Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, November 11, 1892, Page 3, Image 3

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Gräfin Daran.
(6. Fortsetzung.)
„Etwas sehr Sonderbares." sagke
Julie. „Denken Sie sich nur, da
schreibt mir einer, von dem ich mein
Lebtag noch nichts gehört habe, daß er
mich seit Jahren im Geheimen liebe,
und daß er eine unvermuthete Erb
schaft gemacht habe, die es ihm ermög
liche, mir das schönste Leben an seiner
Seite zu bieten, ich möchte ihm doch ein
Rendezvous gestatten."
„Und Sie wollen nichts davon wis
sen ?"
..Natürlich möchte ich hin, wenn ich
nur wußte, wie ich mich wegschleichen
könnte."
„Das ist doch einfach genug. Sie Hit
ten Madame Tourbelle um einen Aus
gang."
„Das wird mir diese Woche nicht er
laubt werden."
„Warum denn nicht?"
„Weil ich die Jour bei ihm habe."
„Bei wem?"
„Bei Nummero 4, bei dem Gelehr
ten."
„Was ! ? bei einem Kranken ! ich
dachte, die mürben doch nur von Män
nern bedient."
„Der nicht, sondern meistens von
mir, denn er ist so ruhig wie ein
Lamm ; aber da füllt mir etwas ein.
mein unbekannter Anbeter bittet mich
heute Nacht auf einen Ball nach Ma
bille zu kommen ; wollen Sie statt mei
ner Nummero -t bedienen? Sie brau
chen ihn gar nicht zu fürchten, die
Nachtwache bei No. 18, 19. 20 können
Sie auch anstatt meiner übernehmen.
Ach, wenn Sie mir doch diese Gefällig
keit erweisen wollten !"
„Wird es denn keine Unannehmlich
keiten geben ?" sragte Eecile.
„Gott bewahre, man glaubt mich bei
der Nachtwache und Sie werden ohne
hin nicht fortgehen."
„Gut. wenn ich Ihnen dienen kann,
von Herzen gern."
Nach zehn Uhr Abends schlich sich
Julie hinaus, und Eecile trat ihren
Nachtdienst au. Nummero 18 lag im
Bett und schlummerte. Numero 19
wollte sich nicht niederlegen, sie weinte
jämmerlich, aber heute hatte Cecile kein
Mitleid mit ihr, sie dachte sortwahrens
daran, ob es Jean gelingen würde,
Julie zu bethören, und ob sie es ihm
wohl gestehen werde, im Falle sie
Kenntniß von Leonhards Ankunst und
Verweilen in der Anstalt hatte. Auch
Numero W schlief ruhig, jetzt blieb ihr
nur noch Numero -t zu bedienen, dann
konnte sie die ganze Nacht ihren Ge
danken nachhängen. Sie öffnete die
Thüre zu Numero 4. Ein großes Ge
mach, von einer Lampe erhellt, zeigte
ihr, daß sie bei einem Kranken war,
der sich wohl die meiste Zeit, mit Lesen
und Schreiben beschäftigte; denn es be
fanden sich mehrere Regale mit Büchern
im Gemache, und vor dein Tische, aus
dem die Lampe brannte, saß, ihr den
Rücken zukehrend, ein Mann in gebück
ter Hallung. der eifrig schrieb. Ge
räuschlos ging sie zum Bett, um es für
die Nacht in Bereitschaft zu setzen,
brachle frisches Wasser und fragte, wie
ihr Julie anbefohlen, ob er noch etwas
wünsche. Bei ihrer Frage suhr er jäh
zusammen und stöhnte tief auf. Auch
sie erschrak über seine heftige Bewe
gung, suchte rasch die Thüre zu errei
chen und wiederholte von dortaus mit
zitternder Stimme ihre Frage.
„Allbarinherziger Gott!" rief er und
wandte sich um.
Im nächsten Moment lag sie an sei
ner Brust.
„Träume ich?" rief er. o Cecile,
sprich zu mir, bist Du eS? bist Du es
wirtlich?"
„Sie warf sich vor ihm auf die Knie
und umtlammerte ihn mit beiden Ar
men. „Endlich! endlich!"
Er zog sie empor und drückte sie an
sei» Herz, dann schob er ihre Haube zu
rück und tüßte sie aus die Stirn.
„Mein Lied mein einzig, einzig
Lieb."
„O Gott", flüsterte Eecile, „jetzt ist
doppelte Vorsicht nöthig, ich muß Dich
verlassen, aber es ist die letzte Nacht, so
Gott will, in der Du gesangen bist."
„Bin ich nicht irrsinnig? ach, Eecile,
bin ich es nicht? Sie sagten es und
ich ihat, als ob ich ihnen glaubte."
„Tu bist gesund Gott schütze
Dich!"
Und ehe er eS hindern konnte, war
sie aus dem Gemache entschlüspt.
Erst gegen fünf Uhr morgens kam
Julie, um Eecile von ihrer Wache ab
zulösen.
„Ich habe mich prächtig unterhalten,"
sagte sie. „es ist ein feiner, reicher Herr.
Werden Sie eS glauben, daß ich mich
nicht erinnere, ihn jemals gesehen zu
haben? Und als ich ihn darum fragte,
da lachte er und sagte: „Er wolle war
ten, ob ich nicht selbst daraus käme.
Am nächsten Sonntag habe» wir uns
im Jardi» de» PlanteS zusammenbe
stellt."
<>ecile hörte kaum ihr Geplauder.
Mit Ungeduld harrte sie der Stunde,
wu sie aus der Anstalt tonnte, um. wie
sie angab, einigt sehr nöthige Geschäfte
besorgen zu tonnen.
Endlich war sie außerhalb der Mau
ern. aber statt, wie sie sonst gewöhnlich
gethan, in der gemietheten Wohnung
ihre Kleider zu wechseln, stieg sie in
«inen eben vorbeifahrenden Omnibus
und suhr bis in die Rue Rivoli.
„Was sehe ich. Gräsin, Sie?" rief
überrascht ausspringend Professor
Etoile.
„Gefunden! ich habe ihn endlich ge
funden." und im Uebermaße ihrer Auf
regung legte sie ihre Arme um seine»
Hals und sing bitterlich zu schluchzen an.
„Beruhigen Sie sich, mein arme?
Kind, und sprechen Sie. Wäre eS
möglich? Hat Ihnen nicht Ihre trank
haste Phantasie einen Streich gesvielt?
Täuschten sich nicht Ihre Augen?"
„Nein, nein, er stand leibhaft vor
mir, wie Sie jetzt ich hörte ihn spre
chen und o Wunder! er ist so ge
sund wie wir beide."
„Nicht möglich." rief Etoile, „wo ist
«r denn?"
„In der Anstalt Simon. Lassen
Sie uns keine Minute Zeit verlieren,
ihn aus seinen! Gefängniß zu befreien.
Wie können wir es thun?"
„Das ist sehr einfach. ich fahre nw
Ihnen nach Neuilly, wir gehen zusam
men in die Anstalt des Herrn Simon,
und an meinem Arm verläßt Abensberg
das HauS. Seien Sie versichert, mein
Machtwort wird keine Widerrede erhal
ten. Sie können sich getrost auf mich
verlassen."
Wirklich fuhr Professor Etoile mn
<secile bei der Simonfchen Anstalt vor.
Ganz ungehindert betraten beide den
Hof und das Haus. Nur als der
Professor sich mit ihr in das Gebäude
der Kranken begeben wollte.,kam Frau
Tourbelle und fragte nach den Wün
schen des Herrn. Der Professor zog
seine Karte mit der Bitte, diese dem
Herrn Director zu übergeben, er be
suche einstweilen einen Bekannten. Sie
blickte ihn wohl etwas befremdet und
mißtrauisch an. ließ ihn aber doch ge
währen und eilte das Billet dem Di
rector zu überbringen.
Als Etoille mit Abensberg und Cecilt
sich wieder dem Vorderhaus? näherte,
kam ihnen eilig Doctor Simon entge
gen, prallte aber erschrocken und erblei
chend zurück, als er Abensberg sah.
„Was soll das bedeuten?" sragte er
Etoill:.
„Besser, Sie fragen nicht," erwi
derte der Professor, ..wenn es Ihnen
aber nicht recht ist, daß ich diesen Herrn
aus Ihrer Anstalt entferne, so wenden
Sie sich an mich, ich werde Sie dann
aufklären."
„Graf Thionville —" wollte sich de»
Director entschuldigen.
' „Bitte, sprechen Sie nicht weiter,"
unterbrach ihn rasch Etoille, ~dieser
Herr wurde aus dem Palais der Grä
fin Daron hierher gebracht ich bin
im Austrage der Gräsin da, ihn zurück
zu holen. Seien Sie froh, wenn nichts
mehr darüber gesprochen wird."
Director Simon verbarg sein glü
hend rothes Gesicht unter einer tiefen
Verbeugung. Unangefochten schritten
sie dem Ausgang zu.
Sechstes Kapitel.
Oberst Bergh weilte mit seiner jun
gen Frau in der Schweiz. Anfangs
ivar sie voll Interesse für die Schön
heiten der Natur, als er ihr aber vor
schlug. auch de» Winter am Gensersee
zuzubringen, sragte sie ihn:
„Mein lieber Freund, glaubst Du
nicht, daß es etwas einsam dort sein
wird?"
„Einsam, mein Liebchen, wenn ich
Dich habe?"
Sie wandte den Kopf, ihr Gemahl
hatte sie nicht verstanden, sie dachte ja
nicht an ihn, sondern an sich.
„Eugen, ich glaubte, den Winter
müsse man immer in einer großen
Stadt zubringen und dann, ich
habe eine solche Sehnsucht gehabt, nach
Paris zu kommen."
~O Du Kind, Du." rief er lachend
und sah in ihre wunderbar schönen
Augen, „wo denkst Du hin? Ein
Deutscher geht jetzt nicht nach Paris,
ich wenigstens in keinem Falle, nein,
wir gehen nach Montreux, miethen uns
da eine am See gelegene Villa und le
ben dort, als wären wir im Paradies."
„Paris wäre mir lieber wie dieses
Paradies," warf sie etwas ärgerlich
ein: denn es war das erste Mal. daß
er ihr einen Wunsch versagte. Mont
reux war dieien Herbst sehr besucht,
Bergh miethete eine reizende Villa und
pries sich glücklich, einige Monate in
Ruhe leben zu können; denn in letzter
Zeit fühlte er sich öfters von einem ner
vösen Kopfschmerze gepeinigt, den die
Aerzte, die er konsultirte, den Strapa
zen des Feldzuges zuschrieben. Ruhe,
hatten sie alle einstimmig gerathen, und
diese Ruhe gedachte er jetzt mit seiner
angebeteten Frau zu genießen. Sieg
linde freilich hatte andere Wünsche, sie
wollte in Gesellschaft und sich bewun
dern lassen. Anfänglich war sie von
der Bewunderung ihres Gatten befrie
digt; er wußte ihre Schönheit zu wür
digen und durch reizende Toiletten noch
zu erhöhen. Nun aber fand sie es doch
lächerlich, immer nur von dem Gatten
angestaunt zu werden, das genügte ihr
aus die Dauer nicht. Mit Genug
thuung bemerkte sie, welch ein Aussehen
sie jedesmal bei der Table d'hote er
regte; alles blickte aus ihre graziöse,
anmuthige Gestalt, auf ihr liebreizen
des Gesicht; auch der General fühlte
sich geschmeichelt, daß seine junge Fran
so gefiel, nur war er leider nichl immer
wohl genug, um sich in dem Maße
darüber zu freuen, wie sie es wünschte.
Legte er sich dann nach Tisch schlafen,
so saß sie auf dem Balkon und schaute
auf die blaue Wasserfläche oder auf
den schneeweißen Deut du midi, gähnte
und seuszte. Wenn die Villa, die
hart neben der ibrigen stand, doch be
wohnt wäre! So in nächster Nähe eine
angenehme Gejellschast zu haben, müßte
reizend sein. Wer nur jener noble
Herr sein mag, der mir gestern und
heute vi, » vis saß? Erst sah er mit
grimmigen Zorn aus Eugen, man hat
gesagt, es sei ein Franzole, und diese
tonnen mit keinem sreundlichen Auge
einen Deutschen anschauen. Als aber
sein Blick aus mich siel, da veränderten
sich plötzlich seine Züge. Erstaunen,
Bewunderung waren deutlich darin zu
lesen, und dann verfolgte er jede mei
»er Bewegungen. Ich glaube mich
nicht zu täuschen, daß er den Kellner
fragte, wer ich bin. Ob er wohl
länger in Montreux bleibt?
Auch die nächsten Tage saß der in
teressante, bleiche Fremde ihr gegenüber,
und sie bemertte mit Entzücken, daß
sein seurigeS schwarzes Auge wie ge
bannt nach ihr blickte. Sie lächelte
vor sich hin. Wenn Eugen nun auai
Glicht mehr Table d'hoke speisen will,
muß ich vor Langeweile hier sterben,
trotz aller Pracht der Natur. Daß
doch alle Männer einander gleich sind.
Leonhard war ganz entzückt von
mir, und dann, als ich seine Brant
war, sing auch er an, den Herrn zu
spielen. Ich mukte mich seinem Wil
len fügen und dei feinem griesgrämi
gen Vater bleiben, während er gegen
Frankreich zog. Mit welch' glühcn
dein Enthusiasmus bewunderte mich
Eugen, und nun wir verheirathet sind,
nun legt er sich nach Tisch zu Bett
und schläft, statt mich zu unterhalten.
Bor uuserer Hochzeit hat er immer ge
sagt, daß er fürchte, für mich zu alt zu
sein. Damals lachte ich darüber, er
kam mir so jung vor wie Leonhard ---
aber heute sah ich wirklich, daß er schon
mehrere graue Haare hat, und di<
Spitzen seines Bartes erbleichen auch.
Daß doch alles Glück zerrinnt wie
die Seifenblasen! Wie sehnte ich
mich, Leonhards Weib zu werden!
Welche Traume von Jubel und Freud«
umgaukelten mich! Und als ich ihn ge
heiratet hatte, da mußte er fort in
den Tod. Und dann kam die Zeit, wc
ich mich sehnte, Eugen zu gehören. Ich
getraute mir anfangs kaum daran zu
denken, daß er mich liebe ach Gott!
Er hat mir ja auch ein schönes Le
ben geschaffen, aber er hatte doch viel
leicht recht, der Altersunterschied scheint
mir wirklich ein zu großer zu sein.
Was soll ich da auf den glitzernden
See hinausstarren, bis mir die Augen
thränen? Ich mache lieber eine tlemi
Promenade, es ist besser, als hier allein
zu träumen.
Sie zog ein elegantes schwarzes Spit
zenkleid an. welches das blendend!
Weiß ihres Gesichtes noch mehr hervor
hob, warf dann, ehe sie ging, noch
eine» prüsenden Blick in den Spiegel,
lächelte und huschte rasch aber leisi
hinaus.
„Was er Wohl sagen wird, wenn ei
erwacht und mich nicht mehr sieht?"
dachte sie. Aber ich kann doch nicht
immer wie eine Gefangene im Zimmer
sitzen, bis er ausgeschlafen hat. Mit
befriedigter Eitelkeit bemerkte sie, wel
ches Aussehen sie bei den Vorüberge
henden hervorrief. Sie verließ das
Seeuser und stieg die Bergstraße em
por, welche nach Aux Avant» führt.
Manchmal blieb sie stehen, schöpfte
Athem und blickte sich um, als erwarte sie
jemand. Eine dunkle Blutwelle schoß
in ihre Wangen.
„Da ist er wirklich", rief sie und
machte rasch eine Bewegung, als wollte
sie entfliehen. Ihr Entschluß aber
dauerte nicht lange, denn schon nach
einigen Sekunden stieg sie wieder lang
sam aufwärts. Mit pochendem Herzen
vernahm sie hinter sich eilige Schritte.
Gleich daraus wurde sie französisch an
gesprochen. Es war ihr Tischnachbar.
Sie blieb stehen und wollte ihm eine
kurze abweisende Antwort geben, aber
vor seinem Blicke senkte sie ihr Auge zu
Boden.
„Längst schon wünschte ich, mich Ih
nen vorstellen zu können, jedoch die
ernste Stirn Ihres Herrn Vaters hielt
mich davon ab. Wie kommt es, daß
ich Sie endlich allein treffe?"
Um ihren Mund schwebte ein Lä
cheln. der Ernst ihrer Miene war ver
schwunden. Der Gedanke, daß er ihren
Gatten sür ihren Vater hielt, amüsirte
sie köstlich. Sah denn ihr Gatte wirk
lich um so viel älter aus? Sie hatte ez
doch sonst nicht bemerkt, aber freilich
er hätte in Wahrheit ihr Vater seil'
können.
Oberst'Bergh glaubte kaum seinen
Augen zu traue», als er seine Frau in
Begleitung eines fremden Herrn daher
komiiien sah. Er hatte sich nicht ge
wundert, daß sie den schönen Nachmit
tag benützte. um spazieren zu gehen,
obschon es ihn schmerzlich berührte, daß
sie sich entfernte, wenn er leidend war,
aber daß sie sich die Begleitung eines
Fremden gefallen ließ, das ärgerte ihn.
„Wie geht es Dir? was macht Dein
Kopsweh? Hast Du es verschlafen?"
„Wer war jener Herr, mit dem Tu
eben gingst?"
„Hast Du ihn nicht gekannt? Es war
unstt Tischnachbar. Ich begegnete ihn
zusällig. Er grüßte, dann sprachen
wir von dem herrlichen Wetter, de°
schönen Gegend und so weiter."
„Ich finde das sehr unpassend. Wie
kann er Dich ansprechen, wenn er
nicht vorgestellt ist?"
„Ah, pah, ich habe mich darüber ge
freut," lachte sie, „es wäre traurig,
wenn alle Menschen so steife Pedanten
wären."
„Wie ich, willst Du sagen", erwi
derte er mit gerunzelter Stirn.
„O bitte, verdirb mir meine Laim«
nicht", ries sie, sich die rosigen, tleinen
Ohren zuhaltend. „Ich habe mich
eben köstlich amüsirt, ich mag kein
Brummen hören. Ich habe es von
meinem Herrn Schwiegervater noch
satt, dem ich auch nie etwas recht ma
chen konnte, und der mich tüchtig aus
zankte, als er erfuhr, daß ich mit Dir
ging. Du aber hattest damals dock-
Deine Freude daran."
Er biß sich auf die Lippen und
wandte sich ab. Was nützte es ihm,
mit ihr zu streiten? Er tonnte sie, so
jung sie auch noch war, doch nicht mehr
ändern. Der Gedanke, der schrecklich
traurige Gedanke, daß seine Heirath
ein« Thorheit war, kam in der letzten
Zeit immer häusiger. Sie war schön,
berückend schön aber er paßte nicht
zu ihr. Der Unterschied der Jahre
allein war es nicht, der die Kluft, die
ihn von ihr trennte, immer größer
werden ließ. Er war stets ein Lieb
ling der Damen gewesen, er hatte «S
in seiner Jugend nur zu gut verstan
den, die Herzen zu erobern, und er
hatte ja auch das SieglindenS im
Fluge gewonnen. Nein, die Zahl sei
ner Jahre war nicht schuld, wohl aber
der große Abstand, die große Verschie
denheit, der große Unterschied der
Denkweise. Er tonnte es sich nicht
verhehlen, so gern er es auch gethan
hätte, Sieglinde war fürchterlich seicht
einfältig, sagte eine leise mahnende
Stimme in ihm, sie war auch nicht gut
herzig, ja nicht einmal treu. Jetzt
dachte er ost, daß sie seit der Zeit, wo
sie seine Frau war, nicht ein einziges
Mal ihres verstorbenen Gatten er
wähnte. Hatte sie ihn ganz vergessen,
oder geschah es aus Rücksicht sür ihn,
ihren jetzige» Gemahl?
Er lächelte schmerzlich vor sich hin.
Rücksichten kannte sie ja nicht, sie bean
spruchte sie nur sür sich selbst. Wie
war es doch nur möglich, daß er. der
siereiste, erfahrene Mann, sich also
blenden ließ? Ach, hätte er sie doch
nie geheirathet! Warum sich binden sür
das ganze Leben binden an ein
leichtsinniges, oberflächliches Weib?
Er hatte thöricht gehandelt, und eS
kam ei» Zorn über ihn. daß sie ihn
dazu gebracht, thöricht zu handeln.
Dann traten andere Bilder vor seine
Seele. In seiner Jugend da hatte er
es gar leicht genommen mit der Liebe,
da hatte er sich nicht gebunden o
hätte er es doch gethan! Alles wäre an
ders gekommen. Wozu würde seine
Ehe den» noch führen? Er war nicht
der Man», der sich zum Gespötte der
Menschen machen wollte. Wenn sie
keinen Begriff von Anstand und Sitte
hatte, so mußte er ihn ihr beibringen,
im Guten oder Strengen.
„Du wirst mit diesem Herrn nicht
mehr zusammentreffen, hörst Du, Sieg
linde. Ich verbiete es Dir."
Sie gab teine Autwort und lächelte
spöttisch. Ebenso hatte auch ihr Schwie
gervater gesprochen, und sie hatte doch
gethan, was ihr beliebte. Was würde
denn ihr Begleiter, der Graf Thion
ville, zu den neuen, strengen Anord
nungen sagen, wenn er sie erfährt? O.
das ist auch ganz der Mann dazu, seinen
Willen durchzusetzen, mochte ihr Gatte
thun, was er wollte. Warum auch wegen
einer solchen Kleinigkeit den Schulmei
ster spielen?
Während so verschiedene Gedanken
die Köpse der Ehegatten durchkreuzten,
stieg draußen der Mond involler Pracht
am Himmel auf. Tie kleinen Wellchen
des Sees flimmerten und glitzerten,
daß es kaum das Auge ertrug. Gene
ral Bergh trat auf den Balkon hinaus
uud betrachtete die ernste stolze Natur
schönheit. Tie Schneeberge erhoben
sich im blauen Silberlicht des Mondes,
umflossen von wunderbarer Pracht.
Ihre Spitzen schienen bis in den nächt
lichen Himmel emporzuragen, während
die Umrisse der tannenbewaldeten Berge
dunkel und scharf sich abkanteten. In
den Häusern von Montreux singen all
mühlig die Lichter zu leuchten an. Das
nächtliche Bild rief eine feierliche Stim
mung in seinem Gemüthe hervor und
beruhigte den Sturm in seiner Seele.
„Wie schön ist die Welt, nur dazu
geschassen, den Menschen glücklich zu
machen ach, wenn Sieglinde ihn
lieben könnte! Wie weit aber ist sie ent
fernt, das Wort Liebe auch mir dem
Sinne nach zu verstehen; ein schönes
Weib, aber kälter als der Schnee des
Deut du Midi.
Siegliude blickte verstohlen nach dem
Gatten und gähnte. „Langweilig,"
murmelte sie. „Ich kenne seine Ge
danken auswendig, weiß jede Bewe
gung und jedes Wort, ganz wie der
Schwiegervater, ein Pedant."
Am andern Morgen machte sich der
Oberst aus den Weg zum Arzte. Er
hatte die Nacht schlecht geschlasen, und
der quälende Kopsschmerz war nicht ge
wichen.
„Willst >Dn mich nicht begleiten?"
sragte er, „es ist ein so hübscher Morgen.
Sie schüttelte das schöne Haupt.
Sie schmollt wie ein Kind, dachte er
sich und machte sich schon Borwürse, sie
vielleicht doch zu streng beurtheilt, zu
rauh behandelt zu haben. Sie hatte
ja im Grunde nichts Unrechtes gethan,
suchte er sich zu beruhigen, sie ist noch
so jung, hat noch keine Ersahrung.
Niemand war da, sie zu erziehen, die
ältere Schwester, die Mutterstelle bei
ihr vertreten, wird die Charattersehler
nicht beobachtet und Abensberg wird
aIZ verliebter Bräutigam die Seichtig
keil ihres Charakters nichl bemerkt ha
ben.
Der arme Abensberg! Seine Liebe
zu ihr hatte sich bald abgekühlt, denn
er verlangte nicht heim, ini Gegentheil,
er wurde ganz erregt, wenn man nur
davon sprach. Sein einziger Wunsch
war, in Paris sterben zu dürsen.
Welch ein wunderbares Weib von Güte
und Opsersähigkeit war aber auch seine
Pflegerin! Sieglinde hätte unmöglich
so sein tonnen. Es ist thöricht von
mir, daß mich ihre Gleichgiltigleit sür
meine Schmerzen so unangenehm be
rührt; sie ist gesund und jung, da hat
man wenig Empfinden sür die Leiden
anderer. Ich war srüher kaum besser
als sie; ich dars nicht tinmal klagen
über meine Schmerzen, sonst denkt sie,
daß mein Alter die Schuld trügt.
Kurz, der Tchlußresrain bleibt doch
immer gleich, meine späte Heirath war
eine Thorheit.
Sieglinde sah ihrem Gatten mit
spöttischen Blicken »ach. dann lrat sie
wieder zum Spiegel, ihrer Freude, und
musterte sich. Der Spott wich aus
ihren Zügen, ijm einem Alisdruckc von
Siegesstolz Platz zu machen. Das
hellblaue Morgenkleid niit den zarten
Spitze», das ihren weißen, wunderbar
schön gesormten Hals srei ließ, und
das reizende, kleine Häubchen, das aus
ihrem goldblonden Haare kokett saß,
stand ihr entzückend schön. Der Gatte
aber hatt« heute Morgen leinen bewun
dernden Blick sür sie gehabt. „Das
sortwährende Kopswehisischulddaran."
murmelte sie vor sich hin. „Ich kann
mir nicht Helsen, aber er erinnert mich
in letzter Zeit immer an den Schwiege
rvater."-
Sie seufzt« und ging in d«n Garten
hinaus. Zu ihrer lledcrraschuiig sand
fie dort, über die Hecke vom Nachbar
grundstück gelehnt, den kecken Franzo
fen, der sich ihr gestern als Gras Thion
ville vorgestellt hatte. Sie wandte d«n
Kopf und stieß einen leisen Ruf der
Ueberraschung aus.
„Guten Morgen", kam es von drü
ben.
„Wie kommen Sie denn hierher?"
fragte fie. „Ich hatte teine Ahnung,
daß Sie uns so nah« wohnen."
„Ich habe die Villa gestern Abend
noch gemiethet und werde nun stunden
lang im Garten sein. „Hier bin ich.
wenn Sie ollein sind, wenn Sie sich
langweile».
„So, Sie glauben, daß ich mich in
Ihrer Gesellschaft nicht langweilen
werde?" lachte sie und schlug ihn mit
dem kleinen, zierlichen Sonnenschirm
auf den Arm.
„Ich werde mir Mühe geben, daß
Sie bei mir nie Langweile finden sol
len."
„O, das wird Ihnen schwer werden,
ich bin verwöhnt launisch, ich weiß gar
nicht alle Fehler, die mein Gemahl an
mir entdeckt hat."
„Lassen wir eS darauf ankommen,
schöne Frau. UebrigenS, wenn Sie
nicht wollen, es ist Ihre Sache, aber ich
prophezeihe Ihnen, daß Sie sich sehnen
werden, mich zu sprechen."
„Das ist aber doch arg, wie eingebil
det Sie sind, ich glaube, so ist die ganze
Nation, der Sie angehören."
„Und ich wette, daß ich recht habe,
.vollen Sie wetten?"
Sie überlegte einige Sekunden, sein
Eigendünkel reizte sie.
„Ja wetten wir, aber um was?"
„Wenn ich verliere, so bin ich ohne
hin gestraft genug; denn ich verliere
meinen Lebenszweck und wenn Sie
verlieren, so werden Sir mich küssen/'
„Ah!" rief sie aufspringend, „ich
habe noch leinen Mann getroffen, der
so keck ist, wie Sie es sind," rief sie
zornig und eilte aus dem Garten mit
dunkel gerötheten Wangen in ihr Ge
machzurück.
„Er kann warten, s» lange er lebt,
ich werde nie kommen."
Wirklich schloß sie sich wieder mehr
aem Gatten an. aber sein Kopsschmerz
nahm mit jedem Tage zu. es war ihm
eine schwere Anstrengung, seine lebens
lustige Gemahlin zu unterhalten, ihr
seichtes Gerede anzuhören, mit ihr un
ter die Menschen zu gehen, oder spazie
ren zu fahren und sich ihrem Willen zu
fügen.
..Ich glaube, die Seeluft bekommt
mir nicht gut", sagte er. „die Aerzte
wissen nicht, was die Ursache des steten
Kopfschmerzes ist. Toctor Hausen
glaubt, es sei ein Nervenleiden, er rieth,
mir den Nerv oberhalb des linken
Auges herausschneiden zu lassen, mäh
rend Professor Niederweiler es für ein
rheumatisches Uebel erklärt, und Toc
tor Röseli sagt, das Leiden entspringe
einer Blutarmuth."
„Was?" lachte Sieglinde, „Du soll
test Dich an der Stirn operircn lassen?
Da bekämest Di! ja eine Narbe, freilich
für einen Mann würde das nicht scha
den. ehe ich mich aber so entstellen liege,
lieber würde ich sterben."
„O> Du eitle» Geschöpfchen, wenn ich
Dir aber schwöre, daß ich Dich noch eben
so lieben würde."
„Dann würdest Du einfach die Un
wahrheit sagen. Deine Liebe zu mir
verdanke ich nur meiner Schönheit.
Leonhard hätte mich auch nicht geheira
thet, wenn ich ihm nicht gefallen hätte.
>Es giebt keinen andern Zauber sür
Euch Männer als unsere Schönheit, Ihr
liebt alle, wie Ihr seid, nur mit den
Augen. Meine Schwester Malvine be
hauptete immer, wir Frauen allein lie
ben wirklich, doch das ist bei mir anzu
wenden, ich würde Dich nicht gemocht
haben, wärest Du häßlich gewesen."
„Du entziehst mir also Deine Nei
gung, wenn ich verunstaltet werde?"
„Ich weiß es wirklich nicht, aber ich
glaube, es könnte so sein."
„Schon daß Du so sprechen kannst
zu mir so sprechen, das beweist, daß
Deine Neigung so gut wie teine ist."
„ES ist aber doch wirklich arg mit
Dir," rief sie gereizt, „Du willst also,
baß ich Dich anlüge?"
„Nein, ich wünschte. Du hättest ein
Herz."
„Da hättest Tu Dich früher darum
kümmern müssen. Vor unserer Hei
rath entdecktest Du keinen Fehler an
mir, ich bin eben wie ich bin."
Er seufzte, nahm feinen Hut und
ging. Die Luft in dein Gemache er
schien ihm drückend, das Wehgesühl in
seiner Brust ließ ihm leine Ruhe, eilig
schritt er den Weg gegen Ehillon zu.
Sobald sie ihn weit genug von der
Villa wußle. eilte sie in den Garten
hinunter, und alsbald erschien aus
einem halbgeöffneten Fenster der Nach
barvilla der Kops des Grasen.
„Ah, da sind Sie ja doch!"
Sie nickte ihm neckisch zu. „Wie
Sie sehe», in meinem Garten, wo ich
auch bleiben werde."
„Dars ich zu Ihnen hinüberkommen?"
„Nein, wo denken Sie denn hin?"
„Ich denle, daß es meine Pflicht ist,
Sie zu unterhalten."
Als sie ihm eine Antwort geben
wollte, war er nicht mehr da. Sie
dachte, daß er nun kommen werde, al
lein drüben blieb alles still. Sie ging
an s User, wo ein kleines Bänkchen an
gebracht war, setzte sich und sann
über das eben geführte Gespräch mit
ihrem Gatten »ach. Ja. er halte nicht
unrecht, denn sie glaubte es selbst, daß
das. was die Menschen mit dem Aus
drucke Herz belegen, sie nicht besaß.
Sie hatte sich noch über nichts einen
tieseren Kummer gemacht. Als kleines
Kind verlor sie die Eltern, ihre Stief
schwester Malwine mußte in einen
Dienst treten, sie selbst kam in'S Wai
senhaus. Nach ein paar Jahren erbte
Mälwine das kleine Bergschlößchen und
holte sie aus dem Waisenhaus«, um sie
zu sich zu nrhmen. Ohne Schmerz zog
Sieglinde aus der Anstalt. Sie erin
nerte sich, daß die Oberin ihre Schwe
ster Malwine auf ihr« Gemüthslosig-
Ikit ausmerliam gemacht habe. Aber
Malwine hatte darüber ungläubig ge
lächelt und die kleine Schwester zärtlich
geküßt. Sieglinde erinnert« sich an
das einförmige und doch so schöne Le
ben aus dem Schlößchen, an ihre Zhrei-
heit und an die stet« geduldige Liebe
Malwinens. Und dann erschien Leon
hard kurz darauf starb die Schwe
ster, und wieder fühlte sie keinen beson
ders großen Schmerz. Sie nahm ihr
Geschick, wie sie es nehmen mußte.
Damit suchte sie sich zu entschuldigen.
Nur das Gefängniß bei dem Schwie
gervater. wie sie ihren Aufenthalt in
dessen Haus nannte, empörte sie. Der
Tod Leonhards drückte sie mehr als er
sie schmerzte. ES ist wahr, dachte sie,
ich bin nicht zur trauernden Wittwe
veranlagt. Ich sehe eS selbst, ein, ich
bin ein leichtlebiges Ding. Der Mann
da, fie sah nach der Nachbarvilla, würde
eigentlich am besten zu mir passen, er
scheint mir das Leben zu nehmen, wie
ich es auch thue. Leonhard hatte noch
besseres Verständniß für mich als
Bergh, dieser wird mit jedem Tage
schwerfälliger. Mit welch einer Ver
achtung er mich ansah ich möchte nur
wissen, ob ich ihm nicht mehr
- sieh da! Gras, wie kommen
Sie da her als „Lohengrin?"
„Wie? Sie sehen es ja, mir dem
Schiff, wollen Sie nicht eine klein'
Kahnsahrt machen?"
„Ja, wirklich, das müßte angenehm
sein." Sie stand aus, sprang in den
Kahn, ohne die Hand zu nehmen, die
er ihr bot, um ihr hineinzuhelfen.
Wieder lauschte sie seinen kecken Wor
ten, bis sie be> Erwähnung ihres Gat
ten sich plötzlich ihres Unrechts bewußt
war und energisch bat. daß er sie an'S
Land bringe. Ohne Gruß eilte sie da
von.
Oberst Bergh kam kurz nachher heim.
„Wie ist Teine Laune?" sragte sie
höhnisch. „Hat der Spaziergang Tein
Kopfweh gelindert?"
„Ich glaube, das ist Dir ganz gleich
giltig." erwiderte er ruhig. „Wen-
Du willst, so sahren wir noch ein weuig,
spazieren."
„Oh. bemühe Dich doch nicht, Tu bist
zu gütig, an mich zu denken."
„Was willst Du dann beginnen? Ich
habe Dir eine Lektüre mitgebracht, viel
leicht unterhält Dich das Buch."
Sie blätterte nachlässig darin herum.
„Wird sicher ein langweiliges Zeug
sein, nicht der Mühe werth, sich die
Augen damit zu verderben."
„Willst Du ein wenig spazieren
gehen und die Baronin Holzhausen de
suchen?"
„Gott bewahrt, lasse mich nur und
schlafe Du wicaer. Du wirst von dem
Gang müde und matt sein." '
Er wandle sich schweigend ab. Wo
hin sollte vieles Verhältniß noch füh
ren? wie lange würde er noch Geduld
üben können? Ach, wenn er nur voll
kommen gesund wäre, aber bei dem
steten, marternden Kopfschmerz konnte
er nicht einmal sicher Kenten, sich keinen
Plan machen, wie er dem junge» Weibe
zeigen sollte, daß er ihr Herr sei, und
daß sie sich sügen müsse. Ja doch, das
konnte er, aber ihre Liebe gewinnen
niemals wieder und ltebte er sie denn
noch?
Siebentes Kapitel
Professor Abensberg saß über einen
Bries gebeugt und starrte wie sinnlos
auf die paar Zeilen: „Vater! Ich bin
genesen und auf dem Wege, in Deine
Arme zu eilen." Aessten ihn denn seine
aufgeregten Nerven? Oder ist er wahn
sinnig? Aber da stand es ja mit gro
ßen, kräftigen Buchstaben, es konnte
lein Irrthum sein, kein boshafter Wille
obwalten. Das waren ja die Schrift
züae feines Leonhard. Nicht todt!?
Oh! Er stand auf, aber seine Füße
zitterten so stark, daß er wieder in den
Sessel zurücksank. Er bedeckte sein
Antlitz mit beiden Händen, schwere
Thränen rannen durch seine Finger,
dann beugte er sich wieder über den
Brief und las ihn nochmals. „Mein
Sohn! O Tu Kind meines Herzens!"
rief er und streckte die Arme zum Him
mel empor. „O Gott, mein Gott, er
lebt! O Marie, wenn Tu noch lebtest!"
Wieder zog er aus der Schublade seines
Schreibtisches das Bild seiner längst
verstorbenen Frau hervor, küßte es und
sprach: „Er lebt, Marie. Tein Kind
— Wie soll ich es ihm sagen?
Ich kann mir keine Lösung denken
einer ist zu viel auf Erden. Entweder
mein Leonhard oder er. Plötzlich
fuhr er in die Höhe, er hörte einen Wa
gen rollen, der vor feinem Hause hielt.
Mit unglaublicher Schnelle sür sein
Alter eilte er hinaus. Ein lauter
Schrei entrang sich seinen Lippen, und
dann sank er halb besinnungslos an die
Brust Leonhards, der sorgsam die
leichte Gestalt des Greises auf seinen
Arm in'S Haus trug.
„O Vater, mein Vaters rief«, ihn
auf das Sofa fetzend und ihn mit bei
den Armen umschlingend, „sehe ich Dich
wieder: o, ich war schon ganz hoff
nungslos. dieses Glück noch zu genie
ßen/'
Wieder preßten sie sich fest aneinan
der, dann langes Schweigen.
„O Tu Todtgeglaubter", sing der
Professor an. „ach, daß Dich in Dei
ner Heimath niemand anders erwartet,
als Dein alter Vater."
Jetzt erst erhub Leonhard das Haupt
und sah den Greis fragend an. Er
hatte sie ganz vergessen.
„Wo ist sie?- sragte er.
„Frage mich nicht," seufzte der Pro
fessor.
„Warum? ist sie nicht mehr unter
Deinem Schuhe?"
„Nein, sie ist entflohen mit
ihrem Geliebten."
(Fortsetzung folgt.)
Kleines Mibver st ändnik.
(Im Eisenbahncoupe): „Mei gutcstel
Herrche. wo fahren Sie hin?" „Ich
fahre nach Dresden!" „Ei! Da fah
ren wir zusammen. Ich fahre och nach
TräSden Ich hab' Sie nämlich was
im Ooge!" „So! Zu welchem
Augenarzt gehen Sie da in Dresden?"
„Ich will nicht zum Oogenarzt; ich
hab' Sie nämlich e' Geschüst im Loge!"
Gezwungene Dankbarkeit ist
Undankbarkeit.
« «er»tt«t.
von Maul R,»eri<v
' Der „schöne Hugo", wie er allgemein
r wegen feiner tadellosen Cravatten, dick
- nöthigen Handschuhe und höchsten Steh.
- kragen genannt wurde, hatte seiner
' Verlobten fest versprochen, sie, nebst
Frau Mama pünktlich am Sonntag
r Nachmittag um drei Uhr abzuholen,
r Eine, ihm noch unbekannte, jung ver
' heirathete Schwester seiner Braut hatte
? sür diese Zeit ihren Besuch angekündigt
? und gemeinsam sollte dann das Wie»
versehen in einem nahen Gartenrestau
t rant beim gemüthlichen „Kaffeekochen"
t gefeiert werden. Eitel, wie der schöne
? Hugo nun leider einmal war, hatte die
Vervollständigung seiner eleganten Toi
-2 lette natürlich zu viel Zeit in Anspruch
e genommen, und so kam er atheniloS,
' nachdem er in der Aufregung schon auf
mehrere falsche Pferdebahnen gesprun
- gen war, erst gegen vier Uhr in der
' Wohnung seiner geliebten Verlobten
an. Er klingelt ein-, zwei-,
' dreimal. Niemand öffnet! Klarunt»
klarer wird'S ihm: Klara ist ausge
gangen! Daran trug gewiß nur
wieder die liebe Schwiegermama in sp»
" die Schuld, denn Klara der Engel....
' Aber, was war nun zu thun? Nach
kurzer Ueberlegung begab sich Hugo
nach dem ihm bekannten Konzertgarten,
' um dort die wahrscheinlich Vorausge
gangen zu suchen.
Der Garte» war, des selten schönen
Wetters wegen, fast überfüllt und be
mühte sich Hugo daher vergeblich, unter
der Menschenmenge seine Damen zu
' entdecken, was natürlich keineswegs da»
zu beitrug, seine schlechte Stimmung zu
verbessern. Aergerlich irrte er im Gar
ten umher. Plötzlich verspürte er einen
ziemlich unsanften Rippenstoß.
> „O, verzeihen Sie, mein Herr," ent
schuldigte sich erröthend eine junge
Dame, die, mit einer riesigen Kanne
bewaffnet, soeben aus der Kaffeeküche
kam, „es ist nicht gern geschehen!"
Galant, wie immer, zog der schöne
Hugo sein brummiges Gesicht sosort
wieder in aiimuthige Falten und ent»
gegnete, daß es ihm ein „Hochgenuß"
gewesen sei, mit einer so „liebreizenden"
Dame in so> „angenehme Berührung"
zu kommen!. -- Ein Wort gab das an
dere, und die kleine, lustige Dame machte
einrn so überwältigenden „netten" Ein
druck auf unsern schönen Hugo, daß er
Braut, Schwiegermutter und alle»
Andere vergessend sofort begann, den
„liebenswürdigen Schmerenöther" zu
spielen uud der neuen interessanten Be
kanntschast den Vorschlag machte, mit
ihm gemeinsam den Kaffee einzuneh
men.
Lachend gestand ihm die schöne Un
bekannte, daß sie sicher dazu durchau»
nicht abgeneigt wäre, doch leider sei sie
nicht allein, sondern mit noch einigen
Damen hier und Übrigens sei auch
der Kaffee, wie er ja sähe, schon ge
kocht.
Noch einige Damen? Das war ja
eine ganz brillante Aussicht für den
leichtsinnigen Hugo, und mit liebens
würdiger Zudringlichkeit bat er um die
Erlaubniß, der Damen Gast sein zu
dürfen. Er wolle auch „ganz artig"
sein, nicht mehr, als „höchstens" sieben
Täßchen trinken und gern für den nö
thigen Kuchen sorgen.
Scherzend und lachend ging die junge
Dame auf feinen Vorschlag ein und
führte ihren galanten Ritter zum
äußersten Ende des Gartens
„Hier, mein Herr," sagte sie endlich,
stehenbleibend, „meine Mutter und
Schwester."
Hugo blickte auf und sah in die er
staunten Gesichter seiner Braut und zu
künftigen Schwiegermama.
„Wie, Sie tennen meine Anna?"
wunderte sich Mamachen.
„Ja, woran erkanntest Du denn
meine Schwester?" fragte KlSrchen, d«r
Engel.
„Ich?— Oh' ," stotterte der ver
legene Hugo und blickte verzweiflungS
voll in die schelmischen Augen seiner
übermüthigen Schwägerin.,
„Nun, ganz einsach," nahm diese
endlich für ihn das Wort, „da der Herr
nur mit den Gedanken an seine Braut
hierherkam und ihm nur ihr Bild vor
Augen schwebte, so erkannte er mich,
die Schwester, selbstverständlich an der
Ähnlichkeit! —
Ein dankbarer Blick und später ei»
herzlicher Händedruck lohnte der Helferin
in der Noth.
Hugo nahm sich aber die Erfahrung
zu Herzen und —sah sich künftig besser
vor k
«in kleines MiKverstSndniH.
Dame: Aber Bridget, wie können
Sie in tiner so lächerliche» Kopfbedeckung
mit dein Baby nach dem Park aussaht
ren wollen?
Bridge«: Wissen Sie denn nicht
mehr, Madam, daß Sie mir ausdrück
lich besohlen haben, ein kleine« Mütz
chen auszusetzen, >ve»n ich das Bab>»
spazirt» fahre?
Mütterlich« Nachsicht.
! Vat«r (mit dem Stock drohend, zum
Sohn, der mit den Schularbeiten b»-
jchastigt ist):.. Wie, Du weißt nicht,
wann Karl d«r Groß« geboren ist?"
Mutter „Aber Wilhelm,
bedenk« auch, wie lang' das schon her
j iit!" 3