Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 22, 1892, Page 2, Image 2

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    2 e»r«Hred«u.
RnS längst vergangenen Tagen her
» abreichend, hatte sast bis zur sranzösi
fchcn Revolution im Breisgau sich cin
Brauch erhalten, dcr jetzt sogar den
„üllestcn Lcntcn" unbekannt ist, der
jenige der „Strohrcde" bei Hochz.'its
festen. Um dcr Hochfluth dcr Tisch
rede», die heule ungehindert über die
Gäste sich ergießt, einen starten Damm
entgegenzusetzen, war in Freiburg be
stimmt, daß sosort nach der kirchlichen
Einsegnung dcs Brautpaares der.Hoch
«citSzug sich in einen hierzu bestimmten
Saal begab, um die „Strohrede" an
zuhören. Dem Zuge schritt derjenige
Freund voraus, welcher zum Ehrenamt
des Slrohredners auserseheu war. mit
einem strohuiuflochtenen, wachsumgosse
ne» Spa» in der Rechten: dann kamen
zwei zu zwei die sechs nächste» männ
lichzn Bcrivandtcn dcr Braut mit bren
nenden und mit Blume» belräiiztc»
Fackeln, sodcmn die Braut mit dcr
Brautmutter und der „Ehreuwäch
terin", endlich dcr Bräutigam allciu,
mit dem grüncn Jnnggescllcntraiiz in
der Hand, nnd dir übrigen Gäste.
Auf ein gegebenes Zeichen wnrde im
Festsaale dcr Spar, des Slrohrcdncis
entzündet. Seine Ansprache durste
nur so lauge dancrn, als dcr Span
brannte. Tic längste Frist betrug eine
Viertelstunde, da die Flamme an dem
leichten Wachsüberzug nicht länger zu
zehren hatte. War die Strohrcde been
det. dann trat der Redncr anf die
Braut zu, umarmte sie uud legte als
Erster seine HochzeitSgabc anf den lan
gen Tisch. Diese und andere heute
vergessene Einzelheiten so schreibt
Pros. Sarrazin in der „Franks. Ztg."
verdanken wir den Aufzcichiiungcn
des Grase» Frank v. Enzcnbcrg aus
Bötzen, der als junger Edelmann im
Jahre 1769 die „allcrlctzlc Strohredc"
hicll. Es war bei der Vermählung
des Fräuleins Ernestine Rott zu Ga
burg-Lohnheiin mit dem kurpsälzischcn
Obersten Wolsgang Traugott Frciherrn
von Müuzcr.
Für die nähere Kenntniß dcr hoben
Gesellschaft vor hundcrt Jahrcn abcr
ist die Auszählung der dargebrachten
Geschenke, wclchc der Slrohredner nic
dergeschricbcn hat, von Bedeutung.
Die Reihe dcr prattischcn Gcschcnkc er
öffnete Gras von Enzcnbcrg mit sechs
Dutzend Paar Tiroler Handschuhen
und einem riescngroßcn Schornstein
feger, der aus Byzeucr Dinrobst zu
sammengefügt war. also Gaben aus
seiner Heimath. Etwas moderner neh
men sich in unseren Augen die
Spenden cinzelncr „Fackelträger" aus:
ein englisches Punschservicei ein Siran»
Bcnci aus vcrgoldctem Silber mit
Email, alSßouillontasje zu gebrauchen;
eine vollständige Damentoilette. Scherz-
Hast war die Spende des Frciburgcr
DcutschordenS-KomthurS, Freiherr v.
Rottberg.
Er legte lächelnden Antlitzes in einer
alten, zerknüllten Pappschachtel ganz
gewöhnliche Nüsse auf den Tisch; oben
darauf thronte cin Nußknacker plumpster
Art. der das Maul weit aussperrte.
„Alles brach in Gelächter aus," erzählt
Graf Enzcnbcrg, „über diese Bettel
gabe. Doch ahnte man, daß es damit
nicht zu Ende sei. Freiherr von Rott
berg bat die staunende Braut, nach Ge
fallen einige Nüsse aufzuknacken. Sie
weigerte «s aber, einen dcr gewöhnlichen
Streiche fürchtend. Als jedoch der
Komthur öffentlich bei seiner Kavaliers
parole versichert hatte, daß nichts zu be
sorge» sei. und aus diese Bcrsicherung
hi» Brautmutter und Ehrenwächterin
ihre Erlaubniß gegeben hatten, össncte
die Braut eine Nuß. Und sichc da, cS
fiel ein blanker, nagelneuer Dukaten
heraus, nnd so aus den übrigen 49
Nüssen. In der 51. Nuß, dcr größten,
fand sich ein seincs Seidenbciitelchen,
gerade groß genug, um die 50 Gold
stücke zu fassen."
Unter lautem Beifall der HochzcitS
gäste wurden die leeren Nußfchaalen
sammt der Pappschachtel zum Fenster
hinausgeworfen, alsdann auf des
Komthurs Vorschlug der eßbare Tiroler
Schoriistcinfcger als Ricse und der
Frciburgcr Nußknacker als Zwerg zu
Wächtcrn dcr immcr mehr anwachsen
den Schätze ernannt.
Auch abgewiesene Anbeter der Braut
waren anwesend und scherzten fröhlich
mit. Von ihnen schenkte Rittmeister
v. Riedl« einen großen Korb und darin
ein Paar niedliche, goldgestickte Pan
töffelchcn, die s^'genau an den Fuß dcr
Holdcn paßten, daß sie hinterlistiger
weise nach deren Maß gemacht sein
mußten. Damit aber ja Niemand die
vcutliche Andeutung übersehe, hatte der
Rittmeister aus dcm Korbe die Inschrift
.Für Mich" und aus den Pantoffeln
„Für Dich" anbringe« lassen. Die
übrigen von den adeligen und bürgerli
chen Herren dargebrachten Angebinde
waren mehr oder minder konventionell.
Eigenartig war nnr noch die Gabe des
Priors der Karthaufe zu Ebnet, der
mit einer mächtigen Ganzleberpastete
hervortrat. Die hübsche Attrappe
wurde geöffnet, und unter allgemeinem
Entzücken kamen -die zierlichsten, ans
Elsenbein gedrechselten Kinderspielsachen
zum Vorschein, welche einer der Kart
häuscrmönchc in scincu Mußestunde«
zesertigt hatte.
Ein zärtlicher Gatte,
dichter: „Sie haben Ihre Frau verlas
seü, vorher abcr sollen Sie dieselbe auf
das roheslc behandelt, sie unter anderem
an den Haare» durch die Stube gezo
gen haben geben Sie das zu?"
Angeklagter: „Jotte doch, wat is da
dille Ausheben bei, wenn ick von meine
Frau zu'n Abschied noch ne Haarlocke
haben will?"
Böse Vermuthung.
Schuldner., „Sapperment, kommen
Sie schon wieder mit der allen, lang
iveiligcn Rechnung? Denken Sie. ich
wcrdc Ihrem Ehes mit den paar hun
nert Mark durchbrennen?" Junger
Mann: „Nun das gerade nicht, abcr ich
möchte beinahe glauben, unser Chef hat
lelbst diele Absicht/
Zacharias Vreentailor.
Zacharias Greentailor war 19 Jahr«
all und cin lyrischer Dichter.
Es gibt Menschen, welche der Mei
nung sind, als äußere Kennzeichen eines
solchen Lieblings der Mnsen seien sol
gendc Merlmale unerläßlich: Lange
wallende, kühn unter einem sausten,
links »ach himen geneigten Filzhul hcr
dorqncllcude Locken, das Gesicht von in
teressanter, hungriger Blässe, die Augen
träumerisch nach oben verdreht, einen
etwas schäbigen Rock, dito Beinkleider,
und eine» Eelluloid-Kragen mit bun
ter Kravatte. Bei Zacharias Green
tailor aber trafen diese Merlniale nicht
alle zu. Seine Haare waren mit cinem
Klipper gleichmäßig kurz geschoren, ein
etwas zerknitterter steiser „Dcrby"
ruhte ihm schwer auf den Ohren,
welche w'ie unwillig sich weit ab
wandten, das Gesicht war blaß, aber
mit einer Schattirung in's Gelblicht;
nur seine Kleidung hattc vollkommen
die erforderliche Schäbigkeit. auch der
Celluloid?Kragen fehlte nicht, doch von
der Kravatte konnte man nicht wissen,
ob sie einstmals bnnt, oder schon ur
sprünglich so sahlgrau gewesen war.
Vor cinem Jahre noch war Zacha
rias Greenlailor in cinem der großen
Häuser am Park Row in New Bork als
„Elevalor-Voy" angestellt. Aber ach,!
das fortwährende Auf- und Nieder
schweben seines äußeren Menschcn zwi
schen Himmel und Erde, solltc vcrhäng
nißvoll ans seinen inneren wirken, cr
fing an zu dichten. Zwar Anfangs
sich der „sauste Wahnsinn" aus
ziemlich harmlose Weise, cr verübte
seine Gedichte ganz im Geheimen, schrieb
sie mit der Bleiseder ans das gelbe Pa
pier, welches seinen? „Sandwich" als
Hülle diente, und verbarg sie in seiner
innersten Westentasche.
Bald aber wurde er kühner, kaust
sich« cin halbes Rics weißes Papier, eine
Ouartflasche voll Tinte u»d cin Gros
Slahlsedern. Tann schrieb cr die Ge
dichte ab, uud als er sie endlich sogar
an die Redaction einer Zeitung schickte,
da war sein Schicksal besiegelt, da gab
es keine Rückkehr; das heißt, die Ge
dichte kehrten sämmtlich zurück, >sit ei
nem Schreiben des Redacteurs. Der
selbe versicherte ihn, daß seine Productc
ein ganz hübsches Talent verriethen, cr
aber für dicselbcn leider in seinem
Blatte keine Verwendung hätte.
Unftr Held war weit davon entfernt,
hierdurch entmuthigt zu werde», im
Gegentheil. „Die hehre Dichtkunst ist
mein eigentlicher Berus", sprach cr zu
sich selber. „Die Musen haben in mei
ner Wicge das Samenkorn zu unsterb
lichen Lorbeer fallen lassen." Er dich
tete weiter. Wenn er aber so in himm
l lischen Regionen seinen Pegasus hcrum
tummette, vergaß er sehr ost die Len
kung seines irdischen Elevators; fuhr,
anstatt am dritten „Floor" zu haltcn.
i»m zehnten empor.
Eines Tages wurde .ihm die überra
schcndc Mittheilung gemacht, daß man
seiner Dienste nicht serner bedürfe. In
freudig gehobener Stimmung trat er
den Heimweg an, konnte er sich doch
nnn ganz seinem eigentlichen Berus
widmen.
Seine Mutter war Wittwe und er
ihr einziger Sohn. Sie wohnten
„Down-töwn" im östlichen Theile, im
Topsloor eines Hinterhauses. Ms er
zu so ungewohnter Stunde die schmale
unbelegte Treppe heraufgepoltert kam
und die Thüre öffnete, fuhr feine Mut
ter erschrocken vom Waschzuber auf.
uud rief:. „Wo kommst denn Du her
Zachy?"
Er theillc ihr das Vorgcfallcnc mit.
Anfangs brach sie in sorgenvolles Jam
mern aus. So gering sein Verdienst
auch gewesen, die nöthige Garderobe
hatte cr sich immer davon auschasfc»
können, und viel mehr wie für Rcntc
und Lebensmittel verdiente sic mit
ihrem Waschen nicht. Als cr ihr aber
in glühenden Worten schilderte, wie er
jetzt großartige Gedichte schreiben würde,
von welchen ein einziges an Honorar
mehr einbringen könne, wie dcr Lohn
cincr ganzcn Woche als „Elcvalorboy"
betrüge; und als er dann mit begeister
tem Pathos ei» Frühlingsgedicht vor
trug, da schlug die Frau in stummer
Verwunderung die Hände zusammen.
Zwar klang ihr dcr Inhalt dunkel und
räthselhast, aber darum gerade mußte
es ja großartig sein; und sie zweiselte
nicht mehr daran, daß ihr Zacharias
am Ansänge einer berühmten Laus
bahn stände. Gerne wollte sie täglich
einige Stunden länger waschen, um
ihrem Liebling das Erreichen seine?
hohen Zielcs zuNermöglichen.
So saß bcnnfder jnnge Mann Tag
für Tag an dcr Tischecke am Fcnstcr,
verbrauchte viel Papier und verdarb
manche Feder. Die Trinkgelder, die er
dann und wann beim Wäschcaustragcn
erhielt, legte er nicht, wie srüher, in
Eigareiten, tondcrn in Frcimarlcn an.
Ansangs wurden ihm scinc Gedichte
sämmtlich zurückgeschickt, später aber
nicht mehr. TieseS srischtc seine etwas
gesunkene Hoffnnng wieder aus, denn
jene Gedichte waren ja sicherlich zu
späterer Verwendung zurückgelegt wor
den.
Es kam der Winter, und Mar ein
sehr strenger. Der Nordwind segte
schneidend kalt durch die Straßen, bil
dete aus dem reichlich vorhandenen
Schmutz sahle Stanbivolkrn, sarbte die
Nasen der Pässanten mit dunklem Kar
min, und wo er einen losrsitzcnden Hut
erwischen konnte, rollte er ihn mit rassi
«irter Fertigkeit auf der Kaute über das
Pflaster. Wenn Zacharias i» seiner
dünnen Garderobe, die inzwischen noch
schäbiger geworden war, auf die Straße
kam, spürte er immer eindringlicher das
Bedürfniß nach einem Ueberzieher.
Aber wol>?r einen solchen nehmen?
Seine Gedichte warteten noch immer
aus den Redactionen verschiedener Blät
ter aus Verwendung, und seine Mutter
konnte unmöglich mehr verdienen, wie
den Lebensunterhalt. Ali die Weih-
lachtSzcit nahte, schriebe eine Anzahl
ju diesem Feste passender Gedichte,
sandte sie an verschiedene Blätter und
-vartete mit großer Hoffnung auf das
Kcsultat.
Der Morgen d?S fröhlichen Festes
war gekommen. Frau Greeittailor saß
im ärmlichen aber sauberen Stübchen
und schälte Kartoffeln, während im
Ofen schon der Fcstbraten schmorte.
Zhr Sohn war fortgegangen, um an
den Zcitungsvertaufsstcllen aiisznsin
zen, ob vo» seinen Gedichten welche
erschienen seien. Sie war so crrcgt
lwr Erwartung, daß sie kaum das
Mcsscr sichcr zu sührcn vermocht?, und
>uweilcn statt der sonst so durchsichtig
dünne» Schalen verschwenderisch dicke
platten abschnitt. Da hastige
Tritte, die Thür wurde aufgerissen,
und Zacharias stürmte herein, in dcr
Hand eine vierundzwanzigieitigc Zei
tung schwingend. Es war das - nen
nen wir es das „Haladime Sunday
Magazine". Mit triumphirendem Blick
und glühendcn Wangcn lcglc cr cS auf
den Tisch, und deutet« stumm mit dem
Finger auf eine Stelle.
Ebenfalls sprachlos vor Ueber
raschung. sprang Mutter Greentailor
ins, daß die Kartoffeln ans den Boden
sollten, kramte aus ihrem Nähkörbchen
unter eiucm Hausen löcheriger Strümpfe
>hrc Brille hervor, und betrachte!-?, nach
dem sie dieselbe mit zitternden Fingern
zuf die Nase gedrückt hatte, die von
Zacharias bezeichnete Stelle. Unier
einer ganzen Spalte krauser Bogen,
Striche und Punkte, die ihr Ansangs
oor den Augen wirr durcheinander
lanZlen, buchstabirte sie endlich den Na
men: Zacharias Greentailor heraus.
Nach dieser Arbeit sank sie aus einen
Stuhl, und schlug in stummer Bewun
derung ihre Hände zusammen.
„Siehst Tu das wußte ich. einmal
mußte cs kommet!" sprach Zacharias,
und seine Gestalt schien um einige Zoll
gewachsen zn sein.
„Mcin Junge ich bin ganz hin
ich kann's ja kaum fassen hcule wird
Dein Name von vielen Tausende» gele
sen.
„Bon Hunderttausende» wenig
stens!"
„Was wird nun Mrs. Brown wohl
sage»? Die wird nun vor Neid zer
platze» ! die trägt immer ihre Nase so
hoch, weil ' sie zwei Stock niedriger
wohnt wie wir, und ihr Juuge ist
»och nur ein Schneidergeselle!
Aber Kind, was kriegen wir wohl da
jür?"
„Well das weiß ich grade nicht, ich
habe mal gelesen, daß Tcnnyfan für
.'ine Spalte wie dies ungefähr Tausend
Dollars kriegt. —"
„Tausend Dollars? Kind dann
wären wir ja reich!"
Frau Greentailor wäre beinahe in
Ohnmacht gefallen.
„Das ist auch ganz was anders,
Tennyson wohnt in London bei der Kö
nigin, und dann bin ich auch noch nicht
so berühmt wie er! Zehn bis zwanzig
Dollars werde ich zum Anfange wohl
kriegen!"
Er zündete sich eine Cigarette an
aus dem Paletchen. welches er von sei
ner Mutter als Weihnachtsgeschenk er
halten hatte, und wandelte stolzen
Schrittes in dem engen Stübchen aus
und ab.
Mutter Greentailor betrachtete mit
leuchtenden Augen ihren genialen
Sprößling, und murmelte immer wie
der vor sich hin: „Zehn bis zwanzig
Dollar?!"
„Weißt Du. Zachy," sprach sie nach
einer Weile, „da behalten wir ja noch
ein hübsches Sümmchen übrig, sür iechs
bis acht Dollars kannst Du schon einen
Ueberzieher kansen!"
Zacharias blieb stehen und nickte
gnädig, kraute sich eine Weile, in tieseS
Sinnen verloren, am Hinlerkopf und
sprach dann etwas verlegen:
„Ich will Dir 'mal was sagen, Mut
ter, das Geld, was übrig bleibt, lannst
Du behalten, dann mußt Du aber eine
hübsche Decke sür'S „Mantelpiecc" kan
sen, noch eine Tasse und sonstiges Ge
schirr und dann laden wir Miß
Smith ei»!"
„Miß Smith? Wer ist Miß
Smith?"
„Miß Evelyn Smith sie wohnt
zwei Block von hier und arbeitet an der
14. Straße bei Hearns!"
Der junge Mann war an's Fenster
getreten uud blickte angelegentlich nach
der Mauer des gegenüberliegenden
Hauses.
„Ach.Du Schelm also deshalb bist
Du des Abends so um sechs Uhr herum
immer verschwunden und erzählst mir
dann, Du hättest „Stoff" gesammelt!
Ist sic'nett?"
„Ein Engel ist sie, Mutter/rief der
junge Manu begeistert, „ich habe schon
siebzehn Gedichte aus sie gemacht und
sie sagt, sie seien alle ~»>vf»l ni>'s!"
Um els Uhr am folgenden Morgen
stieg Zacharias Greentailor die sechs
schmalen, dunkel», mit Papierschnitzeln
und altersgrauem Schmutz bcovcklcn
Treppen zu dem „Editorial Rooni" des
„Halsadime Suuday Magazine" em
por.
Mister Cutaway, der Redakteur, saß
in höchsteigener Person in einem alter
thümlichen Lehnsessel au einem staubi
gen Pulle, woraus Zeitungen und
Briese hauicuwciic bunt durcheinander
lagen. Bor ihm stand eine Flasche init
„Mucilagc" und daneben lag eine
mächtige Schecrc. Mit einem flüchtigen
Blick gewahrte Zacharias auch nach, daß
zur Lluleii dem Stuhle des Ge
waltigen ein Stoß von Zeitungen auf
dem Bosen lag, die alle merkwürdiger
Weife ein mehr oder weniger große?
viereckiges Loch hatten.
Mister Cutaway, ein behäbiger Herr
mit breitem Rücken, kugelrundem, von
grauem, knrzgeschnittenem Haar und
Bart umrahmten« Kopf, schien die An
wesenheit jungen Mannes gar nicht
zu bcinerien. denn er las in einem
Blatte, welches er nahe vor'» Gcsich»
hielt, ruhig weiter-
Zachariaj räusperte sich und Wied««-
holte lauter: „Guten Morgen, Herr
Redakteur!"
„Morgen!" klang es kurz zurück.
Mein Name ist Zacharias Green
tailor!"
Der junge Mann hattc crwarict, der
Redakteur würde überrascht herumsah
ren, aber bewahre, cr brummte ganz
gleichgiltig: „Nun?"
„Ich bin der Bersafser des Weih
nacbtsgcdichtcS. welches in der gestrigen
Nummcr Ihres Blattes erschienen ist!"
.Well und?"
Zacharias Greentailor war sprachlos
uor Ueberraschung und Bestürzung,
hattc cr denn recht gchört? Ganz fas
sungslos stotterte cr: „Ich bin gekom
men wegcn des Honorars!"
„Wegen was?" fragte Mister Cuta
way und hielt seine Hand wie ein
Sprachrohr an s Ohr.
„Wegcn des Honorar«!" wiederholte
Zacharias zaghast.
Der Redakteur wandte sich um, rückte
scinc Brilleznrccht, betrachtete den jun
gen Mann von oben bis unten, als sähe
crcin merkwürdiges Phänomen, und
sprach:
„Sind Sie verrückt? Honorar für
Gedichte? Sehen Sie den Papier
korb dort? Wissen Sie, was er enthält?
Lautcr Manuskripte von Gedichten!
Und wissen Sie, was Passiren würde,
wenn wir sür den Stoff auch nur das
Geringstc zahlten? Wir müßten extra
einen Man» anstellen, die Sachen zu
lesen, müßten unser Blatt um vierund
zwanzig Seiten vergrößern nnd uns
einen Office-Boy halt?» sür das Auz
lecren des Papierkorbes; kurz, wir
könnte» einfach nicht bestehen! Sie sind
ein lyrischer Dichter, nicht wahr? Wis
sen Sie auch, junger Mann, daß ein
lyrischer Dichter heutzutage gar keine
Existenzberechtigung hat? Was thut
denn ein lyrischer Dichter? Er reimt
über Gesühlc, die er gar nicht hat, und
wenn cr sie hat, der übrigen Menich
hcit kolossal gleichgiltig sind.
Was würden Sie von
cinem Menschen denken, der sich am
Union Square auss Podium stellen, die
Augen zum Himmel verdrehen und
sagen würde: „Kommt her, Ihr Men
schen, mich hat eine Mosquito gestochen,
bemitleidet und bewundert michzugleich,
daß ich es vertragen habe!" Nicht ivahr,
einen solchen Menschcn würden Sie
auslachen oder er könnte Ihnen höch
stens leid lhun; und so ungefähr sind
die lyrischen Dichter mit ihren Ergüssen,
und dafür Honorar zahlen? Lir!"
Mister Cutaway drehte sich energisch
herum und vertiefte sich wieder in die
Lektüre seines Blattes.
Zacharias Greentailor war vernich
tet. Alle seine schönen HoffnuugSblü
then waren wie unter wuchtigen Hagel
fchlägen zu Boden geschmettert. Am
liebsten hätte er in eineni direct zu den
Antipoden sührenden Elevator gestan
den. Er fühlte seine Wangen brennen,
ein merkwürdiges Kribbeln in seinen
Augen, etwas Drückendes stieg in seine
Gurgel empor und ehe er cs wußte,
brach er in ein dumpfes Schluchzen aus.
Mister Cutaway wandte sich bei die
sen Lauten besremdet um.
„Na, da sieht man's," brummte er,
„so etwas kann doch nur ein lyrischer
Dichter fertig bringen. Schämen Sie
sich, junger Mann!"
„Zacharias rieb sich mit dem Aermel
eine ganze Weile im Gesichte herum, um
die Thränen wegzuwischen und dann
auch, weil er sich feinern »männlichen
Schwäche schämte. Um sich einigermaßen
zu rcchtsertigeii, stotterte er:
„Herr Redakteur ich wollte
mir— mir einen neuen Ueberzieher
kaufen!"
Nun ist ein Redakteur doch am Ende
auch cin Mensch, und als solcher spürte
Mr. Cutaway ein gelindes Rühren, als
er die dünne, sadenicheinigc Kleidung
des jungen Manncs und die trotz der
Dampfheizung an den Fenstern blühen
den EiSblumen gewahrte.
Etwas in seine Bartstoppeln brum
mend, wandte er sich zu seinem Pnlte,
durchkramte alle Schubladen und sand
endlich eine rostige Feder. Nachdem er
von der Tinte die weiße schimmelig«
Haut entfernt hatte, riß er ein Blatt
Papier aus seinen: Notizbuche uud
schrieb etwas darauf.
„So, hier, junger Mann, gehen Sie
nach meinem Hause, No warte, ich
schreibe Ihnen die Adresse dazu so,
den Zettel überreichen Sie meiner
Frau, welche Ihnen meinen abgelegten
Ueberzieher geben wird; wenn Sie
denselben etwas umändern lassen, thut
ir'S noch für diesen Winter. Und
nun gebe ich Ihnen noch einen guten
Rath: preisen Sie zu irgend einem
ehrlichen Handwerk, welches seinen
Mann ernährt, aber lassen Sie um
GottcSwillcn das Dichten sein, ich warne
Sie!"
Zacharias stammelte einige unver
ständliche Worte des Dankes, nahm das
Papier und stieg tangsam, als hätte er
Blei in den Füßen, die Treppen hinun
ter.
Noch schwerfälliger und langsamer
stieg er nach einer Slniide die Treppe
zur Mutter empor, welche mit Sehn
sucht und gespannt seiner Rückkehr
harrle. Als sie das mit Papier um
wickeUe Bündel unier seinem Arm ge
wahrte, rics sie in sreudiger Hast:
„Mein Junge, I>ast Du Dir schon
gleich einen Ueberzieher mitgebracht?
Wie viel Hat'S gegeben?"
Erst jetzt blickte sie ihm genauer in'S
Gesicht.
„Großer Golt, Zachy! Wie siehst Du
denn aus? Bist Du kraul?" rics sie
ängstlich.
Er sank wortlos und müde aus einen
Stuhl, wodurch die alte Frau immer
mehr erschrak. Endlich brachte sie ihn
dazn, sein Herz auszuschütten.
Ein drückendes Schweigen, dann und
wann von einem Uesen Seufzer unter
brochen, folgte.
„Aber laß dach mal s»hcn, Kind, den
Ueberzieher," sprach Fron Greentailor
dann, sich plötzlich an das Packet erin
nernd.
Zacharias,oa das schwer», traun»
Kleidungsstück an. Aber, du lieber
Himmel, wie sah cr darin ans. wic cinc
Vogelscheuche. In dem Uebcrzichcr bat
tcn mindestens zwei lyrische Dichicr
Platz. Dabci w»ren die Aermel zu turz
und hingen weiUäusig wie die Aermel
einer Mönchskutte um die dünnen Han>
gclcnke.
Nach vielcn Beralhungcn wurdc be>.
schloffen, Erkundigungen bci Mrs.
Brown, odcr viclmchr ihrcm Sohne,
einzuziehen, was das Umändern wohl
kosten würde.
Der Bescheid lautete: Zwei bis drei
Dollar» mindestens, Knöpse und Ein
sassuug gar nicht mitgerechnet. Eben
sogut hätten cS zwanzig Dollars sein
dürse», denn ebensowenig konnten sie
die zwei ausbringen. So beschloß denn
Mutter Grecntailor, die Abänderung
selbst vorzunehmen. Eine Ahnung der
Kühnheit und Tragweite dieses Unter
nehmens dämmerte ihr erst auf, nach
dem sie den Ueberzieher aufgetrennt
hatte. Es war eine wahre Danaiden-
Arbeit. Was sie heute zusammen
nähte, muß pe morgen wieder ausschlief
den.
Zacharias f-and zum Dichten gar
keine Zeit mehr, er mußte bei der Wä
sche helfen, dieselbe ans die Leine hän
gen, damit seine Mutter rasch fertig
wurde und an's „Umändern" kam.
Dann mußte er „Modell" stehe», jede
süns Minuten den Ueberrock anpassen,
welcher aber trotzdeiti niemals Pasten
wollte. Einmal war er immer noch zu
weit, d>vin saß er schies und dann wars
er Falten nnd Vculen, auch gericthen
die Aermel nicht immer wieder richtig
in die Oessnung hinein.
So vergingen zwei Wochen. Da
endlich war er so weit gediehen, daß
Zacharias ihn. ohne besonders Aus
sehen zu erregen, des Abends schon aus
der Straße tragen konnte. Seine
Mutter versicherte ihn zwar, hinten säße
er ausgczcichnet gut, er meinte aber,
vorne müsse er sich auch damit sehen
lassen können. Doch die Geduld der
guten Frau war erschöpst. Schon dn
Gedanke, das Kleidungsstück noch ein
mal austrennen zu müssen, trieb ihr
den Schweiß auf die Stirn. Auch war
Zacharias zu einer „Soiree" eingela
den, welche Evelyn Smith, die siebzehn
mal Besungene u»d Angebetete seines
Herzens, gab, undcho war denn, wollte
er nicht ohne Ueberzieher gehen, auch
keine Zeit mehr zu weiteren Umände
rungen und Experimenten.
Der Zeiger der Weckuhr auf dem
Kaminsims zeigte auf Neun. Frau
Greentailor faß beim Scheine einer
Lampe am Tisch und stopfte Strümps?.
Sie dachte an ihren Zacharias, wie er
nun in der Nähe seines holden Engels
in Seligkeit schwclgtc.
Ein Poltern ans der Treppe störte sie
aus ihren Gedanken. Im nächsten
Augenblicke ging die Thür aus und
herein trat der, an den sie soeben ge
dacht hatte.
Er zog seinen Ueberzieher aus und
schleuderte ihn heftig zu Boden; setzte
sich dann auf einen Stuhl mit einer
Wncht, daß das alte Möbel ängstlich
krachte.
Frau Grecntailor blickte starr vor
Schreck und Ueberraschung in das krebS
rothe Antlitz ihres Sohnes. So hatte
sie ihn »och nie gesehen, seit cr crwach
sen war.
„Um GotteSwillen", stammelte sie,
endlich zu Worten kommend, „was ist
Dir passirt?"
Zacharias sprang auf.
„Mutter," rief er, und Thränen deS
Zornes funkelten in seinen Augen, „ich
rase, mein Herz ist mir gebrochen und
Alles wegen den verdammten Ueber-
ich kam ein wenig spät,
cs hatte ja so lange gedauert, ehe Du
mir das unglückselige Gewand exiiger
maßen glattgestrichen hattest. Als ich
hcrcintrete, ist die „Party" schon ver
sammelt, uud wen sehe ich? Harry
Brown, den elenden Schneidergescllen!
Der srägt mich dann gleich ganz laut,
wo ich meinen kostbaren Ueberzieher ge
kaust hätte. Alle fingen an zu lachen
und denke Dir nur o, es gab mn
einen Stich mitten in's Herz hinein
sie, Evelyn, sie lachte am lautesten.
Ich wäre am liebsten einige tausend
Fuß ties in den Boden gesunken.
Als ich nun das Unglücksstück heftig
ausziehe, nimmt diHer Teufel von
cinem Schneider mir dasselbe aus der
Hand und sagt, ich solle ihn die feine
Arbeit bewundern lassen. Wüthend
riß ich ihm mein Eigenthum aus der
Hand, dabei flog ein Stück Papier zu
Boden, welches das achtzehnte Gedicht
auf Evelyn enthielt, und das griff er
auf und las cs vor. Nnn lachte» Allc
»och lautcr wie zuvor, und Evelyn wie
der am lautesten. Dann sagte sie, sie
hatte siebzehn ähnlichc'Dinger, die ge
rade so „funny" wären, die wolle sie
holen, und Mr. Brown solle sie v«r
lesen. Ich habe eben nicht länger ge
wartet, sondern bin fortgerannt wie
wahnsinnig. Und dos schwöre ich Dir,
Mutter, in diesem Ueberzieher sieht mich'
kein sterbliches Auge mehr und nie wi-'-
der mache ich ein Gedicht!" -
Zacharias Greentailor hat Wort ge
halten. Am folgenden Morgen ver
kaufte er den Ueberzieher für 75 Cents,
für die er sich ein Paar wollene Hand
schuhe taufte. Nach einer Woche sand
er wieder Stellung als „Elcvalorboy".
Seitdem hat er schon einige Dutzend
»Dimc NovelS" gelesen, nnd spater
wird er vielleicht noch einmal Cowboy
oder ein Detektive, aber niemals wie?»?r
'in lyrischer Dichter.
Scharfblick. Lieutenant?
„Johann, wie kannst Du mir denn eine
Hose mit ganz z?rriss?n?n Taschen drin
gen?" Möhlin»: „Ja. ich dachte mir.
heut ist schon der siinst? und da stecken
der Herr Lieutenant doch nichts mehr
NN."
Modern. Vater: „Sie witn
schen die Hand meiner Tochter! Kön
nen Sie sie auch ernähren?" Freier:
.Na, da« wird selbstverständlich davon
abhün»en, wie diel Sie ihr mitgeben."
«ine Irisch-Deutsche Firma.
Damals, vor zehn Jahren, ehe noch
>ne Hochbahnzügc in wildcr Hast hin-
und herrassclten, gab es im Innerste»
der Stadt kaum einen interessanteren
Platz, als das Stück Friedhos hinter der
„Tri»ity"-Kirche, gegenüber Wallstreet.
Besonders an schönen Herbstvormitiagen
bot es dem Beobachter einen gar tr'au
lichen Anblick dieses Fleckchen grüner
Erde, wo zwischen der Menge halbver
witterter Grabsteine hin und wieder
llcine Kindcr-Grnppen unter der Auf
sicht von alten und jungen Bonnen ihr
Spicl trieben, oder auf einer und der
andere» Baut Leute aller Art sich für
k»rze?Zeit der „beschaulichen Wettflucht"
Hingaben.
Welch' eigenthümliche, ja bi-arre
Zusammenstellung von düsterem Ernst
und heiterem Treiben, von rastloser
Thätigkeit und von Grabesruhe!
Ein ältlicher, einfach aber elegant
gekleideter Herr wandelte durch die
Reihe d:r Grabdenkmäler. Tort, im
entferntesten Winkel, saß ein armer,
blinder Greis, halb Bettler, halb
Patriarch. Eik? kleines Mädchen von
ungefähr sieben Jahren, offenbar fcine
Führerin, stand neben ihm und hörte
ihm aufmerksam zu. Großpapa wußte
so gut zu erzählen.
Der herantretende Spaziergänger
griff in die Tasche mit einem flüchtigen
aber wohlgemeinten Gruß nnd reichte
dem Mädchen eine Münze dar. Dann
machte cr Kehrt und ging seiner Wege.
Er war noch keine sünfzig Schritte
gegangen und war eben im Begrisse,
um die Eric zu biege» und den Blicken
zu entschwinden, da kam ihm mit sast
athemloser Eile das kleine Mädchen
nachgelaufen:
„Herr! Bitte schön, mcin Hcrr!
Dieser blieb stehen und schaute das
Kind mit einem ruhig fragenden Blicke
an.
„Bitte schön, mein Herr!' Großpapa
sagt. Sie Hütten sich im Gelde vergrif
fe». Anstätt eines kleinen Silberstük
leS haben Sie eine Goldmünze gegeben.
Hier bringe ich sie Ihnen zurück."
„Nicht doch. Kleine! Das war kein
Jrthum. Großpapa dars, ja soll
das Goldstück ganz gerne behalten. Es
gehört ihm. Wie heißt Dn, Kleine?"
„Hedwig, mein Herr!"
„Hedwig, und wie noch?"
„Hedwig Glattmann."
Ein rascher Schritt brachte den Herrn
in die unmittelbarste Nähe des Kindes.
Er packte dessen Hand mit einem fast
krampfhaften Griff und sprach: „Ich
gehe mit Dir zum Großvater zurück."
Gesagt, gethan!
„Herr Glattmann! Sie erlauben?"
Der blinde Greis erhob sein Haupt,
und das glanzlose Auge starrte mit sei
nem so rührenden Nichtssagen dem
Sprecher entgegen.
„Sie heißen Friedrich Glattmann
und waren vor 35 Jahren Cassirer und
Buchhalter bei George O'Mharu und
Sohn?"
Ein heftiger Ruck schnellte den alten
blinden Mann von seinem Sitz empor:
„Wer sind Sie? Was führt Sie her?
Was wollen Sie?" Diese kurz hervor
gestoßenen Worte waren mehr gestöhnt
wie gesprochen.
„Nichts Schlimmes, Herr Glatt
mann. Wahrlich, durchaus nichts Bö
ses. Aber ich preise meinen guten
Stern, daß er schon am ersten Tag nach
meiner Ankunft in New 'gork, und
zwar in derselben Stunde, wo ich mich
auf den Weg mache, um Ihnen nachzu
sorschen. mich Ihnen so geradezu in die
Arme führt. Hier ist meine Hand.
ES ist die Hand eines Fremden und doch
auch eines Freundes. Sie dürfen sie
nicht zurückweisen! Mein Name ist
Reginald O'Mhara, ich komme von
Cork, Irland. Ich bin der einzige
Nesse u»b Erbe des HanscS, in dessen
Dienste» Sie vor so vielen Jahren ge
standen. nnd ans nxelchcin Sie damals
'unter so entsetzlichen Umständen und
gravirendcn, unbewiesenen
Anklagen geschieden sind. Ich bin ge
kommen, das Geschehene. Ihr unver
dientes Mißgeschick und Elend, das. wie
ich leider wahrnehmen muß, seit da
mals auf Schritt und Tritt Ihnen ge
folgt ist, »ach Kräften wieder gut zu
machen. Erlauben Sie, Herr Glatt
mann! Ich will mich neben Ihnen
hier niedersetzen." Und mit einem saus
ten. Händedruck zog der Fremde den
alten- Mann auf die Bank. .Die
kleiiie Hedwig kann mittlerweile ein
wenig zu den Kindern dort hingehen
uud ihrem Spiel zuschauen. Ich habt
init dem Großvater noch cin Bischen
uichr z» reden."
Die Conversation wurde natürlich in
englischer Sprache geführt. Leise und
eindringlich. Der blinde Greis horchte
—ivenn man es so bezeichne» dürfte—
mit bebender Spannung den Ausein
andersetzungen des Fremden, und die
ser erzählte'mit sympathischer Stimme:
„Herr Glattmann! Ihnen geschah
cin hiinmelschrciendeS Unrecht, lind
der Himmel, welcher allerdings so weit
von der Erd« entfernt ist, daß das
Sternenlicht erst nach langen Jah
ren bis zu unserer Erdcnnacht
dringt, hat auch für Ihre LebenZnacht
jetzt erst nach so vielen lange» Jahre»
ein Einsehen. Aber ich bin da als cin
Bote dieses Lichts und als ein Bringcr
des Glücks. Unter den vielen Papieren,
welche mir von hier nach der Testa
mentsvollstreckung hinübergeschickt wor
den sind, befand sich auch cin von mci
ncm Onkel eigenhändig vcrsicgellez
Packet mit Dokumenten, ans denen
hervorgeht, daß Siedamals als unschul
diges Opfer einer grausamen Intrigue,
welche den eigentlichen Uebcllhätcr vor
dem Arme der strafenden Gerechtigkeit
schützen wollte, dem Unglück und dem
höchsten Ehrenverlust Preisgegeben wor
den sind. Nun! Dem Himmel sei
Dank! Ich kann und werde das Ge
schehene reichlich gut machen. Die alte
Firma: „O'Mhara und Sohn" wird
l» rasch als thunlich ihren Namen und
ihre eapitalistischen Interessen Wechsel»/
ganz zu Ihren Gunsten und in Ihrem
Interesse wechseln. Ich Übertrage
Ihnen, respectivc Ihren Rechtsnachfol
gern die Hälfte des ganzen Activ-Ver
mögenS unseres Hauses, in runder
Summe acht Hundert und fünfundsieb
zig Taufend Dollars. und an die Stelle
der gelöschten allen Firma tritt das
neue Geschäftshaus: O'Mhara und
Glattmann." Sind Sie es zufrie
den? —"
Aus den blinden Augen des Alten
riefelten stille, heiße Dankesthränen.
Lautlos zuckten feine Lippen, und mit
beiden, zitternden Händen umklack
merte er die Rechte des Fremde».
Noch am selben Nachmittage verkün
deten die Abendblätter der Stadt die
Sensationsgeschichte, und alle Welt
nahm die innigste Theilnahme an dem
so herrlichen Glückswechsel de-Z Armen
und sprach mitunverhohlenerßewunde
rung von dem kaufmännischen Seelen«
adel des irischen Handelsherrn....
Heut« noch lebt der alte Glattmann
mitten unter den Seinigen, in deren
Kreisen sich deutsche Treue und That
! kraft mit irischem Muth und Frohsinn
glicht blos im kommerziellen, sondern
auch im häuslichen Leben und Streben
schön und gedeihlich verschmelzen. Eine
streng seltene, aber um so bessere Aus
nähme!
Erinnerung an Manteuffel»
Eine Erinnerung an den verstorbe
nen Statthalter Feldmarjchall Edwin
von Manleuffell gibt ein elfässischer
Landmann in der „Straßb. Post" zum
Besten. Bei seinem Amtsantritt machte
! der verewigte Statthalter in jeder Ge
meinde einen Besuch, um Land und
Leute kennen zu lernen. Das verur
sachte in vielen Dörfern den Bürger
meistern kein geringes Herzklopfen, vor
nehmlich wegen der Anrede, die sie an
standshalber halten mußten. Auch
unserem Bürgermeister X. war bei der
Sache nicht wohl. Nachdem er -vergeb
lich in alten Büchern nach einer passen
den Rede gesucht hatte, wandte er sich
an den Schulmeister, der ihm denn
auch eine Ansprache auffetzte. Er ftu
dirte sie noch eifriger, als sein Junge
das ABC, und hatte sie nach einige»
Tagen glücklich iotus.
Und nun kam der denkwürdige Tag.
Es störte den Herrn Bürgermeister nicht
groß, daß er sich kurz vorher durch
! einen Fall in die Dornenhecke
j seines HauseS das Gesicht zcr
l schunden hatte und seine Frau ihm sein
blaues Schnupftuch um das gemarterte
Haupt binden mußte. Stolz trng er
den Dreimaster, er war seiner Sache
und eines trefflichen Eindrucks gewiß.
Seine Frau hatte ihm eben noch die
großartige Rede angehört, die vorzüglich
faß. Und jetzt krachten mehrere Schlisse
aus den alten Dorfkanonen, den soge
nannten „Katzenköpfen", und verkün
deten die Ankunst des Statthalters.
Freundlich nach allen Seiten grüßend,
stieg der Marschall mit den Herren sei
nes Gesolges aus, nahm seinen Krück
i stock und ließ sich vom Kreisdirector den
i Bürgermeister vorstellen. Nun war
! also der große Augenblick da und unser
Bürgermeister begann: „Euer Exzel
lenz "
Da sah der Redner die Augen aller
hohen Herren auf sich gerichtet und
o Schrecken gerade jetzt versagte ihm
das Gedächtniß den Dienst. Einen
bittenden Blick richtete er jetzt nach dem
l «chulmeister, aber der war zu weit
! entfernt. Er machte noch einmal eine
verzweifelte Anstrengung: „Euer Excel
lenz" doch das folgende Wort will ihm
nicht kommen. Aber wenn die Noth
am größte», ist die Hilfe am nächsten
! es fallt ihm ein, daß er ja die ganze
i liede noch in seiner Westentasche hat,
nnd mit den glücklichen Worten: „N»a,
! ich habb' jo deß Ding im Wamschtsack",
macht er einen kühnen Griff in die
Tasche, und jetzt ist ihm ans aller
Verlegenheit geHolsen. Er liest jetzt
die bedeutungsvolle Rede ohne Fehler
ab, während die Herren im Gefolge
»es Statthalters sich auf die Zunge nnd
Lippen beißen mußten. Der alte Statt
> Halter aber verzog keine Miene. Mit
gütigem Ausdruck, hörte er dem Bür
zermeistcr aufmerksam zu. Und als
der Redner dann zn Ende war, gab er
ihm die Hand U)id dankte ihm ganz
ernst für den schönen Empfang die
schöne Rede. Dann stieg er wieder in
seinen Wagen und fuhr davon. Qb
er nachher gelacht hat, das weiß ich
nicht, denn ich bin nicht mitgefahren.
Jedenfalls war infolge des unzerstör
baren Ernstes, den der Marschall an
den Tag legte, dem Bürgermeister gar
kein Gefühl gekommen, daß er eigent
lich „etwas angerichtet" hatte. Im
Gegentheil. Er leitete das Festessen,
an dem sich -der Gemeinderath und die
sonstigen Notabeln des Dorses betei
ligten. voll höchster Zufriedenheit mit
)en Worten ein:
„Kuet, d»ß ich deß Ding im Sack
z'hätt habb, funsch wär iner'S deß Mol
schlecht gangen, nun denncwai (auf
diese Weise) Hat'S dene Herre viel
iMessir gemacht. Ich habb'S genau
leschne!"
Auch eine Wagneriane»
ein. Diener: „Wo ist denn Dcin-
Herrschast h.»t Abend hin?" —Zimmcre
Mädchen: „In's Theater. cS wird 'was
von Wagncr gegeben." (Entzückt.)
„Aber ich sag' Dir. dieser Wagner, das
ist ein gottvoller Mensch, für den
schwärme ich!" —Diener: „So, worum
denn das?"— Zimmermädchen: „Weißt
Du, der hat so lange Stücke geschrie
ben, da kommt die Herrschast erst »ach
elf Uhr ans dem Theaker!"
—lm Kurbadrestaurant:
Gast: „Kellner, bekommt man nicht
auch halbe Portionen hier?" Kell
ner: „Bedaure! Aber nehmen Sie ru
hig eine ganze, die ist hier auch nicht
zrößer als bei Ihnen zu HauS ein?
halbe!"