Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, December 02, 1892, Page 2, Image 2

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    2 »altbltttts-r tl«t««r SNmro».
Ueber ein wahrhast verblüffendes
Exemplar von Jung-Amerika, wenig
stens von der westlichen Schattirung
derselbe,,, erzählt der Teilnehmer einer
Jagdpartie in Colorado:
Wir waren von Pueblo aufgebro
chen, um eine Woche lang am Ärtan
sasflnß zu jagen und zu fischen; um im
Freie» campiren zu können, halten wir
Zelte mitgenommen. Ein Mann Na
mens Britton hatte sein zehnjähriges
Göbrichen bei sich; der Kleine war der
männlichste Knabe, der mir je vorge
kommen, und er konnte mit bem Besten
von uns um die Wette Antilopen erle
gen und Forellen ati's Land bringen.
Wir erlebten ein Abenteuer, das mir
ewig in lebhafter Erinnerung bleiben
wird, obwohl dic Hauptpirson in dem
selbe»«durchaus nichts Besonderes darin
zu sehe» schien.
Eines TageZ kam der Knabe, zufällig
«der absichtlich, von dor übrigen Partie
ab, verirrte sich dann noch und brachte
die Nacht in den Bergen zu. Er hatte
eine 38-kalibrige Flinte bei sich, die
eine sehr geeignete Waffe sür kleines
Wild war, aber in dieser Gegend wohl
nicht zu seinem Schutz hinreichen tonnte,
denn wir hatten in der Umgebung der
Stelle, wo wir unser letztes Lager aus
geschlagen hätten, bemerkt, daß es von
Berglöwen wimmelte. Gott sei dem
Kleinen gnädig!
Sein Bater war vor Angst fast außer
sich, und wir suchten nach dem aben
teuerlichen Bengel die ganze liebe Nacht
hindurch, jedoch ohne Ersolg. Gerade
als die Sonne wieder aufging, traten
wir niedergeschlagen den Rückweg nach
unserem Lagerplatz an. Wir snegen
eine Thalschlucht hinab, da plötzlich
bemerkten wir, was wir so lauge um
sonst gesucht hatten, aber in welch'>ent
lsetzlicher Lage!
Der Ktzine schlief fest (wenn nichts
Schlimmeres mit ihm der Fall war),
und sein Kopf ruhte, wie auf einem
Kissen, aus einem riesigen Berglöwen,
welcher zusammcngcrollt war und sich
gleichfalls eines gesunden Schlafes zu
erfreuen schien. Was sollten wir thun?
Es war eine Art Wilhelm Tell-Afsaire,
nur daß wir nichts über, sondern
etwas >unter dem Kopf des Knaben
gut zu treffen hatten, etwas Größeres
zwar, als einen Apfel, aber im Uebri
gen viel bedenklicher. Doch es durfte
nicht länger gezaudert werden; die Bestie
tonnte ja jeden Augenblick erwachen
und dann....
Unsere drei besten Schützen näherten
sich vorsichtig bis auf 50 HardS; dann
nahmen sie passende Siellung. zielten
gut und auf ein gegebenes Signal ga
ben sie Feuer. Sie hatten ,in der That
gut getroffen. Die Bestie rührte sich
nie mehr, wenn >nnr weiter nichts
passirt.ist, ach, es wärt entsetzlich!
Da richtete sich plötzlich der Junge
halb auf, reibt sich die Augen und
fragt uns schnippisch: ...Was zum Teu
fel macht Ihr denn da? Das Biest hier
habe ich ja schon vor vier S.t.un
den tob t.g escho ssc,n!"
Hetlwerth d<r Aeps»l.
Es ist moch nicht allgemein genug be
kannt schreibt eine medicinuchc Zeit
schrift — einen wie großen Werth der
Apfel auch in mcdicianischer Beziehung
Hai. Ein Apfel enthält nämlich durch
schnittlicheine größere Menge PhosplM,
als jede andere Art Qbst oder Gemüse;
der Phosphor eignet sich aber vortreff
lich i.dazu, den Nerven
stoff des Gehirns und bcS Rückenmarls
zu erneuern. Darin liegt das Ge
heimniß seiner erfrischenden Wirkung,
die cr ,in höherem Grade, als,anderes
Obst, üben kann.
Das Bewußtsein .hiervon -ist ohne
Zwcisel schon in alter Zeit bei vielen
Völkern.als Instinkt vorhanden gewe
sen, und vielleicht hängt damit auch die
Thatsache zusammen, baß alte skandi
navische Ueberlieferungen gerade den
Apfel als die Nahrung ber Götter dar
stellen, welche, welche, wenn sie jühlton,
daß sie schwach und müde wurden, sich
stets aus dieie Frucht verließen, um die
Kräste des Körpers unb Geistes wieder
zugewinnen. Man denke auch an dre
Aepsel der Hespcrrden nnd den Apsel
d«S Paradieses.
Die Sa,nien des Apfels Haben bvson
derS viel Werth sür Leuäe mit sitzender
Lebensweise; denn sie chaben die Wir
iung, geiMi-schädliche Stoffe aus bcm
Körper wegzunehmen, die,, wenn sie im
Körper bleiben sollten, das Gehirn
schwer und das Denlen träge machen,
oder auch (Ichsucht oder geivlsse Aus
schläge auf de. Haut und sonstige Lei
den im Gtsolge haben.
Auf solche Ersahrunge« tuirste auch
der weitverbreitete Brauch ztirückzusüh
r«» sein, zu Schweincbratc«, Gänsebra
tcn und ähnlichen Gerichte« niit Vor
liebe Apfelmus zu geben. Dic Säure
reifer Aepfcl. sei.eS in roh«m oder ge
kochtem Zustand, wirkt dem Uebermaß
von laltigem Stoff entgegen, welcher
durch den Genuß Vau zuviel Fleisch sich
bildet, und eignet sich dahsr zu sette»
und schweren Fleischgerichten «nter
alle» Umstanden sehr'gut. Es ist
übrigens auch «ii» feststehend« That
sache. daß srisches Otft, wie Äepsel,
Birren oder Pflaumen, wcnn man >eS
reis zu vcrgcjsen !- ahn?
Zucker genießt, viel mehc dazu dienk.
dic Säure im Magen zu vermindern,
als sie zu fördern, denn ihre Säfte wer
den in Verbindungen von Knlium und
Kohlenstifs .verwandelt, ivelche stets
der Saure entgegenwirke». I» der
jetzigen Jechreszeit kann daher nichts
Besseres angerathcn werden, als „bei
einem Wirthe wundermild" (wie il.hland
den Äpselbauui so sinnig nennt) recht
fleißig einzukehren.
Splitter.
Biel« Männer widersprechen nur dann,
Wcnn es die Frau nicht hören kann !
Wer schnell gibt, gibt
ooppelt. den» bei längerer Ueberlcgung
aäbe er vielleicht nur die Hälfte.
Ei« Wtedersehe«.
Ruf der nenen Straße von Meta
nach Amalfi fuhr ein leichter Wagen in
jenem ichlanken Trabe die Höhe hinauf,
zu dem italienische Kutscher stets ihre
Rosse antreiben, gleichviel, ob es berg
auf oder bergab geht. Die beiden klei
nen Pferde schienen auch wirklich an
diese Gaugart gewöhnt zu sein, denn
sie trabten selbst dann immer unver
drossen weiter, wenn sie nicht durch die
Peitsche, sondern nur durlh einen Anruf
des Kutschers angetrieben wurden.
Im Wagen saß ein sehr ungleiches
Menschenpaar. - Trotz des fremdländi
schen Schnittes der Kleider und trotzdem
der Herr seinen Cylinder etwas in den
Nacken geschoben hattc, ließ sich un
schwer seine Nationalität erkennen.
Der Mann m«ßte Italiener sein, das
verriethen die dunklen, unruhig fun
kelnden Augen, das krause schwarze
Haar und die gebräuntx Gesichtsfarbe,
noch mehr vielleicht dic Lebhaftigkeit
seiner Bewegungen und das Feuer
nes Temperaments.
An Alle, die cr unterwegs traf, rich
tete der vornehm« Reisende zum Erstau
nen der guten Leute ihrer Landes
sprache freundliche Worte, und jetzt,
als das Gefährt das wie in einer präch
tigen Wiege gebettete Posidana erreicht
hatte, warf der Herr den auf der
Straße umherhockenden, halbnackten
Kindern einige Kupfermünzen zu und
ergötzte sich dann daran, wie die zer
lumpte Schaar über die Beute herfiel
und sich sörmlich zu einem Knäuel
sammenballte.
Sieh, Mary, ist das nicht lustig?
wandle sich der Mann zu der blonden,
hochaufgeschossenen Frau an sciner
Seite, dic ihn beinahe überragte und
deren blasses, scharf geschnittenes Ge
sicht mit dem Ausdruck der entschieden
sten Langeweile in s Blaue starrte.
Die seidenweichen Wimpern der Dame
senkten sich mit allen Zeichen der Er
müdung über dic grauen Augen, als
fahre sie durch die flachste und reizloseste
Gegend und nicht durch eine Landschast,
die allen Zauber des Südens in be
rückendster Schönheit vor ihr entfaltete;
aber diese neue Straße war noch nicht
in ihrem Reisehandbuch als eine der
wundervollsten, eine Paradicslandschast
öffnenden ausgeführt, und so fühlt«
sich auch die echte Tochter Amerikas nicht
verpflichtet, sich sür die Schönheit einer
Gegend zu begeistern, die das dauernde
Entzücken jedes Malers werden muß,
der das Glück hat, sie zu erschauen,
de»n hier bietet jede Biegung des We
'ges ein anderes, farbenprächtiges Bild.
Die in de» phantastischstcn Formen
zerklüftete, duntelglUhendc Felsenkette
umgürtet einen Erdenwinkel, der allen
Sonnenglanz des Südens gierig in sich
ausgetruntcn und die Gelände dafür
mit dem üppigsten Grün geschmückt hat.
Da tnmmelt' über Orangen- und Li
monenhaincn kühn die Rebe hinweg
und schmückt in köstlichen Guirlanden
jeden Winkel,; dort «schimmert aus dem
Duntel die rothglühende Blüthe der
Granate; Feigen. Oliven und Johan
niSbrvtbäume überbieten sich darin,
ihre Aeste in die phantastischsten Formen
im Sonnengold zu baden; überall
grünt und wuchert eS, als könne die
Erde am Blühen und Früchtezeit?gen
sich nie genug thun und gar kein Ende
finden. Und drunken das blaue, son
nenbeglänzte Meer, das mit dem licht
getränlten Himmel über ihm zu wett
eifern sucht, wer von ihnen den mär
chenhastesten Zauber in die dasiir
empfängliche M«nschcnseele zu senken
vermag.
Für die blpnde, blaffe Frau im Wa
gen hatte biete lachende Landschast keine
Sprache, noch weniger schienen die
zerlumpten, sich aus der Straße umher
tuinmelndrn Kinder chren Beifall zu
finden.
Pfui! die -kleine«, schmutzigen Ge
schöpse! murmelte sie verächtlich und sie
wandte sich mit allen Zcichcn des Ab'
schcus von der Gruppe ab.
Ich war auch einmal ein solch'
schmutziges, kleines Geschöpf, sagte der
Mann lachend, und er griff von Neuem
-in seine Tasche, um andern Kindern,
die jetzt im Dauerlauf dem Wagen
folgten und dabei unermüdlich um ei
nen „Soldo" bettelten, einige Kupfer'
«münzen z»zMveiMl.
Die Frau an seiner Seite verzog daZ
Gesicht; sie schien bei dieser.Erinne
rung ihres GlMcn au seine Jugendzeit
noch jetzt einen Ekel vor ihm'zu em
pfinden; dann aber sagte sie gelassen,
wie zu ihrer cigenen-Beruhigung: Bah,
das ist schon lange her! und sie mu
sterte dabei noch einmal sorgfältig das
Aeußere ihres Lebensgefährten. Es
war zu ihrem Trsst tadel- nnd makel
IoS.
Der sorglose S«ho kes Südens küm
merte sich wenig um den Abscheu, den
seine in ganz andern Lebensverhält
nissen ausgewachsene Gattin vor seiner
Vergorgenhcit empfand, ja, er schien
mit wahre», Vergnügen- sich in seine
Jugenderinnerungen zu verseilten,
ohne daraus zu achte», daß sich a«s dem
taltcn. schmale« Gesicht der Frau ein
wahrer Widerwille malte, je länger er
davon sprich: ja, sie rückte nnwillllür
lich etwa» von ihm ab. als sei ihr seine
Nahe widerwärtig und verhaßt. Sie
preßte unwillig die scharf geschnittenen
Lippen sestvr übereinander, und zu«!
ersten Male fragte sie sich heimlich,
tnarnm sie eigentlich diesen Menschen
«eheirathet habe. Er hatte ihr gesallen.
«ut seinen feurigen Augen, seinem noch
immer hübschen Gesicht,' obwohl er nich'
einmal mehr zu den Jüngsten zählte.
Antonio Feraldi war ans seiner ita
lienische» Heiinath herübergekommen,
um in Amerika sein Glück zu machen:
nachdem cr einige Jahre recht hübsches
Geld verdient hatte, war er plötzlich »m
all seine Ersparnisse gekommen, und
als ihn Miss Blacksmith kennen lernte,
hatte ihm das Schicksalsrad wieder so
tief »ach unten geschleudert, daß ei
schon froh war, in ihrem Hause einen
Dienst zu sindeii, der ihn vor dem V».
hungern schützte. Aber sie war ja reich
und unabhängig und wenn sie die
Laune anwandelte, diesen armen, ita
lienischen Schelm zu ihrem Gatten zu
machen, so hatte niemand ein Wvrt mit
drein zu reden und sie war überzeugt,
daß manche sie um den Besitz des hüb
schen Menschen beneiden würde.
Der Mann war in seiner Heimath
zwar schon einmal verheirathct gewesen;
er hatte sogar eine Familie dort zurück
gelassen, aber scineFrau war inzwischen
verstorben; er besaß einen von der Be
hörde ausgestellten «schein über das Ab
leben seiner ersten Lebensgefährtin und
so war alles in bcftcr Ordnung; die
reiche Amerikanerin konnte ihren Ein
fall verwirklichen und den armen ita
lienischen Teusel zu ihrem Gatten ma
chen. Sie hatte auch bisher die „Er
werbung" nicht zu bereuen gehabt; sie
konnte sich mit ihrem „Herrn Gemahl"
überall sehen lassen; er war-cin voll
kommener Gentleman geworden, der in
seinem Aeußern durch nichts von seinen
jetzigen Standesgenossen abstach. Ach,
und sie empfand bei dem Gedanken keine
kleine Befriedigung, daß ihr Mann sich
doch beständig sagen mußte, wie er all
sein jetziges Glück ihr allein zu danken
habe; er konnte wohl mit der Wand
lung seines Geschicks zufrieden sein,
selbst wenn sie ihn ihre Herrschaft, wie
sie das ganz in der Ordnung fand, zu
weilen scharf und entschieden fühlen
ließ.
Heute kam der reichen, verwöhnten
Amerikanerin zum ersten Mal der Mann
an ihrer Seite so „vulgär" vor; er
hatte doch gar nichts von einem „Gentle
mau" nnd daß er auch einmal ein solch'
schmutziger, zerlumpter Junge gewesen,
wie sie dies kleine Gesindel zu ihrem
Ueberdruß schon überall in Italien und
jetzt wieder gesehen, konnte sie ihm nicht
verzeihen. Was hatte er nöthig, ihr
seine Bettlerarmuth aufzutischen, die ihr
nur Ekel einflößte.
Antonio dagegen härmte sich wenig
um die heimlichen Empfindungen seiner
Gattin; cr ahnte gar nicht, was soeben
in ihrer Seele vorging, ja. er schien mit
wahrem Vergnügen sich in seine Ju
genderiiinerungen zu versenken, und
ohne weiter darauf zu achten, daß cr an
seiner Frau eine sehr mißmuthige Zu-
Hörerin hattc, erzählte er von der bitte
ren Noth, die in dem Hause seiner El
tern geherrscht habe, und wie cr noch
zerlumpter umhergelaufen, als jene
Knaben, die jetzt schon im Staube der
Landstraße ihren Blicken entschwunden
waren.
Schwatze nicht länger davon, sonst
wird mir übel, sagte die Amerikanerin
endlich schars und verweisend, denn sie
mochte nichts mehr von diesem geradezu
ekelhasten Elend hören.
Der Mann sah seine Gattin ganz
verwundert an; er vermochte ihren Zorn
gar nicht zu begreisen, die Vergangen
heit stürmte zu mächtig auf ihn ein:
das Gefährt näherte sich ja immer mehr
seinem Heimathsort und nun weckte
jeder Winkel in ihm Erinnerungen an
die trübe und dennoch so selige Jugend
zeit und es überkam ihn wie in einem
Rausch.
Sieh, Mary, dort auf dem Berge
habe ich die Ziegen gehütet, mit den
nackten Füßen habe ich mir manchen
Dorn eingetreten; aber wie mich auch
zuweilen der Hunger plagte, ich habe
doch den ganzen Tag gesungen, ich
wußte ja nicht, wie arm ich war, und
kannte es nicht besser!
Und jetzt siehst du deine Heimath als
reicher Mann wieder. Wie werden deine
alten Freunde dich anstaunen und be
neiden.
Beneiden?! Wer weiß! Sie sind in
all ihrer Armuth nicht so unglücklich,
wie du denkst. Hör doch, wie sie dort
lärmen und jauchzen! und der Italie
ner zeigte mit der Hand nach dem Orte,
der mit seinen weiß getünchten Häusern
aus dem leuchtenden Grün freundlich
hervorschimmerte. Es ist heut Ma
rienseft. fügte er eifrig hinzu, da wirst
du sehen, wie prächtig wir das feiern
und wie fröhlich und glücklich heute alle
sind!
Ich habe diese Feste in Italien zum
Utderdruß genossen und gähne schon,
wenn ich daran denke.
Ader mir geht das ganze Herz auf!
Ach. schade, daß wir ein wenig zu spät
kommen; die Procession ist vorüber, jetzt
schießen sie schon, und wirtlich dröhnte
bereits der erste Böller in das Thal und
die Berge brachten ein mehrfaches Echo
zurück.
Der Italiener wurde immer aufge
regter. seine dunkeln Augen leuchteten
seltsam und er richtete sich in die Höhe,
während die blasse, schlanke Frau an
seiner Seite sich bequem zurücklehnte
und mit allen Zeichen der Ermüdung
und Laygweile die Augen schloß.
Ah. dort steht auch noch die alte
Caraube, in deren Schatten ich mit
Assunta so ost gesessen habe! Wir wan
derten jeden Abend bis hierher und
ich —er stockte, ein leiser Seuszer
hob seine Brust.
Und du warst damals wohl glückli
cher als heute? fragte seine Gattini
während dabei um ihre scharsgeschnitte
nen Lippen ejn sarkastisches Lächeln
spielte, blickte sie halb verächtlich, halb
mitleidig über de» armen Tropf hin
weg, der ihr »och niemals so lächerlich
und albern vorgekommen war als ebe»
jetzt. War cS nicht geradezu einsaitig,
sich mit solcher Schwärmerei an seine
Bettelarmuth zu erinnern, und jetzt
wagte der freche Patron sogar, von sei
ner ersten Frau, und »och dazu in die!
sein Tone zu sprechen, von einem
Geschöpf, das sicher ebenso zerlumpt
und schmutzig unihergelaufeii wie all
das arme Gesindel, das ihr in Italien
einen solchen Ekel eingeflößt Hütte.
Antonio gab auf diese Frage keine
Antwort: er mochte doch nich! offen be
kennen, was er fühlte und dachte, denn
er tonnte den höflichen Italiener noch
immer nicht ganz verleugnen, obwohl
er schon manche Jahre in dem sreien
Amerika zugebracht hat,,, wo niemand
die blasse Scheu kennt, sein innerstes
Empfinden bloßzulegen.
Das Gefährt hatte jetzt die ersten
Häuser des kleinen BergnesteS erreicht,
das heute in seinem festlichen Schmuck
einen recht freundlichen Eindruck machte.
Ueber die Straße hinweg waren eine
Menge Guirlanden gezogen, die Fenster
und Ballone bedeckten bunte Tücher
und Teppiche und der Boden war noch
mit gelben Ginsterblüthen übersät, die
bei dem tirchlichc» Umzngc von den
Kindern ausgestreut worden. Nicht
nur die ganze Bevölkerung des Ortes
schien aus den Beinen zu sein. «S muß
ten auch aus der Umgegend sich noch
visle cingcsiinden haben, denn in der
lang hingestreckten Gasse wimmelte es
von lustig plaudernden und fröhlich
»reinschauenden Menschen.
Wie immer bei solchen Gelegenheiten
in Italien hatte das Kirteufest auch
eine Menge Bettler herbeigelockt, die
bei der heute freigebiger gestimmten Be
völkerung ihre Ernte halte» wollten.
Den Insassen des Wagens streckten
sich von allen Seiten verlangende Arme
entgegen und Antonio sand in dem Al
mosenaustheilen ein solches Vergnügen
und gab sich dieser Beschäftigung so
?isrig hin, daß sein Vorrath an kleiner
Münze bald völlig erschöpft war. Da
näherte sich eine Frau in Lumpen, mit
einem Mädchen an ihrer Seite, das sich
iiigstlich an ihrem verschossenen, arg
geflickten Kleide festhielt. Die Frau
hatte ein Tuch so um den Kops ge
schlungen, daß von ihren« Gesicht sast
»ichtS zu sehen war, nur ein paar
große, dunkle, ties eingesunkene Augen
richteten sich aus der Verhüllung auf
den vornehmen Reisenden in dein Wa
ken.
Ich habe leider nichts mehr, liebe
Frau, sagte Antonio mitleidig und
mochte dabei nach Art der Italiener
line verneinende Bewegung mit dem
Zeigefinger.
Bei diesen Worten öffneten sich die
großen Augen der Bettlerin noch mehr;
iie blieben eine Secunde unruhig sor
schcnd auf dem Antlitz des Sprechers
haften, dann stieß die Frau einen
Schrei der Ueberraschung aus und
streckte die zum Himmel. Heilige
Madonna. Antonio, du bist es?! Du
bist vom Tode auscrstaiiden! und sie
starrte ganz verstört und wie geistes
abwesend auf den Fremden. Das Tuch
Dar ihr bei der raschen Bewegung vom
stopfe gefallen: ihr abgehärmtes, mage
res und trotzdem noch Spure» chcniali
zer Schönheit verrathendes Antlitz
wurde sichtbar.
Gott im Himmel! Assunta! auch du
lebst, du bist nicht gestorben! rief der
Ztaliener aus und mit einem Satz
sprang er aus dem Wagen, und alles
vergessend, schloß er die arme, zerlumpte
Frau in seine Arme, die, noch immer
kaum ihrer Sinne mächtig, sich an seine
Brust lehnte und mühsam hervorleuchte:
lind du, Antonio, bist nicht todt, wie
e- mir doch.der Sindaco gesagt hat!
Und mir Haider Schurke geschrieben,
daß du gestorben seiest und mir sogar
seinen Todtenschein geschickt! Das ist
ja zum Tollwerdcn! rief der Italiener
heftig aus.
Ah, und du lebst wirklich?! O, Ma
donna! und das arme Weib begann
vor freudiger Aufregung laui zu
schluchzen und blickte dem plötzlich so
wunderbar wiedergefundenen Gatten
I-irtlich-forschend in die Augen, als
könne sie sich noch immer nicht von der
Wahrheit vö'ig überzeugen, daß der
Todtgeglaubte und,schmerzlich Beweinte
sie jetzt lebend und leibhastig in seinen
Armen hielt.
Und das ist unsere kleine Rafaella?!
Wie hübsch sie geworden! rief Antonio,
und cr beugte sich zu dem Mädchen hin
ab, das sich scheu und furchtsam vor
dem fremden Manne hinter dem Rücken
der Mutter verkriechen wollte.
Rafaella, das ist dein Vater, wandte
sich die Frau zu ihrem Töchterchen, und
sie drängte die noch immer Widerstre
bende zu ihrem Gatten, der das zer
lumpte Kind zärtlich in seine Arme
schloß und es mit heißen Küssen be
deckte.
Um die Gruppe hatte sich bald eine
Menschenmenge gedrängt, die ganz ver
wundert die Vorgänge betrachtete und
sie noch nicht begreifen konnte. Der
vornehm gekleidete Herr sollte der arme
Feraldi Antonio sein, den alle gekannt
hatten und der vor Jahren ausgewan
dert und von dem dann die Kunde ge
kommen war, daß er gestorben sei.
Der Bürgermeister hatte es allen so ge
sagt und die arme Assunta, die von
ihrem Manne, so lange er am Leben
war. eine tleine Unterstützung erhalten
hatte, war seitdem zur Bettlerin herab
gesunken.
Es war wohl Antonio sie kannte»
ihn jetzt alle wieder, denn die Italiener
haben ein vorzügliches Gedächtniß sür
Gesichter, und doch wie war das
alles möglich, daß der Todtgeglaubte
plötzlich hier wieder erschien und noch
dazu als vornehmer Herr und in Be
gleitung einer Dame, deren ganzes
Aeußere verrieth, da>- sie sehr reich sei»
müsse, denn all die großen Brillante»
in ihrem Ohr und an ihrem Busen
mußten einen Werth von vielen Tau
senden haben, so blendend und prächtig
funkelten sie in der Sonne.
Ein Murmeln des Erstaunens ging
durch die Menge; aber man wagte sich
noch nicht mit wettern Fragen an das
so seltsam wieder vereinte Ehepaar her
an.
Nur auf die Frau im Wagen schien
der ganze Austritt keinen tiesen Ein
druck zu machen: anfangs hatten die
grauen Augen der Anierilanerin etwas
erstaunt das wunderliche Benehmen
ihres Mannes beobachtet. War er denn
närrisch geworden, daß er plötzlich ans
dem Wagen sprang und eine Bettlerin
in die Arme schloß?!
Allmählich wurde ihr der Vorgang
doch klar, obwohl sie kein Wort von den
Sprechenden verstand: aber der Name
Assunta schlug an ihr Ohr und aus der
ungeheuren Bestürzung und dem dar
auf folgenden Jubel der Beiden konnte
sie wohl entnehmen, daß ihr Mann hier
wider alles Erwarten feine erste, als
tidt angesagte Frau wiedergefunden
habe.
In ihrem praktischen Sinne zergrü
belte sich die Amerikanerin nicht weiter
den Kops darüber, wie dies möglich ge
worden sei, sondern sie suchte nur rasch
ihren Entschluß zu fassen. Ein Mann,
der ihr die Kränkung zufügen und von
ihrer Seite hinweg sich in die Arme
dieses zerlumpten GeschöpseS werfen
und dann die schmutzige Kleine jubelnd
an seine Brust ziehen tonnte, niit dein
war sie sertjg. der verdiente nicht eine
reiche, vornehme Dame zur Fran, der
mußte mit dem elende» Bettclvolk wei
ter leben, zu dem er gehörte. Er ver
diente einen Fußtritt, nichts weiter,
und sie empfand es wie ein Glück, daß
sie aus diese wunderliche Weise einen
Mann IoS wurde,, der ihr heute gerade
zu widerwärtig und unerträglich gewor
den war.
Als sich nun der Italiener plötzlich
seiner zweiten Frau erinnerte und ihr
nun doch etwas verlegen erzählen
wollte, in welche Verwirrung cr durch
die Schlechtigkeit des Sindaco gerathen
sei, sagte die Amerikanerin mit eine
abweisenden Handbewegung:
Schon gut, du hast deine todtgesagle
Frau wiedergesundeil und ich sehe ja.
wie glücklich du darüber bist. Ich will
dich weiter nicht stören, behalte die
10,000 Franken, die du in deiner Tasche
hast sie werden für euch Lumpcnvolk
genügen und sage dein Kutscher, daj>
cr sofort umkehrt!
Und als Antonio jetzt mit der ganzen
Beredtsamkeit des Italieners sich ent
schuldigen und vertheidigen wollte, ent-
sie kühl:
Verlier weiter keine Worte, und all
ihre italienischen Sprachkennlnissc zu
sammenraffend, wandte sie sich scharf
befehlend zu dem Kutscher: t!oc!liisrs.
ihrem Gatten noch einen Blick zu schen
ken, fuhr sie den Weg zurück, de» sie
eben gekommen war, und aus ihrem
Antlitze zeigte sich auch nicht die leiseste
Spur von Erregung.
Wer war die Frau? fragte setzt As
sunta und schaute nun der Fremden
mit einem Blicke nach, der verrieth,
daß sie sich bereits im Stillen dies»
Frage beantwortet hatte.
Ich werde dir alles sagen, Assunta —
aber erkläre mir nur zuerst, wer dir
mitgetheilt hat, daß ich gestorben sei.
Der Sindaco gab mir es wird
letzt ein Jahr zehn Lire und sagte
dabei: das ist das letzte Geld, das ich
Ihnen bringe; der arme Antonio ist
leider drüben am gelben Fieber gestor
ben und das ist alles, was cr Ihnen
interlassen hat. Vor Schmerz und
Ausregung bin ich schwer erkrankt und
dann sie vollendete nicht und blickte
traurig auf ihre Lumpen herab, die ja
alles sagten.
Und mir schrieb rr, eben um dieselbe
Zeit, daß du gestorben seiest nnd er
schickte mir einen Todtenschein, de>
nichtswürdige Halunke!
Du hattest alle Vierteljahre 10 Fran
ken an den Sindaco geschickt: es war
nicht viel: aber ich war dir doch dankba'
und....
Ah, der Schurke! Nun begreife ich
illes! schrie Antonio und ballte wüthend
die Fäuste. Du sagtest 10 Franken!
ich habe dir jedesmal IVO Franken ge
schickt und zuletzt 1000 Franken, damit
du mit der Kleinen und deinem jüngern
Bruder nach Amerika nachkommen
konntest, und der Schuft hat das schöne
Geld in seine Tasche gleiten lassen, und
damit sein Betrug niemals an den Tag
koinmeii sollte, uns beide schon bei un
sern Lebzeiten in das Jenseits spedirt!
Das war freilich bequem! Wo ist der
Hallunke, daß ich ihm den Hals um
drehe?! Wo ist der Sindaco?! wandte
er sich zornig fragend an die Menge, die
nun schon mit allen möglichen Aus
rufen die Unterhaltung der beiden Eb»-
leute begleitet hatte. ,
Ja, wo ist der Sindaoo?!
Niemand weiß es, antworteten meh
rere fast zu gleicher Zeit. Er ist vor
sechs Monaten ausgewandert, man
sagt, nach Brasilien, und er wird wohl
nicht wiederkommen, dcikn es hat sich
hinterher herausgestellt, daß der ehren
werthe Herr ggr viele betrogen hat.
Antonio Feraldi trug dem entflohe
nen Bürgermeister seinen Schurken
streich nicht weiter nach; er mnßte sich
sage», daß er ohne die Spiegelfechterei
des schlaue» Patrons gar nicht mehr
das Glück wicdergesunden hätte, daß
ihm jetzt von neuen« zuthcil wurde; dem
Schurken, der ihn hinterrücks und mit
dem gefälschten Todtenschei» Assuntas
zum Wittwer gemacht, hatte er es dach
allein zu danken, daß er die reiche Ame
rikanerin heirathen gekonnt, denn aus
eigener Kraft hatte er sich wohl „drü
ben" niemals wieder emporzuarbeiten
vermocht, nachdem ihn eine einzige ver
fehlte Spekulation in den Abgrund ge
schleudert. Nun war alles viel hüb
scher gekommen, als er zu träumen ge
wagt. das harte Joch, das ihn, seine
zweite Gemahlin auserlegt, war ihm
doch zuweilen schon recht drückend ge
worden; die reiche, verwöhnte Aineri
lanerin hatte ihn ihre Herrschaft zu sehr
fühlen lassen und im Stillen war er
schon oft empört darüber gewesen: aber
cr hatte die Tyrannei weiter ertragen,
weil er nicht gewußt, was cr beginnen
solle, wenn seine Gattin plötzlich die
Laune angewandelt wäre, ihn wie ein
Spielzeug, dessen man müde geworden,
beiseite zu Wersen und er kannte
seine holde Mary, sie verstand in all'
solchen Dingen wcnig Spaß und ging
stets turz und entschieden auf ihr Zie'
los.
Nun war er wieder frei;—seine
liebe, einzige Assunta, deren theures
Bild niemals in seinem Herzen erloschen
war. halte er wiedergefunden: sie allein
paßte für ihn und er für sie, und er
tam sich vor wie ein Fisch, der nach
langer Irrfahrt in das für ihn allein
geeignete und für sein Leben nothwen
dige Gewässer zurückversetzt worden.
Die zehntausend Franken, die ihm
die Amerikanerin überlassen hatte,
reichten für Antonio Feraldi hin, ihn
hier in der Heimath zum reichen Manne
zu machen; er tonnte sich damit ein
hübsches Bcsitzthum kaufen und mit den
Seinen im goldenen Sonnenschein da»
Dasein nach Herzenslust genießen. An
tonio lebte mit sciner wiedergcsnndencn
AsDiita glücklich und zusriedcn, die
reiche Amerikanerin war bald vergessen
und sie blieb auch sür ihn ans immer
verschollen.
Eine Pariser Nachtcafescelie.
Ein sehr amüsantes Abenteuer
spielte sich jüngst in einem großen pari
ser Nachtcase ab. Es war zwei Uhr
Morgens, die Stunde, zu der sämmt
liche Kaffeehäuser geschloffen werden
müssen; zwei Polizisten bemerkten, daß
in dem bcwußtcn Nachtcafe noch Licht
brenne und traten ein, um den Wirth
zur Rede zu stellen und ein Protokoll
aufzunehmen, der Wirth fetzte den bei
den gewissenhaste» Polizciagenlen jedoch
auseinander, daß er sich nur noch mit
einer seiner Kellnerinnen ein wenig ge
zankt habe und nachdem es den Gar
dicns gelungen war, zwischen den strei
tende» Parteien Frieden zu stisten, er
klärte er sich bereit, eine „VersöhnungS
runde" zum Besten zu geben.
Die Polizisten ließen sich den Ab
sinthliqueur wohl schmecken, aber kaum
wäre» die Gläser gclccrt, als man von
draußen an dic Thür des KaffcehauseS
klopste. „Das ist der Unter-Briga
dier!" riefen dic Gardiens zü gleicher
Zeit, „schnell, verbergen wir uns!"
„Schlüpft nur hier in das Kellerloch
hinein, dann wird er Euch nicht sehen."
sagte der Wirth, und die Polizeiagen
ten versteckten sich wirklich im Keller.
ES war in der That der die'Ronde
machende Unter-Brigadier, dem gleich
falls das Licht im Kaffeehause ausge
sallen war und der jetzt, nachdem er sich
überzeugt hatte, daß sich kein Gast mehr
im Saale besünde, sich bereit erklärte,
einen kleine» Imbiß zu sich zu nehme».
Eben wollte er das Local wieder ver
lassen. als man zum dritte» Mal an
die Thür schlug und zwar so heftig,
daß der ganze Schanktisch in's Wanken
gerieth. „Ich wette, daß es der Bri
gadier ist," murmelte schreckensbleich der
llnter-Brigadier; „er darf mich hier
nicht sindeii."
Da der Keller bereits besetzt war. war
»er Wirth in großer Verlegenheit; er
wußte nicht, wohin er den dicken Unter-
Brigadier schaffen sollte, und draußen
schrie der Brigadier fortwährend mit
gellender Stimme sein bedrohliches
„Ouvrg? äooo!" durch die Nacht. End
lich hatte der schlaue Wirth Rath gr
ünden und brachte den Unter-Brigadier
.n einem hinter dem Osen befindlichen
Berschlag unter, in dem außer einigen
Centner Kohlen ein großer Kater lag.
der sich mit den« würdigen Beamten in
einen ungleichen Kampf einließ und
ihm einige schmerzende Kratzwunden
beibrachte. Unterdeß war der Briga
dier in das Locol eingetreten, undilach'
dem er sich eingehend über die Bedeu
tung des verdächtigen Lichtscheines halte
unterrichten lassen, bestellte cr ein Paar
Würstchen mit Sauerkraut (Lliou
orolits), „ich sterbe vor Hunger!" fügte
r hinzu.
Während der Wirth stöhnend und
seufzend die Würstchen kochte, knüpste
der alte Brigadier mit der jungen Kell
nerin. die zu dieser ganzen Lustspiel
secne die Veranlassung gegeben hatte,
ein zartes Verhältniß an, versicherte sie
der Gunst der Polizei, lud sie zum
Sitze» und Mittrinken ein und „tno
belte" später mit dem Wirth die ganze
Zeche aus, der Wirth verlor natürlich
pflichtschuldigst
Es mochte so gegen vier Uhr Mor
gens sein, als sich der Brigadier „schwer
beladen" aber leichte Liedchen vor sich
hinträllernd, entfernte; während der
ganzen Zeit hatten seine Untergebenen
natürlich nicht zu mucksen gewagt. Als
der Höchstcommandirende zur großen
Besriedigung des Wirthes verdustet
war, wurde erst der arme Unter-Briga
dier gerufen, der lendenlahm, zerjchun
den und mit pechschwarzem Gesicht aus
seinen, Versteck hervortroch. Als man
dann aber die beiden Polizeiagenlen
aus dem Keller holen wollte, fand man
sie schlafend und schnarchend neben
einem großen Faß Rothwein. Sie
hatte» nämlich, da ihnen der Anseilt
halt im Keller zu langweilig geworden
war, eine sidele Zecherei veraiistaltct
und dem Wirth für fünfzehn Francs
Bordeaux ausgetrunlen.
In dem kleinen fran»
Mschen Stadlchen Pontarlier war
kürzlich eine Schanspielerlruppe ange
langt, die mit der „Belagerung Trojas
durch die—Argonauten" den feierlich
verheißenen „Cyklus von Vorstellun
gen" begann. Schon sind zwei Acte
überstanden, der Vorhang hebt sich
'abermals: Ein Krieger tritt ans oder
vielmehr strauchelt schwer bezecht auf
die Bühne! Unverständliche Worte lallt
er von der Eroberung Troja - und der
schönen Helena, dann sinkt er schwer
aus den Thron, lüftet seinen Helm, um
sich den Angstschweiß von der Stirne zu
wischen, und sagt ganz gelassen zum
erstaunten Publikum: „Ja. meine Da
men und Herren, ich bin bezecht! Aber
bevor Sie mich auszischen, warten Sie
gefälligst» bis dsr König Agamemnon
austritt, der hat sich noch einen ganz
anderen angesäuselt!" Man stelle sich
den Sturm der Heiterkeit und Ent
rüstung im Zuschauerraum vor! Ter
bckneiple Kommödiant erhebt sich da
rauf von seinem Thron«, um zu flüch
ten, macht jedoch einen gehltritt und
fliegt, init dem Kopse zuerst, in den
Soussleurkastcn hinein! Schleunigst
fiel nun der Vorhang und die ..Be
lagerung von Troja" wnrde „aus
gehoben".
„Gleich!" „Wollen Sie
gleich zu Mittag essen oder erst spa
ter?" „Lieber gleich. Herr Oberkell-
ner!"— „Wie Sie befehlen! Nur müf- °
sen Sie dann noch eine Viertelstunde
warten."
UebleAolgen der »»wohnt»««.
Meine kleine Geschichte spielt m
einen, entlegenen Winkel unseres lieber»
Vaterlandes, das bemerke ich gleich im
Voraus. Und zwar in einen, solchen,
wo es noch Landposten gibt, richtige,
wirkliche Landposten mit zerbrochenen
Wagenrädern und schnapstrinkenden
Postilloncn.
Der alte Herr Kiclmann aber, ich
meine den von der Firma Schubert,
K'elman» 6 Sohn, liebte solche Gegen
den, denn er hatte in seinem großen
Hambnrger Exportgeschäft das ganze
Jahr hindurch Trubel und Lärm ge
nug; deshalb suchte cr im hohen Som
mer gern derartige weltfremde Punkte
aus, wo die Menschen noch vyn dicker
Milch und Schafkäse leben und man
den Schau», eines frischen Glases Bier
für ein Weltwunder hält.
So hatte er denn auch Heuer wieder
ein Städtchen in's Auge gefaßt, welches
nur aus dem Wege der holprigsten
"Landpost zu erreichen, auf der Land
karte nur mit Hilfe eines scharfen
Mikroskops zu cntdeckcn war und hart
an der Grenze der hentigen Cultur lag.
Aber das schadete nichts. Kiclmann
ging frohen Muthes auf die Post,
schrieb sich daselbst slolt als Passagier
cin, zahlte dafür ohne Murre» den ge
forderten Preis von 22 Mark »nd 50
Pfennige, niid saß wenige Minuten
spatcr in cincm alten, gelben R mpel
tasteii. in welchem sich außer seiner
herkulische» Hamburger Gestalt von
beinahe AOO Psund nur noch ein
ganz kleines hageres Mämichrn befand,
das ihn somit weiter nicht besonders
genirie.
Gleichzeitig halte cr aus der Post aber
auch noch cin blankes Markstück depo
iiirt, mit der Bitte, dafür sosort in
dem besprochenen Städtchen ein einfa
ches Hotelzimmer und ein gutes Diner
zu bestellen in soviel Worten, als man
eben für eine Mark beim Telegraphen
erhält.
>wo saß er denn nun also seclenver
gniigt in der schwerfällige» alten, gel
ben Kuifche, und da Kielmann trotz sei
ner Corpuleiiz cin sehr gesprächiger Herr
war, so fing cr alsbald mit dem Un
glückwurm ihm gegenüber eine Unter
haltung an:
„Ist wohl eine recht tüchtige Strecke,
die wir heute in diesem Prachtsuhrwcrk
mit einander zurücklegen müssen, nicht
wahr? Wie lange dauert denn die
Fahrt?"
„Oh. nur fünf Stunden!" meinte der
Kleine bescheiden.
„Was? Das ist ja rein unmöglich!'
Es kostet doch so schweres Geld!"
„Ja. sreilich,'das thut es wohl, aber
der Weg ist auch sehr schlecht!"
„Hm! Recht angenehme Perspektive!
Doch scheint mir der Preis sür sünf
Stunden dennoch etwas sehr hoch ge
griffen von der guten Postverwal
tung."
„„Gewiß, das sage ich auch immer.
Ich muß dcn Wcg nämlich häufig ma
chen und 7 Mark 50 Pfennige sind eine
Masse Geld!"
Kielmann horchte hoch auf. „Was?
Sieben Mark sünszig," wiederholte er
in Buchstaben, „das wäre ja gar nichts.
Ich habe zweinndzwanzig Mark, auch
fünfzig Pfennige bezahlen müssen, also
netto dreimal so viel!" '
„„Unmöglich!"" ries der kleine Reise
genossc ganz erschrocken rein'unmög
lich! Oder,"" fügte cr bedächtig hinzu,
„„die hohe Postverwaltung hat neuer
dings eine andere Taxe nach dem Ge
wicht eingeführt!""
„Unsinn, mein bester Herr, solche
haarsträubende Ungerechtigkeit w.ne ja
ganz undenkbar!"
Und so dedattirten sie denn die
sämmtlichen sünf Stunden über dieses
Thema, zerbrachen sich die Köpse über
diese unglaubliche Preisdifferenz nnd
kamen schließlich körperlich und geistig
ganz zerrüttet im Stadtchen an.
Wie erstaunte aber unser braver
Kiclmann, als cr dort bereits von dem
höflichsten aller Gastwirlhe n«t cincm
tiesen Bückling empfangen und in der
licbcnswürdigstc» Wcise gefragt wurde,
wo denn die beiden andere» Herren
seien? Das Zimmer mit drei Betten
ist bereits hergerichtet »nd auch das Di
ner sur Drei Personen auf das Beste
servirt.
Er wäre bald auf den Rücken ge
' fallen. Am ander» Tage stellte sich
allerdings der Irrthum heraus: ,stiel
man» hatte nach alter Kausinannsge
wohiiheit i» das Postbuch eingetragen:
Schubert, 'stielmann Sohn!
wroß« Männer.
Einige bcdeutendcndt Männer sind
aus den niedrigsten Bollstlassen
hervorgegangen. Watt war der Sohn
, eines SchiffZziinmerckanneS, Franklin
; eines Seisensicdcrs, Laplace eines Pach
! ters, Limite eines arme» Pfarrers,
! Farads« eines Hufschmieds, Lamarck
, eines Schreibers, Fraunhofer eines
Glasers, staut eines Sattlers.
son war Kohlenarbeiter, Davy Apothe
kergehilsc, Livingstone Fabriksarbeiter:
Galilei, stepler, Euvier, W. Herschel
waren armer Eltern
u. s. w. '
Gedankensplitter.
Die Conscqncnz. wir loben sie.
Doch soll man nicht zuweit sie treiben,
Und wenn Man dumm ist, soll man
nie
Aus Consequcn» ein Kiel bleiben.
Eine neue Krankheit.
Ein Bauer erhält von seinem Sohne,
welcher aus der Wanderschast ist, einen
Bries, Rasch öffnet cr ihn und liest
laut seiner Frau vor. was Hannes
schreibt: „Liebe Eltern, ich liege hier
in, straiitenhause zu Halle an der
Saale sehr trank, sendet mir etwas
Geld,,, — „Na, sichste Frau, was
mer heil zu Tag net all ver neie Krank
- heite hat, die „Saale" hat mer in frü
here Zeit all net gekannt!" ruft er er-
staunt aus.