Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 23, 1892, Page 6, Image 6

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    6 Christoph Columbuö.
Am Morgen des dritten August 1492
mag es im Hasen der kleinen andalusi
schen Küstenstadt Palos lebhast genug
hergegangen sein. Obwohl noch die
letzten Nebel der Nachtsich seucht und kalt
«us die Stirnen legten, war die Volks
menge groß und stark bewegt. Aller
Augen waren aus die drei Fahrzeuge
gerichtet, deren Ankerketten soeben ras
selnd über die Winden liefen. Die
Schiffchen waren ziemlich winzig, und
-nur das größte, die „Maria galante",
hatte ein vollständiges Verdeck, aber
vom Mast aller wehte stolz die Flagge
Kastiliens mit den. Initialen Ferdi
nands und JsabellaS und dem grünen
Kreuz in der Milte.
Und die vielen Leute am Hasenufer
sprachen erregt hin und her, ob das
Schiffsvolt dort den Rückweg zum hei
mischen Gestade finden möchte, und ob
sich die Bretter von den Lasten edlen
Metalls und duftiger Gewürze biegen
würden, wie eS der Fremde, der Ge
nuese Christosoro Colombo, versprochen
ha:te. Der aber stand hochgereckt und
ruhig auf dem Deck der „Maria
galante" und gab feine letzten Anord
nungen. Als sich dann das Wasser um
den Kiel der Schiffe zu kräuseln begann,
und der Wind sich in den Segeln sam
melte, ergriff er mit kühner Gcberde die
königlicheFlagge und schwang sie hin und
her zum Abschied von den Küsten seines
selbstgewühlten Vaterlandes. Und die
Frühsonne brach durch den Nebel und
tauchte verheißungsvoll Menschen und
Schiffe und Wellen in rothflüssigen
Goldglanz.
Tie unsterbliche Fahrt nach dem
Goldlande hatte begonnen; Columbus
zog aus, den Seeweg nach Indien zu
suchen und Amerika zu finden.
Heute, vier Jahrhunderte nach jenem
Tage, seiern zwei Welten das Andenken
des Mannes, der, von einem starken
Instinkt und einem zähen Glauben
mehr getrieben, als von selbstständigem
Denken und klarem Wissen, einer neuen
Zeit gemeinsam mit den drei Deut
schen Berthold Schwarz, Johann Gil
lenberg und Martin Luther, vielleicht
gemeinsam mit seinen italienischen
Landsleuten, den Medicis, die Wege
wies. Es hat gewiß seinen Grund,
daß all' diese Größen in eine kurze
Spanne Zeit zusammengedrängt er
scheinen.
Im schwülen Dunkel des Mittelalters
Hatien die ewigen Feuer des menschli
chen Geistes unter der Asche geglommen,
die Kräste hatten sich gesammelt und
verdichtet, und nun brachen auf einmal,
hier und dort, die glühenden Ströme
hervor und einer vultanifchen Eruption
des Ingeniums folgte die andere. Noch
fand, was aus der Nacht hervorquoll,
kein ebenes Bett mit sicheren Usern;
ungestüm und unklar suchte es seinen
Weg, stürzte, was vielleicht erhalten
bleiben konnte, fand aber auch, was zu
finden gar nicht in seiner Hoffnung
war. So entdeckte der Mönch die
furchtbare Kraft des Schießpulvers bei
alchymistischen Spielereien, so entdeckte
der genuesische Webersohn einen neuen
Kontinent, wo er nur aus vage Berech
nungen hin einem bequemeren Wege
nach schon bekannten Gestaden nach
spürte.
Man hat diese Entdeckungen Zufall
genannt. Aber sie sind nur logisch be
gründete Glieder in der Entwicklung
des Menschengeschlechts, und so ist.
gleich den Anderen, auch Columbus
recht und voll nur aus seiner Zeit zu
verstehen, wenn diese Zeit auch schwarz
eingehüllt jetzt hinter ihm verschwindet,
Wie das Flachland im Schatten eines
noch lange sonnenbeschicnenen Ricsen
berges. Es war so recht die Zeit des
Mißbehagens an der Vergangenheit,
des Ungcnügcns an der Gegenwart, des
Hoffen- von der Zulunst, und das zu
mal im südlichen Europa. Die katho
lische Christenheit lag im schwankenden
Kampfe mit den Mauren und hielt den
Blick sehnsüchtig auf das heilige Grab
geheftet, dem ein neuer Befreier erstehen
sollte, —im Dienste desselben Glaubens
drangen Lendlinge der Kirche, mit
ihnen auch Söhne reicher Handelshäu
ser, in die Wildnisse Jnner-Asiens und,
sandten, wie Marco Polo, merkwürdige
Reiseberichte nach der Heimath, der
Kompaß war ersunden und hatte Gele
genheit zu Versuchen gewährt, die
kleinliche Küstenschiffsahrt auszugeben
und die Geheimnisse des unendlichen
Weltmeers zu untersuchen, —was Wun
der, daß da in jedem Herzen der Wunsch
-brannte, den Goethe dem etwa gleichzei
tigen Faust aus die Lippen legt:
wäre nux ein Zaubermantel
mein,
klnd trüg' er mich in fremde Länder,
Mir sollt' er um die köstlichsten Gewän
der,
Nicht feil um einen Königsmantel
fein."
Und so hat wohl auch der junge, mk
üppigster Phantasie begabte Christoph
geträumt. Wenn er am User die Fi
scherböte sich schaukeln sah oder am
Webstuhl des Vaters das Schiffchen
herüber und hinüber schießen ließ, da
mag er in Gedanken an andere Schiffe
geschwelgt haben, die im ausregenden
Spiel init Wind und Wellen in die
Weite streben, bis oben vom höchsten
Mast da! Gnadenwort „Land!" ertönt
und das Gefilde der Seligen sich aus
thut. Wie ihn diese brünstige Lust
nach Abenteuern trieb, die Heimath zu
«erlassen, weil jede! Büblein auf der
Schulbank, und der Bakel würde ihm
in bedrohlicher Weise nahe kommen,
wüßte es nicht zu erzählen, wie langes
.Harren und Bangen der kühne See
fahrer dulden mußte, ehe sein Fuß das
Teck der „Mariagalante" betrat, wie er
dann nach mancherlei Kreuz und aus
gestandenen Leiden am 12. October
»riit dem Eiland Guanahani, von ihm
«San Salvador getaust, das Ziel seiner
Sehnsucht, die Ostküste Indiens, er
«cicht zu haben glaubte. Und nicht.
minder gut steht in gar schbn illustrir
ten Büchern zu lesen, wie er, heimge
kehrt, der höchsten Ehren theilhastig
ward, zuerst unter stürmischer Begeiste
rung, dann unter sinkender Antheil
nahme des Abendlandes noch drei wei
tere Male auszog, Enttäuschungen er
litt, Undank erntete und schließlich sein
stolzes Leben in Armuth und Berges
senheit beschloß.
Uns intcressirt hier füglich mehr, aus
der sattsam bekannten Historie des Co
lumbus ein Charakterbild des merkwür
digen Mannes zu gewinnen. Die her
vorstechenden Merkmale seiner Art und
die Wurzeln seiner Großthaten sind eine
starke Sucht nach Ehr' und Herrlichkeit
der Welt und ein starrer Glauben an
sich und seine göttliche Mission. Wenn
man aus diesen Erscheinungen den letz
ten Schluß zieht, so hat man in dem
Genuesen nur einen großen Egoisten zu
sehen, den günstige Umstände als Welt
beglücker legitimirt haben, einen Theil
von jener Kraft, die zwar nicht gleich
Mephisto das Böse will, jedoch das
Gute nicht allein um des Guten willen
schafft.
Diese Charaktereigenschaften des Co
lumbus sind so scharf ausgeprägt, daß
wir ihren Zeugnissen immer wieder aus
allen Blättern seines Lebensbuches be
gegnen. Wie ein kluger Agent noch
vor dem Beginn eines Geschäftes die
Provision feststellt, welch? er beim even
tuellen Gelingen bezieht, so forderte
ColumbuS zu einer Zeit, da sein Plan
noch aller Welt eine wesenlose Utopie
schien, den Zehnten am Gewinn von
allen Produkten und Waaren und an
dere Vortheile mehr, und dem Matro
sen Rodrigo de Triana, der vom Mast
korb aus den hellen Strand Guana
hanis gewahrte, machte er mit Erfolg
die verhältnißmäßig kleine Belohnung
streitig, welche Jsabella dem ersten Ent
decker der gesuchten Küste zugesichert
hatte. Gold ist ihm nicht Chimäre;
seine Fahrten werden nach der Auf
findung der ersten Insel immer nur
von der Hoffnung aus das blinkende
Metall b'stimnit, das von jeher Viele
glücklich und noch Zahlreichere elend ge
macht hat. Seine erste Frage an die
Eingeborenen ist stets nach dem Gold
lande, und er hatte die beiden Riesen
kontinente vielleicht bewußt entdeckt,
wenn die Magnetnadel seines Kompas
ses nicht trügerisches Gold gewesen
wäre. Am Strande von Euba bricht
er in die säst gotteslästerlichen Worte
aus: „Möge der Herr nach seiner Barm
Herzigkeit mir beistehen, daß ich diese
Goldininen finde," und sein erster Ge
danke beim Betreten Haitis ist, das Sa
lomonische Goldland Ophir gesunde»'
zu haben.
Columbus ist trotz alledem arm ge
storben; wenn er aber seinen Nachkom
men den ewigen Klang eines berühmten
Namens hinterließ, so lag das nicht
nur an der Größe seiner Erfolge, nicht
nur an der Gerälligkeit und Gutgläu
bigkeit der Völker, die so leicht und ur
theilslos die Gloriole des Uebernatür
lichen um die Stirn ihrer Lieblinge
windet es lag auch an seiner Eitel
keit, die klüglich jene Schwäche auszu
nutzen verstand. Neuere Geschichts
schreiber haben nachgewiesen, daß es
hart, aber gerecht ist, wenn man ihn
schon zu seiner Zeit einen twmsi» k»U»-
6or s einen ruhmredigen
Schwätzer nannte. Sie haben festge
stellt, daß Columbus, der Isnsrio cls
Qsllu», der genuesische Weber, seine
bürgerliche Sippe aus naheliegenden
Gründen verleugnete und so Anstoß zu
der ihm sehr genehmen Mythe gab, er
stamme von dem römischen Prokurator
ab, der den Mithridates im Triumph
nach Rom geführt habe.
Er nannte sich ebenso gern „ein
Werkzeug Gottes", wie er der Wahrheit
entgegenschreibt: „Ich bin nicht der
erste Admiral, den wir in unserer Fa
milie zählen." Und hier kann zum
Kummer mancher Tertianerherzen ein
gefügt werden, daß ihm vielleicht
ebenfalls durch eigene schuld nur
fälschlich die Urheberschaft an der im
mer wieder packenden und täglich citir
ten Geschichte vom „Ei des Columbus"
zugeschrieben wird. Bereits ein halbes
Jahrhundert vor dem Entdecker hat, wie
schon Voltaire erzählt, der Florentiner
Baumeister Bruneschelli gesagt: „So
wie dies Ei wird meine Kuppel (die des
von ihm erbauten Domes von Florenz)
stehen."
Wenn sich Christoph ColumbuS
selbst als „ein Werkzeug Gottes" be
zeichnet, so legt dies Zeugniß ab ebenso
von seinem stark entwickelten Selbstge
sühl, wie von dem blinden Glauben an
eine höhere Macht, die gerade ihn er
wählt habe, Ideen zu verwirtlichen,
welche im letzten Kern doch irdischen
Zwecken dienten.
Columbus war überhaupt ein Mensch
des unbeschränkten Autoritätsglaubens.
Wie er in seiner nautischen Wissenschaft
durchaus in den Spuren Anderer wan
delte und schließlich nur aussührte, was
der berühmte florentinische Natursor
scher Paolo dal Pazzo Toscanelli lange
vor ihm in Briefen und Karten em
pfohlen hatte, so gab er selbst alle wis
senschaftlichen Ueberzeugungen auf,
wenn er die noch höhere Autorität des
Himmels über sich zu fühlen meinte.
Als ihm an der Mündung des Orinoko
neue unerklärliche Erscheinungen begeg
nen, ist er, das „Wertzeug des Htm
mels," überzeugt, dem Paradiese nahe
zu sein, und stellt dieser die Ewigleit
versprechenden „Thatsache" zu Liebe die
Hypothese aus, der Erdball müsse an
jener Stelle eine starte Anschwellung
haben. Daß er mit der Ableugnung
der Kugelgestalt der Erde an dem wis
senschaftlichen Fundamente seiner gan
zen Unternehmung rüttelt, muß Jedem
einleuchten.
Diesem nie wankenden Bewußtsein
seiner Gottgesandtheit, diesem festen
Vertrauen, zur Ausführung der Pro
phezeiung des JesaiaS: „Ich schaffe
seinen neuen Himmel und eine neue
Erde" bestimmt zu sein, verdankt die
alte Welt ihre jüngere Schwester und
die Geschichte der Menschheit'eine ihrer
folgenschwersten Wandlungen. An
jenen Eigenichasten, die sonst das Merk
mal schwacher Naturen sind, aber in
ihrer Größe und Bestimmtheit bei Co
lumbus nicht anders als imponiren
können, hangt, was wirklich bedeutend
und bewunderungswerth an ihm ist.
ES ist die Zähigtei, mit der er allen
Enttäuschungen vor und während der
Ausfuhrung seiner Riesenpläne trotzte,
die glühende Lcrcdtsamkeit, mit der er
jedes Bedenken gegen sich und sein Wert
niederwarf, die sichere Kaltblütigkeit,
die ihn in Stunden höchster Gesahr
auszeichnete, schließlich auch die etwas
mystische, aber hochpoetische Naturan
schauung und Beschreibung, die jeden
Leser seiner Schiffstagebücher innig
erfreuen muß.
Freilich, Ranke hat Recht, wenn er
sagt: „Niemals hat ein großartiger
eine großartigere Entdeckung
hervorgebracht," indessen stehen wir, die
!durch dauernde Gewöhnung mehr die
Resultate als die Beweg
gründe seiner That im Auge haben,
nicht ohne Gefühl der Dankbarkeit vor
dem Erinnerungsbild de- Mannes, das
auch dunkle Züge aufweist, aber im
lGanzen das Bild einer geschlossenen
Individualität ist. Auch Wehmuth
mischt sich hinein, wenn wir dieses wech
selvolle Leben überblicken, oas mit
Mcht vielfach dichterische Verwerthung
gefunden hat, wenn wir den unsterb
lichen Mann zwischen den Polen höch
sten Glanzes und tiessten Falles schwan
ken und ihn wie durch eine ironische
Laune der von ihm so vertrauensvoll
geliebten höheren Gewalten um seine
größte Ehre verkürzt sehen: sein Riesen
tind „Amerika" trägt nicht den Namen
des Vaters.
In diesen Tagen freilich spricht man
nicht von Amerigo Vespucci, sondern
von Christosoro Colombo. In den
Tiefen des Weltmeeres ruhen jetzt die
Kabel, die von Continent zu Continent
die Kunde seiner Feier blitzen werden,
und in viel weniger Tagen, als sein
Schiff einst Wochen brauchte, werden
bald die dampsathmenden „Marigalan
ten" unserer Zeit hinüber eilen, um
Schätze und Menschen zum gastlichen
Strand von Chicago zu bringen.
eclbstvcrraty<
A . '
Dame: Nun gut, ich lasse mich von
Ihnen malen, hoffe aber, daß Sie Ihr
Möglichstes leisten!
Geck: Bei meiner Ehre, Sie sollen
sehen, was ein Pinsel vermag!
Praktisch verwerthet.
Potz Blitz, Sie tauchen Ihr Kindchen
in die große Suppenschüssel?
Ja, die Köchin hat die Suppe
total versalzen, und der Kleine soll doch
»ach ärztlicher Vorschrift Salzbader ge
brauchen.
Idylle.
Mer saßen ganz schdille beisammen.
Mei' ileener Dackel und ich.
Ich drank een ganz srisches Tebbchen—
Ob's mehr werd'n, wußt' ich noch nich.
Und wie mer so ruhig saßen
Und dachten an dies und das.
Da war mer's halt blötzlich uf eenmal
G'rad so, als fählte mer was.
Und richtig! Ich gucke in'S Dedbchen,
Das rechts gleich nitben mer stund,
Und weil keen Drobben mehr drin war—
Da schaut' ich blos steenernen Grund!
Gleich winkt ich 'mer eenen Källner
Mit 'nein neien Tebbchen herzu;
Mei' Waldmann, där srei't sich unbändig
Und schivanzelde immer derzu!
So fählte mer wohl noch zehnmal
G'rad wie das erste Mal was.
Und zehnmal noch schwänzeld' mei'
Dackel
ES machte ihm Merklich viel Schpaß!-.
Nu' dhat aber nischt mehr mir fahlen,
Und eS schwänzeld' mei' Dackel nich
mehr.
Und da sind mer halt heimwärts ge
gangen.
Als wenn gar nischt gewäsen wär'!
P. Vaith.
> —Zur Strafe. Dame (zu
Besuch): „ Sie selbst lochen wohl
nie?"— Hausfrau: „Doch! Aber nur.
pienn ich meinen Mann recht ärgern
! Gar oft beneiden wir
Leute, die uns beneiden.
WebeehanS.
Ein Haus in Torgaucrstra>'e, in be
ster Lage Berlins, und halbleer i Wie
ist das möglich?
Gewiß sehr sonderbar, antwcirtete
mein Gewährsmann; auch die untere
Wohnung ist gekündigt. Niemand will
in dem Hause bleiben; es ist unheim
lich; eS spukt.
Der Herbst 1876 sah gute Zeiten im
Suhler Land. Tie Gewehrfabriten
hatten flott zu thun, die Ernte war reich
lich gewesen, Bürger und Bauern hatten
Geld. Auf den Kirchweihen war Leben
«ind Lust, die Leute konnten was drauf
gehen lassen und thaten es auch. So
war es an einem schönen September-
Sonntag aus der Odilenberger KirmeS
hoch hergegangen. Im Tanzsaal vom
Weißen Roß verlöschten die Lampen,
die jungcn Paare machten sich aus den
Heimweg oder stiegen hinab in die Gast
stube. die voll sröhlicher, lärmender
Menschen war. In dem Dunst der Ge
töse ward eS kaum bemerkt; wenn einer
der Gäste durch die Hinlerthür pochte,
die ihm nach dreimaligem Klopfen ge
öffnet und hinter dem Eintretenden rasch
wieder zugezogen wurde. Tort war die
Herrenstube. Heute aber diente sie an
dern Zwecken. Ter rothe Tieter aus
Fellbach hielt die Bank, ein halb Dut
zend Bauern saßen um den Tisch und
spielten mit wechselndem Glücke. Andere
standen umher, sahen zu oder setzten auf
eine Karte wie es grade kam.
Wederhans, geh' weg. du bist ein
Rittmüller, sagte Tieter zu einem schlan
ken. dunkeläugigen Manne, der starren,
unverwandten Blickes dem Spiel
folgte.
Laß ihn doch, hast heute Glück genug
gehabt, wars der dicke Heinzmann ein,
der gerade gewonnen hatte.
Und ich sage, wir brauchen hier keine
Musitanten und Maulassen! schrie der
Dieter und schlug mit der Faust ar>i
den Tisch.
Was gibt'S, Tieter? Wer ist hier zu
viel? Hast Furcht vor einem Aufpasser?
Ilaug es durcheinander.
Der rothe Dieter hatte eine giftige
Antwort auf den Lippen, doch Weber--
hanS kam ihm zuvor und rief:
Einen Thaler auf den Herzkönig!
Das Spiel ging weiter; die Karten
wurden gedreht; der Herzkönig kam
nicht und der Thaler war fort.
HanS, das war ein Leithammel,
meinte Heinzmann.
Er hatte recht; es traf ein, wie er
sagte; denn Alles, was Weberhans an
geniiinziem Gethier bei sich führte,
folgte dem ersten treulich nach. Er ver
lor Alles.
Tu spielst zu hastig, Hans Steiner,
redete ihn jetzt sein Nachbar an, ein
langer, hagerer Mann, und klopfte ihm
niit knochiger Hand auf die Schulter,
zu hastig, Hans; keine Ruhe, kein
Glück!
Hans antwortete nicht. ES war
Christian Benz, der zu ihm sprach; er
nannte sich Kaufmann, aber sein ei
gentlich Geschäft war der Wucher. Er
fehlte nirgends, wo es lustig herging
und das Geld den Herrn wechselte, auf
keinem Markt, auf keiner Kirmes; er
kannte alle Menschen auf zehn Meilen
in der Runde, ihre Laster, ihren Leicht
sinn, ihr Geld. Die Hälste der Namen
waren ihm durch die Finger gegangen,
,iucrgeschrieben, oder stand in seinem
Buch. Er wußte, wer dem dicken
Heinzmann das Geld gab, das er nach
lässig und wegwerfend auf die Karten
schob. Er tonnte sagen, für wen der
rothe Tieter die Gewinne einstrich, sich
erhitzte und fluchte und stritt. Für ihn
war alles Komödie, und die glühenden,
heißathiiuMdcn Menschen waren sein/
Schauspieler.
Weberhans rührte sich nicht; seine
Augen waren wie festgebannt. Wenn
ich nur einen Thaler hätte, am den
Treffbuben würde ich setzen; der muß
kommen, sagte er halblaut vor sich hin.
Und er kam wirtlich; doch da der rothe
Tieter die Vorsätze nicht martirte, so
hatte Hans von seinem guten Gedanken
nicht mehr als viele andere Menschen
in gleichem Fall, nämlich gar nichts.
Er sah sich um nach seinem Nachbar;
der saß aus einer Bank, hinten am
Osen, den lauernden Blick nach dem
Tische gerichtet, einer Spinne gleich,
die auf ihr Opfer wartet. Hans ging
auf ihn zu.
Christian, leih mir was, begann er.
Habe selbst nichts, tcinen Pfennig,
war die Antwort; frage den Leonhardt,
ich habe leinen rothen Heller bei mir.
Ich geb' dir s morgen wieder, Benz,
drängte Hans; morgen bin ich in Ho?
henmarkt. das Geld ist dir sicher.
Bei meiner Seligkeit, ich habe nichts
bei mir, betheuerte Benz. Nach einer
Pausesuhrerfort: Draußen hab'ich ein
Kalb stehen. Kauf inir's ab.
Bist du verrückt? platzte HanS he'»
aus.
Kauf mir'Z ad. sprach jener gelassen.
Tu zahlst es mit einem Wechsel und
verkaufst es an den Leonhardt. —Geld-
geschäfte mache ich nicht.
Das Kalb war nicht theuer; sechzig
Mark unterschrieb Hans, und dreißig
gab ihm der Leonbardt dasur. Hans
tonnte weiter spielen, setzen und ver
lieren.
Aber Benz half noch einmal. Dies
mal war eS ein Rind. Leonhard lauste
es wieder. Ein Tutzend Mal im Ver
lauf des Abends hatte er die beiden
Thiere erstanden, die draußen an der
Kette zerrten und so wenig wußten,
was mit ihnen geschah, als die thorich'
ten Menschen, was sie thaten.
Beim dritten Mal aber blieb Benz
unerbittlich. Bei Ehr' und Seligkeit,
er hatte nichts mehr zu verlausen, und
Geldgeschäste machte er nicht. Alle,
Zureden, alles Versprechen war um
onst. Hanz sah noch ein paar Augen
blicke den Spielern zu, dann ging er.
langsam und zögernd. Er warf noch
einen Blick in die Ecke, wo Benz und
Leonhardt saßen; die beiden rechneten
ab, zwischen ihnen lag ein Haufen
Wechsel. Benz nahm sie an sich, sie
verschwanden in seiner braunen Leder
tasche.
Die kühle Nachtluft brachte HanS
zum Bewußtsein. Was hatte er ge
than? Zweihundert Mark in drei Mo
naten— wo sollte er das Geld herneh
men?
Hans war gelernter Weber; doch mit
der Weberei ging es immer schlechter,
immer erbärmlicher. Da kam ihm sein
Geigenspiel zu statten: eS brachte ihm
einen schönen Verdienst ausKirchweihen
und Tanzmusiken: ja. seit einem Jahre
lebte er davon ausschließlich.
Wie sein Weib auf das Geld wartete,
das er heute bringen sollte! Und jetzt'
O, was sollte das werden?
Er blieb stehen und sah sich um, als
ob von irgendwo Hilfe kommen müßte.
Hinter ihm tönten Schritte. Er er
kannte die lange, hagere Gestalt des
Christian, der ihn bald eingeholt hatte.
Eine Weile gingen sie schweigend neben
einander her.
Hast heute kein Glück gehabt, HanS,
begann endlich Christian, dem dicken
Heinzmann ist'S nicht besser gegaagen.
Heute so, morgen so.
HanS blickte seinem Begleiter in die
grauen, stechenden Augen. Was war
es, das sich mit einem Mal in ihm
regte? Kaum wußte er, wie's geschah;
jetzt hatte er den Wucherer an der Kehle
gefaßt und mit einem Schlage der Faust
zu Boden geworfen.
Ich will dein Geld nicht, meine Wech
sel will ich, Hund, verfluchter! schrie
Weberhans.
Tie hab' ich nicht, Hans, bei meiner
Seligkeit, ich hab' sie nicht. Ter Leon-
Hardt hat sie! preßte sein Opfer her
vor.
Mit einem Ruck hatte Hans Chri
stians Mantel aufgerissen, die Klappen
flogen auseinander, ein Griff, und er
hielt, was er suchte.
Eiligen Laufs rannte er davon und
hielt nicht inne, bis er vor der Thür sei
ner ärmlichen Wohnung stand. Leise
schlich er durch die Stube, wo sein Weib
schlief. > Er zündete die Schnipsel und
Späne an, die sich den Sommer durch
im Osen angesammelt hatten: der
flackernde Schein beleuchtete sein fieber
hastes Gesicht, als er die Papiere aus
einander faltete. Peter Karbatt, am
15. November, 80 Mark; in's Feuer.
Jörg Hochstein, am 20., 72 Mark;Zha,
wie es flackert. Martin Unterberg, am
24. December, 105 Mark; fröhliche
Weihnacht. Karl Roth, am 10. Ja
nuar, 90 Mark. Und jetzt der letzte.
Anton Waldschmidt, am 10. Januar,
40 Marl. Benz hatte die Wahrheit
gesagt, seine Wechsel waren nicht dar--
unter.
Hans leugnete nicht, als man ihn
am anderen Morgen verhastete. Die
Richter hatten Mitleid mit ihm und
sandten ihn nur aus zwei Jahre in'S
Zuchthaus; unser Herrgott hatte Mit
leid mit dem armen Weib und nahm
es nach einem halben Jahre zu sich.
Als die zwei Jahre vorbei waren,
dachte niemand mehr an den Weber
hans; er war vergessen, verschollen,
über's große Wasser, aus der Welt.
Nur einer hatte Ursache, an ihn zu
denken. Als Christian Benz am Mor
gen nach Hans' Entlassung seine Wohn
stube betrat, sant er todtenbleich gegen
die Wand: sein Schreibtisch war erbro
chen, Papiere und Ichriststücke lagen
umhergestreut. Er raffte zusammen
was am Boden lag, ordnete alles in
fiebernder Hast, verglich, zählte und
rechnete. Ja, das war's. Zwanzigtau
send Mark bairische Obligationen
fehlten. Vorsichtig sah Christian sich
um. dann ging er nach seinem Schlaf
zimmer. Wenige Augenblicke darauf
tam er zurück, zufrieden und
vergnügt.
Esel, brummte er vor sich hin.
Benz verwahrte stets die Zinsscheine
von den Wertpapieren getrennt. We
berhans, in dessen Familie sich solche
Objecte selten vererben mochten, hatte
zugegriffen, ohne lange zu prüfen.
Sein Raub war werthlos.
Esel, wiederhol'.e Christian, und
brachte ruhig alles wieder an seinen
Platz.
Sollte er den Diebstahl anzeigen?
Weshalb? Noch drei Jahre, vier Jahre
Zuchthaus, und wenn er dann heraus
tommt, dann hat er ausgelernt; dann
dann war er ein Mörder.
Christian schauderte bei dem Gedan
ken. Er hatte Furcht vor seinem Feind,
unsägliche wilde Furcht. Lange Jahre
hatte er ungestraft seinen schändlichen
Lüsten genügt und keiner hatte es ge
wagt, gegen ihn auszustehen; dieser
war der erste. Er hatte namenlose
Angst vor ihm, der Bestie gleich, die
raubt und würgt und scheu züfammen
kriecht vor dem Blick des einen, der sie
bändigt.
Somit erfuhr die Welt von dem
ganzen Porgang nichts weiter, als eine
„Bekanntmachung und Warnung vor
Ankauf", wonach die abhanden gekom
menen Obligationen Nr. V23,35l bis
024,370 der vierprocentigen bairischen
Staatsschuld sür werthlos erklärt wur
den mit dem Bemerken, daß nach Ab
lauf eines Jahres neue Stücke verab
folgt werden sollten.
Christian hatte noch einen zweiten
Grund, über den Vorfall zu schweigen.
Er wollte nicht gern mit der Polizei zu
thun haben oder, richtiger gesagt, er
hatte schon mehr mit ihr zu thun, alz
ihm lieb war. Der Leonhard» saß in
Untersuchungshaft und er selbst war
schon mehrmals zu Protokoll vernom
men worden. Seit der Fellbacher
Brandstiftung stand es bedenklich. Der
allgemeine Unwille nahm unange
nehme Formen an. Der Boden brannte
Ben, unter den Füßen. Die Fenster
waren ihm eingeworfen worden; man
hatte ihm hundert schlimme Streiche
gespielt. Er wollte fort, er mußte
fort.
Doch wohin? Er wußte es. In dm
großen Teich, wo alle Fische schwim
men. kleine und große, Hecht und Aal.
schlanke und plumpe, dorthin nach
Berlin.
Er hatte seine Vorbereitungen schon
lange getroffen und seine Angelegen
heiten geordnet. Eines Morgens ging
er wie gewöhnlich über Land, nach
Hohenmartt, bestieg den Zug und fuhr
davon. Und wenn er diesen Umweg
wählte, anstatt in Altroda zur Bahn zu
gehen, so geschah es gewiß, um sich in
seiner bescheidenen Weise den herzlichen
Abschied-Wünschen seiner Landsleute zu
entziehen.
Erst am andern Morgen erfuhren
die braven Altrodaer, daß ein guter
Mitbürger sie verlassen habe zu einer
Stunde, als Benz bereits an seinem
Ziele in Berlin angelangt war.
Freund, weißt du. welchen Troß von
Marodeuren wir mit unS umherschlep
pen? Die Statistik meldet nichts da
von. Indeß, man darf vermuthen, daß
dieser streifende Haufe der regulären
Truppe an Zahl nahezu gleichkommt.
Ja, ich glaube, diese Schnapphähne
hätten die ehrlichen Leute längst aufge
fressen, wenn sie nicht uutcr sich in
Zünfte zerfielen, die es für recht finden,
sich gegenseitig die Beute abzujagen und
einander zu bestehlen, Dieb, Hehler,
Trödler, Schwindler, Wucherer, einer
braucht den andern, einer prellt den
andern, und der Schuft muß immer
einen Schurken ernähren. Somit
bleibt dem einzelnen nicht zuviel, und
das ist gut; eine gerechte Vertheilung
unter den Spitzbubengilden findet statt,
und das ist ein Glück und Trost.
Von dieser langen Kette bildete Chri
stian Benz nunmehr ein Glied. Er
hatte es im Laufe von zehn Jahren zu
Ansehen gebracht. Sein Geschäst
blühte, er lauste und verkaufte alles,
das Unscheinbare wurde werthvoll unter
seiner Hand. In seiner Wohnung.
Torgauerstraße, ging es zu bestimmten
Tageszeiten lebhaft zu. Um 7 Uhr
früh tan, Frau Meißner, die Aufwär
terin. Schon um 8 Uhr fanden sich
die ersten Besuche ein. Bis 10 Uhr
war „Sprechstunde". Dann ging
Christian aus. Gegen 5 Uhr kam er
zurück und hielt Sprechstunden bis
sieben. Dann ging er wiederum aus,
nicht in Geschäften, nur zum Vergnü
gen. Wie mochte es wohl bei dem Krä
mer gehen an der Ecke? Er hatte ihm
zweihundert Mark geliehen auf Wechsel,
als Krankheit die Familie zurückge
bracht hatte. Das Geschäst ging leid
lich, es waren Käuferinnen im Laden,
gewiß, die fünfzig Mark zum ersten
waren sicher.
Schrägüber, bei dem Goldarbeiter,
war das Geschäft noch auf. Die Fa
milie saß in dem kleinen Nebenzimmer
beim Abendbrot, man konnte sie von
der Straße aus sehen. Ueber dem
Sofa hing ein Bild, ein Seestück, von
einem unbekannten Meister. Benz
kannte ihn. Er wußte genau, was er
dem schwindsüchtigen Albert Thießner
dafür gezahlt hatte, und wie hoch er eS
dann dem Goldarbeiter angerechnet
hatte, als er ihm den letzten Wechsel
diScontirte. Gemälde, Armbänder,
Geschmeide —und Wechsel. O Narr
heit des UeberflusseS!
In der Havelstraße, dem Neubau
gegenüber, stellte Christian sich auf.
Das Haus war sein. Die Handwerker
werden keinen Psenuig bekommen; der
Ziegler, der Maurer, der Tischler, der
Schlosser, der Glaser alle nichts;
der Bauherr war bankerott. Er war
es von Ansang gewesen, schon als Benz
die ersten dreitausend Mark vorschoß.
Ein gutes Geschäft, wird sich lohnen,
wahrhastig.
Benz hatte lange dagestanden: ein
schwerer Entschluß kämpfte in ihm auf
und nieder. Sollte er nach der Neu
märkerstraße gehen? Viel zu verdienen,
viel Geld, ein großer Schlag, etwas
anderes als die ewigen Bcttelsachen;
ein Staatsstreich. Aber nein, ich mache
das Geschäft doch nicht, endigte er und
ging weiter, mechanisch, ohne zu wissen,
wohin.
Plötzlich befand er sich in der Neu
mai kerstraße; er erschrak, als er es be
merkte und an dem großen Hause
hinaufstarrle, nach dem zweiten Stock
werk, wo die Fenster erleuchtet waren.
Tort wohnte ein Weib, das er gut
kannte; sie hatte ihm manchen guten
Kunden zugeführt, alte und junge,
leichtfertige und besonnene; er hielt viel
von ihr.
Aber diesmal thu' ich's doch nicht,
murmelte Benz; sie hat sich einen Nar
ren gefressen an dem Amerikaner,
Musiker, Zigeuner, ein Satanskerl!
Ader das Geschäft mache ich nicht.
Benz ging weiter, und nach ein paar
Schritten zurück; zum zweiten Mal
vorüber; dann kehrte er wieder um.
So hatte er es schon zwei Abende ge
trieben, bald an die Thür saftend, dann
wieder unschlüssig umkehrend. Heute
aber trat er endlich ins Haus und stieg
rasch die Treppen hinauf. Ernestine
öffnete.
Was willst du? fuhr sie den Ein
tretenden an. Mach, daß du fort
kommst! Ich erwarte Besuch.
Nur ein paar Worte, Ernestine, bat
Christian. Nur ein paar Worte.
Willst du mir wieder vorjammern?
Pack dich fort! Der Hirschberg wird'S
recht machen. Wir brauchen dich nicht.
Pack dich fort!
Sei vernünftig, Ernestine; eS ist ver
dämmt viel Geld. Zwölftausend Mark.
Die Papiere tännen falsch sein.
Waren die Dollars echt, die du ge
wechselt hast? War die Marylander
Uhr und Kette echt?
Gut und echt, aus Ehr und Selig
keit, bestätigte Benz.
Eine Pause folgte, während Erne
stine nach dem Fenster ging.
Wo sind die Papiere her? begann
Christian wieder.
Narr, gestohlen! rief das Weib.
Von wem, von wem? Das muß ich
wissen.
Geh' hin zur Polizei, Schuft; die
werden dir s sagen.
Christian antwortete nicht. Er
starrte nachdenklich vor sich hin. Erne
nne betrachtete ihn ein paar Augen»
! blicke, dann trat sie auf ihn zu und
packte ihn an der Schulter. Ihre
> Augen funkelten wild: Leidenschaft,
Bewegung war alle».
> Höre. Christian, stöhnte sie hervor,
> ich will den Mann für mich haben.
Ich liebe ihn; ich will ihn für mich ha
. den. Du kennst mich. In zwei Ta
gen hab' ich's erreicht. Du oder ein
anderer, mir gilt's gleich. Und dann
)fort in die Freiheit, in ein anderes
Land. Morgen kommt er zu dir. Be
sieh dir den Plunder, prüfe alles, frage
ihn aus, forsche nach und setz' ihm die
Schrauben an. Abcr halte das Geld
bereit. Ich will den Mann haben
und ihn halten, langezeit. Ich will'S.
Hörst du. Hallunke?
Es war wieder Abend geworden.
Seit einer Stunde saß Benz an seinem
Schreibtisch. Er tonnte nicht lesen,
nicht arbeiten. Oft nahm er ein
Schriftstück zur Hand, sah lange darü
ber hin und legte es wieder weg. Tann
öffnete er eine Schublade und holte ein
Packet heraus. Es waren Banknoten,
zwölftauseud Mark, ehrliches, deutsches
Geld. Er wollte aufstehen, doch die
Knie versagten, er sank zurück. So
saß er. das Kinn auf die Hand gestützt,
die Augen starr in's Leere gerichtet.
Draußen wurde es dunkel, Benz ach
tete nicht darauf. Er hatte andere Ge
danken, seltsame, große, schwindelnde
sogar.
Jetzt mit einemmal fuhr er auf.
Tritte kamen die Treppe heraus. End
lich, endlich, das war er. Es klingelte;
Frau Meißner nahm die Kette ab, öff
nete und ließ den Fremden herein.
Er grüßte nicht, als er eintrat, und
schritt gerade aus Christian zu, der sich
halb erhoben hatte. Er nahm den brei
ten Hut nicht ab und schien die Anrede
zu erwarten.
Fräulein Ernestine Becker schickt Sie,
begann der Alte.
Ja, klang es zurück.
Haben Sie die Papiere? frug Benz
wieder.
Der Fremde holte ein Paket hervor
und breitete es auf den Tisch. Gierig
beugte sich Benz darüber. Doch was
war das? Ein Blendwerk, eine Teufe
lei! Die gothischen Lettern traten her
aus, wie Stahl und Eisen standen sie
spitz empor. Der Wittelsbacher Löwe
reckte sich, er wuchs und seine Augen
glühten. Jetzt streckte er die Tatzen
hervor, lang und länger, dorthin, w»
die Banknoten lagen. Jetzt hatte er
sie, eingeschlossen in mächtiger Kralle—>
fest, lebendig, wirklich.
Weberhans! schrie Benz auf und
sah dem Fremden in's Gesicht.
Ich bin's, antwortete dieser.
Du willst mich ermorden. Hans,
jammerte der Wucherer; thu's nicht
sag', wie viel du haben willst, ich will
dir's geben.
Ich habe genug, sagte Hans und
wandte sich nach oer Thür.
Mein Geld, mein Geld! fuhr Chri
stian jetzt auf und klammerte sich ver
zweifelnd an den Weggehenden. Der
aber brauchte beide Arme, ein Griff und
er war befreit. Er lachte laut auf, als
Benz taumelte und rücklings zu Bode?
fiel.
Die Leute im unteren Stockwerk hör
ten den Fall und das Lachen; es drang
durch die Mauern, durch Mark und
Bein. Die Nachbarn auf dem gleichen
Flur hörten es und liefen zusammen.
Frau Meißner hörte es und sank schrek
kensdleich gegen die Thür. Aber Nie
mand trat dem Mann entgegen, der
raschen Schrittes die Treppen hinab
stieg und in der Dunkelheit verschwand.
Eine halbe Stunde später stellte
Frau Meißuer das Abendbrot aus den
Tisch und verließ eilig und zitternd die
Wohnung; sie wagte es nicht, sich nach
dem einsamen Mann umzusehen, der
starr und unbeweglich dasaß.
Ihr ahnte ein Unglück, als am ande
ren Morgen aus ihr Klingeln nicht ge
öffnet wurde. Der Schlaffer hatte eine
schwere Arbeit, bis er die doppelten
Riegel und die Kette zersprengt hatte.
Vor seinem Schreibtisch saß Christian
Benz regungslos, Er Hatte sich
°ne Kehle durchschnitten.
Wieviel verkannt eDich
ler werden nun zu Ehren, wie viel ver»
iiachlässigte Theater zu starkem Besuch,
vie viele langweilige Patrone zur Gel
tung kommen das Gähnen ist Heil
mittel geworden. Ein Denlmal sür den
Dr. O. Naegeli in Ermatingen, der im
für Schweizer Aerzte
sich mit der therapeutischen Verwerthung
>es Gähnens beschäftigt und dem „Tief-
Gähnen" mannigfachen Heilwerth zu»
spricht. Er schreibt: „Das Gähnen ift>
HS physiologisches Tiefathmen die na»,
türlichste Lungengymnastik. Da da»!
>roße Publikum kaum je dazu zu brin
gen sein wird, nach Schiebers System
-in» und doppelseitig tief zu athmen, 112»
sollen wir Aerzte Jedermann den Aach,
:rtheilen, unbekümmert um sogenannten,
Anstand, Morgens und Abends so oft»
mal als möglich durch Gahiren und
kecken die Lungen tüchtig auszulüften
und dieAthmungsmusculatur zu
Zs wird dadurch vielleicht manchem chro-,
irischen Lungenleiden vorgebeugt werden,
können. Gestützt auf die weitere Er
fahrung. daß beim Tiefgähnen die
SchlundmuSculatur sich hebt und streckt
lind die knorpelige Ohrtrompete auSge»
zuetscht wird, habe ich versucht,
Gähnen auch therapeutisch zu verwer»
then... .In allen Fällen von
Aachenkatarrh, Entzündung der Gau
menbögen nnd beginnenden Tuben»!
latarrh habe ich die Gähncur verordnet,
fast ohne Ausnahme mit dem Erfolg.!
saß Hals- und Ohrenschmerz rasch sich
besserte nnd bald verschwand. Es wurde!
sen Patienten nicht schwer, nach mein«»»
Angaben durch schlürfendes Einathmen,
»urch einfache Autosuggestion, wenn siei
für sich allein waren, oder durch Jmi»
lation, wenn ich es ihnen vormachte, zr»
jeder Zeit zu gähnen. Ich
ihnen, so oft im Tag als möglich, we»
nigstenS sechs- bis zehnmal nach ein»
ander dies zu thun und gleich nachhev
zu schlucken-"