Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 27, 1892, Page 2, Image 2

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    2 Fräulein a«» der Provinz.
Als eineraffinirteHochstaplerinzeigt«
<tch ein junges Mädchen, welches in
Berlin der ersten Strafkammer de»
Landgerichts I vorgeführt wurde. Die
22jährige Martha Kerber kam im Ok
tober v. I. nach Berlin, wie sie angab,
um sich hier eine Stellung zn suchen.
Ihr Austreten läßt darauf schließen,
daß sie lediglich auf Hochstapelei aus
ging. In der Kranzler'schen Eondi
torei lernte sie eines TageS den Rentier
v. W. kennen. Sie nannte sich ihm
gegenüber „Martha von Piokoroska",
erzählte, daß sie die uneheliche Tochter
«iiics Grasen Dohna und daß ein hiesi
ger Hotelbesitzer ihr Vormund sei. Die
gebildete Ausdrucksweise der Angeklag
ten sowie deren ganzes Benehmen ver
scheuchten das anfängliche Mißtrauen
des Herrn v. W. Derselbe sing an,
sich für das Fräulein zu intcressiren,
und glaubte ihm auch, daß cs uach Ber
lin gekommen sei, um persönlich sein?
Rechte in einem wichtigen Processe
wahrzunehmen. Bald entwickelte sich
aus der Bekanntschaft ein näheres Ver
hältniß. dcr Gönner der Angeklagten
unterstützte sie mit 'Geld bis zum Be
trage von mehreren hundert Mark.
Eines Tages kam die Angeklagte zu
Herrn v. W. mit der frcndigen Mit
theilung, daß sie eine ausgezeichnete
Stelle als Kassirerin erhalten könne,
wenn sie im Stande sei, 1(100 Mark
Kaution zu hinterlegen.
Die Summe schien dcm Gönner
etwas hoch, er ließ sich aber durch die
Bitten der Angeklagten erweichen, das
Geld herzugeben, jedoch unter dcr aus
drücklichen Bedingung, daß die Ange
klagte ihm nach spätestens drei Stunden
das G.ld zurückzugeben habe, salls sie
jene Stelle nicht erhalte. Die Ange
klagte kam nach der gestellten Frist zu
rück, die Stelle habe sie nicht erhalten.
Aber auch die 1000 Mark besitze sie nicht
mehr, sie habe das Geld ihrem Bruder,
der in Potsdam Garde-Offizier sei, zur
Tilgung einer Ehrenschuld gegeben, da
derselbe gedroht habe, sich sonst er
schießen zu müssen. Herr v. W. kam
nun dahinter, daß er da» Opfer einer
Kaunerin geworden, er ließ Polizei
!>olen und bei einer Körpervisitation
»cr Angeklagten wurde das Geld auch
gefunden. Im Gefängnisse legt« di«
Angeklagte sich einen falschen Namen
bei und beging dadurch eine intellektuelle
Urkundensülschung. Der Gerichtshof
oerurtheilte sie zu neun Monaten Ge
sängniß »nd zwei Wochen Hast; die
letztere Strafe sowie ein Monat Gefäng
niß wurdcii auf di« Untersuchungshaft
abgerechnet.
Veffentlich« Rechner in Tunis.
Di« alten griechischen Mathematiker
and praktischen Techniker benutzten an
Stelle der theuren Wachstafeln häufig
:ine glatte Lage feinen Sandes, in
icn sie ihre geometrischen Figuren
and die Zahlen ihrer arithmetischen
Rechnungen mit einem Stift einzeichne
ten. Vergleiche Archimedcs. Noch heute
aber so schreibt man ans Tunis
wird dieses höchst einfache Hilfsmittel
in vielen von der europäischen Kultur
noch nicht zn sehr beleckten Städte« de»
Orients von den öffentlichen Rechnern
gebraucht. Diese betnrbanten Herren
hocken oder sitzen mit nach orientalischer
Art gekreuzten Beinen an den Straßen
ecken aus der Erde, besonders in dem
„Suck" (oder Bazar), das heißt dem
kausmänii'schcn Viertel der Stadt, wo
insolge des ununterbrochenen Kaufs
oder Verkaufs alltäglich eine Menge
Rechenaufgaben zu lösen sind.
Sie huben ein etwa einen halben
Quadratmeter großes »ud mit einem
zwei Zentimeter hohen Rand versehenes
Brett, welches mit glattgestrichenem,
feinstem Saude gefüllt ist, vor sich auf
der Erde liegen, oder wenn sich an ih
rem Standorte ein genügend großer,
zlatter Stein befindet, benutzen sie ein
ach diesen als Untergrund für ihre
Saudlage. Könne» nun in den be
nachbarten Läden zwei miteinander
handelnde nicht eiliig werden, so be
geben sie sich zu einem solchen Rechen
künstler. ivelchcr gegen geringes Entgelt
lnit einem langen, vorn ganz sein zu
gespitzten Stäbchen die gewünschte Rech
nung in dem «sande aussührt. Die
heutige» Orientalen sind iu ihrer Ge
sammtheit — trotz der berühmten arabi
schen Astronomen »nd Mathematiker
des Mittelalters im Kopfrechnen nicht
sehr leistungsfähig, sodaß diejenigen
öffentlichen Rechenmeister, die ihre Kunst
gut verstehen, d. h. die schnell rechnen
löniien, einen nicht unbeträchtlichen Ta
aesverdicnst haben. In der Regel ha
ben diese Straßengelehrten einen kleinen
Aiingen an ihrer Seite, welchen! das
Amt zusällt, die glatte Sandlage vor
Zerstörung durch die Füße der Vorüber
gehenden zu behüten. Wo dieser Bei
stand sehlt. wehrt ein solcher moderner'
ilrchimedes selber mit seinem Stäbchen
»ie Fußgänger ab.
M l le. Paulina, eine ge.
dorcne Holländerin, soll das kleinste
weibliche Wesen der Welt sein. Sie
mißt 18 Zoll und wiegt 7 Psund, ist
von hübschem Aeußern, sehr gebildet
»nd spricht vier Sprachen.
Der goldene Mittelweg,
stets eingehalten, führt zur Eharakter
losigkeit.
(Chinesische Feinschinek»
lcr, bei denen Ratten-, Mäuse- und
Hmidcbratcn. die für die Menge große
Delikatessen sind, nur als bürgerliche
Hausmannskost gelte», verehren als
desoiideres Lieblingsgericht das Milhi.
voraus es besteht'? Aus nicht« Gerin
gerem. als ans eben geborenen, noch
dlinden Mäusen. Diese werden jedem
Kaste lebendig vorgesetzt. Man taucht
dieselben in ein Gefäß mit Honig und
schluckt dann die Thiere langsam her
unter. Als vor wenigen Jahren de,
jetzige Kaiser seine Hochzeit seierte, hatte
mau zu den Festmahlen nicht weniger !
»ls 50,000 junge Mäuse gefangen. !
Sie putzt sich.
„Nein, liebes Kind, die Sache schlag'
Dir aus dem Kopf! Daraus wird
nichts!" Fritz Krause bemühte sich sei
ner Frau eine möglichst strenge Miene
zu zeigen, aber sie ließ sich nicht so leicht
abschrecken. Sie wußte ja, welche
Macht sie über ihren Gatten besaß,
wenn sie ihn recht schön bat, uud daß
er ihr dann so leicht nichts abschlug.
Sie trat an ihn heran und umschlang
ihn mit einem Arm.
„Lieber Fritz, liebes Fritzchen! Bitte,
bitte, laß» mich doch auf den Masken
ball gehen!"
„Aber wir haben ja schon zwei Mas
kenbälle in diesen, Winter mitgemacht",
wehrte cr ab.
„Nur noch dieses cine Mal, das letzt«
Mal, licbcr Fritz, bitte, bitte!"
Er schüttelte mit dem Kopf. „Grad«
in dcr nächsten Woche geht es nicht.
Du weißt, dann sind wir bei der In
ventur uud da kannst Du nicht vo» mir
verlangen, daß ich mir das bischen
Nachtruhe —"
Sie ließ ihn gar nicht ausreden.
Ihre Wange schmeichlcrisch an die sein«
schmiegend, sagte sie:
„Wenn Tu selbst keine Lust hast,
dann erlaube wenigstens, daß ich mich
Jnspcetor Schmidts anschließe. Di«
nehmen mich gern unter ihren Schutz
und Du kannst ganz unbesorgt zu Haus«
bleiben."
Er kraute sich mit der Rechten verle
gen im Haar herum. „Aber die Ko
sten, die Kosten." stöhnte er verdrießlich.
„Erst in der vorigen Woche hast Dn
»inen neuen Hut gebraucht und im vo
rigen Monat ein neues Kleid. Du
wirst uns mit Deiner Putzsucht noch au
den Bettelstab bringen."
Sie richtete sich blitzschnell auf und
trat von ihm hinweg. Heute kam sie
mit ihrer gewöhnlichen Taktik nicht zum
Ziele, das merkte sie schon. Heute
mußte sie einmal stärkere Mittel anwen
den.
„Wie kleinlieh—wie schäbig," hob si«
an, und zog ihr Taschentuch aus dem
Klild. „wie schäbig, daß Du mir jede«
lumpigen Hut, jede Kleinigkeit, die Du
mir kaufst, vorwirfst."
Sie ließ sich in einen von dem feini
gen möglichst weit entfernten Stuhl
sollen uud rieb mit dem Taschentuch an
ihren Augen herum, während sie schluch
zenden Tones fortfuhr: „Ich bin
recht unglücklich ich ich arm«
Frau!"
Fritz Krause sprang ärgerlich auf.
Thränen! Das hatte ihm gerade noch
gefehlt. Er konnte überhaupt niemand
weinen sehen, am allerwenigsten seine
Frau. Sollte er wieder nachgeben?
Aber durste er sich immer und immer
wieder schwach «nd willenlos zeige»? m
Unschlüssig ging er vor ihr auf und
ob.
„Wenn Du Deine Frau wie eine Vo
gelscheuche kleiden willst," jammerte si«
weiter, „wenn Du willst, daß sie immer
und ewig zu Hause sitzt und Trübsal
bläst, dann dann hättest Du ein«
alte Schachtel heirathen sollen, aber
nicht mich, die ich jung bin und und
hübsch."
Das letzte Wort kam etwas leiser
heran« als die vorher gehenden und die
Sprechende neigte eine Sekunde lang
ihr Köpfchen gleichsam beschämt. Aber
dann richtete sie sich mit einer Gebärde
voll Selbstgefühl anf, trocknete di«
Thränen, die sie ihren Augen erpreßt
hatte, und trat vor den Spiegel, schein
bar. um eine losgegangene Haarflechte
fcstzusteckkn, in Wirklichkeit aber, um
ihn »ud sich von der Wahrheit ihrer
letzten Behauptung augenfällig zu über
zeugen. Sie hob die beiden, in den eng
anliegenden Aermeln plastisch hervor
tretenden Arme znm Haupte empor, bog
tkn Oberleib etwas nach hinten zurück
und betrachtete sich, an den Haaren
nestelnd, wohlgesällig im Spiegel.
Ja, sie war hübsch! Das m»ßte ihr
der Neid lassen. Aus schlankem, über
doch vollem, schneeweißem Halse, den
der Ausschnitt des Kleides bis zur Wur
zel freiließ thronte ein zierliches Köpf
chen mit regelmäßigen Zügen. Ihre
Figur zeigte jene reizvolle Fülle der
Forme», zn der junge Frauen in kin
derloser, sorgloser Ehe leicht zu gelan
ge» pflegen. Wie sie so dastand, hoch
emporgcreckt. leicht hinübergeneigt. wäh
rend der moderne Schnitt des anschlie
ßend«,: Kleides die Eontnren des jn
gendlich elastischen, graziös sich bewe
genden Körpers schars abzeichnete, hatte
sie etwas BersührerischeS.
Nun drehte sie sich zu ihrem Gatten
herum, streckte iu slchcuder Gebärde die
Arme gegen ihn aus, lächelte ihn mit
de» in feuchtem Glänze schimmernde»
Augen an uud flüsterte ihm in ihren
sanstestcn Bittlautcn zu: „Gelt, Fritz
chcn, ich darf nicht?"
Und er. der mit leuchtenden Augen
an ihren Reizen hing, dessen Herz hoch
anstlopste vor Stolz und Entzücken, in
dessen strahlendem Gesicht jede Miene
sagte: „sie-—sie ist mein!" erzog
sie an seine Brust und nickte Gewäh
rung.
„Kann ich Dir denn etwas abschla
gen, Du süße», theures, heißgeliebtes
Weib?!"
DiescZ wirksame Mittel, dem Frau
Lilly krause den Besuch des Masken
balls verdankte, wurde in der Folgezeit
von der listigen jungen Frau so oft an
gewandt, daß schließlich der gutherzige,
leicht überrumpelte HcrrKrausc die Ab
sicht merkte uud verstimmt wurde. Die
alte List, ihre Schönheit gegen den
Sparsainkeitssiiin ihres Gatten auszu
spielen, glückte nicht mehr und die
leichtsinnige junge Frau mußte auf an
dere Mittel und Wege sinnen, um der
zu iner förmlichen Leidenschaft bei ihr
einwickelten Plipsucht zu fröhneii.
Dieser Hang, die Reize ihres Körpers
durch Toilettenküiiste in ein möglichst
vortheilhaftes Licht zu stellen, schien
dem schönen Geschöpf sörmlich angebo
ren. Schon als ganz kleines Kind war
sie, so viel sie nur konnte, daraus aus
gewesen, sich zu putzen nnd zu schmücken.
Um ein Stückchen Band, um eine
Schleife konnte sie stundenlang betteln
und glückstrahlend, glühend vor Eiser
und Freude, trat sie vor den großen
Spiegel in dcr guten Stube, mcnn sie
das Erbettelte endlich triumphireud iu
den Händen hielt.
Ost stand sie stundenlang auf einem
vor den Spiegel gerückten Stuhl nnd
drehte sich und wendete sich, nm ihr
Spiegelbild von allen Seite» bewun
dern zu können. Dabe"i zergrübelte si«
sich das kleine Köpfchen und stellte
allerlei Versuche an, wie sie sich schöner
machen könne. Einmal hatte ihr dün
ken wollen, daß cine möglichst krebS
rothe Gesichtssarbe der Inbegriff aller
Schönheit sei «nd sie hatte, da ihr ein
anderes Mittel nicht zu Gebote stand,
mit den Fingern sich so lange in Wan
gen nnd Ohren gekniffen, ohne der
Schmerzen zn achten, bis das schönst«
Zinnoberroth erzielt war. Einige Zeit
daraus hatte ihr Geschmack sich in das
Gegentheil geändert und sie batte sich
ebenso gründlich ihr ganzes Gesicht pri
mitiv mit ordinärer Kreide weiß ge
schminkt.
Ein andermal redete sie sich ein, daß
zu einem vollkommen schönen Teint
cine möglichst settglänzendc Haut ge
höre, sowie sic cs an dcm Dienstmädchcn
ihrer Eltern wahrnahm, die des Sonn
tags ihrem Haar so reichliche Ouanti
täten Haaröl zuzusühreu liebte,daß ihr«
Stirn noch die ganze Woche hindurch
sörmlich von Fett troff. Und die klein«
eitle Evatochter erwischte heimlich ein
Fläschchen Provenecr - Oel und salbt«
sich damit Stirn, Wangcn und Ohren,
bis das ganze Gesicht wie »ine Speck
schwarte glänzte.
Mit den Jahren wuchs natürlich die
ser Hang sich zu putzen bei dem jungen
Mädchen uud ihm mußten sich alle an
deren Eigenschaften und Rücksichten un
terordnen. Schön zu sein und alle ihre
Freundinnen und Altersgenossen durch
den Glanz ihrer äußeren Erscheinung
zu überstrahle», das war die Tricbseder
aller ihrer Gedanken und Bestrebungen,
das Ziel ihres brennenden Ehrgeizes.
Kein süßeres Glück, keine höhere Wonne
für sie, als wenn sie sich, erschien sie
einmal in besonders prächtigem Kostüm
im Ballsaal. hundert neidvolle Mäd-
auf sie richteten, wenn sie
wahrnahm, wie Jene vor geheime»,
Aerger, den sic unter einem süß-sauren
Lächcln zu verbergen trachten, schier
bersten wollten. Ter Süßigkeit dieser
Empfindung kam nichts anders gleich
und der Neid und die Wuth der andern
jungen Mädchen erregten ihr ein zehn
mal stärkeres Entzücken, als schmeichle
rische Complimente der sie umdrän
genden Tänzer.
Diesem berauschenden Genuß zu Lieb«
überwand Lilly sogar die ihr angebo
rene Scheu vor jeglicher ernsten und
andauernden Beschäftigung. Das Kin
dergeld, das ihr Bater, ein Beamte,
ohne Privatvcrmögen, ihr geben konnte,
genügte ihrcn Ansprüchen bci Weitem
nicht. Und so saß sie oft, besonders
wenn ein Ball oder irgend eine andere
Festlichk.it, zu dcr sie geladen, in Aus
sicht stand, ganze Nächte lang auf und
stickte und häkelte für Geschäfte, um so
die Mittel zur Befriedigung ihrer Putz
sucht zu gewinnen.
Als ihr Vater gestorben war, ycira
thete sie einen ihrer wenigen Verehrer,
die eS eben ernst mit ihrcn Huldigungen
meinten, den Buchhalter Fritz Krause.
Doch war cs keineswegs Liebe oder auch
nur ei» Gefühl der Sympathie, das sic
antrieb, dcs Buchhalters Antrag anzu
nehmen. sondern sie heirathete ihn,
weil ihr nichts anderes übrig blieb, wcil
ihr die Mutter monatelang gepredigt
hatte, daß es jetzt die höchste Zeit für
sie sei, sich nach einer Versorgung um
zu'ehen.
Auf Fritz Krause war ihre Wahl ge
fallen, weil erstens das Gehalt, das er
bezog, ein höheres war, als das feine,
beiden Rivalen, und weil er zweitens,
wie sic schlan hcraussand, eincu saustcu,
nachgiebigen Sinn besaß.
Doch nun—nun endlich schien sogar
der gutmüthige Fritz Krause am Ende
seiner Nachgiebigkeit angekommen zu
sein. Denn eines Tages zeigte er sich
zu ihrer ebenso großen Verwunderung
wie Entrüstung vollkommen unerbitt
lich, als sie ihn wieder einmal znm An
kam eines eleganten Jackets verleiten
wollte, das in einer Auslage ihr Be
gehren geweckt hatte. Fritz Krause
hatte cingeschen, daß seine Willfährig
keit, weit cntfcrnt, sic zur Vcrnunst
und Einsicht zn bringen, ihre Ansorde
rungcn an sein.',, Geldbeutel nur noch
steigerten! jcdcr Wunsch, den sic durch
ihn erfüllt sah, reizte sic ncncn Bit
ten und ihre Ansprüche wuchsen schließ
lich in'S Maßlose. Hier konnte nnr
strengt und unerschütterlich? Stand
hastigkeit etwas ausrichten und wollte
er nicht das Glück ihrer Ehe, ja, seine
ganze Zukunft ans's Spiel setzen, so
mußte er sich endlich, so schwer cs ihn,
auch fiel, energisch gegen Lillys Putz
sucht zur Wehre setze».
Am Ouartalserste» zahlte cr seiner
Fran einen bestimmten, seinen, Ein
kommen entsprechenden Betrag ans,
indem er ihr zugleich ankündigte, datz er
sich unter leinen Umständen zu einer
Extrazahlnng verstehen würde.
Fran Lilly lachte in sich hinein,
zeigte cine gerührte Miene nnd gelobte
Sparsamkeit und Enlhaltsanikcit. Noch
au dciiijelbcn Tag aber nntcrnahin sic
ciiicn Rundgang durch die Modcladen.
Es war ein ordentliches Fest sür sic.
Soviel Geld aus cininal Halle sie lange
nicht beisammen gehabt und die Herr
lichkeiten in d.'i, Auslagesciistcrn lench
teten und lockten so versührerisch. daß
eS ganz unmöglich war, zu wider
stehen.
Als Frau Lrlly zwci Stunden späte,
nach Hause kam, hatte sie auch nicht
eine» Pscmiig mehr in ihrer Tasche.
Aber das machte ihr wenig Skrupel.
Das Geld war ja dazu da, daß man es
ausgab und sic hatt» ja nichts Unnützes
gekauft. Alles das brauchte sie ganz
nothwendig, de« neuen Eapothut so
wohl, wie den neuen Shawl »nd das
neue Spitzen-Fich». Dazu tröstete sie
sich mit der Hoffnung, daß ihr es auch
in Zukunft gelingen würde, wie bisher,
ihren Gatten, allen seinen Vorsätzen
und Androhungen zum Trotz, ihren
Wünschen geneigt zu machen. Aber
als sie kurze Zeit daraus sich überzeugen
mußte, daß weder ihr Bitten noch ihre
Thränen, ebensowenig wie ihr Schmei
cheln und Schönthnn diesmal bei iym
nicht verfingen, da gerieth sie ganz
anßer sich vor Aergerniß und Enttäu
schung.
„Du Du bist ein Barbar, ein
ein herzloser Tyrann!" ries sie ihm
zornsuvkelnd zu und gar nicht daraus
achtend, daß die Wuth ihre Gesichtszüge
verzerrte uud ihnen einen wenig schönen
AnSdriick verlieh. „Aber das sage ich
Dir, das das Kleid muß ich haben
unter allen Umständen muß ich es
haben!"
Und sie hielt Wort, sie lauste das
Kleid. Die Zahlung leistete sie in mo
natlichen Raten, das Geld knauserte sie
zum Theil von ihrem Wirthschaftsgelbe
ab, zum Theil brachte sie es durch kleine
Anleihen ans, die sie bei Nachbarinnen
und Bekannten anlegte. Von alledem
hatte Fritz Krause keine Ahnung. Er
schmeichelte sich vielmehr mit dem be
ruhigenden Gedanken, daß Lilly endlich
in sich gegangen. Da, eines Tages,
gingen ihm die Augen auf.
Er hatte sich eben zur Mittagsruhe
auf das Sopha gelegt, als ihn das Ge
kreisch einer srcmden weiblichen Stimme
auf dcin Eorridore unsanft empor
schreckte.
„Nein, länger warte ich nicht", hört«
er eine nicht gerade angenehm klingend
Wcibcrstimmc zornig herausstoßeii.
„Noch heute muß ich mein Gelo haben.
Hinhalten und immer hinhalten! Den
ken Sie, ich habe mein Geld gesun
den?"
„Aber »in Gotteswillen, so
schreien Sie doch nicht so lauk!" flüstert«
Frau Lilly in ängstlich zitterndem Ton.
.Wenn mein Mann Sie hört —!"
„Er so» nur mir recht! Von Ih
nen krieg' ich mein Geld ja doch nicht.
Am beste» ist's, ich wende mich gleich
direkt an Ihren Mann".
Ein paar krästig aussetzende Tritte,
dann ein unterdrückter Ausschrci aus
Lilly's Munde, die der ungestümen
Mahnerin entgegen zu trete» schien, ein
Hin »nd Her von Schritten, dazwischen
ein paar zornige Ausrufe wurden laut
die Streitenden waren offenbar iu
ein Handgemenge gerathen.
Fritz Krause hielt es an der Zeit ein
zugreifen. Er sprang aus und eilte
zur Thür.
Im Korridor stand neben feiner
Frau, die heftig erschrak und schuldbe
wußt den Kops vor seinen forschenden
Blicken senkte, ein ordinär aussehendes
Weib mit hochrothem, erhitztem Gesicht
und boshaft funkelnden Augen.
„Was wünschen Sie?" fragte Fritz
Krause kurz uud bestimmt.
„Ich?" Die Frau blickte ihm dreist
in's Gesicht, „Na. was werde ich'n
vollen? Mein Geld will ich. Zwanzig
Mark. Seit zwei Monaten schon ist's
mir Ihre Frau schuldig".
„Kommen Sie!" sagte er, ohne ein
weiteres Wort zn verlieren.
Er führte die Fremde in sein Zim
mer, händigte ihr den Vertrag aus uud
ließ sich eine Onittnng geben. Lilly
stand daneben und blickte überrascht aus
ihren Mau», der eine so ruhige, glcich
müthige Miene zeigte, als ob ihn die
Sach' nich » anginge. Als die Frau
hinausgegangen war, sprang er heftig
auf und ichritt erregt im Zjmnicr auf
und ab. Seine frühere Gelassenheit
war mit einem Male verschwunden.
Lilly näherte sich ihm mit bittendem
Blick uud gcsaltcten Händen.
„Nicht böse sein!" lispelte sie mit
ihrem verführerischsten Blick. Ich will's
auch ganz gewiß nicht wieder thun.
Siehst Du, ich—"
Er unterbrach sie mit einer raschen
Handbcwcgnng, und wehrte sie, als sie
ihn schmeichlerisch uuisasjcu wollte, von
sich ad. Dann setzte er sich, legte ein
Blatt Papier vor sich hin und ergriff den
Bleistift. „Die anderen Schulden?"
fragte er kurz.
Sie starrte ih» erschreckt an. „Ich?—
Aber ich ich habe keine keine
Schnlden weiter." Ihr Stammeln,
.hre verlegene Miene verriethe» sie je
doch zu deutlich uud nach einigem Drän
gen bequemte sie sich, noch zwei weucre
Namen und Beträge anzugeben mit der
ausdrückliche» nnd feierlichen Versiche
rung. daß sie weitere Schulde» ganz
, ewiß und wahrhaftig nicht babe.
" Drei Tage später wiederholte sich je
doch die Scene vom Eorridor und es
stellte sich in dc» nächsten Tagen hcr
axs, dag Lilly ihrem Batten noch eine
ganze Anzahl anderer kleiner Darlehen,
deren Zahlung lang» sallig war, ver
schwiegen hatte. lins dabei hatte Friß
Krause nicht einmal den Trost, daß die
eindringliche Mahnung, die er an Lilly
gerichtet, die Berusung an ihr Gewissen,
ihre Liebe nnd ihr Pflichtgefühl, die sie
mit reichlichen Thräncnergüssen midmi
iähligen Senszer» und Gelöbnissen be
gleitet, auch nur den geringsten Ersolg
zeigten. Denn es zeigte sich sehr bald,
daß Frau Lilly, wo sie nur irgend
konnte, mit ungcschwächten Krasten
weiterborgte.
Friß Krause faßte einen heroischen
Entschluß. Er sah ein, daß er auf eine
Besserung seiner Fran kaum rechnen
durste und daß er sie, wollte er sich von
ibr nicht ganz und gar ruiuiren lassen,
gewaltsam vom weitem Schnldenmachen
zurückhalten müsse. Er liev daher fol
gendes Inserat in die Zeitung einrücken:
„Ich warne jedermann meiner Fran
Lilly irgend etwas auf meinen Namen
zn borgen, da ich für nichts aufkomme.
Friß Krause, Buchhalter.?
Tos wirkte. Frau Lilly hörte auf.
Schulden zu machen, weil ihr Niemand
mehr etwas leihen wollte. Zum ersten
Mal in ihrer Ehe sah sie sich in die
Nothwendigkeit versetzt, mit dem. wag
ihr Gatte sür ihren Putz sreiwillig her
gab. sich einzurichten. Für diese Be
ichränkuiig und sür die Beschämung
die für sie in dieser öffentlichen Erllä
rung ihres Gatte» lag. rächte sie sich
diirch ein mürrisches, verdrießliches We
sen, das Fritz Krause schwer, aber mil
Geduld ertrug. Verlangte es ihn ein
mal, von seiner Frau ein srcuiidliche-
Gesicht zu sehen, ein liebevolles Worl
zu hören, so gab es nur ein Mittel: e,
mußte irgend ein Gescheit, sei es eine»
neuen Fächer oder irgend ein schönt
Toilettenstück sür sie mit nach Haus«
bringen.
Ein freudiges Familiencreigniß, daz
um jene Zeit eintrat, brachte die beide»
Eheleute wieder einander näher. Frau
Lilly beschenkte ihren Gatten mit eine»,
Töchterchen.
Fritz Krauses Glück war groß. El
konnte sich nicht gcnng thun in Auf
merksamkeiten sür Mutter »nd Kind.
Um den erhöhten Anfordcrniigen genü
gen zu können, welche der Familienzu
wachs au seine Börse stellte und in
erhöhtem Maße stellen würde, ver
tpnschte Fritz Krnnjc seinen Buchhalter-
Posten mit der Stellung eines Reisen
den, die wesentlich einträglicher war.
Zwar war es ihm, besonders in der er
sten Zeit, schmerzlich, sich auf Wocher
und Monate vo» feiner Frau, die e>
jetzt mehr lieble, als je, trennen zu
müssen, aber cr gewöhnte sich daran,
weit es doch nicht anders ging.
Um diese Zeit war es, daß Lilly einei
Tages ein Modenmagazin besuchte, un
sich Stoff zu einem neuen Kleide, da§
,ie diesmal in der That nothwendig ge
brauchte, zu kausen.
Der Inhaber des Geschäfts bedient«
sie selbst eS war nm die Mittags
stunde und die meisten dcr junger
Leute waren abwesend. Nnr ein paa,
Lehrlinge hockte» schläsrig in einem de,
äußersten Winkel dcs großen Ladens
Der Kansmann hatte Lilly verschieden,
prächtige Stoffe vorgelegt, die die ltb
h«steste Bewunderung dcr Putzsüchten
jungen Frau crrcgtcu und cr stapclt«
immcr „och ucue Stoffballen vor ih>
auf, den einen immer kostbarer als dcr
auderen.
Frau Lilly ging das Herz auf. Jhi
Gesicht strahlte, mit zitternden Fing-rr
tastete sie an den Stoffen herum, mi:
leuchtenden Augen prüfte sie das fein«
Gewebe und sie tonnte sich nicht sat!
sehen an all dein Herrlichen uud Schö
nen. Besonders war es ein schwere,
Moiree-antiguc-Stofs, der ihr ein enthu
siastisches Entzücken abnöthigte und zu
dem ihre Auge» »nd Sinne, so viel
andere Stoffproben auch ihre Aufmerk
samkeit immer von Neuem ablenkten,
immer wieder zurückkehrten.
Aber ach, als nun der Kaufmann
auf ihr Befragen den Preis nannte, dc
ließ sie muthloS de» Kopf hänge». Ui»
das Zweisache überstieg der ang'gebcn,
Preis den Betrag, über den sie zu,
Zeit versügeu konnte. Was thun'!
Ein tiefer Seufzer rang sich aus de,
beklommenen Brust empor. Es bliet
ihr nichts übrig, als bedauernd zu ent
sagen uud sich iür einen billigeren Stoss
zu entscheiden.
„Ich würde Ihnen zu diesem Moiree
antique rathen," nahm der Kaufmann
das Wort, „es ist für diesen Preis da«
Beste, was wir haben."
„Der Preis ist mir zu hoch," erklärte
sie kleinlallt.
„Zu hoch? Aber ich bitte, der Preis
ist eher zu niedrig angesetzt."
Sie erröthete leicht. „Ich meine, e,
er übersteigt meine augenblickliche,'
Mittel."
„Das würde kein Hinderniß sein/
versetzte der Kaufmann geichineidig,
ohne sich einen Augenblick zu besinnen,
„ich kreditire Ihnen gern."
Sie erhob erstaunt den Blick zu ihm.
Hatte er denn nicht die öffentliche War
nung ihres Gatten gelesen? Ein kur
zer, heftiger Kampf entspann sich iu
ihrer Seele. Durste sie das Anerbie
ten annehmen? Sie würde ja doch sc
bald nicht in der Lage sein, der über
nommcnen Verpflichtung nachzukom
men. Dazu kam, daß die Persönlich
keit des GeschäslsitthaberS ihr unsym
pathisch war. Sie hatte schon oft bei
ilim gekauft und jedesmal war ihr der
eigenthümlich lauernde, stechende Blick,
mit dem er sie siiirte, unangenehm aus
gefallen. Auch jetzt erregten ihr sein«
Blicke, die dreist über ihre ganze Gestalt
hinglitt.», ein fast pyysiichcs U»>"
'>agen.
„Ich b?daurc," entgegnete sie stockend,
sich mir schwer von dem Verlangen los
reißend. den Stoss, der es ihr ang.»
than, in ihren Besch zu bringen, „ich
bedaure, deuu ich würde anch in dci
nächsten Zeit wohl nicht im Staut»
sein —"
Der Kansmaun unterbrach sie. In
süßlichem, einschmeichelndem Ton«
sagte er:
„O. ich würde nicht drangen, schöne
lch kreditirc Ihnen aus ein
Jahr, aus solange Sie wünschen."
Sie blickte freudig überrascht aus.
„Aber ich mein Mann —" stam
melte sie schwankend. Der Moiree
autique - Stoss glänzte und lockte.
ES war schwer, säst unmöglich, zu
widerstehen.
„Ihr Herr Gemahl!" antwortete de,
Kausmanu mit einem listigen Lächeln.
Er braucht es ja nicht zu erfahren,
wenn Sie es nicht wünschen. Sie lei
sten die Zahlung ganz nach Ihrem Be-
Sie that einen tiefen Athemzug.
„Gut!" sagte sie hastig. ent.chlosjeV
»Ich nehme den Stoss."
Wie entgegenkommend doch diese Ge>
schästsleute waren, nur nm etwas von
ihrer Waare IoS zu werden.
Am Nachmittag erschien der Bote des
GeschästS. um den Stoss abzuliefern.
Mit ihm sprach, zur große» Ueberra
schung Lilly s, der Ehef selbst vor. um
ihr. wie er ihr in seiner höflichen, zu
vorkommenden Weise erklärte, ein paar
soeben erst eingetroffen: Probe i von
Neuhklten in Schlafrock-Stoffen vor'
zulegen.
Es war einige Jahre später. Fritz
Krause war den größten Theil dcs Jah
res ans Reisen. Mit seiner Fran lebt«
er in bester Harmonie. Es schien, als
ob sie endlich ihren Fehler ganz und
gar überwunden hatte. Wenigstens er
eignete es sich nie mehr, daß sie über ih,
knappes Kleidcrgeld klagte, oder mil
Bitten in ihn drang, ihr Dics ode.
Jenes, das ihre Putzsucht erregt hatte,
zu kausen. Fritz Krause würde sich als
glücklicher Mensch gesühlt haben, wenn
ihn, nicht sein Gesundheitszustand, der
nnter dc» Strapazen seines Beruses er
heblich gelitten hatte, schwere Sorger
gemacht hätte.
Eines Tages, auf der Tour, würd«
er Plötzlich von einen, so hestigen Un
wohlsein ergriffen, daß es ihm nnmög
lich war, die gewohnten Kiindcnbcsuchi
zu machen. Eine lebhafte Schnsnchl
nach seinem Heim, nach Fran »nd Kinl
kam über ihn und kurz entschlossen setzt«
er sich in die Eisenbahn und dampft,
dcr Hcimath zn. Ein paar Tage Ruh,
und liebevolle Pflege thaten ihm Noti
und würden -ihm gewiß wieder schnell
aus die Beine bringen.
Es war schon gegen zehn Uhr, als di«
Droschke vor seinem Hanse hielt. E,
blickte zn dcr in der dritten Etage gele>
genen Wohnung hinauf.
Alles Duulel! Lilly schon zu Bett?
Freilich, sie tonnte ja nicht wissen, das
er kam und was sollte sie mit dcm Kind,
so spät allein aufsitzen?
Leise öffnete er oben die Eorridor
thüre nnd behutsam trat er in da«
Schlafzimmer. Leises Weinen tönt
ihm entgegen.
„Was hast Tu, Lieschen? War,,«
weinst Tu?" fragte er. die Stimim
seines Töchterchens erkennend.
„Papa, licbcr Papa!" erklang de.
Kleinen jubelnde Stimme. Uiiddan»,
im Klageton: „Ich habe mich so sehi
gefürchtet. Immer fürchte ich mich, wem
Mama fortgeht und mich im Finster,
allein läßt."
„Mama ist fort?" fragte Fritz Kraus,
erstaunt, ein Zündholz anreibend mit
die auf dem Tisch stehende Lampe an
steckend.
„Ja! So oft bin ich allein und wem
ich dann aufwache, daun fürchte ich miä
so sehr!"
„So oft!" Fritz Krause rief es er
bleichend aus und ein Zittern durchlief
feinen ganzen Körper. Er ließ sict
schwer auf ciucu Stuhl neben dem Bet!
des Kindes nieder, das nun, beruhigt,
sehr bald wieder in den ruhige«, fester
Schlaf der Jugend verfiel.
Fritz Krause aber befand sich in eine,
ficbcrhasten Erregung. Sein ruhelose,
Heist suchte «ach den verschiedensten
Möglichkeiten. Lilly's Abwesenheit zu
erklären. Vielleicht hatte auch da-
Kiud übertrieben. Vielleicht hatte si<
sich nur aus eine kurze Spanne Zeil
entfernt, um irgend eine bekannte Fa
milie in der Nachbarschaft zu besuchen.
Aber es verging Viertelstunde auf Vier
telstunde und Lilly kam nicht. Da be
gann endlich in dem Hirn des unglück
liche» Mannes die Ahnung von etwas
Ungeheuerlichem zn dämmern. Mil
zitternden Fingern wühlte er in der
Schubfächern der Kommode, ob sich „ich!
irgend etwas sände, das ihre abend
lichen Ausgänge zu erklären geeignet
sei.
Endlich siel ihm ein halb zerknitter
tes Stück Papier in die Hände, aus dem
von srcmder. ihm unbekannter Män
nerhandschrist geschrieben stand: „Habe
zwei Billets zum Opernhaus. Nach
der Borstellung soupiren wir bu
Dressel."
„Bei Dressel!" stöhnte der Lesende
halb bewußtlos auf den nächsten Stuhl
sinkend. Ein furchtbarer Schmerz
krampste sein Herz zusammen, die un
geheure seelische Erschütterung, die ih»
durchsuhr, trieb ihm den Schweiß ans
die Stirn. Bei Dressel! Keiner von
seinen Bekannten verkehrte i» diesem
eleganten, theuren Wein-Restaurant,
noch hatte je einer von ihnen dort ver
kehrt.
Eine Weile saß Friß Krause wie be
täubt. Dann raffte er sich auf und
wankte, in alle Schränke nnd Ecken
spähend, durch die drei Zimmer der
Wohnung. In der kleinen, neben der
Küche liegende» Kammer, in die er nie
seinen Fuß zu setzen pflegle, machte er
eine Entdeckung, die ihn iin erste» Mo
ment wie zu Stein erstarren ließ.
Wohl ein Dutzend sehr eleganter, mo
derner Damen-Toiletten hingen dort,
sorgsam »nter dichten Tüchern versteckt.
Kein einziges dieser kostbare» Kleider
erinnerte sich Friß Krause je aus Lillys
Körper gesehen zu haben. Trug sie
dieselben nur in seiner Abwesenheit?
Und wo hatte sie das Geld her. diesen
LuruS zn bestreiten? Hatte sie das Al
les ans Borg angeschafft? Unmöglich.
Der Fran eines cinsachen GcschaftSrei
scnden würde Niemand einen solchen
Eredit gewähren....
Es war schon Mitternacht vorüber,
als Lilly endlich heimkam. Sie stieß
einen lauten Schrei ans. als sie die
Thüre öffnete und den Gatten mitten
im Zimmer erblickte.
„Wo kommst Du her?" fragte er si«,
während eine hektische Röthe aus seine»
Wange» flammte.
„Ich? Inspektor Schmidts—"
Er unterbrach sie heftig. „Lügnc
rin!" rief er ihr drohend zu, so das? sie
augenblicklich verstummte und schnldbc
wußt die Augen vor seinen zornsprühcn
den Blicken senkte. Dann ergriss er sie
rauh am Arm und sührle sie in die
Kammer und deutete stumm auf die
Robe», welche die eine Seitenwand fast
bedeckten. Und dann, in das Zimmer
inrückkchrend. warf er ihr den Brief
vor die Füße, angesichts dessen sie ihr
Leugnen aufgab. Nun aber, ihm
trotzig die Stirn bietend, begann sie
mit einem Male die Rollen zu tauschen
und sich aus der Schuldbeladenen in
eine Anklägerin umzuwandeln. Wa-
cum habe er sie so knapp gehalten'?
Warn», »ie elw.is sür ihr Vergnügen,
s sür ihre Zerstreuung gethan? Sie sci
nun einmal nicht geschaffen, still zu
Hause zu sitzen und Strümpsc zii stricken.
Seine Pflicht wäre es gewesen, seine
Frau das Leben schön und angenehm
zu gestalten uud er selbst sei der Erste
gewesen, der sich der Erfüllung seiner
Wicht entzogen habe.
Fritz Krause starrte sie an, als sei si?
kine übernatürliche Erscheinung, die ihm
Grausen und Entsetzen einflößte. Sein
Gesicht färbte sich duntelroth. seine Au
gen quollen aus ihren Höhlen hervor
plötzlich stürzte er mit einem unna
türlichen Schrei zu Boden.
Fritz Krause erholte sich von dem
Schlaganfall, den ihm die plötzliche,
ungeheure Erregung zugezogen, nicht
wieder. Sei« Zustand war ein lang
sames Sterbe». Frau Lilly saß an
seinem Bette, im schönen, geschmackvol
len Schlafrock. Was in ihrer Seele
vorging, verrieth das gleichmüthig
drcinblickendc Gesicht nicht. Auf (Ge
wissensbisse deuteten weder ihre Mienen
noch ihre Handlnngen. Wen» die
Stunde kam, in der sie den Arzt crmar
tete, trat sie vor den Spiegel, strich das
Haar zurecht und unterzog ihre Toilette
einer eingehenden Musterung.
Als ihr Gatte die Augen für immer
geschlossen hatte, lag ihr eine solch?
Fülle von Besorgungen ob, daß sie gar
nicht recht zur Besinnung kam. Di?
Anschaffung eines eleganten Traner
costüms nahm eine« große» Theil ihrer
Zeit in Anspruch. Als alles dazu Ge
hörige bis aus dc» lang herabwallenden
Witiwenschlcicr ihr übrrbracht worden,
schlüpslc sie voll Eiser in das dunkle
Gewand. Roch nie hatte sie sich in
Traiicrklcidung gesehen. Als ihr Va
ler starb, war sie ja noch ein junges
Ding gewesen.
Voll Neugierde trat sie vor den Spie
gel uud ei« „Ah!" der Bewunderung
entschlüpfte ihrem Munde. Das hätte
sie nicht gedacht! Wie entzückend das
dunkle Gewand zu den zarten Farben
ihres Teints, zu dem helle» Blond
ihres starken Haares stand ! Und der
Schleier, den sie von rechts nach links
um den Hals drapirke und über die
linke Schulter zurückwarf, wie interes
sant der ««achte, wie anziehend er die
schwache, hilflose, trvstbedürstige Wittwe
markirte! Frau Lilly drehte sich nach
rechts und drehte sich nach links und
wurde nicht satt, sich voll Bewunderung
und Entzücken von allen «eiten zu be
trachten. Und lange-lange dachte sie
über die wichtige Frage nach, ob das
'eierliche, vornehme Schwarz sie nicht
besser kleide, als alle jene leuchtenden,
buntfarbigen Kostüme, die ihr vor ihrer
Wittwen-Zeit als Folie ihrer Schönheit
gedient....
Ballade.
Der Ritter Dagobert von Stein
Möcht' nennen gern ein Mägdlein
sein.
Doch Ritter Kurt von Hohenthurm
Erobert sich ihr Herz im Sturm
der Kerl!
Da greift der Ritter Dagobert
Gar grimmig nach dem Ahnenschwert.
ssannst Dn nicht werden meine Braut,
Wirst Tu auch ihm nicht angctraut
dem Kerl!"
Lr sprengt durch Nacht und Grau':,
dahin.
Er sucht den Buhlen, er sucht ihn,
Der ihm geraubt sein holdes Glück, u
Dcr sie berückt mit seinem Blick
de» Kerl!
Zlls er am Wirthshaus stob vorb.i,
Da sah er driuuen sitzen Drei:
Den Ritter und sein Liebchen sein.
Doch auch die Schwiegermutter sein
von dem Kerl!
Doch kaum thut die sein Blick er
schaun.
Erfaßt ihn übermenschlich' Grau'n>
?r sprengt zurück iu wilder Jagd:
„Die Strase sei Dir zugedacht
Du armer Kerl!"
-Dcr Bekannte An schützt
schc Schncllsehcr hat durch die Bemü
hungen des Franzosen Dcnicny. nach
.La Nature". eine neue Verwendung
gefunden. Bislier wurde er Hauptsache
.ich dazu verwendet, die Täuschung her
vorzurufen. als sähe man z. B. ein
zalop'.n'.cndcs Pscrd sich übe-r cine
sorlb 'wegc», uud dies wurde da
durch crsiclt. daß ma» photographifche
Momeiilausiiahmc» dcr einzelne» Be
wegungen d.s Pferdes beim Galoppi
,cu dem Beschauer in rascher Folge
zmführte. Demcny hat nun das Ver
fahre» auf die Lippen- und Znngci:-
!>ewegu!ige» eines Menschen beim Spre
izen angewendet: cr Photograph,,-t also
icdc einzelne Bewegung »ach einander
tind führt die Ausnahmen mit Hilse
)es Schncllschers dem Zuschauer derart
»or. daß dieser ciucu vor
iich zu" haben glaubt. Demeuy hat
ins das Exempel eine glänzende Probe
zeliesert. Er stellte vor den Apparat
kine» Taubstummen, der ohne Zögern
>ie Muiidbeiveguilgen in die gewöhn
iiche Sprache übertrug, was daher
rührt, daß die Taubstuinmcn bekannt
lich im Abfchcn eine große Ucbung l»
itzcn.
—Zu gewissenhaft. „Sie.
Johann, ich kann durchaus nicht Kul
ten, daß Sie fortwährend bctruukcn
iind. Bedeuten Sie. wie viel Geld Sic
zaben könnte», wenn Sie sich alle
Trinkgelder zurücklegen wurden!"
,Da bin ich ein viel zu gewisseuhaster
Mensch. Für was ich das Geld kueg',
»azu verweud' ich s auch!"
Auch ein Kunstfreund.
, Ich schwärme riesig sür'S Thea
>tr!" „So, das hab' ich gar nicht ge
rußt!" „Ja weil meine Alte so
»ft hineingeht!"