Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, November 04, 1892, Page 3, Image 3

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    Gräfin Daran.
(5. Fortsetzung.)
„Lieber Doctor, noch einS: wann
verde ich ausstehen können?"
„O, davon ist noch keine Rede. Erst
fragen Sie mich, wann Sie sterben, und
dann, wann Sie aufstehen dürfen."
Die Geduld CecileS wurde auf eine
harte Probe gestellt: sie erholte sich nur
langsam von ihrer Krankheit.
„Wenn Sie im Stande sind zu rei
sen. liebe Komtesse, so müssen Sie nach
dem Süden. Ihre schmalen, bleichen
Wangen werden dann bald voll und
roth werden."
„Vorher aber habe ich eine Mision
zu erfüllen."
„Ist endlich Ihr Gewissen erwacht?
wollen Sie sich mit dem Grafen wieder
versöhnen?"
„Sie wissen recht gut. Doctor, daß
ich lieber sterben möchte als mich selbst
verlausen: Sie wollen mich auch nur
necken. Ich muß nach Zürich: denn
Jean ist der einzige, der mir helfen
kann, ich weiche nicht mehr »on seinen
Fersen, und müßte ich ihm mein ganzes
Vermögen geben, ich will die Wahrheit
erfahren."
„Ich kann Ihnen nur immer wieder
rathen, die Sache aus sich beruhen zu
lassen."
„Wann kann ich endlich reisen?"
.Das ist noch nicht zu bestimmen."
Fünftes Eapitel.
An einem kalten Regentage kam Ee
cile in Zürich an. Gleich nach ihrer
Anlunft ließ sie sich das Adreßbuch brin
gen. Sie fand darin zwei Burgeli,
der eine, mit dem Vornamen Franz,
war Schuhmacher, der andere hieß Jean
und war Parsümeur aus Paris. Der
Tag neigte sich dem Ende, als sie das
Hoicl verließ. Die Stadt war in Däm
merlicht gehüllt, ein Nebelschleier lag
über dem See. und ein talter rauher
Wind machte die erst kürzlich Genesene
frösteln. Sie suchte den Laden des
Parsümeurs, der sich in einer der beleb
testen Straßen Zürichs befand. Eecile
lauste Seisen und Odeurs und fragte:
„Sind denn diese Waaren wirklich
direct aus Paris?"
„Ganz sicher, gnädige Frau, mein
Mann bezieht alle Waaren aus Paris."
„Er ist aber kein Franzose, denn oer
Name ist deutsch." erwiderte Eecile.
„Er lebte aber viele Jahre in Pa
ris."
„Wann ist denn Ihr Mann zu spri
ch?»? Ich habe einen Burgeli gekannt
und möchie ihn um etwas fragen."
„Um diese Zeit ist er immer in der
Wohuuug. wenn Sie sich dorthin be
muhen wollen, können Sie ihn sicher
treffen."
Sie schrieb ihr die Adresse Großmün
sterplntz No. 3 auf und Cecile entfernte
sich dankend. Mit klopfendem Herzen
eilte sie ihrem Ziele zu. Bald sand sie
den Platz und die Wohnung. Endlich
war sie am Ziele. Ein Dienstmädchen
öffnelc ihr die Thüre und führte sie in
ein hübsch möblirtes Zimmer. Gleich
daraus tam auch Jean. Da es schon
stark dunkelte, erkannte er Cecile nicht,
als aber das Madchen eine Lampe auf
den Tisch stellte, wich er betroffen einen
Schritt zurück.
„Mein Gott," rief er, „irre ich mich
nicht ? Ich habe die Ehre, Frau Grä
sin Daron vor mir zu sehen? Womit
kann ich Ihnen dienen ?"
„Das fragen Sie Ihr Gewissen,"
antwortete ernst und traurig Cecile.
„Mein Gewisjen, gnädigste Gräfin,
ist rein."
„Machen wir nicht ziele unnöthige
Worte, " suhr sie fort, „Sie wissen recht
gut, warum ich Sie aufgesucht habe;
ich bin auch so vernünftig, Sie in kei
ner Weise in Unannehmlichkeiten brin
gen zu wollen, und dann—mein Vetter
wird Sie schon mit einer Summe be
wogen haben, ihm in dieser Angelegen
heit zu dienen ich verdopple, ich ver
dreifache diese Summe, ivenn Sie mir
sagen, wo Sie ihn hingebracht haben."
„Gnädigst« Gräsin, gestatten Sie
mir, Ihnen zu erzählen, aus welche
Weise ich gebraucht worden bin. Ich
mußte erst mein Wort dem Grasen ge
be». über das Ganze zu schweigen, xnd
dann als ich seine Befehle getreulich
ausgeführt hatte, fragte er mich, wie
viel ich verlange, wenn ich —Paris ver
lasse. In meiner Ueberraschung nannte
ich eine Summe; sie war nicht groß,
denn ich begriff den Grafen eigentlich
nicht. Wir hatten nichts Unrechtes ge
than, wir hatten nur seinen Befehl
vollführt, und der Graf hatte eben ge
handelt, wie an feiner Stelle höchst
wahrscheinlich manch anderer Mann
auch gehandelt hätte. Verzeihen Sie
mir, gnädigste Gräfin, wenn ich frei
und offen spreche, aber soll ich alles
sagen, so muß ich ohne Umschweife
rede». Der Herr Graf hatte einen
vermeintlichen Nebenbuhler aus Ihrem
Palais bringen lassen, einen gehaßten
Deutschen noch dazu, und zwar mit
aller möglichen Schonung. Der Deutsche
wurde so sorgsam tranSportirt, als sei
er eine geheiligte Persönlichkeit. Mich
überraschte deshalb die Forderung des
Grasen, daß ich Paris verlassen solle,
und erst von da an stieg ein Verdacht
bei mir auf. Wenn der Herr Gras
ganz torrelt gehandelt, wcrum sollte
ich dann entsernt werden? und warum
nahm er mir das Wort ab, zu schwei
gen ? was aber ging das mich im
«runde an? Ich ging also hierher,
da machte mich mei» Bruder erst s«
recht aufmerksam. Die Summe war
nicht so groß, daß ich mein ganzes
Leben lang hätte privatisiren können.
>udem war ich verwöhnt, um dieWabr
beit zu gestehen. Der Tisch bei dem
Grafen Tbionville war vorzüglich.
Weine hatten wir die besten und hin
länglich nach Bedarf; mein Dienst war
«in sehr leichter. Das Leben, das ich
in Paris gejährt, ging mir ab. Ich
khrte zurück und zog näher« Erkund»-
gungen ein. und erst dann begriff ich.
warum d:r Herr Graf mich von Paris
fort wünschte, warum er mich so hono
rirt hatte—ich inachte mir seine Schuld
zu nutze, ich ging zu ihm und sagte,
daß. wen» er mir nicht sofort zehntau
send Francs ausbezahle, ich Ihnen,
gnädigste Gräsin. alles bekennen werde.
Ich erhielt das Geld, mußte aber mein
Versprechen zu schweigen wiederholen."
„Sie werden Ihr Gewissen doch nicht
»eschwert haben wollen, wenn Sie es
erleichtern können ? Sie erhalten drei
ßigtausend Francs, wenn Sie mir ent
decken, wohin Sie den Unglücklichen ge
bracht haben."
„Gnädigste Gräfin, ich müßte ja mein
Wort brechen."
„In diesem Falle thun Sie gut,
denn Sie sind gar nicht schuldig, es zu
halten."
„Allerdings, das ist auch meine An
sicht. ich sehe auch keinen Grund ein,
warum ich es Ihnen verschweigen soll.
Allein ehe ich eS Ihnen sage, bitte ich
Sie, mir zu versprechen, daß Sie mich
nicht dem Herrn Grasen verrathen.
Der Kranke ist ein Deutscher, und ich
mag sie nicht, wenn ich auch kcin Fran
zose bin, aber der Unglückliche dauert
mich doch, wenn er anders »och lebt,
obschon ich sicher annehme, daß es ihm
an nichts mangelt, aber eS ist doch
schrecklich, so verlassen zu sein von aller
Hilfe."
„Zögern Sie nicht länger, wo habt
Ihr ihn hingebracht?"
„Versprechen Sie mir erst, mich nicht
zu nennen."
„Ich schwöre eS bei dem Andenken an
meine Eltern, ich gebe es Ihnen schrift
lich."
„Noch besser," sagte Burgeli und
yolte Papier und Tinte.
Mit «inigen Worten schrieb Eecile
ihr Versprechen nieder nebst einer An
weisung aus dreißigtausend Francs.
„Ich bekam den Besehl vom Herrn
Grase», mich den Anordnungen einer
seiner Freunde zu fügen," sing Jean
wieder an. „Daraus hin mußte ich in
Ihr Palais, wo ein mir fremder Herr,
der ein Arzt zu sein schien, nebst einem
kräftigen Mann man sagte mir. eS
sei ein KrankcnwSrter anwesend wa
ren. Wir trugen den Deutschen hinab
in einen großen, bequemen Sanitäts
wagen. und fuhren nach Neuilly. Ich
hatte dabei, wie gesagt, kein Arg, denn
daß mein Herr den Sterbenden nicht im
Hause seiner todttranten Kousinc haben
wollte, leuchtete uns allen ein, zudem
wußten wir, daß der Herr Graf den
Deutschen haßte, was mir bei dem An
blicke des hilselos Sterbenden eigentlich
lächerlich vorkam. Es war ein großes,
mitten in einem Garten liegendes Haus,
vor dem wir hielten. Mir schien es
ein Privatgebäude zu sein. Aus dem
mit hohen Mauern umgebenen Hofe
kamen uns drei Männer entgegen, die
den Deutschen in das Gebäude trugen.
Ich war entlassen und konnte heimkeh
ren. Waruni der Herr Graf ihn da
hinausschaffte, dachte ich—, doch meinet
wegen."
„Also bei Neuilly?" unterbrach ihn
Cecile. „Glauben Sie, daß er noch
gesangen ist?"
„Sicher," lächelte Burgeli listig,
wenn er nicht schon längst unter der
Erde ruht, was weit wahrscheinlicher
ist. Aber hören Sie mich zu Ende.
Wie ich Ihnen schon gesagt, kehrte ich
nach Paris zurück. Ich suhr nach
Neuilly und stellte in dem benachbarten
Weinhause Nachforschungen an, wem
Venn das graue, düstere Haus gehöre.
„Tem Herrn Doctor Simon," wurde
mir geantwortet. „So ? ich hätte es
beinahe für ein Gefängniß gehalten,"
sagte ich." „Es ist auch kaum besser
als ein solches," berichtete die Wirthin,
„diejenigen, die da hinter den Mauern
sind, kommen nicht mehr heraus. Es
ist eine Privat-Jrrenanstalt. Wissen
Sie. sür noble Leute, die es verbergen
wollen, wenn ein Mitglied der Familie
nicht ganz richtig da oben ist." Ich
hatte genug gehört; Sie können sich
nun denken, gnädigste Gräfin, daß mir
plötzlich ein Licht aufging, warum mich
der Herr Graf aus Paris haben wollte,
und als ich dann durch Madame Neige
hörte, daß der Deutsche in Millecroix
begraben liegen solle, faßte ich den
Plan, mich bom Herrn Grafen tüchtig
zahlen zu lassen. Er weigerte sich auch
gar nicht, suhr mich aber wüthend an,
als ich bemerkte, daß ich zu einem Ver
brechen mißbraucht worden sei. „Was,
elender Kerl?!" schrie er mich an.
„Noch ein solches Wort und Du sollst
mich von einer andern Seite kennen
lernen. Hätte ich dann Dir befohlen,
ihn zu begleiten, hätte ich ihn nicht
ohne Dich fortschicken können, Dumm
kopf ? In letzter Zeit ist der Deutsche
irrsinnig geworden, er sollte bei Herrn
Simon bleiben, bis er gestorben oder
ztiiesen an Geist und Körper, und jetzt
schcere Dich zum Teufel. Diese Summe
gebe ich Dir aus Rücksicht für meine
llrme Kousint. die wie ein Kind ist, dem
man das Spielzeug nehmen muß. Geh
mir aus de» Augen und laß Dich nie
mehr hier blicke». „Ich wußte nicht,
was ich ihm glauben sollte. Es ist
wirklich wahr, dachte ich, warum hätte
-r mich sonst mitgeschickt bis zur Irren
anstalt ? Wäre ich nicht dabei gewe
sen, niemand würde etwas erfahren
haben. Der Herr Graf hat den Deut
schen in die Anstalt verbringen lassen,
und wenn er nicht gestorben, so ist zu
wetten, dav er irrsinnig geworden ist
in einer solchen Umgebung, und daß
dies im Sinne des Grasen lag, ist das
abscheuliche Verbrechen, von dem ich
nichts wissen will."
Eeeile dachte: Mein Gott! so nahe,
und ich ahnte es nicht. Wie recht hatte
Burgeli, der arme Unglückliche mußte
verzweifeln, da war keine Sekunde zu
verlieren.
„Gnadige Gräfin," unterbrach Bur
geli ihre Gedanken, „erlauben Sie mir
noch eines. Sie sind natürlich ent
schloffen, den Deutschen zu befreien,
lassen Sie sich rathen, alle mögliche
Vorsicht zu gebrauchen« denn wenn er
wirtlich noch lebt, was ich allerdings
nicht glaube-denn er sah so elend und
schwach aus, daß ich fürchtete, er möchie
unterwegs seinen Geist aufgeben—wenn
also doch, ein Wunder geschehen wäre
und er »och lebt, so wird er sicherlich
wo aiiders hingebracht worden sein,
nachdem ich mit dem Herrn Grasen
darüber gesprochen habe."'
Eecile ließ sich nochmals alles aus
führlich erzählen und sich das Haus des
Doctor Simon genau bezeichnen.
„Das können Sie gar nicht verfeh
len," sagte Jean. „Wenn Sie durch
Neuilly gefahreu sind, steht eS links
verborgen hinter großen Bäumen von
einer Hohen, gefängnißartigen Maue»
eingefaßt.
„Geht heute Abend kein Zug meh'
nach Paris ?" fragte sie.
„Nein, aber morgen in aller Frühe.
Ich freue mich, gnädigste Gräfin, wenn
ich Ihnen in einer guten Sache dienen
konnte."
„Sie hätten gleich zu mir kommen
sollen. Ihre Säumniß kann ei» großes
Unglück veranlaßt haben."
„Frau Gräsin. Sie vergessen die Um
stünde. Erstens waren Sie todttrank.
dann hielt mich das Versprechen an de»
Grafen gebunden, zudem war ich nicht
in Paris, und schließlich, hatte ich denn
ein Recht, mich in die Angelegenheiten
des Herrn Grafen zu mischen, der nich»
mehr mein Herr war ?"
Cecile ging mit den peinlichsten Ge
fühlen in ihr Hotel zurück. So froh
sie eineStheils auch war, einen Anhalis
piintt zu haben und auf Leonhards
Spur zu sein, so krampste sich doch ihr
Herz zusammen, wenn sie bedachte, in
welch einer Umgebung sich der Arme
die ganze Zeit über befand. Henri
wollte, wenn auch nicht den Tod des
Körpers feines Rivalen, so doch den
Tod seines Geistes. Er wollte ihn irr
sinnig machen, um ihn für immer von
ihr zu trennen. Während sie sich dem
Gedanken in Angst. Hoffnung und
Trostlosigkeit hingab, jauchzte Burgeli
in seiner Wohnung. Immer wieder
heftete sich sein Blick aus die Zahl von
dreißigtausend Francs. ES war hohe
Zeit für ihn, daß Hilf« kam, denn er
hatte schon im Sinn« gehabt, diese
abermals bei dem Grase» zu suchen.
Erst wollte er diesen bitten und zuletzt
mit Drohungen kommen, daß er alles,
was er wußte, aupplaudern wolle,
immerhin aber mußtesich der Graf
eines großen Unrechtes schuldig
fühlen, sonst hätte er ihn nicht
für die kurze Fahrt von Paris bis
Neuilly so bezahlt. Sein Geschäft in
Zürich ging nicht, überdies gefiel «s ihm
hier nicht, längst schon sehnte er sich
nach Paris zurück. Wie toll doch diese
Aristokraten ihr Geld wegwerfen, dachte
er sich, der eine aus Rache, die andere
aus Liebe kaum glaublich, wenn ich
an den Sterbenden denke, doch die Wei'
der sind unberechenbar.
Cecile saß mit geschlossenen Augen
allein in ihrem Kupee und dachte nach,
was sie zunächst beginnen sollte. Durste
sie Plosessor Etoile in's Vertrauen zie
hen oder nicht? Er tonnte ihr sicher
von großem Nutzen sein, konnte ihr mit
Rath und That beistehen. Aber er
hatte sich immer aus die Seite ihres
Vetters gestellt, hatte diesen immer ver
theidigt. Am Ende war «s doch klüge?
zu schweigen.
Wenn er das Geheimniß Henri ver>
rieth, wenn dieser gewarnt würde?
Nein, vorerst wollte sie allein, ohne
fremde Hilse ihre Mission beginnen.
Gegen den Abend kam sie in Paris
an, mit sehnsüchtigen Augen sah sie ge
gen Neuilly hin. Sollte si« nicht heut«
Nacht »och eine Fahrt dorthin machen,
um wenigstens nur einige Minuten in
seiner Nähe athmen zu.kö»nen? Nein,
sie mußte jedes Aussehen vermeiden.
Müde, abgespannt und doch aufgeregt
legte sie sich zu Bett, konnte aber die
ganze Nacht uicht schlafen. Vor allem
mußte sie das HauS sehen, dann wollte
sie in dessen Nähe eine Wohnung neh
men. um ihre Beobachtungen anstellen
,u können. Wie sie eS aber anfangen
sollt«, sklbst in das Haus zu dringen,
um Leondard zu sehen, um ihm Muth
und Hoffnung einflößen zu können,
war ihr unerklärlich. Hundert Ge
danken durchkreuzten ihr gemartert«?
Hirn, und keiner schien ihr ausführbar.
Oder sollte sie jede List bei S«itc wer
fen und ossen das Gericht zu Hilse neh
men?— Nein, man würde sie verlachen,
den hochgeachteten und allgemein be
liebten Grafen Thionville anzuklagen
eines gehaßten Deutschen wegen.— Bei
jeder Bchörde würde sie verhöhnt wer
den ihr Sinn war offen und ehrlich.
Auch die schwerste Aufgabe wäre ihr
leichter erschienen, wenn sie nicht im
Geheimen und versteckt hätte handeln
müssen. Und doch, eS mußte gehen.
Ein Glück, dachte sie, ist, daß Henri
nicht hier ist, er würd« mich sonst hem
men : denn er ließ jeden meiner
Schritte beobachten, ich wußte «S wohl.
ES mag auch sein, daß er jttzt in s«in«r
Abwesenheit noch Spione aufgestellt
hat. Zuletzt biki ich doch unfähig,
allein meine Ausgabe ausführen zu
können, ich werde die Hilf« EtoileS in
Anspruch nehmen müssen.
Am frühen Morgen, während di«
Straßen von Paris noch menschenleer
waren, trat Cecile einfach und dunkel
gekleidet und dicht verschleiert aus ihrem
Palais. In der nächsten Straße stieg
sie in eine Droschke und gab dem Kut
scher den Besehl. nach Neuilly zu fah
ren. Sie wisse nicht mehr genau di«
Hausnummer, sagte sie, es möge unge
fähr zehn bis fünfzehn Häuser von der
Anstalt des Herrn Doctor Simon ent'
sernt sein, wenn er diese kenne.
„Welches Haus kennt ein richtiger
Pariser Droschkenführer nicht?" erwi
derte er stolz mit dem Kopse nickend.
Endlich also fuhr sie ihrem Ziele zu.
Außerhalb Neuilly erkannte sie sofort
das Gebäude, das ihr Jean
Hinter diestn Mauern war er gefangen
ihretwegen. Sie gtbot dem Kutscher
zurückzufahren bi» zur Madeleine, wo
sie ausstieg, um ein heißes Gebet znm
Himmel zu senden sllr die Besreiung
Abensbergs.
> Gegen Abend fuhr sie nochmals in
einer Droschke nach Neuilly : sie wollte
sich dort eine Wohnung suchen. Das
Glück begünstigte sie. Nicht weit von
der Simon'sche» Anstalt besand sich ein
kleines Haus in einem großen Garten,
hinter Bäumen verborgen. Ueber der
Gartenthür war zu lesen, daß Haus
und Garten zu vermiethen sei. Nähe
res zu erfahre» bei Herrn MarS, Rue
Rivoli. Cecile kebrte zurück in die Ru«
Rivoli zu Herrn Mars, der für das
einfach möblirte Haus einen sehr hohen
Preis verlangte.' Sie sandte nach einer
Stunde die verlangte Summe.
Am nächsten Tage suhr sie abermals
am srühen Morgen nach Neuilly. Un
gesehen gelangte sie in das HauS und
betrat dessen Räume. Hier wollte sie
sich umkleide», um dann dem Herrn
Simon ihr Gesuch vorzutragen, er
möge sie als Wärterin dingen. Aber
sie besann sich, daß es doch klüger wäre,
den Professor in'S Geheimniß zu ziehen,
da sie Zeugnisse für ihre Fähigkit als
Krankenwärterin werde vorweisen müs
sen. Sie verlieb deshalb das Haus
wieder, kehrte nach Paris zurück und
ging zu Etoile.
„Welch eine Ueberraschung. lieb«
Komtesse," rief er, „womit kann ich
Ihnen dienen? Ich sehe eS in Ihren
Augen, daß Sieein Anliegen auf Ihrem
Herzen haben. Waren Sie wirtlich in
Zürich?"
„Ja, und ich habe auch meinen Zweck
«rreicht."
„Oh ! lassen Sie hören."
„Ich habe Jean gefunden, und e»
yat mir gestanden, daß Abensberg ge
fangen ist in einer geheimen Irren
anstalt."
Der Professor machte eine heftig»
Vewegling der Ueberraschung. „Also
war es ooch nur eine Lüge des Gra
s-n.s'
„Ja, eine schändliche, gemrine Lüge.
Ich muß in die Anstalt und brauche
dazu ein Zeugniß, daß ich eine gute,
tüchtige Krankenwärterin bin. dies tön
nen Sie mir bestätigen. S>« bezeugen
also, daß Marie Frederik eine vortreff
liche Pflegerin ist. die Sie für jeden
Kranken empfehlen können, und lassen
dann dieses Zeugniß von einigen Ihrer
Kollegen unterschreiben."
„Wenn die Anstalt das Tageslicht
zu scheuen hat, werden Sie mit einem
Zeugniß von bekannten Aerzten in kei
nem Falle aufgenommen."
Sie überlegte einige Minuten. „Wir
machen den Versuch, mißlingt er. werde
ich etwas anderes beginnen."
„Wie heißt der Director der An
stalt ?"
„Darüber lassen Sie mich noch schwei
gen."
„Und, liebe Komtesse, Sie wollen sich
die Plage einer solchen Komödie zu
muthen ? Sie wissen gar nicht, was
für ein Quantum Geduld, Fleiß und
Ausdauer von diesen Pflegerinnen ge
fordert wird. Ich will es jedoch nicht
versuchen, Ihnen abzurathen, denn in
meinem Leben kam mir noch kein so
harter Kops vor wie der Ihrige."
„Es würde Ihnen auch nichts nützen,
ich gehe meinem Herzen »ach, dessen
Jlistiiitt mich führen und leiten wird.
Ich bin schon um vieles weiter gekom
men : gebe nur Gott, daß ich gesund
bleibe."
„Meine liebe Komtesse, Sie werden,
wenn Sie auch auf die Spur t«S Teut
schen kommen, doch nur seine Ueberreste
finden."
Sie schauderte. „Dann habe ich
wenigstens Gewißheit."
„Welch ein seltsames Weib." dachte
Etoile,, ihr mit Bewunderung nach
schauend. „zäh und ausdauernd und
glühend in ihrer Liebe."
Eecile änderte in dem gemietheten
Häuschtn rasch ihre Toilette! Sie zog
ein einfaches, schwarzes Wollkleid an.
strich sich die Haare aus dem Gesichte
und verbarg sie unter einer matronen
artigcn, weißen Haube, dann nahm sie
einen langen, schwarzen Kragen über
die Schultern, steckte das Zeugniß Etoi
leS zu sich unv schlüpfte rasch aus einem
Hintcrthürchcn des Gartens hinaus.
Eine Viertelstunde später zog sie die
Klingel cm der Simon'schen Anstalt.
„Kann ich den Herrn Director spre
che» fragte sie.
„WaS wollen Sie?" fuhr sie der
Hausmeister unwirsch an.
„Meine Dienste anbieten."
Er betrachtete sie mit kritischen Bül
ten von oben bis unten, so daß der
Unwille ihr das Blut in die Wangen
trieb, und sagte: „Habe nichts ge
hört, daß man eine neue Wärterin
braucht, aber ich kann es ja dem Herrn
Director melden."
„Sie sollen kommen," -rief er ihr
kurz nachher zu, „dort über eine Stiege
links die erste Thür."
Das Herz pochte ihr ungestüm, als
sie leise antlopfte. Auf ein barsches
Herein trat sie über die Schwelle. Sie
war so verlegen, daß sie sich kaum die
Augen aufzuschlagen getraute.
„Eine Wärterin ?" fragte der Herr.
Sie blickte ihn an und sprach „Ja."
„Wer Hot Sie geschickt ?"
„Niemand."
„Wie kommen Sie auf den Einfall,
sich in meinem Hause eine Stelle zu
suchen?"
Eecile erkannte die Gefahr, jetzt
mußte sie muthig sein. „Mein Herr,"
sprach sie ohne Scheu und iah fest in
sein auf sie forschend gerichtetes Auge,
„ich bin eine gute Pflegerin und kann
mich ausweisen."
„Haben Sie Kranke, wie sich solch«
in meiner Anstalt befinden, schon be
dient ?"
„Bisher noch nicht, aber ich möchte
mich eben auch darin versuchen, des
halb tam ich hierher, Herr Direktor.
Sie werden bald sehen, daß Sie sich
auf meine Tüchtigkeit verlassen kön
nen."
„Hm," machte der Direktor und be
sichtigste einige Sekunden die wohlge
pflegien Nagel seiner schönen schlanken
Hand. „Geben Sie mir Ihre Zeug
nisse."
l Ereile reichte sie ihm hin.
„Das sind lauter klingende Namen
von Professoren und Doktoren, ober
von Privaten lese ich nichts. Können
Sie sich nicht besser ausweisen ?"
„Wenn Sie noch andere Zeugnisse
wünschen, müßte ich mir da, wo ich
diente, noch welche holen," erwiderte sie
unerschrocken.
„Was verlangen Sie für ein Salär?"
fragte der Direttor.
„Das überlasse ich ganz Ihnen."
„Da ich Ihre Leistungsfähigkeit noch
nicht kenne— es muß eben erst ein Ver
such gemacht werden —so genüge» zwan
zig Francs die Woche."
Sie stimmte zu.
„Wann können Sie «intr«ten ?"
„Wenn Sie es wünschen. heut«
Abend."
„Sollten Sie untauglich skin, wer
den Sie in acht Tagen wieder ent
lassen."
„Gut, mein Herr."
Sie verließ die Anstalt und kehrte
oei dem Hinterthürchen des Gartens
wieder in ihr gemiethetes Haus zurück,
wo sie ihre alte» Kleider anzog und
dann in einem Omnibus nach Paris
fuhr. Dort tauste sie die nöthigste,
einfachste Wäsche, ließ alles zusammen
packen und i» die Anstalt Simon
schicken.
Endlich, endlich also dem Ziele nahe!
einem Dache mit ihm! Sie
konnte vor Aufregung kein« Sekunde
ruhig sein, wie würde sie ihn finden ?
Deun daß er noch lebte, daran zweifelte
sie Nicht.
Am Abend ließ sie Madame Neige
sagen, daß si« wieder verreise und vor
einigen Wochen kaum zu erwarten sei.
Als dieser Entschluß bekannt wurde,
schüttelten all« die Köpfe. Es muß
nicht richtig sein bei unserer Komtesse;
was sie nur immer so allein in der Welt
herum fährt, ohne Jungfer, ohne Die
ner ! Und niemand weiß, wohin.
„Sie sucht den Vetter." meinte der
im Dienst ergraute Kammerdiener,
„ich habe gehört, er ist gegenwärtig in
Deutschland."
„Das glaube ich nicht," sagte Frau
Neige, „nimmer reist unsere Komtesse
ihrem Vetter nach, sie hat ih» ja nie
so recht gerne gehabt."
„Was für einen Zweck hätte sie denn
sonst?" fragte Monsieur Granville.
«Ich glaube eher, sie hat sich ver
lobt. sie geht wallfahrten nach Lourdes,
oder sie zieht sich in ein Kloster zurück."
Abends ließ Cecile eine Droschke bo
ten. nahm ihren Handkoffer mit hin
ein und gab Besehl, nach dem Ostbahn
hof zu fahren. Dort stieg sie in eine
andere Droschke und fuhr nach Neuilly.
Sie wurde in ein kleines, weißgetünch
tes Zimmer mit zwei Betten geführt.
„Ich schlase bei Ihnen," sagte eine
hübsche, große Blondine, „ich heiße
Julie und bin hier No. V," lächelte sie.
„Ich werde Sie in Ihrem Dienste un
terweisen. Wie heißen Sie?"
Marie Frederik," erwiderte Cecile
nnd reichte freundlich ihre Hand dem
blonden Mädchen.
„Jetzt gehen wir zum Essen und
<ann machen wir die Runde. Sie
werden hier sür gewöhnlich No. 7 hei
ßen. dies wird Ihnen seltsam vorkom
men, allein Herr Simon wünscht es
so."
Eecile trat mit ihrer Zimmergenossin
in ein saalähnliches Gemach, in dem
schon einige Wärterinnen gespeist hat
ten. Die noch um den Tisch Sitzenden
sahen sie kaum an, sondern aßen sort.
„Du hast schon wieder eine Neue?"
fragte eine ältere Frau mit strengem
Gesicht, „hast Du sie schon unterwiesen
und in die Hausordnung eingeweiht ?"
„Ich habe damit schon angefangen,
oie Praxis ist eben die Hauptsache, wie
Sie wissen, Madame Tourbelle."
„Wie heißen Sie?" fragte in herri
schem Tone Madame Tourbelle.
„Marie Frederik."
„Lassen Sie sich sagen, das erst«
Gesetz im Hause ist Gehorsam nnd
Schweigen. Was Sie auch sehen und
hören, es geht Sie nichts weiter an."
„Eecile nickte mit dem Kopse und
setzte sich an den Tisch, aber sie konnte
nichts hinunter bringen, so viel Mühe
sie sich auch gab. damit ihre Appetit
losigkeit nicht auffalle. Nach dem
Abendessen verließ sie mit Julie den
Speisesaal und bei einem Hinterthor
das Haus. Jetzt erst gewahrte sie ein
zweites Gebäude, das sehr düster und
unheimlich aussah. Es war ein schmuck
loser, länglicher Bau, dessen Fenster
mit starten, eisernen Gittern versehen
waren, so baß es einem Gesängniß ähn
lich sah."
„Da wohnen unsere Kranken," er
klärte Julie, „ich habe nur drei zu be
sorgen. das heißt, ich wechsele mit noch
einer Wärterin ab. Den Nachtdienst
haben Sie jetzt noch nicht. Sie werden
ihn erst in eiqem Holben Jahre antre
ten. wenn Sie so lange bleiben."
Das Innere de» Gebäudes glich dem
Aeußeren, alles war düster und schmuck
los. dichte Teppiche bedeckten die langen,
schmalen Gänge, die rechts und links
wattirte Doppelthüren hatten, damit
kein Geräusch heraus dringe.
„Hier sind die weiblichen Kranken,"
erklärte Julie, „ich habe zwei junge
Mädchen und eine ällere Frau. Es
sind nur vornehme, reiche Herrschaften
da, andere Kranken nimmt Herr Simon
nicht auf ; sehen Sie, hier ist schon un
ser Reich." Sie öffnete die Thür, und
Eecile betrat mit ihr ein elegantes und
bequem eingerichtetes Gemach. Ein
junges, ungefähr vierundzwanzig Jahre
altes Mädchen saß am vergitterten Fen
ster. Julie fragte: „Wie geht eS,
Fräulein?"
Die Dame blickte fit streng an und
gab keine Antwort.
„Königliche Hoheit, haben Sie noch
Wünsche?"
Jetzt flog ein Lächeln der Befriedi
gung über das Gesicht der Irren, sie
erhob sich und reichte Eecile die Hand
zum Kusse.
„Thun Sie es nicht," flüsterte Julie,
läßt sie Sie nicht mehr fori."
Die Kranke seufzte schwer aus und
ließ sich wieder auf den Stuhl sinken.
Julie ordnete das Bett, verrichtete noch
einige Dienste und verließ mit Cecil»
das Zimmer.
„Es ist die Tochter eines Grafen.
Sie verstehen, niemand darf ihren Na
men wissen : denn eine Wahnsinnige in
der Familie zu haben, ist eine Schande.
Der Direttor meint übrigens, es wär«
noch Hoffnung, si« zu heilen."
„Wie lange sind Si« schon da?"
fragte Eecile.
„Vier Jahre."
Wie gerne hätte Cecile nach Abens
berg gefragt, und wie hart kam ihr das
Schweigen an.
„Hier Nummero 19," fuhr Julie
sort, „wieder ein junges Mädchen
Blutleere behaupten die Herren Aerzte.
Sie will allen Mäusen in der Welt zu
trinken geben und schüttet jedes Getränt
auf den Boden. Sie ist sehr zärtlich
und verliebt, die Tochter eines Millio
närs."
Cecile kamen die Thränen, als sie
das todtblasse, kaum zwanzigjährige
Mädchen sah.
„Ach !" seufzte dieses, „ich habe ihn
so geliebt —so sehr geliebt! Bringen
Sie mir endlich Nachricht, wo er ist.
warum er nicht kommt!"
„Sie hält jeden Arzt sür ihren Ge
liebten," lochte Julie, „und da Num
mero 20. eine älter« Frau, Mutter
mehrerer Kindcr. die noch sämmtlich
gesund sind, aber da ist die Krankheit
«in Erbstück in der Familie."
„Wissen Sie den Namen ?"
„Gott bewahre, aber meistens die
Verhältnisse meiner Pfleglinge. So.
nun habe ich Sie bei unsern Krönten
eingesührt. die wir mitsammen besor
gen müssen. Wir haben sie zu bedie
nen, zu pflegen und sogar die Zimmer
zu reinigen, was meines Erachtens unS
nicht gebührt: allein was will man
machen, es ist einmal so Besehl."
Der Dienst war anstrengend und
besonders für Cecile sehr beschwerlich,
das Schreien. Stöhnen. Jammern der
Kranken ging ihr ties zu Herzen. Sie
litt Seelen- und Körperqualen ; denn
Julie sand gar bald, wie sanft und ge
duldig die neue Wärterin war. und
benützte deren Gefälligkeit zu ihren
Zwecken.
Schon nach einer Woche begriff Cecil«
ihren Dienst vollständig, doch nicht die
geringste Spur von Abensberg hatte si«
bis jetzt entdecken können.
Einmal fragte sie: „Sind nur In
länder in der Anstalt ?"
„Natürlich, Ausländer nimmt der
Herr Direktor nie."
Am Ende vergeude ich hier mein«
Zeit vergeblich, dachte sich Eecile, wenn
ich nur alle Kranken sehen dürfte, aber
so oft sie auch in den Hof oder Garten
sah, es waren nur Frauen und Mäd
chen unten.
„Sind denn keine Männer hier?"
fragte sie.
„Wenig, kaum acht, warum fragen
Sie? Waren Ihnen vielleicht männ
liche Kranke lieber ?" spöttelte Julie.
So geht es nicht, dachte sie sich am
Ende der zweiten Woche. Jeden Mo
nat hatte sie einen freien Tag für sich.
Am ersten solchen Tage ging sie in ihr
gemiethetes Haus, zog sich um und
fuhr in einer Droschke nach Paris.
Plötzlich stieß sie einen leisen Ruf aus,
befahl dem Kutscher zu halten, sprang
aus dem Wagen und lief auf einen
Herrn zu.
„Jean, Jean!"
„Ach, gnädigste Gräfin," rief dieser,
sich ties vor der erregten Cecile verbeu
gend.
„Haden Sie mich angelogen. Jean?"
„Ich schwöre, daß ich Ihnen die
Wahrheit sagte."
„Kommen Sie mit mir. Jean, ich
will Ihnen alles erzählen." Und Eecile
betannte ihm, daß sie in der Anstalt
diene, und immer noch nichts von
Abensberg gehört habe.
„Lassen Sie mich nachsinnen," sagte
Jean und bog mit ihr in den Tuile
riengarten ein, den sie langsam durch
schritten.
„Sie erzählten mir von einer jungen
Wärterin?"
„Ja. meine Zimmergenossin. Julie."
„Diese muß unS Farbe bekennen.
Lassen Sie mich die Sache in die Hand
nehmen, Sie werden sehen, daß ich es
herausbringe."
Er ließ sich von Eecile die Adresse
Juliens geben und wiederholte sein
Versprechen, ihr nach allen Kräften bei
zustehen.
„Wie wollen Sie es denn beginnen?"
fragte sie. Jean erröthete vor ihren
forschenden Augen und senkte das sei
nige zu Boden. „Mit List." sprach»,
„es muß, es wird gelingen."
Nachdem er sich verabschiedet, ging
Eecile einige mal in der Rue de Rivoli
auf und ab. Sollte sie dem Professor
Etoile sagen, daß sie Jean beigezogen
habe? Nein, es ist besser, ich schweigt,
dachte sie, stieg in eine Droschke, fuhr
nach Neuilly, kleidete sich wieder in ih
Würteringewand und kehrte in die An
stalt zurück.
Nach einigen Tagen sah sie. daß
Julie öfters einen Brief aus der Tasche
zog. ihn durchlas und dabei glückselig
lächelte.
„Das muß etwas sehr Erfreuliches
sein." sagte Eecil«, „weil Sie den Brief
to oft lesen."
(Fortsetzung folgt.)
Verheddert. Meine Herren!
Trinken wir auf die, die im dem schwe
ren Leben hm ! die in dem schönen
Leben schweren—hm! hm! —die in dem
schönen Leben unserer Zeit
hmm! die in der schönsten Zeit unser
Leben erschweren—hm! turz„ meine
Herren, trinken wir aus die Damen!
Brüderliches Hochgefühl.
Der kleine Karl: Du. Mama, bleibt
denn der kleine Willie immer kleiner
als ich? Mama: Ja, gewiß!—
Karl: Ach. das ist schön, dann kann ich
ihn ja auch immer durchprügeln!
Ver schnappt. Alte Erb
tante: „....Lieber Neffe, ich werde
nicht mehr lange leben!" Studiosus:
.Ach. liebe Tante. Sie sind iu oütial"
Sine Sonntagsseier in »er gute«»
alte« Zeit.
Von der Sonntagsseier um l7<X>
entwirft uns der Wiener Sittenpredi
ger Abraham a Santa Clara in seiner
derben Redeweise «in anschauliches Bilk»
in seiner Schrist „Geh'.hab' dich wohl".
„Eine oder die andere hochadelige
Dame", schreibt er. „kommt Samstag
Nachts um zwölf Uhr von der Gesell»
schast nach HauS. Da sie nun bei ge»
detter Tasel von den delikatesten Bissen
eine ziemliche Portion zu sich genom
men, begibt sie sich zur Ruhe und
schläft darauf am Sonirtag bis gegen
zehn Uhr. Dann setzt sie sich zu dem
Nachttisch vor den Spiegel, zwingt die
Haare durch die Pomade in die Höh«,
putzt, stutzt, ziert, schmiert sich, umsteckt
sich mit kostbaren Haar- und Zitterna
deln: es glänzet Alles von Schmuck.
Silber und Gold. Endlich kommt sie
wie ein gestirnter Himmel gegen zwölf
Uhr in die Kirche, setzt sich vorne in den
großen Stubl, damit sie Jedermann sehe
und von Allen möchte gesehen werden.
Der Lakai trägt einen rothsammte
nen, mit Gold reich bordirten Bücher
sack und legt eine Bibliothek von Ge
betbüchern aus. Unterdessen ist der
Kapellan schon iiiformirt. daß er soll
«ine geschwinde Meß lesen, trifft man
dann die nächste beste Jäger-Meß an.
ist die Sache desto besser. Während der
Meß blättert sie zwar in den Büchern
ein wenig um. gedenkt aber mehr, wie
sie den Sonntag zubringen werde. Wo
selbigen Tag die Gesellschast sei? WaS
man vor eine Komödie spielen wird?
Was Nachmittags vor Visiten abzule
gen? Mithin ist die Meß vorbei und
Gott hat nicht den mindesten Antheil
auch in seiner geheiligten Kirche an die
ser scheinheiligen Andacht. Die ande
ren Politici und Staatleut stehen da
in gepuderten Perrücken, kehren dem
Altar den Rücken, Präsentiren einan
der Tabak, lesen Briese, erzählen Zei
tungen. Mancher lehnet an einer Kir
chensäule, betrachtet die neue Mode oder
schauet aus rin schönes Frauenzimmer
und winkt ihr mit den Augen, daß sie
aus seinen verliebten Blicke» bald ver
stehen kann, was er in dem Busen füh
ret.
Sobald als der Morgen ankommt,
welcher gleich nach dem Dienst Gottes
solget, da muß die Tafel mit den kost
barsten Speisen und mit ausländischem
Wein aus das Stattlichste und Präch
tigste versehen sein. Nachmittag legt
man sich schlafen, damit der angt
stoppte Wanst die Speise desto besser
verdaue. Andere setzen sich zum Spie
len. Die gemeinen Leute fliehen im
Sommer in die Gärten, Kneipen und
Kegelstätt. Da geht es wieder an ein
Esjen und Trinken. Es trinken die
Eltern, es trinken die Kinder, es trinkt
der Diener, es trinkt die Magd, es
trinkt der Meister, es trinkt der Gesell,
es trinkt der Geschworene. Ist dann
die Zeit nach Hau'e zu gehen, so torkelt
da Einer im Heimgchcn über die Brül
len, dem Andern sind die Gassen zu
eng, dem Dritten fällt der Degen aus
der Scheide, der Vierte hat die Perrücke
verloren, der Fünfte gehet sonst in
einen Winkel, der Sechst« sällt gar in
dir Kothlachen.
Den Sonn- und Feiertag schließet
die Nacht, welche sonsten einem jeglichen
Menschen zu allgemeiner Ruhe gewid
met ist. Da fanget sich aber bei den
Sturmköpfcii der Tumult erst recht an.
Das unaufhörliche Geschrei, die bluti
gen Raushüiidel. das grausame Schel
ten und Fluchen, dos Degenwetzen.
Schießen, Hauen und Stechen auf den
Gassen und Straßen, das Greinen und
Zanken bei den Eheleuten ziehet Man
chen in Verwunderung. Niemalcn ge
schehen mehr Mordthaten, mehr Fre
vel- und Lasterthaten. mehr Schand
thaten, als an den Sonn- und Feier
tagen. also daß der Tag des Herrn ins
gemein ein Tag der Ueppigkeit, der
Festtag ein Freßtag und der Feiertag
ein Feiertag zu allerhand Sünden und
Lastern ist."
Wenn auch damals Wien mehr als
heute der Sitz des üppigen Lebensge
nusses war. so wird die Sonntagsseier
in allen größeren Städten doch unter
ähnlichen Verhältnissen stattgefunden
haben.
Kühne Sprünge. Student:
Herrlich! Kostbar! Welche Sprünge
unser alter Geschichtsdocent macht! In
fünf Minuten hat er neulich ein ganzes
Jahrtausend durcheilt! Schauspieler:
Das ist doch garnicht?. Unsere Heroine
macht noch größere Sprünge. Die
spielt jetzt im Shalespear'schen „König
Heinrich VIll". Da wird sie in der
Schlußscene in einem Thronhimel ge
tragen und lv Minuten später zu
Hause hat sie keinen ganzen Stüh»
mehr!
Konsul oder General
konsul? Vor einiger Zeit stand ein
Schriftsteller im Foyer eines Theaters
und unterhielt sich mit dem General
konsul X., welcher vor kurzem zu dieser
Würde avancirt war. Ein gemeinsa
mer Bekannter trat heran und begrüßte
den Generalkonsul mit folgenden Wor
ten: ..Guten Abend, Herr Konsul."
„Wie können Sie Herrn X. Konsul ti
tuliren." fragte der Schriftsteller, „der
Herr ist Generalkonsul, Konsul kam»
jeder sein Napoleon war auch Kon"
sul!"
Ein Freund der histori
schen Wahrheit, der zugleich Lehrer ist.
will seinen Zöglingen den Unterschied
zwischen Geschichte und Sage klar ma
chen. Er erzählt ihnen das Märchen
vom Barbarossa, der Jahrhunderte
lang im Kliffhäuser geschlafen hat.
..DaS ist natürlich nicht historisch"»
fügte er hinzu, ..was ist das also.
Karlchen?" ..Mumpitz!" erwiedert
vrompt der kleine Berliner.
Bedingte Wahrheit.
Fremder: Sind Sie der Herr hier im
Hause? Hausherr sfich erst umschau
end. ob auch sein« grau nicht in der
Mh« »st)> I"' 3