Die gnädige Frau. (3. Fortsetzung und Schluß.) „Er ist verrückt", murmcltc dic Kunstreiterin vor sich hin „cs ist fchadc um ihn, denn sie ist cs nicht werth. Dummheit, Verrücktheit und Schlechtigkeit an aüen Ecken und En den! Ich habe große Lust. Almansor ?.u verkaufen und mineinen Dienst als Schenermagd zu suchen. Aber ich tveiß, ich werde es doch nicht thun. Ich werde auch einmal so mit zerbrochenen Gliedern im Sande liegen nnd wenn das Glück gut ist, im Spitale sterben, wenn'S schlimmer kommt, als Krüppel betteln gehen. Aber sie kommen —- Die Kranke, welche wieder zu sich ge iommcn war und ihre Schmerzen mit vieler Gednld crtrug, wurde von sechs ihrer Collcgen ans einer Bahre nach dcr Wohnung der Frcnndin geschafft und deren Olihut übergeben. Unter Beru fung ans den Ausspruch des Arztes er klärte sie, daß Niemand die Kranke stören dnv'e, „Ohne Ausnahme?" fragte Isidore mit cincm lauernden Blicke. „Gute Nacht!" lautete die lakonische Antwort dcr barmherzigen Samarite rin. und sie geleitete den verwegenen Clown sammt der übrigen Gesellschaft hinaus und schloß die Thür ab. Schon am nächsten Tage suchte der "Baron Melanie aus. Er sand sie lei dend. aber geduldig. Sie empfing ihren Verehrer mit unverholener Freude, und die Versöhnung war schnell geschlossen. Aber was nun weiter? Mit Entsetzen hatte das Mädchcn ans einzelnen An deutungen entnommen, daß sie sitr lange Zeit, vielleicht für immer ihrer Karriere würde entsagen müssen. „Dann gehe ich ins Wasser!" hatte sie voll Verzweiflung ausgerufen. Der Baron machte ihr wegen ihres Mangels «in Sündhaftigkeit Vorwürfe. „Sie sind noch tausendmal unverständiger als ich," ries sie hestig aus, „was kann ich Besseres thun, als ins Wasser gehen? Vielleicht lieber ins Kloster? Ich bin nicht katholisch und wen» auch lieber ins Irrenhaus, das ist doch we nigstens die unterhaltendere Art vön A-errückthcit." Die Lage der Verunglückten wurde aber noch kritischer, als wenige Tage daraus der CircnS, in welchem die Kunstrcitergcsellschast ihre Vorstellungen gegeben hatte, abbrannte, nnd der Tireetor mit der ganzen Truppe ab reiste. Clementine mnßte sich, so leid «s ihr that, anschließen; sie hatte keinen genügende» Vorwand, ihrcn Kontrakt .zu brechen, und der Dircctor war nicht gewillt. sie freiwillig zu entlassen. Und Melanie? Es war nicht weiter von ihr die Rede. Der Dircctor glaubte das 'Acußerstc gcthan zu haben, wenn cr ihr eine Monatsgage auszahlte und das Honorar des Arztes im Voraus be richtigte. Das Uebrigc war ihre Sache. Somit war die Fürsorge für sie dem Baron früher, als i?r cs geahnt hatte, ganz allein zugefallen. Mit Aufwen dung aller ihm zu Gebote stehenden, eben nicht erheblichen Geldmittel, suchte er das LooS dcr Kranken, soviel in sei nen Kräften stand, zu erleichtern. Er mieihete die Wohnung, in der sie sich liesand, engagirte eine Wärterin und sorgte sür jede Art von Komfort. Aber was weiter? Die Frage trat bei Tage und Nacht immer mahnender, fast drohend an ihn heran. Was sollte werden? Konnte cr das arme, viel leicht verkrüppelte Geschöps hilflos in dic Welt hinausstoßen? Und doch waren seine Hilfsquellen wesentlich grö ßer, als die ihrigen? Sein mütterli ches Erbtheil hatte er vollständig aufge zehrt: dcr Vater hatte ihm nichts hin terlassen als das Recht, sür eine etwaige Staatz-Carriere die hohe Beaink'iistcl lung des.Verstorbenen als Grund der Berückfichligung geltend zu machen. Die einzig n Geldmittel, welche dem Baron in unregelmäßigen Zwischen räume» zulanie», rührten von der Zante StittSdame her, von dcr in der Familie die Sagc ging, daß sie den hosinnng-ZU'.'llcn Nesse» zum Universal erben einsetze» werde. Je weniger aber dic, ans etile glänzende Carriere des junge» Mannes geletzten Hoffnungen in ErsüUung gingen, desto zurückhal tender wurde die alteTame. Erst als die Vcrbindnng mit der Tochter des LegalionZraths sich zu realisircn schien, floß die UnterstützungSquelle wieder reichlich, reichlicher als je. Jetzt war sie vollends versiegt. In scincr äußer sten Bedrängniß, und da scineGeldmit tel vollständig erschöpft waren, hatte d.r Hilflose sich an die, bei manchen Wund'ilichkeitcu doch wohlwollende glte Tame gewendet. Tie Antwort traf umgehend ein und enthielt ei» dürres, unumwundene» Nein. Sic würde eS niemals vor ihrem Gewisse» verantworten können, schrieb die fromme Dame, ihre Mittel, von deren nützlicher Verwendung sie dereinst Rcchenschast abzulegen habe, den Ar men und Waisen zu entziehen, damit ein gott- und pflichtvergessener Undank barer mit de- Hese des weiblichen Ge schlechts in schmachvoller Gemeinschaft sündhafter Ueppigkeit fröhnen könne. Sic werde fortan keinen Brief des «.Verlorenen" mehr annahmen: über ihren dereinstigen Nachlaß habe sie be reits zu Gunsten milder Stiftungen letztwillige Versügung getroffen. Diese Nachricht traf den ohnehin Ge beugten. wie ein Tonnerschlag. Jetzt war «r ein Bettler. Und jetzt gerade sollt« «r das kaum genesene Mädchen, an dem fein Herz mit wahnsinniger Leidenschaft hing, aufgeben? Nimmermehr lieber sterben, mit ihr zusammen ster ben. Er machte ihr allen Ernstes den Vorschlag sie lachte ihn aus. Sie hatte keine Spur jener bizarren Ro mantik, welche einen Reiz darin ahnt, sich mit dem Geliebten ans der Misere des Daseins in das Jenseits ,n retten» Wäre der Baron weniger von Leiden schaft verblendet gewesen, so hätte er sehen müssen, daß' sie seine Liebe mehr dulde, als erwidere. In dem Maße, als sie sich von den Folgen der erlittenen Beschädigung wieder zu erholen begann, wuchs ihre Sehnsucht nach der Abenteuerlust ihres bisherigen Lebens, obschon sie sich überzeugen mußte, daß sie unsähig war, wieder zu Pferde zu steigen. Als sich nun für das seltsame Paar die Ver hältnisse immer aussichtsloser gestalte ten, als sich zur Bedrängniß der Man gel gesellte und aus diesem die Noth erwuchs, zeigte das leichtsinnige Mäd chen sich doch noch um ej» gut Theil entschlossener, als ihr Liebhaber. Sit erklärte ihm unumwunden, das könne nicht so sortgehen, sie werde in den nächsten Tagen abreisen. Er besäße nichts und sie müßte sehen, wie sie sich durchs Leben schlage. Auf seine er staunte Frage, was sie denn zu begin nen gedächte, entgegnete sie kurz, sie kehre wieder zur Gesellschaft zurück. Könne sie sich sür jetzt auch noch nicht an Knnstproduetioilen betheiligen, so fände sie doch Gelegenheit, sich nützlich zu machen und ihren Lebensunterhalt zu erwerben. „Gesteh' eS nur," rief er ergrimmt, „Dich trcibt die Sehnsucht nach Mon sieur Isidore, und ich bin ein Wahn sinniger, daß ich so viel Liebe und Hin gebung an cin Wesen verschwendet habe, dessen höchster Ehrgeiz eS zu sein scheint, sich an einen Possenreißer zu hängen." „Dieser „Possenreißer," entgegnete sie mit noch größerer Heftigkeit, „ist ein Künstler, ausgezeichnet in seinem Fach, findet jeden Augenblick bei der crstcn Gesellschaft cin Engagement, und kann von dem Ertrage feiner Possen reichlich eine Frau ernähren." „Und Du könntest Dich entschließen, die Frau eines solchen „Künstlers" zu sein?" Am nächsten Tage begab sich der Ba ron zum Minister. Dieser hatte früher unter dem Vater des Barons gearbeitet und war durch de» fördernde» Einfluß des Verstorbenen schnell emporgekom men. Er war überrascht, den jungen Man» als Supplikanten bei sich zu selien und uoly mehr, als dieser die dringende Bitte aussprach, sofort eine Anstellung in der Provinz zu erhalten. „Sie missen", bemerkte der Minister, „daß mir Vergnügen machen würde, Ihren Wünschen sosort zu entsprechen, aber ich kann Ihnen nicht vcrhchlcn, daß die Sache ihr Bedenkliches hat. Die Ge sinnung, welche Sie bekundet haben —" „Ich bitte Ew. Excellenz inständigst, dieses Bedenken auszugeben, dein ich versichere, daß ich keine Spur von Ge sinnung mehr habe —^ „Nun, nun", lächelte die Excellenz und rieb die weißen, fetten Hände, „ich wußte wohl, daß cin junger Kavalier von Ihrer Erziehung derartige wchwär mcrcien bald abstreifen würde. Allein, wcn» Sie sofort beschäftigt fein wollen, so weiß ich Ihne» nichts zu bieten, als ei» Koinmissariuin, das vielleicht Ihren Wünschen wenig entsprechen dürfte, aber die Aussicht auf schnelle Beförde rung eröffnet. Mit großer Lebhaftigkeit versicherte dcr Baron, daß er unbedingt und mit Dank jede Stelle annähme, dic ihm das Wohlwollen des Ministers biete. Zwei Tage daraus war er im Besitze der Ordre, die ihn anwies, sich als Kom missarins dcr Regierung in einen, vsn HungerSnoth und Seuchen heimgesuch ten Distrikt einer entfernten Provinz zu begeben, um dort den dringendsten Nothständen abzuhelfen, die Thätigkeit der Unterbehörden zu leiten und alle erforderlichen Anstalten in s Leben zu rufen. Mit einer freudigen, fieberhaf ten Hast ergriff er den ganzen Plan sei ner neuen Thätigkeit. Er kam zu Melanie: „Ich habe eine Anstellung, ich kann eine Frau ernäh ren. Willst Du meine Frau werden?" Er war bleich und seine Stimme zit terte, als er dies sprach. Sic war in sichtlicher Bewegung und zögerte eine geraume Zeit, ehe sic ant wortete. Endlich sagte sie: „Du bist klüger als ich, Du mußt es besser ver stehe». Aber ich übernehme keine Ver antwortung." Kurze Zeit darauf wurden sie ge traut. Der Baron hatte gewußt, alle entgegenstehenden Schwierigkeiten auf Grund seiner Ministcrialordre zu besei tigen. Er brachte seine Frau aus dem Wege nach seinem Bestimmungsorte zu d'r Familie eines LandpsarrerS, mit dem er von dtr Universität her befreun det war, vertraute sich diesem an und traf mit ihm das Abkommen, daß Me lanie so lange als Mitglied der Familie bei ihm bleibe, bis er sie nach Beendi gung seines Komniis a iiimS abhole. Und so trennten sich die Neuvermählten, er mit schmerzlich bewegtem Herzen, sie in Unruhe und Verwirrung. 5. Die Arbeit, welche des neu ernannte» Regierungs-Eommissarius harrte, war ebenso anstrengend unn mühevoll, als langwierig. Aber mit wahrer Leiden schast stürzte sich der Baron in das Ge wirr der auf ihn einstürmenden Oblie genheiten. Er hatte ein bestimmtes Ziel zu erreichen: er wollt» sich durch seine Leistungen gewissermaßen die Spören verdienen, um möglichst bald eine seinen Wünschen entsprechende, feste Anstellung und mit ihr die Möglichkeit der Vereinigung mit Melanie zu erlan gen. Er schrieb häufig und voll Zärt lichkeit an sie, mahnte sie liebevoll zur Geduld und Beharrlichkeit und empfahl ihr vor allen Dingen Schonung. Nur leise deutet« er ihr an, wie wünschcns werth eS sei, daß sie sich mit Rücksicht auf die Gesellschaftskreise, in denen sie zukünftig leben werde, gewisse Fertig keiten und Formen geläusig mache, und bat sie, sich vertrauensvoll an die Pfar rers anzuschließen. Die Antworten, welche er aus dem Pfarrhauser erhielt, waren spgrlich und wenig befriedigend. Di» junge Frau klagte, sie langweile j fich zum Sterben; die nüchterne Ehr» darkeit der altmodischen Leute bringe sie zur Verzweiflung. Ja, nach einigen Monaten der Trennung machte sie ih rem Gatten allen Ernstes den Vorschlag, ob es nicht gerathener' sei, er gebe sie auf und überlasse sie ihrem Schicksal; sie fühle» daß die Eintönigkeit ihres ge genwärtigen Lebens sie umbringe» müsse; nicht minder Furcht empfinde sie vor dem Zwange der ihrer harrenden neuen Existenz. Was dc>r Pfarrer dem Freunde be richtete, klang trotz des sichtlichen Zwan ges, den dieser sich auferlegte, nicht tröstlicher. Er bedauerte, daß e» ihm beim besten Willen nicht gelingen wolle, der jungen Frau den Ausenthalt in seinem bescheidenen Hause erträglich zu machen. Der brave Mann hatte nicht das Herz, dem Freunde zu sage», daß das unruhige Wesen des Gastes sein Haus vollständig in Verwirrung ge bracht habe und den stillen Frieden sei ner Familie vollständig zu zerstören drohe. Denn die Psarrerin, wie sreund lich und nachgiebig auch gesinnt, em pfand es doch mit immer wachsendem Uiimuthe, daß die Fremde sich an kei nerlei Hausordnung kehren mochte, halbe Tage lang allein in Feld und Wals herumschweiste, und was das Uebelste war, namentlich iin Verkehr mit Männern einen Ton in die Unter haltung einführte, der die züchtige Na tur der Pfarreri» niit wahre»! Schrecken erfüllte. - Nur einmal versuchte sie eS, von Pflichtgefühl getrieben, ein Wort der Mahnung hören zn lassen; aber sie bereute es sofort, als dic lieblose und leichtfertige Aiitwort, welche ihr zu Theil wurde, sie erkennen ließ, daß hier der freundliche Zuspruch niemals einen fruchtbaren Boden finden werde. Sie hielt ein ernstes Zwiegespräch mit ihrem Manne und wie sie es für ihre Pflicht gehalten hatten, dem Freunde den be gehrten Liebesdienst nicht abzuschlagen als jener sich in äußerster Bedrängnitz befand, so erkannten sie es nunmehr als eine Pflicht gegen sich selbst, cincm Verhältniß ein Ende zu machen, das sortan unhaltbar geworden war. In diesem Sinne schrkeb dcr Pfarrer dem Freunde, schonend auch mit Ueber gehung des Bedenklichsten, doch immer hin deutlich genug, um ihm klar zu machen, daß ein rascher Entschluß gebo ten sei. Dieser hatte mit übermäviger Anstrengung gearbeitet, das Gewicht der aus ihm ruhenden Pflicht nno Ver antwortlichkeit hatte seine ganze Energie geweckt und das Resultat seiner Leistun gen während eines Zeitraums von sechs Monaten berechtigte ihn z» eini gen Ansprüchen. Er wandte sich an den Minister und erhielt die dringend erbetene Anstellung als Mitglied eines Regicrungs-Kollcgiums in einer andern Provinz. Voll .sroher Hoffnung für seine Laufbahn, wenn auch nicht ohne manche bange Sorge um die Gestal tung seines neuen Lebens, eilte er nach dem einsamen .Pfarrhaufc, und wurde von allen Bewohnern desselben, am lautesten und freudigsten von Me lanie als ErlöfungSengel begrüßt. Er durfte sich einige Tage der Ruhe und Erholung gönnen, und hätte gewünscht, sie im Pfarrhause zubringen zu könne». Aber Melanie erklärte, sie bleibe keine Stunde länger, und so mußte er sich entschließen, ihren Willen gelten zu las» sen. Sie brachten einige Tage in einem Hotel in Berlin zu und der junge Ehe mann wandte alle ihm zu Gebote ste hende Beredlsainkeit auf, seine Frau mit den Wichten ihrer neuen Lebens stellung bekannt zu »lach«!, ihr Vorsicht und Zurückhaltung zn empsehleu und sie so schonend als möglich aus ihre Ver stöße gegen das gesellschaftliche Herkom men aufmerksam zu machen. Sie langweilte sich bei diesen Auseinander setzungen unaussprechlich, sie hatte nicht einmal ein Verständniß dafür, daß ihr Mann nur der Nothwendigkeit gehorche, wenn cr sic mit derartigen Vorstellun gen behellige. Sie haßte diese prüden Bcamkenweiber, wie sie sich dieselben vorstellte, im Voraus, sic dachte an das freie, heitere Leben unter den Kunst genoisen und mit Lebemännern aller Stände, und seuszke im Stillen über den Zwang, dem sie sich unterwersen sollte. So kamen sie an dem Ort ihrer Be stimmung au, und das Kreuz, welches der Baron auf sich geladen hatte, zögerte nicht, mit einer Wucht auf ihm zu lasten, daß er fast erlag. Schon vor seinem Eintreffen war eS bekannt ge worden, daß er. der Sproß eines alt adeligen freiheitlichen Geschlechts, eine KunstrHterin geheirathet hatte, und die Verschwörung unter den Frauen war sofort in Scene gesetzt. Alles war ge spannt daraus, ob er es wagen werde, sie zu präsentiren. Er wagte es, aber kein weibliches Antlitz ließ sich sehen, wo er sich zeigte, kein weiblicher Fnß betrat seine Schwelle. Das Ehe paar war, wo es sich zusammen sehen ließ, in die Acht und Aberacht gethan. Vielleicht wäre eS der Baronin gelun gen, durch ein taktvolles und kluges Benehmen den verabredeten Widerstand gegen sie erst zu durchbrechen und dann einzeln zn überwinden. Aber sie war weder tattvoll nych klug. Sie verab scheute das „prüde Gesindel", wie sie die ihr feindliche Gesellschaft nannte, und revoltirte auf alle Weise. Man hatte sie am offenen Fenster Cigarren rauchen gesehen; in einem öffentlichen Garten hatte sie, während sämmtliche Lorgnons der Damen dcr Kauts volss jede ihrer Mienen und Be wegungen beobachteten, trotz dcr Ab mahnung ihres Gatten, dic Füße auf einen gegenüberstehenden Stuhl gelegt —es war furchtbar! Der Baron be fand sich in einer verzweifelten Lage, er konnte sich unmöglich mit allen Ehe männern der Frauen schlagen, welche sich Impertinenzen gegen die seinige er laubten. Ausgewachsen in den gewähl ten Formen vornehmer Kreise, litt er Höllenqualen unter den tausendsachen Beschämungen und -Kränkungen, dte et täglich schweigend hinnehmen mußte, wollte er das Uebel nicht noch ärger machen. Und als ob ein böser Dämon in das bizarre Geschöpf gefahren wäre, gefiel sich die „gnädige Frau" sörmlich darin, den Anlaß zum Skandal zu provoziren. Unglücklicher Weise befan den sich unter den Ossicicrcn der Gar nison mehrere, welche die Frau Baro nin als Kunstreiterin gekannt hatten. Bei einer zufälligen Begegnung er neuerte sie diese Beianntschast, ohne daß der Baron es verhindern konnte, und seit dein circulirten beiden Danien- Kascs täglich neue Skandalgeschichten von den Beziehungen der Kunstreiterin zu ihren ehemaligen Bewunderern. Dem gegenüber war dcr Baron voll kommen wafienloS, Wenn er auch seine Versetzung beantragte und erhielt, so war cr. wie cr den Charakter seiner Frau kennen gclernt hatte, sicher, las; dieses Elend sich an jedem neuen Orte wiederholen würde. Der Aerger wars ihn nus's Krankenlager: sie kümmerte sich wenig oder gar nicht um ihn. und schien sich ihre Freiheit in einer Weise zu nutze zu machen, daß selbst wohl wollende und vorurtbeilslose Personen es für ihre Pflicht erachteten, ihn zu warnen. Der unglückliche Mann war an Leib und Seele gebrochen und hoffte im Stillen, daß feine Krankheit einen tödtlichen Ausgang nehme, und cr sü das auf ihm lastende Elend auf einmal abschütteln werde. Aber so gut sollte es ihm nicht wer den. Das Maß der Schande, welche das noch immer geliebte Weib auf sei nen Namen gehäuft, war noch nicht volj. Es wareiiieKunstrcitcrgesellschaft, bestehend aus versprengten Mitgliedern anderer Truppen, angelangt, unter ih-° nen befand sich Monsieur Isidore. Sie gaben mit geringem Erfolge eine Reihe von Vorstellungen, beendigten sie plötz lich, und als sie abgezogen waren, war Melanie verschwunden und nichts von ihr zu sehen und zu hören. Was sie an werthvollen Habseligkeiten besaß, hatte sie mitgenommen.. Es unterlag nicht- dem mindesten Zweifel, daß sie mit Isidore aus und davon gegangen wär. Der Baron versiel in ein hitziges Ncrvensieber. von welchem er sich erst nach Monaten erholte. Als er nach seiner Wiedergenesung eine Anzahl ein gegangener Briefe musterte, siel ihm ein Billet von fremder Handschrift mit dem Poststempel Amsterdam auf. ES war von Isidore, der ihm in wohlftylisirten französischen Wendun gen ironisch anzeigte, daß Madame la Baronne sich in erwünschtem Wohlsein besinde und mit Vergnügen an den an genehmen Ausenthalt im Hause des würdigen LandpfarrerZ nnd unter den Standesgei offen des Herrn Baron zu rückdenke. Was ihn Isidore be treffe. so werde die Gcrcchtigkeitsliebe des Herrn Baron hm kcinen Vorwurf daraus mach n. dav er sich des Besitz thumS wieder bemächtigt habe, aus das ihm so viel ältere Anrechte zuständen. Noch einmdl begab sich der Baron zum Minister. Dieser erschrak, als er den zum Greise gewordenen Mann wiedersah- Er entdeckte ihm das Elend seines Zustande-, und bat ihn im Tone eines vollständig Gebrochenen, um seine Mitwirkung, damit er durch den Ressortminister eine Anstellung im auswärtigen Amte, und zwar außer halb Europas erhalte. Je entfernter der Ort. setzte cr hinzu, desto willkom mener werde er ihm sein. Bald darauf erhielt cr seine Ernennung als Eonsul in cincm Hascnort von Südamerika. Er sollte scincn Bestimmungsort nicht erreichen. Denn nachdem cr seinen Sachwalter mit der Ausstellung der Ehe scheidungsklage beanstragt hatte, reiste er ab, ertrantte aus dcr Insel Sankt Thomas am gelben Fieber, und nach iveiiig Tagen sand das gequälte Herz für immer Ruhe. ö. ES ist um dieselbe Jahreszeit und Tagesstunde, zu welcher unsere Geschichte begönne» hat. 'Aber eine ganze Reihe von Jahren liegt dazwischen. Wie da mals, ist der Hiininel von grauen Re genwolten umzogei'. und seit Tagesan bruch fällt ein seiner, prickelnder Re gen herab. Ei» alter Herr von stattlichem Wuchs mit graucin Haupthaar und vollem Bart geht eben, von der Schloßsreiheit einbiegend, die Stechbahn entlang. Unwillkürlich wird sein Schritt lang samer und als ob eine alte Erinnerung in ihm lebendig wurde, sucht sein Auge in der Dämmerung des trübe brennen den Gaslichts die Gestalt zu unterschei de», welche zwischen zwei Pfeilern am Boden hockt. Es ist eine Frauensper son in zerlumpten Kleidern, mit weißem Häupthaar und einem Antlitz, aus dem der Stumpssinn spricht. Bei dcr An näherung des Frcmdcn hält sie diesem ein Korbchen mit dem heiseren Ruse ent. gegen: „Schwefelhölzchen, lieber Herr, ein Dreier das Packet". Der Fremde, der kein anderer ist, als dcr uns wohlbekannte Landschaftsrath, hat aber noch keine Zeit gehabt, der wohlthätigen Regung seines Innern zn folge», als die warnende Stimme des Hesepes in Gestalt eines wohlgenährten SchußmannS dazwischen tritt. „Nun. was sind das Mieder fiir Dummheiten", redet er die Bettlerin an. „will sie wieder Quartier im Ar beitshause haben? Es ist doch zum Teuselholcn mit dem Weibe." Tie Bettlerin scheint an den Klang dieser Stimme gewöhnt zu sein, denn sie erhebt sich mühsam, indem sie einen Krückstock zur Hilse nimmt. Ter Schußmann, welcher sich durch die distinguirte Erscheinung des Fremden zur Höflichkeit angeregt fühlt, bemerkt gegen diesen gewendet, gleichsam zur Erläuterung: .Sie glauben nicht, was diese einzig» Perion uns nr Arbeit macht. Sie kommt vom Po i eigerich ga.- nicht Her- unter, und hat es doch gar nicht nöthig, zu betteln. Aber sie ist unverbesserlich, und es nimmt mich nur Wunder, daß sie sich nicht schon zu Tode getrunken hat. Sollten Sie eS glauben, daß diese elende Person, wie sie hier vor Ihnen steht, eine Baronin ist?" Der Landschaftsrath fuhr in unwill kürlichem Entsetzen zurück. „Und ihr Name?" Der Schutzmann nannte ihn und er> schüttert betrachtete der Rath die Jam mergestalt, die vor ihm stand und das Gesicht, das. einstmals so strahlend, jetzt den Ausdruck der tiessten Herab würdigung geistiger Menschennatur darbot. „Wissen Sie etwas Näheres von ihrer Geschichte?" sragte cr den Schutzmann, „namentlich, wie sie so hcrabgekommen ist?" „Das ist eine bekannte Sache. Sie hat als junges Mädchen und als sie noch Kunstreiterin war. Bekanntschast mit einem jungen Baron gehabt, der sie auch geheirathet hat. Dann ist sie mit ihrem früheren Lieb haber' einem Clown bei Franconi, durchgegangen, ist zu Schaden gekom men. hat sich, wer weiß wo, umhergc tricben und ist schließlich auf dem Schübe hierher als nach ihrem Hei mathsorte transportirt worden. Meh rere vornehme Leute, welchen es unan genehm war, daß „die Frau Baronin" alle Augenblicke wegen Bettels, Arbeits scheu und Obdachlosigkeit u. s. w. vor Gericht stand, und daß der vornehme Name in den Zeitungen erwähnt wurde, haben eine ausreichende Summe zu sammengeschossen, von der sie nothdürs tig leben konnte. Aber bei der fällt Alles wie auf einen heißen Stein. hat sie baarcS Geld, so vertrinkt sie Alles und wenn sie nicht eingesperrt ist, so treibt sie sich umher und bet telt". Die Bettlerin hatte sich, als man keine Notiz von ihr nahm, wieder am Boden hingekauert. Der Landschastsrath nahm dcnSchutz mann bei Seite: „Sie scheinen ein Mann -von wohlwollender Gesinnung zu sein ich möchte Sie wohl um eine Gefälligkeit ersuchen —, die natürlich Ihren Dienstpflichten nicht zuwider läuft —" Der Schutzmann, für den der Ton des Fremden etwas Jmponirendes hatte, richtete sich straff in die Höhe und faßte zum Zeichen seiner Bereitwilligkeit mit zwei Fingern an den Schirm seines Helms. „Ich kenne die Familie fuhr der Rath fort, „deren Namen diese unglück liche Person trägt und wie elend sie auch immer sein mag, ich möchte auf jede Weise verhindern, daß sie noch mehr Aergerniß gibt. Wenn Sie es verant worten können, sie nicht zur Haft zu bringen, sondern sie nach ihrer Behau sung zu schaffen, so würden Sie mir einen Dienst leisten." „Sehr wohl, Herr, das kann ich ohne Weiteres, wir haben sogar Ordre, mög lichst wenig Aufhebens von ihr zu ma chen." „Ich bin Ihnen aufrichtig verbun den. Dann hätte ich aber noch eine Bitte. Sie scheinen nicht allein ein wohlwollender, sondern auch ein ein sichtiger und erfahrener Maun zu sein," (Der Schutzmann salutirte abermals militärisch). „Ich möchte, wenn Sie mir die Gefälligkeit erweisen wollen, mit Ihnen berathen, aus welche Weise man wirksam dasür sorgen könnte, daß das elende Wesen versorgt und gleich zeitig verhindert würde, diese Lebens weise fortzusetzen. Wollen Sie so ge fällig sein, mich zu diesem Zweck mor gen früh in meinem Hotel zu besuchen, wenn Ihr Dienst es erlaubt?" „Ich stehe ganz zu Befehl Herr Baron, und werde mich prompt ein finden, wenn Sie die Gewogenheit ha benwollen, mir Ihre Adresse zu sagen." „Hotel du Nord, Nummer 5."- „Sehr wohl, Herr Baron ich werde nicht versehlen." Dmnit wandte er sich wieder zur Bettlerin, half dieser auf die Beine und geleitete sie durch den Regen und die Finsterniß nach Hause. Aber die Fürsorge unseres alten Bekannten sollte zu spät kommen. Denn seiner Zusage gemäß fand sich zwar der Schutzmann zur bestimmten Stunde ein, es bedurste aber keiner Berathung mehr über die sicherste Art, die Vaga bundin zu versorgen. Denn die Mel dung des zu Rathe gezogenen Schutz mannes lautete: „Habe gehorsamst zu melden, Herr Baron, daß die „gnädige Frau" kein weiteres Unterkommen mehr nöthig hat, indem sie heute früh todt in ihrem Bette gesunden worden ist." (Ende.) Gedankensplitter. LaS Leben könnte viel heitrer sesn, wenn die Menschen es ernster nehmen wollten. Unverständige Frauen halten sich meist sür unverstanden. Zum Unglücklichsein hat Jeder Ur sache-, wohl dem, dcr keine Zeit dazu hat. Denken vereinsamt, fühlen vereint. Für einen Mann, der sich von seiner Frau beherrschen läßt, ist es allerdings gut, daß er beherrscht wird. Boshaft. Dame: „Sie Ha sen meine Tochter singen gehört; glau ben Sie nicht auch, daß sie eine Zukunft hat?" Herr: „O gewiß; sie kann seh, alt werden!" Scherzfrage. In welches Buch werden die kühnsten Heldenthaten des Menschengeschlechts eingetragen? Zn das standesamtliche HeirathS-, register! Zahme Thiere tn der Wildntß» Die merkwürdige Zahmheit der Thie re in Gegenden, die nicht oder selten don Menschen «betreten werden, hat schon manchen Reisenden in Erstaunen gesetzt. Ueberraschende Dinge berich tet u. A. Tarwi» über das Verhalten der Vögel auf de» Äalapagos-Inseln. einer etwa «ivllv Scenieile» westlich von Süd-Amerika gelegenen Inselgruppe, die wegen ihrer eigenthümlichen Thier- und Pflanzcnwclt auf der Reise des großen Naturforschers zu wissenschaft licher Berühmtheit gelangt ist. Die Finken, Zaunkönige, Tyrannen - Flie genschnapper. Tauben und Aas-Bus sarde kamen häufig hinreichend nahe, um mit einer Gerte oder mit dem Huie todtgeschlagen zu werden. „Eine Flin te," sagt Darwin in seinem Reifetage buch, „ist hier beinahe überflüssig: denn einmal stieß ich mit dem Flintenlanf einen Falken vom Zweige eines Bau mes herunter. Eines Tages kam, wäh rend ich am Boden lag, eine Spott drossel und setzte sich am Rande eines aus dcr Schale einer Schildkröte gefer tigten EimerS, den ich in meiner Hand hielt und sing ganz ruhig an. das Was ser zu schlürfen; sie ließ mich den Eimer vom Boden heben, während sic darauf saß: ich habe oft versucht, und es wäre mir beinahe geglückt, diese Bögel bei ihrcn Beinen zu saugen. Frü her schienen die Vögel selbst noch zah mer zu sein als jetzt. Cowley erzählt (im lah e 16Z4), daß „die Turteltau ben so zahm waren, daß sie sich ost auf unfern Hüten und Armen niederließen, so daß wir sie lebendig sangen konnten: sie fürchteten sich nicht vor den Men schen, bis zu dcr Zeit, wo einige Leute aus unserer Gesellschaft nach ihnen schössen, wodurch sic scheuer gemacht wurden." In demselben Jahre sagt auch Tampier, daß ein Mann aus dem Spaziergange eines Morgens sechs oder sieben Dutzend von diesen Tauben töd ten könne. Obschon sie sicherlich sehr zahm sind, so lassen sie sich doch jetzt nicht mchr auf den Armen der Leute nieder, noch lassen sie sich in so großer Anzahl tödten. Ueberraschend ist eS, daß sie nicht wilder geworden sind; denn während dcr letzten 15«) Jahre sind diese Inseln häufig von Flibustiern und Walsischfahrern besucht worden; und wenn die Matrosen beim Suchen nach Schildkröte» durch dic Wälder ge hen. haben sie immer ihr grausames Vergnügen daran, die kleinen Vögel todtzuschlagen." Darwin besuchte die Inseln im Jah re 1835. Bis 1832 waren sie unbe wohnt gewesen; in diesem Jahre wurde von Ecuador aus auf der Charles-In sel eine Kolonie gegründet, die aber nach einiger Zeit wieder zerfiel. In den siebziger Jahren errichtete Jose Baldigem eine neue Ausiedlung; er wurde aber im Juli 1878 von seinen Leuten ermordet. Seit dieser Zeit ist die Charles-Insel wieder ganz ver lassen. Dagegen findet sich jetzt eine blühende Niederlassung auf Chatham, dcr östlichen Insel. Sie wurde von Scnnor Manuel Bobos 1879 gegrün det. ES wird hier, wie he l!iiifig bcm.'rkt werdcn inag, besonders Zucker gebaut, außerdem Kasse. Orangen, Zitronen und andere Gewächse. Auch einige Teutsche befinden sich in der Gesell schaft. Trotzdem nun die Chatham-Jnfel seit mehr als zehn Jahren bewohnt ist, hat sich das Verhalten der Vögel gegen den Menschen merkwürdigerweise nicht geändert. Tie hieraus bezüglichen Be obachtungen, welche Dr. Georg Baur bei einem längeren Besuche der Gala pagos-Inseln im vorigen Jahre ge macht hat. lassen die Zahmheit der Thiere zun, Theil noch größer erschei nen, als Darwin sie gefunden hat. Baur erzählt, daß die kleinen Finken und namentlich dic Fliegenschnäpper oft herankamen und sich, wenn man sich ruhig verhielt, auf Hut und Schulter oder auf den Lauf der Flinte setzten. Wie Darwin, berichtet auch Baur, daß nia» dic Vögel mit einer Gerte erlegei' könne. Sehr eigenthümlich ist eS, daß auch die Ente, die doch sonst ein so scheuer Vogel ist, diese Zahmheit besitzt. Eines TageS ritt Baur mit seinen Begleitern in die Berge nach einer kleinen Lagune, um Enten zu erlegen. Sie fanden an drei Dutzend Stück vor, die ruhig sitzen blieben. Man schoß verschiedene Male dazwischen um sie zum Auffliegen zu bewegen; sie flogen auch auf, kehrten aber bald wieder auf's Wasser zurück. Baur sah zwei Enten, die von den üb rigen getrennt waren; er erschoß die er ste, die zweite blieb ruhig, wo sie war, so daß er sie mit einem zweiten« Schuß erlegen konnte. Daß auf die unbewohnten Inseln der GalapagoS die Vögel nicht wilder geworden sind, erscheint hiernach selbst verständlich. Aus der Jndefatigable- Jnfel fand Bauer die Bussarde (Dar win'S „Falken") in kleinen Gesellschaf ten auf den Büschen sitzen, wo sie ruhig verbleiben, wenn man sich ihnen nä hert; „sie -sehen Einen nur erstaunt an, als wollten sie sagen: „wer bist denn Du und was willst Du hier?" Sie lassen Einen ganz nahe an sich heran kommen ohne wegzufliegen. Ich werfe einen Stein neben sie in die Büsche, sie rühren sich nicht; ich nehme ein Stück Holz, das ich am Strande finde, und werfe eS zwischen sie, worauf einige sich bewogen fühlen, sich auf den nächsten Busch, ein paar Schritte weit entfernt niederzulassen." Baur betrachtet die Zahmheit der Vögel als eincn Beweis dafür, doß die GalapagoS-Jnseln niemals von Men schen bewohnt waren, ehe sie von den Dpariern (im 16. Jahrhnndert) ent deckt wurden. Seine Beobachtungen bestätigen die Richtigkeit des Tarwin'- schen Schlusses, daß die Wildheit der Vögel in Bezug auf den Menschen ein eigenthümlicher, besonders gegen ihn gerichteter Instinkt sei, und daß sie nicht von den einzelnen Vögeln in einer kurzen Zeit, selbst wenn sie versolgt werden, erlangt werde, sondern viel mehr im Laufe auf einander folgender Generationen sich durch Vererbung her ausbilde. Der Muß aIS KreifSorga». Ueber den Gebrauch des menschlichen Fußes als Greisorgan wurde kürzlich in einer Sitzung dcr Pariser anthropo logischen Gesellschaft eine interessante Erörterung gepflogen. Felix Regnanlt wies auf die Thätsache hin, daß die Hindus sich bei mannigsachen Fähig keiten nicht nur der Hände, sondern auch der Füße bedienen. Dem Tischler dient der Fuß als Bankhalter, den» Schuhmacher als Leisten, und die Schlächter pflegen das Messer zwischen dcr ersten und zweiten Zehe zu halten und das Fleisch unten zu durchschnei den, während sie es mit den Händen, festhalten. Diese Thätigkeit beruhe hauptsächlich auf der Beweglichkeit der großen Zehe, wozu noch eine anatomi sche Eigenthümlichkeit hinzukomme, nämlich dcr beträchtige AbsMnd zwischen dcr ersten (großen) und der zweiten Zehe, welcher sogar zuweilen den gewal tig, Betrag von 49 Millimetern er reicht. Ohne Mithilfe dcr Finger können die beiden Zehen weiter von einander ent fernt werden, und wenn sie einander ge nähert werden, so berühren sie sich nur mit den Spitzen, wie eine richtige Zange. Vinson äußerte die Ansicht, daß diese Beweglichkeit des Fußes bei den Asiaten damit zusammenhänge, dak sie kein Schuhwerk tragen; er selbst hätte es in Indien im Älter von 12 bis 13 Jahren, als er.oft mit bloßen Füßen lief, dahin gebracht, mit dem Fuß einen Gegenstand von dcr Erde auszuheben. > Manouvrier bemerkte, daß bei den ohne Schuhwerk gehenden Völkern die große Zehe mit dem inneren Rande des FußeS in derselben Linie liege, und daß sie bei den civilisirten Menschen ehemals die gleiche Lage gehabt habe. Man finde anch diese Lage bei kleinen Kindern, die noch kein Schuhwerk ge tragen haben; und wenn man den nackten Fuß auf den Boden drücke, s» habe dle große Zehe (die sonst, infolge des Drucks, den das Schuhwerk aus übt, mit dem inneren Fußrande einen Winkel bildet) die Neigung, jene natür liche Lage wieder anzunehmen. Zwi schen der großen Zehe und dcr zweiten Zehe sei bei uns ein Zwischenraum von etwa 1 Eentimeter am Grunde, und man könne diesen Zwischenraum wieder herstellen, wenn man die große Zehe mit der Hand soweit abbiegt, bis sie die erwähnte Lage erreicht hat. Auch Oberst Duhousset sprach die Meinung aus, daß die Beweglichkeit der großen Zehe bei den Indern weniger durch angeborene anatomische Beson derheiten, als durch die Uebung erlangt: werde. Er wies darauf hin, daß auch die Hand erst nach und nach die Fähig keit des Fühlens und Greifens erwerbe.. Das Kind hält zuerst das Endglied de» Daumens un'er den vier anderen Fin gern verborgen: wenn es sich darum handelt, einen Gegenstand zu ergreifen, so streckt sich der Daumen aus, aber er bleibt noch lange an das erste Glied des Zeigefingers angelehnt, und dcr Druck zwischen der äußeren seitlichen Fläche des Daumens und der Innen seite der vier gekrümmten Finger voll führt. Hierin unterscheidet sich die Hand des KindeS nicht von der Greifweise des Affen. Duhousset neigt zu der An nahme, daß tzie spätere Oppositionsstel lung des Taumens beim Greisen dem Kinde durch den Instinkt der Verthei digung eingegeben wird, der es die Faust ballen, d. h. das Endglied des Daumens fest gegen den Mittelfinger pressen läßt. Bevor indessen diese Stellung erreicht wird, besteht die Angriffsgeberde darin, daß bei ansgestrecktem 1 Daumen die oFinger nägel gegen die Handfläche gedrückt werden; in dieser Stellung ist der Daumcn aber leicht einer Ver letzung ausgesetzt und sie wird daher bald durch die wirkliche Fauststcllung ersetzt. Der Mann droht im Allgemei nen mit der geschlossenen Faust, weil er die Stärke dieser Angriffsstellung kennt. Die Fran dagegen, die weni ger die Gewohnheit dcS Faustkampfcs hat, macht, wenn sie droht, eine Ge bende, die dcr des Kindes ähnlich ist: die Fingernägel sind frei und dcr Dau men ist ausgestreckt, wie man dies täg lich beobachten kann. PHAuch in Persien bedient sich, wie Duhousset feststellen konnte, bei den meisten Handwerken dcr Arbeiter fast ebenso des Fußes wie der Hand; dem Drechsler ist er ein unentbehrlicher Ge hilse, und der Schlächter, der Ziseleur verschmähen eS nicht, ihn znr Mitthätig keit heranzuziehen. In Indien sieht man täglich die jungen Mädchen mit riesigen Knpsergefäßen auf dem Kopf vom Brunnen kommen. Sie halten die große Last im Gleich gewicht, während sie nur mit der linken Hand das Gefäß berühren. Sobald sie aber einen Gegenstand, so klein er auch sei, im Sande blinken sehen, er reift ihn ihr Fuß mit der Zehe und hergibt ihn der rechten Hand, fast ohne daß im Gehen Halt gemacht würde. Hier Und in den anderen Fällen ist es besonders der rechte Fuß, dcr in Thä tigkeit tritt. Stilles Hoffen. „Sagen Sie mir nur. was thut denn das alte Fräulein Huber jeden Morgen am Standesamt droben?" „Mein Gott, sie hofft halt immer, es könnt' doch ein mal ein Bräutigam übrig bleiben!" Heimgeleuchtet. Ein rich tiger Bummler und Faulenzer prahlte einst in einer Gesellschaft, daß er täg lich früh 4 Uhr. spätestens 5 Uhr, auf stehe. „So bald also." ruft ihm einer der Anwesenden zu, „fangen Sie schon an, nichts zu thun?!" 3