Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 01, 1892, Page 3, Image 3

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    Die gnädige Frau.
(3. Fortsetzung und Schluß.)
„Er ist verrückt", murmcltc dic
Kunstreiterin vor sich hin „cs ist
fchadc um ihn, denn sie ist cs nicht
werth. Dummheit, Verrücktheit und
Schlechtigkeit an aüen Ecken und En
den! Ich habe große Lust. Almansor
?.u verkaufen und mineinen Dienst als
Schenermagd zu suchen. Aber ich
tveiß, ich werde es doch nicht thun. Ich
werde auch einmal so mit zerbrochenen
Gliedern im Sande liegen nnd wenn
das Glück gut ist, im Spitale sterben,
wenn'S schlimmer kommt, als Krüppel
betteln gehen. Aber sie kommen —-
Die Kranke, welche wieder zu sich ge
iommcn war und ihre Schmerzen mit
vieler Gednld crtrug, wurde von sechs
ihrer Collcgen ans einer Bahre nach dcr
Wohnung der Frcnndin geschafft und
deren Olihut übergeben. Unter Beru
fung ans den Ausspruch des Arztes er
klärte sie, daß Niemand die Kranke
stören dnv'e,
„Ohne Ausnahme?" fragte Isidore
mit cincm lauernden Blicke.
„Gute Nacht!" lautete die lakonische
Antwort dcr barmherzigen Samarite
rin. und sie geleitete den verwegenen
Clown sammt der übrigen Gesellschaft
hinaus und schloß die Thür ab.
Schon am nächsten Tage suchte der
"Baron Melanie aus. Er sand sie lei
dend. aber geduldig. Sie empfing ihren
Verehrer mit unverholener Freude, und
die Versöhnung war schnell geschlossen.
Aber was nun weiter? Mit Entsetzen
hatte das Mädchcn ans einzelnen An
deutungen entnommen, daß sie sitr
lange Zeit, vielleicht für immer ihrer
Karriere würde entsagen müssen.
„Dann gehe ich ins Wasser!" hatte sie
voll Verzweiflung ausgerufen. Der
Baron machte ihr wegen ihres Mangels
«in Sündhaftigkeit Vorwürfe. „Sie
sind noch tausendmal unverständiger als
ich," ries sie hestig aus, „was kann ich
Besseres thun, als ins Wasser gehen?
Vielleicht lieber ins Kloster? Ich bin
nicht katholisch und wen» auch
lieber ins Irrenhaus, das ist doch we
nigstens die unterhaltendere Art vön
A-errückthcit."
Die Lage der Verunglückten wurde
aber noch kritischer, als wenige Tage
daraus der CircnS, in welchem die
Kunstrcitergcsellschast ihre Vorstellungen
gegeben hatte, abbrannte, nnd der
Tireetor mit der ganzen Truppe ab
reiste. Clementine mnßte sich, so leid
«s ihr that, anschließen; sie hatte keinen
genügende» Vorwand, ihrcn Kontrakt
.zu brechen, und der Dircctor war nicht
gewillt. sie freiwillig zu entlassen. Und
Melanie? Es war nicht weiter von ihr
die Rede. Der Dircctor glaubte das
'Acußerstc gcthan zu haben, wenn cr
ihr eine Monatsgage auszahlte und
das Honorar des Arztes im Voraus be
richtigte. Das Uebrigc war ihre Sache.
Somit war die Fürsorge für sie dem
Baron früher, als i?r cs geahnt hatte,
ganz allein zugefallen. Mit Aufwen
dung aller ihm zu Gebote stehenden,
eben nicht erheblichen Geldmittel, suchte
er das LooS dcr Kranken, soviel in sei
nen Kräften stand, zu erleichtern. Er
mieihete die Wohnung, in der sie sich
liesand, engagirte eine Wärterin und
sorgte sür jede Art von Komfort.
Aber was weiter? Die Frage trat
bei Tage und Nacht immer mahnender,
fast drohend an ihn heran. Was sollte
werden? Konnte cr das arme, viel
leicht verkrüppelte Geschöps hilflos in
dic Welt hinausstoßen? Und doch
waren seine Hilfsquellen wesentlich grö
ßer, als die ihrigen? Sein mütterli
ches Erbtheil hatte er vollständig aufge
zehrt: dcr Vater hatte ihm nichts hin
terlassen als das Recht, sür eine etwaige
Staatz-Carriere die hohe Beaink'iistcl
lung des.Verstorbenen als Grund der
Berückfichligung geltend zu machen.
Die einzig n Geldmittel, welche dem
Baron in unregelmäßigen Zwischen
räume» zulanie», rührten von der
Zante StittSdame her, von dcr in der
Familie die Sagc ging, daß sie den
hosinnng-ZU'.'llcn Nesse» zum Universal
erben einsetze» werde. Je weniger aber
dic, ans etile glänzende Carriere des
junge» Mannes geletzten Hoffnungen
in ErsüUung gingen, desto zurückhal
tender wurde die alteTame. Erst als
die Vcrbindnng mit der Tochter des
LegalionZraths sich zu realisircn schien,
floß die UnterstützungSquelle wieder
reichlich, reichlicher als je. Jetzt war
sie vollends versiegt. In scincr äußer
sten Bedrängniß, und da scineGeldmit
tel vollständig erschöpft waren, hatte
d.r Hilflose sich an die, bei manchen
Wund'ilichkeitcu doch wohlwollende glte
Tame gewendet.
Tie Antwort traf umgehend ein und
enthielt ei» dürres, unumwundene»
Nein. Sic würde eS niemals vor ihrem
Gewisse» verantworten können, schrieb
die fromme Dame, ihre Mittel, von
deren nützlicher Verwendung sie dereinst
Rcchenschast abzulegen habe, den Ar
men und Waisen zu entziehen, damit
ein gott- und pflichtvergessener Undank
barer mit de- Hese des weiblichen Ge
schlechts in schmachvoller Gemeinschaft
sündhafter Ueppigkeit fröhnen könne.
Sic werde fortan keinen Brief des
«.Verlorenen" mehr annahmen: über
ihren dereinstigen Nachlaß habe sie be
reits zu Gunsten milder Stiftungen
letztwillige Versügung getroffen.
Diese Nachricht traf den ohnehin Ge
beugten. wie ein Tonnerschlag. Jetzt war
«r ein Bettler. Und jetzt gerade sollt«
«r das kaum genesene Mädchen, an dem
fein Herz mit wahnsinniger Leidenschaft
hing, aufgeben? Nimmermehr
lieber sterben, mit ihr zusammen ster
ben. Er machte ihr allen Ernstes den
Vorschlag sie lachte ihn aus. Sie
hatte keine Spur jener bizarren Ro
mantik, welche einen Reiz darin ahnt,
sich mit dem Geliebten ans der Misere
des Daseins in das Jenseits ,n retten»
Wäre der Baron weniger von Leiden
schaft verblendet gewesen, so hätte er
sehen müssen, daß' sie seine Liebe mehr
dulde, als erwidere.
In dem Maße, als sie sich von den
Folgen der erlittenen Beschädigung
wieder zu erholen begann, wuchs ihre
Sehnsucht nach der Abenteuerlust
ihres bisherigen Lebens, obschon sie sich
überzeugen mußte, daß sie unsähig war,
wieder zu Pferde zu steigen. Als sich
nun für das seltsame Paar die Ver
hältnisse immer aussichtsloser gestalte
ten, als sich zur Bedrängniß der Man
gel gesellte und aus diesem die Noth
erwuchs, zeigte das leichtsinnige Mäd
chen sich doch noch um ej» gut Theil
entschlossener, als ihr Liebhaber. Sit
erklärte ihm unumwunden, das könne
nicht so sortgehen, sie werde in den
nächsten Tagen abreisen. Er besäße
nichts und sie müßte sehen, wie sie sich
durchs Leben schlage. Auf seine er
staunte Frage, was sie denn zu begin
nen gedächte, entgegnete sie kurz, sie
kehre wieder zur Gesellschaft zurück.
Könne sie sich sür jetzt auch noch nicht
an Knnstproduetioilen betheiligen, so
fände sie doch Gelegenheit, sich nützlich
zu machen und ihren Lebensunterhalt
zu erwerben.
„Gesteh' eS nur," rief er ergrimmt,
„Dich trcibt die Sehnsucht nach Mon
sieur Isidore, und ich bin ein Wahn
sinniger, daß ich so viel Liebe und Hin
gebung an cin Wesen verschwendet habe,
dessen höchster Ehrgeiz eS zu sein scheint,
sich an einen Possenreißer zu hängen."
„Dieser „Possenreißer," entgegnete
sie mit noch größerer Heftigkeit, „ist
ein Künstler, ausgezeichnet in seinem
Fach, findet jeden Augenblick bei der
crstcn Gesellschaft cin Engagement, und
kann von dem Ertrage feiner Possen
reichlich eine Frau ernähren."
„Und Du könntest Dich entschließen,
die Frau eines solchen „Künstlers"
zu sein?"
Am nächsten Tage begab sich der Ba
ron zum Minister. Dieser hatte früher
unter dem Vater des Barons gearbeitet
und war durch de» fördernde» Einfluß
des Verstorbenen schnell emporgekom
men. Er war überrascht, den jungen
Man» als Supplikanten bei sich zu
selien und uoly mehr, als dieser die
dringende Bitte aussprach, sofort eine
Anstellung in der Provinz zu erhalten.
„Sie missen", bemerkte der Minister, „daß
mir Vergnügen machen würde, Ihren
Wünschen sosort zu entsprechen, aber
ich kann Ihnen nicht vcrhchlcn, daß die
Sache ihr Bedenkliches hat. Die Ge
sinnung, welche Sie bekundet haben —"
„Ich bitte Ew. Excellenz inständigst,
dieses Bedenken auszugeben, dein ich
versichere, daß ich keine Spur von Ge
sinnung mehr habe —^
„Nun, nun", lächelte die Excellenz
und rieb die weißen, fetten Hände, „ich
wußte wohl, daß cin junger Kavalier
von Ihrer Erziehung derartige wchwär
mcrcien bald abstreifen würde. Allein,
wcn» Sie sofort beschäftigt fein wollen,
so weiß ich Ihne» nichts zu bieten, als
ei» Koinmissariuin, das vielleicht Ihren
Wünschen wenig entsprechen dürfte,
aber die Aussicht auf schnelle Beförde
rung eröffnet.
Mit großer Lebhaftigkeit versicherte
dcr Baron, daß er unbedingt und mit
Dank jede Stelle annähme, dic ihm das
Wohlwollen des Ministers biete. Zwei
Tage daraus war er im Besitze der
Ordre, die ihn anwies, sich als Kom
missarins dcr Regierung in einen, vsn
HungerSnoth und Seuchen heimgesuch
ten Distrikt einer entfernten Provinz zu
begeben, um dort den dringendsten
Nothständen abzuhelfen, die Thätigkeit
der Unterbehörden zu leiten und alle
erforderlichen Anstalten in s Leben zu
rufen. Mit einer freudigen, fieberhaf
ten Hast ergriff er den ganzen Plan sei
ner neuen Thätigkeit.
Er kam zu Melanie: „Ich habe eine
Anstellung, ich kann eine Frau ernäh
ren. Willst Du meine Frau werden?"
Er war bleich und seine Stimme zit
terte, als er dies sprach.
Sic war in sichtlicher Bewegung und
zögerte eine geraume Zeit, ehe sic ant
wortete. Endlich sagte sie: „Du bist
klüger als ich, Du mußt es besser ver
stehe». Aber ich übernehme keine Ver
antwortung."
Kurze Zeit darauf wurden sie ge
traut. Der Baron hatte gewußt, alle
entgegenstehenden Schwierigkeiten auf
Grund seiner Ministcrialordre zu besei
tigen. Er brachte seine Frau aus dem
Wege nach seinem Bestimmungsorte zu
d'r Familie eines LandpsarrerS, mit
dem er von dtr Universität her befreun
det war, vertraute sich diesem an und
traf mit ihm das Abkommen, daß Me
lanie so lange als Mitglied der Familie
bei ihm bleibe, bis er sie nach Beendi
gung seines Komniis a iiimS abhole.
Und so trennten sich die Neuvermählten,
er mit schmerzlich bewegtem Herzen, sie
in Unruhe und Verwirrung.
5.
Die Arbeit, welche des neu ernannte»
Regierungs-Eommissarius harrte, war
ebenso anstrengend unn mühevoll, als
langwierig. Aber mit wahrer Leiden
schast stürzte sich der Baron in das Ge
wirr der auf ihn einstürmenden Oblie
genheiten. Er hatte ein bestimmtes
Ziel zu erreichen: er wollt» sich durch
seine Leistungen gewissermaßen die
Spören verdienen, um möglichst bald
eine seinen Wünschen entsprechende, feste
Anstellung und mit ihr die Möglichkeit
der Vereinigung mit Melanie zu erlan
gen. Er schrieb häufig und voll Zärt
lichkeit an sie, mahnte sie liebevoll zur
Geduld und Beharrlichkeit und empfahl
ihr vor allen Dingen Schonung. Nur
leise deutet« er ihr an, wie wünschcns
werth eS sei, daß sie sich mit Rücksicht
auf die Gesellschaftskreise, in denen sie
zukünftig leben werde, gewisse Fertig
keiten und Formen geläusig mache, und
bat sie, sich vertrauensvoll an die Pfar
rers anzuschließen. Die Antworten,
welche er aus dem Pfarrhauser erhielt,
waren spgrlich und wenig befriedigend.
Di» junge Frau klagte, sie langweile
j fich zum Sterben; die nüchterne Ehr»
darkeit der altmodischen Leute bringe sie
zur Verzweiflung. Ja, nach einigen
Monaten der Trennung machte sie ih
rem Gatten allen Ernstes den Vorschlag,
ob es nicht gerathener' sei, er gebe sie
auf und überlasse sie ihrem Schicksal;
sie fühle» daß die Eintönigkeit ihres ge
genwärtigen Lebens sie umbringe»
müsse; nicht minder Furcht empfinde sie
vor dem Zwange der ihrer harrenden
neuen Existenz.
Was dc>r Pfarrer dem Freunde be
richtete, klang trotz des sichtlichen Zwan
ges, den dieser sich auferlegte, nicht
tröstlicher. Er bedauerte, daß e» ihm
beim besten Willen nicht gelingen wolle,
der jungen Frau den Ausenthalt in
seinem bescheidenen Hause erträglich zu
machen. Der brave Mann hatte nicht
das Herz, dem Freunde zu sage», daß
das unruhige Wesen des Gastes sein
Haus vollständig in Verwirrung ge
bracht habe und den stillen Frieden sei
ner Familie vollständig zu zerstören
drohe. Denn die Psarrerin, wie sreund
lich und nachgiebig auch gesinnt, em
pfand es doch mit immer wachsendem
Uiimuthe, daß die Fremde sich an kei
nerlei Hausordnung kehren mochte,
halbe Tage lang allein in Feld und
Wals herumschweiste, und was das
Uebelste war, namentlich iin Verkehr
mit Männern einen Ton in die Unter
haltung einführte, der die züchtige Na
tur der Pfarreri» niit wahre»! Schrecken
erfüllte.
- Nur einmal versuchte sie eS, von
Pflichtgefühl getrieben, ein Wort der
Mahnung hören zn lassen; aber sie
bereute es sofort, als dic lieblose und
leichtfertige Aiitwort, welche ihr zu
Theil wurde, sie erkennen ließ, daß hier
der freundliche Zuspruch niemals einen
fruchtbaren Boden finden werde. Sie
hielt ein ernstes Zwiegespräch mit ihrem
Manne und wie sie es für ihre Pflicht
gehalten hatten, dem Freunde den be
gehrten Liebesdienst nicht abzuschlagen
als jener sich in äußerster Bedrängnitz
befand, so erkannten sie es nunmehr
als eine Pflicht gegen sich selbst, cincm
Verhältniß ein Ende zu machen, das
sortan unhaltbar geworden war.
In diesem Sinne schrkeb dcr Pfarrer
dem Freunde, schonend auch mit Ueber
gehung des Bedenklichsten, doch immer
hin deutlich genug, um ihm klar zu
machen, daß ein rascher Entschluß gebo
ten sei. Dieser hatte mit übermäviger
Anstrengung gearbeitet, das Gewicht
der aus ihm ruhenden Pflicht nno Ver
antwortlichkeit hatte seine ganze Energie
geweckt und das Resultat seiner Leistun
gen während eines Zeitraums von
sechs Monaten berechtigte ihn z» eini
gen Ansprüchen. Er wandte sich an
den Minister und erhielt die dringend
erbetene Anstellung als Mitglied eines
Regicrungs-Kollcgiums in einer andern
Provinz.
Voll .sroher Hoffnung für seine
Laufbahn, wenn auch nicht ohne
manche bange Sorge um die Gestal
tung seines neuen Lebens, eilte er
nach dem einsamen .Pfarrhaufc, und
wurde von allen Bewohnern desselben,
am lautesten und freudigsten von Me
lanie als ErlöfungSengel begrüßt. Er
durfte sich einige Tage der Ruhe und
Erholung gönnen, und hätte gewünscht,
sie im Pfarrhause zubringen zu könne».
Aber Melanie erklärte, sie bleibe keine
Stunde länger, und so mußte er sich
entschließen, ihren Willen gelten zu las»
sen.
Sie brachten einige Tage in einem
Hotel in Berlin zu und der junge Ehe
mann wandte alle ihm zu Gebote ste
hende Beredlsainkeit auf, seine Frau
mit den Wichten ihrer neuen Lebens
stellung bekannt zu »lach«!, ihr Vorsicht
und Zurückhaltung zn empsehleu und
sie so schonend als möglich aus ihre Ver
stöße gegen das gesellschaftliche Herkom
men aufmerksam zu machen. Sie
langweilte sich bei diesen Auseinander
setzungen unaussprechlich, sie hatte nicht
einmal ein Verständniß dafür, daß ihr
Mann nur der Nothwendigkeit gehorche,
wenn cr sic mit derartigen Vorstellun
gen behellige. Sie haßte diese prüden
Bcamkenweiber, wie sie sich dieselben
vorstellte, im Voraus, sic dachte an das
freie, heitere Leben unter den Kunst
genoisen und mit Lebemännern aller
Stände, und seuszke im Stillen über
den Zwang, dem sie sich unterwersen
sollte.
So kamen sie an dem Ort ihrer Be
stimmung au, und das Kreuz, welches
der Baron auf sich geladen hatte, zögerte
nicht, mit einer Wucht auf ihm zu
lasten, daß er fast erlag. Schon vor
seinem Eintreffen war eS bekannt ge
worden, daß er. der Sproß eines alt
adeligen freiheitlichen Geschlechts, eine
KunstrHterin geheirathet hatte, und die
Verschwörung unter den Frauen war
sofort in Scene gesetzt. Alles war ge
spannt daraus, ob er es wagen werde,
sie zu präsentiren. Er wagte es,
aber kein weibliches Antlitz ließ sich
sehen, wo er sich zeigte, kein weiblicher
Fnß betrat seine Schwelle. Das Ehe
paar war, wo es sich zusammen sehen
ließ, in die Acht und Aberacht gethan.
Vielleicht wäre eS der Baronin gelun
gen, durch ein taktvolles und kluges
Benehmen den verabredeten Widerstand
gegen sie erst zu durchbrechen und dann
einzeln zn überwinden. Aber sie war
weder tattvoll nych klug. Sie verab
scheute das „prüde Gesindel", wie sie
die ihr feindliche Gesellschaft nannte,
und revoltirte auf alle Weise.
Man hatte sie am offenen Fenster
Cigarren rauchen gesehen; in einem
öffentlichen Garten hatte sie, während
sämmtliche Lorgnons der Damen dcr
Kauts volss jede ihrer Mienen und Be
wegungen beobachteten, trotz dcr Ab
mahnung ihres Gatten, dic Füße auf
einen gegenüberstehenden Stuhl gelegt
—es war furchtbar! Der Baron be
fand sich in einer verzweifelten Lage,
er konnte sich unmöglich mit allen Ehe
männern der Frauen schlagen, welche
sich Impertinenzen gegen die seinige er
laubten. Ausgewachsen in den gewähl
ten Formen vornehmer Kreise, litt er
Höllenqualen unter den tausendsachen
Beschämungen und -Kränkungen, dte et
täglich schweigend hinnehmen mußte,
wollte er das Uebel nicht noch ärger
machen. Und als ob ein böser Dämon
in das bizarre Geschöpf gefahren wäre,
gefiel sich die „gnädige Frau" sörmlich
darin, den Anlaß zum Skandal zu
provoziren. Unglücklicher Weise befan
den sich unter den Ossicicrcn der Gar
nison mehrere, welche die Frau Baro
nin als Kunstreiterin gekannt hatten.
Bei einer zufälligen Begegnung er
neuerte sie diese Beianntschast, ohne
daß der Baron es verhindern konnte,
und seit dein circulirten beiden Danien-
Kascs täglich neue Skandalgeschichten
von den Beziehungen der Kunstreiterin
zu ihren ehemaligen Bewunderern.
Dem gegenüber war dcr Baron voll
kommen wafienloS, Wenn er auch seine
Versetzung beantragte und erhielt, so
war cr. wie cr den Charakter seiner
Frau kennen gclernt hatte, sicher, las;
dieses Elend sich an jedem neuen Orte
wiederholen würde. Der Aerger wars
ihn nus's Krankenlager: sie kümmerte
sich wenig oder gar nicht um ihn. und
schien sich ihre Freiheit in einer Weise
zu nutze zu machen, daß selbst wohl
wollende und vorurtbeilslose Personen
es für ihre Pflicht erachteten, ihn zu
warnen. Der unglückliche Mann war
an Leib und Seele gebrochen und hoffte
im Stillen, daß feine Krankheit einen
tödtlichen Ausgang nehme, und cr sü
das auf ihm lastende Elend auf einmal
abschütteln werde.
Aber so gut sollte es ihm nicht wer
den. Das Maß der Schande, welche
das noch immer geliebte Weib auf sei
nen Namen gehäuft, war noch nicht
volj. Es wareiiieKunstrcitcrgesellschaft,
bestehend aus versprengten Mitgliedern
anderer Truppen, angelangt, unter ih-°
nen befand sich Monsieur Isidore. Sie
gaben mit geringem Erfolge eine Reihe
von Vorstellungen, beendigten sie plötz
lich, und als sie abgezogen waren, war
Melanie verschwunden und nichts von
ihr zu sehen und zu hören. Was sie
an werthvollen Habseligkeiten besaß,
hatte sie mitgenommen.. Es unterlag
nicht- dem mindesten Zweifel, daß sie
mit Isidore aus und davon gegangen
wär.
Der Baron versiel in ein hitziges
Ncrvensieber. von welchem er sich erst
nach Monaten erholte. Als er nach
seiner Wiedergenesung eine Anzahl ein
gegangener Briefe musterte, siel ihm ein
Billet von fremder Handschrift mit dem
Poststempel Amsterdam auf.
ES war von Isidore, der ihm in
wohlftylisirten französischen Wendun
gen ironisch anzeigte, daß Madame la
Baronne sich in erwünschtem Wohlsein
besinde und mit Vergnügen an den an
genehmen Ausenthalt im Hause des
würdigen LandpfarrerZ nnd unter den
Standesgei offen des Herrn Baron zu
rückdenke. Was ihn Isidore be
treffe. so werde die Gcrcchtigkeitsliebe
des Herrn Baron hm kcinen Vorwurf
daraus mach n. dav er sich des Besitz
thumS wieder bemächtigt habe, aus das
ihm so viel ältere Anrechte zuständen.
Noch einmdl begab sich der Baron
zum Minister. Dieser erschrak, als er
den zum Greise gewordenen Mann
wiedersah- Er entdeckte ihm das Elend
seines Zustande-, und bat ihn im
Tone eines vollständig Gebrochenen,
um seine Mitwirkung, damit er durch
den Ressortminister eine Anstellung im
auswärtigen Amte, und zwar außer
halb Europas erhalte. Je entfernter
der Ort. setzte cr hinzu, desto willkom
mener werde er ihm sein. Bald darauf
erhielt cr seine Ernennung als Eonsul
in cincm Hascnort von Südamerika.
Er sollte scincn Bestimmungsort nicht
erreichen. Denn nachdem cr seinen
Sachwalter mit der Ausstellung der Ehe
scheidungsklage beanstragt hatte, reiste
er ab, ertrantte aus dcr Insel Sankt
Thomas am gelben Fieber, und nach
iveiiig Tagen sand das gequälte Herz
für immer Ruhe.
ö.
ES ist um dieselbe Jahreszeit und
Tagesstunde, zu welcher unsere Geschichte
begönne» hat. 'Aber eine ganze Reihe
von Jahren liegt dazwischen. Wie da
mals, ist der Hiininel von grauen Re
genwolten umzogei'. und seit Tagesan
bruch fällt ein seiner, prickelnder Re
gen herab.
Ei» alter Herr von stattlichem Wuchs
mit graucin Haupthaar und vollem
Bart geht eben, von der Schloßsreiheit
einbiegend, die Stechbahn entlang.
Unwillkürlich wird sein Schritt lang
samer und als ob eine alte Erinnerung
in ihm lebendig wurde, sucht sein Auge
in der Dämmerung des trübe brennen
den Gaslichts die Gestalt zu unterschei
de», welche zwischen zwei Pfeilern am
Boden hockt. Es ist eine Frauensper
son in zerlumpten Kleidern, mit weißem
Häupthaar und einem Antlitz, aus dem
der Stumpssinn spricht. Bei dcr An
näherung des Frcmdcn hält sie diesem
ein Korbchen mit dem heiseren Ruse ent.
gegen:
„Schwefelhölzchen, lieber Herr, ein
Dreier das Packet".
Der Fremde, der kein anderer ist, als
dcr uns wohlbekannte Landschaftsrath,
hat aber noch keine Zeit gehabt, der
wohlthätigen Regung seines Innern zn
folge», als die warnende Stimme des
Hesepes in Gestalt eines wohlgenährten
SchußmannS dazwischen tritt.
„Nun. was sind das Mieder fiir
Dummheiten", redet er die Bettlerin
an. „will sie wieder Quartier im Ar
beitshause haben? Es ist doch zum
Teuselholcn mit dem Weibe."
Tie Bettlerin scheint an den Klang
dieser Stimme gewöhnt zu sein, denn
sie erhebt sich mühsam, indem sie einen
Krückstock zur Hilse nimmt. Ter
Schußmann, welcher sich durch die
distinguirte Erscheinung des Fremden
zur Höflichkeit angeregt fühlt, bemerkt
gegen diesen gewendet, gleichsam zur
Erläuterung:
.Sie glauben nicht, was diese einzig»
Perion uns nr Arbeit macht. Sie
kommt vom Po i eigerich ga.- nicht Her-
unter, und hat es doch gar nicht nöthig,
zu betteln. Aber sie ist unverbesserlich,
und es nimmt mich nur Wunder, daß
sie sich nicht schon zu Tode getrunken
hat. Sollten Sie eS glauben, daß
diese elende Person, wie sie hier vor
Ihnen steht, eine Baronin ist?"
Der Landschaftsrath fuhr in unwill
kürlichem Entsetzen zurück. „Und ihr
Name?"
Der Schutzmann nannte ihn und er>
schüttert betrachtete der Rath die Jam
mergestalt, die vor ihm stand und das
Gesicht, das. einstmals so strahlend,
jetzt den Ausdruck der tiessten Herab
würdigung geistiger Menschennatur
darbot.
„Wissen Sie etwas Näheres von ihrer
Geschichte?" sragte cr den Schutzmann,
„namentlich, wie sie so hcrabgekommen
ist?"
„Das ist eine bekannte Sache. Sie
hat als junges Mädchen und als sie
noch Kunstreiterin war. Bekanntschast
mit einem jungen Baron gehabt, der sie
auch geheirathet hat.
Dann ist sie mit ihrem früheren Lieb
haber' einem Clown bei Franconi,
durchgegangen, ist zu Schaden gekom
men. hat sich, wer weiß wo, umhergc
tricben und ist schließlich auf dem
Schübe hierher als nach ihrem Hei
mathsorte transportirt worden. Meh
rere vornehme Leute, welchen es unan
genehm war, daß „die Frau Baronin"
alle Augenblicke wegen Bettels, Arbeits
scheu und Obdachlosigkeit u. s. w. vor
Gericht stand, und daß der vornehme
Name in den Zeitungen erwähnt wurde,
haben eine ausreichende Summe zu
sammengeschossen, von der sie nothdürs
tig leben konnte. Aber bei der fällt
Alles wie auf einen heißen Stein.
hat sie baarcS Geld, so vertrinkt sie
Alles und wenn sie nicht eingesperrt
ist, so treibt sie sich umher und bet
telt".
Die Bettlerin hatte sich, als man keine
Notiz von ihr nahm, wieder am Boden
hingekauert.
Der Landschastsrath nahm dcnSchutz
mann bei Seite: „Sie scheinen ein
Mann -von wohlwollender Gesinnung
zu sein ich möchte Sie wohl um eine
Gefälligkeit ersuchen —, die natürlich
Ihren Dienstpflichten nicht zuwider
läuft —"
Der Schutzmann, für den der Ton
des Fremden etwas Jmponirendes hatte,
richtete sich straff in die Höhe und faßte
zum Zeichen seiner Bereitwilligkeit mit
zwei Fingern an den Schirm seines
Helms.
„Ich kenne die Familie fuhr der
Rath fort, „deren Namen diese unglück
liche Person trägt und wie elend sie auch
immer sein mag, ich möchte auf jede
Weise verhindern, daß sie noch mehr
Aergerniß gibt. Wenn Sie es verant
worten können, sie nicht zur Haft zu
bringen, sondern sie nach ihrer Behau
sung zu schaffen, so würden Sie mir
einen Dienst leisten."
„Sehr wohl, Herr, das kann ich ohne
Weiteres, wir haben sogar Ordre, mög
lichst wenig Aufhebens von ihr zu ma
chen."
„Ich bin Ihnen aufrichtig verbun
den. Dann hätte ich aber noch eine
Bitte. Sie scheinen nicht allein ein
wohlwollender, sondern auch ein ein
sichtiger und erfahrener Maun zu sein,"
(Der Schutzmann salutirte abermals
militärisch). „Ich möchte, wenn Sie
mir die Gefälligkeit erweisen wollen,
mit Ihnen berathen, aus welche Weise
man wirksam dasür sorgen könnte, daß
das elende Wesen versorgt und gleich
zeitig verhindert würde, diese Lebens
weise fortzusetzen. Wollen Sie so ge
fällig sein, mich zu diesem Zweck mor
gen früh in meinem Hotel zu besuchen,
wenn Ihr Dienst es erlaubt?"
„Ich stehe ganz zu Befehl Herr
Baron, und werde mich prompt ein
finden, wenn Sie die Gewogenheit ha
benwollen, mir Ihre Adresse zu sagen."
„Hotel du Nord, Nummer 5."-
„Sehr wohl, Herr Baron ich
werde nicht versehlen." Dmnit wandte
er sich wieder zur Bettlerin, half dieser
auf die Beine und geleitete sie durch
den Regen und die Finsterniß nach
Hause.
Aber die Fürsorge unseres alten
Bekannten sollte zu spät kommen. Denn
seiner Zusage gemäß fand sich zwar
der Schutzmann zur bestimmten Stunde
ein, es bedurste aber keiner Berathung
mehr über die sicherste Art, die Vaga
bundin zu versorgen. Denn die Mel
dung des zu Rathe gezogenen Schutz
mannes lautete:
„Habe gehorsamst zu melden, Herr
Baron, daß die „gnädige Frau" kein
weiteres Unterkommen mehr nöthig hat,
indem sie heute früh todt in ihrem
Bette gesunden worden ist."
(Ende.)
Gedankensplitter.
LaS Leben könnte viel heitrer sesn,
wenn die Menschen es ernster nehmen
wollten.
Unverständige Frauen halten sich
meist sür unverstanden.
Zum Unglücklichsein hat Jeder Ur
sache-, wohl dem, dcr keine Zeit dazu
hat.
Denken vereinsamt, fühlen vereint.
Für einen Mann, der sich von seiner
Frau beherrschen läßt, ist es allerdings
gut, daß er beherrscht wird.
Boshaft. Dame: „Sie Ha
sen meine Tochter singen gehört; glau
ben Sie nicht auch, daß sie eine Zukunft
hat?" Herr: „O gewiß; sie kann seh,
alt werden!"
Scherzfrage. In welches
Buch werden die kühnsten Heldenthaten
des Menschengeschlechts eingetragen?
Zn das standesamtliche HeirathS-,
register!
Zahme Thiere tn der Wildntß»
Die merkwürdige Zahmheit der Thie
re in Gegenden, die nicht oder selten
don Menschen «betreten werden, hat
schon manchen Reisenden in Erstaunen
gesetzt. Ueberraschende Dinge berich
tet u. A. Tarwi» über das Verhalten
der Vögel auf de» Äalapagos-Inseln.
einer etwa «ivllv Scenieile» westlich von
Süd-Amerika gelegenen Inselgruppe,
die wegen ihrer eigenthümlichen Thier-
und Pflanzcnwclt auf der Reise des
großen Naturforschers zu wissenschaft
licher Berühmtheit gelangt ist. Die
Finken, Zaunkönige, Tyrannen - Flie
genschnapper. Tauben und Aas-Bus
sarde kamen häufig hinreichend nahe,
um mit einer Gerte oder mit dem Huie
todtgeschlagen zu werden. „Eine Flin
te," sagt Darwin in seinem Reifetage
buch, „ist hier beinahe überflüssig: denn
einmal stieß ich mit dem Flintenlanf
einen Falken vom Zweige eines Bau
mes herunter. Eines Tages kam, wäh
rend ich am Boden lag, eine Spott
drossel und setzte sich am Rande eines
aus dcr Schale einer Schildkröte gefer
tigten EimerS, den ich in meiner Hand
hielt und sing ganz ruhig an. das Was
ser zu schlürfen; sie ließ mich den Eimer
vom Boden heben, während sic darauf
saß: ich habe oft versucht, und es wäre
mir beinahe geglückt, diese Bögel bei
ihrcn Beinen zu saugen. Frü
her schienen die Vögel selbst noch zah
mer zu sein als jetzt. Cowley erzählt
(im lah e 16Z4), daß „die Turteltau
ben so zahm waren, daß sie sich ost auf
unfern Hüten und Armen niederließen,
so daß wir sie lebendig sangen konnten:
sie fürchteten sich nicht vor den Men
schen, bis zu dcr Zeit, wo einige Leute
aus unserer Gesellschaft nach ihnen
schössen, wodurch sic scheuer gemacht
wurden." In demselben Jahre sagt
auch Tampier, daß ein Mann aus dem
Spaziergange eines Morgens sechs oder
sieben Dutzend von diesen Tauben töd
ten könne. Obschon sie sicherlich sehr
zahm sind, so lassen sie sich doch jetzt
nicht mchr auf den Armen der Leute
nieder, noch lassen sie sich in so großer
Anzahl tödten. Ueberraschend ist eS,
daß sie nicht wilder geworden sind;
denn während dcr letzten 15«) Jahre
sind diese Inseln häufig von Flibustiern
und Walsischfahrern besucht worden;
und wenn die Matrosen beim Suchen
nach Schildkröte» durch dic Wälder ge
hen. haben sie immer ihr grausames
Vergnügen daran, die kleinen Vögel
todtzuschlagen."
Darwin besuchte die Inseln im Jah
re 1835. Bis 1832 waren sie unbe
wohnt gewesen; in diesem Jahre wurde
von Ecuador aus auf der Charles-In
sel eine Kolonie gegründet, die aber
nach einiger Zeit wieder zerfiel. In
den siebziger Jahren errichtete Jose
Baldigem eine neue Ausiedlung; er
wurde aber im Juli 1878 von seinen
Leuten ermordet. Seit dieser Zeit
ist die Charles-Insel wieder ganz ver
lassen. Dagegen findet sich jetzt eine
blühende Niederlassung auf Chatham,
dcr östlichen Insel. Sie wurde von
Scnnor Manuel Bobos 1879 gegrün
det. ES wird hier, wie he l!iiifig bcm.'rkt
werdcn inag, besonders Zucker gebaut,
außerdem Kasse. Orangen, Zitronen
und andere Gewächse. Auch einige
Teutsche befinden sich in der Gesell
schaft.
Trotzdem nun die Chatham-Jnfel
seit mehr als zehn Jahren bewohnt ist,
hat sich das Verhalten der Vögel gegen
den Menschen merkwürdigerweise nicht
geändert. Tie hieraus bezüglichen Be
obachtungen, welche Dr. Georg Baur
bei einem längeren Besuche der Gala
pagos-Inseln im vorigen Jahre ge
macht hat. lassen die Zahmheit der
Thiere zun, Theil noch größer erschei
nen, als Darwin sie gefunden hat.
Baur erzählt, daß die kleinen Finken
und namentlich dic Fliegenschnäpper oft
herankamen und sich, wenn man sich
ruhig verhielt, auf Hut und Schulter
oder auf den Lauf der Flinte setzten.
Wie Darwin, berichtet auch Baur, daß
nia» dic Vögel mit einer Gerte erlegei'
könne.
Sehr eigenthümlich ist eS, daß auch
die Ente, die doch sonst ein so scheuer
Vogel ist, diese Zahmheit besitzt. Eines
TageS ritt Baur mit seinen Begleitern
in die Berge nach einer kleinen Lagune,
um Enten zu erlegen. Sie fanden an
drei Dutzend Stück vor, die ruhig sitzen
blieben. Man schoß verschiedene Male
dazwischen um sie zum Auffliegen zu
bewegen; sie flogen auch auf, kehrten
aber bald wieder auf's Wasser zurück.
Baur sah zwei Enten, die von den üb
rigen getrennt waren; er erschoß die er
ste, die zweite blieb ruhig, wo sie war,
so daß er sie mit einem zweiten« Schuß
erlegen konnte.
Daß auf die unbewohnten Inseln
der GalapagoS die Vögel nicht wilder
geworden sind, erscheint hiernach selbst
verständlich. Aus der Jndefatigable-
Jnfel fand Bauer die Bussarde (Dar
win'S „Falken") in kleinen Gesellschaf
ten auf den Büschen sitzen, wo sie ruhig
verbleiben, wenn man sich ihnen nä
hert; „sie -sehen Einen nur erstaunt an,
als wollten sie sagen: „wer bist denn
Du und was willst Du hier?" Sie
lassen Einen ganz nahe an sich heran
kommen ohne wegzufliegen. Ich werfe
einen Stein neben sie in die Büsche, sie
rühren sich nicht; ich nehme ein Stück
Holz, das ich am Strande finde, und
werfe eS zwischen sie, worauf einige sich
bewogen fühlen, sich auf den nächsten
Busch, ein paar Schritte weit entfernt
niederzulassen."
Baur betrachtet die Zahmheit der
Vögel als eincn Beweis dafür, doß die
GalapagoS-Jnseln niemals von Men
schen bewohnt waren, ehe sie von den
Dpariern (im 16. Jahrhnndert) ent
deckt wurden. Seine Beobachtungen
bestätigen die Richtigkeit des Tarwin'-
schen Schlusses, daß die Wildheit der
Vögel in Bezug auf den Menschen ein
eigenthümlicher, besonders gegen ihn
gerichteter Instinkt sei, und daß sie
nicht von den einzelnen Vögeln in einer
kurzen Zeit, selbst wenn sie versolgt
werden, erlangt werde, sondern viel
mehr im Laufe auf einander folgender
Generationen sich durch Vererbung her
ausbilde.
Der Muß aIS KreifSorga».
Ueber den Gebrauch des menschlichen
Fußes als Greisorgan wurde kürzlich
in einer Sitzung dcr Pariser anthropo
logischen Gesellschaft eine interessante
Erörterung gepflogen. Felix Regnanlt
wies auf die Thätsache hin, daß die
Hindus sich bei mannigsachen Fähig
keiten nicht nur der Hände, sondern
auch der Füße bedienen. Dem Tischler
dient der Fuß als Bankhalter, den»
Schuhmacher als Leisten, und die
Schlächter pflegen das Messer zwischen
dcr ersten und zweiten Zehe zu halten
und das Fleisch unten zu durchschnei
den, während sie es mit den Händen,
festhalten. Diese Thätigkeit beruhe
hauptsächlich auf der Beweglichkeit der
großen Zehe, wozu noch eine anatomi
sche Eigenthümlichkeit hinzukomme,
nämlich dcr beträchtige AbsMnd zwischen
dcr ersten (großen) und der zweiten
Zehe, welcher sogar zuweilen den gewal
tig, Betrag von 49 Millimetern er
reicht.
Ohne Mithilfe dcr Finger können die
beiden Zehen weiter von einander ent
fernt werden, und wenn sie einander ge
nähert werden, so berühren sie sich nur
mit den Spitzen, wie eine richtige
Zange. Vinson äußerte die Ansicht,
daß diese Beweglichkeit des Fußes bei
den Asiaten damit zusammenhänge, dak
sie kein Schuhwerk tragen; er selbst
hätte es in Indien im Älter von 12
bis 13 Jahren, als er.oft mit bloßen
Füßen lief, dahin gebracht, mit dem
Fuß einen Gegenstand von dcr Erde
auszuheben. >
Manouvrier bemerkte, daß bei den
ohne Schuhwerk gehenden Völkern die
große Zehe mit dem inneren Rande des
FußeS in derselben Linie liege, und
daß sie bei den civilisirten Menschen
ehemals die gleiche Lage gehabt habe.
Man finde anch diese Lage bei kleinen
Kindern, die noch kein Schuhwerk ge
tragen haben; und wenn man den
nackten Fuß auf den Boden drücke, s»
habe dle große Zehe (die sonst, infolge
des Drucks, den das Schuhwerk aus
übt, mit dem inneren Fußrande einen
Winkel bildet) die Neigung, jene natür
liche Lage wieder anzunehmen. Zwi
schen der großen Zehe und dcr zweiten
Zehe sei bei uns ein Zwischenraum von
etwa 1 Eentimeter am Grunde, und
man könne diesen Zwischenraum wieder
herstellen, wenn man die große Zehe
mit der Hand soweit abbiegt, bis sie die
erwähnte Lage erreicht hat.
Auch Oberst Duhousset sprach die
Meinung aus, daß die Beweglichkeit der
großen Zehe bei den Indern weniger
durch angeborene anatomische Beson
derheiten, als durch die Uebung erlangt:
werde. Er wies darauf hin, daß auch
die Hand erst nach und nach die Fähig
keit des Fühlens und Greifens erwerbe..
Das Kind hält zuerst das Endglied de»
Daumens un'er den vier anderen Fin
gern verborgen: wenn es sich darum
handelt, einen Gegenstand zu ergreifen,
so streckt sich der Daumen aus, aber er
bleibt noch lange an das erste Glied des
Zeigefingers angelehnt, und dcr Druck
zwischen der äußeren seitlichen
Fläche des Daumens und der Innen
seite der vier gekrümmten Finger voll
führt.
Hierin unterscheidet sich die Hand
des KindeS nicht von der Greifweise des
Affen. Duhousset neigt zu der An
nahme, daß tzie spätere Oppositionsstel
lung des Taumens beim Greisen dem
Kinde durch den Instinkt der Verthei
digung eingegeben wird, der es die
Faust ballen, d. h. das Endglied des
Daumens fest gegen den Mittelfinger
pressen läßt. Bevor indessen diese
Stellung erreicht wird, besteht die
Angriffsgeberde darin, daß bei
ansgestrecktem 1 Daumen die oFinger
nägel gegen die Handfläche gedrückt
werden; in dieser Stellung ist der
Daumcn aber leicht einer Ver
letzung ausgesetzt und sie wird daher
bald durch die wirkliche Fauststcllung
ersetzt. Der Mann droht im Allgemei
nen mit der geschlossenen Faust, weil
er die Stärke dieser Angriffsstellung
kennt. Die Fran dagegen, die weni
ger die Gewohnheit dcS Faustkampfcs
hat, macht, wenn sie droht, eine Ge
bende, die dcr des Kindes ähnlich ist:
die Fingernägel sind frei und dcr Dau
men ist ausgestreckt, wie man dies täg
lich beobachten kann.
PHAuch in Persien bedient sich, wie
Duhousset feststellen konnte, bei den
meisten Handwerken dcr Arbeiter fast
ebenso des Fußes wie der Hand; dem
Drechsler ist er ein unentbehrlicher Ge
hilse, und der Schlächter, der Ziseleur
verschmähen eS nicht, ihn znr Mitthätig
keit heranzuziehen. In Indien sieht
man täglich die jungen Mädchen mit
riesigen Knpsergefäßen auf dem Kopf
vom Brunnen kommen.
Sie halten die große Last im Gleich
gewicht, während sie nur mit der linken
Hand das Gefäß berühren. Sobald
sie aber einen Gegenstand, so klein er
auch sei, im Sande blinken sehen, er
reift ihn ihr Fuß mit der Zehe und
hergibt ihn der rechten Hand, fast ohne
daß im Gehen Halt gemacht würde.
Hier Und in den anderen Fällen ist es
besonders der rechte Fuß, dcr in Thä
tigkeit tritt.
Stilles Hoffen. „Sagen
Sie mir nur. was thut denn das alte
Fräulein Huber jeden Morgen am
Standesamt droben?" „Mein Gott,
sie hofft halt immer, es könnt' doch ein
mal ein Bräutigam übrig bleiben!"
Heimgeleuchtet. Ein rich
tiger Bummler und Faulenzer prahlte
einst in einer Gesellschaft, daß er täg
lich früh 4 Uhr. spätestens 5 Uhr, auf
stehe. „So bald also." ruft ihm
einer der Anwesenden zu, „fangen Sie
schon an, nichts zu thun?!" 3