Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 16, 1892, Page 3, Image 3

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    Ei» Verbreche«.
(N. Fortsetzung.)
„Ich habe mir immer gedacht." sagte
Pr, daß Saint Alban der Mann war.
Aber was veranlaßte ihn. Sie und
Ihre Frau gegen mich zu Hetzen? Ich
habe ihm niemals BöseS gethan."
„Können Sie das nicht errathen?''
sagte dcr Sträfling. „Ich bin gleich
daraus Versalien, als er zu mir kam
und sagten Jakob, es ist ein Vermögen
zu gewinnen, und Du mußt mir dazu
verHelsen."
„Ich habe einen Verdacht." erwiderte
Power, „aber ich möchte die Wahrheit
von Ihnen selbst hören."
„Nun, es handelte sich um seinen
Freund, den reichen Menschen, mit dem
er so eng bcsreundct war. und dessen
Wittwe er später heiratheie."
„Sie meinen Mister Gallo?"
„Richtig! Aber Sie waren im Wege
und ich und meine Frau sollten wi>
beseitigen.
„Ich war im Wege?"
„Ja, es ist eine schändliche Ge
schichte!" flüsterte der Sträfling, „der
Reiche starb sehr plötzlich, nachdem Sie
fort waren."
„Woran starb er? Haben Sie ge
hört, wie man seine Krankheit genannt
hat?" fragte Robert, in kalten Schweiß
ausbrechend, bei dieser Bestätigung sei
nes schwärzesten Verdachtes.
„Unterleibsentzündung nannte man
es. Es besiel ihn eines Tages plötzlich:
am nächsten Tage war er todt."
„Richtig, das war das Arsenik."
murmelte Robert vor sich hin. „Was
für ein Dummkops war ich doch, daß
ich nicht gleich von Anfang an daran
dachte. Wer hat ihn behandelt, als er
tra»t war?" fragte er.
..Ter alte Arzt derselbe, bei dem
Sic gewefe» waren."
„Toctor Merritt. Und hatte dieser
keinen Verdacht?"
„Nicht im Geringsten, er fand Alles
in Ordnung. Ter ToÜtenschein wurde
ausgestellt, die Beerdigung sand statt.
Stlle's in Ordnung, wie ein Uhrwerk!
Aber ich kannte Eharley. und erinnerte
mich daran, was er von uns verlangt
hatte. Ich wußte Alles besser!'^
Robert Power hörte mit klopfendem
Herzen zu und verfiel in Nachdenken,
iillles war so klar, wie der Tag: hun
dert kleine Einzelnheiten, welchen er
lein Gewicht beigelegt hatte, sielen ihm
jetzt wieder ein. Saint Albans häu
fige Besuche in Mr. Gallos Haus, seine
heuchlerische Freundschaft sür denselben,
während er im Geheimen jenen ver
hängnißvollen Einfluß aus die Frau
gewann, die sich von diesem Anbeter
mit der sanften Stimme, der glatten
Zunge und dem hübschen, dunklen Ge
sicht bethören ließ, die lügnerische Sorg
fält, mit welcher er in Gegenwart von
Fremden seine Pläne zu verhüllen
wußte, indem er hingebende Freund
schaft sür den Mann zeigte und sich der
Frau gegenüber aus die gewöhnlichste
Höflichkeit beschränkte.
Und hatte Robert Power nicht schon
rine genügende Erklärung sür jene
That, auf welche Stanley hinwies?
Mr. Gallo war plötzlich an Unter
leibsentzündung gestorben. Tie Symp
tome waren die einer Arfenilvergiftung.
und gerade über die Wirkung des Ar
seniks hatte Saint Alban sich mehrsach
bei Power erkundigt. Air. Gallo war
ein kräftiger Mann, er litt an der
Gicht, aber im Uebrigen waren feine
Gesundheit und seine Körperbeschaffen
heit tadellos: er gehörte nicht zu den
Personen, von denen man hätte glau
ben können, das sie in wenigen Stun
den sterben.
Robert hatte als Gallo's Hausarzt
keine Beforgniß für ihn gehabt und ge
than. was für sein beionderes Uebel
nothig war. ohne für seine allgemeine
Gesundheit Befürchtungen zu hegen.
Einem Arzt, der keinen Verdacht hegte,
tonnte es wohl entgehen, daß bei dem
Tode Arsenik eine Rolle gespielt hatte.
Es war nur natürlich, daß dcr Aben
teurer bei Ausführung scincr Pläne die
Anwesenheit Roberts in Manchester
fürchten mußte und ihn zu entfernen
wünschte. Robert, als Mr. Gallas
Hausarzt, hätte leicht argwöhnisch wer
den können, Toctor Merritt dagegen
kannte Air. Gallo sehr wenig und
tonnte ohne Schwierigkeit getäuscht
werden. Ter schlau angelegte Plan,
welcher die Lausbahn des jungen Arztes
vernichtete, war jetct vollkommen klar
zu durchschauen. ..Welch' gewissenloser
Schurke!" dachte Robert.
Aber er hatte noch andere Fragen zu
stellen.
„Wie trafen Sie mit diesem Saint
Alban zusammen?" sragte er.
„Es war in Manchester, am weißen
Montag," anlwortete der Zigeuner,
„eine Bande dcr Unfrigen war zu ciiiem
Wettrennen gekommen, um zu sehen,
ob wir nicht bei dieser Gclcgcnhejt etwas
erwischen könnten. Ich ging umher
und sah »ach den Schaubuden. a!S ein
voranehmer Herr vorbeiging und mich
schars ansah. Tann flüsterte er mir
leise zu: „Kosch Tobak." Das find
Worte aus der Zigeunersprache, und
andere folgten nach. Ich wußte so
gleich, daß er einer von den Uni'rigen
mar. Nun, wir kamen in- Geiprach,
und ich fand, daß er zu unserm
Stamm gehörte, und daß sein Vater
dcr alte Horser war, welcher vor drei
ßig lahren an den Pocken gestorben ist.
Jetzt erinnerte ich mich des Herrn wie»
dcr, denn es sand sich, daß wir als Kin
der ?iit einander gespielt hatten,"
Die Erinnerungen schienen den
Sträfling so auszuregen, daß er große
Schwierigkeit hatte, sich des Gebrauchs
seiner Nationalsprache zu enthalten.
„Darauf," fuhr cr fort, „sprachen
wir lange Zeit, ich erzählte ihm. wie
schlecht es mir gehe, wie ich krank ge
worden fei und »»! der Polizei Unglück
habe. Er fchicn aber in glücklichen
Umständen zu fein, gab mir auch etwa»
Geld und versprach, mich wieder
treffen."
„Er hielt natürlich sein Versprechen?"
fragte Robert.
„Gewiß!" erwiderte Stanley. „Ich
glaube nicht, daß cr damals in Bezug
aus mich böse Pläne im Kopf hatte.
Was er sür mich that, that er aus
freiem Willen. Er wußte eine Stelle
als Portier und sragte mich, ob ich die
selbe übernehmen wolle. Ich war im
Gefängniß gewesen und noch schwach
von meiner Krankheit, deshalb griff ich
zu. Ich kam nach Manchester, bald
daraus lernte ich Beß kennen, heirathete
sie, und dcn Rest wissen Sie."
Robert zweifelte nicht daran, daß
Stanleys Aussagen dcr Wahrbeit ent
jprächen. Stanley schien der Meinung
zu sein, daß Saint Alban, als er ihn
unter seinem Schutz nahm, zunächst auS
Mitleid und Gutinüthigkeit gehandelt
habe. DaS mochte so sein. Robert
wußte bereits, daß auch der Schlechteste
gelegentlich eines guten Antriebes sähig
ist. Bicllcichl hatte Saint Alban Mit
leid sür seinen früheren Spielkameraden
gesühlt und da er im Stande war. ihm
init einigen Worte» zu Helsen, hatte er
dies gethan. Dennoch war cS klar,
daß er cS späterhin verstaube» hatte,
de» Zigeuner sür sich nutzbar zu machen
und sür seine Wohlthaten sich mit Zin
sen bezahlt zu machen.
„Wie kam es, daß Sic wiedcr in
Schwicrigkcitcn geriethen?" fragte cr
nach einer Weile.
„Das kam von dem üppigen Lcbcn,"
crwidcrtc Stanlcy finster. „Er bezahlte
nicht schlecht für unsere Dicnstc. aber
ich wurde dadurch von der Arbeit ab
gezogen. die allen Gefühle erwachtcn
wieder, ich traf mit meinen früheren
Genossen zusammen, verlor meine Stel
lung wegen Vernachlässigung meiner
Pflichten, und da ich wünschte, daß Beß
wie eine seine Dame aussehen sollt?,
siel ich der Polizei in die Hände und
wurde hierher gesandt. Ich war cs
nicht, der den Waldhüter erschossen hat,
aber ich war mit dabei, und das war
gcrmg. Als ich in's Gefängniß kam,
versprach Eharley. daß er sür Beß sor
ge» werde, und er hat sein Wort nicht
gehalten."
„Aber ich werde daS.meinige halten,"
erwiderte Robert. „Wenn Sit mir
gegenüber thun, was Recht dann
soll Ihre Frau nicht Mangel leiden."
„Ich werde cS thun." sagte dcr
Sträfling. „Beß hat einen Brief von
ihm, und ich sagte ihr, sie solle idn
sorgsällig ausbcwahrcn, dcnn es ist ein
Bcweis. daß cr die Hand in der Sache
gehabt hat. Aber Sie werde» eine»
scierlichcn Eid leisten, daß ihr nichts
geschehen soll, wenn sie das eingesteht?
Sie war immer dagegen, aber ich
zwang sie dazu; das arme Ding hätte
Alles gethan, a»S Liebe zu mir."
„Daraus habe ich mei» Wort gege
ben. und Sie können mir glauben.
Aber jetzt ist es spät, und ich muß ge
hen. Wollen Sie morgen diese Ge
schichte, die Sie mir erzählt haben, in
Gegenwart des GesangnißdirectorS
wiederholen?"
.Des Gefängnißdirectors?" rief
Stanlcy entsetzt.
„Ja, ja. Sie müssen ihm Ihr? An
gabe machen, das ist nothwendig."
„Ich glaube nicht, daß ich mich dazu
entschließen kZnnte," murmelte der
Sträfling.
Robert zuckte mit den Achseln.
„Ich sche, ich habe mich in Ihnen
geirrt," sagte er. „Nun. es ist gut,
dann schweigen Sie. w:e bisher. Aber
mit unserm Handel ist eS aus, erinnern
Sie sich daran."
Der Zigeuner drückt? dcn Brief, den
er von seiner Frau erhalte» hatte, an
die Brust und stöhnte.
„Könnte den» nicht sie das Alles
machen? Ich werde ihr eine Botschaft
sende», welche sie veranlassen wird, die
reine Wahrheit auszusagen."
Robert schüttelte den Kops.
„DaS genügt nicht," erwiderte cr
fest. „Die Sache muß erst von Ihnen
ausgehen: Ihre Frau kann Ihre An
haben nachher unterstützen und ihre Be
weise anbringen, aber Sie müssen zu
erst sprechen."
„Ich glaube nicht, daß ich dazu im
Stande bin," sagte Stanley zag
hast.
„Es soll Ihnen nichts geschehen."
sagte Robert. „Ich veriprcche Ihne»,
daß Sie keine Unannehmlichkeiten ha
ben werden. Diesem Schurken sind
Sie nichts schuldig, er Hai Sie ebenso
betrogen, wie cr Andere bctrog. Aber
Sie müssen ja oder nein sage», ich habe
keine Zeit mehr, also überlegen Sie sich
die Sache sorgfältig."
Ter Gedanke an den Verrath an
feinem unglücklichen Weibe brachte
Stanley zum Entschluß.
„Gut, cs soll morgen geschehen,"
sagte er, „Beß soll sich nicht zu Tode
arbeiten oder verhungern! Sie werden
Ihr Wort halten, nicht wahr? Lassen
Sie mich Ihr Gesicht schcn. dort beim
Licht ja. ich glaube, ich kann Ihnen
trauen! Wenn incine Aussage Ihnen
nützen tonn, so werde ich sie machen."
Tie Stille und Ruhe der Nacht
senkte sich bald nachher aus das düstere
Gesängniß herab, doch keiner war so
ruhelos in dieser Nacht, als der Ge
sängnißwärter Robert Power, in dessen
Traume sich die schönste» Zutunfls
bilder Mischten, während der Sträfling
No. 37,542 stöhnend den Brief seiner
Frau an sich drückte.
30.
Sir John Hunter. Herr Tuvivier
und der Deteetiv Tem Brusel gelang
ten ohne Ausentball oder Abenteuer
von London nach Fallestone. nach
Boulogne und nach Paris. Tort blie
ben sie über Nacht, weil es zu spat war,
um an demselben Tage nach Tours
weiter zu reisen, und außerdem, weil
die Reisenden Erholung nöthig hatten.
Früh am Morgen waren sie jedoch
wieder aus, und nach wenigen Stunden
sührte sie der Zug dem fernen Tours
zu. das in einem lachenden, prächtigen
Zhale liegt, durch seine alte, gothische
Kathedrale, seine grsßen Seiden»!
Fabriken, seinen schönen Fluß und durch
noch viele andere Dinge berühmt ist,
die mit dieser Geschichte nichts zu thun
haben.
Das Erste, was Monsieur Tuvivier
in Gesellschaft seiner Begleiter that,
war, daß er sich nach dem RathhauS
begab, um dort Erkundigungen einzu
ziehen. Er brauchte sich nur der Stadt
behörde vorzustellen, um mit großer
Höflichkeit enipsangen zu werden.
Bertin, der Bater dcr hübschen,
jungen Fra». welche Duvivier als
Madame Courtin gekannt und welche
so rührend sür ihren Mann gebeten
hatte, war vor Kurzem gestorben. Ties
wußte Dnvivier. denn Bertin war ein
Geschäftsfreund von Duvivier gewesen,
und sein Tod war ihm nach Rouen ge
meldet worden.
Aus dem Rathhause wurde zunächst
festgestellt, daß das Geschäft des ver
storbenen Bertin jetzt den Namen Fer
ron trug. Ein Herr Ferron hatte die
ältere der beiden Töchter Bertin's ae
heirathet, und da keine Söhne vorhan
den waren, wurde er der Nachsolger im
Geschäft. Letzteres wurde noch in dem
selben Laden, gegenüber der Kathe
drale betrieben, nur die Veränderung
im Namen war eingetreten.
Nach diesem Hause in der Nähe der
Kathedrale lenkten daher die Fremden
ihre Schritte. Hier mußten sie eine
Antwort auf ihre Nachforschungen er
hallen. Von ailßen hatten das Haus
und daS Geschäft ein gedeidlicheS Aus
sehen. Duvivier, ein erfahrener Ken
ner in solchen Sachen, betrachtete es
mit beifälligem Ernst, Alles sah sauber
und solide aus, augenscheinlich wurde
es von jungen Leuten geleitet, denen
Fleiß und Energie nicht fehlten.
ES war eine stille Tageszeit, und in
dem Laden besanden sich keine Kunden.
Madame Ferron saß am Zahltisch.
Sie war eine hübsche Frau von fieben
vdcr achtundzwanzig Jahren, mit einem
niedlichen, freundlichen Gesicht und
glühenden, dunklen Augen.
DaS Erscheinen der drei Fremden
versetzte sie in begreifliches Erstaunen.
Der imposante Sir John, vom Kopf
bis zu Füßen ei» echter, englischer
Landedclmann, war keine alltägliche
Erscheinung, ebensowenig Mr. Brusel
mit seiner langen Nase und seinen bu
schigen Augenbrauen. Duvivier je
doch. mit seinem Schnurr- und Kinn
bart und dem rothen Bande im Knopf
loch war ohne Zweifel ein Franzose.
Zuvorkommend fragte Madame Fer
ron nach den Wünschen der Herren.
Monsieur Duvivier. mit dem Hut?
in der Hand, übernahm es, die Unter
haltung ernst, aber höflich einzu
leiten.
„Wir sind in einer etwas delicaten
Veranlassung hier, Madame." begann
er, „es wäre vielleicht besser, wenn wir
persönlich mit Ihrem Gemahl. Herrn
Ferron sprechen tönnten."
Ein Blick des Erstaunens folgte die--
sen Worten.
Welche Täuschung für die Herren:
Monsieur Ferron war unglücklicher
weise abwesend und wurde vor Ablauf
einiger Tage nicht zurückerwartet. Ma
dame Ferron ersreute sich jedoch des
vollen Vertrauens ihre» Gatien und
fragte daher, od sie nicht seine Ztelli
einnehmen könne.
„Gewiß!" erwiderte der frühere Bür
germeister mit seiner ernsten Höfiichleit,
„nur um Ihnen vielleicht einen Schmerz
zu ersparen, haben wir nach Monsieur
Ferron gesragt."
„Einen Schmerz?" rief Frau Fer
ron erregt aus. „Mein Gott, sollte
Alcide etwas zugestoßen sein? O nein,
wie surchtsam bin ich doch, dann hatten
Sie nicht nach meinem Manne ge
fragt."
„Erregen Sie sich nicht." fuhr Mon
sieur Duvivier fort, „wir bringen leine
schlimmen Nachrichten über Monsieur
Ferron. Wir haben vielleicht über
haupt keine schlimmen Neuigkeiten, ich
sragte nur aus Rücksicht, und weil wir
nicht wünschen, Sie unnothigerweije
auszuregen."
„Um was handelt es sich denn?"
fragte die Französin, noch immer ver
wundert, und blickte bald Tuvivier,
bald den Baron und den Deteetiv an.
„Wir haben wenige, einfache Fragen
zu stellen," sagte der Bürgermeister.
„Wollen Sie die Güte haben, Madame,
sie zu beantworten? Sie betreffen Ihre
Familie, vor Allem aber muß ich Ihnen
sagen, daß wir nicht aus leerer Neu
gierde getommen sind. Erlauben Sie
mir. zuerst mich vorzustellen. Ich bin
Monsieur Emilie Duvivier, Kausmann
in Rouen. Mein Name ist Ihnen
vielleicht nicht unbekannt, Ihr Herr
Vater. Monsieur Bertin, der mich mit
seiner Freundschaft und seinem Ver
trauen beehrt, hat ihn vielleicht z>"
weile» erwähnt."
„Gewiß," erwiderte Madame Fer
ron mit liebenswürdigem Lächeln.
„Ihr Name ist mir sehr wohl bekannt,
er steht auch in unseren Geschäfts
büchern. Erst neulich hat Alcide davon
gesprochen, die Beziehungen mit Ihrer
werthen Firma, welche durch den Tod
meines VaterS unterbrechen wurden
wieder auszunehmen."
Ter Bürgermeister verbeugte sich.
„Ich werde stolz aus diese Ehre fein."
sagte er. „Tiefe Herren." fuhr er
fort, „sind Engländer, wie Sie ohne
Zweifel bemerken. Sir John Hunter,
aus den Kreisen der vornehmen Welt."
sügte er vertraulich binzu, „und Mi
ster Brusel, sein und mein Freund "
Madame Ferro» verbeugte sich tief.
Tic Erwähnung der hohe» Stellung
des Barons haue Eindruck gemacht.
„Womit kann ich Ihnen dienen?'
fragte sie.
„Wir sind von England herüber ge.
kommen " suhr Monsieur Tuvivier
sort. „um einige Fragen o» Sie zu
richten: Sie können dorouS aus die
Wichtigkeit schließen, welche wir den
Antworten beilegen, die Sie uns ge
ben tönnen."
„Seien Sie überzeugt, daß ich mir
Vergnügen thun werde, was ich kann."
erwiderte Frau Ferron. welche ahnt«.
daß ei» wichtiger Zweck die Fremden
hicrhergeführt Hasen mußte.
„Die Nachforschungen, welche wir
mit Ihrer freundlichen Hilfe anstellen
wollen, beziehen sich auf Ihre Frau
Schwester, Viadame Courtin denn
so heißt doch Ihre Schwester, nicht
wahr?"
„Madame Courtin? Allerdings!"
erwiderte Frau Ferron verwundert.
„Ist ist Madame Eourtin noch
am Leben?" fragte Tuvivier zö
gernd.
„Am Leben?" rief Madame Ferron,
„Madeleine am Lebe»? Gewiß!"
Ganz mit dieser Frage beschäftigt,
Halle die Franzosin den eigenthümli
chen Eindruck nicht bemerkt, weichender
Name Madeleine sowie ihre Antwort
aus Duvivier und seine Begleiter her
vorbrachte.
Der Burgermeister war bleich gewor
den. Sir John ging ruhelos bin und
her und selbst Mr. Brusel zeigte einige
Anzeichen von Erregung.
„Sie wissen bestimmt, daß sie am
Leben ist.... und gesund?" fuhr Du
vivier fort.
„Ja,." erwiderte Madame Ferron
mit wachsendem Erstaunen, „aber wa
rum sragen Sie danach?"
„Entschuldigen Sie. wenn ich Ihnen
eine andere Frage stelle, anstatt die Ih
rige zu beantworten." sagte Duvivier.
..Ihre Frau Schwester, Viadame Eour
tin, sagen Sie, ist am Leben und ge
sund. Befindet sie sich gegenwärtig in
Tours?"
Madame Ferron blickte auf.
„Nein, mein Herr, sie ist nicht in
Tours, sie hat uns vor einiger Zeit
verlassen," fügte die Dame zögernd
hinzu, als ob es ihr widerstrebte, von
Familienangelegenheiten mit Fremden
zu sprechen, welche die Veranlassung zu
ihren Fragen noch nicht genügend er
klart hatten.
„Wenn sie nicht in Tours ist, befin
det sich Madame Eourti» dann noch in
Frankreich?" fragte Tuvioier beharr
lich.
„Warum inlerefsiren Sie sich so seh»
für Madeleine?" sagte Madame Fer
ron. „Diese Herren, Ihre Freunde,
kommen von England, wie Sie sagen,
was haben Sie und dieselben mit mei
ner Schwester zu thun?"
„Ich bedauere sehr, daß ich mich sür
den Augenblick nicht besser aufklären
kann, Madame." sagte Duvivier, äu
ßerst bewegt, „ich muß Ihre Nachsicht
in Anspruch nehmen. Ich bin ein al
ter Mann alt genug, um Ihr Vater
zu sein, und ich bm Ihr Landsmann.
Glauben Sie mir. daß meine Beweg
gründe ehrlich sind; wir sind nicht
Leute, welche sich aus Neugierde in die
Angelegenheiten Anderer mischen."
Der Ernst de- alten Franzosen ver
fehlte feine Wirkung nicht. Madame
Ferron S Verdacht schwand etwas, und
sie milderte ihre lainpfbereitc Hal
tung.
„Ich kann nicht an Ihnen zweifeln,"
sagte sie. „als Freund meines VaterZ
würden Sie nicht so grausam und un
ehrenhaft sein, uns auszuspioniren.
Ich will Ihre Frage beantworten.
Madeleine ist gegenwärtig in Enz
land —"
, AH, in England! Haben Sie Nach
richten von ihr?" rief Duvivier.
„Gewiß: Madeleine war immer eine
tüchtige Briesschreiderin."
„Und wann erhielten Sie die letzte
Nachricht von ihr?"
„Erst gestern." erwiderte Madame
Ferron mit vollkommener Ruhe.
Der Baron, der Tetecliv und Tu
vioier zeigten das höchste Erstaunen.
.Gestern?" riesen sie aus.
„Gewiß, gestern!" wiederholte Ma
oame Ferron und starrte die Fremden
erstaunt an.
Sie hatte keine Ahnung von der
Aufregung, welche diese unerwartete
Antwort bei ihren Besuchern hervor
rief. Wahrend der Reise von London
nach Frankreich war die Geschichte jenes
Courtin, d?n Duvivier kannte, eisrig
besprechen worden. Als Brusel Nähe
res über die militärischen Erlebnisse des
Bürgermeisters crsuht, theilte er natür
lich iotorl die Ueberzeugung, daß Eour
tin nnd Saint Alban dieselbe Person
seien. Er hatte einige Kenntniß über
Zigeuner und Zigeunerleben, und als
er die Abstammung Saint Alban s er
fuhr, sprach er die seste Ueberzeugung
aus. daß vourlin oder Saint Alban
in Wirklichkeit mit den Zigeunern an
der Loire verbündet gewesen und nach
seiner Ergreifung nur durch seine un
gewöhnliche Gewandtheit und List ent
kommen war; Monsieur Duvivier hatte
sich augenscheinlich täuschen lassen.
Mister Brusel war zu der seste» Ueber
zeugung gelangt, daß sie nach Befra
gung der Madame Ferron aller Wahr
scheinlichkeit noch dem Gchelinniß von
Sandbank aus den Grund kommen
würden, und daß Saint Alban s fran
zösische Frau das Omer gewesen sei.
AIS jctzt in ihrer Gegenwart Madame
Ferron den Namen Madeleine als den
ihrer Schwester genannt hatte, verwan
delte sich die Vermuthung in Gewißheit,
denn die Ermordete hieß Madeleine.
Ihre Enttäuschung aber, als sie nun
börten, daß noch am gestrigen Tage
Nachricht von Madeleine eingetrossen
sei, war kaum zu beschreiben.
„Sie haben gestern von Madame
Eonrtin Nachricht erhalten?" ries Du
vivier, als er sich von seinem Erstau
nen etwas erholt hatte. „Sie haben
in der That gestern einen Brief von ihr
erhalten?"
„Nein, das habe ich nicht gesagt, ich
sagte nur. daß ich über sie Nachricht er
halten habe."
„Bon wem erhielten Sie diese Mit
telung?" srogte Duvivier gespannt.
Madame Ferren zögerte.
„S>e werden mich entschuldigen,
mein Herl, ober ich halte mich nicht für
berechtigt, dies» Frage zu beant
worten."
„Ich bitte, Madame, die Sache ist
zu ernst, um Redensarten abzuwägen,"
sagte der alte Franzose ungestüm.
nachdem er einen sprechenden Blick mit'
seinen Begleitern gewechselt hatte. „Ich
und meine Freunde hier haben Grund
zu glauben, daß Sie in Bezug auf
Ihre Frau Schwester grausam ge
täuscht worden sind. Beantworten Sie
diese Frage, ich bitte Sie ernstlich da
rum! Wie lange ist es her, daß Sie
von Madame Courtin selbst einen
Brief erhalten haben?"
Atadame Ferron blickte erschreckt
auf.
„Es ist —es ist viele Tage her. seit
Madeleine mir selbst geschrieben hat."
„Das wußte ich!" ries Duvivier.
„Mein armes Kind, bereiten Sie sich
auf eine ernste Mittheilung vor. Wie
ich Ihnen schon gesagt habe, sind Sie
grausam getäuscht worden."
„Getäuscht? Was ist Madeleine zu
gestoßen? O. sagen Sie es mir. mein
Herr, ich bitte Sie. lassen Sie mich
nicht in solcher Spannung."
„Ihre Schwester ist todt!" murmelte
Duvivier heiser.
„Todt? Ich kann es nicht glau
ben!"
„Sie ist ermordet worden."
Madame Ferron legte die Hände auf
die Brust und stöhnte.
„Was sagen Sie. mein Herr? Es ist
nicht möglich! Gewiß. Sie irren sich!
Madeleine ist«»« Leben und wohl uns
glücklich, ihr Mann, welcher jetzt bei
Aleide ist. hat es mir gesagt."
In diesem Augenblick trat Mister
Brusel langsam und feierlich vor.
„Ich habe etwas hier," sagte er.
und zog aus seiner Brusttasche ein Pa
pier, das er entfaltete, „was allen
Zweifel lösen wird, Haben Sie
Muth, Madame! Seien Sie stark! Sie
werden vielleicht alle Ihre Kraft nöthig
haben. Sehen Sie hier! Erkennen
Sie darin Ihre Schwester?"
Der Deteetiv hatte eine Photogra.
phie der schönen, jungen Frau mit
gebracht, welche in der Villa Rob Roy
ermordet worden war. Diese Photo
graphie war bald nach ihrem Tod an
gefertigt worden und Mister Brusel
hatte ein Bild erhalten, das er bestän
dig bei sich trug. Es war ein vortreff
lich gelungenes Bild der Ermordeten,
wie sie aus ihrem Bett gesunden wor
den war, mit losen Haaren und weit
ausgerissenen Augen; schwarze Strei
fen bezeichneten die Wunden aus der
linken Seite des HalieS, düster erschien
die Wand, von welcher die Gestalt und
das Gesicht der Ermordeten sich lebhaft
abheben.
Madame Ferron starrte das Bild
an.
„Es ist Madeleine. meine Schwe
ster!" schrie sie aus und fiel bewußtlos
in Duvkvier'S Arme, der ihr rasch na
her getreten war.
31.
Al» Madame Ferron sich erholt
hatte, brach sie in heftiges Weinen aus,
dann aber ergriff sie plötzlich eine Wulh,
»in Turst nach Rache.
„Das Unzeheuer!" rief sie, „das
grausame, abscheuliche Ungeheuer! O,
meine arme Madeleine. meine arme,
arme Schwester, Tu sollst gerächt wer
den!"
„Wir sind gekommen, um Ihnen da
bei zu helfen, mein unglückliches Kind,"
sagte Tuvivier. „er soll der Gerechtig
keit nicht entgehen."
„Ach, und jetzt ist er mit Alcide zu
sammen." sagte Madame Ferron mit
einem Schauder, „ich zittere bei dem
bloßen Gedanken."
„Seien Sie unbesorgt um die Si
cherheit Ihres Mannes! Jener Elende
wird nicht! gegen ihn unternehmen,
dazu hat er zum Gluck keinen Grund.
Beruhigen Sie sich und leihen Sie uns
Ihre Unterstützung! Es ist wichtig, daß
wir Al!?s wissen, was vorgefallen ist."
„Ich bin dereit, zu sprechen." sagte
Madame Ferron. „Madeleine muß
gerächt werden, daS ist Alle», was ich
verlange!"
„Von welchem Tage war der letzte
Brief, den Sie von Ihrer Schwester
erhielten, datirt?" fragte Duvivier.
„Ich habe alle die Briefe von ihr
oben," erwiderte Madame Ferron,
„kommen Sie mit mir, Sie sollen sie
sehen."
Sie ließ den Laden unter dcr Obhut
einer Dienerin und sührte ihre Besucher
in einen kleinen Salon im ersten Stock,
dessen Fenster aus die Straße gingen
und einen prächtigen Anblick der-alten
Kathedrale boten. Tann nahm sie aus
einem Schrank ein Packet Briese.
„Hier sind sie alle," sagte sie, „ich
habe keine Geheimnisse mehr vor
Ihnen, Sie und diese Herren müssen
sie lesen."
Die Herren setzten sich, und Duvi
vier übernahm eS, die Briese der Er
mordeten laut vorzulesen.
Sie waren in zärtlichem Tone ge
schrieben, wie das zwischen Schwestern
natürlich ist, welche sich ihre geheimste»
Gedamen. ihre Hoffnungen und Be
jürchtuiigen mittheilen.
Ter erste Brief war datirt vom
Charing-Croß-Hotel in London, den
17. October. Er war kurz:
„Ich bin wohlbehalten angekommen,
meine liebste Marianne, und fester, als
je in meinem Entschluß. Du kennst
besser, als irgend Jemand, meinen
Geisteszustand, seitdem Monsieur Ro
quetle uns mitgetheilt hat. er habe
Eharles in London gesehen. Monsieur
Roquette kann sich nicht getäuscht ha
ben, er kennt Eharles zu genau. Es
ist schade, daß er weiter nichts hat er
fahren können, als daß Charles den
Namen angenommen hat. welchen er.
wie Tu weißt, getrogen hat. ehe er sich
als Franzose naturalisiren ließ. Ader
alz Saint Alban werde ich ihn finden,
eS ist mein Schicksal, ich fühle es, mit
diesem Manne noch einmal zusammen
zutreffen. der mich so grauiam verlassen
hat. Tas ungeheure London erichrcckt
mich, aber ich habe Muth. Tos we
nige Englisch, das ich in früheren,
glücklicheren Tagen gelernt hatte, um
Charles zn gefallen, hat mir wunder
voll geholfen. Bete für mich, theuerste
Schwester! Du bist so glücklich mit Dei
nem guten Alcide, und ich so elend!"
„Sie wünschen vielleicht zu wissen,
wer der hier erwähnte Monsieur Ro
auette ist?" fragte Madame Ferron,
die Thränen zurückdrängend. „Er ist
ein Handelsreisender, der mit unS in
geschäftlichen Beziehungen steht und mit
diesem Ungeheuer, dem Manne meiner
Schwester, wohl bekannt ist."
Monsieur Duvivier suhr sort:
„Der zweite Brief, gleichfalls aus
London, ist vom 19. October datirt.
Er lautet:
„Endlich eine Nachricht, meine
theuerste Marianne. O, ich hatte
Recht, nicht aus Dich und Alcide zu
hören. Du wünschtest, ich solle bei
Euch zu Hause bleiben, und nicht
mehr an ihn denken. Aber, wie konnte
ich das? Wie war mir das möglich?
Ich eine Frau und doch keine Frau!
Er ist und bleibt mein Mann, so
schlecht er auch gegen mich gehandelt
hat. Würdest Du einwilligen, Dich
aus solche Weise für immer von Alcide
zu trennen? Nein, ich kenne Deine
Natur besser. Tu würdest ihn auf der
ganzen Welt suchen. Ich hatte nicht
so weit zu suchen, ich bin selbst noch
nicht mehr, als durch eine Straße von
London gekommen. Wo glaubst Tu,
daß ich seine Adresse fand? Nun. in
einem große», dicken Buch in rothem
Einband» auf dessen Deckel gedruckt
steht: „Adreßbuch von London". Ich
fand seinen Namen mit sehr tvcnig
Mühe. und, theuerste Marianne, ich
bin bis zu seinem HauS gegangen.
Tenke Tir. er hat sein Wort gehalten!
Als er mich verließ, schwur er. er werde
sei» Glück machen und dann mich ab
holen. Ach, er kam nicht zurück, aber
er hat sei» Glück gemacht. Er wohnt
in einem großen Hause, mit. einem
mächtigen Portier an der Thüre, wel
cher zweimal so groß ist, als Alcide.
Ich kann Tir nicht sagen, wie mein
Herz klopfte und zitterte, ich wagte
kaum zu spreche», denn ich erwartete
jeden Augenblick die Stimme Charles'
zu hören und sein Gesicht zu erblicken.
Er ist von London abwesend und bringt
den Herbst in einem Seebadeort, Na
mens Sandbank, zzi, das war Alles,
was ich von dem großen Manne erfah
ren konnte, denn natürlich wollte ich
nicht sagen, wer ich sei, aus Furcht. eS
könne CharlcS mißsallen. Ich brauche
Dir nicht zu sagen, daß ich nach Sand
bank gehe, aber ich sürchte mich ein we
nig vor meinem vornehmen Herrn!
Alles, was ihn umgibt, ist so großar
tig. wie kann ich hoffen, daß er mit mir
armem Wesen zusrieden sein wird?
Ich kenne ihn zu gut, als daß ich ihn
inmitten seiner vornehmen Freunde
überraschen möchte. Deshalb habe ich
für jetzt den Namen unserer lieben,
verstorbenen Mutter angenommen und
werbt mich ihm vorsichtig nahern. Ich
kann noch nicht sagen, wohin Du-Tn
nen nächsten Brief adressiren sollst,
aber, wenn Du schreibst, so schreibe an
Mademoiselle Madeleine Favre. Du
wirst sehr bald von mir weitere Nach
richt erhalten."
Der Brief schloß mit Ausdrücken
schwesterlicher Zärtlichkeit. .
Ungeduldig und mit tiefem Interesse
griff Duvivier zum nächsten und letzten
Brief. Mit gleicher Spannung er
warteten der Baron und Brusel die
Erklärung des Geheimnisses. Der dritte
Brief war von der Villa Rob Roy ge
schrieben und datirte vom 22. Oe
toder.
(Fortsetzung folgt.)
Unter der Ueberschrist:
»Ter Apfel de» Paris" erzählt der
»Bär" folgende kleine Hosgeschichte.
Zu Lebzeiten des seligen KaiierS Wil
helm sand einst eine Theater-Auffüh
rung feiner Urenlel in Gemeinschaft
mit gleichaltrigen Kindern des Hoftrer--
fes statt. Tie Bühne war klein, aber
allerliebst, ein passender Schauplatz für
die Leistungen der reizenden kleinen
Schauspieler-Gesellschaft. Die Herr
schaften. sowie andere Väter und Müt
ter, Onkel, Tanten und Geschwister der
Tarsteller hauen Ursache, Gutes zu er
warten, denn die Mtnialur-Göiiinnen
Juno. BeuuS und Minerva waren von
der Wichiizkelt ihrer Ausgaben ganz
durchdrungen, und der kindliche Paris,
dargestellt von dem Prinzen Eitel-
Frikdrich. zeigte eine so großartige
Ruhe, daß Niemand zweifeln durste, er
sei der rechte „Mann", um mit Würde
der .Schönsten" den Apsel der EriS zu
reichen. Tie Auffuhrung begann und
gespannt lauschten alle Zuhörcr, als
der entscheidende Augenblick herankam,
wo dcr moderne Paris den verhangniß
volicn Apiil der Schönsten überreiche»
follle. Welch ein stürmischer Beisall
ober wurde unserem kleinen, resoluten
Weiberseinde dargebracht, als er nach
einigem Besinnen ohne Rücksicht auf
die Heiligleit der uralten Mythe die
Frucht veripeiste, statt durch Ueberrci
chung derselben an die rosenbetränzte
BcnuS unter den Himmlischen die
nöthige Zwietracht zu säen ! Hätte
im grauen Allerthum dcr schöne Sohn
desPrianiiiS und der Hetuba gehandelt
wie der Hohenzollernsprosse, so wäre
den Göttinnen manches neidische Herz
klopfen, mancher grausame Rachcac»
erspart geblieben!
AuszüglicherVerqleich.
Bezirksamtmann (auf Visitation):
„..Tas ist wahr, liebe Leute, plagen
müßt Ihr Euch schon; aber wir Be
amte habcn'S anch nicht leicht wir
haben Kopfarbeit: die ist noch schwerer
davon versteht Ihr nichts!"
Bauer: „Ja. 's sell lenn' i' scho' auch,
daß dees hart is! D rum schuiiein auch
unsere Ochs n allemal o' Köpf' wenn >'
'hna 'S Joch aufleg'l"
Unerwartete Wendung.
Er (am Bahnhof zu ihr): „Im ver
gangenen Sommer hast Tu fast jede
Woche aus (iarlsdad dringende Briese
um Geld an mich gelichtet; nicht
wahr, liebe Emmy. diesmal wirst Tu
" Sie (cilljallcnd): „Tclegraphi.
Ren!"
Ein» theuere Eigarre»
«Man schreibt aus Bayreuth: Eine,
der beiden Wiener Meistersinger, de»
zur Zeit als Stütze dcS Wagnerthcaterj
hier seines Amtes waltet, wan' rte un
längst von Angermanns Gasthaus für
baß in fein Heim. ES war fast 3 Uh»
Morgens, die Gassen einsam und dun
kel. Da überkam unseren in der stillen
Nacht eiiihcrschreitenden Sanger ein
menschlich Sehnen nach einer Cigarre,
bei dcren Dust und sanftem Glühen er
den langen Heimweg sich abkürzen
wollte. Ein Blick in die sonst wohlge
füllte Cigarrentasche, sie war heute aus
nahmsweise leer. Weit und breit aber
keine Seele, die seinßühren theilenun»
besriedigen tonnte. Mit einem Mal
klärten sich des Sängers Züge. Einig«
Schritte noch und er stand vor der Thür
eines Tabakkrämers, freilich vor emei
verschlossenen Thür.
Die Sehnsucht nach einem süßen
Glimmstengel kennt jedoch keine Hin
dernisse, und so beschloß alsbald der
Künstler, den Hüter der dunklen Pforte,
die zu dem Eigarrenparadiefe führte, zu
wecken. Unglückseliger Weise erfreut«
sich der Pförtner eines allzugefundcn
Schlafes. Wiederholte Schläge an di«
Ladcnthüre vermochten den Krämer so
wenig aus seinen holden Träumen zu
wecken, wie des Sängers freundlich«
Einladung, die er mit seines Basses
Grundgcwalt an den müden Schläfer
richtete. Der Bayreuther unmusikali
sche Sohn wollte nicht erwachen.
„Kommst Du nicht willig, so brauche ich
Gewalt," recitirle jetzt der „Sänger-
Erlkönig" und schoß gerade vor dem
Schlüsselloch des Ladens einen Revol
ver ab. den er stets zu seinem persön
lichen Schutz mit sich trug.
Dieser Weckruf verfehlte nicht sein«
Wirkung, oder richtiger gesagt, er ver
fehlte sie wieder. Denn statt des Bay
reuther Krämers tauchte die Bayreuther
Behörde auf in Gestalt eines uni die
Nachtruhe dcr Stadt stets besorgten
DienerS der öffentlichen Ordnung, den
dcr Schuß aus seiner Morgcnrühe ge
rissen. Die Worte variirend, „Es soll
der König mit dem Sänger gehen",
ging unser ciiatenreicher Sänger zu
nächst in Gesellichast des Polizisten wei
ter. um an zustündiger Stelle zu er
fahren, daß er unter Berücksichtigung
der außerordentlichen MilderungSum
stände, welche sür die Mitglieder des
Bayreuthcr MufentempelS ihre Geltung
haben, für seine nächtliche Ruhestörung
eine Buße von 20 Mark zu erlegen
habe. Der Sänger zahlte auch den
Preis sür die theuerste Eigarre seines
Lebens, die er not» Kons gar nicht ge
raucht hat.
«ine Schönheit aus dem Dim«»
Schmöker.
.Die Jungfrau war von wahrhaft
berückender Schönheit. Sternen gleich
strahlte ihr Augenpaar, überschatte«
von ebenholzschwarzem Rabenhaar.
Ihre Lippen waren wie reife Kirschen
und ihr Köpfchen wiegte sich graziös auj
ihrem schlanken Schwanenhälse".
Ein bekannter soc!ali>
stischer Wanderredner hat die Gewöhn,
heit, in seine Vorträge stets eine An
zahl Citate aus den Reden und Bro-
schüren seiner berühmten Genossen ohne
! Quellenangabe einzustechten. Im vori
gen Sommer kam er in die Schweiz und
hielt auch in St. Gallen einen längeren
! Vortrag. Ein älterer Bürger der Stadt.
welcher ihn bereits wiederbolt reden ge
hört und seinc Eigenthümlichkeit kannte,
nahm, wie wir den „Gl. Nachr."
nehmen, seinen Platz ganz nahe an de«
Kednerbühne ein. Es dauerte nichtz
lange, bis der Redner eins seiner ge-,
liebten Citate von, Stapel ließ. „DaS
ist von Cabet", schaltete der alte Herr,
mit lauter Stimme ein. Dcr Sprecher
stutzte, suhr aber in seiner Rede
.Das ist von Lassalle", erklärte der
Galler, als bald darauf der zweite
fremde Gedanke folgte. Der Redner
biß sich auf die Zähne, setzte aber diq
Rede sort. „DaS ist von
mußte cr bei einem dritten Ausspruch
hören. Jetzt wurde er kreidebleich und
warf dem lästige» Zuhörer wüthende
Blicke zu, spann aber den Faden seiner
Rede sort. „Das ist von Liebknecht",
vernahm bald darauf das Publikum,
Dies war nun dem Redner doch zu viel,
er bückte sich nach dem alten Herrn
hinunter und sagte in heftigem Tone:
„Sie Unverschämter, wenn Sie jetzt das
Maul nicht halten, fo werfe ich Sie aus
dem Saale hinaus!" „Das ist jetzt
von Ihnen", kam darauf ruhig aus
dem Munde des Alten die Erklärung.
Hin au s geg eben. „Mein
Herr, Sie scheinen nicht zu wissen, was
sich gehört! Ich habe zu HauseKniggeS
„Uingang mit Menschen", ich will
Ihnen das Buch aus acht Tage leihen!"
„>i-ehr gütig! Können Sie es denn
so lange entbehren?"
Aus einem Theaterbe
richte. In dem blondgelockten Haar
sah die Kuiisttcrin geradezu Perücken»
aus.
In China lebe» gegen
wärtig 1022 Bürger dcr Ber. Staaten
davon 40V in Shanghai, 186 in
Tsin und 75 in Canion. 3