Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 23, 1892, Page 3, Image 3

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    Ei» Verbrechen.
(12. Fortsetzung.)
„Wie soll ich beginnen, theuerste
Marianne? Mit welchen Worten soll ich
Dir Alles beschreiben, was vorsiel? Ich
habe ihn gesehen und mit ihm gespro
chen. Du wirst fragen, wie er mich
«mpfangen hat? Nun, erst will ich Dir
sagen, wie ich ihn gesunden habe. Da
ich nicht wußte, was sich ereignen werde,
beschloß ich, sparsam zu sein, ich wollte
nicht, daß Tu und Dein guter Alcide
mir Geld senden solltest, um mir in
-meinem Vorhaben zu helfen, das ihr
«ine Thorheit genannt habt. Teshalb
sprach ich mit dem Besitzer des Hotels
in Sandbank, einem gutmüthigen, ge
sprächigen Manne, und fragte ihn, wie
ich billig leben könne. Er wies mich
an dic Adresse, die ich oben angegeben
habe. Solch' eine spaßige, gute alte
Dame und solche närrische Kocherei
Alles kommt aus einmal auf den Tisch.
Aber, ich kann mir wohl denken, wie
ungeduldig Tu bist. Also zur Sache!
Ich wußte, daß er in einem vornehmen
Hotel wohnen werde, für das feinste
gilt das Marinehotel. Gestern Morgen
ging ich ruhig in der Richtung nach
demselben, und wen anders traf ich
unterwegs als Charles? Charles, schö
ner als jemals und so elegant! Ob er
mich erkannte? Ja, sofort. Ob er zu
sammenfuhr und zitterte? Ich war zu
aufgeregt, um das zu sehen, aber Du
weixt,' welche Selbstbeherrschung er be
sitzt. Als ich ihn nochmals anblickte,
war mir, als hätte cr mich erst gestern
verlassen. „Endlich also hast Tu mich
gebunden," sagte cr. „und bist gekom
men,' um icine Scene zu machen, nicht
wahr?" Diese Worte waren rauh und
in jenem kalten Tone gesprochen, der
mich schon so ost grausam verletzt hat.
„Und wenn es so wäre?" erwiderte
ich. indem meine Entrüstung erwachte.
„Habe ich nicht ein Recht dazu, nach
Ihrem Benehmen gegen mich, mein
Herr?" —Er sah sich um, ob wir
beobachtet wurden, aber Niemand war
zu sehen. „Tu bist ein Mrrchen,
Madeleine," sagte er endlich, die Stirne
zusammenziehend, „Tu bist zur Unzeit
gekommen, sage ich Tir, Deine Gegen
wart hier wird mich ruiniren, und
wenn Du da-Z zu Stande gebracht hast,
werde ich wissen, was ich mit Dir zu
thun habe."—Mein'Blut kochte bei
diesen Worten! „Ich kümmere mich
nicht um Ihre Drohungen, mein Herr,"
erwiderte ich, „Ihre Dreistigkeit gegen
Ihre Frau, welche Sie seit Jahren ver
lassen haben, macht mich schonungslos.
Die Welt soll meine Leiden und Ihre
Nichtswürdigkeit erfahren!" Meine
Blicke sagten ihm. daß ich das ernsthaft
meinte. „Sei vernünftig, Made
lcine," sagte er, „Tu weißt nicht, was
ich durchgemacht habe, seit ich Dich in
Verzweiflung ließ, verabscheut von Dei
nem Vater, dem alten Narren, der nie
mals meinen Werth zu schätzen wußte."
„Schweigen Sie!" rief ich. „er ist
todt! Ich erlaube Ihnen nicht, von
meinem- guten Vater unehrerbietig zu
sprechen." Diese Nachricht überraschte
ihn, das war ihm unbekannt. „Ach,
der Alte ist todt," sagte er, „nun. das
ist besser für Dich, denn sein stets be
leidigendes Wesen gegen mich hat mich
fortgetrieben. Ich schwur, ich wolle
ihn nicht mehr sehen, noch sprechen; die
eine große Schranke zwischen uns ist
also gefallen." „Wenn das der Fall
ist." erwiderte ich mit Hohn, denn ich
war noch immer zornig, warum haben
« Sie niemals danach gefragt, ob cr noch
am Lebcn war oder nicht?" Charles
sah verwirf aus. „Wenn Tu Alles
wüßtest, würdest Tu meine Lage ver
stehen. Ich habe Tich immer geliebt,
Madeleine, es war mein Ehrgeiz, reich
zu werden, um Dich glücklich zu machen.
In Tours, wo Dein Bater mich stets in
Zorn setzte und mir jeden Pfennig ver
weigerte. außer der kläglichen Summe,
die er Dir als Mitgift gab, war kein
Raum für meine Talente, das fühlte
ich. und als Monsieur Preval mich ent
ließ, sah ich, daß die Zeit gekommen
war, eine Veränderung vorzunehmen.
Ich wußte, daß sür Dich gesorgt war.
und floh, da ich nicht wollte, daß Du
an dem mühevollen Geschick eines Man
nes ohne Geld lhcilnehmen solltest, der
allein auf feine Energie angewiesen ist.
So ging ich nach Lyon. Ich war so
glücklich, eine kleine Stellung zu er
halten. Meine Kenntniß des Engli
schen veranlaßte mein Haus, mich nach
England hinüberzusenden, um dic Ge
schälte desselben hicr auszudehnen, und
jetzt ist der Reichthum sür mich erreich
bar. Ich habe mein Ziel noch nicht
erreicht, wäre es so, so hätte ich Dir
Nachricht gegeben, Madeleine! Ich
wollte Tich durch einen großen Erfolg
überraschen, das schwöre ich Dir! Es
war mein Lieblingsgedanke, eines Ta
ges wie ein Prinz vor Tir zu erschei
nen. Deinem Vater zu beweisen, ivie
falsch sein Urtheil über mich gewesen,
und Tich abzuholen, mein geliebtes
Weib, und zu einer großen Dame zu
machen. Du hast mir diesen kleinen
Spaß verdorben, oder vielmehr, ir
gend ein unglücklicher Umstand hat
ihn verdorben. Aber es bleibt Tir noch
immer vorbehalten, nicht zwischen mir
und meinem Ehrgeiz zu stehen und
dann den Reichthum, den ich in kur
zer Zeit errungen haben werde, mit
mir zu theilen!"
Tu kannst Dir das Feuer und den
Ernst nicht vorstellen, theuerste Ma
rianne, welche in Charles Worten la
gen. der alle Zauber nahm mich wieder
gefangen, mein Zorn schwand. In
diesem Augenblick sah Charles einen
Bekannten herankommen und wurde
unruhig.—„lch darf nicht mit Dir ge
sehen werden", sagte cr. „wcnnDunoch
etwas Liebe für mich besitzest, so ver
lasse mich jetzt und solge mir nicht nach,
ich bitte Tich. Ich werde Tich wieder
treffen und Tir schreiben. Wo kann
ich Dich finden?" Ich theilte ihm in
steniaen Worten mit, welche Vo»sichtS->
maßregeln ich getrosten hatte, um mich
zu verbergen, und wo ich wohnte. Er
schien mit dem, was ich gethan hattet
zufrieden zn fein. „Tu liebst mich
wirklich immer noch. Madeleine", rief
er. „ich wußte, daß Du ein echtes Weib
bist! Der Himmel segne Dich, Ge
liebte! Ich cilc sort, aber Du sollst
bald von mir hören." —Er verließ mich,
und ich that, was cr gewünscht hatte.
Am Abend desselben Tages, als ich
mich meiner Wohnung näherte, sah ich
den Briefträger herankommen. Ich
fühlte, daß er einen Brief für mich
habe. Es war so, und ans mcin Bcr
laiigcn gab er ihn mir, als ich ihm mei
nen Namen sagte. Ich eilte in mein
Zimmer. Der Brief war in verstellter
Handschrift geschrieben, aber ich wußte
sofort, daß cr von ihm war. Er bat
mich noch einmal, nicht unbedacht zu
handeln —"
„Das muß der Brief gewesen sein,
von welchem unser Freund Power ein
Stück gefunden hat", bemerkte Mr.
Brusel.
Sir John Hunter nickte beistimmend
und Monsieur Duvivier fuhr fort:
„Er bat mich noch einmal, nicht un
bedacht zu handeln", wiederholte er,
„und nicht Alles durch meine Thorheit
auf's Spiel zu setzen. Er versicherte,
er werde Alles erklären, und versprach,
mich am nächsten Tage an einfin stillen
Ort, nahe am Strande, den er mir be
schrieb. zu treffen. Ich brauche nicht
zu sagen, liebe Schwester, daß ich
pünktlich erschien, ich kam vor der an
gegebenen Zeit, aber er erwartete mich
schon, und ach, er war so angenehm, so
unterhaltend und so bezaubernd! Tu
wirst laut auflachen, wenn ich Dir feine
Abenteuer erzähle. Weißt Tu, wer
der Gründer feines Glückes gewesen ist?
Tu wirst es niemals errathen ! Eine
häßliche Engländerin von enormem
Reichthum, welche ihn zu ihrem Ge
schäftsführer gemacht hat. Unterstützt
von dieser Person Charles versichert
mir, daß sie abscheulich häßlich sei—hat
er ein Feld der Thätigkeit sür sein
Genie gefunden. Er hat große Spe
kulationen unternommen, welche seine
Taschen mit Gold füllen. Sie ist die
Kapitalistin und er ist der lenkende
Verstand; Beide theilen den Gewinn,
der ungeheuer ist. Aber da die Speku
lationen noch immer im Gange sind, so
hat er ihre Unterstüruing noch einige
Zeit nöthig, und darum eben war er
über mein unerwartetes Erscheinen er
schreckt und darüber, daß er in seinem
Zorne Alles zu verderben drohte. Die
Engländerin weiß nicht, daß Charles
verheirathet ist, und obgleich ihre Be
ziehungen nur rein geschästlicher Art
sind, so würde sie ihm doch niemals
vergeben, daß er ihr etwas verheimlicht
habe. Die Engländerinnen haben, wie
Charles mir sagt, sehr strenge Begriffe
über Mann und Frau, und sie würden
entsetzt darüber sein, daß wir so lange
Zeit getrennt gelebt haben. Und nun.
theuerste Marianne, kommt der beste
Spaß von Allem. Charles ist voll
komischer Einfälle, er hat sich vorge
nommen, auf einer Weile seiner Dame
zu entwischen; sie ist hier in Sandbank,
wo sie zusammen Grundstücke ankaufen
wollen, und wohnt in dem großen Ho
tel, das auch ihnen gehört, und deshalb
muß er vorsichtig sein. Aber er hat
einen Plan gemacht, über den Du laut
auflachen wirst. Er wird sagen, er
müsse auf einige Tage verreisen, aber
anstatt abzureisen, wird er zu mir kom
men und mich dann nach einem ruhi
gen, sichern Ort bringen, wo wir auf
kurze Zeit glücklich mit einander leben
!önnen, bis ich nach-Frankreich zurück
lehre -und warte, bis er frei nnd als
reicher Mann zu mir kommt. Und wie,
glaubst Du, will er das machen? Er
will sich als Frau verkleiden! Ich
sagte ihm, er werde ausfehcn wie eine
sehr feine nnd fchöne Dame. Ich muß
ineine alte Wirthin vorbereiten uud ihn
vor ihren spähenden Blicken so viel als
möglich schützen. Er wird in dunkler
Nacht kommen und am anderen Mor
gen reisen wir ab. Auf diese Weise
wird er nicht von neugierigen Personen
erkannt werden, und die Engländerin
wird vollkommen getäuscht werden.
Was denkst Du von dem Spaß?
Kharles wird mir noch einmal schrei
ben, wenn Alles bereit ist. Du wirst
begreifen, wie vorsichtig wir mit unse
rem kleinen Scherz sein müssen, wenn
ich Dir sage, daß Charles nicht nur
seine Briefe mit verstellter Handschrift
schreibt, sondern mir auch streng besoh
len hat. sie sogleich zu vernichten, damit
sie Niemand zu seyen bekommt. Aber,
nun wünsche mir Glück, theuerste Ma
rianne! Bald wirst Tu mich wieder
sehen. und nicht als das melancholi
sche Geschöpf, das so lange Deine Ge
duld ermüdet hat. Adieu, oder viel
mehr. auf Wiedersehen! Deine hoche»
ireute Schwester Madeleine."
Die Kette der Ereignisse, bis zur Tra
zödie, war jetzt vollständig, der Rest ist
deicht zu errathen.
„Armes, liebendes, argloses Weib!"
sagte Tuvivier mit gebrochener Stimme.
„Das ist ja ein Teusel von Mann!"
rief Sir John.
Madame Ferron weinte bitterlich,
'prach aber nicht.
„Es bleibt uns nur noch übrig, den
Verbrecher abzufangen," sagte Mr.
Brusel, „dieser Brief in Verbindung
mit der Aussage dieser Dame werden
genügen, mehr haben wir nicht nöthig."
„Und Charlotte wird erlöst sein,"
murmelte Duvivier, „der Himmel sei
gepriesen!"
„Wo ist dieser Mann jetzt?" fragte
Mr. Brusel.
„Er ist auf der Reise mit Alcide",
erwiderte Madeleines Schwester, „sie
besuchen Lyon und andere Städte, aber
sie sind nicht allein, es ist noch ein»
Person in ihrer Begleitung."
„Noch eine Person?" fragte der De»
lekliv.
„Ja, die Engländerin, welche in
MadcleineS letztem Briefe erwähnt ist."
„Frau Saint Alban!" riefen Mister
vrufel und Sir John zu gleicher Zeit.
Als der Detectiv den verwunderten
Blick der jungen Frau bemerkte, er
klärte er ihr das wahre Verhältniß zwi
schen dieser Dame und MadeleineZ
Mann, und fragte, wie es komme, daß
sie von dem wirklichen Stand der Dinge
keine Kenntniß habe?
„Mein Mann und ich hatten keinen
Verdacht," erwiderte Madame Ferron.
„sie kam vor zwei Tagen aus die Ein
ladung dieses Ungeheuers an. Erhalte
uns gesagt, sie sei eine Dame von gro
ßem Reichthum, welche ihm ihr Kapital
anvertraut habe. Es war ganz die
selbe Geschichte, die schon in MadeleinS
Brief steht."
„Aber unter welchem Vorwand er
schien sie hicr?" fragte Sir John, „das
kann ich nicht begreifen."
„Das kann ich Ihnen sagen", erwi
derte Madame Ferron, „Sie müssen
wissen, daß Charles ach. ich will ihn
nicht länger Charles nennen. ich
meine den Mörder meiner armen
Schwester, vor einiger Zeit allein zu
uns kam. er brachte uns Nachrichten
von Madeleine. Er sagte, sie sei ge
sund und glücklich, und er Hütte sie bei
Bekannten in England zurückgelassen.
Er hatte ein ganzes Gewebe von Lügen
vorbereitet und sagte, cr habe eine Ge
legenheit benutzt, um selbst zu uns zu
kommen und uns zu beruhigen. Er
war sehr heiter und hatte viel Geld bei
sich. Da wir Madeleines Brief erhal
ten hatten, nahmen wir feine Erzäh
lungen für wahr an und ließen uns
von ihm vollständig über sie beruhigen.
Mein Mann war sehr von ihm einge
nommen. Das Ungeheuer sprach von
großen Spekulationen und kolossalen
Gcschästcn. Eine Million sei im Sei
benhandel zu gewinnen und wenn
mein Mann wolle, so könne er daran
theilnehmen und auch Millionär wer
den. Alcide hat. wie alle Männer aus
dem Süden, eine starke Einbildungs
kraft. er ist leicht zu leiten, er war über
zeugt, daß sein Glück gemacht sei. Ich
war derselben Meinung, denn der Plan,
welchen der Elende uns vorlegte, war
in der That gut. Es handelte sich da
rum, die jetzigen, niedrigen Preise zu
benutzen, massenhaft einzukaufen und
dadurch in England ein Monopol für
den Seidenhandcl zu gewinn.cn und
theuer zu verkaufen. Alles, was dazu
nöthig war, fei Kapital, und das habe
cr. Die englische Dame werde auch
herüberkommen. Alcide solle mit den
Scidcnhändlern verhandeln und dann
sei das Geschäft zu machen."
Wie es in dem französischen Mittel
stand üblich ist, war Madame Ferron
von ihrem Vater in die Handelsge
schäste eingeweiht, Duvivier, Sir John
und Brusel waren daher nicht sehr er
staunt, sie so sprechen zu hören.
„Die englische Dame kam," fuhr Ma
dame Ferron fort, „ich habe sie nicht
gesehen, denn sie blieb im Hotel und
am nächsten Tage reiste sie mit meinem
Manne uud diesem Ungeheuer ab.
„Sie glauben also, daß es sich um
ein wirkliches Geschäft handelte?" sagte
Brusel.
„Ohne Zweisel", sagte Madame
Ferron, „sie sind in das Gebiet der
Seidenindustrie gegangen, um Nach
richten einzuziehen."
Der Detektiv überlegte. „Warum
auch Vicht? Saint Alban hatte nur
eine Person zu sürchten, und das war
Monsieur Duvivier, vor welchem cr jetzt
sicher zu scin glaubte. Tann hatte er
augenscheinlich gesucht, Zeit zu gewin
nen, indem er die Befürchtungen der
nächsten Vcrwandtcn der Ermordeten
beschwichtigte, und was war natürli
cher, als daß er in ihrer Nähe blieb, um
derart zu achten, daß sie weder durch
französische Zeitungen, noch auf ande
rem Wege etwas von dem erfuhren, das
sich in Sandbank abgespielt hatte?
Sein Talent sür den Handel und be
sonders seine Kenntnisse des Seidenge
schäfts machten eS ihm leicht, dies auf
unverfängliche Weife auszuführen.
Und was hatte die Anwesenheit von
Frau Saint Alban zu bedeuten? Nichts
weiter, als daß er wünschte, sie bei sich
zu haben, frei von der geheimen Ueber
wachung, welche die Polizei vielleicht
noch sür nöthig hielt. Mr. Brusel
glaubte Saint Alban's Absichten ziem
lich durchschaut zu haben.
Aber während er so überlegte, kam
ihm plötzlich ein Gedanke.
„Haben Sie und Ihr Mann nichts
über den Mord in Sandbank in den
französischen Zeitungen gelesen?" fragte
er.
„Wir lesen nicht viel", erwiderte
Frau gcrron, „und außerdem war Al
cide zu sehr von den Geschäften meines
verstorbenen Vaters in Anspruch ge
nommen und von der Wiedereröffnung
unseres Geschästs."
„Das läßt sich denken", erwiderte Sir
John. „denn, wenn Sie den kurzen
Bericht gelesen hätten,welcber auf meine
Veranlassung vor kurzer Zeit im „Fi
garo" erschien, so würde Ihr Verdacht
wohl erregt worden sein, der Name
Ihrer Schwester würde dazu wohl ge
nügt haben."
„ES ist ein unglücklicher Zufall",
sagte Madame Ferron, „Monsieur Ro
quctte, welcher den Elenden in London
erkannt hat, und welcher vielleicht die
Zeitungen gelesen und einigen Arg
wohn geschöpft hat, reist jetzt 'in Spa
nien."
„Ja, es ist merkwürdig, daß wir un
ter diesen Umständen der Wahrheit so
schnell auf die Spur gekommen find.
Aber jetzt mllffen wir den Mann fassen.
Wann erwarten Sie ihn zurück, Ma
dame?"
„Ich weiß nicht", erwiderte Madame
Ferron. „aber es werden wohl noch
einige Tage darüber vergehen; Alcide
will mir Näheres schreiben."
„Jedenfalls", sagte Mr. Drusel,
„haben wir Zeit, einen Verhaftsbefehl
zu erlangen. Ich werde heute dafür
sorgen; inzwischen müssen wir unseren
Plan entwerfen und abwarten."
; „Sie müssen vor allem unsern Besuch
vnd die schrecklichen Nachrichten, die Sie
jgehörthaben, geheimhalten.Madame,"
rieth Sir John, „selbst Ihr Gemahl
darf nichts davon wissen, bis er zurück
kommt."
„Sie können sich auf mich verlassen",
erwiderte Madame Ferron, „ich liebe
Madeleine zu sehr, um nicht zu wün
schen, daß sie gerächt werde. O, wa
rum hat sie solch ein Ungeheuer gehei
rathet? Unser armer Vater war im
mer dagegen und hat nur aus Made
leines Bitten eingewilligt. O wenn er
strenger gewe.'en wäre!"
Wie Brusel richtig bemerkt hatte.wzr
gegenwärtig nichts zu thun, als abzu
warten. Die drei Reisenden nahmen
Wohnung in einem Hotel und suchten
möglichst wenig Aussehen zu machen.
Madame Ferron übergab Brusel die
Brieie ihrer Schwester und dieser schrieb
an Air. Norfolk und an die Behürd'
von Sandbank.
Madame Ferron hielt ihr Wort, sie
sprach mit Niemand über das, was sie
erfahren hatte. Ter Laden gegenüber
der Kathedrale wurde jsden Tag wie
gewöhnlich geöffnet, und die Schwester
der Ermordeten suchte ihren Kummer so
gut als möglich über das Geschehene zu
verbergen und der Welt gegenüber ruhig
und heiter zu erscheinen; Niemand in
Tours außer ihr und den drei Fremden
hatte eine Ahnung von der schreckliche»'
Wabrheit.
Mehrere Tage waren vergangen.
Sir John und seine Begleiter gaben
sich für Reisende aus, die sich sür Al
terthumsforschungen interefsirten. Sie
besuchten die Kathedrale und andere
alte Gebäude in der Stadt und Umge
gend, die noch aus der Römerzeit her
rühren. Mr. Vrufel spielte sich als
Gelehrter auf und führte mit Hilfe des
Bädeler mit dem Wirth des Hotels und
anderen Leuten, mit denen er in Be
rührung kam, sehr gelehrte Gespräche
über Hadrian. Chlodwig, Heinrich IV.
und verschiedene historische Thatsachen.
Madame Ferro» gab ihm mehrmals
Nachricht. Alcide hatte einige Male
geschrieben. Er war mit seinen Reise
gefährten in Narbonne, Lyon und an
deren Städten gewesen. Sie reisten
von Stadt zu Stadt, um sich zu unter
richten und ihre Pläne in's Werk zu
setzen. Seine Nachrichten waren kurz;
er war augenscheinlich zu sehr von dem
Geschäft in Anspruch genommen, um
ausführlich zu schreiben. Aber aus
feinen kurzen Briefen war doch darauf
zu schließen, daß Saint Alban an keine
Entdeckung dachte, und daß sie bald nach
Tours zurückkehren wollten.
Sir John war voll Ungeduld, ebenso
Duvivier. Ter Erstere wünschte drin
gend, die Sache bald durchgeführt zu
haben, und der Letztere war von dem
Gedanken gequält, daß seine Nichte sich
noch immer im Gefängniß befand.
Brusel tröstete ihn indessen durch die
Versicherung, daß die Briese, die er
Irach England gesandt habe, wenn nicht
die Freilassung des jungen Mädchens,
so doch wenigstens eine besonders rück
sichtsvolle Behandlung für sie zur Folge
haben müßten. Nach einigen Tagen
werde Saint Alban ergriffen und nach
England gebracht werden, nnd dann
werde Charlotte sofort glänzend gerecht
fertigt und freigelassen werden.
Ein unerwartetes Ereigniß unter
brach jedoch die Einförmigkeit dieser
Tage des Abwarten». Eines Morgens
erschien im Hotel ein stattlich aussehen
der Herr mit breiten Schultern und
überraschte die Gesellschaft beim Früh
stück.
„Halloh, Power!" rief Mr. Brusel
aufspringend und schüttelte dem Ange
kommenen herzlich die Hände. „Von
wo in aller Welt kommen Sie?"
„Von London natürlich", erwiderte
Robert lachend, „ich habe dort von Ih
nen gehört und glaubte, es könne ganz
gut sein, wenn ich mich Ihnen anschlie.
Ben würde."
Der gewesene Gesängnißwärter von
Dartmoor hatte viele und angenehme
Neuigkeiten mitzutheilen. Alles war
gelungen. Stanley hatte Wort gehal
»en nnd in Gegenwart des Gcfäiigniß
direktors seine Aussagen gemacht und
zugleich auch seiner Frau Nachricht ge
geben. Mit diesen Waffen ausgerüstet,
war Power nach London gegangen und
hatte sich mit Mister Norfölk'besprochen.
Dieser hatte sogleich seinen Bruder,
Toktor Norfolk, zu sich gerufen, um
mit ihm die Sache zu berathen. Dok
tor Norsolk rieth, ein Comite von be
kannten und geachteten Aerzten zu be
rufen. welche Alles untersuchen, Frau
Stanley befragen und über die ganze
Sache Bericht erstatten sollten.
Tics geschah jetzt eben. Das Comite
war gewählt worden, und Robert war
davon überzeugt, daß die Untersuchung
ein sür ihn höchst befriedigendes Resul
tat haben mußte. In Folge eines ihm
gegebenen Rathes nahm er keinen Theil
an den Verhandlungen und konnte übe»'
seine Zeit verfügen, wie er wollie.
Aber er hatte zur Bedingung ge
macht, daß weder der Sträfling, noch
feine Frau zur Verantwortung gezogen
werden durften. Für die Letztere wurde
jetzt auf's Beste gesorgt. Doktor Nor
folk hatte die Sache in die Hand ge
nommen und ihr eine einträgliche Be
schäftigung verschafft.
„Uud was glauben Sie, war der
hauptsächlichste Beweis gegen jenen
Elenden?" fragte Robert am Schlüsse
seiner Mittheilungen. „Ein Brief,
ein Brief, in welchem von mir in ver
steckter Weise die Rede war, nachdem ich
Manchester verlosten hatte, und in dem
Stanley eine fortwährende Geldunter
stützung von Saint Alban versprochen
wurde, sobald das Geld des reichen
Mannes damit war natürlich Gallo
gemeint in die Tasche des vortreffli
chen zweiten Mannes von Frau Gallo
gelangt sein werde. Frau Stanley
hatte diesen Brief aufbewahrt, und das
war ein Glück für mich. Er war nicht
unterzeichnet, Sie können sich denken,
daß er dazu zu fchlau war. aber es war
trotzdem bester, als wenn Saint Al
bans Unterschrift sich darunter befun
den hätte. Sie werden vielleicht erra
then. warum? Er war in derselben
spinnenartigen Handschrift geschrieben.
wie die Worte auf dem Stück Papier,
das ich im Zimmer der Ermordete»
gesunden habe."
83.
Endlich kam die Stunde zum Han
deln. Ein kurzcr Brief von Monsieur
Ferron an feine Frau, welcher bald
nach Robert Poner's Eintreffen ii
TourS ankam, enthielt die Mittheilung,
daß Monsieur Courtin alias Saini Al
ban und seine Kapitalistin am inchsten
Tage zurückkehren würden.
Alles war zu ihrem Empfang vorbe
reitet.
Ter Vcrbaftsbcfehl für Saint Alban
war ausgefertigt und befand sich in
Brufel's Händen. Der Chef der Poli
zei in TourS war von dem, was gesche
hen sollte, benachrichtigt. Er hatte
seine Zustimmung gegeben Und war be
reit. alles, was erforderlich sei, zuthun.
Einige Gensdarmen unter dem Befehl
eines Brigadiers waren Mr. Brusel
beigegeben worden und erwarteten sein?
Befehle.
„Wir müssen die Sache auf folgende
Weise angreifen", sagte der Detektiv,
„alles muß so ruhig und still, als mög
lich geschehen, um dieser armen Dame
und ihres Mannes willen, die hier ein
Geschäft führen und natürlich wün
schen. daß so viel als möglich Aufsehen
vermieden wird. Wir sind ihr das
schuldig sür den Beistand, den sie uns
geleistet hat. Ich schlage folgendes
vor: Madame Ferron geht auf den
Bahnhof und ficht aus, als ob nichts
vorgefallen wäre, bringt ihre Gäste
nach Hause und macht uns Mitthei
lung, wenn sie dort eingetroffen sind.
Sobald wir die Nachricht erhalten, tre
ten wir ein und die Sache ist abge
macht. Was denken Sie von meinen'
Plan?"
Mr. Brnfels Vorschlag fand allge
meinen Beifall, nur Robert hatte ein»
Einwendung zu machen.
„Wird Madame Ferron stark genug
sein, ihre Gefühle zu beherrschen und
ihre Nolle zu Dielen, ohne Saint Al
bans Verdacht zu erregen ? Mit die
sem Herrn ist nicht zu spaßen; bei dem
geringsten unbedachten Wort oder Blick
wird er sogleich auf der Hut fein und
zu entkommen suchen. Wenn Madame
Ferron nicht unbedingt ihrer selbst sicher
ist, so wäre es besser, die Sache anders
zu machen."
Madeleines Schwester versicherte je
doch bestimmt, sie werde den nöthigen
Mnth besitzen und- Alles wie erwartet
aussühren.
Ihr Schmerz war in einem Durst
nach Rache übergegangen, der sie stark
and entschlossen machte; ihr
nes Wesen bürgte dafür.
Mit fieberhafter Ungeduld wurde der
wichtige Tag erwartet. Der Bahnzug,
ber Saint Alban brachte, sollte gegen
Mittag in Tours eintreffen. Lange
vor dieser Stunde gingen Herr Du
vivier und seine Freunde ungeduldig in
ihren Zimmern im Hotel auf und ab
lind sahen alle Augenblicke nach der
llhr. Duvivier war in der That kaum
von einer Unbesonnenheit abzuhalten.
Er hatte den Gedanken gefaßt, er. oder
sonst Jemand von der Gesellschaft, solle
oerkleidet auf den Bahnhof gehen, um
sich zu versichern, daß Saint Alban an
gekommen sei.
Da es Mr. Brnsel nicht gelingen
wollte, den Franzosen durch gütliches
Zureden von seinem Plan abzubringen,
so drohte er, ihn den ganzen Tag über
in sein Zimmer einzuschließen, bis alles
vorüber sei, wenn er nicht sein Ehren
wort geben wolle, seine Ungeduld zu
zügeln'. Man sah dem Detectiv an,
daß er im Stande war. seine Drohung
>ur Wahrheit zu machen, und Monsieur
Duvivier zog schließlich vor, sich zu
lügen.
Endlich kam das lange erwartete
Zignal in Gestalt eines Briefes, den
ein Bote"in das Hotel brachte. Kein
unvorhergesehener Zwischenfall war ein
getreten. Der Zug war pünktlich an
gekommen und die Erwarteten waren
mit demselben eingetroffen. Sie woll
ten zuerst i» einem Hotel absteigen,
zber Madame Ferron bestand darauf,
saß sie zu ihr kämen. Sie waren jetzt
ihre Gäste und saßen in dem kleinen
Salon über dem Laden, ohne die ge
ringste Ahnung von dem zu haben, was
kommen sollte. Ihrem Versprechen ge
lreu hatte Madeleine s Schwester ihren
Mann bis zum letzten Augenblick nicht
in's Vertrauen gezogen.
Alles war so eingetroffen, wie man
:s geplant hatte. Alle Erwartungen
waren eingetroffen. Zur rechten Zeit
wurde in aller Eile der Polizei Nach
richt gesandt, und vier Gendarmen, von
einem Unteroffizier geführt, gingen, um
nicht zu großes Aufsehen zu erregen,
schweigend und vorsichtig die Häuser
reihe entlang nach dem Laden gegen
über der Kathedrale.
Mr. Brusel würde lieber auf diese
kriegerische Machlentfaltung verzichtet
und diese Männer mit gewichstem
Schnurrbart, kurzen Säbeln und Drei
mastern bei Seite gelassen haben, aber
man mußte sich den Gesetzen und dem
französischen Gebrauch sügen.
Vorsichtig traten die Leute in das
Haus, von einer gaffenden Menge an
gestarrt. die sich im Augenblick ange
sammelt hatte. Madame Ferron er
wartete die Fremden und ließ sie ein.
Zuerst kamen Mr. Brusel und Robert
Power, beide sehr ruhig und entschlos
sen, dann folgte der Baron, ebenfalls
gefaßt, und neben ihm Monsieur Du
vivier. dessen erregbare Natur sich in
seinen bleichen Mienen und seinen leb
hasten Geberden äußerte. Die Gen
darmen blieben im Hintergrund, bereit,
bie Thüren zu besetzen und den Ver
brecher in Empfang zu nehmen, sobald
sie dazu berufen wurden.
Inzwischen saß Saint Alban ge
mächlich in einem Lehnstuhl und sprach
mit Ferron. welcher, erregt durch einige
seltsame Andeutungen seitens seiner
Frau, vergebens versuchte, leine Auf
nerksamkeit ungetheilt seinem Gast und
verwandten zuzuwenden.
(Fortsetzung folgt.)
Der Akrobat al»Zah«zt«h»r»
Neulich hatt' ich Zahnreißen, fürch
terlich. sag ich Ihnen, so. daß ich nicht
mehr japsen konnte. Ich versuch Ein
reibungen hilft nichts; ich versuch's mit
'ner Feige, 'ner wirklichen südländischen,
keiner Backenwurzen, Hilst wieder nichts
dann kam angebrannte Watte —ich
riech' mich fast zu Tode d'ran, 's wird
immer schlimmer! Nu muß der Zahn
'raus, sag ich. „Hör," sagt mein Leb
recht, „da gehe zum Zahnreißer Wuppdi,
der ist früher mal Akrobat bei Sala
monsky gewesen, der hat das Ausreißen
weg, sag' ich Tir!" Na. ich überleg
mir s noch 'ncn Tag; als aber die Ge
schichte zu schlimm wird, halt' ich's nicht
mehr aus und geh' hin. Da kommt
mir ein Kcrlchen entgegen, schlank und
dünn wie eine Tanne und macht einen
Entrechat, wie 'ne Balleteuse. „Bitte,
den Mund auf!" Ich thu's. Er hüpft
in die Höhe wie ein Frosch, macht im
Hüpfen eine Verbeugung und sagt:
„Möns, den weiden wir gleich haben!"
Ich denl', der Kerl ist toll, aber der
läßt keine Ruh', im Nu steht er auf der
Stuhlkante, macht einen Kratzfuß in
die Luft und lispelt:
„Nu mache Sie ein freundlich Ge
sicht, man olisr —" worauf er den
vermaledeiten Schraubenschlüssel mir
in den Mund bringt. „Wenn ick sa
gen eins, swei, drei, nachher beginnen
die groß Saltomortale von Zahn und
ich!" sagt der Teufelskerl und packt an.
Da steht er auch schon mit den Füßen
auf der Stuhlfeitenlehne „»Hon»
awi vils, Vits!" ein Satz und er
ist auf der Stuhllehne hinten, legt sich
hinlen über ein furchtbarer Ruck
ich sehe einen Knaul von einem Men
schen in der Luft sich ein Dutzend Mal
herumdrehen, spüre ein Krachen, dann
einen gewaltigen Schmerz und schon
steht Monsieur Wuppdi vor mir, mit
graziösester Verneigung mir den glück
lich Per Saltomortale gezogenen Zahn
zeigend: „Wünschen Monsieur eine
Wiederholung von die Produktion?"
Nun, ich hatte genug!'
Fatales Versehen. Doc»
torsfrau: „Aber. Mannchen, warum
ärgerst Tu Dich so sehr?" Arzt:
„Den!' Dir nur das Pech! Ich habe
aus Versehen beim Ausfüllen des
Sterbezetlels für meinen Patienten
Meier in die Rubrik „Todesursache"
meine Unterschrift hinein geschrieben!"
Abgeblitzt O glau
ben Sir mir, Fraulein Amalie, glau
ben Sie meinen Worten: Ich liebe Sie
rasend!" —„Sie Glücklicher! Sie haben
schon Jemand', den Sie lieben Ich
noch nicht!"
Triumph. Michel: „Du,
Dein Schädel hat scheint's bei der
letzten Rauferei mit dem Sepp a' tüch
tig's Loch 'lriegt!" Girgl (stolz):
„Dem Sepp sei' Krügel aber auch!"
Allerlei Ber«i»Snameu«
Eine vereinswissenschaftliche Namen«
studie gibt Dr. W. Bode in der „Frkf.
Ztg." zum Besten. Während ein be
deutungsvoller Gedanke oft nach Jah
ren taum ein paar Anhänger gewinnt,
gibt es Bereine, die in kurzer Zeit ein
Land überwuchern, nur weil etwas
„Klimbim" daran hängt. Saßen da
z. B. am 24. Oetober 1878 in Oswin
Schumann'S Wirthschaft zu Zwickau
ein Dutzend Männlein an ihrem
Stammtisch und machten Witze, so gut
sie konnten. Einmal hieß es: „Fa
mos! Ter Witz muß angenagelt wer
den!" Ter Wirth nimmt die Redens
art nach Eulenfpiegclart und holt Ham
mer und Nagel herbei. Der Nagel
wird eingeschlagen; da zu erwarten
steht, daß noch mehr gute Witze die
Einschlagung weiterer Nägel nöthig
machten,' einigt man sich, daß die Nä
gel zuletzt ein Kreuz bilden, und daß
zum Hammerschlag nur die zugelassen
werden sollen, die bei jedem Hieb zehn
Pfennige sür die Armen opfern. So
entstanden die „Kreuzbrüder-Tische".
Bis März 1889 waren deren 2t)V ge
worden, allermeist in Sachsen, mit2V,-
VW Mitgliedern; 1884 sollen 64,000
Mark für Unterstützungen aufgebracht
sein. Die Namen aus alter Zeit sind
oft darum so schlicht, weil sie nicht zur
Unterscheidung zu dienen brauchten.
In kleineren Orten genügt auch jetzt
noch der natürliche Name. z. B. „Gc
fang-Berein". Wer aber in einer grö
ßeren Stadt einen neuen Gesangverein
gründen will, braucht eine lebhaste
Phantasie, uni einen neuen Namen zu
entdecken. Ich will eine Anzahl selte
nere Bezeichnungen aufführen, die alle
von sächsischen Pereinen thatsächlich, ge
werden; Max Moltke's Adreßbuch der
sächsischen Vereine (Leipzig 1891) ist
eine reichhaltige Quelle. Neben den
ersten Dirigenten leihen oft Komponi
sten den Titel, wir finden Mozart-,
Bach- und Mendelssohn-Gesangvereine;
aber auch andere Männer sind brauch
bar, z. B. der heil. Paulus, der heil.
Lukas und der unheilige Anakreon.
Aus der Pflanzenwelt begrüßen wir
„Jmckergrün", „Edelweiß", „Alpen
rose", „Esche". „Blume", „Grüner
Zweig" und „Eichenhain". Aus der
Thonwelt find genommen „Andante".
„Allegro", „Cantatc", „Echo", „Ca
non", „Tonica" und „Stimmgabel".
Die Einen summen wie ein „Bienen
stock",die Anderen flüstern als „Zephyr",
dic Dritten murmeln wie „Hippokrene",
und in Wallenburg heulen sie gar als
Vertreter der „Nubia". Wir finden
auch eine „Strohkapelle" und „Schwe
densänger"; die Einen singen uns im
mer „Vorwärts" entgegen. Andere
„Grüß Gott!", noch Ändere plaudern
.Unter uns"; die Tugendhaftesten ru
fen „Heim"!
Die Kegelbrüder schießen jedoch von
allen Vereinsnamen-Erfindern ohne
Zweifel den Vogel ab. Die physiolo
gisch-psychologische Monographie über
die Einwirkung des Kegelspiels auf
Phantasie und Humor harrt zwar noch
ihres Verfassers, aber daß diese Ein
wirkung äußerst fruchtbringend ist.
können wir leicht beweisen. Wir fin
den unter den Dresdener und Leipziger
Kegelklubseine „Feine Familie", „Fa
milie Schulze", eine „Familie Pampe",
auch der „Perusche Adel" ist vertreten.
Als VereinSgenien dienen „Bismarck".
„Hagenbeck", „Rübezahl", der „Bat
tenberger" und eine „Jule", deren Fa
miliennamen nicht genannt wird. Wir
finden in diesen Klubs „Gaudium".
»Fitz", „Humor". „Dorftorkel", auch
.Wupticität" und gar „Redefreiheit".
»Nur ruhig !" heißt hicr die Losung.
„Schwamm drüber" dort; beides ist
berechtigt, denn es sehlt nicht an „Klim
bim", „Mumpitz", „Radau", und
„Krach". Neben einer „Brummochsia"
und einer „Heeringsbatterie" finden
wir zu unanssprechlicher Frende noch
den berühmten allen und schon recht '
unkenntlich gewordenen .Tugendbund"
wieder.
In Dresden gibt es unter den Kcg»
lern „Fettflecke", „Kannibalen", „Lok»
kenköppe", „Lustige Holzer", ..Holz
schinder", „Motten". „Nachtwandler",
„Namenlose", Räuber", „Rippen und
Rauhbeine", „Sandhosen", „Voll
monde", „Wolkcnschicber", auch eine
„Lustige und traurige San". Tie
Leipziger sind nicht besser, donn sie sind
„Blitzlerlc", „Dreylöppe", „Gute
Männer", „Hähne", „Kaltblütige",
„Klammersäcke", „Kobolde", „Mag
ier", „Pavpenhcimer", „Patentlork
ser", .Pechbrüder", „Quaker", „Rat
ten", „Rattenfänger", .Sägeböcke",
„Schuster", „Schwefelbande", „Spar
taner", „Stilvolle", „Streitköpse".
„Sumpfer", „Süßholzraspler", „Tan
ten", „Urgemüthliche", „Wespen".
.Wilde Männer" und „Zukünftler".
Etwas von russischer
Rechtspflege. Ter Schullehrer des
Dorses Gussin, Gouvernement Ljublin,
beschwerte sich beim Ljublin'schen Land
gerichte darüber, daß ein Gutsbesitzer
einen Theil des Schullandes für sich
genommen hab«, das Holz für die
Schule nicht liefern wolle und alle Ser
vituten gegen die Schule verweigere.
Es wurde ein Commissär geschickt, um
an Ort und Stelle zu entscheiden. Ter
Commissär fragte den Lehrer in Gegen
wart der Bauern, ob er die Krülow'sche
Fabel von dem Wolf und dem Lamme
lenne und fügte hinzu, daß auf solche
Beschwerden eines Schulmeisters gegen
über einem Gutsherrn zwei Wochen
Arrest gehörten. AIS die umstehenden
Bauern betheuerten, daß der Schul
meister im Recht sei, befahl der Com
missär ihnen, zu schweigen. Und zum
besseren Verständniß sür dic dumme
Menge fügte er mit Pathos hinzu, daß
er in seinem Kreise wegen Widerstandes
gegen seinen Willen drei Bauern in s
Gefängniß habe stecken lassen, deren
einer sich jetzt aufgehängt habe. Sol
cher Autorität gegenüber blieb den
Bauern das Wort in der Kehle stecken,
und die Sache war zu Gunsten de»
Gutsherrn entschieden. 3