bess'rer Zeiten,
Hoffnungsstrahlen hell und mild
Um den dunklen Erdball gleiten;
Es erlahmt des Bösen Mächt.
Siegreich wird die Liebe streiten.
Schaffen dieses Erdgebilde
Um zu himmlischem Gefilde,
Wo des Friedens Engel wacht.
Heil'ge Nycht.
Frohe Nacht.
Wie die Kinder jubeln, lachen!
Froh im hellen Kerzesglanze
Haschen nach den schönen Sachen
Die am Christbaum angebracht
Treue Elternaugen wachen.
Daß die zarte Mcnschenpflanz'.
Blüthe» treib' zum Tuqendkranze,
Dessen Dust den Himmel macht.
Frohe Nacht.
Stille Nacht.
Mach' die Herzen jung, die alten.
Sende holden Frieden nieder;
Laß die Flamme nicht erkalten
Die Erinn'rung angesacht.
Laß der Kindheit Glauben walten.
Daß in jedem Herzen wieder
Klinge» süße E<gellieder,
Und dem Aug' ein Himmel lacht.
Stille Nacht.
Zn den „Tit BitS" erzählt
«in Parlaments - Berichterstatter sol
gende Episode, die sich während einer
der lebhafteren Sitzungen des verstor
benen Parlaments zutrug. Ich saß
auf der Berichterstatter-Gallerie. als
einer der bekannten Kampshähne der
irischen Partei ausschnellte. um die
Rede eines der Regierungsvertreter zu
zerstückeln. Er wünschte festzustellen,
daß die Behauptungen des Vorredners
nicht ganz mit den Thatsachen überein
stimmten: sein natürliches Feuer ließ
ihn aber seine Anklage in etwas zu un
verblümten Ausdrücke» vorbringen.
Ein strenger Ordnungsruf des Vor
sitzenden war die Folge. Doch um
sonst; wieder kam der tadellose Sohn
Erin's aus die Beschuldigung absicht
licher Fälschung zurück. Abermaliger,
noch strengerer Ordnungsruf. D«r
Augenblick war kritisch. Die irischen
Kollegen de-Z Redners wünschten ihn
nicht „suspcndirt" sür de» Rest der
Sitzung, und sie gaben ihrem Wunsch
durch starkes Zupsen an seinen Rock
slügelu Ausdruck. Ein nicht ungefähr
liches Ding, mit den Rockflügeln eines
Jrländers zu spielen, doch es that seine
Wirkung. Der unwillige Redner er
taniUe den Befehl feiner Partei an und
setzte sich, indem er seinen Rückzug durch
sotgende Apostrophe an den Borsitzen
den deckte: .Gut, mein Herr, ich süge
mich Ihrem Ordnungsruf und nehme
Alles zurück, mos ich eben zu bemerken
vorhatte." Dies Stück irischer Be
redsamkeit nahm das HauS im Sturm.
Durchschaut. A.: „Höre,
ich bin in der größten Verlegenheit!
Willst Du mir auf einige Minute»
Dein Ohr leihen?" B.: „Ja—aber
sonst nichts!"
Mutteraugen.
„So darf es nicht weiter gehen! Jh>
verkümmert mir alle Beide in dieser
Jahrelangen Heimlichthuerei, die doch
.schließlich in unserem gemüthlichen
Klatschnest ein offenes Geheimniß ist."
Das junge Mädchen, das diese Wort«
leidenschastlich hervorsprudelte, schlang
den Arm zärtlich um ihre ernste Freun
din.
„Du hast Recht," gab diese zurück,
.es gilt noch einmal und jetzt für im
mer auszugeben!"
„Aufzugeben? Bist Du närrisch?
Ausgeben einen Mann, den Du jahre
lang liebst, der Deine trübe Kindheit
bellgemacht, der das Ideal Deiner
Mädchenjahre—beiläufig bemerkt, aller
unserer jungen Mädchen ist —, den
aufzugeben eines hartköpfigen Vaters
und einer crbsüchtigen Verwandtschaft
willen? Nein, sesthalten sollst Tu ihn.
und thust Du'S nicht, so thue ich s, das
merke Dir!" Fräulein Getrud Präto
riuS rückte mit einer energische» Bewe
gung den Sessel, sprang auf und griff
nach Muff und Handschuhen. „Also
morgen, auf Flügeln des Gesanges",
lachte sie, „frisch aus! Laß Dir von
diesem abscheulichen Weihnachtswcttcr
nicht die Stimmung verderben! Auf
Wiedersehen morgen zur Gesangs
probe!"
Sie eilte davon, und Paula Hart
mann kehrte zu ihrer Handarbeit zu
rück. Während sie mechanisch den zier
lichen Buchstaben aus der Leinwand
Form und Farbe verlieh, flogen ihre
Gedanken weit ab zu den ersten Tagen
ihrer Kindheit, die ihre übermüthige
Freundin soeben noch eine trübe ge
nannt.
Da stand das kleine HauS vor ihr
mit seinen blanken Scheiden, dem sau
bere» Vorplatz und den sechs Granit
stusen, die zu seiner Hausthür sührten.
„Das Schlößchen," nannten es die
Leute, denn es lag gär absonderlich
vornehm zwischen dem alten, verräu
cherten Nachbarhaus? und dem ehrwür
digen Gymnasium der Kreisstadt.
Und im Rahmen eines behaglichen
Wohnzimmers sieht sie die Gestalt ihrer
zweiten Mutter.
Mutter! Nie mag sie das Wort auch
nur denken, ohne das Gefühl tieser
Wkhmuth, unendlicher Sehnsucht. Ihre
Mutter ist todt, und die man ihr dasür
gegeben, ist so himmelweit verschieden
von der süßen Gestalt, die sie einst
Mutter genannt. Kein Bild im Hanse
des Vaters zeigt ihre lieblichen Züge,
verweht, verloren scheint die herrliche
Form für ewig allein, das weiß sie,
nicht dunkles Haar, wie die sanite.
ruhige Frau, die jetzt am häuslichen
Herde waltet, hatte die Mutter, nein,
rothgold war eS. leuchtend, nnd leuch
tend war die Farbe ihres seinen Ge
sichts. Allein ein Nebelschleier verhüllte
die zarte Gestalt und verband Wahrheit
und Dichtung.
Nur ihrer strahlenden Augen glaubt
sie sich bestimmt zu erinnern. Diese
wunderbaren Augen haben sich geschlos
sen sür ewig, »nd nur einmal hat sie
ihren Strahl wiedergesehen in einer
ihr unvergeßlichen Minute.
Es war der Tag, an dem die neue
Mutter h.'imgeholt ward vom Bater in
das verwaiste Haus, das sast ein Jahr
lang der Herrin entbehrte.
Sie hatte sich in Erwartung des Va
ters hingelegt und war elngeschlasen.
Im Traum erschien ihr die Mutter, im
Traum umfaßte sie die geliebte Gestalt
und die wunderbaren, blauen Augen
der Geliebten blitzten sie an mit überir
dischem Feuer.-
„Wache aus, mein Paulchen, denk' an
die Zeit," so flüsterte eine weiche Stimme
ihr ins Ohr und dann ersaßte sie die
Hand der Theuren, um sie nie, nie
wieder von sich zu lassen. O, welche
Seligkeit, sie war wieder da, die Geliebte,
nur ein banger Traum hatte sie vor ihr
getrennt.
Nun öffneten sich dir Flügelthüren
zum Festsaale weit, dort stand der strah
lende Weihnachtsbaum und neben einer
schönen, sreundlichcn Dame ja auch der
Vater, der geliebte Vater.
„Ach, jetzt ist Alles gut, Vater, lie
ber Vater, ich bringe Dir ja die Mut
ter, die liebe Mutter!" Sie ruft es
glückselig »nd wendet ihre seuchtschim
mernden Augen zu den strahlenden
blauen an ihrer Seite.
„Mein Gott, wer ist der lange, blonde
Knabe, der ihre Hand festhält, als
wollte er sie nie wieder freigeben? „Wo
ist die Mutter?" Sie ruft es gellend,
angsterfüllt.
„Hier ist Deine Mutter, mein Kind,
mein gutes Mädel," sagte der Vater,
und die schwarzäugige, freundliche
Tame an seiner Seite schließt sie innig
in ihre Arme. „Tu hast wobl geschla
fen, kleines Herzchen, und mein böser
Bruder hat Dich unsanft geweckt?
Sagte er Dir schon von mir, da Du
nach Deiner Mutter frugst, mein liebes
Paulchen?"
Sie stand wie im Traum, wollte
antworten, doch die Stimme versagte
ihr wie konnte sie sich hinein finden
in diese Wirklichkeit! Und es waren
doch die Augen der Mutter, ihre seine
Hank, die sie hergeleitet bis unter die
strahlende Tanne.
Ja, es war ein Traum, und es galt,
ihn abzuschütteln, ihn zu vergessen,
wenn es möglich wäre Tante Amelie
ries ihr Hausmiitterchen. „Kind, er
muntere Dich. es sind ja Gäste im Haus,
ja, das war eine Ueberraschung!"
Noch heut glaubt sie den schweren Seuf
zer der Tante zu hdren bei diesen hastig
hingeworfenen Worten, und sieht sie die
bitterbösen Blicke, welche die alte Köchin
auf den Zober mit Karpfen wirft, die
der Christian aus Befehl deSHausherrn
soeben geholt, und aus die neue
Mutter, die jetzt ebenfalls die Küche be
tritt.
, „Wir haben Ihnen unerwartet Ar
beit gemacht, so gestatten Sie auch, daß
ick> Ihne» Heise" so wendet sie sich
lächelnd an die Tante, ersaht eine sau»
Herr Küchenschürze, die am Nagel hängt,
und hat im Nu die Karpsen geschlach
tet, mit bewundernswerther Fertigkeit
zertheilt und die polnische Sauce mit
einer Schmackhastigkeit bereitet, die dem
ganzen Hauspersonal, vor allem der
Tante, die ausrichtigste Bewunderung
abnöthigt: „Sie wird eine vorzügliche
Haussrau und dem Kinde eine treue
Mutter sein," dies war das Urtheil
Tante AmalienS über die Verlobte ihres
Bruders, mit dem sie weder sich noch
Andere getäuscht hat.
Füi'.szeh» Jahre sind seit diesem un
vergeßlichen Weihnachtsabend vergan
gen. Das „Schlößchen" in der alten
Kreisstadt ist verkaust und in der Hei
math der zweiten Mutter, der kleinen,
aber regsamen Industrie- und Fabrik
stadt T.. hat sich der Vater mitten in
einem reizenden Garten eine Villa er
baut, ganz nach seinem Geschmack und
den Bedürsnissco seines weitverzweigten
Sie ist nicht
mehr allein wie in dem alten, lieben, so
ungern verlassenen Heim ihrer Vater
stadt vier Brüder, und, o Freude,
auch zwei liebe Schwestern theilen das
neue HauS mit ihrer ältesten, gestren
gen Lehrmeisterin. die still und unbeirrt
ihre? Amtes als „Hausmütterchen"
waltet. Freilich, oft genug unter
manch' unterdrücktem Seufzer. Wie
haben sich die lo gern ausgesponnenen
Träume der Swulzeit ihr erfüllt? Sie
wollte Lehrerin werden, ein festes Ziel
haben für ihr Leben, wünschte der
Menschheit zu nützen. Doch gelang es
ihr nicht, zu diesem Entschlüsse des Va
ters Einwilligung zu erlangen. „Du
haft in Deiner Familie einen Wirkungs
kreis, groß genug sür Dein Pflicht
gefühl. möge» Andere Anderen helfen.
Du gehörst zu uns und bist vor allen
anderen Menschen uns verpflichtet, Tri
nen Eltern." Gegen diese Argumente
des Vaters ließ sich nichts sagen, wenig
stens erlaubte ihr tieses Kindergemüth
ihr kaum einen GcdankenLdagegen.
Ohnehin begann ein sinsterer Geist, der
keinen, auch nicht den geringsten Wi
derspruch duldete, sich des VaterS je
länger, je mehr zu bemächtigen. Die
ganze Familie litt uiiter de» Wirkun
gen seiner ost aus den unbedeutendste»
Ursachen hergeleiteten Zornesausbruche,
die sreilich seine stets um so stärker kon
trastirende Herzensgüte wieder bald
daraus zu mildern und vergesse» zu
machen suchte.
Besonders um die Weihnachtszeit
machte eine hochgradige Erregung sich
an ihm zum Leidwesen der Seinen be
merkiich: das schöne Fest der Liebe
und „des Friedens aus Erden" wurde
nur zu ost durch Unsrieden und Härte
von Seiten des Familienoberhauptes
gestört, und nur die immer gleichblei
bende, liebevolle Freundlichkeit der
Hausfrau half der Familie über diese
Etimmung innerer Unzufriedenheit
hinweg.
In heftigen Disputationen mit
Freunden des Hauses über Religion,
Unsterblichkeit »nd reines Christenihum
erklärte der Vater die Anschaffung des
festlichen Tannenbaums sür eine heid
nische, närrische und den Wald schwer
schädigende Mode, die fortan in seinem
Hause zu unterbleiben habe. Kein
Bitten und Flehen der lieblichen kleinen
Schwestern hals der Weihnachts
baum gehörte sür die Kinder von
Fürchtegott Hartmann in das Reich der
Träume und Erinnerungen.
Paula Hartmann hat die Arbeit auf
den zierlichen Nähtisch gelegt und starrt
minutenlang in die wirbelnde» Flocken,
die beinahe das noch immer grüne Tcp
pichbeet vor der Veranda sestlich be
decken.
Warum verfolgt sie heut die Erinne
rung an jenes erste Weihnachtsfest, des
sen sie sich voll und ganz entsann?
Ter blasse, blauäugige Jüngling, der
sie damals unter die strahlende Tanne
geleitet, sie der verehrten mütterlichen
Freundin zugeführt hat, ist seitdem ein
Mann und ihr heimlich Verlobter ge
worden.
Ein Beben ging durch ihre zarte Ge
stalt. Vertrug sich diese heimliche Ver
loburtg mit dem reinen Gefühl inniger
Kindesliebe, mit ihrer Wahrheitsliebe?
Hatte sie je ein Geheimniß vor den El
tern gehabt, ja den Geschwistern auch
nur die kleinste Nothlüge gestattet?
Und nun Doch die Freundin hatte
Recht, das mußte endlich anders wer
den. noch heut wollte sie dem Vater
Alles deichten, wenn eine glückliche Mi
nute sich dazu fand. Der klare Blick
der Mutter hatte wohl längst schon in
ihrem Herzen gelesen, und es war bös
willige Entstellung, wenn man behaup
tete, wie die Freundin ihr soeben er
zählt. sie hintertreibt die ehrliche Wer
bung des hochgeachteten Bruders, um
ihren Kindern den Goldonkel zu erhal
ten. Nein, nur Egoismus und Nieder
tracht eines entspringt ja dem an
dern konnte solch Urtheil fällen, sie
wußte es besser! der feine, silberne
Klang der Wanduhr unterbrach ihre
Gedanken. Sie erhob sich schnell,
gleich mußten die Geschwister aus der
Schule kommen und siehe da, pünktlich
wie das Uhrwerk stürmte die wilde
Schaar herein, voran Maria, ihr klei
ner Liebling.
„O. Paulchen, ist das 'ne Freude,
<etzt wird Weihnacht, wahrhaftig Weih
nacht! Es schneit ja schon. —"
„lind nun gibt es Schneebälle —"
„Ja, aber keinen Weihnachtsbaum!"
Karl, der Aelteste von den Brüdern,
hatte eS trotzig dazwischen gerufen, und
wie ein Reis legt es sich aus den Frob
iinn der Kinder
„Ach, süßeste Paula,' ich Ichenk' Dlr'
tausend Küsse, wenn Du diesmal dem
heiligen Christ eine» Weihnachtsbaum
abschmeichelst. Du bist doch immer artig
und fromm. Dir muß er doch eine»
bringen." Und mit kräftigen Aerm
chen hängt sich die kleine Schaar an ihr
Gewand, küßt ihr die Lippen und
Hände.
„Kinder, Ihr erstickt mich ja. Ihr
dringt mich ja um wer wird so un
gezogen sein, auf diese Weise bekommt
Ihr gar nichts!"
Paula nahm lächelnd dem Schwester»
>chen Hut und Mantel ab. „Bor Allem
wollt Ihr doch Vesperbrod—also bitte,
trollt Euch in s Eßzimmer!"
„Ja, und dann Heißt'S: Schularbei
ten, einzigste Paula, nicht wahr, Du
hilsst?"
Sie nickte Gewährung. Es war ja
selbstverständlich, die Mutter hatte ihr
längst die Sorge sür das geistige und
leibliche Wohl der Geschwister über
lassen.
„Weißt Du auch, daß Papa Besuch
hat?" sagt Bruder Karl wichtig. „On
kel Fritz ist bei ihm im Comptoir."
Paula fühlte, wie sie erblaßte. Sie
hatte ihn feit mehreren Tagen, feit der
letzten Gesangprobe nicht gesehen, denn
beide wirkten seit Jahren im Kirchen
chor als hochgeschätzte Mtglieder, »nd
am nahen Weihnachtsfest sollte die Ge
meinde mit der Aufführung des Löwe
schen Oratoriums „Und es waren Hir
ten aus dem Felde" erfreut werden: sie
selbst hatte den Solovortrag des „Ehre
sei Gott in der Höhe" übernommen.
Er stand ihr dort, wie immer, lench
tenden Auges gegenüber, aber, da er
sie, wie er gern zu thun pflegte, nach
Haus geleiten wollte, hatte sie, einer
Laune folgend, kurz dankend abgelehnt
nnd war mit dem Dienstmädchen, das
sie aus der Uebungsstunde abholte,
allein nach Haus gegangen. Heute
Morgen nun brachte ihr die Post einen
launigen Brief von ihm. recht zu ihrem
Trost, denn trotzdem sie wohl von seiner
treuen und wahren Liebe all die Jahre
hindurch überzeugt sein konnte, machte
das Bewußtsein, daß der Vater sie nicht
dillige, sie ost mißmuthig und miß
trauisch in ihre beiderseitigen Gefühle.
„Warum Dein Vater", so schrieb er
darin, „mir damals, als ich um Dich,
die Siebzehnjährige, anhielt, eine fo
harte Abweisung gegeben, hat er mir
bis heute nicht gesagt. Seitdem sind
fünf Jahre vergangen, das Leben hat
mir mancherlei angethan, und mein
Vertrauen zu der Menschheit im Allge
meinen hat nicht zugenommen doch
meine Liebe zu Dir ist, wenn es mög
lich wäre, nur mit den Jahren gewach
sen, ich will und werde Dich erringen,
mein bitterbös grollendes, manchmal
auch schmollendes, nicht launisch seil'
sollendes, herzliebeZ Paulchen!"
Und jetzt war er bei dem Bater? Ihr
Herz stand still. Da hörte sie den schril
len Klang der äußeren Thürglocke.
Kam die Mutter zurück von ihren Be
sorgungen sür die weihnachtlichen Ge
schenke? Nein, im Thürrahmen erschien
Schmeeßke, das Faktotum de- Hauses,
und bestellte mit wichtigem Nachdrucke:
„Das Frölen solle sogleich zum Herrr
Bater."
Paula schritt zagend durch den langen
Korridor bis zum Privatcomptoir, das
Schmeeßke dienstbeflissen öffnete, um
sogleich geräuschlos zu verschwinden.
Sie sah sich erstaunt im Zimmer um
und dann fragend den Pater an.
„Onkel Fritz" war nicht da. sollte er
davongegangen sein, ohne sie zu be
grüßen? Das war ein schlimmes Zei
chen. Der Vater rechnett indeß an
einer langen Zahlenreihe, und es
schien, als bemerke er ihre Anwesenheit
gar nicht. Endlich hob er den Kopf
und ein durchdringender Blick traf sie
bis in's Herz.
„Was gefällt Dir an diesem gewese»
nen Soldaten und jetzigem Maschinen
bauer," —er legte eine starte Betonung,
die Schmeeßke ihm glücklich abgelauscht
hatte, auf die letzten beiden Silben
„was gefällt Dir an ihm," fuhr er fort,
„daß Du ihm gestattest, um Deine Hand
zu bitten?"
Sie hatte sich endlich gefaßt.
„Vater," sagte sie noch mit leisem
Zittern der Stimme, „lieber Bater, daß
er Soldat gewesen, was Du als einen
Fehler ihm anzurechnen scheinst, ist eine
einsache Pflichterfüllung, deren er sich
doch nicht seige entziehen durste, ob
gleich er weiß, wie Du darübeg denkst,
daß es gescheiter und nützlicher sür die
Menschheit wäre, sie brauchte keine be
waffnete Beschützer des Friedens —"
„O, er hat Bruderblut vergossen, er
kämpste gegen deutschsprecheudc, deutsch
denkende Mitmenschen bei Königgrätz.
Und er wagt es um Deine Hand anzu
halten!"
Er hatte sich halb aus seinem Lehn
stuhl emporgerichtet und ließ sich jetzt
schwer zurücksallen.
„Lieber Bater!" Sie faltete flehend
die Hände in einander „mit Tau
senden ist er damals in den Kampf ge
zogen," fuhr sie muthiger fort.
Der Vater stand erregt auf und be
gann das Zimmer mit langen Schrit
ten zu durchmessen.
„Sieb, Paula!" sagte er. plötzlich
vor ihr stehen bleibend, „ich kenne Dei
nen Werth und habe stets geglaubt,
auch Du kennst ihn, da Du so viel der
Körbe schon ausgetheilt. Keiner die
ser Fabrikbesitzer, sogar nicht einmal
der Dr. Thomas, schien Dir begeh
renswerth, und der alte Hagestolz,
Kirchenrath Schneider, sagte erst neu
lich von Dir: „sie schwebt in höheren
Regionen, wo gar keine Bräutigam?
wohnen."
Aber das sag' ich Dir, er wäre mir
noch ein lieberer Schwiegersohn, denn
dieser Schwager, der, wie seine ganze
Familie. leine blasse Ahnung hat von
dem Geist, der Dich beseelt."
Er sah sie mit väterlichem Stolz und
mit so tiesen. liebevollen Blicken an,
daß sie verstummte. Doch es galt ih
rer Liebe, und so mnßte sie sprechen,
mußte antworten aus Worte, die ihr
aus des strengen VaterS Munde selt
sam und unerhört klangen.
„Du hast mir, lieber Vater", begann
sie zaghast. „Du hast mir bisher leine
Veranlassung gegeben, unbescheiden
über mich zu Kenten. Aber weshalb
schmähst Du die Familie, ans der Du
Dir Deine Gattin, unsere Mutter, er
wählt? Ist sie uns nicht ein stetes Vor
bild aller hausfraulichen Tugenden?"
„Magsein," snhr er erregt dazwischen,
„aber sie ist jeder Poesie baar, sie hat
meinem Leben allen Zauber genommen,
sie ist das grade Gegentheil Deiner
Mutter. Durch ihre „Wirthschaftlich«
keit" hat sie einen Zahlenmenschen aus
mir gemacht," er hielt inne. lim Lust
zu schöpfen, „und und ihre Kinder
werden nichts Besseres! So, Du kannst
und sollst eS einmal wissen!"
„Bater!" Paula sah sich erschreckt
um. Gott sei Dank, es hatte Niemand
diesen leidenschastlichen GefühlSaus
bruch gehört. „Bater, Du thust der
Mutter und den Geschwistern bitteres
Unrecht. Ist ihr stilles Unterordnen
in Deine Befehle, ihr fanftmüthiger
Geist nicht höchster Achtung werth, und
was die Kleinen betrifft, schilt sie nicht
herz- und gefühllos sie haben wohl
das Gefühl echter Weihnachtspoesie im
Gemüth. Keines unserer Geschenke,
Deine oft zu große Freigebigkeit wird
ihnen den Weihnachtsbaum ersetzen,
den Tu uns nun schon Jahre hindurch
verweigerst und er hat doch meine
ersten, srühesten Kinderjahre erhellt »nd
unter seinen strahlenden Zweigen hab'
ich meinen Fritz gesunden, den Onkel
Fritz mii den Augen und der Liebe mei
ner verklärten Mutter! Ja, und so
unmöglich ich sie vergessen, aus meiner
Erinnerung bannen kann, so wenig
kann und werde ich je von ihm laffen.
den ich lieb gehabt, noch bevor ich sein
treues Herz und tiefes Gemüth, feinen
Sinn sür Freiheit und Rcchtschafsenheit
erkannte —"
Sie stand da. mit ihren großen,
leuchtenden Augen den Bater beherr
schend, den Ausbruch seines Zornes be
schwörend, er sah sie staunend an: end
lich schüttelte er den Kopf und sagte ge
dämpften Tones: .Geh! Wir sprechen
wohl noch darüber."
Gewohnt, stets ohne Widerspruch zu
gehorchen, folgte sie feinem Befehle,
ihr Vater sah minutenlang ans die
Stelle, wo sie gestanden, stützte den
Kopf in die Hand und murmelte leise:
„Ihre Augen und die seinen, drum,
drum überkam mich stets ein Wohl
gcfühl bei seinem Anblick."
Der nächste Tag führte Paula in der
Gesangsprobe mit den Freundinnen
zusammen. Gertrud Prätorius sragte
sofort, warum heut „Onkel Fritz"
fehle. Paula wußte keine Antwort.
Sollte erendlich des jahrelangen Hangens
und Bangens müde sein und eine An
dere sreien ? Nein, so wenig wie
irgend etwas seinen Glauben an ihre
Treue erschüttern konnte, so unmöglich
schien es ihr auch, dies von ihm zu den
ken. Und doch, heut' wollte daS:
„Friede aus Erden" nicht mit so klarer,
jubelnder Stimme hinausschallen in
die dämmrige Kirche, ein Etwas lag
aus ihrer Seele und hemmte selbst de»
sreien Flug ihrer Gedanke», und die
Freude n» der geheime» LiebeSthätig
keit, der sie sich mit Feuereiser widmete,
um die quälenden Gedanken loszuwer
den. Es gab auch wirklich so viel an
zuordnen, einzulaufen, fertigzustellen
und sortzusende». daß ihr wenig Zeit
blieb, ihnen nachzuhängen, nur dann
und wann lauschte sie, als müsse sein
Schritt eS sein, der sich vernehmen, sie
jäh erröthen ließ, und wenn die Post
stunde kam, eilte sie durch den verschnei
ten Garten dem Loten entgegen al
lein, lein Gruß von ihm gab Kunde,
daß er ihrer noch denke.
Eben um diese Zeit war es im vori
gen Jahre, wo sie beide vereint bera
then, wie ivohl nnd durch welche Mittel
den Arbeitern seiner Fabrik die meiste
Freude zum Weihnachtsseste zu machen
sei? Und sie kamen übercin, daß es
besser sei. den fleißigen Familienvater
durch Lohnerhöhungen in den Stand
zu setzen, den Seinen den Gabentisch
selbst ausbauen zu können, als durch
oft unnütze und dem Bedürfniß nicht
entsprechende Geschenke ihn vor sich und
Anderen der Beschämung auszusetzen.
Wieviel laute Freude und stillen Dank
hatte Onkel Fritz mit dieser Art, Weih
nacht zu feiern, geerntet: ob er's in die
sem Jahre wieder so hielt? Eine Sehn
sucht erfaßte sie, nur einmal wieder
seinen freundlichen Blick zu sehen, dies«
blauen, tiesen, ernsten Augen der
todten Mutter; ach, die Welt war kalt
und trübe immer dunkler schienen ihr
die Tage, ob wohl je wieder ein Son
nentag herauskommen würde über die
finstere Erde?
So kam der Christtag heran. Im
großen Eckzimmer, das mit seinen fünf
hohen Fenstern einem stattlichen Saal
gleicht, hat sie die Geschenke mit Hilfe
der guten Mutter für jedes Familien
glied ausgebaut. In der Palmcn
gruppe vor dem Trumeau steht auf ho
hem Postament, das durch blühende
Töpse aus dem Gewächshaus den
Augen entzogen war. die Gestalt des
segnenden Heilands nach Thorwald
sen's herrlichem Borwurf, und in die
geöffneten Arme des menschlich sühl-n
-den und leidenden Menscheiisohnes
sehnte sie sich hinein, an seinem Herzen
Trost zu finden sür ihr verlassenes, zer
rissenes, von Zweiseln gequältes Ge
müth. Der Vater, den sie nur »och
bei den Mahlzeiten sah, schien außer
ordentlich beschäftigt, sprach fast nur
mit dem ersten Buchhalter, der mit am
Tisch speiste, und warf nur dann und
wann prüfende Blicke zu ihr hinüber.
Heute schien die vergnügteste Figur im
ganzen Ha »sc Schmeeßke, das alte Fak
totum, zu sein: er trieb außerordentlich
viel Heimlichkeiten mit der alten Köchin
uns reizte die Neugier der Knaben aus
den Christabend i» einer geradezu un
verantwortlichen Weise. „Schmeeßke,"
sagte Karl mit überlegener Miene,
„was nutzt wol l der Mantel, wenn er
nicht gerollt ist? Was wird das schönste
Weihnachtsfest, selbst mit SchneemäN'
»er» und Schlittschuhlaufen— wenn's
keinen Lichterbaum giebt?
Und den giebt's nun einmal nicht
also warten wir's ruhig ab. ich weiß
übrigens, glaube ich, so ziemlich Alles,
was es giebt und Ihre Orakel verfan
gen nicht bei mir!"
Jetzt beginnen die Glocken zum Be
ginn der Christnacht zu läuten.
Paula steht noch in der Küche, der ein
würziger Duft entströmt: sie hat Aller
lei abzutheilen für Kranke und
Schwache, denen Schniceßke die Stär-
kung in» Hau» tragen soll, heimlich,
unter dem Schutze der schlecht beleuch
teten Straßen. Nun ist sie endlich fer
tig. „Paulchen", sagt die Mutter
freundlich, „laß jetzt alles Uebrige, das
ich mit Stiues Hilfe schon besorge, geh'
aus Dein Zimmer »nd kleide Dich an!
! Wenn ich klingle, kommst Du mit den
Kindern."
Sie gehorcht, wirft aber doch noch
schnell einen Blick in die Kinderstnbt,
und Liesbeth und Martha hängen sich,
sie mit Fragen bestürmend, fest an ihr
Kleid. Nun endlich ist sie in ihrem
Zimmer, ihre Toilette ist schnell been
det, sür wen sollte sie sich auch schmük
len? Sie nimmt aus einem Fache ihres
zierlichen Schreibtisches eine seine Flecht
arbeit heraus, eine Kette aus ihren
haaren geflochten, sie liest die Worte
. »och einmal, die sie dem Geschenk sür
ihren theuren Fritz hinzusügen wollte:
.Nimm gern ein Band v»n Liebchens
Haare».
Das Dir das Christkind von ihr
bringt
Es sei Dir noch nach langen Jahren
Ein Band, das Liebe »in Dich
schlingt."
». s. w. und wiederholt den Schluß:
lind bleichen endlich sie die Jahre,
Bleibt fest und treu doch unser Sinn.
Fest »nd treu, beharrlich, wie all die
Jahre! Ja. warum war sie mir so
Ileinmüthig? Sie legt das Geschenk
seufzend wieder an seinen Platz und
löscht die Lampe.
Der Klang der Festglocken dringt in
die heimliche Stille ihres Zimmers und
lockt sie an's Fenster. Welch' eine
Pracht sunkelnder Sterne, unermeßli
cher Welten, zu denen sie von frühester
Kindheit an staunend und bewundernd,
ihren Lauf ergründend, geschaut.
Wie sang ihr hochverehrter Gottfried
Kinkel?
Und gleich den Sternen lenket Er Dei.
»en Weg durch Nacht!
Wirf ab, Herz, was Dich kränket und
was Dir bange macht!
Sie legte schluchzend den Kopf an
die Scheiben. Da faßte eine Hand die
ihre, zwei bärtige Lippen suchten ihre»
Mund, »nd „Paulchen, Paulchen,
komm zur Bescheerung!" flüsterte jcine
Stimme. Ist's denn wirklich Onkel
Fritz? Da läutet auch die Glocke, und
willenlos, im Banne eines glückseligen
Gefühls, gemischt aus Schreck und
Freude, überläßt sie sich seiner Füh
rung.
Ein Weihnachtsdust von Tannen
»nd Wachskerzen dringt zu ihren Sin
nen, sie träumt wohl? Oder ist das
wahrhaftig Taunenreisig, über das sie
ichreitet, hinein durch die geöffneten
Flügelthüren an seiner Hand unter die
strahlende Tanne, die dort inmitten des
Festsaales prangt?
„Ich lasse sie nicht, so segnet uns
denn." sagt Fritz einfach und lustig,
wie es feine Art ist, zu den gerührten
Eltern. Der Vater aber schließt sein
Kind in seine Arme und sagt- „Was
bleibt mir übrig? Ec hat in Wahr
heit Deiner Mutter Augen, und die
werden Dich nicht trügen!"
Schmeeßke aber ist glückselig im An
blick des Brautpaares und des unge
heuren Jubels der Kinder, denn er hat
die Tanne hineingeschmuggelt und lacht
schmunzelnde Nicht wahr. Karlchen,
jetzt ist doch Weihnacht, richtige Weih
nacht!"
«in« Leipziger Militär-Vorlage.
Das ,L. Tgbl." frischt die Erinne
rung an eine Militärdebatte aus ver
gangenen Tagen des Deutschen Reiches
auf. Nachdem König Gustav Adolf
von Schweden im Jahre der durch
Kaiser Ferdinand bedrohten protestanti
schen Freiheit zu Hilse geeilt war,
glaubte der Kurfürst Johann Georg
von Sachsen darin ein EroberungSge
lüste zu erblicken »nd suchte seine Selbst
ständigkeit durch eine bewaffnete Neu
tralität zu wahren. Er berief zu die
sem Zwecke einen Fürstentag nach Leip
zig, der am 19. Februar 1631 seine
Sitzungen begann. Die protestanti
schen Fürsten, reichsfreie Herren und
Stände erschienen dabei in Person, die
Reichsstädte waren durch Gesandte ver
treten, so daß die Stadt mit vornehmen
Gäste» übersüllt war. Erschien doch
allein Kursürst Georg Wilhelm von
Brandenburg mit einem Gefolge von
178 Personen n»d 102 Pferden. ES
solgte ei» Festgelag dem anderen: alle
Tage wurde» in Jubel und Herrlichkeit
verlebt, bei welcher Gelegenheit am lv.
März mich, und zwar auf dem Roß
olatze, das erste Leipziger Wettrennen
stattfand.
Die Preise bestanden in einem silber
nen Kränzlein, zwei Faustrohren (Pi
stolen), einem vergoldeien Degen und
12 ReichSthalern. Es rannten 25
Personen, deren jede 2 Dukaten Ein
satz gezahlt hatte. Während der Sit
zungen des Fürstentages wurde unge
heuer viel getrunken nnd noch viel mehr
gesprochen, darunter auch über die Bil
dung eines Heeres. Komisch erscheint,
!>aß für das noch gar nicht vorhande»e
AundeSheer bereits eine Lebensmittel
axe festgestellt wnrde. Wir erfahre»
aus derselben, daß 6 Loth Semmel
einenPsennig, 9 Loth Brod einen
Pfennig, 3j Pfund Bauernbrod einen
droschen, ein Psund Rindfleisch zehn
Pfennig, ein Pfund Schweinefleisch
achtzehn Psennig, ein Psund Schöpsen
fleisch els Pfennig, ein Pfund Kalb
fleisch siebe» Psennig, ein Pfund Speck
drei Groschen, ein Lamm achtzehn
Groschen, ein Psund Butter zwei Gro
schen. ein Schock Eier fünf Groschen
und ein Schock Käse sechs Groschen, so
wie die Kanne Bier süns Psennig koste
ten. Am 3. April ging der Fürsten
tag auseinander, nachdem die Militär
vorlage bewilligt war. Ehe aber »och
Alles fertig war, drang der kaiserliche
General Tilly ins Land, wobei am Iv.
Rai Magdeburg in einen Aschenhau
>en verwandelt und 30,0tX) friedliche
Menschen hingeschlachtet wurden.
Weihnacht«»»«»».
Die ersten matten Sterne
Zieh n ans am Himmelsrand,
801 l Ahnung harrt die Erde
Im lichten Schnecgewand.
Der Tanne Wipiel rausche».
Von serne Glockenklang.
Mir ist, als müst' ich lau'che»
Der Engel Lobgesang.
AIS sollt' ich wieder jauchzen
Wie einst, voll Kinderglück;
Die stur,„verwehten Psade
mich ur ick:
Der Heimath Glocken halten
Die Kunde sroh durch s Land,
Der Ehristbaum strahlt mir wieder
Geschmückt von Mutter Hand
Die frommen Lieder schallen
So lieb nnd so vertraut,
Was je der Wunsch ersehnte.
Bietn leuchtend Auge schaut.
Was theuer inir aus Erden
Umschließt der eine Raum,
Und Seligkeit durchfluthet
Mein Herz ein Weibnachtstraum I
A. Nicolai.
Der alte Duse.
Selten hat eine Künstlerin so viel
Aussehen in ganz Europa erregt, wie
die italienische Tragödin Elenore Duse,
die zur Zeit in Berlin am Lessing-
Theater gastirt. In den Biographien
der gefeierten Künstlerin wird erzählt,
daß sie aus einer alten, italienischen
Echauspielersamilie stamme.
Aber von ihrem Vater war in diesen
biographischen Darstellungen nur selten
die Rede. In einem alten Buche,
welches Schilderungen a»S dem Thea»
terleben zu Anfang dieses Jahrhunderts
enthält, sinde ich einige sehr interessante
Mittheilunge» über den alte» Dust,
der einer der beliebtesten Komiker, ein
Volksschaiispicler von Naivetät und
Natürlichkeit gewesen sein soll. Im
Herbste IB4V tan, er mit seiner Wan
dertruppe auch nach Padua. Am näch
ste» Morgen waren überall Zettel an
geschlagen. ans denen mit großen Buch
staben stand:
„L»igi Duse zeigt seine» geliebten
Paduaner» an. daß er mit einer aus
erlesenen Gcsellschast in der Stadt des
LiviuS und Petrarca angekommen ist
und daß morgen seine Vorstellungen
beginnen."
Aber die Erwartung des beliebten
Komikers wnrde diesmal enttäuscht.
Der Theaterbesuch war ein schlechter;
die Studenten hatten gerade kein Geld,
die Geschäfte stockten wegen einer Han
delskrise »nd Dust sah ti»e erschreckende
Ebbe in seiner Kasse. Da verkündigte
eines Tages der Theaterzettel eine ganz
neue Posse ) „Ohne Tadel,"
ein Gedicht Luigi Tuse'S und gespielt
von Luigi Duse ganz allein.
Das erregte die allgemeine Neugier,
und das Theater war zum ersten Mal
übervoll. Luigi Duse trat auf, ganz
schwarz, in tieser Trauer, einen langen,
schwarzen Flor aus dem Hute und
schnitt ein trübseliges Gesicht, wie ein
Leichenbitter. in seierlichen Schritten
trat er an das Präsenium, seusztt
einige Male tief aus unter schallendem
Gelächter des Publikums und begann
mit melancholischem Tone also zu
sprechen:
„Signori! was ist das? Ich sehe
vielt, die nicht da sind. (Gelächter.)
Glaubt Ihr, ich spiele hier zu meinem
Vergnügen Komödie? O nein, ge
liebte Paduaner! und insbesondere,
geliebte Studenten! denn ohne Eure
Lire ist der Duse ein armer Teufel,
eine Laterne ohne Licht! —He, warum
kommt Ihr nicht? Gefallen Euch meine
Stücke nicht? Habe ich nicht gute
Schauspieler??— Und bin ich nicht der
Duse?? (Akklamation und „Bravo
Duse!") Also warum kommt Jh?
nicht? Wenn das so fortgeht, so könnr
Ihr mich —psr »»coo—bald von hier
forttreiben. (Zahlreiche Rufe: wir
werden schon kommen, »iciro!—) Ja.
das sagt Ihr immer, und der Duseist
ein guter Narr, der immer auf Euch
wartet. Ich will Euch jetzt eine Loo
sxlsnü» machen, ich bin nämlich in
einer großen Verlegenheit, mein erster
Liebhaber braucht einen schwarzen An
zug. denn er hat sich in de» Skibischen
Lustspielen die Beinkleider durchgekniet.
Meine erste Liebhaberin hat keine weißen
Atlqsschuhe, und meine unschuldige
Naive braucht einen Taufpathen. Da
mnß zu Allem der Duse herhalten,
aber wo soll er das Geld hernehmen,
wenn Ihr immer in den Kaffeehäusern
und Wirthshäusern herumliegt und
nicht ins Theater kommt? Also kommt
doch in HeiilerSiiamcn morgen ins
Theater! Aber alle! Nun also, was
ist?"
Da erhob nach einem allgemeinen
Murmeln des Parterres sich ein be-°
moostes Haupt, stieg auf die Bank und
rief mit mächtigem Bierbaß: „Morgen
ist es unmöglich, lieber Duse! Ueber
morgen ist Examen, und da müssen
wir uns morgen vorbereiten: aber über
morgen kommen wir alle." „Gewiß?"
fragte Düte, „Ihr habt mich schon so
oft angeführt." „Auf Ehre, über
morgen!" replizirte der Gegner, und
ein allgemeines „Ja, wir kommen,
Dust!" erschütterte das ohnedies schon
etwas baufällige Theater.
Verschmitzt lächelnd betrachtete Duse
das Pttblitiii» eine Weile, dann trat
er vor und, de» Zeigefinger auf den
Mund legend, sagte er ganz vertrau
lich:
„Aber ein schlechter Kerl, der aus
bleibt," und der Vorhang fiel unter
jubelndem Bravo.
Am sestgesetzten Tage war das HauS
bis aus den letzten Platz gesüllt und
Duse unerschöpflich in Spaßen und
drolligen Einsallen.
So war »och vor üO Jahren in
Italien die Siite des VolksthcaterS,
und heute steht die Tochter diestS Ko
mikers auf der Höhe der dramatischen
Kunst der modernen Kulturwelt.