Gräfin Daran. (5. Fortsetzung.) „Lieber Doctor, noch einS: wann verde ich ausstehen können?" „O, davon ist noch keine Rede. Erst fragen Sie mich, wann Sie sterben, und dann, wann Sie aufstehen dürfen." Die Geduld CecileS wurde auf eine harte Probe gestellt: sie erholte sich nur langsam von ihrer Krankheit. „Wenn Sie im Stande sind zu rei sen. liebe Komtesse, so müssen Sie nach dem Süden. Ihre schmalen, bleichen Wangen werden dann bald voll und roth werden." „Vorher aber habe ich eine Mision zu erfüllen." „Ist endlich Ihr Gewissen erwacht? wollen Sie sich mit dem Grafen wieder versöhnen?" „Sie wissen recht gut. Doctor, daß ich lieber sterben möchte als mich selbst verlausen: Sie wollen mich auch nur necken. Ich muß nach Zürich: denn Jean ist der einzige, der mir helfen kann, ich weiche nicht mehr »on seinen Fersen, und müßte ich ihm mein ganzes Vermögen geben, ich will die Wahrheit erfahren." „Ich kann Ihnen nur immer wieder rathen, die Sache aus sich beruhen zu lassen." „Wann kann ich endlich reisen?" .Das ist noch nicht zu bestimmen." Fünftes Eapitel. An einem kalten Regentage kam Ee cile in Zürich an. Gleich nach ihrer Anlunft ließ sie sich das Adreßbuch brin gen. Sie fand darin zwei Burgeli, der eine, mit dem Vornamen Franz, war Schuhmacher, der andere hieß Jean und war Parsümeur aus Paris. Der Tag neigte sich dem Ende, als sie das Hoicl verließ. Die Stadt war in Däm merlicht gehüllt, ein Nebelschleier lag über dem See. und ein talter rauher Wind machte die erst kürzlich Genesene frösteln. Sie suchte den Laden des Parsümeurs, der sich in einer der beleb testen Straßen Zürichs befand. Eecile lauste Seisen und Odeurs und fragte: „Sind denn diese Waaren wirklich direct aus Paris?" „Ganz sicher, gnädige Frau, mein Mann bezieht alle Waaren aus Paris." „Er ist aber kein Franzose, denn oer Name ist deutsch." erwiderte Eecile. „Er lebte aber viele Jahre in Pa ris." „Wann ist denn Ihr Mann zu spri ch?»? Ich habe einen Burgeli gekannt und möchie ihn um etwas fragen." „Um diese Zeit ist er immer in der Wohuuug. wenn Sie sich dorthin be muhen wollen, können Sie ihn sicher treffen." Sie schrieb ihr die Adresse Großmün sterplntz No. 3 auf und Cecile entfernte sich dankend. Mit klopfendem Herzen eilte sie ihrem Ziele zu. Bald sand sie den Platz und die Wohnung. Endlich war sie am Ziele. Ein Dienstmädchen öffnelc ihr die Thüre und führte sie in ein hübsch möblirtes Zimmer. Gleich daraus tam auch Jean. Da es schon stark dunkelte, erkannte er Cecile nicht, als aber das Madchen eine Lampe auf den Tisch stellte, wich er betroffen einen Schritt zurück. „Mein Gott," rief er, „irre ich mich nicht ? Ich habe die Ehre, Frau Grä sin Daron vor mir zu sehen? Womit kann ich Ihnen dienen ?" „Das fragen Sie Ihr Gewissen," antwortete ernst und traurig Cecile. „Mein Gewisjen, gnädigste Gräfin, ist rein." „Machen wir nicht ziele unnöthige Worte, " suhr sie fort, „Sie wissen recht gut, warum ich Sie aufgesucht habe; ich bin auch so vernünftig, Sie in kei ner Weise in Unannehmlichkeiten brin gen zu wollen, und dann—mein Vetter wird Sie schon mit einer Summe be wogen haben, ihm in dieser Angelegen heit zu dienen ich verdopple, ich ver dreifache diese Summe, ivenn Sie mir sagen, wo Sie ihn hingebracht haben." „Gnädigst« Gräsin, gestatten Sie mir, Ihnen zu erzählen, aus welche Weise ich gebraucht worden bin. Ich mußte erst mein Wort dem Grasen ge be». über das Ganze zu schweigen, xnd dann als ich seine Befehle getreulich ausgeführt hatte, fragte er mich, wie viel ich verlange, wenn ich —Paris ver lasse. In meiner Ueberraschung nannte ich eine Summe; sie war nicht groß, denn ich begriff den Grafen eigentlich nicht. Wir hatten nichts Unrechtes ge than, wir hatten nur seinen Befehl vollführt, und der Graf hatte eben ge handelt, wie an feiner Stelle höchst wahrscheinlich manch anderer Mann auch gehandelt hätte. Verzeihen Sie mir, gnädigste Gräfin, wenn ich frei und offen spreche, aber soll ich alles sagen, so muß ich ohne Umschweife rede». Der Herr Graf hatte einen vermeintlichen Nebenbuhler aus Ihrem Palais bringen lassen, einen gehaßten Deutschen noch dazu, und zwar mit aller möglichen Schonung. Der Deutsche wurde so sorgsam tranSportirt, als sei er eine geheiligte Persönlichkeit. Mich überraschte deshalb die Forderung des Grasen, daß ich Paris verlassen solle, und erst von da an stieg ein Verdacht bei mir auf. Wenn der Herr Gras ganz torrelt gehandelt, wcrum sollte ich dann entsernt werden? und warum nahm er mir das Wort ab, zu schwei gen ? was aber ging das mich im «runde an? Ich ging also hierher, da machte mich mei» Bruder erst s« recht aufmerksam. Die Summe war nicht so groß, daß ich mein ganzes Leben lang hätte privatisiren können. >udem war ich verwöhnt, um dieWabr beit zu gestehen. Der Tisch bei dem Grafen Tbionville war vorzüglich. Weine hatten wir die besten und hin länglich nach Bedarf; mein Dienst war «in sehr leichter. Das Leben, das ich in Paris gejährt, ging mir ab. Ich khrte zurück und zog näher« Erkund»- gungen ein. und erst dann begriff ich. warum d:r Herr Graf mich von Paris fort wünschte, warum er mich so hono rirt hatte—ich inachte mir seine Schuld zu nutze, ich ging zu ihm und sagte, daß. wen» er mir nicht sofort zehntau send Francs ausbezahle, ich Ihnen, gnädigste Gräsin. alles bekennen werde. Ich erhielt das Geld, mußte aber mein Versprechen zu schweigen wiederholen." „Sie werden Ihr Gewissen doch nicht »eschwert haben wollen, wenn Sie es erleichtern können ? Sie erhalten drei ßigtausend Francs, wenn Sie mir ent decken, wohin Sie den Unglücklichen ge bracht haben." „Gnädigste Gräfin, ich müßte ja mein Wort brechen." „In diesem Falle thun Sie gut, denn Sie sind gar nicht schuldig, es zu halten." „Allerdings, das ist auch meine An sicht. ich sehe auch keinen Grund ein, warum ich es Ihnen verschweigen soll. Allein ehe ich eS Ihnen sage, bitte ich Sie, mir zu versprechen, daß Sie mich nicht dem Herrn Grasen verrathen. Der Kranke ist ein Deutscher, und ich mag sie nicht, wenn ich auch kcin Fran zose bin, aber der Unglückliche dauert mich doch, wenn er anders »och lebt, obschon ich sicher annehme, daß es ihm an nichts mangelt, aber eS ist doch schrecklich, so verlassen zu sein von aller Hilfe." „Zögern Sie nicht länger, wo habt Ihr ihn hingebracht?" „Versprechen Sie mir erst, mich nicht zu nennen." „Ich schwöre eS bei dem Andenken an meine Eltern, ich gebe es Ihnen schrift lich." „Noch besser," sagte Burgeli und yolte Papier und Tinte. Mit «inigen Worten schrieb Eecile ihr Versprechen nieder nebst einer An weisung aus dreißigtausend Francs. „Ich bekam den Besehl vom Herrn Grase», mich den Anordnungen einer seiner Freunde zu fügen," sing Jean wieder an. „Daraus hin mußte ich in Ihr Palais, wo ein mir fremder Herr, der ein Arzt zu sein schien, nebst einem kräftigen Mann man sagte mir. eS sei ein KrankcnwSrter anwesend wa ren. Wir trugen den Deutschen hinab in einen großen, bequemen Sanitäts wagen. und fuhren nach Neuilly. Ich hatte dabei, wie gesagt, kein Arg, denn daß mein Herr den Sterbenden nicht im Hause seiner todttranten Kousinc haben wollte, leuchtete uns allen ein, zudem wußten wir, daß der Herr Graf den Deutschen haßte, was mir bei dem An blicke des hilselos Sterbenden eigentlich lächerlich vorkam. Es war ein großes, mitten in einem Garten liegendes Haus, vor dem wir hielten. Mir schien es ein Privatgebäude zu sein. Aus dem mit hohen Mauern umgebenen Hofe kamen uns drei Männer entgegen, die den Deutschen in das Gebäude trugen. Ich war entlassen und konnte heimkeh ren. Waruni der Herr Graf ihn da hinausschaffte, dachte ich—, doch meinet wegen." „Also bei Neuilly?" unterbrach ihn Cecile. „Glauben Sie, daß er noch gesangen ist?" „Sicher," lächelte Burgeli listig, wenn er nicht schon längst unter der Erde ruht, was weit wahrscheinlicher ist. Aber hören Sie mich zu Ende. Wie ich Ihnen schon gesagt, kehrte ich nach Paris zurück. Ich suhr nach Neuilly und stellte in dem benachbarten Weinhause Nachforschungen an, wem Venn das graue, düstere Haus gehöre. „Tem Herrn Doctor Simon," wurde mir geantwortet. „So ? ich hätte es beinahe für ein Gefängniß gehalten," sagte ich." „Es ist auch kaum besser als ein solches," berichtete die Wirthin, „diejenigen, die da hinter den Mauern sind, kommen nicht mehr heraus. Es ist eine Privat-Jrrenanstalt. Wissen Sie. sür noble Leute, die es verbergen wollen, wenn ein Mitglied der Familie nicht ganz richtig da oben ist." Ich hatte genug gehört; Sie können sich nun denken, gnädigste Gräfin, daß mir plötzlich ein Licht aufging, warum mich der Herr Graf aus Paris haben wollte, und als ich dann durch Madame Neige hörte, daß der Deutsche in Millecroix begraben liegen solle, faßte ich den Plan, mich bom Herrn Grafen tüchtig zahlen zu lassen. Er weigerte sich auch gar nicht, suhr mich aber wüthend an, als ich bemerkte, daß ich zu einem Ver brechen mißbraucht worden sei. „Was, elender Kerl?!" schrie er mich an. „Noch ein solches Wort und Du sollst mich von einer andern Seite kennen lernen. Hätte ich dann Dir befohlen, ihn zu begleiten, hätte ich ihn nicht ohne Dich fortschicken können, Dumm kopf ? In letzter Zeit ist der Deutsche irrsinnig geworden, er sollte bei Herrn Simon bleiben, bis er gestorben oder ztiiesen an Geist und Körper, und jetzt schcere Dich zum Teufel. Diese Summe gebe ich Dir aus Rücksicht für meine llrme Kousint. die wie ein Kind ist, dem man das Spielzeug nehmen muß. Geh mir aus de» Augen und laß Dich nie mehr hier blicke». „Ich wußte nicht, was ich ihm glauben sollte. Es ist wirklich wahr, dachte ich, warum hätte -r mich sonst mitgeschickt bis zur Irren anstalt ? Wäre ich nicht dabei gewe sen, niemand würde etwas erfahren haben. Der Herr Graf hat den Deut schen in die Anstalt verbringen lassen, und wenn er nicht gestorben, so ist zu wetten, dav er irrsinnig geworden ist in einer solchen Umgebung, und daß dies im Sinne des Grasen lag, ist das abscheuliche Verbrechen, von dem ich nichts wissen will." Eeeile dachte: Mein Gott! so nahe, und ich ahnte es nicht. Wie recht hatte Burgeli, der arme Unglückliche mußte verzweifeln, da war keine Sekunde zu verlieren. „Gnadige Gräfin," unterbrach Bur geli ihre Gedanken, „erlauben Sie mir noch eines. Sie sind natürlich ent schloffen, den Deutschen zu befreien, lassen Sie sich rathen, alle mögliche Vorsicht zu gebrauchen« denn wenn er wirtlich noch lebt, was ich allerdings nicht glaube-denn er sah so elend und schwach aus, daß ich fürchtete, er möchie unterwegs seinen Geist aufgeben—wenn also doch, ein Wunder geschehen wäre und er »och lebt, so wird er sicherlich wo aiiders hingebracht worden sein, nachdem ich mit dem Herrn Grasen darüber gesprochen habe."' Eecile ließ sich nochmals alles aus führlich erzählen und sich das Haus des Doctor Simon genau bezeichnen. „Das können Sie gar nicht verfeh len," sagte Jean. „Wenn Sie durch Neuilly gefahreu sind, steht eS links verborgen hinter großen Bäumen von einer Hohen, gefängnißartigen Maue» eingefaßt. „Geht heute Abend kein Zug meh' nach Paris ?" fragte sie. „Nein, aber morgen in aller Frühe. Ich freue mich, gnädigste Gräfin, wenn ich Ihnen in einer guten Sache dienen konnte." „Sie hätten gleich zu mir kommen sollen. Ihre Säumniß kann ei» großes Unglück veranlaßt haben." „Frau Gräsin. Sie vergessen die Um stünde. Erstens waren Sie todttrank. dann hielt mich das Versprechen an de» Grafen gebunden, zudem war ich nicht in Paris, und schließlich, hatte ich denn ein Recht, mich in die Angelegenheiten des Herrn Grafen zu mischen, der nich» mehr mein Herr war ?" Cecile ging mit den peinlichsten Ge fühlen in ihr Hotel zurück. So froh sie eineStheils auch war, einen Anhalis piintt zu haben und auf Leonhards Spur zu sein, so krampste sich doch ihr Herz zusammen, wenn sie bedachte, in welch einer Umgebung sich der Arme die ganze Zeit über befand. Henri wollte, wenn auch nicht den Tod des Körpers feines Rivalen, so doch den Tod seines Geistes. Er wollte ihn irr sinnig machen, um ihn für immer von ihr zu trennen. Während sie sich dem Gedanken in Angst. Hoffnung und Trostlosigkeit hingab, jauchzte Burgeli in seiner Wohnung. Immer wieder heftete sich sein Blick aus die Zahl von dreißigtausend Francs. ES war hohe Zeit für ihn, daß Hilf« kam, denn er hatte schon im Sinn« gehabt, diese abermals bei dem Grase» zu suchen. Erst wollte er diesen bitten und zuletzt mit Drohungen kommen, daß er alles, was er wußte, aupplaudern wolle, immerhin aber mußtesich der Graf eines großen Unrechtes schuldig fühlen, sonst hätte er ihn nicht für die kurze Fahrt von Paris bis Neuilly so bezahlt. Sein Geschäft in Zürich ging nicht, überdies gefiel «s ihm hier nicht, längst schon sehnte er sich nach Paris zurück. Wie toll doch diese Aristokraten ihr Geld wegwerfen, dachte er sich, der eine aus Rache, die andere aus Liebe kaum glaublich, wenn ich an den Sterbenden denke, doch die Wei' der sind unberechenbar. Cecile saß mit geschlossenen Augen allein in ihrem Kupee und dachte nach, was sie zunächst beginnen sollte. Durste sie Plosessor Etoile in's Vertrauen zie hen oder nicht? Er tonnte ihr sicher von großem Nutzen sein, konnte ihr mit Rath und That beistehen. Aber er hatte sich immer aus die Seite ihres Vetters gestellt, hatte diesen immer ver theidigt. Am Ende war «s doch klüge? zu schweigen. Wenn er das Geheimniß Henri ver> rieth, wenn dieser gewarnt würde? Nein, vorerst wollte sie allein, ohne fremde Hilse ihre Mission beginnen. Gegen den Abend kam sie in Paris an, mit sehnsüchtigen Augen sah sie ge gen Neuilly hin. Sollte si« nicht heut« Nacht »och eine Fahrt dorthin machen, um wenigstens nur einige Minuten in seiner Nähe athmen zu.kö»nen? Nein, sie mußte jedes Aussehen vermeiden. Müde, abgespannt und doch aufgeregt legte sie sich zu Bett, konnte aber die ganze Nacht uicht schlafen. Vor allem mußte sie das HauS sehen, dann wollte sie in dessen Nähe eine Wohnung neh men. um ihre Beobachtungen anstellen ,u können. Wie sie eS aber anfangen sollt«, sklbst in das Haus zu dringen, um Leondard zu sehen, um ihm Muth und Hoffnung einflößen zu können, war ihr unerklärlich. Hundert Ge danken durchkreuzten ihr gemartert«? Hirn, und keiner schien ihr ausführbar. Oder sollte sie jede List bei S«itc wer fen und ossen das Gericht zu Hilse neh men?— Nein, man würde sie verlachen, den hochgeachteten und allgemein be liebten Grafen Thionville anzuklagen eines gehaßten Deutschen wegen.— Bei jeder Bchörde würde sie verhöhnt wer den ihr Sinn war offen und ehrlich. Auch die schwerste Aufgabe wäre ihr leichter erschienen, wenn sie nicht im Geheimen und versteckt hätte handeln müssen. Und doch, eS mußte gehen. Ein Glück, dachte sie, ist, daß Henri nicht hier ist, er würd« mich sonst hem men : denn er ließ jeden meiner Schritte beobachten, ich wußte «S wohl. ES mag auch sein, daß er jttzt in s«in«r Abwesenheit noch Spione aufgestellt hat. Zuletzt biki ich doch unfähig, allein meine Ausgabe ausführen zu können, ich werde die Hilf« EtoileS in Anspruch nehmen müssen. Am frühen Morgen, während di« Straßen von Paris noch menschenleer waren, trat Cecile einfach und dunkel gekleidet und dicht verschleiert aus ihrem Palais. In der nächsten Straße stieg sie in eine Droschke und gab dem Kut scher den Besehl. nach Neuilly zu fah ren. Sie wisse nicht mehr genau di« Hausnummer, sagte sie, es möge unge fähr zehn bis fünfzehn Häuser von der Anstalt des Herrn Doctor Simon ent' sernt sein, wenn er diese kenne. „Welches Haus kennt ein richtiger Pariser Droschkenführer nicht?" erwi derte er stolz mit dem Kopse nickend. Endlich also fuhr sie ihrem Ziele zu. Außerhalb Neuilly erkannte sie sofort das Gebäude, das ihr Jean Hinter diestn Mauern war er gefangen ihretwegen. Sie gtbot dem Kutscher zurückzufahren bi» zur Madeleine, wo sie ausstieg, um ein heißes Gebet znm Himmel zu senden sllr die Besreiung Abensbergs. > Gegen Abend fuhr sie nochmals in einer Droschke nach Neuilly : sie wollte sich dort eine Wohnung suchen. Das Glück begünstigte sie. Nicht weit von der Simon'sche» Anstalt besand sich ein kleines Haus in einem großen Garten, hinter Bäumen verborgen. Ueber der Gartenthür war zu lesen, daß Haus und Garten zu vermiethen sei. Nähe res zu erfahre» bei Herrn MarS, Rue Rivoli. Cecile kebrte zurück in die Ru« Rivoli zu Herrn Mars, der für das einfach möblirte Haus einen sehr hohen Preis verlangte.' Sie sandte nach einer Stunde die verlangte Summe. Am nächsten Tage suhr sie abermals am srühen Morgen nach Neuilly. Un gesehen gelangte sie in das HauS und betrat dessen Räume. Hier wollte sie sich umkleide», um dann dem Herrn Simon ihr Gesuch vorzutragen, er möge sie als Wärterin dingen. Aber sie besann sich, daß es doch klüger wäre, den Professor in'S Geheimniß zu ziehen, da sie Zeugnisse für ihre Fähigkit als Krankenwärterin werde vorweisen müs sen. Sie verlieb deshalb das Haus wieder, kehrte nach Paris zurück und ging zu Etoile. „Welch eine Ueberraschung. lieb« Komtesse," rief er, „womit kann ich Ihnen dienen? Ich sehe eS in Ihren Augen, daß Sieein Anliegen auf Ihrem Herzen haben. Waren Sie wirtlich in Zürich?" „Ja, und ich habe auch meinen Zweck «rreicht." „Oh ! lassen Sie hören." „Ich habe Jean gefunden, und e» yat mir gestanden, daß Abensberg ge fangen ist in einer geheimen Irren anstalt." Der Professor machte eine heftig» Vewegling der Ueberraschung. „Also war es ooch nur eine Lüge des Gra s-n.s' „Ja, eine schändliche, gemrine Lüge. Ich muß in die Anstalt und brauche dazu ein Zeugniß, daß ich eine gute, tüchtige Krankenwärterin bin. dies tön nen Sie mir bestätigen. S>« bezeugen also, daß Marie Frederik eine vortreff liche Pflegerin ist. die Sie für jeden Kranken empfehlen können, und lassen dann dieses Zeugniß von einigen Ihrer Kollegen unterschreiben." „Wenn die Anstalt das Tageslicht zu scheuen hat, werden Sie mit einem Zeugniß von bekannten Aerzten in kei nem Falle aufgenommen." Sie überlegte einige Minuten. „Wir machen den Versuch, mißlingt er. werde ich etwas anderes beginnen." „Wie heißt der Director der An stalt ?" „Darüber lassen Sie mich noch schwei gen." „Und, liebe Komtesse, Sie wollen sich die Plage einer solchen Komödie zu muthen ? Sie wissen gar nicht, was für ein Quantum Geduld, Fleiß und Ausdauer von diesen Pflegerinnen ge fordert wird. Ich will es jedoch nicht versuchen, Ihnen abzurathen, denn in meinem Leben kam mir noch kein so harter Kops vor wie der Ihrige." „Es würde Ihnen auch nichts nützen, ich gehe meinem Herzen »ach, dessen Jlistiiitt mich führen und leiten wird. Ich bin schon um vieles weiter gekom men : gebe nur Gott, daß ich gesund bleibe." „Meine liebe Komtesse, Sie werden, wenn Sie auch auf die Spur t«S Teut schen kommen, doch nur seine Ueberreste finden." Sie schauderte. „Dann habe ich wenigstens Gewißheit." „Welch ein seltsames Weib." dachte Etoile,, ihr mit Bewunderung nach schauend. „zäh und ausdauernd und glühend in ihrer Liebe." Eecile änderte in dem gemietheten Häuschtn rasch ihre Toilette! Sie zog ein einfaches, schwarzes Wollkleid an. strich sich die Haare aus dem Gesichte und verbarg sie unter einer matronen artigcn, weißen Haube, dann nahm sie einen langen, schwarzen Kragen über die Schultern, steckte das Zeugniß Etoi leS zu sich unv schlüpfte rasch aus einem Hintcrthürchcn des Gartens hinaus. Eine Viertelstunde später zog sie die Klingel cm der Simon'schen Anstalt. „Kann ich den Herrn Director spre che» fragte sie. „WaS wollen Sie?" fuhr sie der Hausmeister unwirsch an. „Meine Dienste anbieten." Er betrachtete sie mit kritischen Bül ten von oben bis unten, so daß der Unwille ihr das Blut in die Wangen trieb, und sagte: „Habe nichts ge hört, daß man eine neue Wärterin braucht, aber ich kann es ja dem Herrn Director melden." „Sie sollen kommen," -rief er ihr kurz nachher zu, „dort über eine Stiege links die erste Thür." Das Herz pochte ihr ungestüm, als sie leise antlopfte. Auf ein barsches Herein trat sie über die Schwelle. Sie war so verlegen, daß sie sich kaum die Augen aufzuschlagen getraute. „Eine Wärterin ?" fragte der Herr. Sie blickte ihn an und sprach „Ja." „Wer Hot Sie geschickt ?" „Niemand." „Wie kommen Sie auf den Einfall, sich in meinem Hause eine Stelle zu suchen?" Eecile erkannte die Gefahr, jetzt mußte sie muthig sein. „Mein Herr," sprach sie ohne Scheu und iah fest in sein auf sie forschend gerichtetes Auge, „ich bin eine gute Pflegerin und kann mich ausweisen." „Haben Sie Kranke, wie sich solch« in meiner Anstalt befinden, schon be dient ?" „Bisher noch nicht, aber ich möchte mich eben auch darin versuchen, des halb tam ich hierher, Herr Direktor. Sie werden bald sehen, daß Sie sich auf meine Tüchtigkeit verlassen kön nen." „Hm," machte der Direktor und be sichtigste einige Sekunden die wohlge pflegien Nagel seiner schönen schlanken Hand. „Geben Sie mir Ihre Zeug nisse." l Ereile reichte sie ihm hin. „Das sind lauter klingende Namen von Professoren und Doktoren, ober von Privaten lese ich nichts. Können Sie sich nicht besser ausweisen ?" „Wenn Sie noch andere Zeugnisse wünschen, müßte ich mir da, wo ich diente, noch welche holen," erwiderte sie unerschrocken. „Was verlangen Sie für ein Salär?" fragte der Direttor. „Das überlasse ich ganz Ihnen." „Da ich Ihre Leistungsfähigkeit noch nicht kenne— es muß eben erst ein Ver such gemacht werden —so genüge» zwan zig Francs die Woche." Sie stimmte zu. „Wann können Sie «intr«ten ?" „Wenn Sie es wünschen. heut« Abend." „Sollten Sie untauglich skin, wer den Sie in acht Tagen wieder ent lassen." „Gut, mein Herr." Sie verließ die Anstalt und kehrte oei dem Hinterthürchen des Gartens wieder in ihr gemiethetes Haus zurück, wo sie ihre alte» Kleider anzog und dann in einem Omnibus nach Paris fuhr. Dort tauste sie die nöthigste, einfachste Wäsche, ließ alles zusammen packen und i» die Anstalt Simon schicken. Endlich, endlich also dem Ziele nahe! einem Dache mit ihm! Sie konnte vor Aufregung kein« Sekunde ruhig sein, wie würde sie ihn finden ? Deun daß er noch lebte, daran zweifelte sie Nicht. Am Abend ließ sie Madame Neige sagen, daß si« wieder verreise und vor einigen Wochen kaum zu erwarten sei. Als dieser Entschluß bekannt wurde, schüttelten all« die Köpfe. Es muß nicht richtig sein bei unserer Komtesse; was sie nur immer so allein in der Welt herum fährt, ohne Jungfer, ohne Die ner ! Und niemand weiß, wohin. „Sie sucht den Vetter." meinte der im Dienst ergraute Kammerdiener, „ich habe gehört, er ist gegenwärtig in Deutschland." „Das glaube ich nicht," sagte Frau Neige, „nimmer reist unsere Komtesse ihrem Vetter nach, sie hat ih» ja nie so recht gerne gehabt." „Was für einen Zweck hätte sie denn sonst?" fragte Monsieur Granville. «Ich glaube eher, sie hat sich ver lobt. sie geht wallfahrten nach Lourdes, oder sie zieht sich in ein Kloster zurück." Abends ließ Cecile eine Droschke bo ten. nahm ihren Handkoffer mit hin ein und gab Besehl, nach dem Ostbahn hof zu fahren. Dort stieg sie in eine andere Droschke und fuhr nach Neuilly. Sie wurde in ein kleines, weißgetünch tes Zimmer mit zwei Betten geführt. „Ich schlase bei Ihnen," sagte eine hübsche, große Blondine, „ich heiße Julie und bin hier No. V," lächelte sie. „Ich werde Sie in Ihrem Dienste un terweisen. Wie heißen Sie?" Marie Frederik," erwiderte Cecile nnd reichte freundlich ihre Hand dem blonden Mädchen. „Jetzt gehen wir zum Essen und entwirft uns der Wiener Sittenpredi ger Abraham a Santa Clara in seiner derben Redeweise «in anschauliches Bilk» in seiner Schrist „Geh'.hab' dich wohl". „Eine oder die andere hochadelige Dame", schreibt er. „kommt Samstag Nachts um zwölf Uhr von der Gesell» schast nach HauS. Da sie nun bei ge» detter Tasel von den delikatesten Bissen eine ziemliche Portion zu sich genom men, begibt sie sich zur Ruhe und schläft darauf am Sonirtag bis gegen zehn Uhr. Dann setzt sie sich zu dem Nachttisch vor den Spiegel, zwingt die Haare durch die Pomade in die Höh«, putzt, stutzt, ziert, schmiert sich, umsteckt sich mit kostbaren Haar- und Zitterna deln: es glänzet Alles von Schmuck. Silber und Gold. Endlich kommt sie wie ein gestirnter Himmel gegen zwölf Uhr in die Kirche, setzt sich vorne in den großen Stubl, damit sie Jedermann sehe und von Allen möchte gesehen werden. Der Lakai trägt einen rothsammte nen, mit Gold reich bordirten Bücher sack und legt eine Bibliothek von Ge betbüchern aus. Unterdessen ist der Kapellan schon iiiformirt. daß er soll «ine geschwinde Meß lesen, trifft man dann die nächste beste Jäger-Meß an. ist die Sache desto besser. Während der Meß blättert sie zwar in den Büchern ein wenig um. gedenkt aber mehr, wie sie den Sonntag zubringen werde. Wo selbigen Tag die Gesellschast sei? WaS man vor eine Komödie spielen wird? Was Nachmittags vor Visiten abzule gen? Mithin ist die Meß vorbei und Gott hat nicht den mindesten Antheil auch in seiner geheiligten Kirche an die ser scheinheiligen Andacht. Die ande ren Politici und Staatleut stehen da in gepuderten Perrücken, kehren dem Altar den Rücken, Präsentiren einan der Tabak, lesen Briese, erzählen Zei tungen. Mancher lehnet an einer Kir chensäule, betrachtet die neue Mode oder schauet aus rin schönes Frauenzimmer und winkt ihr mit den Augen, daß sie aus seinen verliebten Blicke» bald ver stehen kann, was er in dem Busen füh ret. Sobald als der Morgen ankommt, welcher gleich nach dem Dienst Gottes solget, da muß die Tafel mit den kost barsten Speisen und mit ausländischem Wein aus das Stattlichste und Präch tigste versehen sein. Nachmittag legt man sich schlafen, damit der angt stoppte Wanst die Speise desto besser verdaue. Andere setzen sich zum Spie len. Die gemeinen Leute fliehen im Sommer in die Gärten, Kneipen und Kegelstätt. Da geht es wieder an ein Esjen und Trinken. Es trinken die Eltern, es trinken die Kinder, es trinkt der Diener, es trinkt die Magd, es trinkt der Meister, es trinkt der Gesell, es trinkt der Geschworene. Ist dann die Zeit nach Hau'e zu gehen, so torkelt da Einer im Heimgchcn über die Brül len, dem Andern sind die Gassen zu eng, dem Dritten fällt der Degen aus der Scheide, der Vierte hat die Perrücke verloren, der Fünfte gehet sonst in einen Winkel, der Sechst« sällt gar in dir Kothlachen. Den Sonn- und Feiertag schließet die Nacht, welche sonsten einem jeglichen Menschen zu allgemeiner Ruhe gewid met ist. Da fanget sich aber bei den Sturmköpfcii der Tumult erst recht an. Das unaufhörliche Geschrei, die bluti gen Raushüiidel. das grausame Schel ten und Fluchen, dos Degenwetzen. Schießen, Hauen und Stechen auf den Gassen und Straßen, das Greinen und Zanken bei den Eheleuten ziehet Man chen in Verwunderung. Niemalcn ge schehen mehr Mordthaten, mehr Fre vel- und Lasterthaten. mehr Schand thaten, als an den Sonn- und Feier tagen. also daß der Tag des Herrn ins gemein ein Tag der Ueppigkeit, der Festtag ein Freßtag und der Feiertag ein Feiertag zu allerhand Sünden und Lastern ist." Wenn auch damals Wien mehr als heute der Sitz des üppigen Lebensge nusses war. so wird die Sonntagsseier in allen größeren Städten doch unter ähnlichen Verhältnissen stattgefunden haben. Kühne Sprünge. Student: Herrlich! Kostbar! Welche Sprünge unser alter Geschichtsdocent macht! In fünf Minuten hat er neulich ein ganzes Jahrtausend durcheilt! Schauspieler: Das ist doch garnicht?. Unsere Heroine macht noch größere Sprünge. Die spielt jetzt im Shalespear'schen „König Heinrich VIll". Da wird sie in der Schlußscene in einem Thronhimel ge tragen und lv Minuten später zu Hause hat sie keinen ganzen Stüh» mehr! Konsul oder General konsul? Vor einiger Zeit stand ein Schriftsteller im Foyer eines Theaters und unterhielt sich mit dem General konsul X., welcher vor kurzem zu dieser Würde avancirt war. Ein gemeinsa mer Bekannter trat heran und begrüßte den Generalkonsul mit folgenden Wor ten: ..Guten Abend, Herr Konsul." „Wie können Sie Herrn X. Konsul ti tuliren." fragte der Schriftsteller, „der Herr ist Generalkonsul, Konsul kam» jeder sein Napoleon war auch Kon" sul!" Ein Freund der histori schen Wahrheit, der zugleich Lehrer ist. will seinen Zöglingen den Unterschied zwischen Geschichte und Sage klar ma chen. Er erzählt ihnen das Märchen vom Barbarossa, der Jahrhunderte lang im Kliffhäuser geschlafen hat. ..DaS ist natürlich nicht historisch"» fügte er hinzu, ..was ist das also. Karlchen?" ..Mumpitz!" erwiedert vrompt der kleine Berliner. Bedingte Wahrheit. Fremder: Sind Sie der Herr hier im Hause? Hausherr sfich erst umschau end. ob auch sein« grau nicht in der Mh« »st)> I"' 3