Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, November 18, 1892, Page 3, Image 3

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    HiMli Daran.
Fortsetzung.)
„Ah!" rief Leonhard aufspringend,
..wie kam es. sag' mir die ganze Wahr
heit. schone mich nicht, ich kann es er
tragen, mein Herz wird nicht leiden;
denn, mein Vater ich muß Dir in der
ersten Stunde unseres Wiedersehens be
kennen, ich habe aufgehört, sie zu lie
ben."
„O, mein Sohn, wie habe ich Dich
bedauert, daß Du an sie gebunden bist,
und doch ach! — ich weiß kein Ende die
ses Wirrnisses, aber das erfährst Du
noch früh genug, erst erzähle Du mir.
löse mir das Räthsel, wie kam es, daß
Du in der Liste der Todten standest, die
in Paris starben?"
,Das wäre eine häßliche Geschichte,
wenn nicht ein Engel der Liebe alles
darin verschönte. Du weißt, daß ich
schwer verwundet nach Paris gebracht
wurde, alle Spitäler waren mit Fran
zosen übersüllt. Eine Menge Staats-
und Privatgebände waren geöffnet, um
die Verwundeten unterzubringen. Mich
brachte man in das Palais der Gräsin
Daron, die Gräsin pflegte mich eigen
händig. Ach, mein Vater, ich sah in
ihre Äugen sah da einen Himmel der
Liebe, der Güte. Sie übte einen Zau
ber aus mich ans, dem ich mich willig
unterivars und doch stand der Tod
hart vor mir. Als ich so schwer leidend
war, als ich fühlte, daß das Ende sich
rasch nähere, da trat die Erinnerung
an Sieglinde gänzlich in den Hinter
grund. Ich klammerte mich mit dem
letzten LebenSmuth nur an das lichle
Bild der Gräfin Eecile. War sie bei
mir, da empsand ich keinen Schmerz,
da wich die Todesahnung ans meinem
Geiste. Ruhe, holder Friede war in
mir, wenn sie in meiner Nähe weilte,
wenn sich ihre zarte, tühle Hand aus
meine brennende Stirn legte. Wenn
sich ihr Blick in den meinigen versenkte,
durchzog mich ein Wonnegefühl, wie ich
es früher nie empfunden, von dessen
Existenz ich überhaupt keine Ahnung
hatte. —Man halte mir deutlich genug
zu verstehen gegeben, daß mein Ende
nahe sei, nnd mich gesragt, ob ich nicht
in die Heimath zu meiner Familie
wollte. Ich hatte nur noch den einen
Wunsch, bleiben zu dürfen, um in
ihrer Nähe auzuathinen. Aber es sollte
anders, ganz anders kommen. Die
Gräsin erkrankte, und ihr Vetter hatte
nichts Eiligeres zn thnn, als mich aus
dem Hause seiner Verlobten fortzu
schaffen. Ich wußte nicht, wohin man
mich brachte, an eine Gegenwehr war
natürlich in meinem Znstande nicht zu
denken. An meinem neuen Bestim
mungsort erhielt ich wie im Palais der
Gräsin die anfinerlsnmftc Pflege, und
statt dem Tod in die Arme zn eilen,
genas ich zum Erstaunen Aller von
meinen gefährlichen Wunden. Ich ge
nas, aber ich war gefangen. Von der
Gräfin oder ihrem Vetter hörte ich kein
Wort. Ich wußte nicht, lebte sie oder
hatte sie die Krankheit hlnweggcrafft.
Ein Empfinden sagte mir, daß sie lebe,
und daß sie mich so wenig vergessen
tonnte wie ich sie. Mit der Zeit wnrde
mir meine Gesangenschaft lästig, ich
verlangte meine Freiheit. Da erst er
fuhr ich das Schreckliche. Ich war nicht
in einem gewöhnlichen Krankenhause,
sondern in einer Irrenanstalt, und der
Doctor, den ich zur Rechenschaft zog,
erklärte mir, daß wohl meine Wunde
geheilt aber mein Geist erkrankt sei,
daß ich wahnsinnig sei. Doch könne er
mir die tröstliche Versicherung geben,
daß ich bald genesen und aus der An
stalt entlassen würde. Was nützte mir
meili Protestiren? In mancher
Stunde gtanbte ich dem Manne; viel
leicht ist es Wahrheit, was er sagte,
dachte ich, nnd dann sagte ich mir, daß
ein anderer Beweggrund als meine gei
stige Erkrankung die Ursache meiner
Gcsangcnschaft sei. Ich errieth, daß
Gras Thionville mich unschädlich ma
chen wollte, so lange, bis er sich die
Hand seiner Eousine erschlichen haben
würde. Ich erinnerte mich seines haß
erfüllten Blickes, als man mich aus dem
Palais brachte. Was konnte ich thun?
Fremd, ohne Mittels ein verhaßter
Deutscher im Feindesland. In Geduld
ausharre», bis der Tag meiner Erlö
sung anbrache. Ich liat um Papier
und Tinte und schrieb an Euch und die
Gräsin; da aber niemals eine Aiitivort
kam, wußte ich bald, daß meine Briefe
von Doctor Simon gelesen und ver
nichtet wnrden. Dann bat ich um Bü
cher, welche ich sogleich und in größter
Auswahl erhielt. So verbrachte ich
deuu meine einsamen Tage in geistiger
Arbeit und wartete von einer Woche
auf die andere. Aber Monate und
Monale schwand:n dahin, ich blieb ge
fangen, vergessen. Das Frühjahr kam
und zauberte im Garten nnter meinem
Fenster Gras und Blüthe», ales
sproßle, hoffte und sonnte sich. Ich
sah die Unglücklichen, lebendig Todten
umherwandeln mit ihren schrecklich geist
losen Gesichtern und Augen. O, wie
die Sehnsucht in mir erwachte! Fort,
fort, hinaus zu ihr, an die ich Tag und
Nacht dachte. Endlich, endlich schlug
die Stunde meiner Befreiung. Eecile
kam, und zwar mit List, als Pflegerin
in die Anstalt. Sie hatte durch einen
Diener des Grafen Thionville erfahren,
wo ich sei. und erlöste mich. Jetzt erst
«rsuhr ich, daß ich todt ausgegeben war.
Nur das liebende Herz des Weibes
«hnte, daß ich »och auf Erden weile.
Als ich auf den Knien vor ihr lag und
sie bat, mir für ihr ganzes Leben an
»ugehören. da schüttelte sie sanft ihr
ernstes, liebes Haupt und sprach: „Nein,
Du bist gebunden kehre zurück, wenn
Tich Dein Weib liebt, dann müssen
wir geschieden bleiben. Sie ist jung,
ihre Schönheit wird Dich wieder an sie
fesseln." „Nein!" rief ich, „Du weißt,
daß ich Dich allein liebe, daß der Ge
danke an Sieglinde mich quält und pei
nigt." „Wenn sie Dich vergessen hat,
dann löse die Bande," sprach sie, ..denn
ohne Liebe würdet Ihr Euch nur un
glücklich machm."
. Es hals kein Bitten und keine Ver
zweiflung, ich mußte gehorchen. Nun
bin ich da. Und Gott sei Dank, Sieg
linde hat mich vergessen, sie liebt einen
andern. Wer ist er? Erst muß unsere
Trennung erfolgen, dann kann sie sich
nochmals trauen lassen. Schnell hat
sie sich in ihr Schicksal gefunden. Ich
möchte, ich darf ihr keinen Borwnr'
machen."
„Sieglinde ist ein eitles Weib, ohne
Herz, ohne Geist", sagte traurig der
Professor. Das Schlimmste aber, mein
armer Leonhard, weißt Du noch immer
nicht. Wenn ich Dir nicht schon längst
das Geheimniß enthüllt habe, so war
es. weil ich durch einen Schwur gebun
den bin. Nnn kann, nnn darf ich
mein Wort nicht länger mehr halten,
ich bin vervflichtet, es zu brechen, und
daß ich es bin, schmerzt mich tief. Da
mit Du es verstehst, muß ich Dir eine
traurige Geschichte erzählen, wie sie oft
im Leben vorkommen mag, die aber in
Dein eigenes Geschick eingreifen wird.
Du weißt, meine Eltern waren arm.
Ich war das jüngste der sechs Kinder
und den anderen ganz unähnlich.
Schon mein AenßereS wich bedeutend
von dem meiner Geschwister ab. die alle
schön, stark, gesnnd und blühend aus
sahen. Ich hingegen hatte bleiche,
kränkliche Gesichtsfarbe, Züge,
schmale Schultern, enge Brust. Wäh
rend meine Geschwister sich im Ueber
mnthe der Jugend herumbalgten, spiel
ten und lärmten, saß ich gewöhnlich
von ihnen abseits, las oder dachte an
ernste Dinge, an die sonst Kinder nicht
zu denken pflegen. Von zärtlicher
Liebe wurde ich auch in meiner Jugend
nicht verwöhnt. Der Vater achtete
überhaupt wenig auf uns. er arbeitete
vom frühen Morgen bis in die späte
Nacht in seiner Werkstatt, um seine
zahlreiche Familie ernähren zn können.
Und die Mutter ich glaube, meine
Häßlichkeit ärgerte sie, vielleicht schämte
sie sich meiner, denn sie war eine »»ge
wöhnlich schöne Frau, Meinen Ge
schwistern war ich zu langweilig, ich
wollte nie mit ihnen spielen und gab
mich nicht mit ihnen ab. So war ich
in der Familie recht Verlasjen nnd
traurig. Nur mein Onkel, der Bru
der meiner Multer, ein Landpfarrer,
schien Gefalle» an mir zn finden, denn
er zeigte mir Zuneigung und Freund
schaft und sorgte, daß ich später, als ich
heranwnchs, studieren durfte, statt ein
Gewerbe zu lernen, wie es meine Brü
der thaten. Ihm verdanke ich unend
lich viel.
Als ich mein vierundzwanzigfies
Jahr erreicht hatte, war ich eltern- und
geschwisterlos. Eine tückische Krank
heit raffte in einigen Jahren alle dahin,
denen ich blutsverwandt war. Und
kurz nachher starb auch mein Gönner,
der Pfarrer, der mir ein kleines Ver
mögen hinterließ. Zu meinein Glücke
bekam ich auch bald eine gule Anstel
lung.
Ich war ein junger Dozent und von
meinen Eollegen sehr geehrt, obgleich ich
so einsam wie möglich lebte und mich
von jeder Geselligkeit, von jedem nä
hern Verlehre mit meinen Siandesge
nossen sern hielt. Ich lebte gan; für
mich allein, nur für meinen Beruf, für
mein Studium. Eine bejahrte Diene
rin, die ich gleich nach meiner Anstel
lung nahm, sorgte für mein leibliches
Wohl. Ja, ich war nicht gesellig, nicht
liebenswürdig, nicht schön, trotzdem
fühlte ich so gut wie andere Menschen
auch, daß wir nicht geschaffen sind, al
lein zu sein ich sehnte mich nach
Liebe, aber Ich wagre nicht, mir eine
Gefährtin für das Leben zn suchen. Ich
war zn schüchtern, zu verzagt, scheu.
Ich fürchtete, mich lächerlich zn machen,
und suchte mein sehnsüchtiges Herz zu
bemeistern, das ungestüme Verlangen
nach Glück zn unterdrücken. Aber es
sollte auch meine Stunde schlagen.
Nach Jahren bekam ich einen sehr
ehrenden Rnf nach München. Wäh
rend der Ferien machte ich immer klei
nere oder größere Touren in das baye
rische Hochgebirge; bei diesen Wande
rungen entdeckte ich in einem wunderbar
schönen, wildromantisch?!! Thale ein
kleines Häuschen, das eben zu verkau
fen war. Solch ein Befitztlmm war
mir schon lange erwünscht, ich tonnte da
in Ruhe und Zurückgezogenhcit meine
Ferien verbringen, statt von einem
Orte zum andern zu eilen. Nachbar
schast war sehr wenig, außer einem
Dorfe, das eine halbe Stunde vom
Hauschen entfernt lag, war noch ein
prächtiger Herrensitz, ein großes, impo
santes Schloß da, welches dem Grafen
Zell-Bernastel gehörte. Ich ließ also
mein neues Heim nach meinem Ge
schmacke Herrichten und kehrte zum ersten
Mal in meinein Leben wieder so recht
vergnügt und zufrieden nach München
zurück. Ich hatte wie alle pedantischen
Menschen eine bestimmte Tageseinthei
lnng. Von zwei bis vier Uhr ging ich
täglich spazieren.
Da traf es sich einst, als ich gerade
in tiefsten Gedanken über ein eben - be
gonnenes Werk dahin schritt, daß ein
lauter, ängstlicher Schrei meine Auf
merksamkeit aus eine kleine Gruppe
lenkte. Ein junges Mädchen ging mit
zwei Kindern über die Straße, als ein
scheu gewordenes Pferd daher raste und
eines der Kinder nmgerannt hätte, wenn
sich nicht die Begleiterin der Kinder mit
eigener Lebensgefahr vorgestürzt und
so das Pferd zn einem Scitcnsatze ver
anlaßt hätte. Die Dame nnd das Kind
lagen am Boden, ich eilte hinzu, ihneu
beizustehen.
Die Kleine sprang sogleich wohl
behalten wieder auf, und auch die
junge Dame erhob sich mit meiner
Hilfe unbeschädigt wieder. Sie schlxg
die Angen zn mir auf und lachte
nicht! Da war es um meine Ruhe
geschehen. So schöne blaue Himmels
augen. so viel Unschuld und Reinheit
und so viel Dankbarkeit für den kleinen
Dienst, den ich ihr geleistet! Es war
das erste Frauenauge, das mit einem
solchen Ausdrucke in das meinige
blickte. Und was mich am meisten
wunderte, war, daß sich ihr seelenvolles
Auge nicht mit Abscheu von meinem
häßlichen Gesichte abwandte. Welch
ein Glücksgefühl durchrieselte meine
Nerven! Wie ein Schauder durchströmte
es mich, wenn ich an diesen Blick dachte.
Von dieser Stunde an hatte mein
Leben noch einen andern Zweck als das
Studium, als das AuSsühren meines
Berufs. Ich suchte ihr, die mich be
zaubert hatte, wieder LU begegnen, und
es gelang mir leicht. Sie ging mit
den Kindeln beinahe jeden Tag densel
ben Weg und zwar zur gleichen
Stunde, ich konnte sicher sein, sie zwi
schen zwei und drei Uhr in der Ludwig
stratze anzutreffen. Ich grüßte
und sie tankte. Schon dieser
stumme Tank, das cinmuthige Neigen
ihres kleinen Kopfes war sür mich eine
unnennbare Wonne. Wie gesagt, ich
war sehr schüchtern, deshalb getraute
ich mir nicht, sie anzusprechen, obschon
ich für mein Leben gern gcwnßt hätte,
wer sie sei. Ich ging ihr von ferne
nach und sah sie in ein großes elegan
tes Haus in der Nähe des Eiegesthores
eintreten. Die Mutter der kleinen
Mädchen war sie nicht, dazu erschien sie
mir viel zu jung, und dann bemerkte
ich auch, daß der Portier sie nicht ehrer
bietig genug grüßte. Sie ist die Gou
vernante, dachte ich. Das Hans ge
hört dem Grafen Zell-Bernastel, ich las
es im Avreßbnche. Beim Lesen dieses
Namens wnrde mir ganz anders im
Kopfe. Mein Gott! Das ist ja der
Besitzer von Beilried, dem großen
Schlosse in der Nähe meines kleine»
Häuschens. Welch ein Glück, wenn ich
sie anch im Sommer auf ihren Spa
ziergängen sehen könnte! Meine Wonne
dauerte aber nicht lange. Einmal sah
ich sie nicht allein mit den Kindern die
Ludwigstraße heraufkommen, sondern
ein hochgewachsener, eleganter Herr in
Uniform ging an ihrer Seite. Wer
konnte das wohl sein? Vielleicht der
Vater der kleinen Mädchen, dachte ich.
Er schien aber ebenso entzückt, über das
zarte, schöne Gesicht der Erzieherin wie
ich, denn er beugte sich mit unverhoh
lener Bewunderung zu ihr nieder und
sprach sehr eindringlich mit ihr. Sein
Auge strahlte. Mich erfaßte ein
furchtbarer Grimm, die Wuth raubte
mir beinahe den Athem. Dann kain
ein namenloser "schreck über mich. Ich
folgte ihnen in der Ferne. Sie gin
gen bis zum Dnlkplatze und wieder zu
rück in das Palais, in das auch er ein
trat. Zum erstenmal überwand ich
meine angeborene Scheu und fragte
den Portier, wer jener Herr fei, der
mit den Kindern gegangen fei. Er sah
mich erstaunt über meine Keckheit an
nnd sagte: „Das ist der Bruder unsere''
Gräfin."
Er blieb ihr also immer nahe, wäh
rend ich ihr so ferne war. Sie kam
mir unerreichbar vor, dennoch sann ich
nach, ob es nicht klüger wäre, ich ginge
direct zur Gräfin und hielte um die
Hand der Gouvernante ihrer Kinder
an. Aber innßte sie mich nicht für
einen eitlen, lächerlichen Narren hallen,
da ich nicht einmal den Namen meiner
Angebeteten wnßte und das Fräulein
mich gar nicht kannte? Vielleicht könnte
ich sie mir doch erringe», dachte ich,
de»» ich bin in der Lage, ihr eine ange
nehme, sorgenfreieHäuslichkeit bieten z»
können, aber meine angeborene Zag
haftigkeit hielt mich immer davon ab.
So schwand der Winter und das
Frühjahr dahin. Eines Abends ging
ich wie alle Tage vor dem Palais des
Grasen Zell-Bernastel gnf und ab, da
kam sie in Mantel und Kapuze heraus.
Wie mir das Herz klopfte schon war
ich im Begriff, aus sie zuzugehen, sie
anzusprechen, allein der Diener, welcher
hinter ihr mit einem Opernglas schritt,
hielt mich wieder ad. Sie ging ins
Theater, ich that es natürlich anch. Ich
nahm eine» Platz, von dem aus ich alle
Logen übersehen konnte. Ich hatte sie
bald entdeckt, sie saß in der zweiten
Reihe, erst ganz allein, nach dem
dritten Akte da kam er, den ich wie
einen bittersten Todseind glühend haßie!
Vor dem Ende erhob er sich und ver
abschiedete sich von ihr, so kam c» mir
wenigstens vor. Schon athmete ich er
leichtert auf. Ich war jetzt fest ent
schlossen, so unpassend es anch sein
»lochte, sie anzusprechen, ihr meine
Liebe zu erklären und ihr meine
anzubieten.
Ich eilte an die Ausgangsthnre, wo
sie vorbei mußte. Da stand auch schon
ihr Diener und wartete auf sie. Ich
stellte mich neben ihn und sah z» mei
ner peinlichen Ueberraschung auch den
Bruder der Gräfin herankoinnien, der
dem Diener einige Worte sagte, worauf
dieser sich ties verbeugte und sich ent
sernte. Er wollte das Mädchen also
allein nach Hause bringen. Ich ballte
die Faust, mir mit Mühe hielt ich an
mich, nicht aus ihn zu stürzen und ihn
nieder zn schlagen. Und dann kam sie.
Unter der Menge sah ich sie schon von
weitem, ihr zartes, weißes Gesichtche»
leuchtete förmlich unter der hellen
Kapuze hervor. Als sie ihm näher
kam, gewahrte ich ihr tiefes Erröthe»,
und ach! den erfreute» Blick ihres see
lenvollen Auges. Ich fühlte es an
diesem Blicke, daß ich sie verloren, daß
ich häßlicher Pedant zu spät kam.
Sie liebte ihn ich wußte es.
To! r ttirig und bittere Verzweiflung im
Herzc» schlich ich ihnen »ach. Sie
gingen sehr langsam, manchmal blie
ben sie stehen, er schien sehr eindring
lich mit ihr zu spreche». Ach, wie end
los lang mir die Ludwigstraße vorkam,
in dieser Nacht! Einige Schritte vor
dem Palais beugte er sich, küßte ihre
Hand und keyrte durch das Siegeslhor
in die Stadt zurück. Ich wartete, bis
sie in das Palais eintrat, bis das
Thor sich hinter ihr geschlossen hatte.
Mir war, als hätte ich eben mein Lieb
stes. mein Einziges auf Erden begra
ben. Ich kam nun nicht mehr, sie zu
feheu, den» ihr Anblick that mir un
sagbar weh. Mit aller Kraft suchte
ich ihr holdes Bild aus meinem Herze»
zu reißen. Beinahe reute mich jetzt der
Ankauf meines Häuschens, weil es so
in der Nähe der gräflichen Besitzung
lag. Vielleicht aber kam sie gar nicht
nach Veilried, vielleicht führte der junge,
stolze Herr fein Weibdenndaßer dashol
deste aller Geschöpfe zu seiner Gemah
lin »lache» würde, schien mir zweifellos
weit hinweg aus dieser einsamen Ge
gend.
Schon im Mai zog ich in mein Häus
chen, wo ich beabsichtigte, ein größeres
Werk über die Aesthetik zu schreiben.
Meine Ruhe sollte nicht von langer
Dauer fein; denn im Juni kam die
Herrschast nach Veilried und bald sah
ich sie wieder täglich wie in der Stadt
die kleinen Mädchen spazieren führen.
Wir begegneten uns sehr oft, und ich
konnte nicht umhin, sie so ehrerbietig
wie sonst zu grüßen. Sie dankte mir
mit demselben holdseligen Lächeln, aus
dem ich entnahm, daß sie mein häßliches
Gesicht noch in Erinnerung hatte.
Manchmal auch führte er sie am Arme,
und ich konnte wohl kaum im Zweisel
sein, daß es ein glückliches Brautpaar
w«r. Statt Ruhe in meinem stillen
Heim zu haben, war jetzt Jammer und
Qual bei mir eingekehrt. Ich litt
an rasender Eifersucht. Ich tonnte
mir nicht helfen, konnte die unselige
Leidenschaft zu dem Mädchen nicht be
siegen. Meine alte Haushälterin, eine
treue, mir ergebene Person, die ein
zigx auf der weiten Welt, die Antheil
an meinem Leiden nahm, glaubte mich
körperlich krank und quälte mich mit
steten Fragen. Sie wollte durchaus,
daß ich einen Arzt consultire, bis ich sie
einmal in meinem Zorn tüchtig an
snhr Und mir alle weiteren Fragen
verbot.
Ich schloß das Häuschen und kehrte
in die Stadt zurück. Auch die Herr
schast kam Ende September wieder nach
München. Nnn begegnete ich wieder
oft meiner Angebeteten und zwar meist
mit ihrem vermeintlichen Verlobten.
Mein elender Znstand blieb derselbe,
ich kann nicht mit Worten ausdrücken,
was ich damals litt.
So verging der Winter, und im
Frühjahr war ich wieder in mein stilles
Häubchen zurückgekehrt, sest entschlosjen.
diesmal auszuhalten und nicht zu wei
chen; denn meinen Jammer nahm ich
ja doch überall mit. Die Schloßbe
sitzer kamen auch dieses Jahr wieder im
Jnni, und der Bruder der Gräfin war
wieder der fiele Begleiter des Fräu
leins. Ich suchte dem Paare aus dem
Wege zu gehen, Ivo ich nur konnte, aber
es schien, als ol> der Himmel es be
stimmt hatte, daß ich ihnen überall be
gegne» mußte. Ich warf verstohlene
Blicke anf das Fräulein und fand sie
bleich und traurig aussehend, und in
letzter Zeit war der Onkel der Kinder
auch nicht mehr der stete Begleiter wie
sonst.
Manchmal, wenn ich die Gouver--
nante mit den beiden Mädchen allein
gehen sah, überkam mich eine unnenn
bare Wonne, nnd meine eingesargten
Glücksträumedrangten aus ihrem Grabe
heraus.
Etwa eine halbe Stunde von mei
nem Häu-chen entfernt befand sich in
einem Walde von alten Tannen nlid
Eichen umgeben ein großer Weiher, der
ein ernstes, düsteres Bild bot. Ich
liebte das ruhige, schwarzgrüne Wasser:
denn hier war immer tiefe, feierliche
Ruhe, so daß ich kft stniidenlang unter
einem der großen Bäume saß und init
wachen Augen träumte. Es war eines
Tages in der ersten Hälfte des Sep
tembers, als sich ein furchtbares Wetter
am Himmel zusammenballte, das sich
Abends mit aller Gewalt über uns ent
leerte. Nachdem es vorüber war, ging
ich in mein kleines Gärtchen, um nach
zusehen, welchen Schaden das Wetter
wohl angerichtet habe. Da sah es
allerdings übel genug aus. Ich ge
dachte mich frühzeitig , niederznlegcn,
aber eine peinliche innere Unruhe hielt
mich davon ab. Ich schrieb den auf
geregten Zustand der Nachwirkung des
Wetters zu nnd öffnete das Fenster,
um die würzige Luft hereinströmen zn
lassen. Der frische, harzige Waldduft
erquickte mich, zndem war der Himmel
jetzt rein und wolkenlos, und der Mond
warf fein Helles, bleiches Licht über die
Erde. Ich entschloß mich, noch einen
kleinen Gang ins Freie zu machen.
Es mochle ungefähr zehn Uhr sein, als
ich von der Straße abbog und in den
Wald ging, in dem ein von der Herr
schaft unterhaltener schöner Pfad bis
zn dem Weiher siihrte. Diesen schlug
ich ein. Das Mondlicht siel über das
Wasser, so daß es wie eine Masse flüs
sig gewordenen Silbers anssah, das
unter den dunklen Bäumen flimmernd
schimmerte. Man sah nichts als Him
mel, Mond und Sterne, die silber
glänzende Wasserfläche und die dunklen
llinrisfe der mächtigen Bäume. Unter
einem derselben war ein kleines Bänk
chen angebracht. Auf dieses setzte ich
mich, stützte mein Haupt in die Hand
und sann über mein vcrgangenes'Lcbcn
nach. Ach. einmal nur hatte ich einen
zlühend heißen Wunsch, der mein gan
zes Sein auSsüllte; nur einmal hatte
ich geliebt, spät zwar, aber ach! mit
welch' hingebender, verzweifelnder Lei
denschast! Was war mir jetzt noch das
Leben werth, nachdem sie mir so un
erreichbar geworden? Ob es nickt
kluger wäre, ich bettete mein heißes
herz mit seiner trostlosen Sehnsucht
im Grnnde dieses stillen, unbeweglichen
Wassers? Ach. nur ruhen —nicht mehr
zcnken, nicht mehr leiden! Wer würde
mich vermissen? wer mir nachjam
mern? wer eine Thräne um mich ver
ziehen? Ach, so allein, so ungeliebt,
wie ich bin!
Ich hab das Hanpt, um nach dem
sternenfunkelnden Himmel zu schauen,
za stockte mein Herzschlag. Was ist
aas? Träumte ich? oder ist es die
Lifion des Wahnsinns? Dort unweit
oon mir stand vom hellen Mondlicht
umflossen, eine Gestalt, sie trat vor bis
>um User des Wassers. Allmächtiger!
ich sah das unvergeßliche, gelieble Ant
litz. bleich wie das einer Todten, sah
ihre Angen auf das Wasser starren.
Ein schwerer, banger Seufzer, wie der.
welcher sich mit letzter Anstrengung aus
der gemarterten Brust eines Sterben
den ringt, kam von ihren Lippen. Ich
konnte mich nicht bewegen vor staunen
dem Schrecken. —Was war meinem
armen, theueren Liebling geschehen,
daß sie allein in der Nacht hierher flüch
tete und so todtgierig auf das Wasjer
sah? Plötzlich war mir alles klar er,
den ich haßte, trieb sie hierher. Ich
wollte aufspringen, da plätscherte gur
gelnd das Waiscr sie war.verschwun
den.
Silberne Wasserringe dehnten sich
weiter und weiter aus.' Und ich saß
noch immer wie gelähmt, wie in einem
wüsten, schweren Traum, war unfähig
mich zu erheben. Ein Schrei entrang
sich endlich meiner Brust, und iin näch
sten Moment sprang ich aus und stürzte
mich in das Wasser. Ich tanchte unter
und wieder auf. da sah ich etwas
Dunkles anf den silbernen Wellen
treiben. Ich schwamm auf sie zu und
riß sie Pi mich. Das User war in
nächster Nähe und nach ein paar Mi
nuten war ich am Lande mit meiner
theueren Last im Arme.
Wie ein Wahnsinniger preßte ich
meine Lippen auf ihren Mund, auf
ihre geschlossenen Augen, dann rannte
ich durch den Wald meinem Häuschen
zu. Meine Dienerin schrie lant auf,
als sie mich erblickte.
„Machen Sie schnell!" rief ich ihr
zu. „im kleinen Zimmer oben ein
Feuer, bereiten Sie Thee, bringen Sic
Rnm und Eau de Eologne."
Ich über. a> die Gerettete und noch
immer Betäubte der Fürsorge meiner
Dienerin und befahl, sie rasch zn ent
kleiden; dann aber befolgte ich selbst die
Befehle, die ich soeben der erstaunten
Justine ertheilt hatte. Es dauerte nicht
lange,so öffnete die Geliebte die Augen,
seufzte und suchte sich zu erheben.
„Was ist mit mir?" flüsterte sie lind
sah mich fragend an. „Wo bin ich?"
„In treuer, sorgsamer Hnt," ant
wortete ich, „regen Sie sich nicht anf
und ruhen Sie aus."
„Ruhen," ächzte sie das Gedächt
niß kehrte ihr zurück, sie schauderte und
sah mich vorwursSvoll an. „O. jetzl
begreise ich," stöhnte sie schwer auf.
„Sie waren grausam —warum gönn
ten Sie nur die Ruhe nicht? —O.
mein Gott, was soll nun aus mir
werden?"
Ich nahm ihre Hand in die meinige
und sagte:
„Das überlassen Sie getrost mir. ich
stehe Ihnen in rUI Ihren Nöthen bei,
clls wäre ich Ihr Bruder. Das schwere
Leid, das Sie jetzt drücken mag, wird
vorüber gehen, wie alles auf der Well.
Morgen früh, wenn Sie ruhiger sind,
wollen wir uns berathen."
„Morgen früh!" rief sie ausfahrend,
„o, nie. nie mehr will ich zurück, wenn
Sie mich verhinderten zu sterben, so
seien Sie doch wenigstens so barmher
zig und lassen mich fort, weit fort von
hier."
„Soweit Sie wollen," suchle ich sie
zu beruhigen, „Alles soll geschehen, im«
.Sie es wünschen, aber nun gehorchen
Sie Ihrem Beschützer, dem es vergönnt
war, Sie zu retten. Trinlen Sie den
heißen Thee, er ivird Ihnen gut thun."
Sie brach in ein herzzerreißendes
Schluchzen aus.
„O, Gott," stöhnte sie, „welch' eine
Wohlthat wäre es, lüge ich jetzt todt
am tiefsten Grunde."
Ich ließ sie ausweinen und blieb bei
ihr, bis die Morgensonne ihre Strahlen
in das Zimmer warf. Wir sprachen
die ganze Nacht hindurch kein Wort
mehr zusammen, sie lehnte sich'erschöpst
vom Weinen mit geschlossenen Augen
zurück, aber ich sah sehr wohl, daß sie
nicht schlief, wollte sie jedoch in dem
Gcmüthsstand, in dem sie sich befand,
nicht allein lassen. Ich trat an s Fen
ster, öffnete es und während ich den
frischen Waldduft hereinströmen ließ,
sprach ich:
„Wir wollen den Sonnenstrahlen
freien Eintritt gewähren in s Gemach
und in unsere Herzen. Ich rathe Ihnen,
erheben Sie sich und machen Sie sich
reisesertig. Ich werde mit Ihnen gehen
nnd für Sie sorgen: daß ich es thue,
ist nichts Besonderes, es ist einfach
Menschenpflicht."
Ich ging in das nächste Gemach und
packte eine» kleinen Handkoffer.
„Justine," sprach ich, „ich bin ge
zwungen zn verreisen, ich werde Dir in
wenigen Tagen Nachricht zukommen
lassen. Du kannst einstweilen das
Häuschen sür den Winter zurecht rich
ten, und wenn es geschehen ist, in die
Stadt zurückkehren. Ich begleite das
Fräulein vom Schloß, sei so gut, ich
bitte Tich, sage Niemand etwas, Du
verstehst auch von dem gestrigen
Unialle erzähle nichts, ich habe meine
Gründe."
Nach einer Stunde schritt die Geret
tete neben mir am frühen Morgen das
einiame Sträßchen entlang, das znm
nächsten Bahnhof führte. Sie war
gänzlich apathisch; willig wie ein Kind
folgte sie allen meinen Anordnungen,
sie iragte mich nicht, wohin ich sie führe,
noch was für einen Entschluß ich gefaß'
habe.
Am Abend des zweiten Tages befan
den wir uns in dem Dörfchen Schwar
zenberg. das im schönen, stillen Bre
genzerwald,liegt. Wir hatten prächti
ges Wetter, nnd ich beschloß, mit ihr die
nächsten Berge zu besteigen, um so eini
germaßen ihren Korper zu ermüden,
damit sie Nachts der Schlaf stärken
möchte.
ES mar ein kühler Herbsttag, als ich
ihr vorschlug, das Hochälple zu bestei
gen. Sie nickte wie gewohnlich schwei
gend mit dem Kopse, und wir stiegen
empor. Tie Aussicht war an dem rei
nen Hcrbstmorgen köstlich, der ganze
Bodensce lag mit seinen reizenden
User» zu unsern Füßen. Rechis dehnte
sich eine unabsehbare Londflache aus.
bis sie sich zuletzt mit dem Firmament
vermischte. Die Kette der
berge und die dunklen, tannenbewalde
ten Bergspitzen des BregenzerwaldeS
schiene» sie zu fesseln, denn lange ließ
sie ihren Blick bewundernd darauf
rulftn.
„Wir haben hier Alles," sagte ich zu
ihr. „Wasjer. Ebene und Berge, grüne
Matten, Thäler. Hügel nnd Flüffe.
Die Welt ist doch fchö»."
„Ja," gab sie zu. „und doch wäre
ich so froh, Sie hätten mich sterben
lassen. Warum verhinderten Sie mein
Vorhaben? Welches Interesse nehmen
Sie an einer Unglücklichen?"
Ich ergriff ihre kleine, bebcnde Hand
nnd führte sie ein Stückchen von der
Almhlltte hinweg, wo wir beide uns
auf ei» kleines Bänkchen setzten, das in
der Nähe des Brunnens stand.
„Ich will Ihnen etwas anvertrauen,"
fing ich an. „aber Sie müssen Geduld
und Nachsicht üben, denn ich spreche
nur von meiner Person. Ich bin so
arm wie Sie. ja weit ärmer noch, ich
meiiie a» Glück, an Freude, Liebe,
Freunden, kurz an den Gütern, die
uns das Leben werth »lachen. Sie
sind jung und schön, ich bin alt und
häßlich, sehr häßlich, Sie waren und
sind geliebt ich bin und war es nie
Niemals geliebt. Und das ist der
Jammer meines Lebens, das das Elend,
das ich überall mit mir schleppe. O,
wenn Sie wüßten, welche Sehnsucht
nach Liebe in meinem öden Herzen ist!
Ich hatte bisher nur eine» Lebens
zweck gehabt, und das war die Arbeit;
sie war die Nahrung meines Geistes,
sie war der Trost in meiner Herzens
verarmung. Als ich Sie an jenem
Abend aus dem Teiche zog, da hatte ich
ganz kurz vorher dieselben Gedanke»
gehegl wie Sie—ich dachte eben auch
daran, ob es nicht besser wäre, da un
ten in den silberglitzernden Fluthen die
Ruhe zu suchen, nach der mein begeh
rendes Herz so sehr schmachtete. Wa
rum mußte ich denn gerade in jener
Nacht noch ausgehen statt mich schlafen
zu legen? Warum wählte ich zu mei
nem cinfaincil Spaziergange gerade
den einfamen Weg zum Weiher? Wa
rum setzte ich mich nicht unter jene
Eiche? —lst es nicht, als ob eine ge
heime, aber fühlbare Macht mich dazu
angetrieben, mich dazu gezwungen
hätte? Mein Herz war todtmüde, ver
zweiflnngSvvlle, traurige Gedanken
durchkreuzten mein Gehirn da jah ich
Sie untergehen. Willenlos, nur in
stinktiv stürzte ich. selbst ein Todescan
didat, Ihnen nach. Nicht um mit
Ihnen zu sterben, sondern Sie dem
Leben zu erhallen. Und dies geschah
ohne Ucberlegung, ohne Gedanke»
möchte ich sagen, nur im Impulse des
Momenles. Als ich Sie in meinem
Arm hielt, da kam ich mir. der ich kurz
vorher so schrecklich arm war, plötzlich
unermeßlich reich vor.—lch hatte einen
Mensch.n gerettet, der Mensch war jetzt
eigentlich mein. Vielleicht würde er
' mir danken, vielleicht würde er mich
mit der Zeit ein wenig gern haben kön
nen? —"
Vor innerer Aufregung konnte ich
kaum weiter sprechen, die Thränen tra
ten mir in die Augen, die Slimme
stockte. Das ergriff sie, sie fühlte mei
nen Jammer mit. Sie sprach kein
Wort des Trostes zu mir, aber ihr see
lenvolles Auge tras mich mit demselben
Blicke wie damals in der Ludwigstraße.
als ich sie vom Boden aushob. Schüch
tern nahm sie meine Hand und legte
mit rührender Zärtlichkeit ihre Wange
darauf.
„Wenn ich Ihnen den Schutz eines
treuen Bruders anbiete," fuhr ich fort,
„werden Sie ihn annehmen? Ich will
für Sie sorgen, Sie aus den Händen
tragen, o, machen Sie mich nicht wie
der so arm, lassen Sie mir das unbe
schreibliche Glück, einen Menschen mein
nennen zu dürfen."
Sie war sehr roth geworden und
senkte ihr liebliches Haupt.
„Werden Sie es aber auch, wenn ich
Ihnen alles, alles gesagt? Werden
Sie mich nicht von sich stoßen — wenn
ich Ihnen gebeichtet?
„Lassen Sie es darauf ankommen."
drängte ich, „sprechen Sie sich aus, ich
bitte Sie darum."
Da stand sie,auf und sah zum Him
mel empor.
„O, Gott!" rief sie, „Du weißt, daß
ich nur aus Liebe sündigte. Wie
schwer mir die Sünde wurde, wie sehr
ich gelitte», wie hilf- und machtlos,
wie gezwungen ja moralisch gezwun
gen ich war, .dafür gibt es gar keine
Sprache."
Dan» sah sie auf mich und fuhr
fort:
„Ich glaube an Sie obschon ich
AehnlicheS auch schon von einem ande
ren sagle, der mich doch betrog. Sie
aber thu» es nicht. Wenn Sie mir
schwören, daß Sie das, was ich zu
Ihne» sage, als Ihr Geheimniß be
trachten, so lange Sie leben, dann fol
len Sie meine Sünde hören."
Ich schwur fest und heilig, und ich
habe de» Schwur gelitten bis heule.
Sie stand noch immer vor mir und
erzählte von ihrer verlassene» einsamen
Lage, von ihrer Liebe zn dem Bruder
der Gräfin; zuletzt fank sie in die Knie
und verbarg ihr glühendes Gesicht mit
den Händen.
Und ich —ich sprach wie eine zärtliche,
erbarmende Mutter mit ihrem Kind in
solcher Stunde reden mag. Ich suchte
sie von delsl Jammer loszulösen und
schlug ihr vor mein Weib zu werden.
Vor uns selbst solle sie nur meine
Schwester sein.
(Fortsetzung folgt.)
Wörtlich. „Ich habe in meine
Jacke ein Loch gerissen, wovon meine
Frau nichts wissen soll. Sie wollen <S
mir daher nähen, aber so. daß es Nie
mand sieht. Können Sie das, Schnei
der?" .Gewiß. Herr; ich gehe damit
in den Keller—da sieht es sicherlich Nie
mand!"
Umschrieben. „Wo wollen
Sie denn gar so eilig hin?" —„Ich be
gehe einen Selbstmord." „Aber Sie
werden nicht Hand an sich legen
wollen?" „Bewahre, heirathen will
! ich l"
Licve« Luft «nd Leid.
Eine Tragödie In fünf Bildern.
I.
11.
111.
IV.!
V.
Eine lustige Thierge
schichte erzahlt die „Gefiederte Welt"-
Eine alte Jungfer, die sehr streng da
rauf hielt, daß ihre Dienstboten „schatz
frei" seien, besaß einen grauen Papa»
gei, „Polly" genannt, der mit wunder
vollem Geschick Sätze nachplapperte.
Eines Tages sah sich die alte Dam«
veranlaßt, eines ihrer Mädchen wegen
Verstoßes gegen ihren „Schatzbefehl"
streng auszufchelten. Dies brachte daß
Mädchen so auf, daß sie den Rede
strom, in dem sie ihren Mit-Dienstbo»
teu ihr Leih klagte, mit dem leiden
schaftlichen Ausruf schloß: „Ich wünschte,
die Alte wäre todt!" Ter Papagei, de»
das gehört hatte, verlor? als er bald
darauf in's Wohnzimmer gebracht wur
de, keine Zeit, was er eben gelernt,
wieder von sich zu geben, zum großen
Schrecken der alten Dame, die darin
einen „Wink des Himmels" erblickte.
Sie bat sogleich ihren Beichtvater um
Rath, der'ihr gütigst seinen eigenen
Papagei, welcher beinahe eine ganz«
Predigt predigen, Psalmen singen ?c.
konnte, überließ, um ihn einige Zeit
mit dem gottlosen zusammen zu halten
und so dessen Rede zu bessern. Zu die
sein Zwecke sperrte man die beiden Vö
gel zusammen in ein kleines Zimmer,
in dem ihnen nach einigen Tagen Ma
dame mit ihrem geistlichen Berather ei
nen Besuch abstattete. Kaum war die
Thür geöffnet, als sie zu ihrem Ent
setzen „Poll»" mit dem düstern Satz
begrüßte: „Ich wünschte, die Alte wär«
todt", wozu des Pfarrers Vogel mit
der Feierlichkeit eines alten Landgeist
lichen hinzufügte: „Der Herr erhör«
unsere Bitte!"
Eine zarte Seele. Wäh
rend einer kleinen Theegefellschaft wird
das Lokalblatt gebracht, und der Sohn
des Hausis liest aus allgemeinen Wunsch
die neuesten Neuigkeiten vor, unter an
deren folgende: „Gestern Nachmittag
wurde der Laufbursche deS> Kaufmanns
Schölte im Hofe des Hauses Marienstr.
Ro. 6 so von dem zufällig befreiten
Kettenhunde am linken Oberschenkel
zerfleischt, daß die Uebersührung deß
Schwerverletzten nach der kölliglichen
Klinik angeordnet werden mußte."
.Ach, das arme Thier!" flötet mitleidig
«in älteres Fräulein. „Thier!?" rauscht
staunendes Echo aus dem Kreise. „Nun
ja." seufzt die holde Dame, „das hat
doch gewiß desHall» furchtbare Prügel
gekriegt!"
Würde bringt Bürde.
Unter den vom Standesamt in Würz
burg erlassenen Ausgeboten findet sich
folgendes: „Kaspar Prostler, Bauer
von Zellingen, mit Dorothea Reichler,
AmeifcncicrsammlerStochtcr von Zellin»
gen." 3