Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 20, 1892, Page 2, Image 2

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    2 Arau Minna» osterkuchen.
Im ganzen Lande konnte sich Nie
mand so herzlich auf das Osterfest
freucn, wic Frau Minna X. cs that,
die fchr jugendliche Gattin eines Bank
beamteil in Berlin. Erst vor wcnigcn
Wochen war sie in dcn heiligen Ehe
stand getreten nnd jetzt wollte sie zum
erste» Mal a» eincr großen Aufgabe
ihre hausfrauliche Kunst erproben. Sic
hatte nichts Geringeres vor, als einen
Osterkuchen zu backen eigenhändig,
ohne jede andere Beihilfe als die des
getreuen Kochbuches, das ihr in ihrer
jungen Ehe schon so manchen guten
Dienst geleistet hatte. Di« Brust von
freudigen Hoffnungen geschwellt, machie
sie sich ans Werk, das zweifellos herr
lich gelingen mußte. Der Teig wurde
nach Vorschrift bereitet und alsdann
die gefüllte Form in deii/Ofen gescho
ben.
Frau Minna hätte laut aufjubeln
mögen, als sie nach einer guten Stunde
den braunen dampfenden Napfkuchen
auf den Küchentisch stellen konnte. Ach,
wie würde ihr Mann sich freuen und
ihre Geschicklichkeit loben,wenn er sich am
Ostermorge» an dem köstlichen Gebäck
erlabte! Wahrlich, sie hatte eS an kei
ner Zuthat fehlen lassen, sondern alle
noch etwas reichlicher genommen, als
eS Kochbuch vorschrieb.
Als ihr Gatte Abends nach Hansel
kam, zeigte sie ihm triümphirend das!
Wunderwerk. Eigentlich hatte sie ihw
am Ostermorgen damit überraschen
wollen, aber ihre Ungeduld erlitt eine!
solche Verzögerung nicht.
„Und nun koste mal, liebes Männ-'
chcn," rief sie frohlockend, als er sich
genugsam an dem Anblick der Herrlich-!
keit ergötzt hatte, „koste und gieb Dein
Urtheil ab." Sie schnitt ein zierliches!
Stückchen ab, er kostete und verzvg et
was merkwürdig das Gesicht.
„Nun?" fragte Frau Minna ge
spannt.
„Hm, nicht so übel," meinte er,
„nur . ich weiß nicht hm, etwas
scharf. Möchtest Du nicht auch einmal
losten?"
Frau Minna war bei den merkwür
digen GesichtSverzerrungcn ihres Gat
ten etwas blaß geworden. Sie schnitt
jetzt ein Stückchen von dem Napfku
chen ab und aß.
„Nun was meinst Du dazu?" fragte
Herr X.
„Schrecklich!" rief seine Frau, inde n
sie in Thränen ausbrach. „Wie ist das
nur mi glich! Ich habe doch Alles ge-!
nau nach Borschrift gemacht.... Hier,
steh selbst." Schluchzend holte sie das
Kochbuch herbei und schlug den Artikels
„Alles nach Vorschrift,"
fuhr sie fort, wie es hier steht: 35V S
Butter wird schaumig gerührt, danw
giebt man langsam 8 Eier daran —i
ich habe sogar zehn genommen H
gesiebtes Niehl, 100 entgräthete Sar
dellen, gehackten Schinken, etwas Bra
tensaft und ein halbes Glas ungari-«
schen Wein... .Genau so hab' ich's ge-'
Macht, und doch .... nein, es ist uner-i
hört!"
Herr X. nahm kopfschüttelnd das
Kochbuch ziu Hand und las.
hm," meinte er, „Tu hast dich wirklich
genau au die Vorschrift gehalten, liebe
Minna, ganz genau, und
hen, daß hier Mci Blätter aneinander
kleben. Du bist aus dem Napskuchen
in die kalte ungarische Schinkenpateste
gerathen das ist Alles. Na, laß
Dich das weiter nicht anfechten, wir essen
halt unsern Osterkuchen einfach al'
Pateste."
„Aber nicht wahr/' fragte Frau
Minna, als sie sich ausgeweint hatte,
„wenn man sich die Sardellen wegdenkt,
und die Kapern und Schinken, dann ist
is ein feiner Osterkuchen?"
„Ein sehr feiner Osterkuchen," be
kräftigte ihr Gatte. „Aber weißt Du,
das nächste Mal laß' ihn doch lieber
vom Bäcker holen."
's Liedle.
Ond wann De net kommst, no' bleibst
halt e-weg,
No' hock i' alloi mi' uf d' Bank an der
Heck,
Ond pfeif m'r a' Liedle ond mach m'r
en Roim
Ond gang g'rad so lustig, wie-n i'
komme be', hoim!
Es stoht en koim Buech no', drom bild'
D'r net ei':
Daß Du g'rad, lieb's Schätzle, mci'
Schätzle müefch fei'!
Ond i'?. .No jo! i'. .stirb wohl au' net
glei' d'ra',
Ond send au' wieder Oine, die no' lieb
ha'n me' ka'!"
Väterliche Fürsorge.
Lieutenant A : (von der Garde in eine
kleine Garnison versetzt): „Sagen Sie,
um Gotteswillen, Kamerad, wie bringt
ein anständiger Mensch in diesem Neste
seine außerdienstliche Zeit hin?" Lieu
tenant B: „Dieferhalb brauchen Sie sich
keine grauen Haare wachsen zu lassen!
Unser Bataillonskommandeur hat in
weiser Berücksichtigung eben geäußerter
derartiger Besürchtungen des „Sich zu
Tobe Laiigweilcns" in väterlichster
Weise dafür Sorge getragen, daß eine
dienstfreie Zeit hier überhaupt nicht
existirt!"
Verkehrte Welt. Back
fisch: Da lese ich eben im „Bienen
freund": „Wenn man verhüten will,
daß die Biene» schwärmen, so nehme
man ihnen die alte Königin und gebe
ihnen eine junge." Bei uns Menschen
müßte man gerade das umgekehrte Mit
tel anwenden!
Bisher hieß es: Man solle
nicht in der Schule schwatzen; auch,
man solle nicht aus der Schule schwat
zen; bald wird es auch heißen, man soll
nicht über die Schule schwatzen.
Es gibt viele Menschen,
die sür Nichts Interesse haben, als für
Interessen.
«ine Suppen-Plauderei»
Was halten Sie vom Genuß der
Suppen, Herr Doctor? Empfehlen
Sie Suppen oder verwerfen Sie sie?
Was halten Sie von einem Glase
Wein bei Tische? Rathen Sic mir zu
eincm leichten oder schweren Wein beim
Essen?
Diese und ähnliche Fragen werdc»
a» de» Arzt fast täglich gestellt, »nd da
er nicht jedem «wißbegierigen eine drci
viertelstündige Borlesung halte» kann,
so lautet seine Antwort so kurz und
vielsagend wie ein Delphischer Orakcl
spruch.
Diese Zeilen sollten versuchen, dem
Laien auf obige Fragen die Antwort
ein für allemal zu geben.
Zu diesen, Zwecke müssen wir cin
wenig weit ausholen und mit de» Nah
rungsmittel» der Mensche» beginne».
Unsere Nahrungsmittel zerfallen in
zwei Hauptklassen, in die stickstoffhalti
gen und stickstofffreien.
Die stickstofflwltigen sind die wichtige
ren, denn sie bilden das Blut, sie er
setzen die Materie des Organismus.
Man faßt sie zusammen unter dem Na
me» Albuminate. Zu ihnen gehören
vorzugsweise die Milch, das Fleisch, die
Eier, die Hülsenfrüchte und die Getreide
sorten.
Die stickstofffreien Nahrungsmittel
bestehen vorherrschend aus Kohlenstoff
und Wasserstoff und werden Kohlen
hydrate genannt. Zu dieser Klasse
gehören die Fett- und Oelarten, ferner
der Zucker, dcr Alkohol, Kaffee, Thcc
u. f. w. Sollen diese blutbildcudcn
und wärmccrzcugende» Nahrungsmit
tel ihren Zweck voll und ganz erfüllen,
müssen sie die „Ernährungssalzc", wic
Ehlornatrium, Kali und Phosphor
salze, Magnesia undEifen, in genügen
der Menge enthalten. Mit Ausnahme
des Kochsalzes (Chlornatrium) sind
diese Salze in dcr Regel in dcn Nah
rungsmittel» von Natur aus enthal
ten, es kommt also für den Menschen
aus die richtige Auswahl der Speisen
ganz besonders an. Am zweckmäßigsten
ist unsere Nahrung, wenn sie eine ge
mischte ist, das heißt eine aus thierischen
und pflanzlichen Stoffen zusammenge
setzte.
Justus v. Liebig mißt den Ernäh
rungssalzc» eine sehr große Wichtigkeit
bei nnd erlSutert diese durch folgendes
Beispiel: Das Ei gilt bei den meisten
Menschen wic die Milch für ein voll
kommenes Nahrungsmittel, und doch
hat die Erfahrung gelehrt, daß man
das Leben nicht mit Eiern allein zu er
halten vermag. Diese Thatsache ist
auffallend, da sich doch aus dem Ei das
ganze Thier entwickelt mit Blut, Mus
keln, Knochen, Gehirn, Rückenmark
». 's. w. Licbig erklärt diesen schein
bare» Widerspruch aus dem Mißver
hältnisse, in welchem sich die Ernäh
rungssalze im Ei vorfinden. Das Ei
enthält auf 100 Theile Phosphorsäure
nur 38 Theile Kali, während beim
Fleisch auf 100 Theile Phosphorsäure
140 Theile Kali kommen. Im Fleisch
ist die Phosphorsäure durch das Kali
ncutralisirt, während im Ei sich 30 pCt.
freie Phosphorsäure befinden, welche
für die Entwickelung des Thieres eine
unerläßliche Bedingung ist, indem sich
die freie Phosphorsäure während der
Blütezeit mit dem kohlensauren Kall
der Eischale, die dadurch immer dünner
wird, austauscht und so phosphorsaurer
Kalk gebildet wird, der Hauptbestand
teil der Knochen.
Um noch einen anderen weit verbrei
teten Irrthum aufzuklären, sei noch er
wähnt: Ein Uebermaß von Nahrung
entwickelt nicht mehr Kraft als der Or
ganismus eben nöthig hat, cs wird dann
dcr Ucbcrschilß der Albnminate zur
Wärmeentwicklung verwendet.
können also unter Umständen die wär
lnecrzcugcndcn Nahrungsmittel durch
cin Plus der blutbildende» ersetzt wer
den aber niemals umgekehrt —,
da die Kohlenhydrate unfähig sind,
die Materie des Organismus zu er
setzen.
Es ergibt sich aus dem Gesagten von
selbst, ob eine Snppe nahrhaft ist oder
' nicht; enthält sie viel Albnminate, so ist
sie nahrhaft, enthält sie keine, ist sie eS
nicht. Daß eine gute Erbsen-, Boh
nen- oder Linscnsuppe kräftig und
nahrhaft ist, bedarf keiner bcsondcrcn
Erwähnung. Wenn die ansangs er
wähnte Frage gestellt wird, meint man
in dcr Regel die Rindfleischsuppe, ge
nannt Bouillon.
Ueber den Nährwerth dieser Suppe
äußert sich eine Autorität ersten Ran
ges, Rudolf Virchow, folgenderma
ßen :
„Die gewöhnliche Fleischbrühe in ih
rer reinen Form ist nur als ein Genuß
mittel (Kohlenhydrat) zu betrachten,
dem man durch den Zusatz von Ei,
Mehl oder sonstigen Zuthaten gewissen
Nährwerth geben kann. Ursprünglich
ist nur eine höchst wässerige Lösung,
theils von wenig wirksamen Heizstosscn,
z. B. Leim, theils von leicht erregen
den aromatischen Theilen des Fleisches.
Warm genossen, steht sie dem Kaffee
oder Thee, weiterhin dem Wein, Schnaps
oder Bier nahe; sie erregt die Nerve».
Vor jenen anderen Gennßmitteln (Koh
lenhydraten) hat sie den Vorzug, daß
sie keine giftige Substanz enthält, daß
sie ungleich milder ist, daß sie sich daher
für schwächliche Personen sehr viel mehr
eignet."
Virchow nennt die Fleischbrühe fer
ner einen Luxus, den sich nur Wohlha
bende regelmäßig erlauben können, weil
man das Fleisch zum großen Thoil un
verdaulich mache, ohne einen Ersatz in
der Brühe zu finden.
Ganz so schlimm ist der Fall nur,
wenn das Fleisch mit kaltem Wasser
ausgesetzt und zu lauge gekocht wird.
Legt man es gleich in kochendes Was
ser, dem vorher schon etwas Kochsalz
zugesetzt war, kocht es gelinde und nur
so lange, bis es gar ist, also beim Ein
stechen mit der Gabel nicht mehr knirscht
oder Widerstand leistet, so erhält man
ein ganz wohlschmeckendes und nahr
haftes Kochfleisch. Das siedende Was
ser macht die EiweiSkörper des Fleisches
gleich gerinnen und verhütet so cin
allzu großes Auslaugen desselben, wo
durch dic Suppe freilich weniger kräf
tig wird, aber das Fleisch um so werth
voller bleibt.
Viele Menschen sind der Meinung,
die Suppen fchanen und schwächen den
Magen wegen ihrer flüssigen Form,
und sie wollen auch über diese Eigen
schaft Antwort und Aufklärung vom
Arzte haben.
Eine andere ärztliche Autorität, Husc
land, sagt über die Suppen das Nach
stehen»«:
Ein mäßiger Genuß von Suppen
schadet zuverlässig nicht, und es ist son
derbar, sich davon eine Erschlaffung des
Magens zu erträumen. Wird denn
nicht jedes Hctränk, auch wenn wir es
kalt nehmen, in wenig Minuten warm,
und befindet sich denn der Magen nicht
stets in der Teniperatur einer warmen
Suppe? Nur hüte man sich, sie heiß
oder in großer Menge aus einmal zu
nehmen. Sonst aber hat sie große
Borzüge: sie ersetzt das Getränk bei Ge
lehrten. bei dem weiblichen Geschlechte
und bei allen denen, welche außer Tisch
wenig oder gar nichts trinken, und die,
wenn sie keine Suppe genössen, viel zu
wenig Feuchtigkeit in's Blut bekämen.
So ist die Suppe ein Verhütungsmittel
gegen Trockenheit und Steifheit des
Körpers, und daher für trockene Natu
ren im Alter das beste Nahrungsmittel.
Je älter der Mensch wird, desto mehr
muß er von Suppen leben. Ja, selbst
die Dienste eines Arzneimittels vertritt
sie. Nach Erkältungen, bei Migränen,
bei Koliken und manchen Arten von
Magenkrämpfen ist warme Suppe das
beste Mittel.
Soweit Professor Hufeland.
Viele Menschen und sogar Aerztc
eifern gegen die Suppen, aber die Er
fahrung hat gelehrt, daß die Suppen
feiude sehr fleißige Jünger des Bachus
und Gambrinus waren oder sind. Ge
wiß, wenn sie dnrch Wein oder Bier
ihrem Körper die nöthige Feuchtigkeit
gegeben haben, ist es natürlich, daß sie
einen Abscheu vor mehr Flüssigkeit, vor
mehr Wasser haben nnd dann trockenen
und festen Speisen den Vorzug geben.
Ich sage „Wasser", denn Wein und
Bier (und auch einfache Bouillon) sind
im Sinne des menschlichen Organis
mus nur verunreinigtes Wasser, »ud
Wasser ist das Normalgetränk des Or
ganismus. Zwei Drittel des mensch
lichen Körpers bestehen aus Wasser und
iäglich verbraucht der Mensch mehrere
Pfund dieser Flüssigkeit, welche absolut
wieder ersetzt werden müssen, sei es durch'
flüssige oder feste Speisen, welch' letz
tere ja auch aus 70 bis 80 Procent
bestehen.
Aehnlich wie die Bouillon wirkt auch
das Glas Wein bei Tische. Ein mäßi
ger Genuß von Wein befördert die
Verdauung, ein übermäßiger schwächt
sie, ganz genau wie beim Wasscrgcnuß.
Ob bei Tisch leichter oder schwerer Wein
getrunken wird, ist bei mäßigem Genuß
vom medicinischen Standpunkt aus
ganz ohne Belang, sondern bleibt ledig
lich Sache des Geschmacks und des Geld
beutels.
Aber auch außer der Tischzeit wirken
eine Tasse Bouillon oder ein Glas gu
ten Weines anregend und stärkend.
Tarin liegt das Wohlthuende und Ver
lockende dieser und anderer Gcnuß
mittel (Kohlenhydrat) wie Kaffee, Thee,
Schnaps u. s. w., daß sie so viel schnel
ler nnd anscheinend ebenso kräftig Wir
ten, wie feste und kraftcrzcugcnde Nah
rungsmittel. Die Kohlenhydrate geben
keine wirkliche Kraft, aber wohl, durch
ihre Eiuwirlung auf die Nerven, das
Gefühl von Kraft, sie regen an zur!
Kraft, ohne dieselbe selbst mitzutheilen.
Ein Schluck guten Weines oder eines
starken Kaffees hebt unsere gesunkenen
Kräfte, aber er gibt keine wirkliche'
Kraft, er bringt nur sür kurze Zeit die
noch vorhandene Kraft in beschleunigte
Thätigkeit, »nd würde nicht bald und
hinreichend die so angespornte Kraft
durch richtige Mhrungsmittcl (Albu
minatc) ersetzt werden, s« mußte ba!d
eine tiefere Erschöpfung nachfolgen.
Die schnellere Wirkung der Kohlen
hydrate ertlärt sich zum Theil aus dem
Umstände, daß kleine Mengen von
Wasser und Alkohol sofort durch die
feinen Venen der Magenwände aufge
sogen werden und schon nach längstens
zehn Minuten vollständig aus dem
Magen verschwunden sind. Die beige
mischten Stoffe der Bouillon, des Wei
nes, des Bieres u. s. w. bleiben im
Magen zurück und werden wie feste
Speisen verdaut.
lUTcr mäßige Genuß von Suppen,
Wein, Kaffee nnd ähnlichen Genußmit
teln ist also entschieden zu empfehlen,
denn es ist höchst wichtig für die Ge
sundheit, daß dem menschlichen Orga
nismus die nöthige Menge Wassers
zugeführt werde, von dem nur sehr
große Mengen schädlich wirken, während
geringe Ueberschüsse mit Leichtigkeit und
:iuf mannigfaltige Weife wieder aus
xm Körper ausgeschieden werden.
Wie viel man essen und trinken sols,
dcutct uns das Gefühl an, welches wir
vunger oder Durst nennen. Ist dieses
Gefühl auch in der heutigen genußsüch
tigen Zeit bei Manchen sehr getrübt, so
wird es bei den meisten Menschen doch
»och eine gMte Richtschnur sein.
Vi» Lebenslauf.
Schule flüchtig, Bummeln tüchtig,
Wesen schneidjg, arbcitsmeidig,
Lackschuh', Loge, Mcinc-Tciue,
Schulden, Wechsel, Ehrenschcinc,
Pater gänzlich ruiuircu,
Schauderös sich ennuyiren,
Rennbahn, Wetten,
Pferd, Scct, Mäd?k,
Ende Kugel vor den Schädel.
So kurz das Leben ist/
gibt es doch Viele, die es langweilig
finden.
Ein Held aus den Befreiungs
kriegen.
ES war Anuo als das Re
giment des „corsicanischcu Lindwurms"
in's Wanken kam. Das Bolk stand
auf, der Sturm brach los. Auch in
T mcincr Hcimath, fing eS an zu
gährcii. Dunkle Gerüchte von große»
Ereignisse» sauden ihren Weg dorthin.
Man trat zusammen und bildete eine
Bürgerwehr, mau politisirte und schwa
dronirtc, —es war eine Lust. Da
geschah etwas Unerwartetes, das dem
Fasse vollends den Boden ausschlug.
Eines Tages nämlich sprengte Herr
von Possenwitz vom benachbarten Fin
kendorf auf dampfendem Rosse in die
Stadt und das sogleich vor's Rathhaus.
Der Gcr,ch!sdiener mußte sofort den
ganzen verchrlichen Magistrat zusam
mentrommeln. Von Possenwitz stellte
sich demselben als Kriegsobersten des
Bezirks vor und verlangte, man solle
die gesammte Bürgerschaft schleunigst
auf dem Markte zusammenrufen; Ge
fahr sei im Verzuge, eS gelte eine
schnelle kühne That.
Bald waren alle versammelt. „Kin
der!" ries der Herr Oberst, „der Feind
steht hinter Rostock. Wir dürfen ihn
nicht auf unsere heimathlichen Fluren
lassen. Jedermann ist cs seinem Va
terlands, seiner Vaterstadt, seiner Fa
milie schuldig, daß cr mitzieht in de»
heiligen Kampf. Wollt ihr Bürger
eure Pflicht und Schuldigkeit thu»?"
hieß es zum Schluß der begeisterten An
sprache.—„Ja!" scholl es stürmisch von
allen Seitcn. „So tretet her, datz wir
»ns formiren!" rief der Anführer.
Die Bürgerwehr bildete dcn Stamm,
»in sie herum gruppirte sich bald ein
respektables Häuflein kampfcsmuthigcr
Helden. „Nun die Führer!" hieß cs
weiter. „Wer commaiidirtc die Bür
gcrwchr?" „General Schmidt!" war
die vielstimmige Antwort. „Wo steckt
er?" sragte der neugebackene Oberst
ungeduldig. „Hei is krank," rief eincr,
„hei hat'n Podagra!"—„Na, wer com
maiidirtc denn sonst?" kollerte dcr
aufgeregte Herr von Possenwitz.
„Toi Wcbermciftcr Lang'! Lieu
tenant Laug'!" scholl es aus de» Rcihcn
dcr Bürgcrwehr. Hier trat nnn mein
Großvater vor, sich vordem Gewaltigen
verneigend. „Ei sieh da, lieber Mei
ster," rief jener freundlich, ~es ist mir
lieb, Sie an meiner Seite zu wissen, da
haben wir ja gleich ein Glied dcr Stadt
verwaltung mit a» dcr Spitze." —-
Mein Ahn gehörte n m'.ich zum Bür
gerausschuß, den ,ugenannicn „Ja-
Brüdern". —,. Entschuldige» S', Herr
von Possenwitz," erwiderte der Angere
dete de- und wehmüthig, ~ik kaun
»ich mit; denn seihn S'. aevermorgen
kümnit mei Proceß mit der Stadt
üm dei Braukwiesch tau» Utplitzen.
und denn niöt it doch doa sin, sünst
gahn s' mi doarmit dörch'e Lappen."
~Ei was!" donnerte dcr Hcrr Obcrst
den armen Sünder an. ~Mann, nen
nen Sie das Patriotismus? Mitgeben
Sic, sage ich Ihnen!"
Bekümmerten Hcrzcns trat mein lie
ber Großpap« zurück. Er verwünschte
in diesem Augenblicke die ganze heilige
Sache.
Abends wurde gepackt und gerüstet.
Der Säbel wurde geputzt und das
Schloß an der Flinte geschmiert.
Dann kam die Nacht. Ruhelos wälzte
sich mein guter Ahn ans dem Lager.
Die Brnchwiese ließ ihn nicht schlafen.
Nach einem thränenvollen Abschied am
nächsten Morgen setzte sich das ganze
Eorps in Bewegung. Alle waren in ge
hobener Stimmung, nur mein Acltcr
vater schlich unmuthig neben seinen
Steinschloßflinte» und Piken einher.
Jetzt war der erste Rendezvousplatz
erreicht. Da kommt ein Reiter daher
getrottelt.
„Nahwer," rust er meinem Groß
vater zu, „ik woll Di blot Orie briug'n,
bat d.'in Adcbahr bi Di inkihrt is! Di»
Fru het jo woll bei Upregung aewcr
nahmen. Sei lat Di grüßen uu da»
wir all gaud abgahn!"
Herrje, wie sprang mein Ahnerl ans!
~'N Jung?" rief er.—„Ja!" erwiderte
der Andere.
„Herr Oberst," bat mein Vorfahr',
„laten S' mi gähn. Jk bün jetzt tau
Hus nödigcr."
Na, da kam er gut an.
„Nein nnd abermals nein!" schrie
der Herr von Possenwitz erbost. „Dies
ist eine abgekartete Sache, um sich auf
gute Manier zu drücken. —Sie sind eine
Memme! Aber Sie sollen Ihren Willen
nicht haben!"
Käseweiß wurde mein braver Groß
vater bei den harten, beschimpfenden
Worten des Gestrengen. War er anch
gerade lein Eisenfresser, so war er doch
nach viel weniger eine Memme. Er
winkte dem diensteisrigen Nachbarn still
zu und schritt dann mit dem Haufen
weiter.
Bald hörte mau Kanonendonner.
Das Lied: „Immer langsain voranec."
nahm ein jähes Ende. Manchem siel
das Herz in die Hosen, und wäre es ge
gangen, hätte sich dieser oder jener da
von gemacht. Aber der gestrenge Herr
von Possenwitz ritt hinter der Front,
und es war, als ob sein Blick eines
Jeden Herz und Nieren prüfen wollte.
So kam der Zug der Befreier in die
Gegend Doberan. Da traf die
Nachricht ein, daß der Feind geschlagen
und flüchtig geworden sei. „Kinder."
sprach der hekdenmüthige Oberst miß
launig, „wir kommen leider zu spät;
die andern haben uns das Feit von der
suppe abgeschöpft. Ihr köpnt jetzt
wieder nach Hause zu Muttern gehen.
Aber Halt! Ihr seid wohl müde.
Darum schlage ich vor, wir campiren
hier und marschieren morgen in aller
Ordnung wieder retour. Das macht
einen besseren Eindruck. Holt jetzt eure
Freßkober hervor und macht es euch be
quem. Für Sie. Lieutenant,"
wandte er an meinen Aeltervatcr,
„habe ich noch einen ganz besonders
ehrenden Auftrag —" (hier lächelte er
itwaS malitiös) —„Sie sollen das vor
ans liegende Schlachtfeld recognosciren
und mir genauen Bericht darüber er
statten. Wie ich gehört habe, kennen
Tie diese Gegend sehr gut. Beglei
tung ist nicht nöthig.
Da gab dcr Herr Oberst meinem
armen abgelaufenen Großvater eine gar
bittere Pille zu schlucken. Allein was
hals cs, Ordre mußte Harirt werden,
dafür war das Ahuerl jitzt Soldat. So
»lachte cr sich auf dic Socke» und licf
gen Retschow, wo das Gefecht getobt
hatte. Das Schlachtfeld lag zerstampft,
verlassen und wüst da. Die Verwun
deten waren größtenthcils geborgen;
nur todte Menschen und Pferde lagen
auf dem Gelände nmher. Hastig be
ging der Großvater 4ie Gefechtsfläche,
raffte im Gehen einen Karabiner »»d
ein Reiterschwert auf, und weil die
Dämmerung hereinbrach, machte er sich
bald auf den Rückweg, denn ihm graute
an diesen» Orte des Todes und des
Entsetzens.
Auf dem Rückwege pafsirte cr ein
Gehölz. Mit kurzen Schritten und
stockendem Athem war er »»gefähr bis
in die Mitte desselben gekommen, da
knackte es in den Büschen und heraus
sprang ein französischer Soldat. Schnell
tauchte mein Großvater in dcn Stra
ßengraben. Er konnte kaum noch sein
„Halt! Wer da?" herausbringen; die
Kehle war ihm wie zugeschnürt. Der
Gegner sprang ebemalls in de» gegen
überliegenden Graben, und so lagen
sich die beiden eine Weile schweigend
gegenüber. Mein Aeltervater wollte
schier vor Schrecken und Entsetzen ver
gehen. I» welch« Lage hatte ihn dcr
lchlimme Obcrst gebracht!
Eben wollte der Hcrr Lieutenant
iiber dcn Grabcurand spähcn, da ver
nahm cr ncben sich cin leises Geräusch.
Mit einem Schrcckensruf wandte er sich
um, und was sah er? Vor ihm lag dcr
Franzose, waffenlos, zerlumpt, die
emporgcstrtckt und flehtc um
bat cr kläglich, „p-mi, p»in! Jk sein
sehr hungrig!"
„Won büst Du hicr dörch lamcn?"
war die erste Frage. Dcr Franzose,
der dcn Sinn der Worte errathcn
mochte, wies unter Kauen und Schluk
ken seitwärts. Dort gewahrte mein
Ah» eine Brücke, über welche eine
Ztraße führte. So erklärte sich das
Räthsel.
„Nu kümmst D» mit mi!" sagte der
Herr Lieutenant so energisch er tonnte.
„Verstände vu, Monsüre? Wift Du
mi aeloers utkniepen, denn fchlach ik Di
den Bregen tau Pottkes' Marsch!"
So trieb cr seinen Gefangenen vor
sich her.
„>lo,isisur!" sagte der Franzose
nach einer Weile. „Jk wissen ein Ge
heimniß. Wenn Klonsisur mir ver
fprek, paicioo, will ik sage» zu Sie."
Mein Großvater versic!er!e ihm
gerne, daß cr kein Kannibale sei, »nd
der Franzose erzählte nun auf feine
Art, daß sie vor acht Tagen mit dcr
Kriegskasse dnrch T geslüchtct seien,
von den Feinden verfolgt. Sie hätten
sich nicht anders retten könne», die
Kasse hätte in ein Wasserloch wandern
müssen.
Hoch auf horchte mein Ah». Er
wußte ja, welchen Weg damals die flie
hende» Iranzosen genommen hatten.
An der Straße befand sich aber nur ein
einziges Wasserloch. Also dort mußte
dcr Schatz liegen.
Gern versprach cr jetzt dem Fcindc
Schutz und Fürsprache, nur sollte der
selbe das Geheimniß kcinem andern
Menschen offenbaren.
Man denke nicht, daß mein Groß
vater sich vom Geldteufel verblenden
ließ. Nein, er hatte fcine bcsondcrcn
Absichten, die wir bald sehen wcrdcn.
Spät in dcr Nacht gelangte er mit
seinem Gefangenen im Lager dcr Hel
den an. Hicr war dcs Stauncus und
Fragens kein Endc. Am meiste» freute
sich aber dcr tapscre Herr von Possen
witz. Er bat seincn Lieutenant viel
mals nm Verzeihung, daß cr ihn so
verkannt habe, und mein lieber Groß
vater ließ ihn gerne bei seinem guten
Glaubcn. Warum sollte cr cs auch Je
dermann auf die Nase binden, wie er
zu scincm Gefangeiicn gckommc» war!
Dcr Rückzug des Haufens gcstaltcte
sich zu einem wahren Triu»iphzugc.
Mcistcr Lange war der Held des TageS.
Aus öffentlichem Markte wurde cr be
lobt, und ihm zn Ehrcn wurdc cin Fest
essen veranstaltet, an dem der Oberst,
der Magistrat nnd die Honoratiorcn
dcs Städtchens theilnahmen.
„Herr Bürgermeister," sprach de
Alte vergnügt beim Schmause, „wenn
dei Stadt mi nu dei Braakwisch acwer
lctt, schcnk ik ehr 'ne franzöf'sch Kriegs
tasf', dci up uns Vcrbcit licgt. Jk
wcit, wo's is."
Allc sprangen empor wic clckrisirt.
„Das ist'n Wort!" rief dcr Stadt
vatcr erfreut.
„Ein solcher Fang thiftc unseren Fi
nanzen noth! Finden wir die jtasse, be
kommen Sie die Wiese. Hicr ist meine
Hand!"
Sofort in der Frühe dcs nächsten
Morgens wurde nachgesucht. Es kostete
nicht wenig Mühe, dem Unkraut, dem
Schlamm die eiserne Kassette zu ent
reißen.
Aber das Resultat war cin glänzen
des, die kühnsten Erwartungen übcr
trcffcndcs. Meine Vaterstadt war mit
eincm Schlage aller Ealamitälen über
hoben und das durch meine» tapferen
Ahn.
Wir behalten diesen Wackeren in
giltei» Andenken. Das Holzwerk dcs
initgebrachtcn Karabiners ist längst von
den Würincrn verfressen, aber das Rei
terschwert erbt sich fort von Geschlecht zu
Geschlecht und erzählt die Thaten des
kühnen Kämpfers der Befreiungs
kriege.
S ich? r st e A usk u n s t. Frau:
„Wann hat doch unser Junge zuletzt
geschrieben?" Mann: .Schau' mal
m, Cassabuch nach!"
Zweimal angefahrt.
Wir befinden uns zur Faschingszeit
in Köln, der rheinischen Metropole und
Hochburg des Prinzen Karneval.
Der Rosenmontagszug ist zu Ende, und
der Baurath Buchmüller sitzt mit seiner
Frau und seinem reizenden jetzt 17 Jah
re zählenden Töchterlcin Frieda beim
Abendessen, und man uuterhielt sich
lebhaft über die Ereignisse des ereigniß
reichen Tages. Nach Fug, Regel und
Recht hätte man nach allem Erlebten
eigentlich ein wenig ermüdet sein und
sich rccht bald auf das eigens dazu mit
gebrachte Ohr legen müssen, um für
den sich am nächsten Tage abspielenden
Haupttrubel wohl vorbereitet zu sein.
Aber, ich bitte nm Entschuldigung, an
den Karnevglstagen fühlt sich der Köl
ner überhaupt nicht müde, und so fand
die Frau Baurath denn auch noch den
Muth zu der Frage: ~Wie wäre es,
Alterchen, wenn wir jetzt zusammen
in's Theater und dann noch ein Stünd
chen zu F gingen, wo wir sicher
»och etliche gute Bekannte treffen?"
F ist eines der feinsten
Restaurants Kölns, wo namentlich an
den Karncvalstagcu nur cm gewählte»
Publikum zu verkehren pflegt.
Das „Alterchen" ist nun durchaus
kein Tyrann, vielmehr ein rccht humor
voller Herr, der cs verstanden hat, sich
trotz seiner sechzig Jahre noch ein jun
ges Herz zu bewahren. So hat cr ge
gen den Vorschlag seiner besseren
Hälfte denn auch nur sehr wenig einzu
wenden; doch Theater nein, das ist
hcute nichts mehr für ihn. ~Hm!"
brnmmte er drum, ~hast nicht so ganz
Unrecht, Alte; aber im Theater müßt
Ihr Euch schon ohne mich behelfen. Ich
werde Euch eine Droschke besorgen lind
den, Kutscher sagen, daß er bis zu Ende
der Borstellung wartet und Euch dann
zu F. bringt wo wir uns später treffen
können. Inzwischen trinke ich mit ei
nigen gute» Freunde» noch ei» Gläs
chen aus Eure und meine Gesundheit."
Wie gesagt, so gethan, und indem
wir uns zur Feier des TageS einen
kleinen Riesensprung erlauben, sehen
wir nach stark zwei Stunden Frau
Baurath Buchmüller mit ihrem liebli
chen Töchterlein inmitten einer lustigen
Gesellschaft bekannter Damen und Her
ren in bester Unterhaltung im Restau
rant F. Eben hat schön Frieda ge
äußert, daß jetzt Papa recht wohl kom
men könnte, da öffnet sich die Thür,
und hereintritt zum Entsetzen aller An
wesenden das Urbild eines verlodderten
Menschen im zerlumpten Anzüge, einen
schäbigen durchlöcherte» Filzhut auf
dem Kopfe und das Gesicht mit einer
Halbmaste bedeckt. Graden Weges geht
er auf schön Frieda zu und nimmt
einen kräftigen Schluck aus ihrem
Glase. Dergleichen ist zur Faschings
zeit in Köln gestattet und wird es Nie
manden einfallen, wegen einer solchen
Handlung ungehalten zu sein. Aber
damit begnügte sich unser Bruder
Stromer nicht. Friedchen schien eS
ihm angethan zu haben, und bald er
laubte cr sich il>r gegenüber derartige
Freiheiten, daß sie ängstlich näher an
ihre Mama rückt und ihrem sonderba
ren Verehrer zuruft:
„Wissen Sie, wenn mein Papa hier
wäre, würde cr Sie schon längst hin
ausgeworfen haben!"
„Nun, das können wir ja auch be
sorgen !" bemerkt auf diese Weise an
geseuert Frieda's Nachbar zur Rechten,
cin jungcr Eoinmis, dem zwci blaue
Augen auch gar sehr mitgespielt haben.
Mit ritterlichem Muthe springt cr ans,
doch nur, um iinscrin Brudcr Stromcr
seincn Platz cinziiräumcn, dcr kaum
de» Stuhl frei sah, als er auch fchon
an Frieda'» Seite saß.
Blaß vor Wuth über seinen Miß
erfolg wintt dcr jnngc Rittcrcinigen
Kellnern »nd bcfichlt ihnen, den Kerl
an die Luft zu setze». Da der Baga
buiid sieht, daß er der Ucbcrmacht nicht
wird widerstehen können, so erhebt cr
sich freiwillig, geht indessen nicht dem
Ausgange, sondern auf den Stuhl der
Frau Baurath zu und flüstert ihr i»'s
Ohr, jedoch so. daß alle am Tische
Sitzenden cs hören können, aber mit
verstellter Stimme: „Gnädige Fra»,
crinncr» Sie sich noch, wie wir zu
Hause vertraulich auf dem Sopha zu
sammen saßen ?"
Ta ergreift ein heiliger Zorn die
gute Frau und entrüstet ruft sie aus:
„Fürwahr, bisher waren Sie nur auf
dringlich, aber jetzt werden Sie sogar
gemein. Herr Wirth sofort
befreien Sie mich von diesem Subjecte,
oder Die Stimme
versagte ihr, aber cs war auch nicht nö
thig, dyß sie des Himmels Strafge
richt über den armen Restaurateur
Herabries, denn bereits hatten fechs
lräftige Fäuste den Strolch gesaßt, als
dieser mit eineiu schnelle» Griff die
Larve vom Gesicht reißt und
„Papa, nicin lieber Papa, das ist ja
unser Papa!" jubelt da schön Frieda
und hängt zärtlich am Halse ihres als
Bummler verkleidete» Vaters.
Taß dcr Herr Baurath nicht an die
Luft gesetzt wurde, ist selbstverständlich,
und ebenso selbstverständlich ist es, daß
ob des gute» Scherzes noch manchem
Fläschchen dcr Hals gebrochen wurde
und selten eine solche Fröhlichkeit in
diesen Räumen geherrscht hatte, wie au
diesem Abend.
Wieder ist cin Jahr vergangen, wie
der führt Prinz Karneval lustige Herr
schaft und wieder sitzt Frau Baurath
Buchmüller mit ihrem Töchterlcin und
fast dcrsclbcn Gesellschaft wie im vori
gen Jahre bei F. und erwartctcn den
Papa, der wieder versprochen hatte,
nach einiger Zeit nachzukommen. Gol
dig perlt Vvuvs herrli<her
Wein in den Gläsern, und gerade er
innert cin Gast an dcn famosen Streich
des Herrn Baurath, da ö?nct sich die
Thür und cs erscheint die allen so wohl
bctannte MaSte vom vorigen Jahre.
Herr Buchmüller! geht es von Mund
tu Mund. Ter Angekommene verbeugt
sich vor der Gesellschaft und setzt sich
neben unser Friedchen, wo ihm dieses
Mal sofort ein Stuhl eingeräumt
wurde.
Aber, Papa," meint schön Frieda,
die fest überzeugt ist. ihr Vater mache
denselben Scherz wie früher, „es ist doch
eigentlich garnicht schlau von Dir, uns
denselben Hercinfall zweimal bereiten
zu wollen. So dumm sind wir noch
nicht."
Die Maske erwidert nicht viel, be
mächtigt sich dagegen Friedchens Glas
und schlürft mit Behagen den feurigen
Trank. Bald ist das Glas wieder ge
füllt, die Maske wird gesprächiger und
Friedchen unterhält sich ausgezcichnet.
Mehr »nd mehr wirkt der schwere Wein,
immer animirter wird die Gesellschaft
und besonders schön Frieda schwimmt
in einem Meer von Entzücken. Soeben
hat sie ihrem Papa für eine besondere
Aufmerksamkeit einen Kuß versprochen
und den Strolch schon zärtlich um
schlungen, als sich herausstellt, daß die
Halbmaske der beabsichtigten Procedur,
doch zu große Schwierigkeiten entgegen»
fetzt.
„So nimm denn das dumme Ding
doch ab, Papa, wir kennen Dich ja doch
alle!" meint Friedchen da, nnd trotz
des Sträubens des BnnAnlcrS haben
ihre Händchen bald die Schnüre gelöst.
Da , ein furchtbarer
Schrei, »nd schluchzend flüchtete Fried
chen au die Brust ihrer Mutter,
rend - Dienstmann
Nummer X. sich den erstaunten Anwe
senden präsentirt.
Chinesisches.
Dem ostnsiatischen Lloyd entnehmen
wir folgendes in der Pckinger Hofzei
tnng veröffentlichte Edikt: „Da in
Peking feit Winters Anfang noch kein
Schnee gefallen ist, so begaben Wir
Uns am December in die Ta kao
tien, um Weihrauch zu opfern, auch
wir durch den Pei leh Tfai lien und
Andere in der Shih ying kung »nd an
deren Tempeln opfern und um Schnee
beten. Da wir aber bis jetzt, obgleich
eS schon ansängt, kalt zu werden, noch
keinen glücklichen Schneefall erlangt ha
ben und um so sehnlicher danach ver
langen, so werden Wir am 8. Januar
Uns nochmals persönlich in die Ta kao
tien begeben und Weihrauch verbrennen
und verordnen hiermit, daß zu dersel
ben Zeit der Pei leh Tsai lien in der
Aing shih kung, der Pei leh Tsai Tunz
in Ehon hsicn miao, der Pei leh Tsai
fhu in Hsüan jcn miao und der Herzog
Tsai tse in Ning ho miao nochmals
opfern. (Anm.: Hing shih kung, Chou
hsien miao zc. sind die 4 Tempel des
Regens, Blitzes, Windes und der Wol
ken). Ueber die uralte chinesische
Sitte, „den Frühling einzuholen", die
bereits in dem klassischen Werke Li chi
(„Buch der Riten") erwähnt wird,
bringt die in Shanghai erscheinende
chinesische Zeitung Shenpao vom 4.
Februar d. I. folgende Notiz:
„Es ist eine uralte Sitte, nach Osten
zu auf den Stadtplan hinauszugehen,
um den Frühling einzuholen. Gestern
(am 3. Februar) war der Termiit
hierzu, und um die Mittagszeit begab
sich der Shanghai-Magistrat Man, be
gleitet von dem Fluß-Jnspector Wu,
i>em Polizei-Direktor Tsai und dein
Stildicn-Ausicher Hsüan, sämmtlich in
geordnetem Zugc, zur Stadt hinaus.
Vorau wurden Flaggen. GongS, Re
genschirme »nd Fächer getragen, dann
solgton 30, von der Bevölkerung dem
Magistrat gewidmete Ehrenschirme, 4
Garnituren von ebensolchen Ehrenklei
dern, 80 Paare Ehrcntascln; die Die
nerschaft in Paaren z» Pferde, ebenso
die sämmtlichen AmtSdiener zu Pferde,
sann das Hauptroß (Vörden Sänften),
zas Sicgelpscrd (das die Siegel der
„Frühlingsbeamteii", das heißt des
Magistrats und dergleichen trägt),-u.
f. w. Endlich kamen die acht Genien
svon Menschen dargestellt) zn Pferde
und eine Wache !"itftcmdc» Gewehren.
Ter Zug ging zum Ostthore hinaus
nach dem „Tempel der Fr»»hlings-Etn
holung"; dort wurde der Genius des
Jahres (auch „Genius der Saaten" ge
nannt, eine gemalte Genie in Kindes
gestalt und Schützer der Saat), sowie
)ie Frühlingskiih (vou Papier oder
Lehm gemacht) feierlich empfangen;
dann ging es wieder zum Großen Ost
lhore hinein, über die Tai Ping-Straße,
zurch den Tempel des Stadtgeniiis und
iiif Umwegen zurück zum Hamen. Der
Genius des Jahres war unbedeckten
Hauptes (ein Zeichen, daß es wenig
Regen während des Jahres geben wird,
sonst.tragt er einen Strohhut auf dem
stopfe) und mit Schuhen bekleidet. Die
FrühlingSkuh hatte einen schwarzen
Kopf, schwarzen Banch, gelben Rücken,
rothen Schwanz. sowie rothe Füße und
Hörner. Sie wurde im Heiligthnm
der Platzgottheit (im Hamen des Magi
strats) ausgestellt, und heute (am 4.)
wird sie dem Gebrauch gemäß zerschla
gen weiden. (Diese Sitte soll angeb
lich bedeuten, daß auch im kommenden
Jahre strenge Gerechtigkeit geübt »nl»
der Schuldige bestraft wird.)
Schwierig. Student: Jetzt
weiß ich nicht, war'S der Bäckermeister
Fleischer in der Gerbcrstraße, der Flei
schermeifter Gerber in der Bäckerstraße,
der Gelbermcister Becker in der Flei
fcherstraße, der Bäckermeister Gerber in
der Flcischerstraße, oder der Fleischer
meister Becker in der Gerberstraßc,
der mir gestern Abend beim Bier
versprach, sich heute Morgen von mir
anpumpen zu lassen.
Nicht allzu schwer. Sie
Weißt Du, Manu, was ich mir heute
wünsche'?" Er: „Ein neues Kleid."
Sie: „Weiß Gott! Du hast mei
nen Gedanken errathen !" Er: „Hä,
als ob das so schwer wäre, bei den
paar Gedanken, die Du hast!"
Gedankensplitter. Bei
den Frauen ist jede Liebe Leidenschaft,
bei den Männern jede Leidenschaft
Liebe.