Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 30, 1892, Page 2, Image 2

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    2 Lustig« Rache.
Eine lustige Rache haben, wie der
Ztg." aus geschrieben
wird, .an einem jüngsten Sonntag Pa
riser Sonntagsausflüglcr an der Bahn
verwaltnnq dafür genommen, daß sie
die Reisenden als Hornvieh behandelte
-und wegen Ucberfüllung der Personen
wagen in Viehwagen beförderte. In
Harfleur wollten die Reisenden
erst böse werden, aber im nächsten Mo
ment fügten sie sich und stiegen mit un
heimlicher Ruhe in ihre Viehwagen ein.
Es war ihnen ein lustiger Einsall ge
lkommen. den sie sofort ins Werk setz
ten. Ter Zug ging ab und der Schaff
ner kam. um die Fahrkarten zu lochen.
Er wandte sich an einen Reisenden mit
der stehenden Formel: „Ihre Fahr-
Karte, bitte!" „Muh!" antwortete der
Angesprochene. Verdutzt sah ihn der
Siihaffner an und wiederholte seine
Aufforderung. „Muh! Muh!" schallte
«S ihm krästiq entgegen. Der Schaff
ner versuchte sein Glück mit dem Näch
sten „Fahrkarte, bitte!" „Muh!
Muh!" dröhnte es zurück und „Muh!
jMuh!" stimmten alle übrigen Insassen
des Viehwagens ein. Ter Schaffner,
ider einsah, daß er nichts ausrichten
«konnte, ging ärgerlich ab und wandte
sich dem folgenden Viehwagen zu.
„Muh! Muh!" brüllte es ihm aus
allen Ecken entgegen, als man seiner an
sichtig wurde.
Schleunig zog er sich zurück und mel
dete aus der nächsten Haltestelle die Be
gebenheit dem Stationsvorsteher. „Ta
wollen wir gleich Ordnung schaffen."
sprach dieser gewichtig, pflanzte sich
breit vor die Thür eines Viehwagens
chin und begann mit einer Miene, dii
die Absicht einer Standrede erieniien
ließ: „Aber meine Herren ...."
„Muh! Muh! Muh!" erscholl da-
Gebrüll den ganzen Zug entlang, daß
die Wände der Wagen dröhnten. De,
Stationsvorsteher zuckte heftig di«
Achseln und verschwand, der Zug abei
!fuhr weiter. Bald war er an der End
station Montivilliers angekommen.
Hier mußte alles aussteigen. De»
Schaffner berichtete dem Stationsbeam
<en rasch, was vorging, und dieser war
>so ungeschickt, die Sachlage gänzlich zu
verkennen und auf's hohe Roß dei
Dienstordnung zu steigen. Er stellt«
isich selbst an den Ausgang des Bahn
hofes und verlangte die Fahrkarten.
„,Muh! Muh!" machten die Reisen
den und eilten unter Sprüngen nach
ser Thür.
Der Beamte wollte ihnen entgegen
treten, er drohte mit Strasanzeige und
,faßte einen der Fahrgäste am Kragen.
Da gingen die anderen nach Rindvieh
«rt mit gesenkten Köpfen auf ihn loj
und unter betäubendem Gebrüll stießen
sie mit Scheitel und Stirn von allen
Seiten so lange nach ihm, bis er sich
gezwungen sah. den Gepackten loszu
lassen und selbst Fersengeld zu geben.
Ein triumphircndcs langgezogenes
„Muh!" verfolgte ihn, bis er ver
schwand. dann gab die ganze Gesell
schaft einem lachend dabeistehenden Be
diensteten die Fahrkarten gutwillig ai
und entfernte sich wohlgcmuth.
Italienische« Kamilienidyll.
Die mit einander verwandten Fami
lien Massa und Zerbi in Genua waren
feit langer Zeit verfeindet und mußten
fast jede Woche wegen Beleidigung,
Bedrohungen und Schlägereien vordem
Richter erscheinen. Am Morgen deZ
L 5. August sollte wieder einmal gegen
die feindlichen Verwandten, die sich
einige Tage mit Messerstichen regalirl
hatten, verhandelt werden. Aus dem
Wege zum Gericht trafen sich die Massa
und die Zerbi in der San Bernardo
straße. Ohne sich auf Weitläufigkeiten
-und Friedenspräliminarien einzulassen,
inscenirten sie sofort einen kleinen Stra
tzentampf, den sie, als sich zu viel Voll
«nsammelte, im Laden des Schlossers
Luigi Zerbl fortsetzten. Hier im La
ven sanden sie auch Alles, waS man zu
«iner regelrechlenKriegsführung braucht
man bewaffnete sich mit Feilen,
Raspel, Meißeln, Stühlen, Messern,
iHämmern und Schnapsflaschen uiu
schlug lustig auf einander los.
Die Schlacht nahm wie alle Schlach
ten einen tragischen Ausgang, und dii
'italienischen Blätter sind in der Lage,
«umfangreiche Kriegsbulletins zu ver
öffentlichen. Danach sind vier Brii-
Bern Zerbi zusammen 50 Messerstich,
beigebracht worden. Francesco Zerbi,
Hein außerdem mittels eines Hammeri
>der Schädel eingeschlagen wurde, ist
feine» Verletzungen bereits erlegen.
«Einem Fräuleiu Paula Zerbi würd!
«in Ohr abgeschnitten und ein Aug,
,ausgestochen. Den Damen Massa er
ging es noch schlimmer; die Muttei
hat überhaupt kein ganzes odei
gesundes Glied mehr am Körper, uns
ihre beiden Töchter Marietta und Fran
ziska wurden in einem Zustande in dai
Krankenhaus eingeliefert, daß bei ihrem
Anblick zwei Krankenwärter in Ohn
tmacht fielen die männlichen Vertre
ter der Familie Maffa sind ähnlich zu
gerichtet worden. Der angesagte Pro
ceß konnte unter solchen Umständen
natürlich nicht stattfinden, dafür ist
ober eine neue Untersuchung eingeleitet
worden. Bis jetzt sind zwei Zerbi unl
drei Maffa, die weniger schwere Wun
den davongetragen haben, verhafte'
worden.
Verschiedene Meinun
gen. SchneiKrlehrling: „Aber, Va
«er, ein so großes Stück Zeug willst Tu
zurückbehalten? Da mußt Du Dir doch
«in Gewissen daraus machen." Me>-
per: „Unsinn, eine Jacke mache ich Dil
daraus!"
GewifsenhafteAuSsag«.
Richter: „ Nun, und als der Ange
klagte Ihnen die Ohrfeigt gegeben
hatte, was geschah dann?" Kläger:
„Dann gab er mir noch eine dritte!"
Richter: „Sie wollen wohl sagen eine
zweite!" Kläger: „Nein, Herr Rich
ter die zweite hab' ich ihm gegeben!'
Dt» Rose von Hort JaLson»
„Metropolitan Hotel", nicht wahr,
»as klingt sehr vielversprechend? In
großen, weißschwarzen Buchstaben steht
es an der Wand eines sechsstöckigen Ge
bäudes nahe des Levee und dem Freuch
Market in New Orleans. Einigerma
ßen enttäuscht aber wird man, wenn
man weiter liest: „Kost und Logis 35
Dollar per Woche"; man denkt sich, das
ist doch verdächtig wenig.
Der junge Mann jedoch, welcher, in
trübem Sinnen versunken, aus einer
Bank neben der Thür saß, hielt diesen
Betrag teineswegS sür einen geringfü
gigen; sür ihn war es sogar eine enorme
Summe, denn er hatte keinen Nickel in
der Tasche und mit dem heutigen Tage
war die Woche abgelaufen, für die er
im Voraus bezahlt hatte.
Mit nervöser Hast wandte er sich
jedesmal zur Thür, wenn diese geöffnet
wurde, fürchtend, in das mahnende
Gesicht des Wirthes zu blicken. Das
fremdartige Leben und Treiben um ihn
konnte ihn feinen finsteren Grübeleien
nicht entreißen, das Raffeln der Fuhr
werke und das Gejohle einer Bande zer
lumpter Negerknaben drang wie aus
weiter an sein Ohr.
Wieder ging die Thür auf. Es war
ein harmloser Landsmann, der sich
neben ihn setzte.
„Immer noch keine Arbeit?" begann
er das Gespräch.
„Leider, nein!'
„Ja. ja, es sind halt schlechte Zeiten.
Was ist Dein Geschäft?"
„Ich bin Architekt."
„So? Schon lange im Lande?"
„Erst sechs Monate. Vor vier Wo
chen kam ich von New Jork hierher,
hoffend, gelegentlich der Weltausstel
lung Beschäftigung zu finden; bin aber
sehr enttäuscht worden. Nicht einmal
eine Stelle als Geschirrwascherist zu
haben."
Ter andere zog eine Zeitung aus der
Tasche. „Hier lese ich eben, da werden
200 Mann gesucht, an der Northeastern
Railroad zu arbeiten; der Lohn ist
ß 1-75 per Tag!"
„Mein lieber Mann, da ist uns ja
geholfen!" rief der jüngere freudig er
regt und sprang auf.
„Aber Tu siehst mir nicht aus, als
ob Tu die schwere Arbeit aushalten
könntest."
„Jch muß sie aushalten, wenn auch
nur für einige Tage."
„Gut. versuchen wir'S, gehen wir
morgen früh zusammen hin. Wie heiß
Du denn eigentlich?"
„Otto Lenz."
„Ich, Jacob Bäuerle.'
Am folgenden Morgen, noch vor
Sonnenaufgang, schritten die beiden so
rasch zu Freunden gewordenen Männer
in südlicher Richtung der Dauphin-
Straße entlang und erreichten nach
halbstündiger Wanderung das Geleise
der Northeastern Eisenbahn. Aus einer
Reihe von „Flat CarS", woran eben
die Locomotiveangeloppelt wurde, saßen
die Arbeiter, wohl an die hundert
Mann, die Schaufeln neben sich, die
blechernen Lunchkannen in der Hand
haltend. Ter Superintendent, bei dem
sie anfragten, bedeutete ihnen, sich vom
Vormann Schaufeln geben zu lassen
und aufzusteigen.
Nicht lange, so brauste der Zug an
den niedrigen Bretterhäuser» der Vor
orte vorbei, durch Gärten und Wiesen,
hinein in den Urwald mit seinen kah
len, bleichen, vom hängenden Moose
erstickten Baumriesen, abwechselnd mit
dunklen Eypressen, mit Röhricht und
Schils bewachsenen Sümpfen nnd dun
kelbraunen Wassertümpeln. Wo das
GeleisecinenEinschnittdurch eine baum
lose Bodenerhöhung machte, hielt der
Zug an und die Mannschaften spran
gen ab.
Die Arbeit begann, welche darin be
stand, den Grund auszugraben uud
auf die Waggons zu werfen. Es er
forderte große Muskelkraft und eine
gewisse nur durch Uebung zu erlan
gende Gewandtheit, den feuchten, schwe
ren, an der Schaufel festklebenden Bo
den aus einer Entfernung von minde
stens zehn Fuß auf die Cars zu schleu
dern. Otto Lenz versuchte dies Kunst
stück vergeblich. Ihm fehlte nicht nur
die Körperkraft, sondern auch die Ge
wandtheit. Dazu hatte er eine stumpfe,
rostige Schaufel erhalten, welche den
llebrigen Grund so fest hielt, daß es
ihm trotz aller Anstrengung nicht ge
lingen wollte, auch nur eine ordentliche
Schaufel voll auf die Car zu bringen.
<)en anderen Arbeitern, meistens kräf
tige vierschrötige Jrländer, entging die
Unfähigkeit des „Neuen" nicht. Aller
lei spöttische und schadenfrohe Bemer
kungen wurden laut, wovon Otto nichts
verstand, wie "sokr Dutelunkn" und
"(Zi-ssr>ioi-n". Auch die Aufmerk
samkeit des VormaiineS wurde bald auf
ihn gelenkt, welcher sich dann hintcr
ihm aufstellte, und seine Anstrengun
gen mit Bemerkungen begleitete, welche
den klebrigen ein rohes Guächter ent
lockten.
Jakob übersetzte flüsternd einige die
ser Glossen. „Deine Schausel fei kein
Theelöffel, meinte er, uud der Stiel
sei nicht von Salzbietzel-Teig gemacht.
Tu brauchst deßhalb keine Angst zu
haben, ihn zu zerbrechen.
Otto'S Gesicht glühte vor Scham nnd
Zorn. Ticke Schweißtropfen rannen
ihm über die Wangen; in seiner Hand
hatte sich eine Blase gebildet, welche ge
platzt war, und ihm empfindliche
Schmerzen verursachte. Endlich mußte
er innehalten, um seinen schmerzenden
Rücken gerade zu strecken und die prik
kelnden Schweißtropfen fortzuwischen.
Ta trat der Vormann zu ihm, riß ihm
die Schausel aus der Hand und
sprach:
„Tat ist nichts! Tu kannst nicht
arbeiten, mach', daß Tu schnell fort
kommst!"
Einen Augenblick schien es. als wolle
sich der jungt Teutsche auf den Jrlän
der stürzen, doch besann er sich recht-
»titig. Hastig wandte er sich ad, um
die Thränen, welche Schmerz und Zorn
seinen Augen erpreßten, zu verbergen.
Zu seiner freudigen Ueberrafchung warf
auch Jakob seine Schaufel hin, un>
sprach auf feinen fragenden Blick:
„TaS wäre mir eine nette Freund
schaft, wollte ich Dich schon gleich iir
Stich lassen!"
Es war schon spät am Nachmittage,
als die Beiden in Schweiß gebadet,
miide und hungrig wieder in New Or
leans anlamen. Mißmuthig und
schweigend schlenderten sie an der Levee
entlang. Bei einem der am User lie
genden großen Flußdampser blieben sie
stehen, und schauten sich das Treiben
einer Schaar Farbiger an. welche mil
ameiienartiger Geschäftigkeit die schwe
ren Ballen, Kisten und Fässer an Bor»
rollten. Ein Mann mit bärtigem wet
tergebräunten Gesichte, welcher die bei
den Deutschen, von diesen unbemerkt,
schon einigemnle scharf fixut hat, tra<
nun zu ihnen und fragte:
„Sucht Ihr Arbeit?"
„Ja!" klang es wie aus einem
Munde. „Gui, ich suche Leute an der
Levee zu arbeiten, unten in Fort Jack
son; Akkordarbeit, 14 Cents die ?)ard,
guter Lohn, 4 Dollar für Board
wöchentlich. Der Dampfer fährt gleich
ab, freie Fahrt, wollt Ihr mitkom
men?"
TaS einstimmige „Ja" der Beiden
kaum abwartend, überreichte er jedem
eine Karte „Das ist Euer Paß". Eh«
sie sich noch von ihrer Ueberraschuug er
holt hatten, war er verschwunden.
„DaS geht aber etwas sehr plötzlich!'
murmelte Otto ganz verdutzt.
„Ja, Junge, das ist Amerika', er
widerte Jakob lächelnd; „gehen wir
gleich an Bord!'
Schon übergoß die Abendsonne mil
purpurnem Scheine die Fluthen des
„Vaters der Ströme", als der Damp
fer die Anker lichtete und rauschen'
stromabwärts zog.
Otto und Jakob hatten sich auf ein«
Speckkiste gesetzt, und beobachteten das
Treiben der „koustabouts", wie di«
farbigen Dockarbeiter genannt werden.
„Warum gehen wir eigentlich nicht
auf's Oberdeck?" fragte Otto nach
einer Weile, „dort ist eS doch entschieden
gemüthlicher!"
„Das schon, aber wir sind keine Ka.
jütenpassagiere, da würde man uns bald
wieder herunter spediren."
„Versuchen werde ich s trotzdem!"
Oben war es freilich viel schöner und
»genehmer, da gab es gepolsterte Sitze,
weiche, dunkelrothe Teppiche, alles war
luxuriös und zugleich praktisch einge
richtet.
Behaglich auf den weichen Sitz zu
rückgelehnt, athmete Otto in tiefen Zü
gen die frische, reine Luft ein. Da
drang ein Helles Lachen an sein Ohr,
welches ihm seltsam sympathisch in die
Seele klang. Er wandte sich um.
Ihm zunächst saß ein junges Mädchen.
An ihren Schooß gelehnt, stand ein
ungesähr vier Jahre alter Knabe, wel
cher sich vergeblich bemühte, ihre zusam
mengeballte zierliche Hand zu öffnen.
Der Begleiter dieser Beiden, augen
scheinlich der Vater, war ein älterer
Herr mit grauem Knebelbart. ernsten
Zügen und militärischer Haltung.
Otto wußte nicht, was er an dem
jungen Mädchen mehr bewundern
folltc:die braunen sonnenhellen Augen,
oder den feingeschnittenen Mund, um
welchen ein Zug erquickender Herzens
güte lag; die rosigen Wangen oder die
kastanienbraunen Haare, welche, in
krausen Locken unter einem breitrandi
gen Strohhut hervorquellend, das lieb
reizende Antlitz umrahmten. Sie be
diente sich der französischen Sprache, di«
auch er vollkommen beherrschte. Ihm
war, als hätte er ihre Stimme schon ost
in den schönen Träumen seiner Kind
heit vernommen.
Eine Hand, die sich plötzlich schwer
aus seine Schulter legte, störte ihn un
sanft aus feinen angenehmen Empfin
dungen. Vor ihm stand ein Mann in
dunkelblauem Anzüge mit blanken
Knöpfen.
„Vour l'iolcst!" herrschte er ihn an
Als Otto erklärte, er habe dasselbe
bereits unten abgegeben, wurde ihm be
deutet. sich schleunigst hinunter zu be
geben. Sehr verlegen erhob er sich,
und die Röthe der Scham färbte seine
Wangen, als er verstohlen zu dem
jungen Mädchen blickte, ob sie den Auf
tritt bemerkt hätte. Ja, sie hatte ihn
bemerkt aber kein Spott, keine Mißach
tung sprach aus ihren Zügen, sonder»
ein warmes Mitleid strahlte ihm aus
ihren seelenvollen Augen entgegen. Fest
und tief schaute er sie an. und eS war
ihm, als müsse sie in seinen Augen sein
ganzes Schicksal lesen und verstehen.
Erhobenen Hauptes stieg er die Treppe
hinunter.
„Das hatte ich mir gleich gedächt,-
meinte Jakob lächelnd, „daß Dich der
Petrus da droben wieder zur Hölle hin
unter schicken würde."
Otto antwortete nicht. Er lehnte sich
auf die Brüstung und blickte in die
Abenddämmerung hinaus, welche mä
lig die Erde umschleierte und die Baum
wipfel am Ufer wie die Zacken dunkler
Gewölke erscheinen ließ. An sein Ohr
schlug das Stampsen der Maschine und
das Rauschen der Fluthen, in seinem
Herzen aber klang traumhaft leise eine
silberhelles Lachen. Tort stand er noch,
sinnend und träumend, als schon der
Mond über den dämmerigen Urwäldern
emporstieg und sein goldenes Bild auf
den Wellen badete, die es zitternd und
tanzend mit sich fortrissen.
Um Mitternacht erreichte der Tain
pfer Fort Jackson. Außer den beiden
Deutschen stiegen nur noch drei Perso
nen an'Z Land, der militärisch aus
sehende Mann mit seinen beiden Kin
dern. Sie schritten schnurstracks einem
bestimmten Punkt zu. wie Leute, welctte
bekannt sind und wissen, wohin sie
wollen. Rauschend verlor sich der Dani
pser stromabwärts. Otto und Jakob
standen noch rathlos am User. Vor
ihnen im dämmerigen Mondlichte, in
weitem Halbbogen von der dnnkekx
Mauer des Urwaldes umgeben, erhoben
sich die niedrigen Walle des Forts. Hier
und da blickte ein Kanonenrohr aus
dem hohen Grase. Rechts, im Hinter
gründe, zeichneten sich die Umrisse eines
Hauses ab. Links nahe ain User erhob
sich ein schnpvcnartigcs niedriges Ge
bäude, etwas weiter flackerte ein großes
Feuer, in dessen Schein sich dunkle Ge
stalten beweglen. Dorthin lenllen si«
ihre Schritte.
„Was ist denn das?" fragte Olle
verwundert. Er meinte die großen
erhöhten Punkte, womit das Ufer in
der Nähe der Baracke bedeckt war.
Bald wurden sie darüber aufgeklärt.
Es waren je an vier in de» Boden ge
rammte Stäbe befestigte Mosquito-
Netze. Darunter lagen schnarchende,
brummende und rauchende Gestalten.
Ein leises seines Summen ließ sich ver
nehmen. blieb stehen und"gät
sich eine Ohrseige. „Vsrdammte Mül
len!"
„Das kann noch schön werden,"
brummte Jakob, und schlug sich mit dei
flachen Hand ans beide Wangen, „na.
dort am Feuer wird es wohl bessei
sein!"
Freilich, etwas besser war es dort,
das heißt wenn man sich entweder in
den dicksten Rauch stellle. oder sich von
der Glnth fast rösten ließ. Sonst schien
das Feuer die kleinen Plagegeister we
nig zu geniren.
Auf dem Boden lagerten etwa 12
Mann, Jrländer und Neger; erster!
bliesen aus kurzen Thonpfeifen mäch
tige Rauchwolken von sich, letztere ver
wünschten den 80ß, der nicht hinrei
chend für MoSquito-Netze gesorgt hatte.
Unter fortwährenden Kämpfen mit den
blutdürstigen Infekten verging der
Rest der Nacht qualvoll und sehr lang
sam.
Nachdem sie das aus schwarzem
Kaffee. Brod und Molasfes bestehende
Frühmahl'zu sich genommen und noch
zu ihrem großen Erstaunen bemerkt
hatten, wie ein dem Koch als Gehilfe
dienender Neger den Tisch mit einem
Besen absegle, ging es an die Arbeit.
Der Vormann begleitete sie. Durch
eine mit Schilf bedeckte Fläche führte
auf dem Damm eines Grabens ein
Fußpfad entlang. Sie kamen nahe an
dem Hausc vorbei, welches sie schon bei
ihrer Ankunft bemerkt hatten. Mit
seiner blüthenumrankten Veranda lag
es friedlich in einem schönen Garten,
von Banana-Gebüschcn. Orangen- und
Magnolia-Bäumen umgeben.
Otto erröthete heftig. Auf der Ve
randa faß die schöne Fremde mit einer
Handarbeit beschäftigt, auf einem
Schaukelstuhl. Neben ihr auf dem
Boden spielte der Knabe mit seinem
ungesähr zweijährigen Schwesterchen.
Bald erreichten sie das Gehölz, um
welches der Fluß einen weiten Bogen
machte, und durch welches der südliche
Theil des neuen Dammes gebaut wer
den sollte, dessen Länge und Breite die
hindurchgeschlagene Straße bezeichnete.
Der Vormann gab ihnen die nöthigen
Anweisnngen, und begab sich nach dem
nördlich vom Fort gelegenen Revier,
wo die übrigen Arbeiter mit dem Ban
der Hauptlänge der Levee beschäftigt
waren.
Die beiden Freunde begannen ihr
mühseliges, martervolles Tagewerk.
Ein dichtes Netzwerk von Baumwurzeln
durchzog den nassen schmerzen Boden
und hinderte sie bei jedem Spatenstich.
Gestrüpp und Fächerpalmen-Gebüsch
ritzte ihnen die Hände blutig. Heiß
brütete die Sonne über der sümpfigen
Landschaft. Kein Lufthauch milderte
die drückende Schwüle. Zu einer fast
unerträglichen Plage wurden die blut--
gierigen Stechfliegen, denen sie sich nicht
erwehren tonnten, so lange sie im
Schiebkarren gingen. Gesicht und
Hände waren bald von den schmerzhaf
ten Stichen mit rothen Beulen bedeckt.
Jakob war schon öfters daran, sein
Werkzeug hinzuwerfen. Seltsam, dies
mal war eS Otto, der ihn zurückhielt,
der selbst bei den schwersten Plagen nich'
murrte.
Endlich kcvn der Abend und brachte
Ruhe. DamildicNeuangekommcncn ein
einigermaßen erträgliches Lager sanden,
hatte der Bormann angeordnet, daß je
zwei Mann unter einem Mosquito-Nep
schliefen.
Als Jakob schon im tiefen Schlafe
schnarchte, blickte Otto noch sinnend durch
die wimmelnde summende MoSquitto-
Wolke. welche auf dem Netze schwtbte,
zum Mond empor, welcher groß und
klar im dunklen Acthermeere schwamm.
Lsr dachte an das schöne holde Mäd
chen, und nahm ihr Bild mit in seine
Traume.
Zwei Wochen später war es, um die
Mittagszeit. Tie Arbeiter saßen um
den langen rohen Holztisch beim Mahle,
welches aussettem gelbem Speck, braun
rothen dicken Bohnen, Molasses und
Brod bestand, nebst einer in Blechge
säßen verabreichten, Kaffee genannten
grauen Flüssigkeit. Otto Lenz, wel
cher bescheiden am unteren Ende des
Tisches saß, schien der Löwe des TageS
zu sein. „Little Dulchy". wie man ihn
nannte, war in Aller Mund, und nur
lobende und anerkennende Wortewaren
es, die über ihn laut wurden. Das
unerhörte Ereigniß, welches ihn zum
Helden gestempelt, bestand darin, daß
er, dem man höchstens 24 Stunden
prophezeit, nun schon 14 Tage ausge
halten, hingegen sein Freund, „Big
Dutchy", hat die Flinte in's Korn ge
worsen und war am Tage vorher abge
reist.
Sobald das Mahl beendet war. hing
sich der junge Mann seinen Rock, den
er stets bei sich trug aus berechtigter
Furcht, er möchte ihm gestohlen werden,
über den Arm und schritt langsam der
Arbeitsstätte zu. Seine Augen leuch
teten Heller, als er das dlüthenumrankte
Haus gewahrte. Nicht die Sucht, als
Heid zu gelten, noch der Gedanle an
den Verdienst hatten es ihm möglich
gemacht, das für ihn fast Unerträg-
licht zu ertragen, nein, die Liebe hatte
es gethan, die tiefe starke Liebe zu
dem schönen Mädchen dort in jenem
Hausc, das gewöhnlich aus der Veranda
saß, wenn er vorbeikam, das seinen
ehrfurchtsvollen Gruß und die stumme
Sprache feiner Augen erwiderte. Rosa
Legrand hieß sie, aber man nannte sie
nur die Rose von Fort Jackson. Sie
war die ältesteTochter Vittor Legrand's,
des Commandanten oder vielmehr Aus
scher und Wächter des Forts, der das
selbe mit Hilse einiger Untergebenen
vom gänzlichen Verfall bewahrte. Er
gab sich kine Rechenschaft darüber, wo
zu diese Liebe führe» sollte, er fühlte
nur, daß er nicht leben konnte ohne das
holde Wesen, dessen Blicke wie Sonnen
schein in fein Herz fielen und ihn die
härtesten Entbehrungen, Anstrengungen
und Widerwärtigkeiten willig ertragen
ließen. Wenn er des Morgens und
Mittags auch nur für einen Moment
seine Blicke in die ihrigen tanchte, so
schöpfte er Muth und Kraft daraus sür
den ganzen Tag, eine innere hoff
nungsfreudige Seligkeit ließ ihn alles
Unangenehme und Beschwerliche ver
gcssen.
Ein Schatten verdüsterte seine Stirn,
als er näher kam, und das weiße Ge
wand der Geliebten ihm nicht von der
Veranda entgegenschiinmerte. Wo
mochte sie fein? Immer langsamer
wurden seine. Schritte, vielleicht kam sie
noch. Weit konnte sie nicht sein, denn
ihr kleines Schwesterchen krabbelte auf
Händen und Füßen den Psad entlang,
der sich mit jenem verband, auf welchem
er wandelte. Mit fast ängstlicher Ge
nauigkeit maß er feine Schritte ab.
nnd blieb endlich stehen. Sic kam
nicht. DaS Kind kroch behaglich vor
sich hinlallend, immer näher. Plötzlich
war es instinktiv oder durch ein Ge
räusch verursacht er mußte sich um
wenden.
Kaum zwei Schritte von ihm ent
fernt, ruhte eine riesige Klapperschlange.
Sie mochte sich wohl aus dem Pfade
gesonnt haben, und durch sein Nahen
aus ihrer Ruhe gestört sein. Pfeil
schnell erhob sie ihren Oberkörper un
gefähr zwei Fuß hoch vom Boden. Mit
nnheimlichem, fast dämonischem Aus
druck funkelten ihm die kleinen gelben
Augen entgegen. Wie eine rothe ge
zackte Flamme zuckte einigemalc blitz
schnell die Zunge hervor. Bon einem
panischen Schrecken ergriffen, wandte
er sich und stürmte in wilder Hast da
von. Ungefähr 20 Schritte weit ge
kommen, schämte er sich aber seiner
Furcht und blieb stehen.
Großer Gott das Kind!
Das Blut in seinen Adern erstarrte.
Nicht ahnend die furchtbare Gefahr,
kroch die Kleine fröhlich kreischend im
mer nähxr, grade auf das giftige Rep
til los. Nur noch einen Schritt,
und
Otto wollte schreien, aber die Kehle
war ihm wie zugeschnürt. Er mußte
sie retten, aber wie er hatte keine
Waffe. Das Kind hatte jetzt den Pfad
erreicht. Er sah, wie das Haupt des
Thieres sich langsam duckte, wie die
rothe, spitze Doppelzunge hervorzuckte.
Sich seines Vorhabens kaum selbst be
wußt, stürzte er vorwärts und wars sich,
seinen Rock ausgespreizt vor sich hal
lend, auf die Schlange. Mit Händen
und Knieen drückte er das unheimlich
zischende und klappernde Thier mit all'
seiner Kraft zu Boden.
TaS Kind, durch das Hcransiürmen
»es fremden Mannes erschrocken, sing
laut an zu schreien, woraus ein riesiger
Neger, der Gärtner, zwischen den Oran
genbäumen erschien.
„Hilfe —eine Klapperschlange!' rief
Otto ihm auf französisch zu.
Ter Schwarze kam mit einer starken
Mistgabel herbeigerannt. Tie Zinken
derselben stieß er durch den Nacken des
Thieres in den Boden. Inzwischen
waren auch die übrigen Bewohner des
Hauses alarmirt worden, und kamen
herbeigestürmt, allen voran Rosa, mit
blasser Angst in dem lieblichen Gesichte,
das sich aber sogleich erhellte, als sie das
Schwesterchen unversehrt fand. Als
letzte kam die Mutter des Kindes, eine
stolze blasse Creolin. Sie war die
zweite Frau Legrand's, und nur um
einige Jahre älter wie seine Tochter.
Während die Frauen und der kleine
Knabe den geretteten Liebling herzten
und kosten, und der Neger dem gistigen
Thiere vollends den GarauS machte, er
zählte Otto dem alten Herr» kurz den
Vorfall. In stummer Rührung drückte
ihm dieser die Hand, und führte ihn
zur Veranda. Tort saß nun der junge
Mann, vor sich eine Flasche Rothwein,
im Kreise der liebenswürdigsten Fami
lie, ihm gegenüber das erröthende ge
liebte Mädchen, so daß es ihm war, als
sei alles nur ein schöner Traum. Auf
Drängen feines Wirthes erzählte er
dann den mit Aufmerksamkeit und
Theilnahme Zuhorchende» kurz seine
LcbenSgeschichte.
„ES freut mich,' begann Herr
Legrand, als er geendet hatte, herz
lich, „daß es mir möglich ist, etwas
zur Besserung Ihrer Lage beitragen zu
können. Zwar den Dienst, de» Sie
mir heute geleistet haben, kann ich Ih
nen nie nach Gebuhr vergelten. In
New Orleans habe ich einen Bruder,
welcher einer der bekanntesten und ge
suchtesten Architekten der CreScent City
ist. An diesen gebe ich Ihnen ein
Schreiben, welches Ihnen sofort eine
gute cintrügliche Stellung in der Firma
Wegrand >k Co. sichern wird. Aber bis
morgen sit'd Sie noch unser Gast."
Auf dem Oberdecke des Dampfers,
welcher am folgende» Nachmittage
stromabwärts Fort Jackfon verließ, saß
Ltto Lenz und blickte mit leuchtenden
Augen nach dem Orte zurück, wo er das
Glück seines Lebens gesunden hatte.
MS derselbe hinter einer Biegung des
Flusses seinen Augen entschwand, lehnte
tr sich zurück und träumte von der ver
gangenen Nacht. Hand in Hand hatten
iie zusammcngesessen auf der Veranda.
>m dämmerigen Mondlicht, vom süßen
Tust der Magnolien und Orangen
Umflossen, in seligen Wonnetaumel des
Liebens und Geliebtseins. Sobald
er sich eine Stellung errungen hat, wird
sie sein sür immer, die aus so seltsame
Weise gefundene, schwer erkämpfte,
heißgeliebte, schöne Rose von Fort
Jackson.
DaS Ende krönt das Wert.
Es gibt Theaterabende, an denen
Einer mehr mitspielt, als aus dem
Zettel verzeichnet ist, und das ist der
Teufel. In hundert Masken ist er da.
Verspätungen, Versprechen, Pausen,
falsche Abgänge gehören dann zum Ge
lindesten da oben. Aus den ernstesten
Scenen lngt er wie mit breitem Klad
dcradatschgesicht hervor.
Am schlechtesten kommt dabei der
arme Publikus weg, während die gott
lose Horde hinter der Rampe nur zu
geneigt ist, zur Abwechselung einmal
Schindluder anstatt Komödie zu spie
len.
Solch ein Abend war's heute im
Stadttheater zu M. nicht. „Romeo
und Julia" waren nie ernster genom
men worden, so oben wie unten. Der
letzte Akt sand die vechärtesten Thrä
nendrüsen .uiitcr Wasser.
„Ne PrachtvorsteUung, nicht?" mur
melte sogar der Director in verschwie
gener Logenecke feiner Lebens- und
Bühnengefährtin—sie ist Primadonna
zu. „Selbst Dein Kollege von dei
Oper spielt heut recht wacker!"
„Tu meinst den alten Papa Mon
tague? War das nicht unser dicker
Bassist Pichel?"—„Nu ja, es geht."
Wer da weiß, was Bassisten im
Schauspiel anzurichten im Stande
sind, wird aus diesem lakonischen „es
geht" schon die kickste Hochachtung für
Herrn Pichel hergeleitet haben.
„Er kommt ja wohl noch einmal?"
warf Madame nach wie träumend ein.
„Ach, jetzt ist nichts mehr zu befürch
ten; das Stück ist ja gleich aus!"
Ja, das Stück ist gleich aus, aber
noch ein bischen früher, als der gute
Director ahnt. Ter Schwärmer Pa
ris liegt bereits erstochen da, Romeo hat
ausgeliebt und gelitten, Jnlia ein dito-
und nun treten in die Erscheinung: der
ewig zu spät ankommende Fürst von
Verona, die beiden kratzbürstigen Väter,
nämlich Eapulet und unser feister
Opern-Montague, und hintendrein,
völlig unbemerkt, noch Einer uud zwar
eben jener ganz oben erwähnte. Im
nächsten Moment schon soll Alles sein
unheilvolles Walten mit Schauder»
gewahr werden.
Pichel, der direct von der sechsten
Flasche Bier in die Gruft der Eapnlets
gestiegen, vollbewußt, daß ihm nichts
mehr passiven kann, hat er doch nur
noch dem Klageruf „Mein Sohn!"
alles Uebrige ist ihm wohlweislich ge
strichen Leben zu verleihen, dieser
Pichel wählt jetzt den erstbesten Leich
nam zum Zielpunkt feiner Schritte,
bricht über ihn mit Glanz zusammen,
läßt feinen Jammerschrei ertönen und
überlegl nun, ob's heute wohl zum soli
den Skat kommen werde.
„Unglücksmensch. Sie sind ja falsch!
Ich bin Paris! Ihr Sohn liegt ein
Haus weiter!" haucht der überrasch!-
Todte den unglücklichen Vater an.
Sonst GrabeSschweigen im ganzen
Hause: der Director wagt gar nicht
mehr.hinzusehen.
In Pichel dämmert's: er, der bereits
die stärksten Komödien „geschmissen",
er wird das schon machen. Ruhig steht
er auf. laßt Paris Paris fein, wandelt
feierlich zu Romeon hinüber und be
grüßt dessen vor Lachen zuckenden Leich
nam mit einem so rührend-naiven
„Und Tu erst, mein Sohn!!", daß die
verhärtetsten Thränendrüse» jetzt win
delweich werden vor Gelächter.
Nicht mehr gar viele achten auf die eben
einsetzende stimmungsvolle Schlußbe
trachtung des braven Fürsten von Ve
rona, der, höchst verwirrt gemacht durch
PichelS unvorhergesehene Evolution,
statt des von Shakespeare Gegebenen
etwa solgendeS zum Vorschein bringt:
„Denn wahrscheinlich, nie gab es ein
größer Leid,
Als Romeo's und und—"
„Und seiner Adelheid!" ruft es da
grell vom Olymp herab, und damit ist
der Abend völlig zu Gunsten Satan
entschieden.
Verschiedene Tinten.
Er war ein armer Schreiber
Ter liebte die Lucinde;
Daß seine Gluth sie ahne,
Schrieb er mit rother Tinte.
Sie war 'ne arme Näht'rin,
Tie liebliche Lucinde;
Ihm ihre Treu' zu zeigen.
Schrieb sie mit blauer Tinte.
Und als sie sich dann hatten,
Ter Schreiber und Lucinde —>
Da saßen alle Beide
Gar lief in schwarzer Tinte.
Schlimmeßesscrung. Frau:
.Früher hat sich mein Mann alle Sonn
tag einen Rausch angetrunken!"-Hoch
wurden: „Allerdings, gule Frau! Er
hat mir aber das Versprechen gegeben,
dies nimmer zu thun .... und das hat
er wohl gehalten?" Frau: „G'wiß,
Hochwürden. ehrlich! Aber jetzt be
trinkt er sich hall dasür jeden Wochen
tag!"
Gut gezogen. „Wenn ich
Mittags meinem Mann was vorsetze,
das er nicht gern ißt. rührt er'S kaum
an!" „Im Gegentheil—da läßt ter
meinige erst recht nichts übrig, sonst be
kommt er'S am Abend wieder."
Auch ein Milderung?»
gründ. Vertheidiger: „Bedenken Sie,
meine Herren Geschworenen, daß der
Angeklagte schwerhörig und demnach die
Stimme des Gewissens nur undeutlich
zu vernehmen in der Lage ist!"
In der Ehe verleide»
Manchem die bessere Halste das Gan«,
Reform unser«« Kal«nder«.
Der Genercl von Sichart in Mainz,
schreibt an die Berliner „Naiionalzei
tung": „Un'er großes Jahrhundert
mit seinen Fortschritten und Umwäl
zungen auf allen Gebieten könnte nicht
würdiger beschlossen werden, als da
durch. daß auch unser JahreSkalender
eine Eintlieilung erhielte, welche sür das
prallische Leben zweckmäßiger und ver«
nünstiger ist. als solche der bestehende
Kalender bietet. Oder ist eS vcrnüns
»ig daß 7 Monate des Jahres 31 Tage,
5 Monate 30 Tage und l Monat 28
bezw. 29 Tage zählen? Ist es vor
theilhast. daß ein bestimmtes Datum
mit jedem Jahre um eine» Wochentag,
mit jedem Schaltjahr um zwei Wochen
tage fortschreitet, während es ohne
große Schwierigkeiten möglich ist, die
einzelnen Jahrestage stets auf denselben
Wochentag zu legen? Ist es vernüns
tig, das Ostersest in einem Jahre Mitte
Marz, im andern Mitte April zu feiern,
und dadurch für unser bürgerliches Le
ben man denke nur an die Schulen
stets verschieden lange Zeitabschnitte
der Halbjahre zu schaffen? Ist es ver
nünstig, daß wir am Schluß des lah
res, wenn einer der Weihnachtstagc
nicht zufällig auf einen Sonntag fällt,
unter 10 Tagen 5 Festtage haben?
Unser bestehender Kalender löst durch
feine Schalttage die Ausgabe vortreff
lich, das Längenmaß des Jahres mit
der Umlausszeit der Erd« (305 Tage,
5 Stunden, 4s Minuten, 45 Sekun
den) so gut. als dieses nur möglich ist,
in Einklang zu bringen; aber die in
nere Eintbeilung des Jahres entspricht
in keiner Weise mehr den Anforderun
gen. welche das bürgerliche Leben der
Jetztzeit an dieselbe zu stellen berechtigt
ist. Unsere Bestrebungen nach einer
rationellen Eintheilung der Tageszeit
sür Arbeit und Rube sollten deshalb
zunächst einmal auf eine vernünftige
fundamentale Eintheilung des Jahres
gerichtet sein." Zu diesem Zwecke
schlägt Gen. v. Sichart vor: I) Jedes
Ouartal erhält 91 Tage, den ersten
Monat zu 31, die beiden anderen Mo
nate zu 30 Tage. Nur das 4. Quar
tal und im Schaltjahr auch das 2..
Quartal erhalten 92 Tage durch Zu
sügung eines Tgges an den Schluß des
betreffenden Quartals, des 31. Decem
ber und 30. Juni. 2) Ter I. Tag
jedes Quartals, also der I. Januar,
I. April, I. Juli und Oktober, fällt
ein für alle Mal ans den Sonntag;
der I. Tag jedes zweiten Ouartalmo
natS sällt dann stets auf den Mittwoch,
der 1. Tag jedes dritten Ouartalsmo«
nat aus den Freitag.
Der 30. December und der 30. Juni>
fallen dann stets aus einen Sonnabend.
Der 31. December jedes Jahres und
der 31. Juni jedes Schaltjahres heißen
der JahreSübertag (kurz Uebertagj und
der Schaltlag und werden zwischen den
Sonnabend und Sonntag des 30. De
cember und I. Januar resp, des 30.
Juni und I. Juli als 8 Wochen- und
Arbeitstag eingeschoben, so daß die letzte
Woche des ersten Halbjahres anstatt
7—B Tage zählt. —3) Ostern fällt
stets auf den I. April, Pflingsten also
auf ven 19. Mai. Ter erste WeihnachlS
tag sällt stets ans Sonntag, den 24.
December. 4) Ter Anfang des Jah
res. also der I. Januar, wird um 11
Tage zurückverlegt auf den kürzeste»
Tag. Der I. April sällt dann ein»
aus FrühlingSansang, der 1. Juli ge
nau auf Sommers, der I. October
cliva auf Herbstes Ansang. Zur
Ausscheidung dieser elf Tage werden in
den ersten 9 Jahren nach Einführung
des Kalenders die 9 Uebertage und die
beiden Schalttage gestrichen. —s> Die
neue Zeitrechnung wird mit dem Jahr«
1901 begonnen, ist also mit dem Be
ginn des Jahres 1910 durchgesührt.'
S <t> a d «k
Eli nennt sich einen »slk m»6o m»o;
Ja, ja, das heißt schon viel errungen
Bedauerlich bleibt nur dabei.
Daß er sich besser nicht gelungen!
Das brav« Klärchen.
Mutter: „Sie sollten einmal sehen,
Herr Weidlich, wie schnell mein Klär
chen einschlägt, wenn ich sie einsinge.
Nicht wahr,' Märchen?" Klärchen:
„Ja wohl. Mama." (Nachdem die
Mutter das Zimmer aus ein paar
Minuten verlassen.) „Sie müssen es
Mama nicht wiedersagen, Herr Weid
lich. aber ich thu' nur immer so. als
war' ich eingeschlasen, bloß damit
Mama mit ihrem schrecklichen Singe?
aufhört."
Frauen! ist. Junge Frau:
„Ich bitte Dich, lieber Mann, zahl«
mir doch meine Hut - Rechnung vom
vorigen Jahr! ES läßt mich nicht schla
fen. wenn ich daran denke!" Mann:
.Hier hast Tu den Betrag: ich bin ja
jroh, wenn Dir das Gewissen endlich
:rwacht. Doch waS hat dieses Wunder
bewirkt?"— Junge Frau: „Meine Ab»
sicht, mir zwei neue zu bestellen!"
Stoßseufzer. „Wie bequem
eS diesen Männern gemacht ist... .hier
das Standesamt und gleich daneben die
Kirche man sollte eS nicht sür mög
lich halten, daß sie diesen kleinen Gang
so sehr scheuen!"
Der nicht-antisemiti
sche „Ulk" laßt einen .Antisemiten'
folgenden Seufzer ausstoßen: „Ich be
greife gar nicht, wie nur das Herz, da»
große, poetische, liebende Herz, sich ge
rade einen so jüdischen Namen auswäh
len konnte!"
Ein schöner Trost. „Wenn
Sie kein Geld haben, so triste» Sie sich
mit dem Bewußtsein, daß ich Ihr
Freund bin!"—„Und inwiefern soll da»
ein Trost sür mich sein?" „Ei nun,
ich habe auch keinS!"
Aus dem Nekrolog auf
einen Schrcinermeistcr. „ Ter
Verstorbene war langjähriges Mitglied
unseres Bürgervereins und hielt bis zu
seinem Ende treu zu der Fahne, zu der
er gratis die Stange geliefert hatte.