Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, August 26, 1892, Page 2, Image 2

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    2 Gin Vtttt«l gegen »t« Rcdlau«.
Wenn sich eine ans Wien kommend»,
Nachricht bestätigt, so ist einem schlich
ten Tagelöhner eine Entdeckung ge
glückt. nach der bisher wissenschaftliche
Autoritäten und staatliche Behörden, in
Laboratorien nnd aus internationalen
Kongressen, sich vergeblich abgemüht
haben. Dem Tagelöhner Michael
aus Grinzing ist es. so heißt
es gelungen ein wirksames Mit
tel gcgcn die Reblaus auszusinden.
Eberl arbeitete seit zehn Jahren in den
Weingärten von Grinzing. zulekt in
den Weinbergen des Wagc»fabr:kanten
Schweiger. Als auch dort dic Plstl
loxera verwüstend auftrat, fann der
einfache Arbeiter auf Mittel, diesen
gefährlichsten Feind der Rebe zu ver
nichten.
Er versuchte mehrere Jahre Hindurai
im Geheimen, erprobte dann seine Er
sahrungen im Schweiaer'schen Wein
berg und fand seine Voraussetzungen
bewährt. Ueber dic Herstellung und
Zusammensetzung seines Mittels hat
Eberl strenges Stillschweigen bewahrt;
in seiner engeren Heimath verlachte
man zuerst dcn „Reblausmichel", der
Hein Geld für die Beschaffung von Che
mikalien verthat, aber man mußte bald
anerkennen, daß dic unter seiner Ob
jhut stchcndcn Weingärten phyllorera»
-frei waren.
Der Erfinder machte noch vor Kur
zem einen österreichischen Fachverein
ous die von ihm erzicltcn Resultate aus
merksam, daß man seine Darle
gungen beachtete. Wohl aber hatten
zwei Franzosen bei einem Besuch dcr
Wiener Thcatcr - Ausstellung von dem
erfolgreichen Wirken des „Reblaus
michel" zusällig Kande bekommen. In
Frankreich hat die Regierung einen
Preis von einer Million Franken sür
Auffindung eines Mittels gegen die
Phhlloxera ausgesetzt. Dic beiden
Franzosen, ein Hoteldirector Bodemair
aus EanncS und dessen Schwager
Bengois suchten Eberl in Grinzing auf,
prüften feine Arbeiten nnd seine Er
folge und zeigten sich von beiden sehr
befriedigt. Sic haben auf dcr Stelle
«inen Kaufvertrag mit dem Taglöhuer
abgeschlossen, wonach dieser, falls oaS
Mittel sich bewährt, dreißigtaujend
Gulden erhalten soll. Vorerst ist das
Ehepaar Eberl, dem außerdem einige
hundert Gulden Handgeld eingehän
digt worden sind, auf Kosten des Herrn
Bodemair feit acht Tagen nach Ennnes
übergesiedelt, wo weitere Experimente
stattsiiiden sollen.
Vielleicht wird also der Name Eberl,
als dcr eines Wohlthäters der Mensch
heit. binnen Kurzem berühmt und g»
priesen sein.
Dcr Räuverthurm in Znaim.
Der „Näuberthurm" in Znaim führt«
seinen Namen daher, weil zu Ende de
ivierzehnten Jahrhunderts Burghaupt
mann Hhnck von Kunstadt von der
Znaiiner Burg aus Raubzüge bis weit
hinein nachNicderösterrcich unternahm,
bis endlich König Sigismund und Her
zog Albrecht von Oesterreich 1404 Stadt
und Burg erstürmten und dem Räuber-
Unwesen ein Ende machten. Der
iThurm war ein gewaltiges Bauwerl
und mchr als 30 Meter hoch, galt aber
schon seit langer Zeit als baufällig.
Viele Umstände hatten zu seinem Ver
salle beigetragen. Er war oben offen,
im Innern ganz leer und dcr unter«
Eingang vermauert, weshalb sich im
Innern Schnee und Regen sammelten
und durch die Feuchtigkeit das Funda
ment zerstörten. Vor etwa sünszehn
Jahren war zum Zwecke einer Straßen
regulirung das Terrain ringsum abge
graben und das Fundament bloßgelegl
worden.
Schön vor 23 Jahren hatte der jetzige
ReichsrathS-Abgeordnete Victor Hühner
in seinem Buche über Znaim empfoh
len, das alte Baudenkmal vor dem
völligen Verfalle zu bewahren, und
auch die Bürgerschaft gewünscht, daß
der Thurm erhalten und als AuSsichts
«arte hergestellt werde. Vor drei Jah
ren wurde der Thurm amtlich unter
sucht. Die Jngtnieure erklärten eine
gründliche bauliche Herstellung für
nothwendig. Risse und Sprünge, die
sich in letzter Zeit zeigten, mahnten,
diese Arbeit endlich in Angriff zu neh
men, zumal auch der Brauereihesitzcr
Maural, dessen Gebäude rings um den
Thurm liegen, sein Eigenthum bedroht
stuhlte. Es wurden unlängst Herr
-Ober-Baurath Kaiser aus Wien und
der Architect Herr Professor Prokop aus
Wien berusen, welche die sofortige Pöl»
zung des Thurmes und die Auswechs
lung deSZundaments empfahlen. Dies«
Arbeiten sollten auch in der That in
Angriff genommen werden, der Thurm
kam ihnen aber mit dem Einstürze zuvor.
Der 36 Jahre alte zweite Gährsührer
Johann Weißlirchner schlief die Nacht,
M der der Einsturz erfolgte, in eines
Eckkammer. Wie durch ein Wunder
blieben Fußboden und Plafond in der
Bettbreite stehen, so daß er sich durch
«inen Sprung aus dem Fenster in'S
Treppenhaus flüchten konnte. Als er
mit der inzwischen angetommenenFeuer
wehr den Schutthausen bestieg, hörte er
Hilferufe. Er ging ihnen nach und
rettete den durch Balken eingezwängten
Brauführer Viktor Mell. Die Familie
des Letzteren verreiste glücklicherweise vor
acht Tagen zum Kurgebrauche nach
Karlsbad. Der Maschinist des Brau-
Hauses. Herr Skoda, wurde sammt sei
ner Ehegattin von den herabgestürzten
Balken und Sttinmassen buchstäblich
plattgedrückt. Sie wurden im Schlafe
getödtet. Sein löjährigcr Sohn wurde
ebenfalls bereits todt aufgefunden. Der
zweite, 10 Jahre alte Sohn Skoda's
schlief in der Küche aus der Bank in
einer Nische. Er blieb am Leben nnb
rettete sich dann selbst durch s Fenster.
Benutzte Gelegenheit.
Nun adieu, alter Freund, mich siehst du
nie wieder! Gar nie mehr? Nein,
nie mehr! Ach. Theodor, dann borg«
mir noch 40 Marl!
Di« Spitz«« d«r Primad»««»»
Dic Vorstellung in der Großen Oper
hatte sehr lange gedauert. Es war Mit
ternacht. Fest in ihre Mäntel gehüllt,
um sich vor dem scharfen Winde zu
schützen, eilten die Theaterbesucher nach
Hause. Ter Abend war mehr als an
genehm verbracht worden, ebenso wie
alle die anderen Abende dieser Saison,
an denen der neue Stern der Großcn
Oper, Marion Pelletier, gesungen
hatte. Diese geniale Künstlerin war
wie ein Komet inl Herbste des Jahres
1716 in Paris erschienen. Ihr leben
diges Spiel, ihre dunklen, schönen
Augcn und ihre herrliche Stimme hat
ten bei ihrem ersten Auftreten die Zu
schauer in Entzücken versetzt. Seitdem
war die Begeisterung des Publikums
stetig gewaschen. Für dcn Augenblick
war sie der Liebling der Pariser und
übte eincn gewaltigen Zauber aus auf
Alle, die sie nur einmal gehört hatten.
Ein junger Millionär, de Ehantilly,
vergaß seinen hohen Rang, fragte nichts
nach dem Horn feiner Familie und bo'
ihr Herz und Hand.
Auch an diesem Abend war tS Ma
rion Pelletier, um dic sich alle Gespräche
des nach Hause eilenden Publikums
drehten. Jeder überbot den Andern
in überschwünglichen Lobesworten und
pries die Macht, die Biegsamkeit, dcn
»nbcschreiblichen Wohlklang ihrer
Stimme. Nur ein junger Mann, ei
ner der letzten, welche das Theater ver
ließen. schien den allgemeinen Enthu
siasmus wenig oder gar nicht zu thei
len. Seine Züge waren ernst, die Au
gcn auf den Boden geheftet. Er geHör
le nicht z» dem Theaterpublikum, son
dern war von Amtswegen eine kurze
Zeit in dcr Oper gewesen,
Etienne Ponau, hieß dcr junge Mann,
war Polizeilieutenant und verpflichtet,
am Schlüsse jeder Vorstellung, sür dcn
Fatl eiucs Unglücks, im Theater zu sein.
Nicht die geseierte Sängerin, sondern
ganz andere Dinge beichästigten seinen
Geist. Seit einigen Jahren lieble cr
ein braves Mädchen, und das Ziel aller
seiner Wünsche war. sie zu seiner Frau
zu machen und sich ein glückliches Heim
zu schaffen. Aber Beide hatten kein
Vermögen, und unter den gegebenen
Verhältnissen eins zu erwerben, war
sehr schwierig. Seine Braut Adele
war sehr geschickt in jeder Hausarbeit
und beschäftigte sich damit, Spitzen zu
waschen und auszubessern. Sie hatte
eZ in dieser Kunst zu einer solchen Voll
kommenheit gebracht, daß die vorneh
men Damen ihr ihre kostbarsten Spitzen
anzuvertrauen pflegten. Abcr diese
Thätigteit war nicht sehr einträglich.
Vergebens zerbrachen sich die Liebenden
den Kopf, um Mittel zur Ersülluiig
! ihrer Wünsche zu finden. Endlich be
schloß Adele, mit ihrer Mutter zu einer
Tante, die ein kleines Landgut in der
Nahe von Lyon besaß, zu reisen und
d.n Sommcr dort zuzubringen.
Da Etienne seinen Tagesdienst
nun vollcndct hattc, wollte «r zu ihr
hingehe», um sich mit ihr auszuspre
chen. Er begab sich daher in die Petite
Rue de la Perle, wo Adele ei» kleines
Zimmer im vierten Stock eines unan
sehnlichen Hanfes bewohnte. Sie em
pfing ihn schon im Hausflur, wo sie
feiner gewartet hatte. Das Geflüster
der Liebcndcn erlitt gar bald eine un
liebsame Störung.
Ein Mann trat sehr eilig in den
Haiisflnr.
„Wie, Sie sind cs. Lersoir?" rief
Etienne erstaunt, einen seiner Unter
gebenen erkennend.
„Ach. Herr Lieutenant, Gott sei
Dank, daß ich Sie gesunden habe, ich
komme aus Ihrer Wohnung eilen
Sie in die Rue de la Souffrance. In
dem Hause mit dcn zwci PalkonS
wohnte seit Kurzem eine reiche polnische
Fürstin Namens Musinska. Gleich
nach ihrer Heimkehr aus der Oper ist
sie in ihrem Boudoir erniordet worden
„Entsetzlich!" rief AiM.'.
„Ist sie beraubt worden?" fragte
Etienne.
„Es scheint nicht," antwortete de?
Polizeibeämte.
„Ich lomme gleich!"
Lerfoir entfernte sich. Etienne küßte
Adele noch einmal und eilte ihm noch.
Eine große Volksmenge hatte sich be
reit« vor dein Hause in der Rue de la
Soussrauce versammelt, aber das Haus
selbst war von der Polizei umzwingelt.
Etienne bahnte sich schnell einen Weg
durch das Gedränge und wurde an den
Ort gesiihrt, wo das Verbrechen verübt
worden war.
Die Ermordete, eine stattliche Frau
von etwa süiiszig Jahren. lag ans der
Diele genau in der Lage, in der man
sie gesunden, den Dolch der ihr bis an
desi Griff ins Herz gestoßen worden
war. hatte man herausgezogen und auf
einen Stuhl gelegt. DaS Gesicht der
Ermordeten zeigte keine Spur von
Schmerz: cs war ruhig wie das einer
Schlafenden. Die linke Hand war ge
ballt und lag auf dem Teppich.
Nun entstand die Frage: Wer war
der Mörder?
Ter Diener sagte auZ. die Fürstin
sei in einer Portechaise, der er unmit
telbar gesolgt.nach Hause gebracht wor
den, Beim Ersteigen der Treppe habe
er ihr den Mantel nachgetragen und
leinen Menichen hinter sich bemerkt.
Im Boudoir angelangt, habe er Licht'
angezüitdet und den 'Mantel auf einen
Stuhl gelegt. Die Fürstin habe den
Wunsch ausgesprochen, gleich schlafen
zu gehen, darauf fei er an das andere
Ende de» Korridors gegangen, um die
Kammerfrau zu rufen. ÄIS diese ei
nige Minuten später ins Boudoir ge
treten sei, habe die Fürstin todt auf der
Diele gelegen.
Etienne schüttelte nachdenklich den
Kopf: das Räthsel, welches ihm hier ent
gegentrat, war schwierig zu lösen. Er
nahm den Dolch vom Stuhle und
trachtete ihn aufmerksam. Er war
vollkommen schmucklos, der Griff von
k)oli mit Leder itberzoaen u,»d nicht neu.
Die Waffe schien nicht au» einer fran>
zösischen Werkstatt zu stammen: der
Stempel ans der Schneide war sehr un
deutlich. Wenig befriedigt legte Etien
ne den Dolch aus den Stuhl zurück.
„Wird irgend etwas an Sachen ver
mißt im Zimmer oder an der Person
der Fürstin?" fragte Etienne den Die
ner.
..Ich habe bis jetzt keine Veränderung
bemerkt," antwortete dieser. Auch di«
Brillanten, welche die Fürstin zu dem
Besuch der Oper angelegt, scheinen mir
unberührt. Uebrigens, warten Sie.
ja, das kleine Medaillon, welches die
Fürstin an cincm feinen goldenen Kett
chen am Halse trug, sehe ich nicht. Es
war ihr sehr theuer, weil es das sehr
schön auf Porzellan gemalte Bild ihres
einzigen, längst verstorbenen Sohnes
enthielt. Er war zwölf Jahre alt. als
dieses Portrait von ihm gemacht wur>
de."
„Starb er in diesem Alter?" fragte
Etienne.
„Nein, cr war zwanzig Jahre alt,
als cr starb."
„Vielleicht hatte die Fürstin es heut«
abgenommen?"
„Ich glaube kaum. Vielleicht war
oas feine Kcttchen zerrissen? Heute
Abend, kurz ehe sie zur Oper fuhr, sah
ich das Medaillon an ihrem Halse,
Vielleicht ist das Kettchen im Theater
oder auf der Rückfahrt zerrissen. Abcr
dann halte die Fürstin mir gewiß etwas
darüber gesagt. Sie betrachtete dies
Medaillon als ein Heiligthum, obwohl
sie, wie man sagt, diesen Sohn durch
ihre Schuld verloren hat," endigte dcr
Diener seinen Satz mit gedämpfter
Stimme.
Danach ließ Etienne die Leiche ans
einc Matratze legen, verschloß sorgfäl
tig beide Thüren des Boudoirs, steckte
die Schlüssel in seine Täsche und durch
suchte das Haus vom Keller bis zum
Boden, fand jedoch nirgends eine Spur
von der Gegenwart eines fremden Men
ichen.
Darauf begab er sich in das Haupt
bürcan, um dort einen genauen Be
richt von dem Verbrechen abzugeben.
Schon am frühen Morgen des näch
ste» Tages verfügte cr sich in Beglei
tung eines Untersuchungsrichters, eines
Arztes und zweier Polizeidiener an den
Ort dcS Vcrbrcchcns, um den Fall bei
Tagc genauer zu untersuchen. Man
fand nichl die geringste Spur des Ver
brechers. Ein Protokoll des Thatbe
standes wurde aufgenommen, nnd Alle
wollten eben aufbrechen, als Etiennes
Bück auf die luike Hand dcr Ermorde
ten fiel: sie war geballt.
Plötzlich schoß ihm dcr Gedanke durch
den Kops: „Vielleicht verbirgt diese
Hand ein Indizium." Er öfsneie sie
und sah mit.Erstauncn. daß er sich nicht
getäuscht hatte. Allerdings war das
Gefundene ein sehr uiib.'deuieudcS
Ting. ein Stückchen einer kostbaren
Spitze, aber Etienne meinte doch. cS
könne vielleicht zur Entdeckung des
Mörder? sührcn. Er wickelte es sorg
fältig ein, nähtc es zu Hause aus eine»
Bogen Papier und legte cs zu den Ak
ten,
Wochen vergingen, ohne irgend wel
che Ausklärung des Geheimnisses zu
bringen. Der Mord mochte selbstver
ständlich großes Auffeilen in Paris.
Dcr Regent selbst ließ sich einen gcuauen
Bericht abstatten. In allen Salons
wurde die Sache lebhast besprochen.
Die Verwandten der Ermordeten
versprachen 3000 Rubel für das Auf
finde» des Mörders, wahrend die fran
zösische Regierung einen Preis von
1000 Livres zu demselben Zwecke aus
setzte.
Eines Abends saß Etienne neben sei
ner Braut, wahrend diese eine sehr sei
ne Brabanter Spitze ausbesserte. Sie
hatte das schon bei mehreren Rissen sehr
geschickt ausgeführt, als sie plötzlich
ausrief:
„Du meine Güte, wie kann man mit
so kostbaren Dingen so nachlässig um
riehen! Sich nur, was das für ein Loch
N'"
Hierbei zeigt« sie ihm eine Spitze,
aus der ein zollgroßes Stück anSgeris
fen war.
Etienne warf einen Bück auf die
Spitzen und fuhr, wie vom Blitze ge
troffen zusammen.
„Woher hast Du diese Spitze? Wem
gehört sie? Ries e» aus.
„Das kann ich Dir gern sagen, wenn
Du es willst. Sie ist von der berühm
ten Marion Pelletier, der Primadonna
der Großen Oper."
Etienne blickte Adele voll Erstaunen
an. In welcher Beziehung konnte die
Sängerin zu der polnischen Fürstin ste
hen?
„Diese Spitze muß ich auf eine Weile
mit Beschlag belegen. Das zu den Ak
ten gelegte Svitzcnstückchcn habe ich we
nigstens zehnmahl untersucht, und ich
könnte einen Eid daraus leisten, daß
cs aus dieser Spitze gerissen worden
ist."
Am nächsten Morgen stand der Poli
zeilieutenant srüh auf und ließ sich das
Aktenbiindel bringen. Zitternd vor
Aufregung nahm er es entgegen, aber
diese Stimmung wurde noch sehr ver
mehrt, als er sich davon überzeugt
hatte, daß das ausgerissene Spitzen
stückchcn Faden für Faden in das Loch
paßte.
Man konnte nicht mehr daran zwei
feln, daß das in der linken Hand der
Ermordeten gefundene Spitzenstückchen
aus dem Kleiderbesatzl der Sängerin
gerissen worden sei.
EticnNe theille sofort seine Entdek
kung gehörigen OrlcS mit und begab
sich dann, von zwei Polizeibcamten be
gleitet in die Wohnung der Sängerin,
um nach weiterem Veweismalcrial zu
suchcn: er hoffte vielleicht das Fuiteral
des Dolches oder das nach der Aussage
des DiencrS vermißte Medaillon zu s,n
den.
MarionPelletier trank.in einem höchst
eleganten Morgenanzuge, eben Ehoco
lade in ihrem Boudoir. Sie war au
genscheinlich erstaunt, als ihr Etienne
tagte, er sei einer sehr wichtigen Unter-
suchung wegen gezwungen, ihre Woh>
nung zu durchsuchen.
Er begann die Haussuchung im Bou
doir. Aber trotz der sorgfältigsten Prü
fung aller Kästchen, Schiebladen und
Schränkchen fand sich nichts Verdächti
ges. Darauf begab er sich in das
Schlafzimmer der Sängerin, nachdem
er sie aufgefordert hatte, ihr Boudoir
nicht zu verlassen.
Einer dcr Polizeibeamlen blieb zu
ihrer Bewachung zurück.
Im Schlafzimmer siel ein Blick so
gleich auf eine Ebenholz - Schatulle,
welche aus einem hübschen Tische neben
dem Toilettespiegel stand. Als er sie
öffnete, blitzte ihm eine Fülle prachtvol
ler Armbänder, Broschen und Diademe
entgegen, aber das gesuchte Medaillon
war nicht darunter. Da dergleichen
Schatullen gewöhnlich gchcime Schieb
ladcn und doppelte Böden haben, drückte
er hier und da, und plötzlich klirrte
eine Feder, der Boden sprang auf, nnd
vor ihm lag neben cincm kleinen golde
nen Kreuze und einigen verwelkten
Blumen ein kleines Medaillon mit ei
ner zerrissenen goldenen Kette. Als cr
es öffnete, erblickte er das sehr schön
auf Porzellan gemalte Bild eines hüb
schen Knaben. Er steckte das Medaillon
zu sich, sorderte feinen Begleiter aus
die Haussuchung allein fortzusetzen,
und eilte in die Rue de la Soufrance,
um das Medaillon dem Diener der
Verstorbenen zu zeigen. Dieser er
klärte, cr könne eincn Eid daraus lei
sten, daß cs dasselbe sei, welches die
Fürstin stets getragen. Nun kehrte
Etienne nach einer kurzen Berathung
mit dem Richter in die Wohnung der
Marion Pelletier zurück nnd verhaftete
sie mit aller möglichen Rücksicht.
Ganz Paris gerieth über diese» Vor
fall in Aufregung: man war entrüstet.
Man hielt cs sür unmöglich, daß die
gcfciertc Sängerin in irgend welcher
Beziehung zu dem Verbrechen stehe.
Hatte sie doch an dem Abciidc, als cS
verübt worden, i» der Oper gcsnngcn.
Ucber die Persönlichkeit dcr Marion
Pcllcticr konnte man nur wcnig heraus
finden, denn die Verwandten der Für
stin antworteten auf eine briefliche An
frage, daß sie ihnen völlig unbekannt
sei. Die Kammerfrau dcr Ermordeten
konnte auch nichts aussagen, da sie
erst kürzlich in den Dienst ihrer Herrin
getreten war. Die Fürstin hatte ihre
Bedienung überhaupt häusig gewechselt.
Ueber den Geburtsort und den Eltern
der Angeklagten wußte man nichts.
Sie hatte anfangs in den kleinen Städ
ten des südlichen Frankreichs gesungen,
als 'Mitglied einer umherziehenden
Schauspielergesellschast. bald die Gunst
dks Publikums erworben, ihrßuf hatte
sich mehr und mehr ausgebreitet, und
zuletzt war sie einer Aufforderung an
die Große Oper in Paris gefolgt. Ihre
Kammcrjnngicr sagte aus, daß ihre
Herrin an dem verhängnißvollcn Aben
de, nach Beendigung ihrer Rolle in dcr
Mitte des lcxten Aktes, sich nicht wie
gewöhnlich in der Portechaise nach
Hause begeben, sondern gesagt babe,
sie wolle sich durch einen kleinen Gang
i» der kühlen Nachllusl crfrischcn, und
sie habe ihr beschien, sie in der Gar
derodt zu trwarten. Nach einiger Zeit
sei die Künstlerin, scheinbar beruhigt,
zurückgekommen, und sie seien vcidc,
ohne ein Wort zu sprechen, nach Hause
gegangen. ,
So stand die Sache, als plötzüch'ein
ganz unerwartetes Ereigniß die Lage
der Tinge völlig veränderte.
Graf Pusotzki, ein Bruder der Für
stin, kam nach Paris, theils um Über
den Nachlaß seiner Schwester, im Ein
vernehmen mit den übrigen Verwand
ten. zu verfügen, theils um bei den
Nachforschungen nach dem Mörder mit
zuwirken und dem Gericht die in Polen
eingesammelten Nachrichten mitzuthei
len. Er war auf dem Gute seiner
Schwester ein häufiger Gast gewesen,
hatte dort monatelang gewohnt und
kannte daher alle Personen, mit denen
sie im Verkehr stand. Sollte demnach
Marion Pelletier in Polen zu der Für
stin in irgend wclchcn Beziehnngen ge
standen haben, so mußte er sie kennen.
Am Tage nach seiner Ankunft begab er
sich in Begleitung des Untersuchungs
richters und des Etienne Ponau in daS
Zimmer der Angeklagten. Sein Ver
dacht erwicS sich als richtig.
„Liutka Santoka!" rief er erstaun»
beim Anblick der blassen Sängerin.
Marion Pcllcticr stieß einen lauten
Schrei aus und verlor das Bewußt
sein.
Sie wäre aus den kalten steinernen
Fußboden gestürzt, wenn Etienne sie
nicht ausgesaugt» hattk. Er besprengte
ihr das Geficht mit Wasser. Allmäh
lich kam sie zu sich. Als sie die Augen
öffnete, fiel sie bei dem Anblick des
Grasen beinahe wieder in Ohnmacht.
Durch eine gewaltige Anstrengung
überwand sie indeß ihre Schwäche, rich
tete sich aus und sagte mit matter,
tonloser Stimme:
„Ich bim verloren, hören Sie daher
mein Gcstandniß. Wcnn man nichts
mchr zu hoffen hat. bleibt einem nichts
übrig als die Wahrheit. Danach mag
Gott mich richten!" .
Sie saltete die Hände.
.Ja, cs ist wahr, ich heiße nicht Ma>
rion Pelletier, sondern Liutka San
tola" dieie Worte schrie sie mchr, als
daß sie sprach —. „und ich war,
als ich diesen Namen trug, bald das
elendeste, bald das glücklichste Geschöpf
auf Gottes Erdboden. Ich bin die
Tochter des Försters der Fürstin Mu
sinSka und lebte bis zu meinem ftlnften
Jahre froh und forgenloS wie ein Vo
gel im Walde, im Hause niemcS Vaters.
Ach. hätte man mich in meiner Wald
ein'amteit gelassen.
Eines Tages kamen zu meinem Va
ter der Hofmeister und die französische
Bonnc dcK Fürsten Johann, det einzi
gen Sohn der Fürstin Musinska. und
sagten ihm, daS Kind brauche eine
Gespielin seines Alters. Man führte
mich zu ihnen, sie beobachteten mich und
erklärten, ich sei zu einer solchen geeig
net. Ich war lustig, aber nicht wilo
wie ein Knabe, und dabei vorsichtig
und rücksichtsvoll. Eigenschaften, die
sür eine Gespielin des kränklichen,
schwachen kleinen Fürsten wichtig und
nothwendig wärcn. Sie sagten mei
nem Vater, ich werde es im Schlosse
sehr gut haben und deshalb willigt»
cr ein, mich ihnen mitzugeben."
Sie holte tief Athem und schwieg
eine Weile, dann fuhr sie fort:
„Fürst Johann war ein herrlicher,
gutmüthiger Knabe. Er war sehr glück
lich. eine Gespielin gefunden zu haben,
und ich gewöhnte mich rasch an meine
neue Umgebung. Bald hatten wir uns
sehr lieb gewonnen und waren ein Herz
und cinc Seele. Er konnte garnicht
mehr ohne mich auskommen. Ich
nahm Theil an allen seinen Spazier
gängen mit seinem Hosmeister nnd
mußte zuletzt auch bei seinen Stunden
neben ihm sißen. Auf diese Weise
lernte ich bald Französisch sprechen, wo
rauf in der Erziehung Johanns die
größte Aufmerksamkeit verwendet
wurde. Später erweiterte sich mein
Gesichtskreis durch verschiedene Aus
fahrten mit ihm. besonders durch die
»ach Warschau, wo ich zum ersten Mal
Theatervorstellungen sah, die mich be
geisterten und entzückten. Dic Jahre
vergingen. Wir wuchsen heran, zu
gleich mit uns wuchs auch unsere
Freundschaft. Ta Johann kränklich
war und oft der Pflege und Hilse be
durfte, ich aber gelernt hatte, ihm alle
scinc Wünsche an den Augen abzulesen,
ist es begreiflich, daß er so zufriedcn
war. als wenn ich mit ihm plandcrtc
und scherzte. Ich lebte nur sür ihn;
ich war glücklich, wenn er sich woh'
fühlte.
Tics konnte der kalthenigcn Fürstin,
dic in Allem da? gerade Gegentheil ih
res Sohnes war, nicht verborgen blei
ben. und als Johann dreizehn Jahre
alt gewordm war schickte man mich
in nieinen Wald zurück.
Mein Schmerz war tief und groß.
Tie Trennung von Johann war mir
unerträglich. Ich konnte dcn Gedan
ken. aiif immer von ihm getrennt zu
sei», nicht ertragen. Ich schlich in den
Park, wo mir jeder Fußpfad bekannt
war. uud wartete geduldig, bis der
chkinalige Gefährte meiner Spiele kam.
Welches fclige Wiedersehen! Wir
entwarfen einen Plan, wie wir uns oft
sehen und miteinander plaudern könn
ten. Er gab mir den Schlüssel einer
kleinen Thür, durch welche ich in einen
allen unbewohnten Schloßflügel und
von dort in die feilen besuchte Biblio
thek gelangen konnte. Auf diese Weise
sahen wir unS lange Zeit täglich.
Aber eines Tage- wnrden wir auch
dieser Freude beraubt. Jemand ans
der Dienerschaft hatte bemerkt, daß ich
oft in den Flügel ging; man hatte eS
der Fürstin hinterbracht. Eines Nach
mittags, als wir, keinen Verrath ah
nend, glücklich plaudernd in einer Ecke
dcr Bibliothek saßen, trat d!c erzürnte
Fürstin ins Himmer. Ich sprang auf
und wollte weglaufen, abcr sie vertrat
mir dcn 'Weg und versetzte mir mit ei-
Reitgerte einen so scharfen Hieb
übers Gesicht,daß ich mit cincm Schmer
zensschrci hinstürzte und die Besinnung
verlor. Tann befahl sie zwei D'.cncrii
mich in den Hof zu tragen und mich a?
den Schandpfähl zu binden.
Hier stand ich vier Stunden und
mußle die groben Witze und den Holin
des männlichen und weiblichen Hofge
sindes anhören, so daß ich vor Wütd
und Scham beinahe umlain.
Als man mich endlich losband,
konnte ich an nichts denken als an
schleimige Flucht. Bettelnd lief ich im
mer weiler: die Nächte verbrachte ich oft
unter einer Brücke oder in einem Dik
ticht.
Endlich gelangte ich nach Krakau
und verdingle mich als Dienstmagd.
Meine leidcnschastliche Aufregung hatte
sich allmälig in stille Schwermuth ver
wandelt: ich arbeitete eifrig, und meine
Herrin behandelte mich sreuudlich. So
verlebte ich mehr als ein Jahr, da hörte
ich eines Tage» aus dem Markt den
Namen MusinZka und erschrak derma
ßen, daß ich fast den Korb, in den ich
meine Einkäufe gethan, aus den Hän
den fallen ließ. Ich warf eincn Blick
nach der Richtung, von wo ich den Na
men gehört hatte, und sah eine alte,
mir völlig unbekannte Bäuerin, die ei
ncr anderen Frau ctwus erzählte. Ich
näherte mich ihr und fragte sie. was sie
von der Musinskischcn Familie wisse.
„Kennst Du sie auch?" fragte sie.
„Das sind polnische Magnaten, abcr
Gott schickt eine Heimsuchung »ach der
andern über sie. Der Fürst selbst ist
gestorben, und jetzt hat man den Sohn
auch begraben."
Ich hatte nun geniiggehört. Ich wußte,
wußte ganz sicher, dander zarte, warm
herzige Knabe vor Schmerz gestorben
war, und das Weh in meinem Herzen
erwachte mit erneuter Gewalt.
In der Stadt wollte ich nicht mehr
bleiben, in Polen auch nicht so ging
ich nach Wien. Hier erhielt ich. dank
meine» Kenntnissen im Französischen,
eine Anstellung b.i Monsieur Fabre,
dem Direllor des französischen Thea
ters. Mein Enthusiasmus für die
Buhne lebte wieder auf. Fabre glaubte
in mir viel dramatisches Talent zu ent
decken und ließ mich als Marion Pelle
tier austretc».
Später, als man entdeckte, daß ich
eine ichonc Stimme hatte, trat ich als
Sängerin aus und wurde bald be
rühmt. Mein Ehrgeiz erwachte. Ich
wollte »och mehr Ruhm crwcrbe». Ich
ging »ach Mailand, dann ins südliche
Frantreicki. zulepl nach Paris.
Hch hatte glücklich sein können, wen»
ich die Erinnerung an Johann und
-ine gewisse Furcht aus imin«m Herze«
halte bannen können. Der Gcdanle
verfolgte mich, daß man mich vielleichl
einmal plötzlich von dieser glänzenden
Hohe binunterstoßen werde, daß ma,i
zu mir lagen werde: „Was willst Du
hier? Du bist Liulka. das entehrte
Möschen, da« in Pslcn am Schand
pfah! gestanden hat!"
Ter verbänanißvolle Abend de? Mo-
natS März kam heran. Ruhig begann
ich meine erste große Arie, bei der ich
dicht vor den Lampen stehen mußte;
ohne etwas böses zu ahnen, blickte ich
auf die mich bewundernde und vereh
rende Menge der Zuschauer. Plötzlich
fuhr ich zusammen. Da war das Ge
ficht, an dein ich jede Runzel kannte; da
saß die Fürstin, und ihre Augen be
trachteten mich mit erstaunen.
Tödtlichc Angst überkam mich vor dic
fen durchbohrenden Blicken. Da saß
sie, die mein Glück zerstört hatte! Mit
der größten Anstrengung aller meiner
Kräste beendigte ich meine Arie, spielte
mcinc Rolle bis zum Schluß. Wilde
Gedanken jagten sich dabei in meinem
Kopfe, nnd dcr Entschluß wurde im
mer fester: „Du mußt dich von ihr be»
freien. Du mußt sie vernichten, sonst
bist du verloren!"
In der Mitte des letzten Aktes en
digle meine Rolle. Ich eilte in dit
Garderobe., steckte einen Tolch zu mir,
hüllte mich in meinen Pelz und sagte
meiner Jung'er, ich wollte mich durch
einen kleinen Gang in der Abendlust
erfrischen. Am Hause der Fürstin an
gelangt, verbarg ich mich hinter einer
Säule und ließ ihr Zeit, die Treppe
zu ersteigen. Nun schlich ich ihr nach,
gelangte an das Boudoir, und als der
Diener sich entfernte, um einen Auf
trag auszuführen, stürzte'ich auf sie zu
und bohrte ihr meinen Dolch ins Herz.
Entsetzt wandte sie sich zu mir um,
schrie mit heiscrer Stimme: „Sei ver
fluchn". ergriff mein Kleid, wobei sie
ein Stück aus dessen Spitzenbesatz ab
riß. und stürzte todt zu Boden.
Mein Auge ficl auf das mir so
wohlbekannte Medaillon. Meine Liebe
zu Johann flammte auf mit neuer
Kraft: das unüberwindliche Verlangen,
diesen Schatz zu besitzen, übcrwälligte
mich. Ich riß cs vom Halsc dcr Für
stin und vcrsteckte mich in dem an das
Bondoir stoßenden dnnklcn Zimmcr.
Ich hatte mich an meiner Todfeindin
gerächt! Ich mnßte eS thun, wenn ich
nicht wollte, daß dieses schreckliche Weib
zum zweiten Male mein Lebcnsglück
vernichten- sollte. Mögen meine irdi
schen Richter mich nach dem Buchstaben
de- Gesetzes richten. Der himmlische
Richter wird mir berzeihcn."
Erschöpft sank sie nach diesen Worten
in die Kissen zurück. Graf Pusotzki
und Etienne waren beide tief ergriffen
von ihrer Erzählung.
Bald darauf wurde sie zum Tode
verurlheilt. In dcr Nacht vor ihrem
Tode hatte sie zum letzten Mal ihre
Lieblingsarien gesungen.
Die Preise, welche Eticnne durch die
Enldecknng dcr Mörderin erworben,
machten es ihm und Adele möglich,
ihre langgehegten Wünsche au-zufüh
ren.
Sin unbeständiger Ziiebyaber.
Vor dem Petersburger Gericht stan.
dieser Tage der Kleinbürger Petrow.
ein unbeständiger Liebhaber, dem seine
verlassene Braut einen Zivilprozeß an
gehängt hatte, um aus dem Zusammen
bruch ihres Glückes wenigstens etwas zu
retlcn. „Stets bin ich ihm als gute
Braut entgegengekommen, habe ihn,
wcnn er mich besuchte, nach Möglichkeit
bewirthet, ihm seine Lieblingsspeiscn
vorgesetzt: ein rothes Hemd und ein
Paar hohe Stiefel mit schön gelausten
Schäften habe ich ihm auch geschenkt
und ihm sogar sieben Rubel baares
Geld geliehen. Aber jetzt verlange ich,
weil ich ihm fremd geworden bin. und
er mich verlassen hat, daß er mir die
Sachen und das Geld zurückgiebt", so
erklärte die junge Braut, ein junges
anmuthiges Mädchen, dabei den Aus
reißer sehnsuchtsvoll und betrübt be
trachtend. „Geschenkt ist geschenkt
und das Geschenkte wird nicht wieder
zurückgegeben! Tie sieben Rubel bin ich
bereil, ihr zu bezahlen, augenblicklich
bin ich dazu außer Stande", entgegnete
der Ungetreue. „Einigen Sie sich
in Güte, Sie haben ihn doch ge
liebt, lieben ihn wohl noch jetzt,
wozu also der Hader! wandle
der Richler sich väterlich an das
junge Mädchen. „Gut, Herr
Richter, e. soll mich aber heirathen, es
hier vor Ihnen feierlich versprechen,
Sie schreiben e- nieder, er unterschreibt
und ich ziehe dann meine.Klage zurück!"
stimmte die verlassene Braut thränen
den Blickes dem Versohnungsvorfchlage
des Richters zu. „Sie hören es,"
wandte der Friedensrichter sich an den
jungen Burschen, „also wählen Sie.
Entweder Sie nehmen die Braut oder
bezahlen sofort die sieben Rubel. Wo
zu entschließen Sie sich?" „Lieber
nehm' ich schon die Braut," entgegnete
entschlossen der Angeklagte. Hand in
Hand verließ das Brautpaar, das sich
so wieder gesunden Halle, die Gcrichls
kaminer, sie strahlend vor Glückselig
keit.
Ein zielloses Genie.
Früher, ja früher, da konnle man
sich leicht ein Monument verdienen.
Pulver, Eisenbahnen. Electrieilät alle?
noch unersunden. Da tonnte ein Ge
nie noch ordentlich wühlen und wählen
unter den Nichterfundenen. Heutzu
tage aber bleibt Unscreinem beim besten
Willen Nichts übrig!
Schlau. Student: Mit dem
Anzug bin ich zufrieden. Wie theuer
ist er? Schneider: <i4 Mark. Student'
Können Sie mir aus einen Hundert
morlschcin hcrauSgebcn? Schncidcr,
Mit Vergnügen. Student: Nun. da
lassen Sie nur ruhig Ihren Beulcl
stecken. Dann haben Sie viel mehr
Geld als ich!
Ungerechtfertigt. Denken
Sie nur. der Neumann hat mich einen
alten Schafskopf genannt! Dieser
Narr! Sie sind ja noch in den beste,'
Jahren!
Gedankensplitter. Vor
oer Hochzeit und nach der Scheidung
sieht ein Mann mehr Tugenden an sei
ner Frau, als während der ganzen
Tauer seiner Ehe:
Di«
.Sage mal, Karline, i-Z es denn
wahr, daß Du Dich eincn Schatz von
die Musite angeschafft hast?" fragte
Jette eines Tages beim Wasserholen.
„Na ob." meint Karline stolz, „die
große Pauke noch dazu!" „I. wa-Z
Dn sagst. Karline, willst Du ihn denn
auch hciralhcn?" „Ich möcht' schon.
Jcttc, abcr wccßte, ick hab' mich vorge
nommen zu warten, bis mal erst wieder
'nen Krieg g weseii ist!" „Na warum
denn? Da kann Dich ja Deine Pauke
lodtgeschossen werden, dcnn was die
Musite ist. die muß immer vorneweg."
„Ja sichste, Jcttc, darauf muß ickt nu
anlommcn lasscn. Ick hab' mich im
mcr vorgenommen, wcnn ick Einen
von's Militär nehme, dann muß cr
auch nc wirtlichc und wahrhaftige Hel
denthat bejangen haben und wo soll cr
die machen, wenn nich in'n Krieg?
Nachdenklich schwieg Jette. „I wat,
ick würde ihn auch ohne Heldenthat
nehmen!" „Na. ick nich!" meinte Kar
line und schwenkte ihren Eimer.
Einige Tage darauf kam in die Gar
nison ein sürstlicher Herr zum Besuche
des Gouverneurs, der selbst von hohem
Range war. Zu Ehren des Gastes
wurde eine große Parade auf dem
Marktplatze angesetzt. Bisher war es
üblich gewcscn, daß dcr Gouvcrneur
mit seiner Suite bei allen Paraden an
der rechten Seite der vorbcimarschircn
den Truppen gehallen hatte, so daß
diese mit „Augen rechts" dcsilirten,
währcnd dic Musik links abschwenkte.
Auch diesmal sollte es so sein, aber
es war ein sehr heißer Tag und die
rechte Seite des Marktplatzes der Sonne
ausgesetzt. Dcr fürstliche Herr, dcr
mit dcr ganzen Suite zu Pferde war,
schwenkte deshalb noch im letzlen Mo
ment ans die linke Seite in den Schat
ten und stellte sich dort in dcr Nähe
eines BcuiincnS anf. Alsbald crtönt
das Eonimando die Reihe» dcr abmar
schircnden Regimenter entlang: „Augcn
links, Musik rechts abschwenken!"
DaS erste Regiment macht seine
Sache tadellos: dann kommt die Musik
des zweiten, die auch richtig nach rechts
abschwenkt, um sich dem hohen Gaste
gegenüber aufzustellen. Abcr, o Schau
der, der Träger dcr großcn Pnnke hat
in eifrigster Ausführung seiner geräusch
vollen Thätigkeit das Eonimando nicht
vcrnommen und schwenkt ganz allein
aus altcr Gcwohnhcit. dic Augen fest
auf feine ausübende Kunst gerichtet,
links ab gerade mitten hinein in die
Snile! Entsetzt bäumen sich sämmt
liche Pferde sie sind nicht zu halten
und hurrah! rasen sie die Straße
hinab, bis cs allmählich ihrcn Rcitcrn
gelingt, sie wieder zur Vernunft zu
bringen. Dic ganze Parade war ge
stört und ein Hagcl von Vorwürfen er
goß sich über den unglückliche» Pauken
träger, für den dcr Hohe Herr schließlich
noch ein gutes Wort einlegen mußte.
Bald daraus treffen sich Karline nnd
Jette wieder. „Jetzt Heirathe ick ihn,"
sagte erstere stolz. ..Denk Dich, Jette,
bei die Parade hat cr die janzcn seinen
Off ncrS iniifanimt ihrer Janle in die
Flucht geschlagen; ick hab' et selbst jese
hen: ick stand dicht an dem Brunnen
und wäre beinah Übcrritte» worden.
Letztcn Soniilag hab' ick ihm dcnn zur
Belohnung zwei große Butlerbrpde und
auch vaS Jaworl jcgeben!" „Na so
wal," meinle Jelle, „abcr der Oberschl
Hai ihn gescholten!" „Dat verstehst«
nich, Jette, der Oberst war ärgerlich,
dat cr selber dat nich gethan hat; da»
war also blos Neid."
Wallenstein konnte den
Hahn nichl krähen hören, dcr Obcrbe
fehlShaber der indischen Armce, Lord
Frederick Roberts, dcr unerschütterliche
General, der in der heftigsten Feld
schlacht auch nicht mit einem Nerv
zucken win de, wird bleich und aufgeregt
und leidet sichtlich wcnn cinc Haus
katze sich in seiner Nähe befindet. In
ganz Indien ijt diese Thatsache bekannt
und alle Freunde des Generals nehmen
zarte Rücksicht aus diese seine Eigen
thümlichkeit. Dennoch spielt „Pussy"
auch der größten Vorsicht gegcnübcr
manchmal «iiicn Posscn. So war cS,
als Gencral Roberts einst bei einem
DivisionScommandeur auf einer Jn
speclionSieilc zu Gaste war. Tiefer
wurde darauf aufmerksam gemacht, daß
cr feinen Kater wahrend der Anivcscn
hcit des Oberbefehlshabers ans alle
Fälle entfernen müßte. Um ganz
sicher zu gehen wurde der Kaier ange
bunden. Tie Officiere saßen am Abend
bei der Tafel, als plötzlich der Adju
tant Gencral Wolseleys dem Dlvisionär
ins Ohr flusttrle, der Kater müsse sich
losgemacht haben. „Ich habe das im
Augenblick ihm am Gesicht angesehen.
Er sieht schon ganz bleich ans, es muß
eine Katze im Ziniiner sein." Und so
war es auch. Ganz gemüthlich hatte
sich das Thier unter seinen Stuhl hin
gelegt. Es wurde natürlich sofort ohne
viel Aufsehen aus dem Zimmer ent
sernt und dann dauerte es auch nicht
lange, bis Gencral Roberts seine Hei
terkeit wieder erlangt Halle und dcn
Mahlzeiten wieder zusprach.
Furchtbare Drohung.
Meister Sperling kommt start benebelt
nach Hauik. Seine Ehehatsle macht
ihm darüber Vorwürfe und brummt
sortmahccnd. Dem Mtister reißt end
lich die Geduld. „Alte!" talll cr,
..wenn Du jetzt noch ein Wort sagst, s>r
laß ich Dich pholographiren!"
Der zerstrtutt Haus
arzt. „Was meinst Du. Mannchen,
wollen wir Dr. Müller aucheinladen?"
„Rein, Kind, das wollen wir doch
lieber lassen! Der ist bei seiner Zer
strculheil im Stande, nns den Besuch
aus die Rechnung zu seyen."
Ein sache Aushilfe. „Ge
slatlcii Sie, meiii Fräulein, daß ich
Ihnen meinen Freund vorstelle!"
„Aber, mein Herr, ich kenne Sie ja gar
nichl!" „Das macht nichts mein
Freund wird mich sogleich vorstellen!"