Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, November 11, 1892, Page 2, Image 2

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    2 »t« Trunksucht in d«r Thierwett.
Ueber die Trunksucht in'der Thier«
weit stellt Robert Habs-Randau in den
«Münchener Neuesten Nachrichten" ein
stehende Betrachtungen an. Wie leicht
unsere vierbeinigen Hausgenossen wein
geisthaltigen Stoff nicht bloß anneh
men, sondern nach kurzer Zeit auch
lieb gewinnen, ist aus sast täglicher
Erfahrung zur Genüge bekannt. So
weit ihnen dabei die Wahl bleibt, be
vorzugen Schafe, Esel und Ziegen die
Weintrester, deren Genuß ihnen einen
Äußerst komischen Zopf anzuhängen
pflegt, während Rinder, Pserde und
Hunde dem Bier den Vorzug geben
und sich in der Trunkenheit ziemlich ab
igeschmackt geberden. Schweine fressen
und saufen ohne Unterschied und blei
ben auch im Rausche Schweine.
> Einen unbezwinglichen Widerwillen
Hegen Alkohol scheint nur die Katze zu
hegen wenigstens schlugen Herrn
Habs - Randau wiederholte Verfüh
rungsversuche bei diesem Thiere voll
ständig fehl. Dagegen ist vom Elefan
ten bekannt, daß er eine tiefe und in
nige Verehrung für seinen Landsmann,
den echten ostindischen Arak empfindet
sund somit schon dem Bären nahesteht,
der ohne Umschweife als der vollendetst«
Söffet des ganzen Thierreichs bezeichne!
werden darf.
Stuckenberg, der den Meister Braun
in Rußland Jahre lang gründlich beob
achtet hat. berichtet darüber: „Wenn er
«s irgendwie haben kann, ist der Bar
«in ganz wüster Trunkenbold doch
mur in gemeinem Branntwein. Mei
nem eigenen Zögling wurde in den
Bauernhäusern bisweilen erlaubt, auf
Diskretion zu zechen, wonach er jedes
mal tüchtig benebelt, aber doch, wenn
noch irgend möglich, auf den Hinterbei
nen nach Hause kam." Der Bär ge
hört mithin zur Classe jener biederen
Zecher, die im Nothfalle durch ein«
möglichst stramme Haltung wenigstens
den äußeren Schein zu retten suchen.
Am menschlichsten freilich benehmen sich
wie bei andcrer. so auch bet dieser Ge
legenheit jederzeit die Affen.
Brehm berichtet als Augenzeuge,
wie der Pavian sich durch starkes Hirse
bier ködern läßt und dann kanonenvoll
den lauernden Jägern in die Hände
sällt, um am anderen Motgen neben
dem Schmerze der Gesangenschast auch
noch alle Schrecken des Katzenjammers
erdulden, und Darwin sügt zusam
menfassend hinzu: „Viele Affenarten
haben eine ausgeprägte Vorliebe für
Kaffee, Thee und Spirituosen; sie kön
nen sogar, wie ich selbst gesehen habe,
mit Vergnügen Tabak rauchen." Mehr
ist sicher von keinem Thier zu verlan
gen. Daß aber die Gänse schlau ge
nug sind, sich Rauschmittel und Rausch
selbständig und energisch zu verschaffen,
beweist Habs-Randau aus einem
Vorkommniß, das er selbst in seiner
Kindheit erlebt hat. Er erzählt: „Ich
versah damals zeitweise das Amt eines
Mnsejungen und erfüllte als solcher
meine Obliegenheiten mit all dem Eifer
oder richtiger all der Nachlässigkeit, die
diese untersten' Funetionäre des Ge-
flügelhoseS auszuzeichnen pflegt.
Daher kam es, daß meine Gänse
«ines Nachmittags, als ich gerade in
die Amtsgeschäfte eines Indianerhäupt
lings vertiest war, in ein benachbar
tes Mohnfeld brachen und sich bereits
stattliche Kröpfe angefressen hatten,
bevor ich den Schaden gewahrte und
mit Hilfe meiner Krieger diesem Un
wesen zu steuern vermochte. Damit
war die Sache für diesimil abgethan.
Am folgenden Tage aber sollte ich an
meinen gefiederten Untergebenen eine
recht traurige und und völlig uner
hörte Erfahrung machen. Kaum hat
ten wir nämlich gewöhnlichen Schrit
tes den Weideplatz erreicht, als ur
plötzlich die ganze Heerde mit wildem
Geschrei aus das Mohnfeld einstürmte
und mit unglaublicher Gier zu fressen
begann. Vergebens strengte ich alle
Kräste an. um die Thiere zurück zu
treiben: sie ließe» sich schlagen und
mit lebensgefährlicher Gewalt zu Bo
den schleudern, ohne anch nur einen
Augenblick von ihrem Attentate abzu
sieben.
In meiner Herzensangst— denn an.
gefichts der angerichteten Verwüstung
erschien mir eine Tracht imgebrannter
Asche so sicher wie das Amen in der
Kirche begann ich laut zu heulen
«nd lockte dadurch einen Feldarbeiter
herbei, mit besten Hilfe die Gänse end
lich abgetrieben wurden. Die Thier
beruhigten sich nun aber keineswegs,
sondern nachdem sie eine Zeit lang
durcheinander getobt hatten, erhob sich
plötzlich der ganze Schwärm und flog
unter gellendem Geschrei querfeldein
dem Dorfe zu. „Potztausend! Die
Biester sind ja wohl reinweg besoffen!"
äußerte mein Helfer kopfschüttelnd. Die
Gänse waren durch den Genuß des
MohnkrautS in eine Aufregung gera
then, die nur als Rausch gedeutet wer
den kann, und die vorhergehenden Um
stände beweisen, daß dieser Rausch ein
absichtlicher, eine Folge natürlicher
Trunksucht war."
Die Frau verzeihtdir
«iel eher, daß du ihre Fehler siehst, als
daß du gegen ihre Fehler blind bist.
Mancher kommt aus die
Nachwelt, auf den die Mitwelt nicht ge
kommen ist.
Einer, der'S satt hat.
Gläubiger: Wollen Sie nicht wenigstens
diesen Wechsel acceptiren, H«rr Baron,
damit ich doch eine Sicherheit habe?
Baron: Ich aceeptire überhaupt nicht
mehr! Der letzte Wechsel, den ich accep"
«irt habe, war der labreSwecksel!
Immer schneidig. Erste,
iSardelieutenant: Wie heißt doch kleine«
Frühlingilied von Heine? Zweiter:
Ah, werd'« gleich sagen, warten Sie mal
—„Leise tiraillirt durch Gemüth verteu
felt samoseS Geläute. Klinge, minutiö
se« Frühlingilied, marsch, marsch! hin»
au« in'« Weite l Kling' hinau« bi« an'«
Hau«, wo millo üo»r» sprießen, wenn
«ose schaust, sofort Meldung machen, last'
Grüßen, auf Taille I
lvte Geschichte «i««r Posaun«.
ES ist nicht zum Aushalten!" sagte
ich zu dem Besitzer des großen düstern
LogirhauseS in der oberen Stadt. „Mit
meiner Nachtruhe ist's aus, und Tags
über werde ich gleichsam auf die Folter
gespannt, und dies Alles durch das
Getute eines Herrn. Das Blasen die
ser Trompete über meinem Haupte ist
wahrlich schlimmer für mich, als das
des Engels Gabriel für die Seelen der
Verdammten. Wenn es Ihnen beliebt,
bringen Sie mir gesälligst die leerste
hende Wohnung in Anrechnung, aber
entweder dieser Mann mit seiner Frau
verläßt zas Haus oder ich gehe."
„Beruhigen Sie sich, Herr van Tas.
sel," sagte der Wirth, „die Leute sollen
ausziehen, wenn der Monat umist."
Ich suchte mein Zimmer aus und
zählte, wie viel Tage von der Vier
zehntägigen Frist noch übrig blieben.
Tage der Pein sür einen jungen Schrift
steller, wie ich eS war. Als ich von
meinem Fenster z» dem Stückchen Him
mel aufschaute, welches zwischen der
Faktorei und dem Wohnhause sichtbar
wurde, nahm ich wahr, wie ans dem
über dem meinigen gelegenen Fenster
brette ein ganzer Schwärm Sperlinge
herumspazierte, gierig erpicht, eine
Menge hingestrcuter Brosamen auszu
picken, welche eine zarte schlanke Hand
ihnen freigebig austheilte. Ein tleiner
Knabe aus dem gegenüberliegenden
Hause schwenkte seine Krücke »ach de»
Vögeln hin, während seine bleichen Lip
pen ein mattes Lächeln umspielte.
Diesen Abend blieb mein Nachbar
oben, ganz gegen seine Gewohnheit, zu
Haus, und trotz der geschlossenen Fen
ster und des hestigen Windes draußen
drang Ton für Ton einer alten Hymne
von Weber und ein französisches Lied
an mein Ohr; der Refrain des letzteren,
s-im-tis!" welchen eine klare,
süße Fraueiistimme sang, schien die
Hoffnungslosigkeit der armen Sterb
liche» wiederzugeben, die von ihrem
Gesänge bezaubert wurden.
Erst um Mitternacht trug mir der
Wind die letzten gezogenen Töne dcS
messingenen Ungeheuers zu.
Als ich eines Morgens an meinem
Schreibtisch saß, hörte ich ein leises
Geräusch an meiner Thür, und plötz
lich tauchte vor mir ein Lockenkops mit
glänzenden Augen und süßen vollen
Lippen aus.
Die Feder entglitt meiner Hand. Ich
erhob mich- „Ich muß mit Ihnen
sprechen." sagte sie. „Wir »sollen von
hier vertrieben werden, weil Sie sich
über uns beim Wirthe beklagt haben.
Es ist nicht um meinetwillen, aber
meinem armen Vater wird es das
Herz brechen. "
„Ihrem Vater!" stammelte ich, „so,
das ist etwas Anderes."
„Was ist etwas Anderes?" wieder
holte sie. „wir haben das Zimmer so
nett mit neuen Tapeten hergerichtet.
Ach, mein Herr, ich weiß mir nicht mehr
zu Heise». W>e kommt es nur, daß
die Leute etwas so Herrliches wie die
Musik nicht zu würdigen verstehen.
Wir sind von einem zum andern Orte
getrieben worden, und nur unserer ge
liebte» Posaune halber."
„Posaune." sagte ich, „o. das ist et
was Anderes."
„Etwas Anderes," wiederholte sie.
„»nd stets etivas Anderes. Was mei
nen Sie damit? Mein Vater muß
üben, sonst genügt er nicht den Anfor
derungen dcS Kapellmeisters. Ich
hoffte wirklich, daß wir das Hinterzim
mer, welches so hoch und so entfernt
vom Verkehr der übrigen Welt gelegen
ist, behaupten dürfte». Wie kommt
es, mein Herr, daß Sie unserer gelieb
ten Posaune halber mit uns unbarm
herzig verfahren wollen?"
„Sie sehen, es ist etwas Anderes."
sing ich an. Die Rothe stieg mir un
ter meinem Barle allmälig bis zur
Stirn Ich senkte meine Augen vor
dem offenen Blick dieses jungen WeibeS.
Ihre einfache Klage rührte mein Herz.
„Mein Herr," sagte sie, dreimal ha
ben Sie wiederholt: das ist etwas An
deres. Ja. in aller Welt, was wollen
Sie damit sagen?"
„Es will sagen." entgegnete ich, in
dem ich Muth gewann, mich ihrer Ge
genwart zu erfreuen, „daß ich, als ich
mich über Ihr Ihres Baters Instru
ment beklagte, glaubte, dasselbe sei ein
Waldhorn, und ich verabscheue das
Waldhorn."
„Das ist Unrecht, mein Herr."
„Ja Vielleicht, aber manche Leute ha
be» eigenartige Idiosynkrasien, die
mcinige ist der Haß g-gen das Wald
horn—alle andere Musik schütze ich sehr
--- und was die Posaune anbetrifft, so
gibt es nichts Köstlicheres sür mich.
Den letzten Abend und alle vorherge
henden war es mir ein wahrer Genuß,
dem Spiel Ihres guten Vaters zuzuhö
ren, und der süße Refrain Ihres Lie
des ~.litm»is!" füllte meine Augen mit
Thränen."
„Tann brauchen wir nicht auszuzie
hen?" fragte sie.
„Nein, nie." sagte ich, indem ich bei
dem Gedanlen daran zusammenschan
derle. „Ich will die Sache gleich in
Ordnung bringen. Fräulein. Fräu
lein—"
„Therese, mein Name ist Therese und
bei meines Vaters Rigaud."
Ihr guß war schon auf der Schwelle.
„Vielleicht." sagte ich mit einer Art
von Verzweiflung, „wird Ihr Vater
mir gestatten, manchmal zu Ihnen zu
kommen und seiner Posaune zuzuhö
ren.
Ein halbes Lächeln stahl sich über
ihre Lippen. sie nickte zustimmend un»
enisloh über den Eorridor.
Sosort begab ich mich zu dem HauS
wirth und nahm meine Klage wieder
zurück.
„Sehen Sie." sagte ich, „ich glanbie,
es sei ein Waldhorn, und ich hasse
dasselbe so sehr, daß ich mit ihm nicht
unter einem Dache sein mag. Mi)
einer Posaune ist es anders."
„So, so.' sagte der Wirth, den
Unterschied verstehe ich nicht, „aber eines
weiß ich. dieser alte dicke Franzose be
sitzt eine hübsche Tochter. Sie ist so
stolz wie Luciser. aber da-Z thut nichts,
ich liebe eS, wenn ein Weib den Kopf
hoch trägt."
Als ich in mein Zimmer zurückkehrte,
schien eS noch der Hauch von vergange
ner Glückseligkeit zu durchwehen. Ich
tonnte nicht schreiben, denn Theresens
Antlitz lächelte mir von dem Papier
entgegen.
Einige Tage darauf machte ich dem
Vater der holden Therese meinen Be
such. Er war ein dicker alter Herr mit
fleischigen Händen und fettem, geröthe
tem Gesicht. Wie ein Träumender
athmete ich den Wohlgeruch ein, den die
Blumen auf dem Fensterbrett aus
strömten. Klares, strahlendes Son
nenlicht ergoß sich durch die blitzblanken
Scheiben, es streifte Theresens Lotten-
Haar, das jetzt fast dunkelgelb wie das
meinige schimmerte. Die hellen Strah
len munterten die Psauenschweise im
Muster der Zitzmöbel aus und mischten
sich Mit dem Feuerschein im Kamin;
vor Allem aber glühten und flimmerten
sie aus den metallenen Windungen der
dicken Posaune, ivelche mit ihren mäch
tigen Tönen das Zimmer durchhallte.
Äx mochte die Wände beinahe erzit
tern, die Ratten stoben aus ihren Ver
stecken und flohen mit gesträubten Haa
ren und vor Angst auswärts gekehrten
Schwänzen in die Löcher der hölzernen
Wandbekleidung.
In dieser Zeit ward ich mit dem mes
singenen Ungethüm wie verwachsen.
Sein Mundstück befreundete sich mit
meinen inneren Gehörgänizen, und die
Schallwellen der donncrahnlichenKlänge
übertönten alle Sinne, außer dem des
GehörS. Theresens schönes Gesicht
schwebte vor ineinen Augen und die
Wangen RigaudS kamen mir wie un
ermeßliche Ballons vor. Mein Kopf
sank mir aus die Hände.
„Genug, genug, mein Herr!" ries
ich. mein« Hände zitterten, meine Knie
schlotterten, und Thränen entströmten
meinen brennenden Augen.
Er setzte das in Bann gethane In
strument ab und reichte mir die Hand.
„Ihr seid nach meinem Herzen, Ihr
liebt die Musik, wie ich, bis zur Vet>
götlerung."
„Ja." stammelte ich. „aber ich kann
nicht zu viel davon ertragen. Tie
Erregung ist zu groß, sie übermannt
mich."
Dann sing er an, von Therese zu
sprechen »nd erzählte mir, daß sein ge
liebtes Kind ihm versprochen habe, nie
mals zu hcirathen, daß sie. so lange er
lebe, sich bei ihm glücklich fühle, und
wie er dafür gesorgt, daß sie nach sei
nem Tode in ein Kloster gehen und bei
den gnten „Schwestern" den Rest ihre?
Tage verbringen könne.
..Wir haben dafür schon das noth
wendige Geld zurückgelegt, Herr van
Tassel. Sie können sich nicht vor
stellen. welche Freude es mir gewährt,
so ihre Zukunft sichergestellt zu wissen".
Als ich es wagte, meine Blicke auf
Theresens vorgeneigte Gestalt zu rich
ten, meinte ich, ihre Lippen zucken und
ihre langen Augenwimpern von Thrä'
nen erglänzen zu sehen.
Er legte eine seiner feisten Hände auf
die Brust und blickte gen Himmel, wäh
rend mein Herz laut klopfte.
Wir sprachen wenig mit einander,
denn selbst wenn Vater Rigaud ein
nickte, erschien es uns. als ob das blin
kende Uiigelhüm an seiner Seite noch
gierig auf jedes Wort lauerte, welches
unseren Lippen entschlüpfte.
Während einer kalten Märznacht
wach im Bett liegend, hatte ich über
meine Lage nachgedacht. Sollte denn
Monsieur Rigaud dauernd seinen Wil
len haben? Sollte mich die Posaune
unaushörlich quälen und ich mich doch
nur mit der Freude begnügen, mit
Therese unter einem Dache zu leben?
Und schließlich käme doch das Ende,
Therese ginge zu den Schwestern und
ich „ich ginge zum Teufel!" rief ich
wild. O. wie diese Gedanken mich
schmerzten!
Als ich mich im Bette aufrichtete, sah
ich, wie das Zimmer sich plötzlich mit
Rauch stillte, welcher durch das kleine
Fenster drang, das auf den Vorflur
hinausging.
Ich sprang auf, warf hastig die Klei
der über und eilte zur Thür. Ein dicker
heißer Qualm drang mir von draußen
entgegen, ein eigenthümliches knistern
des Geräusch machte sich bemerkbar,
welches sich mit dem rascher Fußtritte
und eines Gewirrs von Stimmen über
mir vermischte. Durch das HauS, durch
die Straße gingen plötzlich Lärm
Schrecken, Betäubung.
Ich flog zu Theresens Thür, und mit
übermenschlicher Kraft stieß ich sie ein.
Durch den Korridor schoß eine hohe
Feuersäule. Mein Athem wurde durch
die An.gst um Therese und durch den
entsetzlichen Rauch fast erstickt. Da
war ich ?» ihrem kleiu«n Schlosst» b
chen. Ich riß sie vom Lager und
wickelte sie, trotz ihres Strärtbcns, in
nn warmes Tuch.
Ter einzige Gedanke des armen Kin
des war der an seine» Vater. Dieser
stand zitternd, vom Schrecken wie ge
lähmt. inmitten des Flures, mit der
einen Hand zog er sein weites Beinkleid
herauf, während er mit der andern
wild in der Luft herumfuchtelte.
„Heilige Muttergottes!" schrie Mr.
Rigaud, „wir sind verloren!"
„Mein Vater, rettet meinen Vater,"
stieß Therese hervor, indem sie ihn zu
erreichen strebte.
Wie tonnte sie nur denken, während
in mein»», Herzen die Liebe zu ihr
ebenso heiß loderte, wie drunten die
Flammen, daß ich auch nur ein Haar
ihres schönen Hauptes für ihttn abge
lebten Vater opfern wiirde!
„Mein Vater, o mem Vater!" rief
Therese auf's Neue.
.Meine geliebte Therese." sagte ich.
„ich werde ihn retten, mag es mir auch
das Leben kosten!"
Nun drückte das geängstigt? Mädchen
ihre Lippen auf die meinen und hing
noch schluchzend an meinem Halse, als
ich sieeinem Feuerwehrmann übergab.
Wie sollte ich aber jetzt Mr. Rigaud
retten? Der Korridor droben glich
einem dampscnden Höllenschlunde. und
der Musiker war eine gute Strecke von
mir entfernt.
Doch die Gefahr erhöhte meinen
Muth ich dachte nur an Theresens
süßen Kuß darum stürmte ich den
Korridor zurück.
Inmitten des dunklen Qualms tastete
ich nach Mr. Rigaud; da stolperten
meine Füße über seinen Körper, schnell
erfaßten ihn meine Hände, mit starken
Armen trug ich den betäubten schweren
Mann hinaus. Schon Fenster
erreicht! Gottlob! Eine LeUer stand da
ran und der Feuerwehrmann auf de?
Spitze derselben.
„Schieben Sie ihn mir zu." rief
mir der Mann mit der Lederkappe zu.
Fast selbst betäubt und keuchend von
der Anstrengung, raffte ich meine letz
te» Kräste zusammen und hob den
schweren Körper zur Fensterbrüstuno
empor.
Da plötzlich entrang sich mir verdicke
Musiker, es schien neues Leben in ihn
gekommen zu sein, und in höchster Angst
schrie er: „Meine Posaune! Meine Po
saune!"
So stand der zweihundert Pfund
schwere Koloß und wich nicht von der
Stelle.
„Werfen Sie ihn hinaus!" schrie der
Mann aus der Leiter.
Aber ich konnte Mr. Rigaud doch
nicht morden! Und wie angenagelt
standen seine Füße auf der Diele.
„Meine Posaune," ries er. „ich will
sie nicht dem Verderben weihen!"
„Zur Hölle mit ihm sammt seinem
Tuthorn!" schrie der Feuerwehrmann,
noch stärkere Ausdrücke hinzufügend.
„Lassen Sie ihn rösten und retten Sie
sich selbst!"
„In des Himmels Namen!" rief ich.
zuletzt fast zur Raserei getrieben, „ge
hen Sie, ich verpfände meine Ehre,
Sie sollen Ihre Posaune bekommen."
Schon mit seinen dicken Beinen die
Sprossen der Leiter hinuntertlimmend,
warf er mir einen Blick des Dankes zu.
und ich stürzte mich durch den Qualm
in seine Wohnung, wo mir im Feuer
schein die ersehnte Posaune heiter ent'
gegenglänzte.
„Nun komm mit!" sagte ich, indem
ich das messingene Ungeheuer beim Halse
packte; „wir wollen unser Heil mit ein'
ander versuchen."
Als ich zurückkehrte, war die Leiter
vom Fenster verschwunden.
„Das Dach, das Dach!" stieß ein
Mann aus seinem Horn hervor.
Meinen Feind nachziehend, durch
kreuzte ich mühselig einen sechs Fuß
langen Gang, nur um hier neben mir
das Zinkdach schmelzen und Alles um
her in einem Flammenmeer zn sehen.
Meines metallenen Feindes halber
sollte ich nun den Feuertod erleiden!
Ich rannte in das Hinterhans zurück,
um dem schwarzgelben heißen Qualm
zu entkommen—da erblickte ich das Dach
in einer Ausdehnung von dreißig Fuß
noch völlig unberührt von den Flam
men. Wie eine Eingebung kam mir
plötzlich ein Gedanke.
„Du metallneS Ungeheuer," sagte ich
zn der Posaune, „zum ersten Mal in
Deinem Leben sollst Du eine edle That
verrichten." ' !
Als ich die schon heiße Posaune nun
in meine Hände nahm und das Ende so
bog, daß es eine Kurve bildete, war es
mir, als ob ich Mr. Rigaud ein Leid
thäte, schien er doch mit diesem Instru
ment wie verwachsen. Dann hatte ich
das gebogene Ende der Posaune nuten
in den Fensterpsoste» und rutschte über
den gähnenden Abgrund zum niederen
Stock; von hier aus noch einmal das
selbe Manöver und ich hatte mein Zie'
erreicht!
Bald gewann ich auch den Hinteren
Hof und gelangte in die Hauptstraße.
Da« zerbogene Instrument hatte mir
das Leben gerettet!
Man sagte mir. daß Mr. Rigaud
und seine Tochter im Polizeibüreau Un
terkunst gesunden hätten—dorthin ging
mein Weg.
Noch einmal nahm ich das Instru
ment und unterzog es einer genauen
Besichtigung. Ich sand keinen Riß in
demselben; eS hatte nur eine grausame
Krümmung mehr bekommen. Als ich
eS Mr. Rigaud übergab, erglänzte sein
settes Gesicht in Hellem Freuden
scheine.
„Sehe ich sie wieder?" stieß er heraus,
seine Hände ausstreckend, aber nicht
nach mir, sondern nach der Posaun?
aus meiner Schulter.
Er »ahm sie in seine Arme, während
dicke Thränen aus seinen Augen aus
das beulige zerschlagene Metall herab
tropste».
Tann untersuchte er sie, und als er
ihren Zustand erkannte, ries er ver
zweifelt:
„Meine Posaune ist verwundet ist
todt!"
Und sein breites Haupt fiel ihm auf
die Brust.
Als ich ko dastand, legte sich ein«
warme Hand in die meine, voll pulsi
renden Lebens und in Liebe erzitternd,
ein leiser Freudenschrei drang an mein
Ohr; aber ich wagte nicht, Theresen
anzusehe», mein Herz war so übervoll,
daß ich um sie hätte weinen können,
wie Mr. Rigaud um seine Posaune.
"Mr. Rigaud!" schrie ich voll Ver
zweiflung, „sie ist nur verbogen, viel
leicht ist sie noch nicht verloren!"
Ein Ausdruck der Verachtung durch
zuckte sein fettes, thränen- und rauch
gefchmiertes Gesicht, als er zu mir hin
überblickte.
„Dummkopf", entschlüpfte seinen
Lippen und mit einer überlegenen
Miene sehte er das Mundstück an.
Plötzlich fuhr der Feuerwehrmann
zusammen. Die Frauen rangen
Hände, die Kinder singen an zu wei-
nen; Alles und jeglicher Sinn ward
durch einen dröhnenden, aber seierlichen
Klang gebannt, welcher der Posanne
entquoll und zu den Herze» der Hörer
drang. Sie lebte, unsere theure Po
saune!
Als der letzte Ton verklungen war,
wendete sich Mr. Rigaud zu mir.
„Ihr habt das Leben meines Kindes
gerettet und das meiner geliebte» Po
saune", ries er. gänzlich seine zweihun
dert Psund Körpergewicht vergessend,
die ich doch mit solchem Krastaüswand
den Eorridor entlang getragen hatte.
Diese seine Rührung benutzend, er
zriff ich seine Hände nnd sprach muthig:
„Geben Sie mir die Hand Ihrer Toch
ter!"
Es war wohlgethan, denn er spreizte
seine fetten Finger zu einer segnenden
Bewegung.
„Am Ende wird es das Beste sein,
meine Kinder", sagte er, „wir nehmen
das Geld, welches ich sür die guten
Schwestern zurückgelegt habe, und las
>en uns ein Haus bauen, dessen Thü
ren und Fenster alle aus das Erdge
schoß hinausgehen. Es ist nicht weise,
so hoch zu klettern, wenn der Dämon
)es Feuers jeden Augenblick die Grund
festen erschüttern kann, meint Ihr nicht
Kinder?"
„Wahrlich, Sie haben Recht!" er
lviederten wir mit Enthusiasmus.
Diesen Frühling wurde das Hau»
gebaut, eine kleine Strecke von der
Stadt entsernt, wo alle Vögel des Him
mels singen nnd alle Blumen der Erde
sür meine süße Therese blühen können.
Was die Posaune anlangt, über de
ren dröhende Laute sich in dieser Ab
geschiedenheit Niemand mehr zu bekla.
M hatte, so kann Mr. Rigaud ihr
nicht mehr zugethan sein als ich.
Theatcrseandale in Italien.
Frau Fürstin Pignatelli hat in ihrer
Heimath schlimme Erfahrungen machen
müssen: Eiu solcher Theaterscandal wie
er das Eden-Theater in Mailand durch
tobte, ist selbst dort noch nie dagewesen.
Man hat in letzter Zeit Miß Abbott,
sie sieggewohnte Magnetdame, bei
ihrem Austrete» auf derselben Bühne
jämmerlich durchgeprügelt und zwar
mit ihrem eigene» Billardqueue; Tom
ljannon, dir Meisterringer, wurde von
der Mailänder Polizei nach lärmenden
Scenen an die frische Luft befördert:
die mit Brillanten behangene Pigna
telli aber wäre bei ihrem Auftrittsver
fuch fast todtgeschlagen worden. Das
Eden-Theater war lange vor Beginn
der Vorstellung dicht gefüllt mit einer
scha» lii st igen Volksmenge.
Die Fürstin war, wie sie später
ihrem Manager gestand, auf das
Schlimmste gesaßt. auch gegen den
Heiterkeitserfolg, den sie gewöhnlich
einzuheimsen pflegt, war sie gehörig ge
wappnet. aber daß man sie schier zu
Tode liebkosen würde, das hatte sie doch
nicht erwartet. Als die ehrwürdige
und umfangreich? Dame aus das Po
dium trat, ertönte ein allgemeines „Ah"
und „Oh", das man ebenso gut als
einen AuSrus des Staunens, als des
Schreckens deuten konnte. Dann gings
los. Die Fürstin schickte sich an, das
schöne italienische Lied „Vorrsi inorir"
zu singen: natürlich sang der größte
Theil des Publikums mit. während
andere Zuhörer oder vielmehr Mitspie
ler, sich und andere damit uiitelhielten,
den Gesang mit Locoinotivführcrpfei
fen, Waldteufeln, Cri-Cris, Radan
slöten und ähnlichen angesehenen Musik
instrumenten zu begleiten, dazu kam
noch ein Geheul. Gewimmer, Gewinsel
und Gezisch, daß man sich in die Hölle
versetzt glaubte.
Mit einer wahren Todesverachtung
haspelte die arme Fürstin ihre Lied
stropbcn herunter nnd kam anch wirt
lich »ach allerlei Fährnisse» unter
andere», wurde ihr während des Gesan
ges eine Branntweinflasche überreicht,
damit zu Ende. Als sie aber ein zwei
tes Lied, das mi» bsll»
pc>li" beginnen wollte, brach ein Tu
mult los, wie er in einem Theater wohl
kaum jemals beobachtet worden ist.
Alles schrie: »clllio", und da
die Fürstin den deutlichen Wink nicht
zu verstehen schien und sich nicht ent
fernen wollte, stürmten gegen zweihun
dert Personen aus die Bühne und zerr
ten die erlauchte Dame hin und her, so
daß sie für einige Minuten ganz in dem
Getümmel verschwand und nirgends zu
entdecke» war. „Sie habe» die alte
Nachtigall todtgetrcten!" schrie» einige
Herren ans dem Publikum, „Sie steckt
wohl im Souffleurkasten!" riesen an
dere. Plötzlich tauchte die Fürstin zer
schunden, mit abgerissenen Gewändern,
vorn an der Rampe wieder auf und
deutete durch Zeichen an, daß sie eine
Rede halten wollte, da kam sie aber
schön an. Vier Hünengestalten luden
die widerstrebende Tame ans ihre Schlit
tern und trugen sie erst im Triumph
durch den Saal und dann hinter die
Coulissen, wo sie sie in eine Ecke setz
ten. Die Vorstellung war zu Ende und
M zweites Austreten hat die Frau Für
stin nicht versucht.
Ein brav Ki n d.— „Wo
>ier kommst denn Tu, Lieschen?"
„Fritz hat mich vor das Thor bestellt!"
—„Was. vor s Thor bestellt?. Du bist
hoffentlich nicht hingegangen!?"
„Doch, doch, Papa! Ich bin hinge
gangen und hab' ihm gesagt, wie un
zassend es sei, mich vor das Thor zu
bestellen!"
Gefoppt. Bauer (zu seiner
Hrau): „Tu, Alte, ich glaub', mirsan
z'foppt! Da hab'n wir doch vorn am
Eingang g'lese, daß hier heut nin vier
Uhr General Versammlung ischt und
steh n mir schon a' Stund im Re
gen da und noch kein einzigen General
Hain mer g'sehn!"
Aus dem Leben. Schlechte
Basthäuser sind die besten Heirathsver
mittler.
Variante. Das ist der
Zluch der Concurrenz, daß sie. sortzeu
zend, stets Eoncurse muß gebären.
«in gelehrter Papagei,
Als ich vor nunmehr 15 Jahren in
einer mitteldeutschen Universitätsstadt
mich angeblich der Philologie widmete,
wohnte dort ein kinderloses, joviales
Ehepaar, ein sehr behäbiger und lebens
lustiger hoher Eiscnbahnbeamter mit
seiner ebenso gemüthlichen Gattin. Die
beiden hatten an Kindesstatt einen Nef
fen bei sich, der einem studentischen
Eorps angehörte, und neben ihm einen
grauen, rothschwänzigen Papagei,
schasten sich stets sreuten, wenn sie lusti
ges junges Volk bei sich sahen, außer
dem auch aus gute Küche und dito Kel
ler hielten, wurden sie natürlich viel
und gern von den Freunden des Neffen
besucht, und durch die Studenten ward
dann auch der Papagei zu einer Art
von Stadtberühmtheit. In der That
war dieses Thier äußerst hörenswerth
und hätte verdient, nachträglich in
Brehms Thierleben ehrenvoll'erwähn*
zu werden.
Torquato Tasso. so hatte man ihn
getaust, ahmte eine Masse der verschie
denartigsten Geräusche meisterhast nach
nnd viele stets zur angemessenen Zeit.
Beispielsweise pflegte derHauSherr nach
der Mahlzeit ein Glas Wasser zu trin
ken und sodann seiner Gattin drei Küsse
zu geben. Sobald nun die Stühle
gerückt wurden, begann der Papagei
das Gluckern des in'ein GlaS fließenden
Wassers ertönen zu lassen und hierauf
dreimal hintereinander de» Ton eines
Kusses. Daß er auch da« Knarren
einer schlecht geölten Thürangel und
AelmlicheS meisterhaft vorbrachte, war
freilich weniger angenehm. Redens
arten, Sprüche u. s.' w. beherrschte er
in Masse, und viele von ihnen brachte
er gleichfalls stet» zur richtigen Zer?
vor.
So empfing er am frühen Morgen
das zuerst bei ihm erscheinende Dienst
mädchen unweigerlich mit den Worten:
„Bertha, koch' Kaffee!" Später ries
er der HauSsrau zu: „Guten Morgen,
liebe Fran!" und den gewöhnlich sehr
verspätet zum Vorschein kommenden
Studio fragte er spöttisch: „Was macht
der Kater. Herr Doctor?" War er
allein, so siihrte er mit sich selbst lange
Unterhaltungen und sprach dabei jede
einzelne Redensart genau mit derselbe»
Klangsärbung aus, wie sie ihm von
Jemandem vorgesprochen war, daß man
etwa vom Nebenzimmer aus glauben
mußte, bestimmte Personen sprechen zn
hören.
Zum Entsetzen der Hausfrau ver
fügte er über ein ganzes Register von
Schimpfwo7tcn, das wir Studenten
ihm heimlich beibrachten. Eines Abends
in der Weihnachtszeit kamen Kurrende
schüler in das Vorzimmer und sangen.
Kaum hatten sie geendigt, da begann
der im Schlummer gchörte Papagei
aus seiner dunkle» Ecke heraus furcht
bar zu schimpfen, derart, daß die'ar
men Jungen entsetzt von bannen liefen,
ehe wir einzuschreiten vermochten. Ein
anderes Mal trug ein Herr, der sich
mit großem Unrecht für einen gottbe
gnadeten Sänger hielt, zur Verzweif-
lung aller Gäste ein Lied vor. Als er
geendigt, fragte er stolz: „Nun. hab'
ich nicht schön gesungen?" Sosort
schrie Tasso aus seinem Winkel: „Du
Narr,Du!" Homerisches Gelächter be
lohnte den Vogel, und der Sänger sani»
in diesem Hause nie wieder.
Der Vogel konnte aber auch ebenso
liebenswürdig, wie grob sein. Znr
Speisezeit z. B. lud er sich selbst als
Gast mit den von seiner Herrin ihm
Mittags regelmäßig zugerufenen Wor
ten ein: „Komm, mein lieber Tasso,
komm, komm doch, mein Liebchen."
und beeilte sich dann, auf den Tisch
zn fliegen. Höchst drollig war es, als
eines Sonzitags auf Bestellung Herr
Eohn, der Leibschneider des Haus
herrn. bei diesem erschien und alsbald
vom Papagei mit den durch den Stu
dio ihm beigebrachten Worten begrüßt
wurde: „Na Eohn, nn red Du."
Wir Alle, die wir den Vogel kannten,
waren nnd sind heute noch überzeugt,
daß er bei Vielem eine gewisse Kennt
niß von dem hatte, was er sprach und
that. Das Merkwürdigste an ihm
aber war Folgendes: Tasso war sehr
mißtrauisch gegen Männer und ließ
sich selbst von Bekannten nicht an
fassen. mitunter biß er sehr heftig zu.
Ferner entwickelte er gegen alte und
häßliche Frauen, mochten sie ihn auch
noch so oft mit Leckerbissen gesüttert
haben, sogar eine abgefeimte Bosheit,
derart, daß er sie mitunter mit
Schiiieichelworten anlockte und dann
plötzlich zu beißen suchte. Jungen,
hübschen Damen aber, auch wenn sie
ihm ganz fremd waren, flog er sofort
auf die Schulter, rieb seinen Kopf an
ihrer Wange, schmiegte sich an ihren
Busen und girrte wie ein verliebter
Täuberich. Leider ward der selten
kluge Vogel mit seiner LieblingSspeise,
Fischen und besonders fettem Fleisch,
zu viel gefüttert. Er soll deshalb,
wie ich kürzlich hörte, später lange
krank gewesen sein nnd heute zwar
noch lebe», aber so gut wie gar nicht
mehr sprechen.
Angenehme Aussicht.
„Denkst Du denn auch manchmal an
die zwanzig Mirrk, die ich Dir unlängst
gepumpt habe?" „Ob ich daran
denke, alter Freund.... Tu wärst der
Erste, zu dem ich wieder ginge, wenn
ich mich in Verlegenheit befände!"
Vorbereitet. „Schwieger
mutter: „Wenn Sie erst mal verheira
thet sind, bann brauche» Sie sich keinen
Knopf mehr selbst anzunähen."
Schwiegersohn (in sp«j: „Ich weiß,
dann kommt wohl die Schneiderin das
ganze Jahr nicht mehr au- dem
pause?"
Druckfehler. Unter den
Volksbelustigungen erregte besonders
das WeltZausen für Damen allgemeine
Heiterkeit!
A<lzugroßer Gedankenreich
thum hindert gewöhnlich am thatkräfti
,en Handeln.
Soldaten in Marokko.
Höchst erbaulich sind die Zustände im
marokkanischen Heer, über das Ernst
! von Hesse-Warlegg nach eigene» Erleb
nissen »nd Eindrücken in den „Münch.
N. N." u. A. solgende Mittheilungen
giebt. Ich machte meine Beobachtun
gen vor einigen Monaten in Tanger
selbst, gerade als der Ausstand gegen
den diebischen Gouverneur der Stadt
seinen Ansang »ahm und die wilden
Horden in die Umgebung Tangers vor
drangen. Da« „Thor von Fez" (»ob-
führt mrs der Stadt in das
eigentliche Freindenviertel. wo unter
Anderem auch die deutsche, englische
und österreichische Gesandtschaft liegen,
leicht erkenntlich durch die Flaggen, die
von ihren Dächern wehen. Dieses Thor
ist aus dicken, vermorschten Ballen ge
zimmert, und einige Keulenschlüge
würden genügen, e« zum Fall zu brin
gen. zumal ich nicht einmal eine Mili
tärwache davor bemerkte. Ein paar
Araber, den rothen Fez auf dem glatt
geschorenen Schädel, und in zerlumpte
Burnusse gehüllt, kauerten auf Matten
in einer Thornische, ihre Pantoffel vor
sich. Ich war über die Abwesenheit
von Soldaten zü einer Zeit, wo der
Feind zu Tausenden vor den Thoren
stand, überrascht, nnd sragte meinen
Dragoman Hadscht. Dieser, aus die zer
lumpte Araber zeigend, meinte, „dag
sind die Soldaten." „Aber wo sind
denn die Waffen und die Uniformen?"
„Ja," antwortete er mir, „Unifor
men haben sie überhaupt nicht Jeder
kennt sie an ihren spitzsgen rothen Fez.
Die Waffen aber hat der Pascha einge
schlossen. Kommt eS zum Schießen, so
werden ihnen Gewehre ausgefolgt.
Nachher müssen sie dieselben wieder ab
liefern." In der Zitadelle hoffte ich
eine starke, bei diesen Kriegszciten so
nothwendige Besatzung zu finden, denn
dort besindet sich die Residenz des Bascha,
der Staatsschatz und die Batterien.
.Als ich durch das vollständig unbewachte
Thor das Innere betrat, übergab mich
mein Dragoman wie aus stillschweigend«
Abmachung einem dort harrenden Mu
selmann. den er mir als „Mtadem"
(Unterossizier) vorstellte. Auch er war
ohne irgendwelche Bewaffnung, ohne
Abzeichen seiner Würde, ohne Uni
form.
Während wir der Kaserne, dem Da,
el Machrzen zuschritten, erkundigte ich
mich bei diesem nach der Stärke der
Besatzung. Er hatte keine Ahnung,
konnte mir auch nicht entfernt ihre Zahl
angeben „Was bekommt Ihr denn
als Sold? fragte ich ihn. Der wackere
Kriegsmann mochte große Augen.
„Was zahlt Euch denn der Sultan?
Von was lebt Ihr denn?" —„Ah. von
was wir uns eben verdienen!" antwor
tete er lachend und streckte mir seine of
fene Hand entgegen. In der ganzen
Festung gewahrte ich keine einzige
Schildwache, dafür fand ich denen des
Nachts in den Straßen der Stadt. Aus
meinen nächtlichen Wanderungen durch
die engen, schmutzstarrenden finsteren
Gäßchen bemerkte ich stellenweise bei
dem Schein der Laternen, die mein
Dragoman voraustrug, große unför
mige Fässer und Kisten, die an den
Hänsern lagen, und die ich bei Tag«
nicht gesehen hatte. Ich fragte meinen
Drogoman danach. Statt aller Ant
wort hieß er mich, mi( dem Fnße an
eine der Kisten zu stoßen. Ich hörte eine
Bewegung, ein Stöhnen nnd gleich da-
KtisKsr" nichts Neues. Ter Dra
goman lachte. „Das sind die Wachen",
meinte er. Ter Soldat hat Sie für
einen Kaid (Offizier) gehalten. In
solchen Fässern schlafen die armen
Kerle im Regenwetter, ohne Kissen,
ohne Matten oder Decken, nur in ihre
Burnusse gehüllt, und die Regcnbäche
überschwemmen sie zuweilen. Jeder
dieser Soldaten hat eine Straße und
lebt von den Almosen, die ihni die Ein
wohner mitleidsvoll zuwerfen."
Sonderbare Dankbarkeit.
Unter den Anetdolen, die Heinrich
VIII. von England zum Gegenstand«
haben, findet sich keine, die diesen Ty»
rannen von einer liebenswürdigen Seite
zeichnete; keine ist aber so charakteristisch,
wie folgende:
Der Monarch hatte sich eines TageS
ans der Jagd verirrt und kam um di«
Mittagszeit in das Dorf Reading.
Hungrig begab er sich zu dem Richter
und bat um Speise und Trank. Ter
Richter, der ihn für einen einfachen
Gardisten hielt, »ahm ihn herzlich aus
und setzte ihm eine Ochsenzunge und
einen Krug Bier vor. Ler Konig aß
mit Appetit, und der Wirth äuperte
freundlich:
„Ich wollte hundert Pfund geben,
wiirde mir eine Ochsenzunge so wie Euch
schmecken."
Eine Woche daraus wird der Nichter
nach London berufen und eingekerkert.
Acht Tage erhält" er nur Brod und
Wasser, endlich am neunten wird ihm
eine Ochsenzunge »nd ein Krug Bier
vorgesetzt. Der Gefangene änßerte
seine Verwunderung; doch blieb der
Kerkermeister wie zu seinen anderen
Fragen stumm. Der Richter setzt sich
also unausgeklärt zu der Ochsenzunge,
die ihm in der That gar köstlich mun
det. Da öffnet sich eine Thür und der
König trat ein.
„Ich bin Euer Arzt gewesen", sagte
Heinrich VI 11. zu dem Überraschten
Richter: ~ich habe Euren schwachen
Magen kurirt. Zahlt mir mithin mein
Honorar mit hundert Pfund, das Ihr
selbst bestimmt habt, oder Ihr müßt
zeitlebens hier bleiben".
Der Richter zahlte und verließ Lon
don. Wie seine Gedanke» über die kö
nigliche Dankbarkeit gewesen sind, er
zählt uns die Geschichte nicht.
Druckfehlerteufel. — De»
wackere Feuerwehrmann drang, trotz
d.'s dicken Vauches, der ihn zu ersticken
drohte, vor und rettete das ganze Mo
biliar.