Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, June 10, 1892, Page 2, Image 2

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    2 Wa» einem Schauspieler pasfire»
kann.
Wohl seilen ist es einem Secretär so
schlecht ergangen wie dem Secretär
„Weber" im „Präsident", welcher vor
kurzem im Theater einer Provinzialstadt
auf die wcltbedeutenden Bretter kam.
Dcr unglückliche Weber hatte dabei auf
der Bühne, wie eS die Nolle vorschreibt,
mit einem „Buckel" zu erscheinen, und
er erinnerte sich hieran erst, als cr sch.m
auf dcr Bühne stand. Als gewandter
Man» aber geht er rücklings zur Eou
listc, wo dcr Inspizient in Hcmdärmcln
steht nnd den Statisten einschärft, sich
nicht so dumm zu benehmen, uud ruft
diesem zu: „Um Gottes willen, rasch
einen Buckel!" Dcr Jnspizicnt hat
nichts GceignctcS bci der Hand, zieht
deshalb in ker Noth die Wcstc aus und
stopft sie dcm Wcbcr unter dcn Rock.
Doch Jammer übcr Jammer! Der Jn
spizicnt hat vergessen, den Schlüssel, die
Uhr und die Kette, an welcher noch zwei
Schützciithciler hingen, ferner einiges
Geld aus dcn Tafchcn dcr Weste zu
nehmen. Bci jedem Schritt nun. dcn
der unglückliche Weber that, klimper
ten diese Dinge eine eigene Melodie.
Weber war in Verzweiflung, der In
spizient nicht minder, denn cr befand
>ich wcgcn seiner Uhr in einer wahren
Höllenangst.
Da spricht Weber: „....man be
hauptet, in solcher Hülle könne kein ehr
licher Mensch stcckcn!" Kling, klang!
und rinigc Silbcrstückc lagen auf der
Erde. Das Publikum lacht. Weber
ist der Verzweiflung nahe. Der Jnspi
zicnt reckt seine Hände in dic Scene und
ruft: „Geben Sie um Gottes willen
licht aus die Uhr!" Unglückliches Vor
urtheil," sagt die „Landräthin", da
sällt Wcbcr ein Schlüssel aus dcm
Buckel. Erneutes Gelächter. Erregt
sagt Wcbcr: „Giaubcn Sie mir, ich
habe schon so manchcs Wch dadurch er
litten." Krach! liegt die Uhr in Split
tern sammt den Thalern ncbcn dcm
Schlüssel und den Geldstücken. Der
Inspizient stürzt in Hemdärmeln hervor
und schreit: „Jesus, Maria! To legst
Di nieder! Trampelt der Escl wie a
Elephant auf meiner Eylinderuhr her
um!" Der Vorhang fällt, einige Knal
ler beweisen, daß auf der Bühne jetzt in
allem Ernst mit dcn Händen agirt wird.
Stürmisches Bcifcillruscn im Publikum.
Wieder hcbt sich der Vorhang, und
Hand in Hand, die Wangcn hochroth
gefärbt, treten die Beiden, holdselig
lächelnd, vor die Lampen, um sich unter
dem dröhnenden Gelächter des Publi
kums zu bedanken. Ja, ernst ist das
Lebcn und heiter die Kunst.
Erkenne Dich selbst.
Dic „Jll. Ztg." bringt unter dcr
Rubrik: „Erkenne Dich selbst" einige
Fragen zur Selbstcharakteristik, die von
bekannten Männern und Frauen beant
wortet werden. In dcr letzten Nummer
betheiligt sich die Heroine Clara Zicglcr
in Berlin an diesem amüsanten Frage
iind Antwortspiel in folgender Weife:
DeineLicblingseigenschaftenamManne?
kharaktcrfcstigkein, Gemüth, Verstand.
Humor. Diene Lieblin.zseigenschaf
len am Wcibc? Häuslicher Sinn, An
muth, feines Gefühl, Verständigkeit.—
Dcinc Lieblingsbeschäftigung? Aus
übung meincs Berufes. Studium des
Wahren, Guten, Schönen. Dcinc
Zdce von Glück? Selbstzufriedenheit,
Nefundheit. Welcher Beruf scheint
Dir dcr beste? Dcr der Menschheit dcn
größten Nutzen bringt. Wo möchtest
Du leben? In meiner Vaterstadt
München), zeitweise in Griechenland
and Italien. Wann möchtest Du
gelebt haben? Jetzt, oder zur Zeit des
Uugustus 30 I. v. Chr. Deine
Adee von Unglück? Unheilbare Leiden.
Geliebte Personen überleben. Gott-
Verlassenheit. Dein Hauptcharaktcr
>ug? Strcbcn nach Unabhängigkeit.
Dcinc Lieblingsschriftsteller? Grillpar
ier, Goethe, Schiller, Stieler. Deine
Lieblingsmaler und -Bildhauer? Ra
fael, Eanova. Deine LieblingZkom
ponisten? Schumann, Mendelssohn-
Bartholdy. Beethoven, Wagner (be
dingungsweise).
Deine Lieblingsfarbe und -Blume?
hellblau, Veilchen. Lieblingsheldcn
in dcr Geschichte? Armin. Karl d. Gr.,
Fricsrich d. Gr.. Kaiser Wilhelm 1.,
Moltke, Bismarck.—Lieblingsheldinnen
in der Geschichte? Maria Theresia, Cor
nelia, dic Muttcr der Gracchen. —Lieb-
lingscharaktere in dcr Poesie? Iphige
nie, Sappho, Antigonc, Mcdca, Wal
lenstcins Thekla, Max Piccolomini.
Deine Lieblingsnamen? Siegsricd,
Achill, Armin, Anna, Frida. —Welche
geschichtlichen Charaktere kannst Du
nicht leiden? Die tyrannischen nnd
heimtückischen. —Welche Fehler würdest
Du am crstcn entschuldigen? Die in
Folge angeborener Schwachfinnigkeit
und mangelhafter Erziehung begangen
werden. Deine unüberwindliche Ab
neigung? Rohheit des Gefühls, Leicht
sinn, Steinkohlengeruch, übelriechende
Speisen. Wovor fürchtest Du Dich?
Vor falschen Menschen. Lieblings
ipeise und -Trank? Zahmes Geflügel,
gebratenes Fleisch. Chateau Larose.
Dein Tcmpcramcnt? Sanguinisch-cho
lerisch. Neigung zur Melancholie.
Dein Motto? Klar sei der Mensch und
«inig mit sich selbst.
Zerstreut. Professor: Ach,
verzeihen Sie tausendmal, lieber Mül
ler, daß ich nicht eher grüßte. Ich war
im Zweisel. Von weitem glaubte ich,
es sei Ihr Hcrr Brudcr; daun meinte
ich, Sie wären es; und nun ist csdoch,
wie ich sehe, Ihr Herr Bruder. Sie
sehen sich aber auch zu ähnlich!
Gutmüthig. „Nee, här'n
Se - erscht Hamm Se mir mein Bier
umgeschmissen, dann Hamm Se mir
mit der Zigarre en Loch in'n Rock ge
brannt und jetzt Hamm Se mich ennen
alten Filz geschimpft wenn Se nu
noch een Wort sagen, setz' ich mich an
'uen anderen Tisch!"
le,« «manetVtrt sich.
Rudolf Bochow schritt abgespannt
and hungrig seiner Wohnung zu. ES
war ein arbeilsvoller Tag gewesen und
cr sehnte sich »ach der Ruhe und Behag
lichkeit seines häuslichen Heerdes. Ein
zusricdcncs Lächeln verklärte seine mil
dcn, sreundlichen Züge, während cr sich
ausmalte, wie wohlig es bei ihm zu
Hausc scin würde. Seine Gattin cm
psing ihn srcnndlich aus dcr Schwcllc
und half ihm dc» cngen Gehrock ab
legen und in dcn wcitcn, warmen
Schlafrock fchlüpfe». Weder eine Ver
sammlung noch eine VorstandSsitznng
ihrcs Vereins fand hcutc statt das
wußte er ganz genau und so kountc
cr sicher scin, cincn gcmüthlichcn Abend
zu verleben. Gewiß, aus dcm Tisch
stand schon die Abendmahlzeit bereit,
die cr sich, von dcr sorglichen Haussrau
bedient, trcsflich niundcn ließ, denn er
hatte einen Bärenhunger. Die Kinder,
die schon ihr Abcndsüppchc» gegessen,
boten ihm dcn üblichen Gutenachtkuß
und licßcn sich von dem Kindermädchen
artig zu Bett bringen. Und friedvolle
Stille herrschte, und die von dcr Be
rufsarbeit angestrengten Ncrvcn fanden
im behaglichen Hcim Ruhe und Er
holung.
Stillvergnügt lächelt« Hcrr Bochow
vor sich hin. Jetzt steckte er den Drücker
in's Schloß, um die Corridorthür zu
öffnen. Was war das? Lautes Schreien
uud Weinen von zwei Kinderstimmen
schallte ihm entgegen und als er jetzt
rasch in's Wohnzimmer trat, bot sich
ihm ein Anblick, dcr wenig Aehnlichkcit
Halle mit dcm licblichcn Bild häuslichcn
Stilllebens, das noch socbcn scinc
Phantasie so angenehm beschäftigt
hatte.
Fritz und Pauline, dic bciden kleinen
vier- und scchsjährigcn Kindcr dcSHau
scs, katzbalgten sich aus dcr Erde herum.
Im Zimincr selbst dcr gräßlichste Wirr
warr. Stühle lagen umgestürzt am
Fußboden, daneben die Scherben einer
Kaffeetasse und eines Kuchentcllers,
Sophakisje», Kleiderbürsten, Da
meusticfclcltc» Strickzeug u. s. w. im
lieblichste» Durcheinander. Auf dem
Tisch stand noch das Kassccgcschirr vom
Nachmittag. Bon irgcndwclchcn Vor
bereitungen für scin Abendbrot war
leine Spur.
Rudolf Bochow stand einen Augen
blick starr, dcr lächelnde Ausdruck seiner
Miene hatte sich jäh in unmuthiges,
ärgerliches Staunen verwandelt.
Nun trat er an seine Kinder heran,
die sein Kommen gar nicht bemerkt zu
haben schienen.
„Aber Fritz! Pauline!" rief er, sie
schaltend an.
Dic Kinder sprangen anf und wand
ten sich dem Bater zu, Pauline mit
schrecklich zerzausten Haaren, Fritz mit
hochrothcn Wangen, dic deutliche Spu
ren von der älteren Schwester Finger
nägel aufwiesen.
„Wo ist Mama?" herrschte er die
beschämt vor ihm stehenden Kinder an.
„Mama ist fort schon seit einer
halbcn Stunde," antwortete sein Töch
terchcn.
„Fort? Aber das ist doch —" Er
unterbrach sich, trat zur Flurthür und
rief: „Auguste!" Die Gerufene, ein
dralles Mädchen mit bloßen, kräftige»
Armen, einen hölzernen Kochlöffel in
der Hand, stürzte eilig herbei.
„Ach Gott, der Hcrr!" sticß sie be
stürzt hervor.
„Wo ist meine Frau?" fragte Hcrr
Bochow und feine Stirn zog sich in
finstere Falten.
„Madam ist aus! Wohin, das hat
sie dcm Herrn aufgeschrieben. Aus dcm
Schreibtisch in des Herrn Stube liegt
der Zettel."
Rudolf Bochow biß sich auf die Lip
pen.
„Und was ist das hier für eine greu
liche Unordnung? Warum find Sie
nicht bci dcn Kindcrn?"
„Ich ich koche ja eben die Suppe
für die Kinder."
„Jetzt um halb neun? Eine nette
Wirthschaft!"
Das Mädchen zeigte einc gekränkte
Miene.
„Wenn ich doch der Madam beim An
ziehen Helsen mußte!"
Herr Bochow suhr sich mit dcr Hand
übcr die Stiri..
„Es ist gut!" sagte er etwas milder.
„Geben Sic dcn Kindcrn zu csscn und
bringen Sie sie in s Bett."
Der Zettel, den Rudols Bochow auf
feinem Schreibtisch fand, enthielt auf
dcr cincn Seite eine Wüschcrechnuiig,
aus dcr andcr» ein paar flüchtig hinge
kritzelte Zeilen von der Hand seiner
Frau: „Lieber Rudolf! Werde plötzlich
zu unserer Vcrciiispräsidentin gerusen.
Vorstandssitzung. Dcnke Dir, dic
Meyer, die sür übermorgen dcn Vor
trag übcr die „Emanzipation des
WeibeS" übernommen hatte, hat plötz
lich abgesagt. Irgendwelche Kabalen!
Scheußlich! Große Rathlosigkeit natür
lich! Woher nun so rasch cinc andcrc
Redncrin nchmcn? Bcr>t>»ng wird
wahrscheinlich lange dauern. ' Warte
nicht aus mich! Habe in Eile ein paar
Happen zu mir genommen. Auguste
wird Dir das Abendbrot serviren. Gu
te» Appetit! Deine Constanze."
„Guten Appetit!" Rudolf Bochow
lachte grimmig in sich hinein. Für
heute war ihm wieder einmal dcr Ap
pctik vcrgangcn. Es war ja nicht das
erste Mal, daß die Bereinsthätigkeit
seine Frau hinderte, ihre Fürsorge
ihrer Hänslichkcit zu widmen und daß
ihm beim Nachhausekommen statt ge
müthlicher Ordnung und Behaglichkeit
cin wirrcs Durcheinander eiupsing.
Nur war cr gerade heute ganz unvor
bereitet gcwcscn und müder und abge
spannter als gewöhnlich.
Aechzend sank er in den Sessel vor
dem Schreibtisch nieder und starrte
nachdenklich vor sich hin. Mechanisch
streckte cr die Hand nach den beiden
Photographien au», die in zierlichen
Stehrahmen vor ihm standen. Di«
Bilder stellten Constanze dar. das ein»
als junges Mädcher., mit hcllcn, frischen
Augen, frobgcmuth in die Welt blickcnd,
das rcichc Blondhaar in dichten Flcch
tcn aufgesteckt das andere als Frau
mit dcm Knciscr auf der Nase, das
Haar turz geschnitten.
Was war aus dcm munteren, frischen
Mädchen geworden?
Der'Grübelndc scusztc ticf. Welcher
Umstand halte diese Umwandlung zu
wege gebracht? War es dic kinderlose
Zeit der crstcn drci Ehejahre, während
welcher dic junge Fra», da ihn seine
Beschäftigung den ganzen Tag außer
halb des Hauscs scsthielt, sich ost über
Einsamkeit und Langweile beklagt hat
te ?
Oder war es das böse Beispiel ihrer
Freundin, der Präsidentin des Vereins
„Gleiches Recht", das so unheilvoll auf
Constanze gewirkt ?
Lauge faß dcr einsame Mann sast
regungslos und saun über diese Frage
nach. Hätte er gleich zu Anfang ener
gischen Widerstand geleistet uud Eon
stanze den Eintritt in den Bund dcr
Frauenrechtlerinnen nicht gcstattet, alle
Unannchmlichkeitc», die darauf folgten,
wären ihm erspart geblieben. Aber
wer hätte auch ahnen können, daß Eon
stanzes Betheiligung an dcr BkrcinS
thätigkcit, die er überhaupt nicht ernst
genommcn, eine solche Tragweite sür
die Gestaltung seines häuslichen Lebens
besitzen würde? Zum Unglück hatte
man Constanze auch noch zur Schrist
sührerin des Vereins ernannt und sie
widmete sich ihrer neuen Pflicht mit so
viel Eiser uud Gewisseiihastigkcit, als
ob das Wohl und Wche ihres ganzen
Geschlechts von der Ersülluug derselbe»
ibhiugc.
Es war bcrcitS II Uhr. als Frau
Constaiicc von dcr BorstandSsitznng
hcimkchrte. Sie befand sich, wahr
scheinlich unter der Nachwirkung der
stattgehabte» Debatten iu großer Erre
gung. Ihre schmale» Wange» glüh
ten. ihre Augcn blitzten unter den sun
kclndcn Glascrn ihrcs goldbcränderten
Pincenez.
„Ah. »och auf!" rief sie aus, als sic
beim Eintritt in das Wohnzimmer ihrcs
Gatten ansichtig wurde, der dic Hände
aus dem Rücken, stumm aus und ab
schritt. „Ich glaubte Dich längst zu
Bctt."
Er blieb mitten im Zimmer stehen
nnd blickte mit schmerzlichem GcsichtSaus
druck zu ihr hiuübcr. Sie legte Hut und
Mantel ab und war noch so ganz von
dem, was sie an dcm Abend innerlich be
schäftigt hatte, in Anspruch genommen,
daß sic den ungewöhnlichen Ausdruck in
seinen Mienen nicht gewahrte, ja, sie
vergaß sogar ihm zum übliche» Bewill
kommungskuß die Lippen zu bieten.
Ihre ganze äußere Erscheinung hatte
etwas Nachlässiges, Saloppes. Die
Abftoßschnur ihtes Klcidcs war losge
trennt und ein Stück davon schleifte zer
fasert am Fußboden nach. Dcr Kra
gcnbesatz am»Halsansschnitt war un
sauber und seit lauge nicht erneuert,
ihre Finger zeigten häßliche Tinten
flecken.
Mit Bitterkeit nnd stiller Betrübniß
nahm cr davon Notiz. Welch ein Ge
gensatz zwischen dem anmnthigen,
adretten, mit tadelloser Sorgsalt ge
kleideten Mädchen von Einst und der
Frauenrechtlerin von Jetzt, die ihm in
diesem Augenblick zorniger Erbitterung
wie eine Karrikatur aus den „Fliegen
den Blättern" vortam.
„Ich habe mit Dir zn sprechen, Con
stanze," redete cr sie, ihr näher tretend,
mit ernster Stimme an.
Aber sic hörte gar nicht auf ihn. son
dern sprudelte, ganz ersüllt von ihren
Neuigteitcn hervor:
„Denke Dir nur, die Meyer ist aus
getreten. Plötzlich, ohne Augabc irgend
eines Grundes. Natürlich—man tan»
sich denken: seige Unterwerfung unter
das Machtgebot des Mannes. Schmach
voll!"
Sie nahm den Kneifer von der Nase
und rieb mit dem Taschentuch heftig an
den Gläsern herum.
„Constanze, ich—ich finde, daß Herr
Meyer—"
Sie ließ ihn nicht ausreden. „Em
pörend ist die Rücksichtslcstgkcit," fuhr
sie iu ihrer ungestümen Weise so:t, „die
Rücksichtslosigkeit, dic darin liegt, daß
sie uns so kurz vor dcr großen Ver
sammlung, für die sie dcn Vortrag
übernommen, absagt. Natürlich, die
reine Bosheit von ihr nnd ihrem Ehe
tyrannen. Aber, sie haben sich Beide
zu früh gefreut. Die Versainmluna
wird doch stattfinden und ich springe
in die Brcschc."
Triuniphireud blickte sie zu ihrem
Gatten hinüber, der sich auf die Lippen
biß und unwillkürlich einen Schritt
zurücktrat.
„Wie? Du wolltest," stieß er her
vor, während ihm das Blut in Wangen
uud Siiru fchoß.
„Den Bortrag übernehmen frei
lich!" vollendete sie stolz, voll Selbstge
fühl.
Tann setzte sie sich an den Tisch,
schlug cins dcr Bücher a»s, die sie von
der Sitzung mit heimgebracht, und sing
an, sich in die Lektüre desselben zu Ver
liesen.
Erregt schritt Rudolfßochow im Zim
mer auf und ab und bemiihte sich, dcn
Acgcr, dcr in ihm gährtc, zu bcmei
stcrn. An ihr Pflicht- und Gerechtig
keitsgefühl wollte cr appcltircn, an ihr
gcsundcs Urtheil und zuerst ncrsuchcu.
sie in Güte aus den rechten Weg zurück
zubringen.
Dazu gehörten Ruhe und geistige
Klarheit.
Er glaubte endlich, das nöthige in
nere Gleichgewicht wieder gewonnen zn
haben, als Constanze von ihrem Buch
aufblickte, mit dem Bleistift, mit dem
sie sich ans dcm Blatt Papicr Notizcn
machtc, cin paar mal auf den Tisch
ausklopfte und ihm stirnrnnzelnd zu
rief: „Rudolf, willst Du nicht lieber zn
Bett gehen? Du machst mich mit Dei
nem Herumlaufen ganz nervöi".
„Und Du?" fragte er, feine Wande-
rung unterbrechend, „willst Du Dich
nicht auch niederlegen?"
„Ich?" Sie zuckte entrüstet mit den
Schultern. „Wo denkst Tu hin? Ich
habe zu arbeiten".
„Zu arbeiten?" Er bemiihte sich,
seiner Stimme einen möglichst glcich
müthigc» Klang zu geben. „Jetzt zur
Nachtzeit? Was ist denn das für eine
dringende Arbeit?"
Sie machte eine Bewegung der Un
geduld. „Na höre mal", suhr eSihr
ärgerlich heraus. „Wie du nur so
so thöricht sragen kannst! Ich stizzir«
die Umnsse meines Vortrags und da
ich ihn, wie du »reißt,.schon übermorgen
halten muß, so habe ich olle Ursache,
mich zu beeilen."
„Du willst also wirklich den Bortrag
halte» ?" Er blickte ihr ernst und ruhig
in's Auge.
„Aber natürlich!" entgegnete sie
scharf und entschieden. „Ich habe mich
dazu verpflichtet und ich halte mein
Wort. Denkst Du, ich mache es wie
die Meyer?"
Er that, als ob er die letzte, in etwas
spitzem, spöttelndem Tone gehaltene
Frage nicht gehört habe und fuhr „im
mer mit derselben Ruhe und Gelassen
heit" fort: „Hast Du Dir auch über
legt, daß Du in diesem Falle Deine
häuslichen Pflichten, die doch sür eine
verheirathete Fran obenanstehen. wür
dest vernachlässigen müssen?"
Sie rümpfte die Nase und verzog den
Mund.
„Häusliche Pflichten? Für die Kin
der ist Auguste da und sür die Küche
Minna." Sie umfaßte ihren Blei
stift und vom Neuen in ihr
Buch. „Und nun bitte, laß mich!"
Er aber trat dicht an sie heran, ent
wand ihr den Bleistift und sagte i»
ruhiger, aber entschiedener Weise:
„Du gestattest, daß ich Deine Auf
merksamkeit noch ein wenig in Anspruch
nehme."
Sie blickte erstaunt, geärgert zu ihm
auf und eine zornige Entgegnung
schwebte ihr auf den Lippe».-AbcrZals sie
in seine mit sehr ernstem und unge
wöhnlich strengem Ausdruck auf sie gc
gerichteten Augen sah. senkte sie schwei
gend den Kopf.
.Haltst Dn es denn nicht für eine
Deiner heiligsten Pflichsten, Eonstanze,"
fragte er. wieder etwas milder, aber
doch eindringlich. „Dich selbst um da
geistige und leibliche Wohl Deiner Kin
der zu bekümmern?"
Sie lachte schrill auf: „Na, weißt
Du." entgegnete sie spottend, „dieser
feierliche Ton! Für Paulinc'S Eutmit
kelung sorgen die Lehrerinnen in d?r
Schule und sür Fritzchen's gcistigcj
Wohl genügt wohl vorläufig Auguste
vollauf."
Er zuckte zusammen, seine Augen
flammten und es hatte den Anschein,
als würde er endlich seine ruhige Ge
lassenheit ausgeben, aber er bezwang
auch diesmal den in ihm aussteigende»
Zorn. Er seufzte tief auf und' sagte:
„Und ich hast Du nicht Pflichten ge
gen mich?"
Sie zuckte wieder spöttisch mit den
Schultern. „Pflichten gegen Dich?
Was soll ich darunter verstehen? Soll
ich Dich vielleicht auf Schritt und Tritt
behüten unv hinter Dir her fein wie
hinter eine»! Bal»>?"
Er schüttelte mehr schmerzlich als un
willig den Kop'. „Als Du Dich verheira
thetest, hast du gewußt daß Du uun in
ailcr Zukunft in erster Linie, nein, aus
schließlich alle Deine Kräste und Deine
Zeit Deinem neuen Berufe zu widmen
haben würdest.. Deinem Berufe als
Gattin und Mutter."
Er sah sie erwartungsvoll an, sie
aber verzog geringschätzig lächelnd den
Mund und entgegnete, ohne sich ein«
Sekuude zu besinnen, schlagfertig: „Be
ruf als Mutter und Gattin? Einen
solchen Beruf giebt es gar nicht. In
erster Linie bin ich Mensch und ich habe
auch Pflichten gegen mich." Ihre Er
regung und Lebhaftigkeit wuchs und
sie sprach mit erhobener Stimme, als
stüude sie aus der Tribüne: „Wir
Frauen von heute find es müde, immer
und ewig nur als Anhängsel des Man
nes zu gelten nnd uns widerspruchslos
in die recht- und wehrlose Lage zu fü
gen, die ein veraltetes Gesetz, eine ver
altete Sitte uns anweist. Wir wollen
auch thcilnchmen an der Lösung der
großen Fragen der Zeit. Wir verlan
gen volle Gleichberechtigung mit Euch
und die Freiheit, die uns verliehene»
Kräfte im Kampf des Lebens bethäti
gen zu dürfen. Wir wollen uns nicht
immer anf die Küche, die Kinderstube
und den Strickstrnmpf verweisen lasten.
Wir erklären un-Z als mündig nnd neh
men das Recht in Anspruch, srei über
uns selbst bestimmen zu dürfen. Und
nun —" sie ergriff mit energischer Be
wegung den Bleistift nun laß mich
an meine Rede denken."
Er war sehr bleich geworden, ein lei
ses Zittern durchflog feine höh», breit
schulterige Gestalt. Doch er raffte sich
auf. Seine Brauen zogen sich sinster
zusammen, dicht an seine Frau heran
tretend. faßte er sie mit festem Griff
am Arm und sagte gebieterisch: „Du
wirst diese Rede nicht halte», ich ver
biete es Dir, Constanze."
Sie schnellte empor und außer sich,
in maßloser Heftigkeit schrie sie ihm mit
gellender Stimme zu; „Du verbietest
es mir? Aha! Gelüstet es Dich den
Herrn und Gebieter herauszukehren?
Mir imponirt das gar nicht. Ich bin
ein Menfch wie Tu und ich habc wie
Du das Recht zu thun, uasich als rich
tig. was ich als meine Pflicht erkenne.
Qder willst dn mich vielleicht zwingen
mit Gewalt. Ich bin ja nur ein
schwaches Weib und Du ein starker
Mann und das Gesetz, das famose Ge
setz, das Ihr Euch so schlau für Euren
Gebrauch zurecht gestutzt habt, giebt
Dir ja das Recht dazu. So —" sie
blickte ihm mit einer herausfordernden
Miene in's Gesicht und kreuzte die Ar
me über einander „na, so züchtige
mich doch."
Er sah ihr fest, aber äut-'rlich rubio
in'? Auge nnd entgegnete: „Es liegt
mir fern, körperliche Gewalt anzuwen
den. Ich will Dir aber bemerken, daß
Tu. solltest Du meinen Wunsch, mein
Gcbot mißachten, t,i. Folgen zu tra
ge» haben wirst."
Er wandte sich und schritt zur Thür,
während sie höhnisch hinter ihm her
lachte.
Sie arbeitete noch mehrere Stunden
und legte sich dann, angekleidet, aus
das Sopha im Wohnzimmer. AIS er
am anderen Morgen die Stube betrat,
um zu srühstücken. lag sie noch im tie
fen Schlaf. Leise trat er vor die
Schläserin hin und betrachtete ihre lieb
lichen, seiiigeschniltenen Züge, die jetzt
iu der Ruhe des Schlafes einen saus
ten. sricdliche» Ausdruck zeigten. Alle
Liebe, vir ihn einst angetrieben, um
das schöne, anmulhsvolie Geschöpf zu
werbe», erwachte in ihm und machte
ihm das H/rz weich. Lange betrachtete
er sie schweigend und seine Mienen zuck
ten vor mühsam beherrschtem Schmerz.
Dann strich er sich mit der Hand über
die Stirn und Auge» und seine Züge
nähme» einen ehernen, entschlossenen
Ausdruck an.
„ES muß scin!" murmelte er vor sich
hin. „ES ist die höchste Zeit, wenn es
nicht schon zu spät ist. So weiterleben
unmöglich! Biegen oder er
stöhnte ties aus „brechen!"
Als er um ein Uhr zum Mittagessen
nach Hause kam, sand er sie am Schreib
tisch sitzend und emsig schreibend. Im
Wohnzimmer war noch nicht einmal ge
deckt. Die Kinder hörte er in der Küche
nach der Mama und nach dem Esse»
schreien.
„Wie steht es mit dem Mittagbrot?"
sragte er. Doch sie horte gar nicht aus
ihn und er mußte seine Frage wieder
holen.
„Ich weiß nicht frage die Minna!"
entgegnete sie turz, unwirsch. „Du
siehst, ich habe zu thun."
„Ich warne Dich noch einmal, Con
stanze." sagte er ernst. „Sei vernüns
tig! Bedenke, was —"
Sie unterbrach ihn ärgerlich. „Ich
will nichts mehr hören, nichts, nichts'
Ich habe den Bortrag übernommen und
muß und werde ihn halten. Und nie
mand. hörst Du, niemand wird mich
daran hindern."
Er antwortete nichts, denn er sah,
daß mit Worten nichts auszurichten
war. Hier mußte gehandelt werde»,
energisch, mit eiserner Strenge. Schwei
gend verließ er das Zimmer, um in
einer Restauration seinen Hunger zu
stillen.
Den ganzen nächsten Tag iiber ging
Frau Constanze, mit geringen Pausen,
memorireud im Zimmer hin nnd her.
Rudols Bochow nahm keine Notiz da
von. Er aß, da Minna diesmal das
Essen zur rechten Zeit austrug, und be
schäftigte sich mit den Kindern, die ziem
lich vernachlässigt aussahen und die ihm
ihr Leid klagten, daß sie sich gar nicht
»iliksen dürsten und daß Mama sic
jedesmal zornig anfahre, so ost sic den
Versuch machten, ein wenig zu spielen.
Abend kam Rudols Bochow
früher nach Hause als gewöhnlich.
Constanze stand zum Ausgehen fertig,
mitten im Zimmer, unter dem Arm
hatte sie eine Papierrolle, wahrschein
lich das Concept ihrer Rede über die
,E»ianzipatio» des WeibeS."
Ihre Augen leuchteten in fast sieberi
schem Glänze, ihre Wangen flammten.
Es war das Vorgefühl des Triumphes,
den ihr der Abend in Aussicht stellte,
das berauschende Gesühl der Ehrsucht,
das in ihren Adern gährle. Ihre
Stimme klang heiser, als sie sich jetzt
zu ihm herumdrehte: „Du! So zei
tig heute?"
„Ich wollte Dir noch einmal vor
stellen, in Güte vorstellen bleib,
Constanze, ich bitte Dich, bleib!"
Ueber ihr Gesicht, das noch eben hell
gestrahlt, zog eine dunkle Wolke des
Mißvergnügens. Aber gleich daraus
zeigte sie wieder eine freundliche Miene.
„So sei doch nicht so eigensinnig.
Rudols", entgegnete sie sanften Tones!
„Ich kann doch unmöglich jetzt mehr ab
sagen."
„Bedenke doch, daß es sich nm den
Flieden unserer Ehe, um das Glück der
Kinder handelt", mahnte cr.
„Aber sei doch nicht so wunderlich,
Rudows! Das ist doch eine ganz unge
heuerliche Uebertreibung." Sie lächelte
ihn an und cr, bewegt von ihrer uner
warteten Sanstmuth, trat an sie heran,
faßte nach ihrer Hand und redete ein
dringlich >iu sie hinein: „Liebe Con
stanze' sich Dir unsere Kinder an, wie
vernachlässigt, wie verwildert sie sind!
Und ich. ich weiß nicht, habe ich noch ein
Heim, ha'ie ich noch eine Frau oder
nicht." Sie bewegte nervös die Schul
tern und schüttelte mit dem Kopf. Er
aber suhr eifrig fort: „So kann es
nicht weiter gehen, so nicht! Die Frau
gehört in's Haus, ihr Platz ist bei
Mann und Kind und nicht aus dem
Markt des Lebens, auf dem Forum."
Sic machte sich hastig los. Schon
war sic mit ihrer Sanftnilith zu Ende.
„Weißt Tu, Du bist wirtlich unaus
stehlich mit Deinen Deinen spießbür
gerlichen Anschauungen. Und nun laß
mich —es ist die höchste Zeit!"
Sie wollte sich zur Thür wenden, er
aber trat ihr rasch in den Weg. Seine
Augen blickten sie sest, gebieterisch an
nnd seine Stimme klang rauh und ent
schieden. „Du bleibst!"
Sie taumelte erschrocken einen Schritt
zurück und starrte ihn mit weit ausge
rissenen Augen an. „Wie?"
„Du bleibst," wiederholte cr kurz.
Dann schritt er zur Thür, drehte den
Schlüssel um und steckte ihn in die
Tasche.
„Ah!" Sie stieß »S mit geisendem
Munde heraus. Ihre Brust ging stür
misch auf und nieder. Eine furchtbare
Ausregung durchglült' ihren Körper.
„Tu —Du willst mich einschließen?
Mit Gewalt willst Du mich zurückhal
ten? Das ist infam!"
Mit einem Satze war sie an feiner
Seite und nun rüttelte sie ihn heftig
am Arm. „Oefsne!" kreischte sie
„öffne! Ich bin keine Sklavin, keine
Berbrecherin, dic man cinschlicßcn dars.
Ocffnc, sage ich Dir!"
Sie zitterte am ganzen Leibe. Ihre
Augen flammten. Er machte sich von
ihrem Griffe srei und faßte sie an dem
Handgelenk.
„Qefsne!" kreischte sie.
„Nein!"
Nichts weiter als dicscS knrze, cncr
gisch gcsprochcnc Wort. Da riß sie sich
mit einer ungestümen Bewegung von
ihm los und warf sich niit voller Wucht
gegen die Thür uud rüttelte an der
Klinke und trommelte mit den Fäusten
gegen dic Holzsüllung.
Eine uiiciidlich peinliche Empfin
dung durchbcbte ihn. Zum ersten Male
fühlte er, wie es sich wie Haß und Bcr
achtnng in ihm regte gegen da- Weib,
das in zügclloscr Wuth, allcr Mäßi
gung baar. wie eine Furie sich gebür
dete.
„Constanze!" rief cr warncnd. „S»
mäßigc Dich doch! Tic Dicnstboten —"
Sic aber nahm nicht die geringste
Notiz von scincr Warnung. Mit cr
ncutem, hcftigcm Anprall stürzte sie sich
gegen die Thür. „Qeffne!" schrie sie,
„öffne!"
Tann, von einer neuen Idee gepackt,
drehte sie sich plötzlich um. eilte blitz
schnell zum Fenster, dessen Flügel sie
ausriß und nun drehte sie sich zu ihm
niii. „Laß mich hinaus! oder ich schreie
nm Hilse." Er erschrak hestig. Um
GotteSwille». Nur keinen öffentlichen
Skandal. Ein heißes Schanigesühl
dnrchsnhr ihn. Schon sah cr sich und
sciuc Frau in aller Munde. Rasch trat
er an sie heran und bemühte sich, sic
vom Fenster hinwcgzuzichc». „Eon
stanzc. ich bitte Dich die Schande,
bedenke doch die Schande!"
Sie aber klammerte sich mit sicbcri
schcrHeiligkeit an das Fcnstcrlrcuz uud
ihren Vortheil wahrnehmend, drohte
sie: „Wenn Du mich nicht augenblicklich
hinauslüßt, schlage ich dic Schciben ein
uud ruse die Lcutc aus dcr Straßc an."
Und sie erhob mit entschlossener Ge
bärde die geballte Faust.
Er ließ sie IoS, seine Nerven hielten
nicht länger Stand. In dieser Art des
Kampfes war sie ihn überlegen. Das
fühlte cr. Ihm blieb nichts übrig, als
vorläufig nach,»geben. Er griff in die
Tasche und reichte ihr den Schlüssel.
„Da geh ! Aber das sag' ich Dir;
diese Stunde scheidet uns sür immer!"
Sie stieß einen Triumphschrei aus;
auf feine Worte hörte sie gar nicht.
Und nun. ohne Berzug. zur Thür, un
terwegs die Papierrolle, die ihr beim
Ringen entfallen war. aufnehmend und,
ohne sich noch einmal nach ihm umzu
wenden, hinans. fort zur Versammlung
der Frauenrechtlerinnen.
Rudolf Bochow sank erschöpft, völlig
gebrochen ans einen Stuhl nieder und
verhüllte ächzend sein Gesicht in beiden
Händen.
Nm anderen Morgen hatten die bei
den Ehegatten eine kurze, inhaltsschwere
Unrerrcdniig. Frau Eonstanze erklärte,
während der Eifer des Fanatismus ihr
vom Gesicht leuchtete, daß ihr Lebcn
der große» Sache der Fraiienemaiizipa
tio» gehöre und daß Niemand in der
Welt sie zwingen könne, dem, was sic
als ihre heilige Pflicht erkannt habe, je
untre» zn werden. Rudolf Bochow
aber sagte, cr habe nicht gehcirathct,
um das Leben eines Junggesellen zu
sühren. Eine Frau, die ihre Familie
vernachlässige, um des Intercsscs An
derer. Fremder willen, tauge nicht zur
Ehc.
So gingen sie auscinandcr, äußcrlich
kalt und glcichgiltig. Herr Bochow
lcilctc unverzüglich die SchcidungSklagc
ein wcgcn gcgcnscitigcr „unüberwind
licher Abneigung". Frau Constanze
fand im Hause der Präsidentin ihres
Vereins, einer älteren Wittwe, eine Zu
fluchtsstätte. Die Zinsen ihres in die
Ehe gebrachten Vermögens wurden ihr
regelmäßig ausbezahlt und reichten sür
ihre Bedürfnisse hin. Vier Monate
später fand dic Schlnßvcrhandliing in
der Schcidcangelegenhcit statt, zu dem
bcidc Parteicn pcrsönlich cingcladcn
waren. Der vom Richtcr pflichtmäßig
nach einmal vorgcnommcuc Bcrföh
nuugsvcrsuch crwics sich als fruchtlos.
Rudols Bochow gab alle seine Erklä
rungen in ruhigem, entschiedenem Tone
ab. Schon während der ersten fünf
Minuten hatte er aus dcm ganzcnAuf
trctcn scincr Gattin erkannt, daß sie
während der wenigen Monate erhebliche
Aortschritte aus dem Wege der Emanzi
pation gemacht hatte. Ihre Gestalt
nn) ihr Gesicht waren eckig und knöchig
geworden. Ihr dunkles, sackartiges,
nusaubercs Kleid zeugte von ebensoviel
Geschniacklosigleit, wie Achtlosigkeit in
Bezug auf ihre äußere Erscheinung.
Zhre Redeu uud Gegenreden waren zum
Theil in spitzem, höhnendem Tone, z> m
Theil in tönendem Pathos gehalten.
Tie Scheidung der beiden Gatten wurde
ausgesprochen und Frau Constanze
kehrte in d.is Haus ihrer Gcsiuuungsge
«wssen zurück. Fritz und Pa»line wur
den dem Vater zugesprochen, nur ein
mal des Jahres wurde der Mutter ge
stattet. ihre Kinder bei sich zu sehen.
Am aiidcren Tage nahmen Mutter
und Kinder Abschied von einander.
Die Kleinen zeigten sich scheu und be
sangen, die Frau mit den unheimlich
funkelnden Augen war ihnen ganz
jrenid geworden.
Als Frau Constanze eine Stunde
später in ihr neues Heim zurückkehrte,
ichloß sic sich in ihrem Zimmer ein und
.'inc ganze Wcilc ging sie ernstlich mit
sich zu Rl'ihe, ob sie sich sür den Abcnd,
zufällig war an demselben Tage eine
Versammlung anberaumt —nicht durch
Krankheit entschiildige» lassc» sollte.
Als aber die Versammlung cröffnct
wurde, stand sic an ihrem Platze anf
oer Tribüne. Ihr Auge flog aufleuch
tend über die dichte, andächtige Menge
hin, welche den Saal bis zum lctztcn
Platz fülltc.
Das war i)re Familie— jene Krauen
und Mädchen, diu>.rlrauensvoll, gläu
big wie zu einer Erlöscrin zu ihr aus
blickten. und die sie sich gelobt hatte,
ans Noth und Unwissenheit, aus
Knechtschast und Unterdrückung zu
erretten.
Die Kling?! der Präsidentin ertönte
jetzt.
„Frau Eonstanze Bochow hat da«
Wort!"
Und ein Ruck ging durch den Körper
der Frauenrechtlerin, ihre schmächtige
Gestalt richtete sich straff uud stolz auf.
Schwärmerei und Fanatismus strahl
ten von ihrem fchmalen Gesicht, blitzten
aus ihren weit geöffneten Augen, und
sie hob an zu sprechen, feuriger, bered
ter. zündender als je !.
«in« interessant« Skatpartie.
Die nachstehend geschilderte Skatpar
tie hat den Porzug. nicht etwa gelegt,
sondern thatsächlich durch den Zusall
gesügt und gespielt worden zu sein. Als
psychologisches Moment ist noch zu be
achte», daß die Mittelhand während des
ganzen Abends keine einigermaßen an
ständige Karte bekommen hatte, und
daß der Spieler nun, da er zum ersten
Male eine gute Karte in der Hand
hatte, bis zum Aeußersten zu gehen ent
schlossen war.
Borhand hat Treff Aß, König,
Dame, Bube. Zehn, Neun, Acht, Sie
ben, Pique Sieden. Eareau Neun.
Mittelhand hat Pique Buben, Earreau
Buben, Pique Aß, Zehn König. Eoeur
Aß, Zehn, König, Earreau Aß, Sieben.
Hinterhand hat Eoeur Buben, Earreau
Zehn, König, Dame, Acht, Pique
Dame, Neun, Acht, Eoeur Neun und
Acht. Im Skat liegen also Coeur
Dame und Coeur Sieben.
Mittelhand reizt zunächst auf Pique
Solo, und da Borhaud dies annimmt
und Null-Ouvcrt spielen will daK
Null-Luvcrt wäre mit der Carreau
Neun übrigens gefaßt so erklärt
Mittelhand Grand, das nach der Usance
der betreffenden Spielpartie Null-
Luvcrt überbietet.
Mittelhand wird schwarz, und zwar
entwickelt sich das Spiel so:
Vorhand spielt natürlich Treff Aß
aus. Mittelhand.sticht mit Carreau
Buben, wird von der Hinterhand mit
Coeur Bube» überstocheu. Hinterhand
spielt nun von seiner Force ab und
zwar Carreau Acht, Vorhand über
nimmt mit Carreau Neun, Mittelhand
läßl den leeren Stich mit dem bewuß
ten Ausrus: „Den sollt Ihr auch noch
haben!" und gibt die Sieben zu. Das
ist der verhängnißvolle Fehler, da sonst
das Spiel unmöglich zu verliere» ge
wesen wäre. Vorhand, der jetzt am
Stich ist. fordert den Alten, Mittelhand
muß den Grünen zugebe», Hinterhand
wimmelt Carreau Zehn. Nun spielt
Vorhand seine sechs Treff auf, Mittel
hand wirst auf die beiden ersten Stiche
die beiden Könige zu, Hinterhand die
beiden Carreau, König und Dame.
Im weiteren Verlaufe wirst Mittelhand
ganz richtig Carreau-Aß weg, da alle
Carreau gespielt sind. Sie behält
schließlich sür die beiden letzten Stiche
Pique Aß, und da vier Coeur noch sch
ien, wirst sie auf den letzten Treff,
Sieben, das Pique Aß ab und behält
Coeur Aß. Borhand spielt nun ihre
Pique Sieben, aus die das Coeur Aß
fallt. Mittelhand ist schwarz.
Brauchen wir hinzuzusügen, daß
Mittelhand nur mit äußerster Energie
davon abgehalten werden konnte
Hand an sich selbst zu legen?
Die bösen Zeitungs
schreiber. Jni Jahre 1726 wurde
iu der Residenzstadt Dresden uud ande
re» Orte» vermerkt, „daß sich allerhand
Leute unterstünde» und aiimaßcten,
Zcitungcn zu schreiben und durch deren
Versendung in s Land und auch außer
halb, darinnen viele falsche und un
wahre, mit anzüglichen, vcrgülletcn
und die Gemüther verbitternden Ex
pressionen angefüllte Nachrichten aus
zustreuen, sowie die fremden und aus
wärtigen Zeitungen, in welchen vieler
lei widrige, »»wahrhaftige Nachrichten
und Raisonncments enthalte», abzu
schreiben oder wenigstens zu extrahiren
und hiernach in ihren Correspoiidenzen
mit wegzuschicken uud öffentlich bekannt
zu machen. Da nun durch dieses un
geziemende und strafbare Benehmen
Lcntc, nnd besonders der gemeine
Mann, wie auch Andere, die keinen Un
terschied zu machen verstehen, dadurch
irre geiuacht, zu falsche» Kouzcptcn
und Imprcssioiien nnd zur Unzufrie
denheit verleitet würden, so erließ die
Regierung gegen diese falschen, widri
gen oder sonst bedenklichen und verdäch
tige» Zeitungsschreiber die Warnung,
sich solches GebahrenS und Raisonnc
nients zn enthalten. Wer dagegen han
delte. sollte nach Befinden mit Gcsüiig
niß, Verweisung aus der Stadt oder
bestraft und sonst mit
Schimps uud Schande belegt werden."
In Leipzig, so berichtet das „Leipz.
Tagebl.", dem wir diese Notiz entneh
men, wurde »och 1768 ein Kandidat
der Theologie, welcher unter dem Na
men Franz von Ehrenberg eine Satnre
aus Leipzig geschrieben hatte, aus Le
benszeit von der Kanzel verbannt.
Eigenthümliche Beur»
theilnng. Frau vom Lande: Gelt
Du der mit der großen Geige (Baß
geige) ist der Geschickteste? Bekann
ter: Ach nein, im Gegentheil, das ist
der Unbcdciitcudstc von Allen! —Frau
vom Lande: Und der mit dem kleinen
Geiger! ? Bekannter: Das ist ein
ganz tüchtiger Künstler! Frau vom
Lande: Schau, überall dieselbe Unge
rechtigkeit: der Musikant, der net viel
kann, kriegt das größte Instrument
„im Spielen und der G'schicktest muß
sich mit der kleinen Geige zufrieden ge»
ben!
Neidisch. Na, Kleiner, warum
weinst Du denn so?" Ja, die Mut
ter hat mir und dem HanS'n Senspfla
ster aufgelegt und dem HanS feint
ist viel größer als meins!"